Wildcat-Zirkular Nr. 50/51 - Mai/Juni 1999 - S. 10-11 [z50flugv.htm]


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Dieser Text stammt aus einer Serie von »Diskussionsblättern gegen den Krieg«, die im Veneto (Nordosten Italiens) von GenossInnen u.a. vor Fabriken verteilt wurden. Das Flugblatt war in vier Sprachen: Italienisch, Serbo-Kroatisch, Albanisch und Englisch.

Gegen den Krieg und gegen die Nationalismen

Das ist kein Krieg vor den Toren Europas, sondern ein Krieg in Europa.

Die Beteiligung Italiens ist für das Bündnis ganz wesentlich. Das ist kein »amerikanischer« Krieg, sondern die europäischen Regierungen, meist unter sozialdemokratischer Führung, stehen in vorderster Reihe.

Der Krieg beschleunigt den Prozeß der Zwangsumsiedlung von Tausenden von Männern und Frauen und verändert damit unwiderruflich die wirtschaftliche und politische Geographie der Arbeitskraft. Das Europa-Konzept, das dieser Krieg durchsetzen soll, entspricht einer Pyramide, in der sich ganz unten die Flüchtlinge befinden. Sie dienen dazu, auch die Löhne und Arbeitsbedingungen derjenigen zu verschlechtern, denen es heute wegen ihres Passes oder ihrer Hautfarbe wenigstens scheinbar noch besser geht. Aber in der Lotterie der Opfer trifft es nicht immer die anderen: Auch die Jugendlichen im Veneto leben heute von prekären Jobs mit ungarantierten Löhnen. Es wird keine glücklichen Inseln geben, auch wenn die Geier sich schon die Profite ausrechnen, die sie in den von den Bomben plattgemachten Gegenden werden machen können.

Der Krieg hat schon Hunderttausende von Männern und Frauen vertrieben und grausam ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen verändert. Sie sind in Flüchtlinge verwandelt worden, und haben sofort einen Geschmack von den Regeln des Westens bekommen: Wenn sie mit den Schlauchboot-Pauschalreisen von »Mafiatours« in Apulien landen, werden sie aufgenommen, aber wenn sie als unabhängige Reisende nach Triest kommen, werden sie abgewiesen. Im Westen wird man nur in Lagern mit Stacheldrahtverhau aufgenommen und in Fabriken mit Zeitverträgen eingestellt.

Aktive Bürgerrechte und Wahlrecht sind unter den heutigen Umständen genauso unrealistische Forderungen wie ein anständiger Arbeitsvertrag für Metallarbeiter. Dieser Konflikt wird das Fabriksystem und die von ihm geprägten Proletarisierungsprozesse tiefgreifend verändern: mit einer Verschlechterung der materiellen Lebensbedingungen, mit Arbeitsverträgen wie bei Fincantieri in Marghera, mit internationalen Dezentralisierungsmodellen wie dem Benetton-System, mit der mehr oder weniger plötzlichen Verlagerung ganzer Produktionszyklen ins Ausland, so wie es die ArbeiterInnen im Nordosten schon kennen.

Von diesem Krieg sind die ArbeiterInnen gerade als ArbeiterInnen betroffen: ArbeiterInnen verwandeln sich in Flüchtlinge, die Bedingungen, unter denen gearbeitet wird, verwandeln sich in »ausländische«, und jede ArbeiterIn muß härtere individuelle und kollektive Bedingungen akzeptieren, um auch nur an Arbeitsmöglichkeiten heranzukommen.

Wir können den Krieg nicht kritisieren, wenn wir uns neben die Fahnen der žetnik-, Kroaten-, Padanier- oder Kosovaren-Milizen stellen. Wir können den Tausenden von serbischen, bosnischen oder albanischen ArbeiterInnen nur dann Hand reichen, wenn wir begreifen, daß wir zuallererst der nicht immer nur symbolischen Kontrolle und Erpressung der EinwandererInnen durch die nationalistischen Milizen etwas entgegensetzen müssen. Wenn die serbische Armee Sarajevo bombardiert, wenn die NATO die verschiedenen kroatischen, albanischen und bosniakischen Milizen unterstützt, dann steht dahinter dieselbe Logik: die Nationalismen werden gestärkt, um die ArbeiterInnen zu spalten. Das stärkt nur die »Clans«, die sich auf ein patriarchales Regime stützen, von dem die als Waffe eingesetzten Vergewaltigungen nur der sichtbarste Ausdruck sind.

Darum sind wir gegen die Bomben der NATO auf Jugoslawien, gegen Regimes wie das von Miloževiž, gegen jede Form von ethnischer Säuberung, gegen jede Art von Nationalismus. Es ist wichtig, daß wir uns umgehend dranmachen, die »Scham« oder die »opportunistische Spendenbereitschaft« zu überwinden und wieder klarzumachen, wer die Verantwortung für diesen Krieg trägt: nämlich alle, die die Bedingungen für den Krieg geschaffen haben, die ihn beschworen und gewollt haben. Im Rahmen einer Strategie, die sich auf den Lohn und das Bürgerrecht, auf die Würde und auf die Freiheit gründet, müssen wir ganz klar den sofortigen, bedingungslosen Frieden fordern.


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