Indonesien / Ost Timor:
der nächste »Brandherd«
»Irgendwelche Menschenrechtsverletzungen wurden durch die NATO nicht verhindert... Sie haben das türkische Folterregime durch Waffenlieferungen bei den Verbrechen gegen die Bevölkerung in Kurdistan unterstützt. Genauso wie sie das indonesische Regime, das in Ost-Timor Zigtausende von Menschen abschlachtete, mit Waffen beliefert haben. In diesen und anderen Fällen haben sie auf die Menschenrechte geschissen.« [1] - es sei denn, sie passen ihnen grade in den Kram. Denn es scheint, als ob die zur Zeit sehr kritische Lage in Ost Timor schnell zum »humanitären« Vorwand werden kann, um eine für das Weltkapital unhaltbare Situation in Indonesien in den Griff zu kriegen. Eine aus VertreterInnen aller Parteien bestehende Delegation des Bundestags warnte vor dem Brandherd Ost Timor und forderte einmütig ebenso wie die Ost-Timor-Solidaritätsbewegung [2] und die Vertreter der nationalen Befreiungsbewegung in Ost Timor in den letzten Wochen die Entsendung einer (bewaffneten) »internationalen Friedenstruppe«.
Ost Timor: eine lange vergessene Tragödie
Ost Timor war eine Kolonie Portugals und wurde nach der »Nelkenrevolution« von 1974 ziemlich überraschend in die Unabhängigkeit entlassen. Nach kurzer Zeit kam es, unter anderem durch Intrigen Indonesiens vorbereitet, zu einem blutigen Bürgerkrieg zwischen der UDT und der Fretilin, zwei Parteien, die sich beide für die Unabhängigkeit ausgesprochen hatten. 1975 marschierte die indonesische Armee ein und 1976 wurde Ost Timor formell annektiert; ein Schritt, der von der UN nie anerkannt wurde. Ost Timor steht seitdem auf der Liste der »Territorien ohne eigene Regierung«, Portugal wird als diplomatischer Repräsentant Ost Timors angesehen.
200 000 Menschen sind an den Folgen der Invasion Indonesiens umgekommen: umgebracht, verhungert, an harmlosen Krankheiten verreckt - und das bei einer damaligen Bevölkerungszahl von etwa 800 000. Ost Timor war schon immer ein armes Land, Portugal hatte kein großes Engagement bei seiner »Entwicklung« gezeigt. So gab es 1975 zum Beispiel in Ost Timor grade mal 20 km asphaltierte Straße [3]. Die Landwirtschaft war weitgehend Subsistenzwirtschaft, was während der ersten Phase des Kampfes gegen die indonesische Armee schnell zur Hungerfalle für die Bevölkerung wurde. Mit dem Zerstören von Wäldern, Raub von Vieh und massenhafter Vertreibung wurde innerhalb kurzer Zeit eine erste Welle von Proletarisierung gewaltsam durchgesetzt. Trotz vieler staatlicher Maßnahmen etwa auf der Ebene der Infrastruktur ist Ost Timor immer noch wenig industrialisiert. Immer wieder kam es zu Übergriffen durch die indonesische Armee bis hin zu regelrechten Massakern, so wurden z.B. 1991 mehr als 200 Menschen während einer Trauerfeier auf dem Friedhof von Dili erschossen.
Die Bevölkerung in Ost Timor ist mehrheitlich katholisch; allerdings erst seit der Zugehörigkeit zu Indonesien. Das liegt daran, daß Indonesien die Zugehörigkeit zu einer von fünf anerkannten Religionen verlangt. Viele Menschen sind aus anderen Teilen Indonesiens zugewandert, zum kleinen Teil im Rahmen von offiziellen Transmigrasi-Programmen, zum größten Teil in der Folge davon oder spontan. Sie profitierten dabei zum Teil von zuungunsten der Alteingesessenen veränderten Eigentumsrechten auf dem Land und vom aufgeblähten Öffentlichen Dienst. Niemand weiß genau, wie viele das insgesamt sind, Schätzungen gehen bis zu 200 000 [4], also mehr als 20% der Bevölkerung. Während die Migranten aus Sulawesi und Java Moslems sind und auch aus einer anderen Kulturgeschichte schöpfen, unterscheiden sich die Leute aus Westtimor kaum von den Osttimoresen, viele von ihnen sprechen sogar die einheimische Hauptsprache Tetun. Allerdings können sie kein Portugiesisch und sprechen im Durchschnitt besser Bahasa Indonesia. Zwischen Alteingesessenen und Zuwanderern gab es immer wieder blutige Auseinandersetzungen, so flohen z.B. im September 1995 1 000 Leute aus Ost Timor, nachdem Märkte und einige Moscheen niedergebrannt worden waren.
Die Invasion der indonesischen Armee in Ost Timor erfolgte einen Tag nach einem Treffen Soehartos mit dem damaligen US-Präsident Ford [5]. Und zwanzig Jahre lang gab es zwar UN-Resolutionen zuhauf (bei denen sich die USA regelmäßig der Stimme enthielten), aber in Wirklichkeit kümmerte sich außer Portugal kein Schwein(estaat) um Ost-Timor. Erst in der zweiten Hälfte der 90er Jahre änderte sich das langsam, die Verleihung des Friedensnobelpreises an den Vertreter des Papstes in Ost Timor und an Jose Ramos Horta (Mitbegründer der Fretilin und deren Vertreter bei den UN) im Jahre 1996 war kein Zufall. Die Hauptgründe: Indonesien war in dieser Zeit endgültig zu einem der aufstrebenden Tigerstaaten Asiens geworden und gleichzeitig war das Ende der Ära Soeharto abzusehen. Die Besetzung Ost Timors war so lange okay, als alles im Griff einer starken Militärdiktatur schien; sie wurde neu entdeckt, als offensichtlich wurde, daß eine Änderung der politischen Verhältnisse im drittgrößten Land der Erde unausweichlich war.
Der »Brandherd«
... heißt natürlich nicht Ost Timor, sondern Indonesien. Indonesien ist nicht Jugoslawien, aber es gibt soviele Parallelen, daß schon von daher eine ähnliche Entwicklung möglich scheint. Dies bestätigt sich in der aktuellen Situation, die sich sowohl in Ost Timor, als auch in ganz Indonesien zuspitzt. Indonesien ist ein Vielvölkerstaat, es gibt keine ethnische Mehrheit. Indonesien ist inzwischen ein mehrheitlich proletarisches, industrialisiertes Land; von der »Asienkrise« am schlimmsten getroffen. [6] Während sich in Süd Korea erste Aufwärtstrends bemerkbar machen, Thailand sich immerhin auf einer »schwarzen Null« hält, gibt es in Indonesien noch keine Anzeichen für Besserung. Die Gründe sind einfach: Zwar sind die Ausbeutungspotentiale in Indonesien riesig (die Arbeiterlöhne dürften derzeit die niedrigsten der Welt sein), das Investitionsrisiko ist es allerdings auch: zusehr verweigert sich die indonesische Gesellschaft und vor allem die Arbeiterklasse den Bedingungen, die das Weltkapital fordert. Oder mit anderen Worten: die ArbeiterInnen sind zwar billig, aber nicht willig genug. Es gibt trotz oder besser wegen enorm hoher Arbeitslosigkeit und Armut (über die Hälfte der Bevölkerung fällt unter die Weltbankdefinition von Armut) täglich Streiks, Demonstrationen, Landbesetzungen und andere Kämpfe. Und es gibt in fast allen Landesteilen die anderen Seite der Verelendung: Akte proletarischer Selbstzerfleischung entlang von Ethnien, Religionen, zwischen Alteingesessenen und Zugewanderten, und manchmal für Außenstehende völlig unverständlicher Mord- und Totschlag zwischen Einwohnern benachbarter Dörfer. Die soziale und politische Situation Indonesiens ist explosiv und kleine Explosionen gibt es jeden Tag.
Warum die Regierung Habibie praktisch von sich aus im August letzten Jahres mit dem Vorschlag eines Autonomiestatuts für Ost Timor vorgeprescht ist, läßt sich nur erahnen. Es gab im Rahmen der Studentenbewegung Anfang letzten Jahres auch einen Aufschwung einer entsprechenden Bewegung in Ost Timor mit einem Höhepunkt im Juni und Juli, was unter anderem zur Flucht von zigtausenden Zuwanderern aus Ost Timor führte. Wahrscheinlich spielte bei Habibies Entscheidung aber die Hauptrolle, daß er innenpolitisch schwach und erfolglos operierte und einen außenpolitischen Befreiungsschlag versuchte. Denkbar ist auch, daß er sich einfach einen Unruheherd, noch dazu einen wirtschaftlich uninteressanten, vom Hals schaffen wollte. Es gibt auch im Aceh (Nordsumatra) und in Irian Jaya (Westpapua) Befreiungsbewegungen und wieder aufflammende blutige Auseinandersetzungen mit dem Militär. Aber beide Regionen sind reich an Öl (Aceh) oder anderen Bodenschätzen und haben ein großes Steueraufkommen.
Das Angebot von Autonomie im Rahmen des indonesischen Staates allerdings läßt die Bewegung in Ost Timor nicht abschwellen. Ab Januar 99 wird mit der UN und Portugal verhandelt während sich gleichzeitig Pro-indonesische Milizen - z.T. ausgerüstet und wohlwollend geduldet durch das Militär oder Militärkreise - daran machen, Angst und Schrecken zu verbreiten. Sie überfallen Dörfer, greifen Plätze an, wohin die Leute geflüchtet sind, darunter auch Kirchen. Sie paradieren bewaffnet durch Dili, unbehelligt durch Polizei oder Militär. Sie markieren Häuser von Aktivisten der Unabhängigkeitsbewegung und verbreiten Flugblätter mit Todesdrohungen. Insgesamt sind in diesem Jahr mehr als hundert Menschen von diesen Milizen ermordet worden.
Am 5. Mai wurden gleichzeitig ein Abkommen mit Portugal und den UN über ein Autonomiestatut und ein Abkommen über die Vorbereitung und Durchführung einer »Befragung« der Ost Timoresen durch die UN (praktisch ein Referendum; Termin 7. oder 8. August) über die von ihnen gewünschte Zukunft (Autonomie in Indonesien oder Unabhängigkeit) geschlossen. Während Teile der Bevölkerung in Ost Timor terrorisiert werden, mutieren die Führer der »Befreiungs«organisationen angesichts ihrer enormen Aufwertung durch die Verhandlungen zu Staatsmännern. So verbietet der Chef der Falintil (bewaffneter Arm der Fretilin) und Vorsitzende des CNRT (Conselho National de Resistancia Timorese), Xanana Gusmao, vom Knast in Jakarta aus den Studenten in Dili, eine Demonstration gegen den Terror der Milizen zu organisieren: »Wir müssen alles zu diesem Prozess [Vorbereitung der Befragung im August] beitragen, der Orientierung des UN-Teams folgend. Zu diesem Zweck wiederhole ich meinen Appell, ruhig zu bleiben. Ich wiederhole meinen Appell an die Jugend von Dili, Befehle zu befolgen und verlange, daß sie verantwortlich und mit Disziplin handelt.« [7] Statt auf die Aktionen der »Jugend von Dili« setzen er und die anderen Chefs auf die Zukunft als Staat und fordern die Entsendung einer bewaffneten Friedenstruppe nach Ost Timor. Dabei scheuen sie auch nicht davor zurück, unverhüllt den Einmarsch der NATO zu fordern. Jose Ramos Horta in einem Interview mit der Iowa Gazette: »Die NATO-Intervention [in Jugoslawien] ist die erste seit 50 Jahren, für die aus rein humanitären Gründen argumentiert werden kann«, und die Gazette weiter: »Ramos-Horta sagt weiter, er wünschte, daß die USA oder andere NATO-Mitglieder seinem Vaterland von etwa 800 000 Menschen die gleiche Art von Hilfe geben würden wie dem Kosovo.« [8] Und der Premierminister von Portugal, Antonio Guiterres, antwortet: Portugals Teilnahme an den NATO-Aktionen in Bosnien und Jugoslawien gäben dem Land die »moralische Autorität«, die Intervention der UN in Ost Timor zu fordern. [9]
Die UN will einige hundert unbewaffnete Polizisten schicken, die die indonesischen Sicherheitskräfte bei der Vorbereitung des Referendums und der Aufrechterhaltung der Sicherheit beraten und unterstützen sollen. Dies ist natürlich eine - wahrscheinlich bewußt - riskante Angelegenheit. Jeder der interessiert ist, kann Anschläge auf unbewaffnete Gruppen durchführen und Interessierte gibt's genug. Von den pro-indonesischen Milizen, die das Referendum verhindern wollen, bis hin zu Kreisen im Militär, denen eine bewaffnete Auseinandersetzung Indonesiens mit »Aggressoren von außen« gerade recht käme, um beispielsweise einen Militärputsch durchzuziehen und im Land Kriegsrecht durchzusetzen.
Weitgehend ungeklärt ist die Rolle, bzw. das Schicksal der Migranten in Ost Timor. Während im Abkommen über das Autonomiestatut jedeR zum Ost Timoresen erklärt wird, der/die vor 75 dort gelebt hat oder bei Inkrafttreten seit 5 Jahren dort lebt, ist es im Abkommen über das Referendum nur noch der/diejenige, der/die dort geboren ist oder Eltern oder Großeltern oder einen Ehepartner hat, der dort geboren ist. Das ist also schon eine weitgehend ethnische Definition, die die Exiltimoresen ein-, aber viele MigrantInnen ausschließt. So legt man ethnische Säuberungen an. Weiterhin müßten diese Verträge für ihre völkerrechtliche Gültigkeit noch im indonesischen Parlament beschlossen werden - was praktisch nur im Nachhinein geschehen kann, weil das neue Parlament erst im August zusammentreten wird (gesetzt den Fall, daß die Wahlen einigermaßen erfolgreich über die Bühne gehen, was bei der Niederschrift dieses Artikels, eine Woche vor den Wahlen, noch lange nicht sicher ist). So gut wie alle Parteien, einschließlich Megawatis PDI Perjuangan, sind aber im Moment noch gegen eine Unabhängigkeit Ost Timors. Und schließlich gibt es den möglicherweise größten Anlaß für Krieg in einem Abkommen zwischen Australien und Indonesien über die Ausbeutung eines neuentdeckten riesigen Ölfeldes zwischen Ost Timor und Australien, das unter Portugals Protest geschlossen wurde. Australien hat jedenfalls vorsorglich eine neue schnelle Eingreiftruppe aufgebaut, die in Darwin stationiert werden soll.
Nieder mit den humanitären Kriegstreibern!
Früher waren Kriege gerecht, heute sind sie humanitär - das heißt, jeder beliebige Anlaß kann zur Rechtfertgung hingebogen werden. Die Situation in Indonesien liefert Rechtfertigungen en masse. Aber hinzu kommt, daß es diesmal gar kein Zögern bei den radikalen Staatshumanisten mehr gibt. Von der Indonesien/Osttimorsolidaritätsbewegung über die zu Staatsmännern geläuterten Rebellenführer vor Ort bis zur PDS - diesmal fordern sie alle den Krieg. Niemand kann sich heute mehr rausreden - wer jetzt »bewaffnete Friedenstruppen« von den USA, der Deutschen Bundesregierung oder von wem auch immer fordert, der fordert die Vorbereitung und Durchführung eines Krieges gegen Indonesien, der zusammen mit den reaktionären Kräften in Indonesien gegen die Arbeiterklasse geführt werden wird. Ob das Weltkapital und seine bewaffnete Truppe dieser Forderung nachgibt - das ist heute gewiß noch Spekulation. Aber wenn sich die Balkankrise mit Bomben lösen läßt, warum nicht auch die Asienkrise?
Karl Eugen, 31. Mai 1999
Hinweis: tägliche Berichterstattung über den Klassenkampf in SO-Asien und China, in Indonesien und die Situation in Ost-Timor in unserem Nachrichtendienst Asien Aktuell: http://www.rhein-neckar.de/~wildcat/aaktuell.html
Fußnoten:
[1] Flugi der FAU Köln, nach: kumm erus, Nr. 10.
[2] »Allein der Rückzug der indonesischen Streitkräfte aus Ost-Timor kann den paramilitärischen Banden den Boden entziehen... Eine solche Friedenstruppe sollte vorzugsweise eine multinational zusammengesetzte Polizeieinheit sein, deren Aufagbe es sein muß, umgehend die Entwaffnung aller am Konflikt beteiligten Kräfte vorzunehmen.« Watch Indonesia, Berlin, An die Deutsche Bundesregierung und die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, 19.4.99.
[3] Craig Johnson, East Timor: Environmental Degradation linked to Human Rights Violations, the Ability of NGOs to affect Policy and a causal Explanation for the Lack of Action, 1996.
[4] Dr. George J. Aditjondro, Migrants, Freedom Fighters, and Military Instigators: A Case Study on Migrants and Resitance in East Timor, 1996.
[5] Johnson, a.a.o.
[6] Zu den Gründen dafür siehe Finanzkrise in Asien: Das Kapital schlägt zurück, oder: Hoffen und Beten, in Wildcat-Zirkular Nr. 44.
[7] CNRT Statement May 10, 1999.
[8] The Gazette, Cedar Rapids, Iowa, 9.4.99.
[9] LUSA, portugiesische Nachrichtenagentur, 9.4.99.