Wildcat-Zirkular Nr. 54 - November 1999 - S. 8-9 [z54krieg.htm]


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Nieder mit den humanitären Kriegstreibern!

Wie kurz kann ein Gedächtnis sein? Die Bombardierung Jugoslawiens ist vor grade mal 3 Monaten beendet worden. Dieser Krieg hat allen Übeln, gegen die er angeblich geführt worden ist - Massaker, Vertreibungen, Elend und Repression - zu neuen Dimensionen verholfen. Das war im Golfkrieg so, das war bei der Intervention in Somalia so.

Es war nie ein Geheimnis, daß das indonesische Militär die Milizen bewaffnet und trainiert hat und mit ihnen zusammenarbeitet. Die UN hat die indonesischen Sicherheitskräfte mit der Sicherung der Vorbereitung und Durchführung des Referendums beauftragt.

20% der osttimoresischen Bevölkerung sind in den letzten 10 Jahren zugewandert. Die UN hat die Abstimmungsberechtigung dagegen ethnisch definiert.

Es war kein Geheimnis, daß die Milizen schon vor Wochen für den Fall einer Niederlage bei der Abstimmung mit einem Blutbad gedroht haben.

Die UN hat das Referendum abgehalten und anschließend ihre Leute abgezogen.

Die UN ist eine staatliche Institution in einer kapitalistischen Welt. Und wer sich an ihr zynisches Auftreten im Irak, in Bosnien oder auch früher in Irian Jaya erinnert, muß sich nicht wundern, daß ihr das Schicksal der Osttimoresen in Wirklichkeit scheißegal ist. Die UN hat in Osttimor eine Krise und einen Kriegsgrund produziert und ein Bauernopfer gebracht: die osttimoresische Bevölkerung.

Es geht um Indonesien. Die Hoffnungen, daß im Rahmen eines Demokratisierungsprozesses stabile Bedingungen für heimisches und internationales Kapital wiederhergestellt werden können, sind nicht aufgegangen. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist seit Beginn der Asienkrise unter die Armutsgrenze gerutscht. Die reaktionären Geister von gestern sind noch lange nicht vertrieben; sie sind immer noch unendlich reich. Die Clique um Soeharto hat auch in Osttimor riesigen Landbesitz. In ethnisch oder religiös motivierten Zusammenstößen sind in diesem Jahr mehrere Tausend getötet worden. Bei den wohl niedrigsten Arbeiterlöhnen der Welt sind die Ausbeutungspotentiale groß; das Investitionsrisiko aber auch. Bauern besetzen Großgrundbesitz; die städtischen Armen demonstrieren und vor allem: täglich Streiks. Die Studenten rufen nicht mehr »Reformasi«, sondern »Revolusi«. Erst letzte Woche titelte die Jakarta Post: »On the Brink of a Revolution«. So weit ist es noch lange nicht, aber es zeigt die Dringlichkeit der Wiederherstellung kalkulierbarer Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnisse. Dies ist offensichtlich nicht mehr allein mit IWF-Krediten zu bewältigen.

In diesem Punkt treffen sich die Interessen von indonesischen Militärs und der politisch-militärischen Agenturen des Weltkapitals. Druck oder Aggression von außen wird dem Militär Möglichkeiten geben, die Macht und den Einfluß wieder zu erlangen, die es durch die Massenbewegungen im letzten Jahr verloren hat; Nationalismus zu mobilisieren, und erkämpfte Freiheiten zu kassieren. All dies hat schon angefangen.

Die osttimoresische Befreiungsbewegung hat voll auf die UN gesetzt und bis zuletzt ihre Mitglieder und Anhänger zum Stillhalten gegenüber den Milizen verpflichtet. Die Belos, Hortas und Gusmaos setzen das »Recht auf Selbstbestimmung« umstandslos mit dem Recht auf den eigenen Staat gleich. Die Mehrheit der osttimoresischen Bevölkerung hat wahrlich jeden Grund, die indonesische Besatzung zum Teufel zu wünschen. Aber anstatt auf die eigene Kraft zu vertrauen und mit denen eine gemeinsame Perspektive zu suchen, die in Indonesien für Freiheit und gegen das Militär kämpfen, hat sie ihre Führer nach dem Über-Staat rufen lassen. Das Blutbad in Osttimor ist auch eine Niederlage für uns als revolutionäre Linke. Wir haben die Solidarität den NGOs und der katholischen Kirche überlassen, die das Leid in dieser Welt für ihre eigenen professionellen oder ideologischen Zwecke ausbeuten und kein Interesse an einer wirklichen Befreiung der Menschen haben. Die kann nur gegen die herrschende Ordnung und gegen die Kirchen und NGOs, von den Menschen selbst erkämpft werden.

Daß sich die indonesische Regierung heute bereit erklärt hat, »Friedenstruppen« in Osttimor zu akzeptieren, sollte niemanden beruhigen. Die Krise ist noch nicht vorbei. Um in einem gerade »demokratisch« gewordenen Land wie Indonesien mittels Krise und Krieg für Ordnung sorgen zu können, sind größere Propagandaschlachten im Vorfeld zu schlagen. Alle, die militärisches Eingreifen verlangt haben, haben die Möglichkeit eines Krieges in Kauf genommen, da gibt es keine Ausrede. Und sie sprechen UN, NATO & Co das Recht zu, die Welt nach den Bedürfnissen von Arbeit und Ausbeutung zu ordnen. Überall und mit allen Mitteln.

Welt in Umwälzung, 12.9.99 (aus: Jungle World)


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