Wildcat-Zirkular Nr. 52/53 - Juli 1999 - S. 33-43 [z52zapat.htm]


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Solidarität zu welchem Preis?

Über die Kritiklosigkeit in der

Solidaritätsbewegung mit den ZapatistInnen

 

Einleitung

Das folgende ist die Übersetzung eines Papiers des Mexiko Solidaritätskomitees aus Amsterdam vom Mai 1998. Der Text hat vor ein paar Tagen neue Aktualität bekommen: der Termin für das 3. Internationale Treffen für Menschlichkeit und gegen Neoliberalismus in Belem Do Para in Brasilien ist auf den 6. - 9.12.99 gelegt worden. Ein Blick zurück kann also sinnvoll sein.

1999 ist der Aufstand in Chiapas ins sechste Jahr gegangen, die Situation der Aufständischen hat sich kontinuierlich verschlechtert, während die Solibewegung in Europa, vor allem in der BRD, kaum noch wahrnehmbar ist. Der Genosse aus Amsterdam listet hierfür einige Gründe auf: Hauptadressat der Kritik ist die Solibewegung, aber auch die EZLN kommt nicht ungeschoren davon. Die meisten der angeführten Punkte sind nicht neu (Bezug zur Nation, Umgang mit politischen Parteien oder Regierungsvertreternž), aber die Schilderung bestätigt einige Kritikpunkte, die sonst meist abgetan oder ignoriert werden. Auch im Wildcat-Zirkular findet sich diese Diskussion. Wer diese Auseinandersetzung nochmal nachvollziehen möchte, z.B. als Vorbereitung auf das nächste Internationale Treffen, kann das anhand der Wildcat-Zirkulare 22 und 45 tun.

Das Papier aus Amsterdam kritisiert die Beschränkung der Soliarbeit auf »Verstöße gegen die Menschenrechte« (Unterschriftensammlungen bis hin zu Appellen an die UNO). Der Krieg gegen Jugoslawien hat noch einmal deutlich gemacht, wie extrem wichtig diese Diskussion ist. Die Menschenrechte sind/waren die Rechtfertigungslüge des Krieges. Und trotz aller Offensichtlichkeit der Lügen und der wirklichen Interessenslagen waren/sind auch viele Linke für die Intervention - auch in Chiapas, wie der Text aus Amsterdam berichtet. Natürlich meinen die meisten die »friedliche« UNO oder die OECD, und nicht die brutale NATO. Dabei wissen spätestens heute alle, daß UNO, OECD u.ä. nur Wegbereiter des »Menschenrechtsimperialismus« sind, daß wir nach den politischen Gründen fragen müssen, wenn es statt UNO eben die Bomben der NATO braucht.

Die Kritik aus Amsterdam an dem »Menschenrechtsbezug« und der damit zusammenhängenden »Institutionenillusion« (UNO, NGO's ...), die letztlich immer wieder beim Staat landet, ist also aktuell und wichtig. Spätestens der Krieg in Jugoslawien hat gezeigt, daß ein Bezug auf die Zivilgesellschaft nicht möglich ist. Einige dieser Punkte werden im Text allerdings nur benannt und beklagt - es gibt keine Hinweise, wie da rauszukommen wäre. Zwei Ziele formuliert jede klassische Soliarbeit: man wolle keine »klassische Soliarbeit« machen und man wolle »hier« (auch) kämpfen. Traditionellerweise hatte dazu auch die EZLN 1996 in der Einladung zum ersten Internationalen Treffen für Menschlichkeit und gegen Neoliberalismus aufgefordert. Wer aber diese Aufforderung ernst nimmt, kann nicht weiterhin den Aufstand in Chiapas (und seine eventuelle Bedeutung für Mexiko und über dessen Grenzen hinaus!) in der Indigenität einsperren.

In der Vorbereitung für das nächste Internationale Treffen in Brasilien müssen wir zwei Dinge anpacken:

1. Bruch mit der Vision einer Zivilgesellschaft und mit den Institutionen und Vertretern dieser Zivilgesellschaft, wirkliche Alternativen von unten müssen diskutiert werden. Das kann nur gelingen, wenn wir »Politik« nicht als Aktion von Staaten, Eliten und Institutionen denken.

2. Bezug auf die Menschen hier. Der Krieg gegen Jugoslawien war (und ist) ein »sozialer Krieg« gegen die ArbeiterInnen und Bäuerinnen in dieser Region. Und die Regierungen in Europa reden recht offen darüber, den Schwung des Kriegs zu einer Umstrukturierung der Ausbeutung zu nutzen - Workfareprogramme und eine Neuorganisierung des europäischen Arbeitsmarktes. Wenn wir uns das nicht klar machen, werden wir auch nix mitzureden oder mitzumachen haben, wenn sich Widerstand gegen diese neuen Zumutungen regt.

Die Kritik aus Amsterdam könnte dazu ein Einstieg sein.


Amsterdam, Mai 1998:

Vor ungefähr einem Jahr löste sich das Amsterdamer Solidaritätskomitee Mexiko auf. Zunehmende Kritik an der Haltung der Leitung der Zapatistischen Armee für Nationale Befreiung und besonders die beinahe völlige Kritiklosigkeit und fortschreitende Institutionalisierung innerhalb der internationalen Solidaritätsbewegung mit den ZapatistInnen hat zu diesem Entschluß geführt. Einige von uns hatten keine Lust, mit Scheuklappen weiterzumachen, so wie es viel zu oft in der Vergangenheit passiert ist. Wir hatten von allen, die international dabei beteiligt waren, eine kritischere Einstellung erwartet. Aber anscheinend wurde nicht oder wenig aus den Fehlern gelernt, unter denen Solidaritätsbewegungen in der Vergangenheit (und heutzutage) viel zu oft gelitten haben (und leiden). Diese Nachbereitung ist zugleich ein Aufruf, die Scheuklappen abzuwerfen und darüber nachzudenken, womit mensch beschäftigt ist.

Das folgende hat ein Mitglied des Mexiko-Solidaritäts-Komitees / Amsterdam (in Auflösung) geschrieben. Es ist ein unvollständige Versuch, unsere Aktivitäten und Standpunkte während der viereinhalb Jahre, in denen wir aktiv waren, einzuschätzen. Der Text gibt nicht unbedingt die Gedanken all jener wieder, die in der Vergangenheit in unserem Komitee aktiv waren, sondern ist eine Darstellung meiner Gedanken. Diese überschneiden sich teilweise mit denen der anderen beiden übrigen Mitglieder, weichen aber auch in einigen Bereichen davon ab.

Wie alles begann

Von 1994 bis 1998 haben wir interessierte Menschen in den Niederlanden mittels verschiedener Medien (e-mail, website, Zeitschrift, Infoabende, Radiosendungen usw.) über die Lage in Mexiko informiert. Unser Komitee wurde kurz nach Beginn des Aufstandes der Zapatistischen Armee für die Nationale Befreiung (EZLN) im mexikanischen Bundesstaat Chiapas gegründet. Angefangen haben wir als offene Plattform, als Bündnis verschiedener Gruppen, aber schon nach drei Monaten (im April 1994) bildete sich eine Gruppe unabhängiger und anti-autoritärer Individuen. Während der vergangenen viereinhalb Jahre hat diese kleine Gruppe Solidarität nicht als bloße Form humanitären Handelns oder als blinde Solidarität Marke MitläuferIn verstanden, bei der es für eine persönliche Ansicht keinen Platz gibt. Wir versuchten, unsere eigenen Ansichten über die Entwicklungen in Mexiko, über die Erklärungen der Führung der Zapatistas (EZLN) und über die Funktionsweise des europäischen Solidaritätsnetzwerks auszudrücken. Anfangs, 1994, wurde ich angezogen von der anti-autoritären Einstellung, die die Kommuniqués der EZLN ausstrahlten. Ebenso begrüßte ich ihre Weigerung, die Macht zu ergreifen und ihre Weigerung, Teil der materialistischen Welt zu werden, in der alles und jedeR auf ihren oder seinen ökonomischen Wert reduziert wird und auf ihre oder seine Fähigkeit, Profit zu machen. Für mich spiegelten sich viele meiner eigenen Ideen und Ansichten wider, in der Art und Weise, wie sie die gegenwärtige globale Gesellschaft sahen, was sie über das »Politik-machen« dachten und wie sie zu basisdemokratischen Entscheidungen kamen. Einige von uns waren jedoch skeptischer als andere angesichts des zapatistischen Credos »mandar obeciendo» [»gehorchend befehlen«] und solcher Widersprüche wie ihre Verehrung für die mexikanische Flagge und Nation und die Appelle an die Regierungen der Welt, die in vielen ihrer Kommuniqués enthalten sind. Aber zumindest glaubte ich an ihr Potential, eine radikale Veränderung zustande zu bringen.

Der Kampf um und gegen die Macht in Europa

Ab 1995 begannen wir, uns am europäischen Solidaritätsnetzwerk für die Zapatistas zu beteiligen, das gerade gegründet worden war, und wir nahmen an verschiedenen europaweiten Treffen teil. Ab Herbst 1995 begannen Zweifel über die Zusammensetzung und den Kurs dieses europäischen Netzwerks unter uns und auch mir zu wachsen. Auf den europäischen Treffen hörten wir Geschichten über Gruppen, die die Solidaritätsarbeit in ihren jeweiligen Städten/Regionen/Ländern zu monopolisieren versuchten. Zum Beispiel setzte in der Schweiz eine Gruppe von ExilmexikanerInnen eine andere Gruppe aus der autonomen Szene derselben Stadt unter Druck, die ebenfalls Solidaritätsarbeit leistete. Es war schon seltsam, die Leute aus der autonomen Gruppe berichteten uns von den Drohungen und anderen autoritären Handlungen, aber diese Vorgänge wollten sie dann doch nicht auf die Tagesordnung der Treffen im europäischen Netzwerk setzen.

Im September 1995 sahen wir auch den fehlgeschlagenen Versuch eines Putschs eines Netzwerks italienischer Gruppen. Sie organisierten ein Europatreffen in Brescia (Italien) drei Monate vor dem Datum, das vorher festgelegt worden war, um ein europäisches Zentralsekretariat zu schaffen, das die Solidaritätskampagnen und die ein- und ausgehenden Informationen »koordinieren« sollte. Die meisten der übrigen europäischen Gruppen nahmen an dem Treffen in Brescia nicht teil, weil sie entweder nicht konnten oder nicht wollten. Die anwesenden nicht-italienischen Gruppen (± 5 gegenüber ca. 30 italienischen Gruppen) bekamen nicht viel mit, da fast alle Diskussionen auf Italienisch geführt wurden, während doch auf solchen Treffen die Verkehrssprache gewöhnlich Spanisch ist. Drei Monate zuvor war der gleiche Vorschlag von fast allen Gruppen, die auf dem europäischen Treffen in Barcelona im Juni 1995 gewesen waren, abgelehnt worden. Nach einer Welle wütender Reaktionen aus ganz Europa starb das Zentralsekretariat einen stillen Tod. Aber seltsamerweise wurde dieser »Putschversuch« danach auf dem Europa-Treffen in Paris im Januar 1996 nicht offen kritisiert. Alle internen Differenzen mußten zugunsten des höheren Ziels (der Solidaritätsarbeit für die Zapatistas) begraben werden.

Mensch könnte sich fragen, wozu das gut sein soll, einen anti-autoritären Kampf zu unterstützen, wenn du Teil eines Netzwerks bist, wo ein Haufen völlig autoritärer und zentralistischer Gruppen immer wieder versucht, seine Ideen und Pläne allen anderen aufzudrücken.

Einige Monate später, im März 1996, passierte noch einmal fast das gleiche bei der Vorbereitung des Europäischen Kontinentalen Treffens für Menschlichkeit und gegen Neoliberalismus. Obwohl Gruppen in Deutschland, vor allem in Berlin, dieses Treffen bereits vorbereiteten (wie auf dem Treffen in Paris vereinbart worden war), versuchte plötzlich - das oben bereits erwähnte - italienische Netzwerk einen weiteren »Putsch« mit der Ankündigung, das Treffen würde in Mailand stattfinden. Sie behaupteten, das Treffen sei (in Italien) bereits überall angekündigt worden und es gäbe nun kein Zurück mehr. Das Europäische Netzwerk ließ sich nicht einschüchtern, und alle Gruppen außerhalb Italiens (und einige der nicht-stalinistischen Gruppen aus Italien) erklärten einmütig, daß in Italien kein Treffen stattfinden werde. Die stalinistischen ItalienerInnen gaben nach, und bemerkenswerterweise war kaum einE italienischeR StalinistIn auf dem Treffen zu sehen, das in Berlin stattfand (vom 31. Mai bis zum 2. Juni 1996).

Wachsende Bedenken

Im Juli / August 1996 organisierte das EZLN das Internationale Treffen für Menschlichkeit und gegen Neoliberalismus im Kernland der Zapatistas, dem lacandonischen Dschungel. Die Art und Weise, wie dieses Treffen durchgeführt wurde, erregte unter den TeilnehmerInnen vielerlei Kritik. Aber wie immer fast nur verbal und nur innerhalb der verschiedenen Solidaritätsgruppen. Kritik scheint etwas zu sein, das nicht offen zum Ausdruck gebracht werden soll. In den danach erschienenen Publikationen und Zeitschriften der Solidaritätsgruppen und der TeilnehmerInnen fanden wir nur sehr wenige kritische Analysen des Treffens.

Die bürokratische Organisation, die autoritären ModeratorInnen der Arbeitsgruppen auf dem Treffen, der Mangel an Diskussion in den Arbeitsgruppen, weil laut vorgegebenem Programm endlose und sich wiederholende Texte vorgelesen wurden, die Zusammenfassungen der Arbeitsgruppen, die nur den absoluten Mainstream und Oberflächlichkeiten rüberbrachten (und bestehende und geäußerte abweichende Ansichten innerhalb der Arbeitsgruppen vertuschten), sowie die spektakulären Inszenierungen, denen die Anwesenden durch die zapatistische Organisation unterzogen wurden (stundenlang in der glühenden Sonne sitzen und auf die Ankunft des neuen Messias, Subcommandante Marcos, warten), das alles hatte vor, während und kurz nach dem Treffen für viel Kritik gesorgt. Es war ein Schock zu sehen, wie die Leute von Sinnen waren, sobald Marcos irgendwo auftauchte. Ganze Gruppen begannen mit ihren Kameras loszurennen, um das EINE Foto zu schießen, dessentwegen sie vielleicht hergekommen waren. Viele TeilnehmerInnen hatten auch angesichts des Verhaltens von EZLN-VertreterInnen in den Arbeitsgruppen Zweifel bekommen. Bei den meisten Arbeitsgruppen schienen sie nicht wirklich dazusein. An den Diskussionen beteiligten sie sich kaum oder überhaupt nicht, sie saßen einfach nur da und einige schliefen ein (das ging auch anderen so, denn es war dermaßen langweilig, zwei Tage rumzusitzen und jedermann/fraus vorher aufgeschriebene Reden anzuhören), ihre Beiträge lasen sie vor (hatte jemand sie ihnen geschrieben?). Oft schienen sie nicht zu verstehen, worum sich die Diskussionen drehten. Waren sie nur als Dekoration geschickt worden? Haben sich die anderen TeilnehmerInnen (nicht vom EZLN) an den Arbeitsgruppen mal überlegt, daß sie sich verständlicher hätten ausdrücken sollen, ohne jede Menge intellektueller Glanzleistungen und Satzkonstruktionen, damit Leute mit wenig oder keiner Schulbildung auch folgen und an der Diskussion teilnehmen konnten? Fragen über Fragen. Ein Haufen Kritik, aber es gab praktisch keineN, die oder der sie veröffentlicht hätte.

Unsere Schwierigkeiten

Wir haben so gut wir konnten versucht, unsere eigenen Ansichten und die anderer GenossInnen aus ganz Europa über die Entwicklungen in Mexiko und im Solidaritäts-Netzwerk zu äußern. Unsere unregelmäßig erscheinende Zeitschrift ZAPATA, Mexico Nieuwsbrief entwickelte sich von einer einfachen Nachrichtenquelle über Basiskämpfe in Mexiko, besonders über jene der Zapatistas, zu einer Zeitschrift, die viele Entwicklungen infrage stellte und bestimmte Ansichten und Manöver der EZLN und Entwicklungen innerhalb des Europäischen Solidaritätsnetzes offen kritisierte.

Wir sahen uns mit vielen Problemen und peinlichen Situationen konfrontiert. Natürlich machten wir auch Fehler. Wir verbreiteten Informationen, die wir aus Mexiko oder anderswo mitbekommen hatten. Ab und zu schienen die Informationen, die wir in den Artikeln verarbeitet hatten, nicht zu stimmen. Dies zum Teil deswegen, weil wir sie nicht selber nachprüften, teilweise, weil wir unsere politischen Vorstellungen hintenan stellten und teilweise deswegen, weil wir von besagten Gruppen oder Einzelpersonen falsch informiert wurden.

In unserem ersten Jahr arbeiteten wir mit einem Mexikaner zusammen, der uns mit »Carlos« in Kontakt brachte, der sich uns gegenüber als Vertreter einer Organisation namens Movimiento Democrático Independiente (MDI) [Unabhängige Demokratische Bewegung] vorstellte. Nach fast einem Jahr stellte sich heraus, daß es in Mexiko gar keine MDI gab. Der Name war nur die europäische Fassade für die PROCUP-PDLP, eine zweifelhafte, dogmatische marxistisch-leninistische Stadtguerilla-Organisation in Mexiko, die von vielen dort als eine Marionette des mexikanischen Geheimdienstes betrachtet wird. Obwohl einige von uns einzelnen Information von »Carlos« nicht getraut hatten, haben wir über diese Zweifel niemals wirklich mit ihm geredet. Als wir erkannten, was los war, brachen wir alle Kontakte zu ihm und zu dem oben erwähnten Mexikaner ab. Der Mangel an zuverlässigen Informationen aus anderen Quellen und unsere Naivität oder unkritische Einstellung hatten dazu geführt, daß wir fast ein Jahr mit jemand zusammengearbeitet haben, dessen politische Vorstellungen den unseren völlig widersprachen.

Kritik beiseite schieben?

Unsere Teilnahme an der von der EZLN durchgeführten »Internationalen Zapatistischen Volksbefragung« im August/September 1995 ist ein anderes Beispiel dafür, wie einige von uns ihre Kritik hintan stellten. Ein Teil der Gruppe war der Ansicht, die Fragen seien vollkommen absurd, vage oder unbedeutend. Dennoch verschickten wir die Formulare der Volksbefragung an in Holland lebende MexikanerInnen und eine übersetzte Fassung an die AbonnentInnen unserer Zeitung und an unsere FreundInnen. Eine völlig wahnsinnige Situation, da die Mehrheit unseres Komitees die Volksbefragung für völligen Unsinn hielt und sich selbst nicht daran beteiligte. Warum wird etwas mitorganisiert, dessen Sinn du gar nicht einsiehst? Wir verhielten uns wie viele »Militante«: Für die »gute Sache« schoben wir unsere Gefühle, Zweifel und unsere Kritik beiseite. Hinterher wußten einige von uns, daß wir einen großen Fehler gemacht hatten. Dies ist einer der Fehler, aus denen wir gelernt haben, aber ihr könnt sicher sein, wir haben noch mehr Fehler gemacht.

Recht bald kritisierten wir den Umgang der EZLN mit der mexikanischen Linken (einschließlich der Mitte-Links-Partei der demokratischen Revolution - PRD, der trotzkistischen Revolutionären Arbeiter-Partei - PRT und anderen). An einem Tag lehnten sie sie ab, um sie am darauffolgenden Tag zu umarmen (wie beim Werben um die PRD-Führer Cuauthémoc Cárdenas und Manuel López Obrador). Das gleiche gilt für die Gründung des zivilen Zweigs der EZLN, der Zapatistischen Front der Nationalen Befreiung (FZLN). Einige kritische Anmerkungen zu diesem dritten zapatistischen Versuch zur Errichtung eines Netzwerks der sympathisierenden BürgerInnen in Mexiko hatten wir bereits im April 1996, vier Monate nach ihrer Gründung, veröffentlicht. Der Besuch eines unserer Mitglieder in der Zentrale der FZLN in Mexiko-City bestätigte die in dem Artikel geäußerte Vermutung, daß die FZLN ein Sammelbecken sei für Leute aus der alten Linken, die die Sympathiewelle für die EZLN nutzen wollten, um in der politischen Arena verlorenen Boden wieder gutzumachen. Auf den Schlüsselpositionen der FZLN saßen viele frühere Militante der trotzkistischen PRT. Ob es unter bestimmten Umständen zu Bündnissen mit politischen Parteien kommen wird (etwa mit der schon erwähnten PRD), oder ob eine Machtbeteiligung als politisches Ziel abgelehnt wird, ist bis heute (Mai '99) von der FZLN nicht entschieden worden.

Unsere Unzufriedenheit wuchs immer weiter. Javier Elorriaga und seine Lebensgefährtin Gloria Benavides (zwei frühere politische Gefangene, die im Februar 1995 als vermutliche Zapatistische FührerInnen festgenommen worden waren) kamen als VertreterInnen der FZLN und als offiziell ernannte VertreterInnen der EZLN im November 1996 nach Paris. Sie waren von der Crème de la Crème der betuchten französischen Mitte-Links-Parteien, von Gewerkschaften und Kultureliten eingeladen worden. Sie besuchten den früheren Chefberater von Mitterand, Régis Debray, plauderten mit Mitterands Witwe Danielle und besuchten den »sozialistischen« Bürgermeister von Montreuil. Derselbe Bürgermeister hatte einige Wochen zuvor mehrere Häuser, die von den Sans-Papiers (illegale MigrantInnen ohne die erforderlichen Aufenthaltspapiere) besetzt worden waren, mit der üblichen Polizeigewalt räumen lassen. Als diese Sans-Papiers ein Treffen dieser FZLN/EZLN-VertreterInnen mit dem radikal-linken Establishment stürmten, hatten die beiden VertreterInnen kein Interesse daran, mit denjenigen ohne Gesicht und Stimme zu sprechen. Dieses tragische Spektakel führte zur Spaltung des Solidaritätskomitees in Paris. Außerhalb von Paris wurde die Auseinandersetzung nicht ernst genommen. Fast niemand äußerte sich zu dem schlechten Verhalten der EZLN/FZLN-VertreterInnen. Auch die EZLN reagierte in keinster Weise auf die Ereignisse in Paris. Das sollte zum strukturellen Merkmal ihrer Politik werden.

Die EZLN akzeptierte und akzeptiert bedenkenlos jegliche Unterstützung (solange die nicht von der mexikanischen Regierung kommt). Im Frühjahr 1996 empfingen sie mit großem Medienspektakel Danielle Mitterand in ihrer Hochburg La Realidad (im lakandonischen Dschungel). Auf dem Internationalen Treffen für Menschlichkeit und gegen den Neoliberalismus im Juli/August 1996 war Alain Touraine einer der Ehrengäste. Touraine, ein französischer Soziologe, hatte die wilden Streiks heftig abgelehnt, die im Dezember 1995 Paris und Frankreich lahmgelegt hatten. Auf den starken Protest einiger TeilnehmerInnen aus Deutschland und Frankreich gegen seine Teilnahme hatte Marcos geantwortet, der Sinn des Treffens bestehe darin, mit allen über den Neoliberalismus und über Möglichkeiten des Kampfs gegen ihn zu diskutieren, »sogar mit unseren Feinden, da wir auch mit unseren Feinden reden« (die mexikanische Regierung). Die FranzösInnen gaben klein bei, da sie sich nicht darauf einigen konnten, Marcos auf dem Treffen öffentlich zu kritisieren. Einige der TeilnehmerInnen aus Frankreich gingen in ihrer Argumentation sogar so weit zu sagen, daß »dies das Bild Frankreichs und der französischen UnterstützerInnengruppen beschädigen würde«! Aber auch die Gruppen aus Deutschland nahmen ihre Kritik an dem Verhalten der EZLN zurück, da die französischen TeilnehmerInnen nicht bei ihrer anfänglichen Kritik geblieben waren. Sobald es sich um ausländische alte Linke oder sympathisierende Pseudolinke handelt, vergißt die EZLN die Kritik, die sie gegenüber der mexikanischen alten Linken gewöhnlich vorbringt.

Ihre Kontakte zur »reformierten« italienischen kommunistischen Partei, Rifondazione Comunista, laufen nach dem gleichen Muster ab. Die Finanzierung eines Projekts zur Elektrifizierung des zapatistischen Dorfes La Realidad durch das Stadtparlament von Venedig (in dem Rifondazione Comunista eine Schlüsselposition innehat) wurde von der EZLN akzeptiert. Wir sehen darin eine selektive Akzeptanz autoritärer Ideologien und politischer Parteien. Diese Selektivität ist sicherlich Resultat des opportunistischen Umgangs mit Hilfsangeboten, die in bestimmten Teilen von Chiapas von den Unterstützungs-Basen zum Überleben gebraucht werden.

Fortschreitende Bürokratisierung in Europa

Doch zurück nach Europa. Im Sommer 1997 fand in Spanien das Zweite Internationale Treffen für Menschlichkeit und gegen den Neoliberalismus statt. Auch diesmal rief die Organisation viel Kritik hervor. Schon bei den Vorbereitungen wurde klar, daß eine kleine Gruppe von BürokratInnen, vor allem aus Zaragossa und Madrid, ihre Vorstellungen vom Ablauf des Treffens durchgedrückt hatte (die in einer fast identischen Kopie des ersten Encuentro von 1996 bestanden). Gruppen mit einer kritischeren Sicht der Dinge oder anderen Vorstellungen wurde kein Platz eingeräumt, ihre Meinungen einzubringen. Fast noch befremdlicher ist, daß diese kritischeren Gruppen ihre Kritik schließlich fallen ließen und doch teilnahmen. Das Treffen machte sich die gleichen lächerlichen Akkreditierungs- und Ausweis-ähnlichen Identifikationspapiere zueigen, die während des ersten Treffens obligatorisch gewesen waren. Die zwei Delegierten der EZLN wurden fast vollständig von den anderen TeilnehmerInnen abgeschirmt, als handelte es sich um StaatschefInnen, deren Sicherheit von Leibwächtern bewacht werden muß. Durch das diktatorische Gehabe der OrganisatorInnen wurden Freiwillige, die bei den Vorbereitungen helfen wollten, wieder einmal wie unmündige ArbeiterInnen behandelt. Alle die es wagten, Kritik zu äußern, mußten damit rechnen, wie Spitzel behandelt zu werden, die das Treffen sabotieren wollten.

Mit jedem Tag wird das Europäische Netzwerk immer mehr zu einer bürokratisch organisierten humanitären Hilfsorganisation, die im Namen des höheren Ziels alles tut. Es scheint den Blick für das, was in Europa vor sich geht, verloren zu haben. Es ignoriert die Existenz einer immer machtvolleren Europäischen Gemeinschaft, die sich auf militärischen und die innere Sicherheit (Polizei) betreffenden Ebenen zunehmend vereinheitlicht, die einen ungeheuren wirtschaftlichen Block aufbaut, in dem Menschen nur in der Rolle von produzierenden LohnsklavInnen zählen. Hauptziel des Europäischen Solidaritätsnetzes ist es geworden, Druck auf die Europäische Gemeinschaft und das Europäische Parlament auszuüben, damit der Vertrag über das Sonderabkommen zwischen der EU und der mexikanischen Regierung nicht zustande kommt. Die Vereinten Nationen sollen zur Intervention in Chiapas gebracht werden (entweder als Vermittlerinnen oder als Beobachterinnen der Menschenrechte), das ist das andere Ziel. Sowohl die Europäische Gemeinschaft als auch die Vereinten Nationen sind Instrumente der weltweiten Regierungen, wir sehen deshalb auch keinen Grund, sie um einen Gefallen zu bitten. Sie um einen Gefallen zu bitten, heißt, ihre Autorität und Existenz zu akzeptieren - wir akzeptieren das nicht und werden dies auch niemals tun! Dasselbe gilt, wenn bei BürgermeisterInnen oder Stadtparlamenten Unterschriften gesammelt werden für Petitionen wegen Verstößen gegen die Menschenrechte in Mexiko. Die Solidaritätsarbeit in Europa scheint sich auf Gespräche über Menschenrechte zu beschränken. Vielleicht sollten sie zu Amnesty International gehen. Amnesty ist für seine gute Arbeit bekannt, vermeidet es aber immer, einen politischen Standpunkt einzunehmen und die Legitimation eines politischen Systems überhaupt in Frage zu stellen. Die Aktivitäten des Europäischen Solidaritätsnetzes rund um die Menschenrechte machen einen ähnlichen Eindruck.

Die besseren Momente und Leute

Möglicherweise habe ich das Bild vermittelt, unsere Arbeit sei nur schrecklich und desillusionierend gewesen. So ist es natürlich nicht. Wir haben viele wunderbare, gescheite, warmherzige, kämpferische und humorvolle Menschen aus aller Welt getroffen. Alle haben auf ihre Art versucht, Wege des Denkens und Handelns zu finden. Durch die Zusammenarbeit mit ihnen haben wir herausgefunden, daß viele Formen der Solidaritätsarbeit möglich sind.

1997 und 1998 wurde mit unserer Teilnahme ein Projekt durchgeführt, das ein Beispiel für eine mehr gegenseitige, wenn auch noch nicht perfekte Solidaritätsaktion ist. Durchgeführt wurde sie von kritischeren Gruppen aus Frankreich, Belgien, Spanien und Holland. Ursprünglich war das Ganze eine Idee von Arbeitslosen gewesen, die sich in der Welt der Fischerboote und Hafenarbeiter von Rouen und Le Havre in Frankreich auskannten. Auf dem Europäischen Encuentro 1996 in Berlin wurde der Vorschlag eingebracht. In erster Linie sollte es darum gehen, eine Segeltour von Europa nach Mexiko zu starten und dabei unterwegs und in Mexiko direkte Kontakte zu Basisorganisationen aufzubauen. Die Idee dabei war, gegenseitig Erfahrungen über soziale Kämpfe auszutauschen, wie sie hier und dort stattfinden. Die meist festgetretenen Pfade der Einbahnstraßenkommunikation innerhalb der Solidaritätskampagnen (was auch für die Solidaritätsarbeit mit den Zapatistas gilt) sollten durch diesen gegenseitigen Austausch von Ideen und Vorstellungen verlassen werden. Zwei Monate nachdem das französische Boot Le Reve d'Absolu im März 1997 aus dem Marseiller Hafen losgesegelt war, erreichte es die Küste von Oaxacan in Mexiko.

In Mexiko-City, Oaxaca und Chiapas wurden Kontakte zu Basisorganisationen geknüpft. Auch wenn die Kommunikation zwischen den Bootsmännern und -Frauen und uns in Europa nicht ganz wie gewünscht lief, erhielten wir doch interessante Briefe aus Mexiko. Leider hat sich die Idee, mit weiteren Bootsfahrten nach Mexiko die Kontakte weiterzuentwickeln, bislang nicht umsetzen lassen.

Während wir unsere Aktivitäten als Solidaritätskomitee Mexiko im März 1998 einstellten, werden sich einige der früheren Mitglieder über die Entwicklungen in Mexiko und Chiapas auf dem Laufenden halten. Vorläufig wird eine Person unsere Webseite mit aktuellen Informationen versorgen (in Holländisch) und eine E-Mail-Liste betreiben, die abonniert werden kann. Einige von uns werden auch mit anderen autonomen Gruppen im Europäischen Netzwerk in Kontakt bleiben, um jenseits der institutionalisierten Kanäle Ideen für Solidaritätskampagnen mit der zapatistischen Basis zu entwickeln.

Für Interessierte wird unser Archiv mit einer Menge an gedruckten oder elektronischen Informationen über Mexiko, Chiapas und die Zapatistas bis auf weiteres zugänglich bleiben. Das gleiche gilt für unser umfangreiches Videoarchiv (eine Liste der Titel findet sich im Archiv und auf unserer Webseite). Da wir im Moment von keinem Projekt wissen, das wir gerne unterstützen würden, sammeln wir keine Geldspenden mehr. Außerdem wollen wir uns bei allen, die gespendet oder geholfen haben, für ihre Unterstützung bedanken.

Geronimo/Jeroen vom Solidaritäts-Komitee Mexiko in Amsterdam, Holland.

Die Webseite des Mexiko-Komitees:
http://www.dds.nl/~noticias/prensa/zapata
E-mail: zapata@noticias.xs4all.nl


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