Leserbrief aus Potsdam
THEKLA 10 (Zerowork) habe ich recht gründlich gelesen und hoffe, das meiste richtig verstanden zu haben. Für mich waren diese Artikel in zweierlei Hinsicht sehr interessant. Einmal ist es eine kurze Geschichte des Kampfes der amerikanischen Arbeiter der 60er und 70er Jahre. Zum zweiten wird diese Geschichte unter dem Blickwinkel des Klassenkampfes analysiert und bewertet.
Wir sind es gewohnt, die Ökonomie als den treibenden Faktor der Gesellschaft zu sehen und das hat zu einer 'ökonomischen' Interpretation der Geschichte und leider auch der Politik geführt. Geht man vom Klassenkampf aus, dann sieht manches anders aus. An vielen Stellen scheint mir das sehr plausibel zu sein, auch wenn ich manchem nicht zustimme.
Ich habe aber einige Probleme:
1.) Was bedeutet der Begriff 'Arbeit', was 'Ablehnung der Arbeit'? Letzten Endes kann die menschliche Gesellschaft nicht ohne Arbeit existieren. Natürlich lehnt man sich gegen aufgezwungene (entfremdete) Arbeit auf. Eine grundsätzliche Ablehnung scheint mir überzogen zu sein, auch wenn man heute von der Notwendigkeit einer neuen Bestimmung der Arbeit spricht.
2.) Sehr interessant fand ich die Problematik der 'Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse'. Damit kann man eine Reihe verschiedener sozialer Widerstandsbewegungen zusammenfassen und den Unternehmern und ihrem staatlichen Apparat gegenüberstellen. Es ergibt ein deutlicheres Bild der gesellschaftlichen Konfrontationen, was hinsichtlich der Entstehung des Neo-Liberalismus wichtig ist. Für mich wird dabei jedoch die treibende Kraft und die Motivation verschwommener. Hat dieser Begriff den Betroffenen geholfen, ihre eigene gesellschaftliche Position besser zu verstehen, aktivierte er sie?
3.) Was m.E. in diesem und späteren Heften völlig fehlt, sind Aussagen zur Zukunft. Die Kämpfe und Auseinandersetzungen werden deutlich und scharf dargestellt. Aber wie soll es weiter gehen? Auf eine spontane Entwicklung setzen? In einer späteren Arbeit (THEKLA 17, S. 55), in der es um die Entwicklung in den 80er Jahren geht, wird dargestellt, dass die Streikbewegung der amerikanischen Arbeiter aufhörte, dass ihre Kampfstrukturen zerstört wurden, dass die Klasse selber verelendet. Wie weiter? Das Problem steht heute vor allen linken Bewegungen, aber wenn man das Ziel nicht anders als utopisch formulieren kann, sollte man wenigstens das tun. Der Kampf muss einen Sinn haben.
Eines habe ich jedenfalls verstanden: Wir müssten sehr viel mehr über die Geschichte der heutigen Arbeiterklasse wissen, um die aktuellen Problem zu verstehen, besonders wir in den 'Neuen Ländern'. Und ich hoffe, dass jemand eine entsprechende Geschichte der Klassenkämpfe der Bundesrepublik schreibt.
G., Potsdam