START in die schöne, neue Arbeitswelt
Wie Gewerkschaften und Sozialdemokratie der Leiharbeit zum Durchbruch verhelfen wollen
»Sozialverträgliche« Leiharbeitsfirmen sind keine Warteschleifen mehr, wo schwer vermittelbare arbeitslos gewordene Stahlarbeiter die fehlenden Jahre bis zur Rente rumbringen und alte Industrieanlagen abtragen. Gerade die sozialdemokratisch-gewerkschaftliche Vermittlung dient dazu, sie in Bereichen einzusetzen, wo hohe Produktivität und Zuverlässigkeit gefordert sind: der Automobil-Endmontage - allerdings ohne die bislang dort üblichen Löhne.
Fast 800 Leiharbeiter standen im Sommer 1998 an den Bändern der Kölner Autofabrik von Ford, wurden flexibel hin- und hergeschickt und an den Bandabschnitten mit den belastendsten Arbeiten eingesetzt. Als Ford Ende 1998 in Absatzschwierigkeiten geriet und die Arbeiter für mehrere Wochen in Kurzarbeit geschickt wurden, konnte der Konzern die flexible Personalreserve der Leiharbeiter problemlos wieder wegschicken - ohne Abfindung, ohne innerbetriebliche Unruhe, ohne störende Aufgeregtheiten seitens der Gewerkschaft oder des Betriebsrats, ohne spontane Arbeitsniederlegungen für die Festeinstellung von befristet eingestellten Arbeitern, wie es sie Ende 98 und im März 99 bei Opel in Bochum oder im April/Mai 99 bei VW in Emden gegeben hatte.
Diese Personalflexibilisierung, von der andere Automobil-Unternehmer nur träumen können, war durch eine Leiharbeit der ganz besonderen Art möglich geworden: »Sozialverträgliche« Arbeitnehmerüberlassung!
Hinweise auf dieses »neue« Modell der Verleihfirma START fehlen in keiner sozialdemokratischen Veröffentlichung, die propagiert, endlich die Gegebenheiten auf den neuen Arbeitsmärkten zu akzeptieren und die darin liegenden Chancen zu nutzen.
Laut dem früheren Kanzleramtsminister Hombach ist diese Firma ein Zukunftsmodell für die neuen Arbeitsverhältnisse, mit denen den Unternehmen aus den Reihen der Arbeitslosen eine höchst flexible und mobile, weder durch vertragliche Bindungen an das Unternehmen noch durch Sozialleistungen abgesicherte Arbeitskraft zugeführt wird.
START wurde nach holländischen Muster gegründet, wo es solche Modelle seit 1978 gibt, und nach einer Pilotphase 1991-1994 unter holländischer Führung, in NRW 1995 als deutsches Unternehmen weitergeführt. Gründungsgesellschafter waren u. a. das Land NRW, der Landes-DGB, sowie Arbeitgeber- und Handwerksverbände. Das Aufgabengebiet wird folgendermaßen definiert: START Zeitarbeit NRW betreibt sozialverträgliche Arbeitnehmerüberlassung mit dem Ziel, Arbeitslose in reguläre Arbeitsverhältnisse im ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Das Angebot richtet sich insbesondere an schwervermittelbare und Langzeitarbeitslose. 1995 und 1996 gab es eine Anschubfinanzierung von Bund und Land von insgesamt 17 Mio. DM.
Schon 1997 gab es einen völligen Umbruch. Während man außen hin die schöne Fassade der sozialen Institution aufrecht erhielt, wurde die Firma völlig umgekrempelt und neu ausgerichtet. Die neue Devise »Orientierung am wirtschaftlichen Ergebnis« betraf auch die ArbeitsvermittlerInnen in den 30 START-Büros selbst: statt Grundgehalt nebst einer Reihe von Zulagen erhalten sie nun eine »leistungsorientierte Entlohnung« nach einem Prämiensystem, das sich an Umsatzrendite und (als Feigenblatt) an der Vermittlungsquote orientiert. Dies wurde zwischen ÖTV und START in einem Entgelttarifvertrag für die Stamm-Mitarbeiter ausgehandelt.
Auch für die LeiharbeiterInnen haben sich im neuen, ebenfalls wieder mit der ÖTV ausgehandelten, Tarifvertrag die Bedingungen verschlechtert: es gibt jetzt sechsmonatige Einstiegslöhne, die Überstundenzuschläge wurden abgeschafft durch die Einführung von Freischichtkonten, die Bezahlung in der verleihfreien Zeit wurde auf eine niedrigere Grundvergütung gesenkt. Der Anteil der sogenannten schwer Vermittelbaren, (Langzeitarbeitslose, Frauen und Behinderte) an der Ausleihbelegschaft wurde stark reduziert. Für deren Förderung hatte START bis dahin von verschiedenen Stellen Zuschüsse in Anspruch genommen. Qualifizierungsmaßnahmen, die anfangs ein wichtiger Bestandteil der definierten Ziele waren, werden nur noch selten angeboten, bzw. man läßt die verleihfreie Zeit durch die Abschiebung in Qualifizierungsmaßnahmen des Arbeitsamtes fremdfinanzieren.
Gleichzeitig nutzt die Firma in vollem Ausmaß die neuesten Änderungen im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG). Seit dem 1.4.1997 hat sich die ununterbrochene Überlassungsdauer an einen Entleihbetrieb von neun auf zwölf Monate erhöht. Leiharbeitsfirmen dürfen nicht nur befristet einstellen, sondern sogar zulässig, sondern das neue AÜG läßt nun auch wiederholte Befristungen zu. Das »Synchronisationsverbot« ist aufgehoben, d.h. das Arbeitsverhältnis mit der Leiharbeitsfirma kann an die Dauer des ersten Einsatzes im Entleihbetrieb gekoppelt werden. Gekündigte Arbeiter können jetzt ohne Beachtung der dreimonatigen Einstellsperre wieder neu eingestellt werden.
Laut ÖTV-Tarifvertrag für die LeiharbeiterInnen richtet sich die Entlohnung nach dem im Entleihbetrieb gültigen Tarif. Dies soll verhindern, daß Entleihbetriebe Druck auf die eigene Belegschaft ausüben können. De facto fand aber genau das bei Ford statt, indem der blanke IGM-Tariflohn ohne weitere Zulagen bezahlt wurde und START alle LeiharbeiterInnen (ausschließlich Facharbeiter) unabhängig von Qualifikation und Tätigkeit als »Helfer« einstufte.
Insgesamt führten diese Maßnahmen schon im selben Jahr zu einem deutlichen finanziellen Überschuß bei START. Die Firma unterschied sich hinter ihrem Deckmäntelchen nur noch durch ihre besonderen Beziehungen zu öffentlichen Stellen und zum Arbeitsamt von jeder beliebigen Leiharbeitsfirma. Die »sozialverträgliche« Leiharbeit verwandelte sich ganz schnell in eine gewöhnliche Maßnahme des Arbeitszwangs mit den üblichen Drohungen und Erpressungen und in Leihfirmen üblichen schmutzigen Tricks, fristlosen Kündigungen und Arbeitsgerichtsverfahren.
Zentrales Moment des Einsatzes bei Ford Köln, dem bei weitem größten Einzelkunden von START, war die Reduzierung der Arbeitskosten für die Firma, die Erpressung der eigenen Belegschaft, die Einführung prekärer Verhältnisse in eine Automobilfabrik sowie eine kurzfristige Flexibilisierung von Arbeitskraft, wie sie bis dahin nicht denkbar war.
Einmal mehr wird mit schamloser Verlogenheit versucht, eine Intensivierung von Ausbeutung und Arbeitszwang als ihr Gegenteil, nämlich als soziale Maßnahme darzustellen. Aber vielleicht entspringt der Begriff »sozialverträglich« auch einfach nur dem Wunsch der Ausbeuter, daß die Gesellschaft alle Niederträchtigkeiten, die sie erfinden, ertragen möge.
Hier nun eine Zusammenfassung konkreter Erfahrungen bei:
START Zeitarbeit NRW GmbH, Niederlassung Köln.
START unterhält direkt neben dem Arbeitsamt in Köln ein Büro. Dorthin werden vom Arbeitsamt vorwiegend jugendliche Arbeitslose mit abgeschlossener Berufsausbildung geschickt. Viele von ihnen haben noch keinen oder nur einen minimalen Anspruch auf Arbeitslosengeld/-hilfe. Oft kommen sie aus überbetrieblichen öffentlich geförderten Ausbildungen. Der Facharbeiterstatus gleichgültig welcher Art ist Voraussetzung für einen Einsatz bei START.
Man meldet sich bei START an, und innerhalb der nächsten drei Monate meldet sich die Firma mit der Aufforderung, zum Vertragsabschluß ins Büro zu kommen. Wenn bis dahin nichts passiert, kann man sich als abgelehnt betrachten. In Köln schickt START ausschließlich Arbeiter bei Ford.
Der Arbeitsvertrag
Im Vertrag werden alle, unabhängig von ihrer Qualifikation, als »Montagehelfer« eingestellt. Die Arbeitsverträge sind in der Regel auf ein Jahr befristet. Jeder wird darauf hingewiesen, daß dieser Einsatz die große Chance für ihn ist, denn Ford würde die Leute, die eine gute Leistung zeigen, mit Festvertrag übernehmen. Im mit der ÖTV abgeschlossenen Firmen-Tarifvertrag sind sechs Monate Probezeit festgelegt, Überstunden werden generell nicht bezahlt, sondern mit Freizeit abgegolten. Wie das in der Praxis abläuft weiter unten. Die Bezahlung richtet sich angeblich nach den im Betrieb des Entleihers gültigen Vorschriften. Frühestens nach sechs Monaten Betriebszugehörigkeit beträgt der Urlaub 26 - 28 Tage, Urlaubsgeld gibt es einheitlich 600 DM.
Der Lohn richtet sich laut Vertrag nach dem in der Entleih-Firma gültigen Tarifvertrag. Im Arbeitsvertrag wird ein Lohn von 16.57 DM als Eingangslohn festgesetzt, der sich nach dem 7. Monat auf 18.05 DM steigert. Für die Dauer der Beschäftigung bei Ford (aber nicht in der sogenannten »verleihfreien« Zeit) wird eine zusätzliche »Anwesenheitsprämie« bezahlt, mit der der Stundenlohn dann jeweils ca. 20.75 DM erreicht. Ford-Arbeiter erhalten für vergleichbare Tätigkeiten zwischen 6 und 10 DM mehr.
Der Einsatz bei Ford
START unterhält in der Y-Halle bei Ford ein Büro. Dort muß man sich jeden Morgen vor Arbeitsbeginn melden, solange man noch keinen Dauereinsatz in einem bestimmten Bereich hat. Vier Personaldisponenten/innen, einer davon Mitglied des ÖTV-Betriebsrats und »Ansprechpartner« der Belegschaft, teilen hier die Leute je nach Anforderung der Ford-Abteilungen zur Arbeit ein. Geäußerte Wünsche werden hier insofern berücksichtigt, als sie dazu führen, daß man genau dahin geschickt wird, wohin man nicht möchte. O-Ton Personaldisponent: »Seit wann bestimmen Sie, wo Sie arbeiten?« Qualifikation, frühere Tätigkeit u. ä. interessieren nicht. Es wird den START-Arbeitern nachdrücklich vermittelt, daß sie nur Material sind. Wenn in einer Abteilung morgens jemand fehlt, wird ein Arbeiter von START angefordert. START ist verpflichtet eine gewisse Zahl von Reserve-Leuten bereit zu halten. Wenn ein START-Leiharbeiter aus irgendeinem Grund (Termine, Urlaub, Krankheit o. Ä.) nicht zur Arbeit kommt, verliert er normalerweise seinen »festen« Platz sofort und wird durch einen anderen ersetzt. Wenn er wieder kommt, wird er anderswo eingesetzt oder ist wieder »Springer«, d.h. er muß beim START-Büro auf einen Abruf warten. Kann er einen Tag mal bei Ford nicht produktiv untergebracht werden, wird er nach Hause geschickt. In der Regel legt der Personaldisponent dann den Leuten ein Antragsformular für eine Freischicht zur Unterschrift vor. Meistens unterschreiben die Arbeiter, um finanzielle Einbußen zu vermeiden: jede »verleihfreie« Stunde würde ca. 4 DM oder 20 Prozent Lohnverlust ergeben. So kommt START darum herum, nicht produktive Zeiten bezahlen zu müssen. Als bei Ford die Produktion heruntergefahren wurde, sammelte sich so auf manchen Freischichtkonten ein Minus von über 100 Stunden, die später als unbezahlte Überstunden erbracht werden mußten. Umgekehrt gibt es größte Schwierigkeiten, wenn jemand eine Freischicht nehmen will, aber nicht genügend vorgeleistete Stunden auf dem Freischichtkonto hat.
Ford hatte früher einen gewissen Anteil seiner Belegschaft mit Zeitverträgen beschäftigt und nach Ford-Tarifen bezahlt. Diese Arbeitsplätze nehmen nun START-Leiharbeiter ein. Es gibt keine Probleme mehr mit Urlaubs- und Krankheitstagen, innerbetrieblichen Rechten bei Umsetzungen in andere Abteilungen o. ä.. Wenn ein START-Arbeiter aus irgendeinem Grund fehlt, steht innerhalb von einer Stunde der nächste da.
Im Sommer 1998, als während der Betriebsferien 80 Prozent der Ford-Arbeiter in Urlaub waren, steigerte START seine Belegschaft bei Ford auf über 700 Arbeiter. Über Anzeigen wurden noch mehr Leute gesucht. Ab den Weihnachtsferien desselben Jahres, als Ford wegen saisonalen und allgemeinen Umsatzeinbrüchen ganze Wochenschichten ausfallen ließ und für das folgende Jahr Kurzarbeitswochen ansetzte, wurden bei START alle, die noch in der Probezeit waren, gekündigt, und die anderen gezwungen, ihren Urlaub oder Freischichten zu nehmen. Auf diese Weise fuhr START seine Belegschaft innerhalb von zwei Monaten auf unter 200 Personen herunter, deren Zahl kontinuierlich abnahm, da die Einjahresverträge nach und nach ausliefen. Einem Teil der Leute wurden Arbeitsplätze im Hauptersatzteillager angeboten, allerdings unter Abänderung der Vertragsbedingungen: der Stundenlohn sollte dort nur noch etwa 18,50 DM betragen, also kaum mehr, als START für die verleihfreie Zeit bezahlen muß. Selbst in dieser Situation redeten die START-Fuzzis noch von der »Chance der Übernahme« und von der Möglichkeit, den Gabelstaplerführerschein zu machen. Ca. 50 Leute wurden im Ersatzteillager untergebracht. Um die 130 START-Arbeiter werden derzeit (März 99) nicht produktiv beschäftigt; sie müssen sich telefonisch jeden Morgen nach 8 Uhr melden und sich arbeitsbereit zeigen. Wenn Ford ein neues Modell des Fiesta herausgebracht hat, können sie über START in kürzester Zeit die Belegschaft wieder auf jede benötigte Kopfzahl herauffahren.
Die START-Arbeiter
sind vorwiegend junge Leute zwischen 20 und 30 Jahren. Für viele ist es nach der Ausbildung, nach Förderungsmaßnahmen und manchmal einer kurzen Beschäftigung, Bundeswehr oder Zivildienst der erste Job, den ihnen das Arbeitsamt vermittelt. Viele sind in Deutschland geborene Kinder von Einwanderern aus der Türkei mit deutschem oder türkischem Paß. Man hat ihnen erzählt, sie sollten unbedingt eine Ausbildung machen, sonst wären sie chancenlos. Nun haben sie eine gemacht, oft in überbetrieblichen Fördermaßnahmen, und sind genauso »chancenlos« wie vorher. Sie träumen davon, sich eine eigene Wohnung, ein Auto und einen normalen Lebensunterhalt leisten zu können, mit der Freundin zusammenzuziehen, finanziell unabhängig zu sein usw..
Man erzählt ihnen schon beim Arbeitsamt und bei START immer wieder, das wäre ihre Chance, Ford würde - wie schon in der Vergangenheit - einen großen Teil der START-Leute, die einen guten Eindruck machen, übernehmen. Tatsächlich fanden Übernahmen nur in ganz wenigen Fällen mit Hilfe von persönlichen Beziehungen statt. Zu einer bestimmten Zeit wurden Gerüchte gestreut, es würden 50 Leute übernommen. Bei Nachforschungen handelte es sich um Übernahmen bei START (!) ins unbefristete Arbeitsverhältnis nach Ablauf eines Jahres. Nach dem Gesetz darf aber der Einsatz beim selben Entleihbetrieb maximal zwölf Monate dauern und ein Leiharbeiter erst nach dreimonatiger Unterbrechung wieder beschäftigt werden. Deshalb übernahm START einige Arbeiter, die Ford-Vorgesetzte unbedingt wiederhaben wollten. In den drei Monaten bis zum erneuten Einsatz wird der Betreffende von START mit dem Grundlohn bezahlt. Es gab auch schon Einsätze am Flughafen. Häufig wurden die Betreffenden in diesem Zeitraum in einer »Fortbildungs- oder Umschulungsmaßnahme« des Arbeitsamts untergebracht, während der sie Unterhaltsgeld erhalten.
Die Hoffnung auf Übernahme bei Ford war unter den START-Arbeitern weit verbreitet. Entsprechend groß war auch die Bereitschaft, alles auszuhalten, was ihnen zugemutet wird, und ständig sehr hohe Leistungen zu bringen. Der Ford-Vorgesetzte beurteilt wöchentlich die Leiharbeiter. Diese Beurteilungen waren i. a. sehr gut, wie der START-Niederlassungsleiter verkündete. In den Betriebsferien, als viele Ford-Stammarbeiter und START-Arbeiter ersetzt wurden, stieg nach seiner Aussage die Produktion pro Mann um 40 Prozent.
Umorganisation der Bandarbeit mit Hilfe von START
Ford nutzte die zweite Jahreshälfte 1998, als besonders viele START-Arbeiter im Einsatz waren, zu einer Reorganisierung der Bandarbeit. Dabei wurden vielen Arbeitsplätzen zusätzliche Arbeitsaufgaben zugeschlagen, die nicht zum eigentlichen Arbeitsgang gehörten. Die Ford-Arbeiter reagierten mit einem stark erhöhten Krankenstand von bis zu über 20 Prozent, offiziell hieß es »Grippewelle«. Die Arbeiter am Band und auch ihre Vorarbeiter führten dies zurück auf die Unzufriedenheit mit diesen Maßnahmen, der dauernden Bespitzelung durch Zeitnehmer und den Zorn auf neue Regelungen im Freischicht- und Lohnbereich (72 obligatorische Freischichtstunden für 1998 und Verzicht auf tarifliche Lohnerhöhung). In dieser Situation sprangen neu eingestellte START-Arbeiter ein und garantierten die unverminderte Produktion. Für sie selbst blieb ihr Einsatz ergebnislos: Als der Umsatz einbrach, beantragte Ford Kurzarbeit und kündigte den Vertrag mit START bis auf weiteres. Fast alle START-Arbeiter flogen raus. Bei der Arbeitssuche stellte sich ihr Einsatz als Montagehelfer für viele als zusätzliches Manko heraus. Sie hatten nicht als Facharbeiter und nicht in ihrem Beruf gearbeitet. Dadurch sind sie für die Vermittlung von Hilfsarbeiterjobs verfügbar (wie es SGB III inzwischen generell ermöglich) und haben wegen fehlender Berufserfahrung auch weniger Chancen, einen Arbeitsplatz in ihrem Beruf zu finden.
Arbeitsdruck
Am schlimmsten für die START-Arbeiter war aber nicht der hohe Arbeitsdruck, sondern die Drohung, bei der geringsten Abwesenheit sofort das soziale Umfeld, die endlich entwickelte Kommunikation mit den Kollegen von Ford zu verlieren. Die Beziehungen zwischen Ford- und START-Arbeitern waren insgesamt gut, vor allem am Band - Bandarbeit ist eben einfach ein galeerenartiges Erlebnis, das zusammenschweißt, und hat einen besonderen, egalisierenden Charakter. Trotzdem bist du an einem neuen Platz erstmal eine Null, ein Niemand, den keiner kennt. Deshalb war die Drohung mit Versetzung besonders wirksam bei der Disziplinierung der START-Arbeiter (neben der Hoffnung auf Übernahme). Arbeitern, die länger krank waren, wurde mit Entlassung gedroht. Es kam auch immer wieder vor, daß START Kündigungen während laufender Krankschreibung aussprach und die Unerfahrenheit der jungen Arbeiter auszunutzen versuchte. Diejenigen, die sich in der sechsmonatigen Probezeit befanden, wurden ohne Begründung entlassen. Es entstand der Eindruck, daß das bei denen besonders schnell ging, die auf arbeitsbedingte Krankheiten verwiesen, wie Bandscheibenvorfall, Sehnen- und Gelenkentzündungen, Rückenschmerzen, Ischias. In den Gesprächen unter den Arbeitern hieß es immer wieder: »Ich kann nicht schon wieder krank machen, sonst werde ich entlassen.« Es gab natürlich auch Versetzungen auf besonders miese Arbeitsplätze. Die Personaldisponenten hatten einen sehr genauen Überblick darüber, welche Arbeitsplätze am unbeliebtesten waren. (Das verfing aber nicht immer, denn wie gesagt war für viele START-Arbeiter die Arbeits-, Schmutz- und Lärmbelastung nicht ausschlaggebend für den Wunsch nach einem bestimmten Arbeitsplatz, sondern die dortige soziale Integration und Kommunikation.)
Da wegen des Umsatzeinbruchs bei Ford vorerst alle START-Arbeiter rausgeflogen sind, steht die Erfahrung noch aus, ob ein gemeinsames Handeln von Ford-Arbeitern und START-Arbeitern gegen Ford möglich ist.
Die Grenzen der Erträglichkeit sind in dieser »sozialverträglichen« Leiharbeitsfirma für alle Kollegen überschritten worden, aber mit Lügen und Versprechungen bei ständiger Fluktuation gelingt es der Firma immer noch, neue Leute zu verarschen, die ihnen vom Arbeitsamt zugespielt werden. Für viele geht es auch ganz banal darum, ein Jahr zu arbeiten, um überhaupt mal Ansprüche auf Arbeitslosengeld zu bekommen.
D., Köln, März 99
Wie Arbeitsamt und Gewerkschaften den Niedriglohnsektor »Leiharbeit« hoffähig machen
Die Firma START, die »sozialverträgliche Arbeitnehmerüberlassung« betreibt, greift nicht nur massiv in die konkreten Ausbeutungs- und Kampfbedingungen der gesamten Klasse ein, wie wir es am Beispiel Ford gesehen haben. Sie wirkt auch daran mit, daß Leiharbeit insgesamt ihr »Schmuddelimage« verliert.
Die Arbeitsämter stehen seit einigen Jahren ebenfalls an dieser Front:
- sie veranstalten regelmäßig sogenannte »Zeitarbeitsbörsen«, auf denen Sklavenhändler in den Räumen des Arbeitsamtes für ihre Drecksjobs werben und rekrutieren dürfen;
- in den Computern ihres Stelleninformationsservice sind im ungelernten Bereich (sog. Helferstellen) mindestens zur Hälfte Angebote von Leihfirmen, die frisches Blut für ihre Karteien suchen;
- sie gehen inzwischen verstärkt dazu über, selber an Sklavenhändler zu vermitteln. Das war noch bis Mitte der 90er Jahre umstritten, was sich auch in den Urteilen verschiedener Arbeitsgerichte niederschlug.
Oft kommt es bei solchen Vermittlungen inzwischen zu einer direkten Zusammenarbeit zwischen Arbeitsamt und Leiharbeitsfirma: Die Firma bietet dem »Bewerber« eine Stelle an; falls der sich nicht willig zeigt, informiert der Sklavenhändler sofort das Arbeitsamt, das dann dem Arbeitslosen wiederum eine Sperrzeit reindrückt. (siehe auch das Flugi zu McDonalds).
Auch die Gewerkschaften verlieren langsam aber sicher ihre offiziell gepflegten Vorbehalte gegen Zeitarbeit. Wurde noch in den 80er Jahren die DAG dafür verteufelt, daß sie tarifverträge mit solchen »Seelenverkäufern« abschloß, gilt auch beim DGB Leiharbeit inzwischen als »geeignetes Mittel der Beschäftigungspolitik«.
Was das konkret bedeutet, demonstriert der am 21. Juni 1999 abgeschlossene Tarifvertrag zwischen einigen Gewerkschaften und der Firma Adecco, einem der größten Sklavenhändler in der BRD. Der Vertrag regelt (auf Gewerkschaftsseite unter Federführung der IG Metall) die Beschäftigung von ca 7 000 ArbeiterInnen auf der Expo 2000 in Hannover.
Noch in der Juni-Ausgabe ihrer Mitgliederzeitschrift metall hatte die IGM gegen das »Billiglohndiktat« der Expo-Gesellschaft gewettert, die für den Tarifvertrag Löhne zwischen 13.00 und 19.50 DM vorgeschlagen hatte. Ein paar Wochen später verkündeten die Gewerkschaften anläßlich des Vertragabschlusses feierlich ihre Öffnung »gegenüber einer Branche, der sie bisher eher reserviert gegenüber standen« (Presseerklärung des IGM Bezirks Hannover, 21.6.99). »Die Vereinbarung zeige, daß es auch in einem relativ schwierigen Bereich möglich sei, mit dem Instrument Tarifvertrag soziale Mindeststandards zu erreichen ... wie die bevorzugte Berücksichtigung von Langzeitarbeitslosen, den Vorrang für sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse ... die vereinbarte Interessenvertretung ... der Qualifizierungsanspruch«, der »gerade im Bereich von einfachen Tätigkeiten eine Besonderheit« sei. Der Adecco-Geschäftsführer sekundiert in derselben Pressemitteilung: »Für die Akzeptanz und größere Verbreitung der Zeitarbeit in Deutschland wird dieser Vertrag einen wichtigen Beitrag leisten. ... Wenn es gelänge, bei aller Regelung genügend Raum für die zeitarbeitstyptische Flexibilität und Mobilität zu bewahren, könne dies richtungsweisend für die Zukunft werden. Die Zeitarbeit repräsentiere bereits heute jene Form von Arbeit, die wir in Zukunft als Normalarbeitsverhältnisse erleben werden«.
Die Gewerkschaft klopft sich für die »erkämpften« tariflichen Mindestnormen - mit denen Adecco gut leben kann - mächtig auf die Schulter:
- der Tarifvertrag ermöglicht sozialversicherungspflichtige Teil- und Vollzeitarbeitsverhältnisse sowie 630 DM-Jobs (auch ausschließlich für Wochenendarbeit);
- die Arbeitsverträge sind grundsätzlich befristet (auf maximal sechs Monate);
- Urlaub und Tage zur Abgeltung von Überstunden sollen im letzten Monat genommen werden; in dieser Zeit »können keine Lohnfortzahlungs- oder sonstige Entgeltfortzahlungsansprüche entstehen«;
- in der Probezeit (drei Monate) können die Arbeiter mit einer Frist von zwei Wochen rausgeschmissen werden;
- die Wochenarbeitszeit beträgt 35 Stunden, die ersten fünf Überstunden sind zuschlagsfrei, es gibt Arbeitszeitkonten ohne Begrenzung nach oben, die Überstunden werden durch freie Tage abgegolten;
- alle sieben Wochentage gelten als Regelarbeitstage; die Arbeitszeit wird auf maximal fünf Tage pro Woche verteilt, für Überstunden und Nachtarbeit gibt es Zuschläge zwischen 25 und 35 Prozent;
- die Schichtpläne werden spätestens bei Schichtende für den übernächsten Tag im voraus bekanntgegeben
- die Stundenlöhne liegen in den ersten drei Monaten für die allermeisten Beschäftigen (Küchenhilfen, Tischabräumer, Kaffeekocher, Kassierer) zwischen 13.50 bis 16.00 DM, nach drei Monaten eine Mark mehr.
- alle Beschäftigten sollen am Schluß ein »Expo-Testat« bekommen - damit ist dem Qualifizierungsanspruch der Gewerkschaften Genüge getan.
Abgerundet wird das Ganze dadurch, daß die Gewerkschaften einige Vertreter auf das Expo-Gelände schicken dürfen, da in der kurzen Vertragszeit laut Betriebsverfassungsgesetz kein Betriebsrat gewählt werden kann. Die Gewerkschaftsvertreter werden sicherlich nach beiden Seiten dafür sorgen, daß der Vertrag eingehalten wird.