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Wer sind die glücklichen Arbeitslosen?
Weder eine Partei, noch eine Sekte, noch irgendeine fest organisierte Gruppe.
Die glückliche Arbeitslosigkeit ist vor allem ein Zustand, der sein Konzept fördert.
Die glücklichen Arbeitslosen sind Menschen, die arbeitslos und glücklich sind oder die gern arbeitslos und glücklich sein möchten. Dazu gehören auch diejenigen, die gern arbeiten (jaja, wir kennen welche), doch die Möglichkeit einer glücklichen Arbeitslosigkeit für andere unterstützen.
Da unsere Bewegung erst neu entstanden ist, müssen wir noch ab und zu arbeiten und sind noch ab und zu unglücklich. Doch unser Ziel, das Leben in der glücklichen Arbeitslosigkeit zu verbringen, verfolgen wir mit der gebührenden Langsamkeit und mit ruhigem Fanatismus.
WIEVIEL SIND WIR?
Wir schätzen: ein paar Millionen in Europa. Nur haben viele ihr »Coming out« noch nicht erlebt. Sie trauen sich nicht, laut und öffentlich zu sagen, was sie in ihrem tiefsten Innern empfinden. Gerade deshalb haben sich glückliche Arbeitslose nun entschieden, die Öffentlichkeit zu erobern.
WAS WOLLEN WIR ERREICHEN?
- Die gesellschaftliche Akzeptanz der glücklichen Arbeitslosen.
- Das Schaffen eines artgerechten sozialen Umfelds.
- Die Anhäufung von Angelegenheiten, bei denen sich glückliche Arbeitslose entdecken und treffen können.
- Das Experimentieren mit »unklaren Ressourcen«, um der Diktatur der Lohnabhängigkeit in die Flanke zu fallen.
- Die Umrisse einer neuen Lebensphilosophie, die die alte abendländische Moral des Unglücks, bzw. die Ökonomie, vollständig vernichten wird.
HISTORISCHE VORBILDER (u.a.)
- 1973 veröffentlichte Peter-Paul Zahl in West-Berlin eine Zeitschrift, »Der Glückliche Arbeitslose«, in der er das Motto »Berufsverbot für alle« propagierte (das haben wir erst neulich erfahren; darum handelt es sich also nicht um einen direkten Einfluß, sondern um einen glücklichen Zufall).
- 1918 forderten R. Hausmann, R. Huelsenbeck und J. Golyscheff in Namen des dadaistischen revolutionären Zentralrats-Berlin »die Einführung der progressiven Arbeitslosigkeit durch umfassende Mechanisierung jeder Tätigkeit. Nur durch die Arbeitslosigkeit gewinnt der Einzelne die Möglichkeit, über die Wahrheit des Lebens sich zu vergewissern und endlich an das Erleben sich zu gewöhnen«.
Wenn ich beschäftigt bin, schaut mich der Berg an
Wenn ich müßig bin, schaue ich den Berg an
Beide Dinge mögen gleich erscheinen
Doch gleich sind sie nicht
Da Beschäftigung der Muße unterlegen ist
(Tsai Wen)
Die Glücklichen Arbeitslosen auf der Suche nach unklaren Ressourcen
...UND WAS MACHEN SIE SO IM LEBEN?
(Was nun folgt, widerstößt gegen die bisher geltenden Prinzipien der Glücklichen Arbeitslosen, die ungern mit der Theorie beginnen. Sie bevorzugen vielmehr Propaganda durch Tat, Untat und vor allem Nicht-Tat. Zudem gibt es auf dem Gebiet der glücklichen Arbeitslosigkeit noch keine entscheidenden Forschungsergebnisse, die präsentierbar wären. Jedoch sind ein paar Erklärungen nötig, denn die Gerüchte, die den Glücklichen Arbeitslosen schon einen heimlichen Ruhm verschafft haben, sind nicht frei von Mißverständnissen. Über ziemlich grundlegende Aspekte sogar, nämlich das Glück, und die Arbeitslosigkeit außerdem).
Erstens, da vom Glück die Rede ist, wird die Sache sofort verdächtig. Glück ist bürgerlich. Glück ist unverantwortlich. Glück ist undeutsch. Und überhaupt, wie kann man glücklich sein, angesichts der Armut, der Gewalt und der Schrippen, die nun 67 Pfennige kosten, obwohl nichts weiter als Luft drin ist.
Paul Watzlawick hat eine schlagende »Anleitung zum Unglücklichsein« verfasst, in dem er eine solche Einstellung schildert:
»Was, wenn wir am ursprünglichen Ereignis unbeteiligt sind? Wenn uns niemand der Mithilfe beschuldigen kann? Kein Zweifel, dann sind wir reine Opfer, und es soll nur jemand versuchen, an unserem Opfer-Status zu rütteln oder gar zu erwarten, daß wir etwas dagegen unternehmen. Was uns Gott, Welt, Schicksal, Natur, Chromosome und Hormone, Gesellschaft, Eltern, Verwandte, Polizei, Lehrer, Ärzte, Chefs oder besonders Freunde antaten, wiegt so schwer, daß die bloße Andeutung, vielleicht etwas dagegen tun zu können, schon eine Beleidigung ist. Außerdem ist sie unwissenschaftlich.«Um diese Frage zu behandeln, wäre es nötig gewesen, in den Sumpf der Psychologie vorzudringen, wovor wir uns natürlich hüten werden.
Gegen das Glücklichsein hält man aber auch noch andere Argumente parat. Zum Beispiel wird behauptet, der Totalitarismus bestehe darin, die Menschen gegen ihren Willen glücklich machen zu wollen. Aber die unglücklichen Arbeiter und Arbeitssuchenden brauchen sich keine zusätzliche Sorge zu machen: der Glückliche Arbeitslose hat nicht die Absicht, sie gegen ihren Willen glücklich zu machen. Gewiß ist Glück ein Stichwort für alle möglichen Quacksalber, die ihre Wundermedizin anpreisen wollen. Aber der Glückliche Arbeitslose hat keine Wundermedizin anzubieten. Programmatisch sieht das so aus, wie Lautréamont 1869 seine eigene Aufgabe formulierte:
»Bis jetzt wurde Unglück geschildert, um Furcht und Erbarmen zu erzeugen. Nun werde ich das Glück schildern, um ihr Gegenteil zu erzeugen.«Und jetzt zur Sache:
Wir wissen alle, daß Arbeitslosigkeit nicht abgeschafft werden kann. Läuft der Betrieb schlecht, dann wird entlassen, läuft er gut, dann wird in Automatisation investiert, und auch entlassen. In früheren Zeiten wurden Arbeitskräfte gefordert, weil es Arbeit gab. Nun wird verzweifelt Arbeit gefordert, weil es Arbeitskräfte gibt, und keiner weiß, wohin mit ihnen, denn Maschinen arbeiten schneller, besser und billiger. Die Automatisation ist immer ein Traum der Menschheit gewesen.
Der Glückliche Arbeitslose Aristoteles vor 2300 Jahren:
»Wenn jedes Werkzeug seine eigene Funktion selbst erfüllen könnte, wenn zum Beispiel das Weberschiffchen allein wirken könnte, dann würde der Werkmeister keine Gehilfen brauchen, und der Herr keine Sklaven«.Nun hat sich dieser Traum verwirklicht, und alle empfinden es als einen Alptraum, da sich die sozialen Bedingungen nicht so rasch wie die Technik gewandelt haben. Dieser Prozeß ist unumkehrbar, denn Roboter und Automaten werden nicht wieder von Arbeitern abgelöst. Außerdem wird die menschliche Arbeit, wo sie noch nötig ist, in Billiglohnländer ausgelagert oder von unterbezahlten Immigranten hier geleistet. Diese abwärts führende Spirale könnte nur mit der Wiedereinführung der Sklaverei beendet werden.
Jeder weiß es, doch darf man es nicht aussprechen. Offiziell herrscht der »Kampf gegen die Arbeitslosigkeit«, eigentlich ein Kampf gegen die Arbeitslosen. Zu diesem Zweck werden Statistiken verfälscht, Pseudo-Arbeitsplätze beschafft und schikanöse Kontrollen durchgeführt. Da solche Maßnahmen immer unzureichend sind, wird noch dazu herummoralisiert und behauptet, der Arbeitslose habe seine Situation selbst verschuldet. Man macht aus den Arbeitslosen einfach »Arbeitssuchende«, allein um die Realität zu zwingen, sich der Propaganda anzupassen. Der Glückliche Arbeitslose sagt laut, was jeder weiß.
»Arbeitslosigkeit« ist ein schlechtes Wort, ein negativ besetzter Begriff, die Kehrseite der Medaille der Arbeit. Ein Arbeitsloser ist bloß ein Arbeiter ohne Arbeit. Dabei wird über den Menschen als Poet, als Reisender, als Suchender, als Atmender nichts gesagt. In der Öffentlichkeit darf nur von Arbeitsmangel die Rede sein, erst in privaten Sphären, abseits von Journalisten, Soziologen und anderen Schnüfflern, wagt man, aufrichtig zu sein. »Ich wurde entlassen, geil! Endlich habe ich Zeit, jeden Tag auf Parties zu gehen, brauch nicht mehr aus der Mikrowelle essen und kann ausgiebig vögeln.«
Soll diese Trennung zwischen privater Weisheit und öffentlicher Lüge aufgehoben werden? Man sagt uns, es sei nicht der richtige Moment, die Arbeit zu kritisieren, es sei eine Provokation, die den Spießern gerade recht käme. Noch vor zwanzig Jahren konnten die Arbeiter ihre Arbeit und auch die Arbeit an sich in Frage stellen. Heute müssen sie, nur weil sie nicht arbeitslos sind, Zufriedenheit heucheln und die Arbeitslosen müssen, nur weil sie keine Arbeit haben, Unzufriedenheit heucheln. Somit hat sich die Kritik der Arbeit in Wohlgefallen aufgelöst. Der Glückliche Arbeitslose ist über diese infantile Erpressung erhaben.
Wo die Arbeitsethik verloren gegangen ist, bleibt die Angst vor der Arbeitslosigkeit die beste Peitsche zur Steigerung des Kriechertums. Ein gewisser Schmilinsky, Management-Berater zur Ausrottung der Blaumacher, sagt es ganz deutlich:
»In einem Rennstall überlegen Sie sich auch, welches Pferd noch das Gnadenbrot bekommt und welches nicht. Unternehmen, die heute überleben wollen, müssen zuweilen auch rabiat sein. Zuviel Güte kann einem Unternehmen den Hals brechen. Ich rate meinen Kunden, mit der eisernen Hand im Samthandschuh durchzugreifen. Wir leben in einer Zeit, in der Arbeiter rund um sich herum beobachten, wie Stellen abgebaut werden. Niemand will unangenehm auffallen. Firmen neigen zunehmend dazu, diese Unsicherheit zu nutzen, um die Fehlzeiten deutlich zu senken.« (der Spiegel, 32/1996)Das Schaffen eines artgerechten Biotops für Glückliche Arbeitslose würde auch die Lage der Arbeiterschaft verbessern: die Angst, arbeitslos zu werden, würde abnehmen, und der Mut, sich zu widersetzen könnte leichter zum Ausdruck kommen. Vielleicht würde eines Tages das Kräfteverhältnis wieder zugunsten der Arbeitenden sein. »Was? Sie wollen kontrollieren ob ich richtig krank bin oder nicht? Dann geh ich lieber zu den Glücklichen Arbeitslosen«.
Arbeit ist eine Überlebensfrage. Diese Meinung können wir teilen. Bob Black schreibt dazu aus Nord-Amerika:
»Arbeit ist Massenmord oder Genozid. Arbeit wird jeden, der diese Worte liest, direkt oder indirekt umbringen. Zwischen 14000 und 25000 Menschen kommen in diesem Land jährlich bei der Arbeit um. Mehr als zwei Millionen werden dabei zu Behinderten. 20 von 25 Millionen werden verletzt. In dieser Zahl sind noch nicht einmal die halbe Million Menschen mit Berufskrankheiten einbezogen. Es wird nur die Oberfläche angekratzt. Was die Statistik nicht aufzeigt, sind all die Menschen, deren Lebensdauer durch Arbeit verkürzt wird - das ist doch eben Mord. Denken Sie an all die Ärzte, die sich mit 50 zu Tode schuften. Denken Sie an all die Workaholics!Und auch wenn Sie nicht getötet oder verkrüppelt werden während Ihrer Arbeit, so könnten Sie es doch, während Sie zur Arbeit gehen, von der Arbeit kommen, Arbeit suchen oder versuchen, die Arbeit zu vergessen. Natürlich darf man auch nicht versäumen, all die Opfer von Umweltverschmutzung, arbeitsbedingten Alkoholismus' und Drogenabhängigkeit zu zählen. Hier werden Leute gekillt in wenigstens 6stelliger Zahl, allein um den Überlebenden Big Macs und Cadillacs zu verkaufen!«Der Schuhmacher oder Tischler ehrte sein Handwerk. Und Werftarbeiter konnten noch stolz darauf sein, das prächtige Schiff vom Stapel laufen zu sehen, das sie selbst gebaut hatten. Dieses Gefühl von Nützlichkeit gibt es in 95% aller Jobs nicht mehr. Der »Dienstleistungs«-sektor beschäftigt nur Dienstboten und Computeranhängsel, die keinen Grund haben, stolz zu sein. Selbst ein Arzt fungiert nur noch als Handelsvertreter der pharmazeutischen Konzerne. Wer kann von sich noch behaupten, er mache sich nützlich? Entscheidend ist nicht mehr, wozu etwas nützt, sondern wieviel man damit verdienen kann. Alleiniges Ziel jeder einzelnen Arbeit ist, den Gewinn des Unternehmens zu steigern und ebenso ist auch alleinige Beziehung des Arbeiters zu seiner Arbeit sein Gehalt.
Gerade deshalb, weil Geld das Ziel ist und nicht gesellschaftlicher Nutzen, existiert Arbeitslosigkeit. Vollbeschäftigung bedeutet ökonomische Krise, Arbeitslosigkeit bedeutet gesunder Markt. Was passiert, wenn ein Konzern ankündigt, daß er so und so viele Arbeitsplätze vernichtet? Alle Börsenspekulanten loben ihn für seine Sanierungstrategie, die Aktien steigen, und bald darauf wird die Bilanz die entsprechenden Gewinne aufweisen. Auf diese Weise schaffen die Arbeitslosen mehr Profit als ihre Ex-Kollegen. Logischerweise müßte man also dem Arbeitslosen dafür danken, daß er wie kein anderer das Wachstum fördert. Stattdessen kriegt er nicht einen Furz des Gewinns ab, den er selber schafft. Der Glückliche Arbeitslose ist der Meinung, daß er für seine Nicht-Arbeit entlohnt werden muß.
Hier können wir uns auf Kasimir Malewitsch, den Maler vom »schwarzen Quadrat auf weißem Grund« beziehen. 1921 schrieb er in seinem Buch »Faulheit - eigentliche Wahrheit der Menschen«, das erst vor zwei jahren auf Russisch veröffentlicht wurde:
»Das Geld ist nichts als ein kleines Stück Faulheit. Umso mehr man davon hat, desto ausgiebiger wird man die Glückseligkeit der Faulheit kennenlernen. (...) Im Kapitalismus ist die Arbeit auf eine Weise organisiert, die den Zugang zur Faulheit nicht allen Menschen gleichermaßen ermöglicht: Genießen kann die Faulheit nur, wer durch Kapital abgesichert ist. So hat sich die Klasse der Kapitalisten von dieser Arbeit befreit, von der sich die gesamte Menschheit befreien muß.«Wenn der Arbeitslose unglücklich ist, so liegt das nicht daran, daß er keine Arbeit hat, sondern daß er kein Geld hat. Also sollten wir nicht mehr von »arbeitslos« sondern von »geldlos«, nicht mehr von »Arbeitssuchenden«, sondern von »Geldsuchenden« reden, um die Dinge klarer zu stellen. Wie wir sehen werden, bietet der Glückliche Arbeitslose an, diesen Mangel durch die Suche nach unklaren Ressourcen auszugleichen.
Man rechne einmal nach, wieviel Geld insgesamt von den Steuerzahlern und Betrieben »für Arbeitslosigkeit« offiziell ausgegeben wird, und dividiere durch die Zahl der Arbeitslosen: Na, da sind eindeutig mehr Nullen dran, als wir auf unseren Konten finden, nicht wahr? Ausgegeben wird nicht hauptsächlich für den Wohlstand der Arbeitslosen, sondern für seine schikanöse Kontrolle, durch zwecklose Termine, sogenannte »Um-, Aus-, Fortbildungsprogramme« die nirgendwoher kommen und nirgendwohin führen, Scheinbeschäftigungen für einen Scheinlohn -nur um die Statistiken künstlich herunterzudrücken. Also nur, um ein wirtschaftliches Trugbild aufrecht zu erhalten.
Unser erster konkreter Vorschlag ist sofort umsetzbar: Die Beendigung aller Kontrollmaßnahmen gegen Arbeitslose, Schließung sämtlicher Statistik- und Propagandabüros (das wäre unser Beitrag zum Sparpaket) und automatische, unbefristete Zahlung der Unterstützung inclusive der gesparten Summen.
Die jüngsten konservativen Auswüchse lauten, die Arbeitslosen seien von Vater Staat abhängig, sie lägen ihm auf der Tasche, seien dadurch unfähig, auf eigenen Füßen zu stehen, und so weiter und so fort. Nun, so weit wir wissen, existiert der Staat immer noch, und kassiert auch Steuern ein. Deshalb sehen wir keinen Grund, weshalb wir auf seine Unterstützung verzichten sollten. Aber staatsfixiert sind wir nicht. Unseretwegen mag das Einkommen der Glücklichen Arbeitslosigkeit sehr wohl vom privaten Sektor finanziert werden, sei es durch Sponsoring, Adoption, extra Kapitalertragssteuer oder Erpressung. Wir sind nicht wählerisch.
Wenn der Arbeitslose unglücklich ist, dann liegt das auch daran, daß der einzige gesellschaftliche Wert, den er kennt, die Arbeit ist. Er hat nichts mehr zu tun, er langweilt sich, er hat keine Kontakte mehr, da ja die Arbeit oft auch einzige Kontaktmöglichkeit ist, das gleiche gilt übrigens auch für Rentner. Der Grund dieser existentiellen Misere ist natürlich die Arbeit, und nicht die Arbeitslosigkeit. Der Glückliche Arbeitslose weiht neue gesellschaftliche Werte ein, auch wenn er nichts anderes schafft. Er entwickelt die Kontakte mit einem Haufen sympathischer Menschen. Er ist sogar bereit, Resozialisierungskurse für gekündigte Arbeitnehmer zu geben.
Immerhin verfügen alle Arbeitslose über eine preiswerte Sache: Zeit. Das könnte ein historisches Glück sein, die Möglichkeit, ein vernünftiges, sinn- und freudvolles Leben zu führen. Man kann unser Ziel als eine Zurückeroberung der Zeit kennzeichen. Dabei ist der Glückliche Arbeitslose ein aktiver Mensch. Gerade deshalb hat er keine Zeit zu arbeiten.
Jaques Mesrine, einst der »Staatsfeind Nr.1« Frankreichs, hatte sich entschieden:
»Wenn ich 6 Uhr morgens Lust hatte zu vögeln, wollte ich mir Zeit dafür nehmen, ohne auf die Uhr zu gucken. Ich wollte ohne Uhr leben, denn mit der Zeitmessung kam der erste Zwang in das Leben der Menschen. Die gängigen Sätze des täglichen Lebens klingelten mir im Kopf: »Keine Zeit, um...«, »Zur rechten Zeit kommen«, »Zeit gewinnen«, »Seine Zeit verlieren«. Ich aber wollte »die Zeit haben zu leben« und die einzige Möglichkeit, das zu schaffen, ist, nicht Sklave der Zeit zu sein. Ich wußte, wie irrationell meine Theorie war und daß man mit ihr keine Gesellschaft bilden konnte. Aber was war das schon für eine Gesellschaft mit ihren schönen Prinzipien und Gesetzen!« (Jaques Mesrine in »Der Todestrieb«)Es wurde uns erwidert, der Glückliche Arbeitslose sei nur arbeitslos im Sinne des heutzutage üblichen Gebrauchs des Wortes »Arbeit«, also »Lohnarbeit«. Dazu müssen wir ausdrücklich sagen, daß der Glückliche Arbeitslose zwar keine Lohnarbeit sucht, doch sucht er auch keine Sklavenarbeit. Und es gibt soweit wir wissen nur zwei Arten von Arbeit: Sklaven- und Lohnarbeit. Gewiß gibt's auch Studenten, Künstler und andere Wichtigtuer, die kein Papier schreiben und keinen Napf lecken können, ohne zu behaupten, sie leisteten eine wichtige »Arbeit«. Sogar die sog. »Autonomen« können kein antikapitalistisches »Seminar« organisieren, ohne »produktive Debatten« in »Arbeitsgruppen« zu führen. Armselige Worte für armselige Gedanken.
Nicht nur im heutigen Sinne ist »Arbeit« ein trauriges Wort. Sie ist es immer gewesen:
»Arbeit ist wahrscheinlich eine Bildung zu einem im germanischen Sprachbereich untergegangenen Verb mit der Bedeutung »verwaist sein, ein zu schwerer körperlicher Arbeit verdingtes Kind zu sein«, das von indogermanischen *orbhos, »Waise«, abgeleitet ist. Bis in das Neuhochdeutsch hinein, bedeutet Arbeit: »Mühsal, Plage, unwürdige Tätigkeit«.In dem Sinne ist also »Glückliche Arbeitslosigkeit« sogar ein Pleonasmus. In den romanischen Sprachen ist die Sache noch eindeutiger, da »travail«, »trabajo« usw. von dem lateinischen »tripalium«, ein dreispitziges Folterinstrument, das gegen die Sklaven angewendet wurde, abgeleitet ist.
Den sittlichen Wert der Arbeit als Beruf des Menschen in der Welt hat Luther ausgeprägt. Zitat: »Der Mensch ist zur Arbeit geboren wie der Vogel zum Fliegen.«
Man könnte sagen, die Frage der Wortwahl sei ohne Bedeutung. Aber die Folgen blieben nicht aus, verwechselte man das Wort »Getränk« mit »Coca Cola«, das Wort »Kultur« mit »Lutz Rathenow« oder gar »Tätigkeit« mit »Arbeit«.
Sobald man von Arbeit oder Arbeitslosigkeit redet, hat man es mit moralischen Kategorien zu tun. Diese Tendenz spitzt sich gegenwärtig zu, man braucht nur eine Zeitung zu lesen, um sich darüber klar zu werden.
»Ein Machtwechsel zwischen zwei Weltanschauungen hat stattgefunden«, so ein Sozialexperte in Washington. »Statt Armut als Konsequenz ökonomischer Ursachen zu sehen, dominiert nun jene Denkschule, die Armut als Folge moralischen Fehlverhaltens sieht.«Wie damals auch, als die Priester ihr Seelenmonopol bedroht sahen, ist die Moral nur dazu da, die sich ausweitenden Risse zwischen Weltanschauung und Realität zu flicken. Wer zu einem Arbeitslosen sagt: »Du hast gesündigt«, erwartet, daß dieser die Kategorie »Sünde« anerkennt und entweder »ja« oder »nein« sagt. Weinerliche Versuche, das Mitleid dieser Welt zu erregen, erregen höchstens Mitleid. Nur ein erhabenes Lachen kann Moral ernsthaft außer Kraft setzen.
Es ist offensichtlich, daß Paul Lafargue, der Autor von »Recht auf Faulheit«, ein historisches Vorbild des Glücklichen Arbeitslosen ist.
»Die Nationalökonomen werden nicht müde, den Arbeitern zuzurufen: Arbeitet, damit der Nationalreichtum wachse! Und doch war es einer der ihrigen, Destutt de Tracy, der da sagte : 'Die armen Nationen sind es, wo das Volk sich wohlbefindet, bei den reichen Nationen ist es gewöhnlich arm'... Aber von ihrem eigenen Gekrächz betäubt und idiotisiert, erwidern die Ökonomen: »Arbeitet, arbeitet, Proletarier, vermehrt den Nationalreichtum und damit euer persönliches Elend. Arbeitet, um, immer ärmer geworden, noch mehr Ursache zu haben, zu arbeiten und elend zu sein.«Jedoch fordern wir nicht ein Recht auf Faulheit. Faulheit ist nur die Kehrseite vom Fleiß. Wo Arbeit nicht anerkannt wird, verliert auch Faulheit ihren Sinn. Kein Laster ohne Tugend.
Seit Lafargues Zeit ist klar geworden, daß die dem Arbeiter zugestandene »Freizeit« meistens noch langweiliger ist als die Arbeit selbst. Deshalb kann es nicht nur darum gehen, die Arbeitszeit zu verkürzen und die Freizeit zu verlängern.
In Spanien sollte vor kurzem die Siesta unter dem Vorwand verboten werden, sie würde den europäischen Markt gefährden. Wir solidarisieren uns 100%ig mit jenen spanischen Arbeitern, die daraufhin meinten, die EG sollte lieber die »Euro-Siesta einführen«.
Der Glückliche Arbeitslose, das sollte klar sein, unterstützt nicht die Partisanen der Kurzzeit, die denken, alles wäre zum Besten, wenn jeder seine Arbeit behielte, aber nur 5, 3 oder 2 Stunden täglich arbeiten würde. Was ist das für eine Wurstelei? Gucke ich auf die Uhr, wenn ich für meine Freunde ein Essen zubereite? Gucke ich, wieviel Zeit ich damit verbringe, diesen scheiß Text zu schreiben? Zählt man mit, wenn man liebt?
Das heißt aber nicht, daß die Glückliche Arbeitslosigkeit eine neue Utopie ist. Utopie bedeutet »nicht existierender Ort«. Der Utopist entwirft die genauen Pläne einer angeblich idealen Konstruktion, und erwartet, daß die Welt sich in diese Form gießt. Dagegen ist der Glückliche Arbeitslose eher ein Topist: er bastelt mit Orten und Sachen, die schon vorhanden sind. Er konstruiert kein System, sondern sucht nach allen Möglichkeiten, sein Umfeld zu verbessern.
Ein ehrenwerter Korrespondent schreibt uns :
»Geht es dem Glücklichen Arbeitslosen um eine gesellschaftliche Anerkennung mit daraus resultierender finanzieller Absicherung ohne Vorbedingungen, oder geht es ihm um eine Revolutionierung des Systems mittels ungesetzlicher Aktionen, wie Stromzähler abklemmen? Die Verbindung beider Strategien erscheint zumindest nicht gerade logisch: Ich kann doch schlecht gesellschaftliche Akzeptanz fordern und gleichzeitig Gesetzesbrecher prämieren«.Nun, der Glückliche Arbeitslose ist kein Fanatiker der Illegalität. In seinem Bestreben, Gutes zu tun, ist er sogar bereit, zu legalen Mitteln zu greifen. Außerdem: was heute ein Recht ist, war einst ein Verbrechen, das Streikrecht zum Beispiel. Und es kann immer wieder ein Verbrechen werden.
Vor allem reden wir von gesellschaftlicher Anerkennung. Wir wenden uns nicht an den Staat oder offizielle Stellen, sondern an Otto Normalverbraucher.
Da hören wir schon den Chor der Klassenkampftheoretiker:
»Das alles ist ein bloßes Ventilsystem, mit denen unbeschäftigte proletarische Sedimentierungen in einer illusorischen Nische zur Umwandlung der noch verbliebenen Lebensfunktionen angehalten werden, um die Widersprüche des Kapitalismus zu mildern. Die Glücklichen Arbeitslosen amüsieren sich, und währenddessen kann die Bourgeoisie unbekümmert ihre Gewinne vermehren. Verrat! Verrat!«Jeder konkrete Schritt, ja jeder Atemzug kann als Anpassungsversuch verleumdet werden. Und gerade um die Möglichkeit zu Atmen geht es eben. Die klügste sozialkritische Theorie kann nur wenig helfen, solange ihr praktischer Ausgang nur lautet: 'wait and see'.
Es ist uns bewußt, daß unser Versuch auf verschiedene Weisen scheitern kann. Er kann zum Beispiel als bloßer Witz enden, ein Schabernack ohne Folgen. Die originelle Idee kann aber auch unter Tonnen von betoniertem Ernst ersticken. Es kann auch passieren, daß ein Grüppchen von Arbeitslosen dermaßen erfolgreich wird, daß sie sich zu Glücklichen Geschäftsmenschen verwandeln, ohne jede Beziehung zu ihrem ursprünglichen Umfeld. Das sind Risiken, kein Schicksal. Nun stoßen wir den Ball an. Ob er schließlich im Tor landen wird oder nicht, hängt nicht nur von uns ab.
Es gibt im Moment mehrere Initiativen gegen Sozialabbau, gegen Neo-Liberalismus usw. Die Frage ist aber auch wofür soll man sich erklären? Bestimmt nicht für den Wohlfahrtsstaat und die Vollbeschäftigung von einst, deren Wiedereinführung sowieso noch unwahrscheinlicher ist, als die der Dampflokomotive. Aber das Gegenbild könnte noch schrecklicher werden: Es ist vorstellbar, daß es den Arbeitslosen zugestanden würde, auf dem Brachland und den Mülldeponien der Postmodernität ihr Gemüse anzubauen und soziale Beziehungen selbst zu improvisieren, von High Tech Polizei fernüberwacht und von irgendeiner Mafia roh ausgebeutet, während die wohlhabende Minderheit unbekümmert weiter funktionieren würde. Die Glücklichen Arbeitslosen suchen einen Ausweg aus dieser Alternative des Schreckens. Auf das Prinzip kommt es an.
Ein Stichwort der herrschenden Propaganda heißt: Die Arbeitslosen seien ausgeschlossen, und zahlreiche Gutmenschen plädieren für ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Was das eigentlich heißt, erklärte ein Unesco Humanist im Kopenhagener »Sozialgipfel«:
»Der erste Schritt zur sozialen Eingliederung ist, ausgebeutet zu werden«.Danke für die Einladung!
Vor dreihundert Jahren guckten die Bauern neidisch das Schloß des Fürsten an, mit Recht fühlten sie sich von seinem Reichtum, seiner Edelmuße, seinen Hofkünstlern und Kurtisanen ausgeschlossen. Nun, wer möchte gern wie ein gestreßter Manager leben, wer will sich den Kopf mit seinen sinnlosen Ziffernreihen vollstopfen, seine blondgefärbten Sekretärinnen ficken, seinen gefälschten Bordeaux trinken, und an seinem Herzinfarkt verrecken? Von der herrschenden Abstraktion schließen wir uns freiwillig aus. Eine andere Art Eingliederung wünschen wir uns.
In armen Ländern gibt es Millionen von Menschen, die außerhalb des Kreislaufs der Marktwirtschaft leben müssen. Täglich berichten die Zeitungen über die Plage der sogenannten »dritten Welt«, eine deprimierende Kette von Hungernot, Diktatur, Krieg und Krankheiten. Dabei darf man nicht übersehen, daß gleichzeitig mit diesem (meist importierten) Elend auch eine andere Wirklichkeit stattfindet: ein von vorkapitalistischen Traditionen unterstütztes, intensives soziales Leben. Im Vergleich sieht die westliche Gesellschaft so gut wie tot aus. Dort wird die Arbeit des weißen Mannes verachtet, weil sie kein Ende kennt. Im Gegensatz zum Beispiel zu jenen somalischen Handwerkern, deren Gewinne in einem jährlichen Fest verjuxt werden. Je niedriger das Bruttosozialprodukt, desto größer die Fähigkeit der Menschen zu feiern.
Der Ethnologe Serge Latouche:
»Die Armen sind viel reicher als man denkt und als sie selber glauben. Die unglaubliche Lebensfreude, die viele Beobachter in afrikanischen Vorstädten beeindruckt, täuscht weniger als die deprimierenden objektiven Berechnungen statistischer Apparate, die lediglich den verwestlichten Teil von Reichtum und Armut einschließen.« (in »Der Planet der Schiffbrüchigen«)Für Europäer besteht natürlich die Gefahr, Exotik zu betreiben. Aber die soziale Überlegenheit des armen Südens wird auch von Südländern selbst bestätigt. Der Ägypter Albert Cossery zum Beispiel:
»In diesem Moment spiegelte sein Gesicht sämtliche irdischen Kümmernisse wider. Doch dieser Zustand drängte sich ihm von Zeit zu Zeit nur auf, damit er den Glauben an seine Würde nicht verliere. Denn El Kordi dachte, Würde sei lediglich eine Folgeerscheinung von Unglück und Verzweiflung. Es war die Lektüre westlicher Bücher, die ihm den Geist derart verfälscht hatte.« (in »Bettler und Stolze«)Die Glücklichen Arbeitslosen haben von Afrika und anderen nichtwestlichen Kulturen viel zu lernen und zu verlernen. Natürlich geht es nicht darum, uralte soziale Gebraüche nachzuahmen, aber wir können uns inspirieren lassen. Auch Picasso und die Dadaisten fanden in der afrikanischen Kunst eine erfrischende Quelle von Kreativität.
Es sei hier nur ein Beispiel erwähnt: Vor ein paar Jahren untersuchten Soziologen das Leben der Bevölkerung eines Elendsviertels von Dakar, in Senegal. Sie stellten fest, daß das Einkommen einer durchschnittlichen zwölfköpfigen Familie das Siebenfache ihres »offiziellen« Einkommens ist. Nicht, daß die Leute das Wundermittel, Banknoten zu versiebenfachen, erfunden haben; nur vermehren sie die Wirksamkeit des knappen Geldes durch einen intensiven Umlauf. Es ist unmöglich, in Afrika zu leben, ohne einer Gruppe, einer Sippe, einem Freundeskreis anzugehören. Innerhalb jedes dieser Netze wird das Geld durch ein genau festgesetztes System von Geschenken, Spenden, Anlagen, Darlehen und Rückzahlungen in eine permanente Zirkulation gesetzt. Da die Möglichkeiten, eine größere Summe zu erhalten, in der Familie angehäuft sind, kann sie jederzeit über eine Geldmenge vefügen, die ohne Vergleich mit ihren kargen Ressourcen ist. Zudem ist dieser Geldverkehr nur ein Teil jener »Ökonomie der Gegenseitigkeit«, neben dem Austausch von Reparatur- Pflege- und Installationsleistungen, selbstangefertigten Schuhen und Klamotten, kollektiv gekochten Essen, Metall-Verarbeitung, Tischlerei, Erziehung und Gesundheitswesen, die Fêten nicht zu vergessen, die die Gruppen zusammenhalten. Geld spielt bei alldem keine Rolle. Deshalb ist es unmöglich, irgendeinen »Lebensstandard« nach westlichem Muster zu messen.
Man stelle sich vor, dasselbe System wäre hier wirksam. Sozialhilfeempfänger würden dann 3500 DM pro Monat zu Verfügung haben, was nicht alle Probleme lösen würde, aber immerhin den Kohl fetter machen würde. Und noch dazu würden sie von Sachen profitieren, die Geld nicht kaufen kann. Die Frage: Wieviel Geld brauche ich, um richtig leben zu können, ist unzureichend. Wer über keine sozialen Verbindungen verfügt, wird nie genug Geld haben, um seine existentielle Not zu mildern. Der hiesige Sozialhilfeempfänger kennt zwar eine große Behinderung, da er sich auf keine Sippe und keinen Brauch stützen kann. Alles muß erfunden werden. Aber immerhin hat er einen Vorteil: seine Lebensbedigungen sind nicht so harsch wie in Afrika.
Für die Glücklichen Arbeitslosen öffnet sich da ein weites experimentelles Feld, das wir die Suche nach unklaren Ressourcen nennen.
Wie Sie jetzt vielleicht verstanden haben, ist unsere Muße sehr anspruchsvoll, theoretisch und praktisch, ernst und spielerisch, lokal und international (allein in Europa gibt es schon 20 Millionen virtuelle Glückliche Arbeitslose). Eines Tages werden Sie mit Stolz sagen können: Ich habe den Anfang miterlebt.