Wildcat-Zirkular Nr. 55 - März 2000 - S. 40-56 [z55smart.htm]


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Zerbrechliche Modellfabrik

Der Streik bei SMART im November 1999

Vom 8. bis zum 17. November letzten Jahres wurde die Produktion der vor kaum zwei Jahren eröffneten SMART-Fabrik in Hambach durch Streiks bei drei »Zulieferfirmen« beeinträchtigt. Der Streik zeigte, wie anfällig das neue modulare Produktionskonzept in der Automobilindustrie gegenüber Streiks und anderen Formen des Arbeiterkampfs ist. Trotzdem bekräftigte der Produktionsleiter nach dem Streik, man werde an diesem Modell festhalten. Dazu hatte er allen Grund. Zum einen hatten die jungen ArbeiterInnen die mit diesem Fabrikkonzept verbundenen Kampfmöglichkeiten nicht für sich nutzen können. Statt ihre eigene Arbeitermacht zu entwickeln, waren sie von den beteiligten Gewerkschaften für deren Interessen mobilisiert worden und gingen eindeutig als Verlierer aus dem Streik hervor. Von den ursprünglich geforderten 1 500 Francs Lohnerhöhung (ca. 450 Mark) blieb am Schluß nicht viel übrig. Das eigentlich Verwunderliche bei diesem Streik war, daß es dem Unternehmen trotz der engen Verzahnung zwischen »Zulieferbetrieben« und Endmontage gelungen ist, den Produktionsausfall so gering zu halten. Für das gesamte Kapital in der Autoindustrie gibt es momentan auch wenig Alternativen zu solchen Experimenten mit neuen Organisationsformen der Arbeit. Nachdem die Versuche aus den 70er und 80er Jahren, die Produktion mit hohem Kapitaleinsatz weiter zu automatisieren, an Grenzen gestoßen sind, bleibt ihm heute nur der Ausweg, die Arbeit durch organisatorische Veränderungen intensiver und zu geringeren Kosten auszubeuten. In den Augen der jungen ArbeiterInnen richtete sich ihr Streik genau gegen diese Strategie der verschärften Mehrwertabpressung. Aber gerade an diesem Punkt haben sie nichts erreicht.

Am 16. November sind wir nach Hambach, einem kleinen Städtchen in Lothringen in der Nähe von Sarreguemines, gefahren und haben uns mit einigen der Streikenden unterhalten. Auf diesen Eindrücken und einigen Presseartikeln beruht die folgende Darstellung. Es sind erste Thesen, die eine genauere Auseinandersetzung mit den Widersprüchen der »modernen Fabrik« anstoßen sollen. Zunächst beschreiben wir die Struktur der Fabrik in Hambach, deren Besonderheiten zum Verständnis des Streiks wichtig sind. Dann charakterisieren wir die Menschen, die dort arbeiten müssen, schildern den Verlauf des Streiks, soweit er sich rekonstruieren ließ und bewerten seinen Ausgang.

Was ist neu an der »neuen Fabrik«?

Wenn wir von der SMART-Fabrik reden, meinen wir immer den gesamten industriellen Komplex »Smartville«, wie diese moderne Fabrik verniedlichend vom Unternehmer getauft wurde. Rechtlich betrachtet besteht sie aus dem Montagewerk der Smartfirma MCC (Micro Compact Car, heute eine hundertprozentige Tochter von Daimler-Chrysler) und 13 sogenannten »Systempartnern«. Diese werden meistens als »Zulieferer« bezeichnet, was einen falschen Eindruck vermittelt. Produktionstechnisch handelt es sich um eine integrierte Fabrik auf einem geschlossenen Werksgelände mit zentraler Zufahrt. Das Auto selbst ist so gestaltet, daß es aus wenigen vormontierten Komponenten und einer Reihe von Kleinteilen zusammengesetzt werden kann. Die Hauptmodule, die von den »Systempartnern« kommen, sind Karosserie (Magna Châssis), Cockpit (Mannesmann-VDO), Frontmodul (Bosch), Hinterachs-Antriebsmodul (Krupp), Türen (erst Ymos, jetzt Magna Doors). Die Lackiererei wird von der Firma Surtema-Eisenmann betrieben, die äußeren Kunststoffverkleidungen werden von Dynamit Nobel auf dem Gelände produziert. Die Endmontage bei MCC ist dadurch auf 4,5 Stunden pro Auto verkürzt worden. Diese Zahl sagt wenig darüber aus, wieviel Arbeit in einem fertigen Auto steckt. MCC gibt die eigene Fertigungstiefe (also ihren Anteil an der Gesamtproduktion des Autos) mit 8 Prozent an, d.h. 92 Prozent der Arbeit erfolgt bei anderen Firmen. [1] Und auch davon wird nur ein kleiner Teil in der SMART-Fabrik geleistet. Wichtige Komponenten und Teile werden von außerhalb angeliefert (z.B. der Motor von Mercedes in Berlin, die Hinterachse von Mercedes in Bremen, die Sitze vom französischen Sitzehersteller Edgar Faure). Die Fertigungstiefe der gesamten Fabrik in Hambach beträgt etwa 20 Prozent - also 8 Prozent bei MCC und 12 Prozent bei den »Systempartnern«, was in etwa der Zahl der Beschäftigten in den beiden Bereichen entspricht: 700 bei MCC und 1100 bei den »Systempartnern«. Das würde bedeuten, daß für die Gesamtproduktion der Autos, also 100 Prozent Fertigungstiefe, etwa 9000 ArbeiterInnen benötigt werden, d.h. weitere 7200 zu denen in Hambach arbeitenden. Es handelt sich also bei dem modularen Produktionskonzept nicht um die Wiedergeburt der klassischen großen Autofabrik - nur diesmal in unabhängige Firmen aufgespalten. Deren Fertigungstiefe lag bei 50 Prozent und mehr. Die neuen Fabriken sind nur noch der Endpunkt einer langen, oft im Dunkeln bleibenden Kette von Zulieferfabriken und Klitschen, die durch den immer wichtiger werdenden Transport mit LKWs verbunden sind.

Bei den »Systempartnern« von MCC handelt es sich um große Zulieferkonzerne wie Krupp, Magna oder Dynamit Nobel und Logistikfirmen wie TNT, die auf eigene Kosten in Hambach Produktionsstätten aufgebaut und einen großen Teil der Entwicklungskosten für die Module übernommen haben. Für MCC, d.h. für Daimler-Chrysler, sind die Investitionen damit deutlich geringer geworden - ganz abgesehen von den reichlichen Subventionen des französischen Staates. Auch finanziell ist die SMART-Fabrik damit ein Experiment. Beim Scheitern des Projekts aufgrund von Problemen beim Verkauf oder in der Produktion könnte es Daimler-Chrysler - bei einem Jahresumsatz von etwa 300 Milliarden Mark - locker verkraften, das Ganze wieder einzustampfen. In Hambach investierte MCC 445 Mio. Mark und die Zulieferer 385 Mio. Mark - die Gesamtinvestitionen inklusive Entwicklungskosten und Händlernetz sollen etwa 2,4 Mrd. DM betragen haben.

Die neue Aufteilung des Investitionsrisikos zwischen Automobilfirmen und Zulieferern, wie sie beim SMART oder beispielhaft in der 1996 eröffneten Fabrik von VW in Resende / Brasilien praktiziert wird, zielt aber im Kern auf die Aufsplitterung der ArbeiterInnen in der Fabrik. Das technisch neue Konzept der modularen Produktion wird mit der rechtlichen Aufteilung der Produktionsschritte auf verschiedene Einzelkapitale verbunden. Für die ArbeiterInnen bedeutet dies, daß sie in jeder Halle der Fabrik mit einem anderen Unternehmen, anderen Verträgen, einer anderen Personalpolitik usw. konfrontiert werden. Durch die Verbindung dieser Aufspaltung mit einer technisch veränderten Produktion, dazu noch in einer völlig neuen Fabrik, wird der Anschein einer gewissen Natürlichkeit dieser Aufspaltung vermittelt und ihr klassenpolitischer Sinn verschleiert. Die jungen ArbeiterInnen verstehen aber sehr wohl, daß es darum geht, sie innerhalb der Fabrik zu isolieren und zu schwächen. Probleme ergeben sich daraus aber auch für das Kapital, da die enge Verzahnung der Produktionsschritte und die unterschiedliche Behandlung der ArbeiterInnen durch die verschiedenen Unternehmen ständig miteinander in Widerspruch geraten. Hinzu kommen Reibungsverluste z.B. in der Entwicklung der Autobestandteile durch verschiedene Firmen. Dies war der Hauptgrund für die Verzögerung des ursprünglich für April 1998 geplanten Produktionsbeginns um ein halbes Jahr. Die damals bereits eingestellten ArbeiterInnen von SMART bekamen dabei gleich zu spüren, daß sie es sind, die bei der »flexiblen« Produktion für solche Pannen den Kopf hinhalten müssen. Sie wurden in dieser Zeit nach Lahr oder Rastatt abkommandiert und bei der Umrüstung der A-Klasse eingesetzt.

Besonders stolz sind die Planer auf die ausgefallene Form der Fabrik, die optimal zu der modularen Produktionsweise passe. Im Mittelpunkt der Fabrik steht eine kreuzförmige Halle, in der MCC die Endmontage durchführen läßt (siehe Abbildung). Das Band läuft in vier U-Formen durch diese Halle. Im Vergleich zu einer linearen Anordnung oder einem einzelnen U wird dadurch Platz gespart, die Entfernungen zwischen den einzelnen Montagestationen sind geringer, und die Module können trotzdem von außen direkt an die jeweiligen Montagestationen geliefert werden. Dabei wurde auf die Erweiterungsmöglichkeit geachtet. Das Kreuz und die übrigen Firmen sind so angeordnet, daß jedes U bei Bedarf nach außen verlängert werden kann und auch die einzelnen »Systemlieferanten« Platz für Anbauten zur Verfügung haben.

Vereinfachte Skizze des Fließbandverlaufs in der Endmontage.
In Wirklichkeit ist die kreuzförmige Halle von MCC im Verhältnis zu den Zulieferhallen viel kleiner.

Wenn der MCC-Chef betont, daß bei einer linearen Anordnung »die Kommunikation zwischen den beiden Enden des Bandes schwierig geworden wäre«, dann weist er ungewollt auf die Ähnlichkeit dieses Fabrik-Layouts mit dem »Panoptikum« hin, das Bentham 1787 als optimale Form des Gefängnisbaus vorgeschlagen hatte: aus der Mitte des Kreuzes lassen sich alle vier Bandabschnitte leicht überwachen - während die ArbeiterInnen in den einzelnen U-Abschnitten voneinander getrennt sind. Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, daß sich über dem Kreuz eine gläserne Kuppel befindet, durch die aus der oberen Etage das Geschehen am Band beobachtet werden kann. In der Sprache der Fabrikplaner wird dies als die neue »Transparenz« der Fabrik gelobt.

Natürlich ist in den Papieren von MCC auch von »Gruppenarbeit« und »Teamgeist« die Rede - der SMART soll auf eine smarte Weise von smarten Arbeitern gebaut werden. Schon das Fabriklayout straft dieses ideologische Gewäsch Lügen. Das alles beherrschende Prinzip der Produktion ist das Fließband und die enge Verkettung zwischen den Produktionsschritten. Die Zeiten, in denen die Ideologie der Gruppenarbeit mit einer »Abkehr vom Fließband« verbunden wurde, sind längst vorbei. Das zentrale Argument für den Standort Lothringen in Frankreich war von Anfang an das niedrige Lohnniveau. In »Smartville« wird vor allem mit Druck gearbeitet: mit dem ständigen Hinweis auf die hohe Arbeitslosigkeit und der immer wiederkehrenden Androhung, die Fabrik wieder zu schließen. In einem Gespräch nach dem Streikende, zeigte sich der Produktionschef enttäuscht darüber, daß die ArbeiterInnen kein großes Interesse an der »Gruppenarbeit« zeigten, sondern lieber klare Anweisungen von oben haben wollten. [2] Was der Produktionschef hier als »Mentalitätsunterschied« zwischen Deutschen und Franzosen bezeichnet, ist in Wirklichkeit nur die sogenannte »Flucht in den Taylorismus«, die sich auch bei vielen Gruppenarbeitsexperimenten in Deutschland zeigt: das klare Bewußtsein darüber, für einen miesen Lohn eine miese Arbeit machen zu müssen, und nicht aus Begeisterung über das tolle Produkt und seine Verbesserung in die Fabrik zu kommen!

Die Produktionshallen der anderen Firmen sind so angeordnet, daß sie von dem Montagekreuz getrennt sind (durch Straßen mit so schönen Namen wie »Rue de la Qualité«, »Rue de la Flexibilité« oder »Rue de la Créativité«), aber bei einer Veränderung der Montage jeweils an der erforderlichen Stelle ans Band liefern können. Nach außen hin haben sie Platz für Erweiterungen. Diese Erweiterungsmöglichkeit könnte nicht nur für die Erhöhung der Produktion genutzt werden, sondern auch für eine Erhöhung der Fertigungstiefe durch die Ansiedlung weiterer Zulieferer. Auch in dieser Hinsicht ist der SMART ein Experiment. Ein so kleines Auto und die geringen Investitionen machen es besonders gut möglich, neue Produktionskonzepte auszuprobieren. Sollte es mit diesem Konzept gelingen, profitabel zu produzieren und die derart gespaltenen ArbeiterInnen unter Kontrolle zu halten, so ist bereits die Möglichkeit vorgesehen, noch mehr Teile der Gesamtproduktion zu reintegrieren oder die Produktion auszuweiten (was sich in der aktuellen Planung für die Produktion eines viersitzigen Smarts zusammen mit PSA oder Fiat andeutet).

Die jetzige Kapazität der Fabrik beträgt 200 000 Smarts im Jahr bei Dreischichtbetrieb an sechs Tagen in der Woche und etwa 2 200 Beschäftigten. Im Moment werden deutlich weniger Autos produziert. Insgesamt arbeiten 1800 bis 1900 Menschen in »Smartville«, im Zweischichtbetrieb und einer Fünftagewoche. Aufgrund der geringen Nachfrage mußte die geplante Produktion für 1999, die zunächst auf 140 000 angesetzt war, immer weiter runtergefahren werden. Zuerst auf 100 000, und zum Zeitpunkt des Streiks war die Firma auf 80 000 runtergegangen, die Ende 1999 etwa erreicht wurden.

Wer baut den SMART?

Nach dem Krisenjahr 1992/93 wollte Mercedes mit der neuen SMART-Produktion ein politisches Signal an die ArbeiterInnen in Deutschland geben: Autos müssen auch in Westeuropa zu deutlich niedrigeren Löhnen gebaut werden können. Nach einer langen öffentlichen Diskussion über den Standort der SMART-Fabrik entschied sich Mercedes gegen die Proteste der Betriebsräte und Gewerkschaften für Lothringen, eine seit Jahren von Zechenstillegungen betroffene Region mit hoher Arbeitslosigkeit. Die Entscheidung wurde ausdrücklich mit den niedrigeren Löhnen und der größeren Arbeitszeitflexibilität begründet. Der Anwerbe- und Einstellungsprozeß verlief von Anfang an mit Unterstützung des örtlichen Arbeitsamts, das MCC einen großen Teil des Selektionsprozesses mit einem 1996 eigens dafür eingerichteten »Centre de Recrutement« abnahm. Die Ämter hatten errechnet, daß im Umkreis von 50 Kilometern 30 000 Schulabgänger und Arbeitslose für einen Job in der SMART-Produktion in Frage kommen würden. Am Anfang bewarben sich einige Tausend um die Stellen und wurden dann einem tagelangen Ausleseprozeß unterzogen. 60 Prozent der Eingestellten sollen zuvor arbeitslos gewesen sein. Geboten wurde ein Lohn um die zwei- bis dreitausend Mark brutto, was 30 Prozent unter dem Lohnniveau des angrenzenden Saarlands liegt, das seinerseits deutlich niedriger als an den Mercedes-Standorten in Deutschland ist. Auch in Frankreich sind dies Löhne knapp über dem gesetzlichen Mindestlohn und niedriger als in Autofabriken von Renault oder Peugeot - jedenfalls für die Festangestellten (der Einsatz von Leiharbeitern ist in den französischen Autofabriken sehr viel stärker verbreitet als in Deutschland). Seitdem die Produktion läuft, hat das Interesse an den SMART-Jobs allerdings deutlich nachgelassen.

Die neue Methode, mit Billiglöhnern Autos zu produzieren, ist eng mit der besonderen Zusammensetzung der ArbeiterInnen in der SMART-Fabrik verknüpft. Zunächst funktioniert sie für das Kapital, aber sie enthält Widersprüche, die im Streik sichtbar geworden sind. Eine besondere Rolle spielen dabei das Alter der ArbeiterInnen (1), die verschiedenen Beschäftigungsverhältnisse (2) und die Region (3).

(1) Die meisten ArbeiterInnen sind sehr jung und es arbeiten relativ viele Frauen dort. Ein Arbeiter von Magna Doors sagt, das Durchschnittsalter bei ihnen sei 26 Jahre. Bei Magna Châssis soll es nur 23 Jahre betragen und nach Angaben von MCC beträgt das Durchschnittsalter in der gesamten Fabrik - also inklusive Vorgesetzte und Angestellte - nur 29,5 Jahre. Ein anderer von Châssis schätzt, daß noch die Hälfte von ihnen zu Hause wohnt. Aber sie alle stehen vor dem Problem, daß sie aufgrund des geringen Lohns kaum eine eigene Wohnung finanzieren können. Für diejenigen mit Familie sei die Belastung durch den Streik enorm - die CGT zahlt überhaupt kein Streikgeld, die FO nur ein kleines »Taschengeld«.

An den Streikposten ist auffällig, wie viele junge Frauen hier sind, die sich aktiv beteiligen. Das Arbeitsamt gibt an, daß 28 Prozent der Eingestellten Frauen gewesen seien, was acht Prozent über dem Durchschnitt in der französischen Autoindustrie liege. [3]

Mit Hinweis auf diese Zusammensetzung lassen sich die niedrigen Löhne in der üblichen Weise rechtfertigen, mit der Frauen und Kinder schon immer mit weniger Lohn abgespeist wurden: die ArbeiterInnen sind jung und unverheiratet, sie wohnen noch zu Hause, gehen als Frauen ohnehin nur vorübergehend arbeiten und werden später heiraten, usw.. Aber diese Situation macht sie auch beweglich auf dem Arbeitsmarkt und bindet sie kaum an das Unternehmen. Die Arbeit in den beiden Magna-Betrieben bezeichnen sie zwar als »leicht« und »gut«. Die Produktion der Karosserien und Türen ist stark automatisiert, sie stehen nicht am Band, sondern machen Einlegearbeiten an den Roboterstationen. Trotzdem sehen sie es nicht ein, mit dem Mindestlohn abgespeist zu werden. Die Erpressung mit der Arbeitslosigkeit und der Fabrikschließung funktioniert um so weniger, je geringer der Lohn ist. Ein deutscher Journalist beklagt sich über die »seltsam irreale« Argumentation an den Streikposten und zitiert eine Streikende mit den Worten: »Es ist mir egal, ob ich in sechs Monaten arbeitslos werde. Ich will jetzt 1000 Francs mehr«. [4] Dieselbe Haltung drücken auch andere Streikende aus. Sie sind entschlossen weiterzumachen, jetzt komme es auf die Lohnverluste durch den Streik auch nicht mehr an. Würden sie jetzt aufgeben oder sich mit weniger als den 800 Francs abspeisen lassen, auf die ihre Gewerkschaft bereits heruntergegangen ist, so hätte sich das Ganze nicht gelohnt. Außerdem wäre das ein fatales Signal an die Kollegen der anderen Betriebe in »Smartville«. Alle würden dann denken, daß die Arbeiter doch nichts machen können. Die Alternative vor der die jungen ArbeiterInnen stehen, ist einfach die: entweder verdienen sie deutlich mehr Geld oder sie werden über kurz oder lang abhauen. Ob sie diese mies entlohnten Jobs dann selber kündigen oder der Unternehmer dicht macht, kann ihnen tatsächlich egal sein - an dieser Haltung ist nichts »irreal«.

(2) Die Arbeitsverhältnisse in der SMART-Fabrik sind von einer doppelten Spaltung geprägt, zwischen den einzelnen Betrieben und nochmal innerhalb von ihnen. Gerade bei den Zulieferfirmen sind die verschiedensten Arbeitsverhältnisse anzutreffen: Festeinstellung, befristete Einstellung, Leiharbeit - und mehr oder weniger vom Arbeitsamt gezwungen. Auch innerhalb der einzelnen Betriebe bekommen alle unterschiedliche Löhne, es gibt keine klaren Tarife. Die Regelungen über Urlaub und Prämien sowie Urlaubs- und Weihnachtsgeld (das es für die meisten nicht gibt) sind überall anders. Die Ausbildung der ArbeiterInnen ist sehr unterschiedlich. Manche haben Fachabitur und darüber, was sich aber nicht auf den Lohn für Produktionsarbeit auswirkt. Die Leiharbeiter können nicht mitstreiken, sie würden dann sofort entlassen werden. Ein Arbeiter von Magna Doors schätzt, daß von den 135 ArbeiterInnen bei ihnen nur 50 festeingestellt sind.

Als eine besondere Spaltung wird die zwischen MCC und den Zulieferern wahrgenommen, auch wenn die materiellen Unterschiede so groß nicht sind. Auch MCC zahlt als Grundlohn nur den gesetzlichen Mindestlohn, aber die Prämien und Zulagen sind hier üppiger. Die ArbeiterInnen der Magna-Betriebe sehen hierin eine klare Hierarchie: ganz oben stehen die ArbeiterInnen von MCC in der Endmontage. Danach kommen die Zulieferbetriebe mit wiederum unterschiedlichen Lohnniveaus. Bei VDO, erzählen sie, habe es wegen des Lohns schon mal einen kurzen Streik gegeben, aber ohne Blockade der Zufahrt. Die hätten sofort die geforderte Erhöhung bekommen. Die ArbeiterInnen bei Magna Châssis und Magna Doors verdienen etwa 7000 Francs brutto, was netto 5500 Francs (1650 Mark) ausmacht. Weitere Lohnbestandteile wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld gibt es für sie nicht. Als Fahrkostenzuschuß bekommen sie 65 Centimes (19 Pfennige) pro Kilometer, was nicht einmal ihre tatsächlichen Fahrtkosten decke.

Obwohl sie alle auf einem Gelände arbeiten, haben sie durch die Arbeit wenig Kontakt miteinander. Selbst in der gemeinsamen Kantinen treffen sich die ArbeiterInnen der unterschiedlichen Betriebe nicht, da sie versetzte Pausenzeiten haben. Daher sehen sie in dem Streik auch eine gute Gelegenheit, sich besser kennenzulernen.

Die Aufspaltung der ArbeiterInnen durch die Prekarisierung verliert aber ihre Wirksamkeit, wenn sie zu einer allgemeinen Erfahrung wird. Durch die allgemein niedrigen Löhne und die immer wieder gemachte Erfahrung von prekären Arbeitsverhältnissen wird fraglich, was an einem festen Arbeitsplatz so besonders erstrebenswert sein soll. Leiharbeit oder befristete Verträge sind nicht mehr »Sonderfälle«, unter denen einzelne leiden, sondern kennzeichnen die allgemeine Situation als LohnarbeiterIn. Damit relativiert sich ihre spaltende Wirkung und die von allen erfahrene Prekarisierung kann zum Ausgangspunkt von Kämpfen werden. Soweit ist es beim Streik im November nicht gekommen, aber der Konflikt bei der benachbarten Firma Behr zeigt, daß das Problem der Prekarisierung ständig und über die Einzelbetriebe hinaus präsent ist.

 

Konflikt um Prekarisierung bei Behr in Hambach
Der deutsche Kühlerhersteller Behr produziert seit 1994 nur ein paar Kilometer von Smartville entfernt Kondensatoren für Klimaanlagen, die unter anderem auch an MCC geliefert werden. Die Fabrik ist nur über die Zufahrtsstraße zu Smartville zu erreichen, die von den Streikenden blockiert wurde (die allerdings die ArbeiterInnen von Behr mit ihren Fahrzeugen durchließen). Am zweiten Streiktag verteilten einige Arbeiter von Behr 3000 Flugblätter der CGT an die Arbeiter von Smartville, in der zu einer Demonstration vor dem Arbeitsgericht von Sarreguemines aufgerufen wurde. Einige beteiligten sich an den Streikposten. Die CGT hatte sich an die Gerichte gewandt, um den »Mißbrauch« mit Leiharbeit und Zeitverträgen einzuschränken. Als Behr 1994 die Produktion aufnahm, waren nur 35 Prozent der ArbeiterInnen festeingestellt. Heute seien immer noch die Hälfte der 1 100 ArbeiterInnen prekär. Die Gewerkschaft wirft dem Unternehmen in ihrem Flugblatt vor, daß sie Befristungen und Leiharbeit als Dauereinrichtung nutze, ohne die Leute anschließend festeinzustellen. Im Juni 1998 hatte die Gewerkschaft zu einem zweitägigen Streik aufgerufen, um die Übernahme von 270 Befristeten zum Januar 1999 zu erreichen. Aber die meisten der streikenden Leiharbeiter und Befristeten von 1998 seien heute nicht mehr in der Firma, weil sie nicht übernommen wurden.

 

Wie die Stimmung zwischen den ArbeiterInnen der verschiedenen Firmen während des Streiks tatsächlich war, läßt sich von außen schwer einschätzen. Aber eine so feindliche Einstellung der Nicht-Streikenden, wie sie von der Presse dargestellt wurde [5], haben wir nicht erlebt. Als am Dienstag mittag die MCC-ArbeiterInnen in ihren dunkelblauen Firmenanoraks herauskommen, bleiben viele beim Streikposten stehen und unterhalten sich freundlich. Sie sind genauso jung wie die übrigen und scheinen die Motive für den Streik zu verstehen. Um das gute Verhältnis zu den übrigen ArbeiterInnen zu unterstreichen, erzählt uns einer der Streikenden von der Unterschriftenliste, die MCC an den Bändern herumgehen ließ. Die ArbeiterInnen sollten mit ihrer Unterschrift den Streik verurteilen und ihre Sorge um den Arbeitsplatz ausdrücken, der durch den Streik gefährdet würde. Insgesamt hätten nur zwei Produktionsarbeiter von MCC unterschrieben, sagt er lachend.

Ein weiteres Dilemma bei der rechtlichen Aufspaltung der Autofabrik in eine Reihe von selbständigen Firmen zeigt sich aktuell bei den Verhandlungen um die 35-Stunden-Woche, die nach dem Gesetz »Aubry« bis Anfang 2000 eingeführt werden muß. Auf der einen Seite versucht »der« Unternehmer, die Fiktion der selbständigen Firmen durch eine möglichst große Auffächerung der Arbeits- und Vertragsbedingungen aufrechtzuerhalten, auf der anderen Seite zwingt die enge Verbindung zwischen allen Betriebsteilen durch das »just-in-time«-Prinzip zu einer weitgehenden Angleichung der Arbeitszeiten und Schichtrhythmen. Angeblich würden bereits Abweichungen im Produktionsrhythmus von zwanzig Minuten das Montageband zum Stillstand bringen. Dieses Problem der einheitlichen Einführung der 35-Stunden-Woche war die eigentliche Ursache für den Streik im November. Zum einen ist die Frage der Arbeitszeit eng mit der Lohnfrage verknüpft und die gesetzliche Arbeitszeitverkürzung wird allgemein in Frankreich von den Unternehmern genutzt, um Lohnsenkungen durchzusetzen. Zum anderen brauchen die Unternehmer für die reibungslose Umsetzung der 35-Stunden-Woche zuverlässige Vermittlungsinstanzen, d.h. Gewerkschaften, mit denen Regelungen vereinbart und auch den ArbeiterInnen gegenüber durchgesetzt werden können. Die meisten Zulieferbetriebe in der SMART-Fabrik hatten aber zunächst versucht, ohne Gewerkschaften auszukommen.

(3) »Nicht umsonst hat sich Mercedes diese Region ausgesucht, weil sie hier viel niedrigere Löhne als in Deutschland oder woanders zahlen können«, sagt ein Arbeiter von Magna Châssis. Der Fabrikkomplex liegt in einer ländlichen Gegend von Lothringen. Die Hauptbeschäftigungsmöglichkeit lag hier im Bergbau, der fast völlig eingestellt worden ist. Hambach selber ist ein kleines verschlafenes Nest, in dem es keine andere Industrie gibt. Als sich Daimler 1994 - damals noch zusammen mit dem SMART-Erfinder Hajek von der Uhrenfirma Swatch - für diesen Standort entschied, jubelte die Lokalregierung über die Ansiedlung und der französische Staat subventionierte großzügig den Bau der Fabrik. Den ArbeiterInnen werden ständig die Wirtschaftsprobleme der Region, z.B. der weitere Abbau von 6000 bis 7000 Arbeitsplätzen im Bergbau in den nächsten Jahren, vor Augen gehalten, um ihnen die Hinnahme der Arbeitsbedingungen bei SMART abzupressen.

Auch dieser regionale Standortvorteil hat seine Kehrseite. Trotz des ländlichen Charakters existiert in Lothringen ein Milieu der Arbeiterbewegung, auch wenn die Bergarbeiter ihre letzten Schlachten schon vor über zehn Jahren verloren haben. Es gibt noch Kampferfahrungen, die sich in den Familien erhalten. Viele der jungen ArbeiterInnen bei SMART sind Kinder von Bergarbeitern. Es ist zwar ihr erster Streik und für die meisten auch der erste Job, aber es scheint für sie ganz normal, um ein Feuer aus qualmenden Autoreifen herumzustehen und die Zufahrt zur Fabrik zu blockieren. Lothringen war noch in den 80er Jahren bekannt für die Militanz der Bergarbeiter, die in schöner Regelmäßigkeit ihren Patrons die Villen anzündeten und Eisenbahngleise mit brennenden Barrikaden blockierten. Als wir mittags in einer Dorfkneipe sitzen, unterhalten sich ein paar alte Männer an der Theke darüber, wie sie es damals ihren Grubenbossen gezeigt hätten.

Seitdem sich herumgesprochen hat, zu welchen Bedingungen bei SMART gearbeitet wird, scheint das Interesse an diesen Arbeitsplätzen deutlich nachgelassen zu haben. Bereits kurz nach dem Anlaufen der regulären Produktion hatten am 15.9.1998 etwa 100 ArbeiterInnen von MCC für zwei Stunden die Arbeit am Montageband niedergelegt, um gegen die niedrigen Löhne und die Arbeitsbedingungen bei MCC zu protestieren. [6] Als kürzlich jüngeren Bergarbeitern 150 000 Mark (!) Abfindung für einen Wechsel nach »Smartville« geboten wurden, sollen nur zwanzig das Angebot angenommen haben. [7] In einer Region wie Lothringen, wo die Erfahrung mit Arbeitslosigkeit zu etwas alltäglichem geworden ist, kann sie - gerade bei den Jüngeren - ihren Schrecken leicht verlieren; zumal, wenn die Alternative ein Job bei SMART ist!

Die hier angedeuteten Widersprüche in der Zusammensetzung der SMART-ArbeiterInnen könnten das neue Produktionskonzept in eine schwere Krise stürzen, da es gegenüber selbständigen und nicht regulierten Kämpfen genauso anfällig ist, wie die Fließbandproduktion in den alten Großfabriken. Beim Streik im November behielten aber die Gewerkschaften die Kontrolle über das Geschehen, denen es darum ging, als Kontroll- und Vertretungsorgane in den Zulieferbetrieben anerkannt zu werden. Die Bedrohlichkeit des Streiks ist MCC und den Chefs der Zulieferbetriebe klar gewesen. Sie haben daher alles versucht, um die Produktion weiterlaufen zu lassen. Denn ein erfolgreicher Streik hätte eine gefährliche Signalwirkung für die ArbeiterInnen aller anderen Teilbetriebe der Fabrik gehabt.

Gebremster Streik für gewerkschaftliche Zwecke

Lohnstopp und Flexibilisierung mit der 35-Stunden-Woche

Wir wissen nicht, warum die Gewerkschaft Force Ouvrière (FO) bei Magna Châssis gerade Anfang November diese Streikbewegung für fast 500 Mark mehr Lohn einleitete. Den Hintergrund bildet ein im Mai getroffenes Abkommen zwischen den Einzelbetrieben und den Gewerkschaften in »Smartville« über die vorgezogene Einführung der 35-Stunden-Woche ab Juli 1999. MCC hatte schon acht Monate vorher mit Verhandlungen darüber begonnen. Es mußten nicht nur die Einzelbetriebe, die teilweise zu Konzernen mit eigenen Regelungen gehören, zu einer speziellen Regelung für die SMART-Fabrik gebracht werden. In den meisten Betrieben existierten überhaupt keine Gewerkschaften, mit denen die Chefs hätten verhandeln können. Die wurden aber dringend gebraucht, weil nach dem Gesetz Aubry die Arbeiter selbst befragt werden müssen, falls die Gewerkschaften im Betrieb bei den letzten Wahlen weniger als 50 Prozent der Stimmen bekommen haben. [8] Lediglich bei MCC selber waren Gewerkschaften vertreten, in den anderen Betrieben mußten sie - wie Liberation schrieb - erst »erfunden« werden. [9] Zwischen diesen neu installierten Gewerkschaften und den Einzelbetrieben wurde im Mai 1999 ein Abkommen unterzeichnet. Die wöchentliche Arbeitszeit wurde ab dem 28. Juni 1999 von 39 auf 35 Stunden im Jahresdurchschnitt verkürzt, mit einem Flexibilisierungskorridor von 0 bis 44 Stunden pro Woche. Der Produktionsleiter von MCC erklärte, die jungen ArbeiterInnen hätten statt der Arbeitszeitverkürzung lieber 10 Prozent mehr Lohn gehabt. Der Vertrag vom Juli bedeutete das Gegenteil. Die ArbeiterInnen bekommen zwar weiterhin den Lohn für 39 Stunden, aber dieser wurde für ein (bei Krupp Automotive für zwei) Jahre eingefroren. Neue Lohnverhandlungen sollte es nicht vor dem kommenden Frühjahr geben. Damit die Gewerkschaften ihr Gesicht bewahren konnten, wurde die Einstellung von 74 neuen ArbeiterInnen in ganz »Smartville« für ein Jahr (!) zugesichert.

Dieses Abkommen machte jegliche Hoffnung der ArbeiterInnen zunichte, absehbar mehr Lohn zu bekommen und unterwarf sie zugleich einer weiteren Flexibilisierung. Was diese bedeutet, hatten sie schon im April '99 zu spüren bekommen. Nach Ostern hatte MCC die Produktion für zwei Wochen eingestellt - angeblich, um die Einführung der 35-Stunden-Woche vorzubereiten, in Wirklichkeit jedoch wegen der schlechten Verkaufszahlen. Die ausgefallene Arbeitszeit wurde den ArbeiterInnen anschließend als tägliche Überstunden wieder abverlangt.

Kalkulierter Streikbeginn

Anfang November war die FO, die bei Magna Châssis (150 Beschäftigte) Fuß zu fassen versuchte, aus dem Stillhalteabkommen ausgebrochen und hatte Verhandlungen mit der Forderung nach 1500 Francs mehr Lohn begonnen. Am 5. November erklärte sie die Verhandlungen für gescheitert und rief für Montag, den 8. November, zum Streik auf. Es war wahrscheinlich kein Zufall, daß sie gerade diese Woche aussuchte. Donnerstag, der 11. November, war ohnehin Feiertag, und der folgende Freitag schon lange als arbeitsfreier Brückentag vorgesehen. Es ging also erstmal nur um drei Arbeitstage, und das verlängerte Wochenende würde genug Zeit zu einer friedlichen Einigung auf dem Verhandlungsweg bieten. Dabei hoffte die FO vermutlich, mit dem für Montag (15.11.) groß angekündigten Produktionsstart der Dieselversion des Smart Druck ausüben zu können. Zu dieser Vorgehensweise paßt das schnelle Herunterschrauben der ursprünglichen Forderung auf 800 Francs in den Verhandlungen am Donnerstag.

Am Montagmorgen versammeln sich 70 ArbeiterInnen von Magna Châssis um halb sechs an der zentralen Zufahrt, die etwa zwei Kilometer vom Haupteingang der Fabrik entfernt von einem Kreisverkehr abzweigt. Aber erst am Abend beginnen sie mit der Blockade der Zufahrt - und das auch nicht besonders konsequent. Einige CGT-Aktivisten der Firma Behr unterstützen sie.

Im Laufe des Tages treten 130 der 200 ArbeiterInnen von Surtema-Eisenmann in den Streik, verlassen aber nicht das Fabrikgebäude. Ebenso beginnen etwa 100 der 135 ArbeiterInnen von Magna-Doors zu streiken und beteiligen sich an den Streikposten. Wir wissen nicht, wann und wie die Entscheidung in den anderen beiden Firmen getroffen wurde, sich am Streik zu beteiligen. An den Streikposten ist aber klar, daß auch hier die Gewerkschaften das Geschehen dirigieren. Im Unterschied zu Magna Châssis sind die ArbeiterInnen von Magna-Doors von der CGT organisiert, bei Surtema von der CFDT und der CGT. Ein Arbeiter von Magna-Doors erzählt uns, die Gewerkschaft sei erst höchstens zwei Monate bei ihnen aktiv. Er uns seine Kollegen seien vor einem Monat Mitglied geworden. Warum die von Châssis bei der FO, die von den Türen bei der CGT sind, kann uns keiner von ihnen erklären. Viel mehr als die Hoffnung auf mehr Lohn verbindet sie nicht mit »ihren« Gewerkschaften - zumal es kein oder nur minimales Streikgeld gibt.

Aufrechterhaltung der Produktion um jeden Preis

Das wichtigste Ziel der bestreikten Zulieferer und von MCC ist es, die Produktion aufrechtzuerhalten. Magna Châssis läßt Arbeiter aus der Magna-Fabrik in Sindelfingen kommen und heuert bei deutschen Leiharbeitsfirmen Streikbrecher an; die Chefs und Vorarbeiter stellen sich selbst an die Maschinen. Gegen den Einsatz der Leiharbeiter erwirkt die FO nach ein paar Tagen eine gerichtliche Verfügung. Am Streikposten werden wohl doch immer wieder LKWs mit produktionswichtigen Teilen durchgelassen. Im Zusammenhang mit dem fehlenden Streikgeld erzählt uns ein Arbeiter von Magna-Doors fast stolz, man habe einen LKW mit Ladung für ihre Firma durchgelassen, nachdem ihnen dafür die Bezahlung von zwei Streiktagen zugesichert worden war! Es kommt zwar zu einigen Unterbrechungen an den Bändern, aber insgesamt läuft die Produktion weiter. Ausgehend von den offiziellen Angaben über die just-in-time-Organisation der Produktion ist schwer vorstellbar, wieso der Streik nicht schneller einen völligen Produktionsstopp bewirkt hat. Entweder existieren doch größere Puffer zwischen den einzelnen Produktionsschritten, als behauptet wird, oder MCC und die Zulieferer konnten sich durch vorgezogene Anlieferungen und Teileproduktion auf den lange genug angekündigten Streik einstellen. Unklar ist auch, ob und in welchem Umfang MCC die Bänder mit unvollständigen Autos weiterlaufen ließ, auch wenn dann z.B. die Türen nachträglich montiert werden müßten. Das politische Ziel war es auf jeden Fall, die tatsächliche Zerbrechlichkeit und Angreifbarkeit der modernen modularen Fabrik vor den ArbeiterInnen zu verbergen.

Einen offiziellen Produktionsstopp gibt es erst am Mittwoch um 17 Uhr. Von 22 Uhr bis zum Montag morgen war wegen des Feiertags ohnehin die Einstellung der Produktion vorgesehen. Das heißt, in der ersten Woche des Streiks kann MCC den offiziellen Produktionsstopp auf fünf Stunden begrenzen. Die FO kündigt die Unterbrechung des Streiks bis zum Montag, um 5.30 Uhr an, um die Bezahlung des Feiertags zu sichern. MCC und die Zulieferer erhalten damit die Möglichkeit, über das lange Wochenende ihre Vorräte aufzufüllen und vorzuarbeiten.

Fortsetzung des Streiks in der zweiten Woche

Obwohl die Forderung nach 1500 Francs mehr Lohn den Unmut aller ArbeiterInnen über ihre Situation zum Ausdruck brachte, formulierte jede Gewerkschaft für ihren Betrieb gesonderte Forderungen und verhandelte einzeln. Für MCC war es hingegen klar, sich massiv in sämtliche Verhandlungen einzumischen, da sie die Gesamtproduktion berührten. Magna Châssis hatte auf die Forderung der FO hin eine Lohnerhöhung von 200 Francs ab März 2000 angeboten und am Mittwoch Einmalzahlungen von 400 bis 600 Francs, was von der FO abgelehnt wurde. Sie schraubte aber ihre Forderung zunächst auf 800 Francs und am Sonntag schließlich auf 400 Francs sofort, 660 Francs ab Januar herunter.

Ab Montag um 5.30 Uhr wird der Streik wieder aufgenommen und die Zufahrt blockiert. Zum ersten Mal scheint sich der Streik spürbar auf die Produktion auszuwirken. Die Bänder kommen öfter zum Stillstand und um 18.30 Uhr wird die Produktion ganz eingestellt. Von den geplanten 250 Smarts konnten nur 70 gebaut werden. MCC beginnt die Frage zu diskutieren, ob es zur technisch bedingten Aussperrung (chomage technique) übergehen soll, bei der die ArbeiterInnen etwa 50 Prozent des Lohns vom Arbeitsamt bekommen. Damit würde der Streik für alle ArbeiterInnen zu finanziellen Einbußen führen, während nur etwa 300 für höhere Löhne kämpfen. Zudem hat MCC gegen die Blockade vor dem Arbeitsgericht geklagt, worüber am nächsten Tag entschieden werden soll. Am nachmittag kommt es noch zu einem häßlichen Zwischenfall: ein Arbeiter von MCC versucht, mit seinem Auto die Kette der Streikposten zu durchbrechen und verletzt dabei einen der Streikenden schwer.

Am Dienstag morgen gibt MCC die Entscheidung bekannt, 1200 ArbeiterInnen in die technische Arbeitslosigkeit zu schicken. Den ganzen Vormittag über wird verhandelt, während die ArbeiterInnen an den Streikposten unsicher sind, wie es weitergehen soll. Am Nachmittag kommen die Gewerkschaftsvertreter zurück, mit unterschiedlichen Verhandlungsergebnissen für die drei Betriebe. Dadurch werden die ArbeiterInnen, die sich in ihrem Kampf für die 1500 Francs zusammenfinden konnten, wieder gespalten. Der beste Vorschlag scheint für die von Magna Doors vorzuliegen, die nun von den anderen mißtrauisch beäugt werden. Und als sie schließlich zustimmen (Lohnerhöhungen zwischen 200 und 500 Francs), geben auch die von Magna Châssis nach und stimmen einer Erhöhung der Bruttolöhne um 200 Francs ab Januar zu, verbunden mit der Zusicherung, daß die für November und Dezember schon zugesicherte Anwesenheitsprämie von 400 Francs trotz des Streiks ausgezahlt wird.

Noch vor der auf 16.30 Uhr angesetzten Gerichtsverhandlung über die Blockade wird sie von den Streikenden aufgehoben. Am Mittwoch morgen soll die Arbeit wieder aufgenommen werden, falls bis dahin auch bei Surtema das schon vorliegende Abkommen unterschrieben wird. Bei Magna Châssis versuchen einige ArbeiterInnen, den Streik fortzusetzen. Etwa 30 oder 40 von ihnen gehen nicht an die Arbeit, sondern verteilen Flugblätter. Trotzdem beginnt die Produktion bei Châssis mit der Frühschicht, und ab 14.30 Uhr läuft die Gesamtproduktion wieder. Am Abend stimmen die noch streikenden ArbeiterInnen für die Wiederaufnahme der Arbeit am Donnerstagmorgen.

MCC hat durch fünf Tage Streik 900 Autos verloren - bei einer geplanten Tagesproduktion von 400 bis 450 Stück also nicht einmal die Hälfte. Aus Gewerkschaftskreisen verlautet, daß man diesen Rückstand in drei Samstagsschichten wieder aufholen könne. Nach dem Streik werden täglich über 500 Autos montiert, was einer Jahresproduktion von 130 000 entspricht. Die eigentlichen Gewinner des Streiks sind die Gewerkschaftsorganisationen. Sie haben innerhalb von ein bis zwei Monaten einige Hundert neue Mitglieder gewonnen und sind nun die anerkannten Verhandlungspartner in den Zulieferbetrieben. Die miesen Lohn- und Arbeitsbedingungen wurden mit ihrer Hilfe tarifvertraglich festgeschrieben. Und MCC hat mithilfe der Gewerkschaften gezeigt, daß sich der Schaden durch Streiks bei einzelnen Zulieferern in Grenzen halten läßt.

Das Gefühl der Isolation unter den ArbeiterInnen
und die Ohnmacht des Kapitals

Abgesehen von der Lokalpresse hat der Streik kaum Öffentlichkeit gefunden. Erst im Nachhinein wurde er breiter wahrgenommen und als Hinweis auf die Anfälligkeit dieses »ultra-modernen« Produktionskonzepts gewertet. [10] Im linken oder gewerkschaftlichen Milieu fand er keine Beachtung. Als wir sie fragten, ob Delegationen von anderen Autofabriken sie besucht hätten, lachten sie nur. Peugeot oder Renault, das sei doch eine ganz andere Welt, da würde man richtiges Geld verdienen. Und an Unterstützung von Gewerkschaftern bei Daimler in Deutschland bräuchte man gar nicht zu denken, bei den Löhnen und Bedingungen, die sie dort hätten. Daß ihr Streik eine besondere Bedeutung haben könnte, weil er die Probleme dieser modernen Modellfabrik offenlegt und zeigt, wie auch prekarisierte und in Zulieferbetriebe aufgespaltene ArbeiterInnen Macht entwickeln können, verstehen sie (noch) nicht. Es macht den Eindruck, als würden sie sich selber so klein und unbedeutend vorkommen wie dieses lächerliche Mini-Auto, das sie in dieser trostlosen Landschaft produzieren. Ihr Streik war tatsächlich wenig spektakulär, ein von Anfang an von den Gewerkschaften gemanagter Konflikt, in dem die jungen ArbeiterInnen kaum Chancen hatten, ihre eigenen Ideen, Bedürfnisse und Kampfformen auszudrücken.

Dies ist umso verrückter, als schon im November eine ganze Welle von Kämpfen begann, bei denen es überall um die mit der 35-Stunden-Woche verbundenen Versuche zur weiteren Flexiblisierung der Arbeit und zur Senkung der Löhne geht. [11] Anfang November hatten die ArbeiterInnen bei Renault-Flins für fünf Tage die Arbeit niedergelegt, bis ihnen eine Zusatzprämie von 1000 Francs zugestanden wurde. Später kam es auch bei Renault in Douai und in Cléon zu Arbeitsunterbrechungen. Es gab offensichtlich keinerlei Initiative, diese Konflikte mit dem Streik bei SMART in Hambach in Verbindung zu bringen. Genausowenig haben die beteiligten Gewerkschaften in der SMART-Fabrik versucht, die formale Getrenntheit der täglich zusammenarbeitenden ArbeiterInnen in verschiedene Unternehmen und unterschiedliche Arbeitsverhältnisse aufzuheben. Im Gegenteil, sie haben separat verhandelt und die unterschiedlichen Verhandlungsergebnisse noch dazu benutzt, einen schnellen Streikabbruch herbeizuführen. Ebensowenig wurde die Frage der Befristungen und der Leiharbeitsverhältnisse in der SMART-Fabrik zum Thema gemacht.

Diese Isolation der Streikenden hat dazu beigetragen, daß sie ihr Handeln nicht als Klassenmacht gegenüber dem Kapital begreifen konnten. Ganz praktisch ist die Verwertung des Kapitals aber in diesem modernen Fabrikkonzept in extremer Weise auf ihre tagtägliche Zusammenarbeit quer zu den künstlichen Grenzen der Betriebe und Beschäftigungsverhältnisse angewiesen. Jedesmal, wenn einzelne Gruppen von ArbeiterInnen irgendwo in der Zulieferkette, im Transport oder in der Endmontage aus Wut über dieses Elend die Brocken hinschmeißen, wird dies wieder sichtbar werden. Darin liegt das langfristige Dilemma des Kapitals. SMART-Chef Bölstler konnte nach dem Streik stolz verkünden, man sei mit einem blauen Auge davongekommen und denke nicht daran, das Produktionskonzept zu ändern: »Ein Prozent Ausfälle durch Streiks kommt uns immer noch billiger, als wenn wir das ganze Fertigungssystem in Beton hauen«, d.h. Lagerbestände aufbauen würden. Diese Aussage zeigt aber auch, wieviel für die Automobilindustrie auf dem Spiel steht. Die Kostenvorteile der modularen Produktionsweise sind zwangsläufig mit einer extremen Anfälligkeit verbunden. Wenn die ArbeiterInnen darin eine gemeinsame Macht erkennen, wäre auch dieses Modell nach über zwanzig Jahren von Experimenten mit neuen Produktionsformen in der Autoindustrie gescheitert. Und was bleibt ihnen dann?

 

Noch ein Streik - beim »Systempartner« Dynamit Nobel
Die Spannung in der SMART-Fabrik ist mit dem Streik im November nicht beseitigt worden. Am 17. Januar 2000 traten etwa 100 der 265 ArbeiterInnen des Zulieferbetriebs Dynamit Nobel in den Streik. Die Gewerkschaften CGT und CFTC forderten trotz des vereinbarten Lohnstopps eine allgemeine Lohnerhöhung von 500 Francs und eine individuelle Anwesenheitsprämie von 400 Francs. Dynamit Nobel hatte 400 Francs angeboten, wenn dafür sechs Stunden wöchentlich mehr gearbeitet werde - was praktisch auf eine Lohnerhöhung von 80 Francs hinausliefe. Der Streik wurde am 18. Januar fortgesetzt. Das neue Angebot von 200 Francs Lohnerhöhung lehnten die Streikenden ab und kündigten am 18.1. an, ihren Streik fortzusetzen (nach Le Républicain Lorrain vom 18. und 19.1.2000; in den folgenden Ausgaben wurde über den Ausgang des Streik nicht mehr berichtet).

 


Fußnoten:

[1] Harald Bölstler: »smartville - die Fabrik der Zukunft«, in: technologie & management Nr. 3, 1999, und Pressemitteilungen von MCC.

[2] »Smart kämpft sich über steinigen Weg voran«, in: Frankfurter Rundschau vom 4.12.1999.

[3] Le Républicain Lorrain vom 15.12.1999.

[4] »'Ob ich arbeitslos werde, ist mir egal.' Radikale Streikende der Gewerkschaft Force Ouvriére legten am Montag die Produktion im Smart-Werk Hambach lahm«, Saarbrücker Zeitung, 16.11.99.

[5] Der zitierte Korrespondent der Saarbrücker Zeitung gibt die »Stimmung an den Smart-Bändern« mit dem Zitat wieder: »Die da draußen sollten froh sein, dass sie Arbeit haben«. Ob er dies von Fabrikchef Bölstler weiß, den er ansonsten zitiert, oder von den ArbeiterInnen selbst, bleibt unklar.

[6] Liberation vom 3.10.98; über Verlauf und Ausgang dieser Aktion ist nichts weiter bekannt geworden.

[7] Nach taz vom 13.11.99.

[8] Diese Stärkung der Gewerkschaften durch die staatliche Gesetzgebung ist ein wichtiger Grund für deren Begeisterung über das 35-Stunden-Gesetz. Dafür wird von ihnen erwartet, daß sie die reibungslose Umsetzung der Abkommen gegenüber den ArbeiterInnen auch durchsetzen - womit sie momentan einige Probleme haben. Siehe zur Geschichte der Arbeitszeitverkürzung in Frankreich und zum Gesetz Aubry den Artikel in dieser Ausgabe des Wildcat-Zirkular.

[9] Liberation vom 12.7.99.

[10] »Herbstlicher Blues in 'Smartville': Der erste Streik zeigte die Anfälligkeit eines neuartigen Auto-Produktions-Konzeptes«, titelte am 3.12.99 der österreichische Standard, von der »Zerbrechlichen Modellfabrik« schrieb die französische Liberation am 18.11.99.

[11] Siehe den Artikel dazu im ak Nr. 435, sowie eine ausführliche Auflistung und Einschätzung in »Dans le monde une classe en lutte«, Januar 2000, www.altern.org/luttes.


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