Wildcat-Zirkular Nr. 39 - September 1997 - S. 59-60 [z39arbei.htm]


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Anmerkungen zu einer Veranstaltung

Am dritten Augustwochenende fand im Prenzlauer Berg eine Reihe von Veranstaltungen der »Glücklichen Arbeitslosen« statt. Ich schaffte es nur, am Sonntag nachmittag zum »Palaver« zu gehen. Es waren etwa zwanzig Leute da, wir saßen in der Sonne im Pratergarten, die Stimmung war locker.

Es gab zwei Einführungsbeiträge, in denen - grob zusammengefaßt - die Ethik der Arbeit angegriffen und das Glück der Nichtarbeit gepriesen wurde. Insgesamt ein schönes Treffen, hier einige Anregungen zur weiteren Diskussion:

Im ersten Beitrag wurde eine Trennung zwischen der »Welt der Arbeit« und etwas anderem behauptet, wozu die Arbeitslosigkeit gehört oder gehören könnte. Eine solche Trennung finde ich schwierig, nach meiner Erfahrung geht die Arbeit nach Feierabend weiter, gerade mit Kind, auch Arbeitsloigkeit heißt oft mehr Arbeit als »im Job«. Natürlich erfahren wir diese Trennung als Arbeitslose oder nach Arbeitsende den Feierabend Genießende sinnlich, aber eine solch einfache Trennung verdeckt leicht die Kontinuität des Arbeitszwangs - die meisten von uns lassen sich »nach der Arbeit« nicht bedienen, sondern arbeiten schnell noch was für sich selbst, die Wohnung wird am Wochenende renoviert usw..

Jeremy Rifkin (»Das Ende der Arbeit«; fischer tb 13606 - Er behauptet, in der Zukunft mache die technische Entwicklung achtzig Prozent aller menschlichen Arbeit(erInnen) überflüssig) folgend versuchen sie, dessen Thesen zu benutzen, um zu sagen: »Richtet euch auf die Arbeitslosigkeit ein, Leute, statt der Arbeit hinterherzutrauern, und genießt sie!« Das ist als Subversion gegenüber dem real existierenden Gejammer über fehlende Arbeit witzig. Ich selbst kenne aber kaum Arbeitslose, die von ihrer Kohle noch leben können, ohne schwarz arbeiten gehen zu müssen. Gibt es denn diese Arbeitslosen als Menschen ohne Arbeit überhaupt noch als Mehrheit, hat es sie je gegeben? Und darauf ein politisches Konzept zur Veränderung der Welt zu stützen und dabei möglicherweise zu übersehen, daß in diesem Kapitalismus ja immer wieder neue Bedürfnisse geschaffen werden, und zwar je mehr Menschen »arbeitslos« sind, je mehr Zeit sie zum Konsumieren haben (Bsp. Musik/Kultur, Love Parade Berlin, die in kürzester Zeit zu einem gigantischen Kommerzteil wurde und bei ihrer Durchführung jede Menge (prekärer!) Arbeit mobilisiert hat, ich war einer davon...)

Des weiteren wird behauptet, es gäbe eine Tendenz zur Abschaffung der schweren körperlichen Arbeit, diese würde ersetzt durch »mentale Arbeit«. Abgesehen davon, daß ich Bildschirmarbeit auch eher unter »schwere körperliche Arbeit« fassen würde, spiegelt sich hier vielleicht eher die eigene »privilegierte« Lage der Erben des Reichtums, die vielleicht sozial ausgegrenzt werden können, - oder das selbst tun - aber nicht ihres Anspruchs auf den gesellschaftlichen Reichtum des Imperiums beraubt werden. Mit anderen Worten: Machen ein illegaler albanischer Bauarbeiter oder eine lateinamerikanische Putzfrau in Berlin möglicherweise eine andere Erfahrung? (Siehe Paul Lafargue: »Die christliche Liebestätigkeit«, der eine Geschichte des »Sozialstaats« vom alten Griechenland bis zu seiner Zeit zeichnet, wobei sich immer wieder dieses Muster wiederholt: die Nachkommen der Reichsbürger werden zu zahlreich, die alte Gentilgesellschaft kann nicht mehr alle einbauen, viele wollen das auch nicht, sie wollen teilhaben ohne etwas dafür zu leisten, es entsteht ein städtisches Proletariat, das auf einen alten Anspruch zurückgreifen kann und mit Brot und Spielen ruhig gehalten werden muß...)

Gibt es nicht zumindest in den USA und Europa eher eine neue Spaltung der Klasse durch Migration in sozialstaatlich abgesicherte, gewerkschaftlich organisierte usw. Arbeitskraft, die tendenziell vielleicht eher am Bildschirm landet, und einer kriminalisierten Arbeitskraft, die genau diese körperlich schweren Arbeiten übernimmt - mit fließenden Grenzen zwischen diesen Gruppen - wodurch letztere für die »Garantierten« aus dem Blick gerät, weil sie offiziell gar nicht existiert, nicht existieren darf, höchstens in den Schlagzeilen für die Aufrüstung der sozialstaatlichen Kontrollinstrumente?

Als Alternative zur Arbeit schlagen sie die »gesamtsoziale Handlung« vor, das ist ein Begriff aus der Völkerkunde/Ethnologie - sie brachten ein Klangbeispiel vom Band, nach Urwald klingende Töne, und erklärten, es handele sich um Kommunikation von Pygmäen bei der Jagd, was von Musikforschern als Musik, von Ökonomen als Arbeit, von Kulturforschern als kultische Handlung interpretiert würde, was aber tatsächlich eben eine gesamtsoziale Handlung sei, die Pygmäensprache habe gar keine Begriffe für Musik und Arbeit usw.. Anders gesagt, die Pygmäen verhalten sich einfach so, machen sich auch nicht das Problem, das in wissenschaftliche Kategorien einzuzwängen, und wir sollten auch einfach leben und es genießen. Gute Idee!

Heinz


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