Wildcat-Zirkular Nr. 58 - Dezember 2000 - S. 24-33 [z58oiluk.htm]


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Brief zu den Energiepreis-Blockaden auf der Insel

Es kam wie aus heiterem Himmel: Anfang September 2000, Trucker und Kleinbauern auf den Autobahnen und rings um die Ölraffinerien, ein plötzlicher Ausbruch direkter Aktion in Schottland, Wales und England. Nach den 1990ern - den schlimmsten Jahren, was Industriearbeiterstreiks bzw. städtische riots betrifft, die diese Inseln seit Jahrhunderten erlebt hatten - passierte endlich etwas. Und dieses »etwas«, das die Leute überall in ihrer eigenen Wahrnehmung der Geschehnisse spürten, begann wiederum, den sich wandelnden Charakter dieser unausgegorenen Proteste zu verändern. Die Dinge begannen sich überraschend positiv zu entwickeln.

Das alles paßte nicht in die bekannten Schubladen, und daran störten sich diejenigen, die auf klare gesellschaftliche Paradigmen stehen, von denen aus man mit Beleidigungen um sich werfen kann: »kleinbürgerliche Unternehmer«, »kleine Geschäftsleute«, »anti-ökologische Dickschädel« usw.. Obwohl es in Wirklichkeit mehr als Beleidigungen waren, das war schon Müllentsorgung. Entweder waren sie rechte französische Poujadisten - die faschistisch angehauchten kleinen Geschäftsleute und so - von Mitte der 50er; oder sie waren wie die chilenischen LKW-Fahrer, die beim Sturz Allendes halfen und die Militärdiktatur Pinochets an die Macht brachten. Im wesentlichen waren sie dumpfe, blöde, Banner mit dem Heiligen Georg herumschwenkende, asylantenklatschende, antigewerkschaftliche, habgierige, den Planeten verschmutzende Tiere - Steve Bell, der Schoßlinke des Guardian, der sich seine Sporen damit verdient hatte, Majors Tory-Jahre in Satire zu fassen, porträtierte sie am deutlichsten. Die traditionell rechte Presse dagegen unterstützte die Protestler - Daily Mail, Daily Express, Daily Telegraph, The Times und die Sun; nachdem sie die französischen Aktionen der Woche zuvor noch als typisch gallische Exzesse verdammt hatten, die wohl als Züchtigung eine Neuauflage im Stile Waterloos erforderten. Typischer Opportunismus machte sich hier breit, denn als die Ereignisse dann außer Kontrolle zu geraten drohten, wurden sie entschieden nervöser bei der Aufrechterhaltung ihrer gutbürgerlichen Interpretation der Rebellion.

Hinter dem ganzen Müll verbarg sich jedoch ein altbekanntes Thema der englischen Gesellschaft: Handarbeiter gehören zu den untersten der Unteren, und sie machen solche Jobs nur, weil es ihnen für andere an der nötigen Intelligenz mangelt. In Frankreich, Amerika oder Deutschland findet man diese Haltung nicht so häufig. Doch hier stellt das immer noch eine Markierung dar in der unglaublichen Klassenvoreingenommenheit und Starrheit, die auch dann weitergilt, wenn du genügend Kohle gemacht hast, um deine eigene Karre zu kaufen, und auf der Leiter ein Stück nach oben geklettert bist auf die Sprosse des »kleinen Geschäftsmannes«. Du bleibst trotzdem nichts weiter als ein »Ladenschwengel«. Na super!

Wie dem auch sei, laßt uns etwas Abstand gewinnen und einige harte - sehr harte - Tatsachen betrachten. Die enorme Niederlage der Arbeiterklasse hier, und unter den bitteren und oft gewalttätigen Auseinandersetzungen der 1980er, einschließlich der städtischen Aufstände, ganz entscheidend die Zerschlagung der Bergarbeiter 1984/85, sollte riesige internationale Auswirkungen haben, insbesondere die räuberische Entstaatlichung der russischen und osteuropäischen Wirtschaften durch ein betrügerisches Freihandelsgangstertum. Für Britannien hieß das, daß der hiesige Staat mit seinem geharnischten kriegerischen Wirtschafts-Liberalismus wütend über jeden herfallen wollte (von der Schlächterin Thatcher in einem berühmten Ausspruch als »der innere Feind« beschrieben), der es gewagt hatte, ihn in Frage zu stellen. Für diejenigen, die diese neue Verschiebung im Kapital nicht willkommen hießen, wurden passende Begriffe geprägt wie »Dinosaurier« usw.. Nur daß die Dinosaurier jetzt vielleicht länger überleben werden, sollte es keine soziale Revolution geben - nun, da das Kapital um des Profites willen drauf und dran ist, die Welt gleichzeitig in Flammen aufgehen zu lassen und zu ersäufen.

Mit der Zerstörung einer ganzen Menge Fabrikproduktion, bei der gewöhnlich die Maschinerie woanders hin verkauft und das Werk geschlossen wurde, mithilfe von Finanzkonzernen in einer triumphalistischen City of London, Seite an Seite mit der Tendenz zu ausgehöhlten Firmen auf dem Bau und was alles noch, die alle keine Leute mehr fest anstellen, waren viele entlassene Arbeiter gezwungen (mehr oder weniger), sich selbständig zu machen, die Dienste eines Buchhalters in Anspruch zu nehmen und ihr eigenes fixes Kapital zu kaufen (LKW, kleine Werkstätten und dergleichen). Genauer, es hieß entweder das - oder Sozialhilfe und die Aussicht auf andauernde Belästigungen und Bestrafungen in der Maske lächerlicher Pseudo-Qualifizierungsmaßnahmen oder geringfügig milderer Formen von Arbeitszwang als in den USA. Im Endeffekt hatten sie keine Wahl. Diese Minimasse von absichtlich pseudo-individualisierten Leuten wurde zu einer wahren Armee von »Unternehmern wider Willen«, wie wir sie bald zu nennen begannen. Es war ein Anzeichen für die Verkleinbürgerlichung des Proletariats. Zumindest sah es so aus...

Denn genauso war es ein Anzeichen für die Proletarisierung des Kleinbürgertums. Viele der in diese Position Gezwungenen waren davon keineswegs ab Startschuß brandheiß begeistert, und in Wirklichkeit hatten sie regelrecht Angst vor diesem Schritt. Und das mit Recht. Oft mußten sie weit härter arbeiten, waren »auf Bereitschaft« mit nem Handy, das Tag und Nacht klingelte, machten sich bis zur Schlaflosigkeit Sorgen, wieviel wohl die Versicherung übernehmen würde und wieviel sie selbst zahlen müßten, falls mal etwas passieren sollte, alles Dinge, für die früher ihre Arbeitgeber Verantwortung übernommen hätten. Die Wochenenden mit Lernen verbracht und mit der Wartung der Maschinerie, den du willst ja den Kies nicht dafür ausgeben, daß du das von einer Firma oder einem anderen Arbeitsburschen wie dir selbst gemacht bekommst. Weiter, keine Lohnfortzahlung, kein Urlaubsgeld und keine Nebenleistungen wie auf Montage die Unterbringung in einem Hotel - Ausgaben, die du früher vortäuschen konntest. Du hattest vielleicht mehr Geld (und oft, über kürzere Zeiträume, einen Haufen mehr), wenn alles gut lief, zu anderen Zeiten saßest du in der Scheiße ohne Paddel und mit Schulden, die dir über den Kopf wucherten, immer am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Im besten Fall Entschädigungen für den Mangel an wirklichem Leben, auf das du vielleicht mal gehofft hattest, sublimiert mittels endloser Urlaubsreisen mit Animation und der Ästhetisierung des gemütlichen Heims mit einem Nachbau einer antiken Uhr am richtigen Platz über dem elektrischen Kaminfeuer. Keine so richtig dolle Entschädigung für so wenig Leben.

Ein Freund von uns ist Tiefbauer, er war angestellt bei einem amerikanischen Multi. Die Firma schmiß ihn mit der einen Hand raus und bot ihm mit der anderen an, Teile ihrer eigenen, langfristigen Kontrakte zu übernehmen. Zum einen paßte ihnen das besser, weil ihr Verantwortungsbereich sich verkleinerte, falls irgendwas passieren sollte (z.B. daß die Maschinerie die Grätsche macht nach einem Wartungsbesuch usw.). Wahrscheinlich hieß das für sie ein wenig höhere Dividenden für die Anteilseigner durch den Anstieg der Profitmargen. Unser guter und ruhiger Freund hatte sich immer auf eine etwas spaßhaft demagogische Weise über »die Arbeiter« ausgelassen - wenn er ein bißchen getrunken hatte, haute er seine Faust auf die Tische der Pubs usw., zum Spaß zogen wir ihn damit auf, daß wir sagten: »Bist jetzt'n Geschäftsmann, wa«. Darauf drehte er hohl, hämmerte seine Faust noch härter auf den Tisch und brüllte uns an: »Ich bin immer noch ein verdammter Arbeiter!«

Ein anderes Ereignis, das vielleicht mehr auf den Punkt kommt. In den 1980ern arbeiteten wir mal auf einer Baustelle in London, wo ein großer Anteil der Jungs Bauern aus den Bergen von Wales waren. Sie waren gut in ihrem jeweiligen Beruf, den sie meist aus der Notwendigkeit heraus gelernt hatten, daß sie jeden Tag ihre kleinen Farmen in Stand halten mußten. Dinge wie Zimmern, Dachdecken und Mauern. Wir kamen ins Gespräch, wie das halt so ist, zwischendurch oder in den Pausen. Kein kleiner Teil der Gespräche drehte sich um ihre Farmen, die lange Arbeitszeit, den Arbeitsbeginn vor Sonnenaufgang und das Arbeitsende ein gutes Stück nach Sonnenuntergang - oft mußten sie nachts ran - und das alles für sehr wenig Kohle. Schließlich sagten sie, daß sie das Leben da draußen eben mochten und die Berge, aber daß sie, wenn sie nicht regelmäßig über den Winter in London arbeiteten, kaum überleben könnten. Wenn sie weg waren, kümmerten sich ihre Frauen und Söhne um die Wirtschaft zuhause. Sie unterhielten sich völlig offen und freundlich darüber und waren kein Stück nervös. Naja, abgesehen von ihrem Vorarbeiter, aber das ist halt so mit Vorarbeitern. Der Subunternehmer war ebenfalls ein Bauer, aber irgendwie ein Stück besser dran als die anderen, und obwohl er unterschiedslos an uns allen verdiente, gab es zwischen ihm und den anderen aus den Bergen eine Ebene besonderer Freundlichkeit. Und tatsächlich gewann man schnell den Eindruck, daß der Subbie ein gerissener Typ war, der voll absahnte und vor Freude, gemischt mit Schuldgefühl, rot anlief, wenn er dich auf besonders elegante Weise eingeseift hatte, etwa so wie er zuhause die Schafe schor, nur daß er dort vielleicht etwas mechanischer zu Werke ging. Er erzählte sogar uns allen, daß wir, wenn wir den Job rechtzeitig fertigkriegten, einen Freibesuch bei einer Prostituierten bekämen. Wie bei seinen anderen Leistungsanreizen konnten wir's erst mal nicht glauben, denn da wurde sowieso nie was draus! Außerdem wäre es uns zu peinlich gewesen. Einige Jahre später sahen wir plötzlich einige dieser Bauern aus den Bergen im Fernsehen. Wie ein Chamäleon hatte der Subunternehmer sich für einen Augenblick in einen Rebellenführer verwandelt und einen Protest gegen den Besuch des Tory-Landwirtschaftsministers organisiert und wurde beschuldigt, ihn mit Eiern beworfen zu haben. Nun kommt schon, Leute, Che Guevara war auch Präsident der kubanischen Staatsbank!

Also, sagen wir mal in den Blockaden Anfang September 2000 war in der Mischung der beteiligten Leute irgendwas von all diesem Zeug am Start, aber dazu kam, daß einige relativ große Firmen hatten, obwohl die wirklich großen wie Eddie Stobarts anscheinend nicht teilnahmen. Es war eine bunte Mischung, eine Büchse der Pandora an Erwartungen, die sich genauerer Beschreibung entzieht. Einige waren als Streikbrecher gefahren, das stimmt, was der TUC {Trade Union Congress; brit. Gewerkschaftsdachverband} da behauptet, wobei er allerdings seine eigenen, viel schlimmeren, brutalen Streikbrecherabsichten dahinter versteckt. Genauso waren einige von ihnen am »Winter of Discontent« {Winter der Unzufriedenheit; Streikwelle in Britannien 1978/79} beteiligt gewesen und mehr als nur ein paar waren nach den Zechenstillegungen ehemalige Bergarbeiter, Erben jenes großen und vorzeitig abgebrochenen Aufstandes. Und diese Mischung mit einem undefinierten, aber deutlich wahrnehmbaren »Arbeiter«-Element ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, daß LKW-Fahrer vor dem Zaun in der Lage waren, sofort freundschaftliche Kontakte mit Tanklasterfahrern im Depot aufzubauen - von denen viele ebenfalls nicht direkt bei den Ölgesellschaften angestellt waren!

Auf ideologischer Ebene wurde seinerzeit (im Fernsehen und in der Presse) eine Menge Wind darum gemacht, daß die in den Raffinerien »in der Falle sitzenden« Fahrer Gewerkschaftsmitglieder waren und die draußen nicht, mit dem Ziel, eine genau berechnete Spaltung herbeizuführen, der aber keine lange Lebensdauer beschieden war. Und so wurden T&G-Vertreter {Funktionäre der TGWU - Transport General Workers' Union; brit. Transportarbeitergewerkschaft} gezeigt, wie sie mit großem Einsatz versuchten, die Fahrer dazu zu überreden, die Ölversorgung zu den Tankstellen wiederaufzunehmen, angefeuert vom Boss der T&G, Bill Morris. Dieser lehnte auf der jährlichen Konferenz des TUC die Proteste schärfstens ab und maulte irgendwas von »Anarchie darf nicht herrschen« usw. (Interessanterweise schrieben einen Monat oder so später einige Anarchisten an den Sunday Observer, wo sie diesen Quatsch noch ein bißchen aufwärmten, indem sie sich von den häßlichen LKW-Fahrern distanzierten und dabei die saubere Geschichte des wahren Anarchismus hochhielten. Sicher würden die Anarchisten die gekaufte bürokratische Rolle von Bill Morris und dem TUC ablehnen, aber in dem Punkt, daß sie beide die Proteste als reaktionär ansahen, gab es wenig Unterschied zwischen ihnen). Für einen Moment begann etwas anderes sich zu entfalten. Möglicherweise zupfte irgendein T&G-Funktionär Bill am Ärmel und sagte etwas wie: »Hey Mann, komm mal runter, einige der Fahrer bei den Blockaden sind Gewerkschaftsmitglieder. Denk dran, sie benutzen unsere Rechtsabteilungen, weil die Labour-Regierung unter anderem die Rechtsbeihilfe für Leute mit Einkommen abgeschafft hat. Ich meine, verdammt noch mal, du wolltest die Gewerkschaftsbewegung modernisieren, und jetzt haben wir keine andere Wahl, wir müssen da jetzt durch. Hey, und übrigens, wir wollen nicht noch mehr Mitglieder verlieren, wenn die Zahlen grade wieder hochgehen. Wo wären denn unsere sicheren Einkommen, wenn wir unsere Mitglieder vergraulen. Ich meine, wir sind ja nicht gerade richtig fett im Geschäft, aber so schlecht wäre das verdammt noch mal nicht, oder?« Sicher, sie haben bestimmt nicht so »amerikanisch« geredet, aber das ist etwa der amerikanische Funktionärsstil, den sie so gerne imitieren würden, ohne jede Gemeinsamkeit mit dem Arbeitsalltag des gewöhnlichen amerikanischen Arbeiters. Plötzlich wurde ihr großmäuliges Getue und das einiger etwas hellerer Teile der Labour-Regierung vorsichtiger im Ton, z.B. der des Transportministers, des Ex-Trotzkisten Gus »der Lord« McDonald, und fürderhin sprachen sie einige der Protestler persönlich mit dem Vornamen an.

Die Protestwoche ging weiter. Deutlich sichtbar verschwand der Verkehr von den Straßen. Tagsüber waren die Straßen von Manchester geisterhaft leer, abgesehen von den Bussen. Es war ein schöner Anblick. In London war es wie ein permanenter Sonntag auf den Straßen, und die Luft roch so viel sauberer. Wenn dies ein Anti-Öko-Protest war, wie nach Ansicht der Linken, dann sah es in der unmittelbaren Praxis gar nicht danach aus.

Am selben Wochenende hatte Reclaim the Streets ein Treffen in London, zur Besprechung der Vorbereitungen für S26 {den 26. September} in Prag. Ein guter Freund ging hin, um zu sehen, was RTS zu den Blockaden sagte. Anscheinend wurden sie nicht einmal erwähnt, obwohl das bei weitem die größte Sache war seit den Poll Tax riots 1989/90. Später im Pub gab es nebenher ein paar Bemerkungen, aber es klang alles nach der üblichen »kleinbürgerlich«-Sichtweise, das könne sicherlich mal was Größeres werden und authentischer radikal - aber später! Die komplette Büchse der Pandora mit allem Guten und Schlechten entfuhr ihnen und die »Hoffnung« - die letzte Überraschung in der Büchse - war sicherlich nicht das letzte, was heraussprang. Also, wäre das nicht genau der Zeitpunkt gewesen, zu einer großen spontanen Street Party aufzurufen, sich alle auf die Räder zu schwingen und zu diskutieren, was gerade ablief? Der gesellschaftliche/psychologische Panzer wurde wieder aufgebrochen, und ein Stück Kommunikation höherer Intensität hinzuzufügen - wie etwa eine Street Party zu organisieren - könnte in einem solchen Augenblick schnell dabei helfen, die wachsende Isolierung und wirkliche, echte Stille weiter zu entfrosten. Wenn das ganze schon angeblich anti-öko ist, weil der Protest sich in unmittelbaren Ausdrücken um den Spritpreis dreht, warum nicht eine unmißverständlich klare und deutliche Öko-Dimension hinzufügen?

Mit anderen Worten - wieder harte Tatsachen - könnte man sagen, RTS kann global nicht von global unterscheiden. Obwohl das der erste internationale Streik in Europa war, so war es doch auch eine Revolte einer bedrohten bäuerlichen Gemeinschaft gegen die Globalisierung in der Landwirtschaft. Die Farmen sind jetzt vom einfachen Agro-Business zu riesigen Flächen übergegangen, die von Agronomen bewirtschaftet werden, von Saatgut- und Düngerspezialisten mit engen Verbindungen zu mächtigen Biotech-Multis wie Monsanto, und sie sind im Besitz riesiger Finanzkörperschaften, meist verborgen in der City of London und Wall Street. Täuscht euch nicht, solche Ranches sind auf diesen Inseln schon seit einiger Zeit im Kommen. Diese riesigen Ranches konkurrieren unvermeidlich weltweit miteinander, und eines ist sicher: Für den folkloristischen Herrn seiner Scholle aus der Hollywood-Mythologie, den kleinen Farmer, der sich im Western zum Schluß meist durchsetzen kann gegen den großen Rinderzüchter, ist das der letzte Vorhang. Im allgemeinen finden die Ökos ja Bauern in Indien, die von GM verändertes Rapssaatgut verbrennen, in Ordnung. Kleinbauern aus dem Südwesten Englands jedoch, die das Thema Spritpreise dazu benützen, ihre vielen Beschwerden daran zu koppeln, sind für sie lediglich Reaktionäre, möglicherweise sogar rassistische englische Nationalisten oder jedenfalls nur irgendwelche ähnlich schmeichelnden Beschreibungen wert.

Vielleicht bestand der bemerkenswerteste Aspekt der Blockade (auf der Straße sprachen die Leute jedoch von einem »Streik«) trotzdem in den anwachsenden permanenten Straßenversammlungen und Zeltlagern, die sich um die Raffinerien herum entwickelten. Obwohl der Begriff Versammlung vielleicht zu hoch gegriffen ist, wurden sie trotzdem in vielen Landesteilen täglich zahlenmäßig immer größer, als sich Leute aus allen Lebenslagen daran beteiligten. Leute, die schlicht die Schnauze bis zum letzten Backenzahn voll hatten und etwas losmachen wollten.

Das galt besonders für Stanlow, südlich Liverpools in Cheshire, sowie Grangemouth an der Westküste Schottlands. Zuerst war es nur ein Rinnsal an Leuten, das täglich anwuchs und möglicherweise zu einer Flut hätte werden können, wenn die Blockade nicht so schnell abgeblasen worden wäre. Familien schauten vorbei (die Kids hatten Spaß am Herumtollen), Taxifahrer, Bauarbeiter, Kioskbetreiberinnen, Arbeitslose, ab und zu ein feiner Pinkel oder ein Geschäftsmann genauso wie die willkommenen aber durchgeknallten Exzentriker, die man bei solchen Gelegenheiten immer trifft. Am wichtigsten: jede/r, der/die an der Blockade teilnahm, egal, wer man war, welchen gesellschaftlichen Status oder Job man hatte oder welches Geschlecht, wer da war, hatte das Recht, mitzubestimmen über praktische Vorschläge wie, ob Tankwagen rausgelassen werden sollten für bestimmte lebenswichtige Lieferungen zu der und der Stelle, sollten wir soundso kontaktieren, sollten wir um Decken nachfragen, sollten wir bleiben, sollten wir Polizeianweisungen ignorieren usw.? In Stanlow hielt ein Zauberer, der die Versammlung zwischendrin immer wieder mit seinen Tricks unterhielt, auch bei den Abstimmungen gelegentlich zwischen drei und fünf Hände hoch.

Das war in vielerlei Hinsicht der bemerkenswerteste Aspekt des Streiks bzw. der Blockade. Diese Art ultra-egalitärer, direkter Demokratie in einem quasi »Arbeitskampf« hatte es auf diesen Inseln seit sehr langer Zeit nicht mehr gegeben, wenn, dann wahrscheinlich eher noch vor der Entstehung des Gewerkschaftertums. Vielleicht zum letzten mal im 18. Jahrhundert? Wer weiß das schon? Und spielt das überhaupt eine Rolle? Wenn man während des »Winter of Discontent«, da gab es ja auch LKW-Blockaden, kein Mitglied der Transportarbeitergewerkschaft war, durfte man auf den ad hoc-Straßenversammlungen nicht mit abstimmen. Und so wurde die Stadt Hull in Ost-Yorkshire im Winter 78/79 sehr effektiv durch streikende LKW-Fahrer blockiert, die selbst entschieden, welche Versorgung und Dienstleistung in die Stadt durfte. Es war kolossal. Es war erinnernswert. Aber hätten diese Trucker irgendwem erlaubt, dort aufzutauchen und sich an ihren Entscheidungen zu beteiligen, wenn man keine Mitgliedskarte der Gewerkschaft hatte? Und mag das auch bestes Basisgewerkschaftertum gewesen sein, das potentiell die Überwindung der Gewerkschaftsform andeutete, hätten diese Fahrer in der inspirierenden Kälte jenes verschneiten Winters, der heute so weit weg scheint, zu einem solch erhellenden, aber auch notwendigen Sprung angesetzt?

Es war genau diese ultra-offene Versammlungsform, die außer Kontrolle zu geraten schien - und zwar sehr schnell. Und da liegt der Hase im Pfeffer! Trotz allem gab es einen Widerspruch zwischen den Transportunternehmern und der Versammlung selbst: schließlich waren die Transportunternehmer und Bauern, weil sie sich zu Recht aufgrund einer Autorität, die auf Kühnheit basierte, solches Prestige erworben hatten, in der Lage, den Protest abzublasen, und zwar ohne große Auseinandersetzungen. Ihre Autorität begann, den Fluß der Verschiebungen zu bremsen, den sie selbst in Bewegung gesetzt hatten. Im wesentlichen hatten sie Angst bekommen vor ihrer eigenen Macht und schreckten vor ihrer eigenen Stärke zurück. Vielleicht sahen sie, wie wenige sie zahlenmäßig waren - höchstens zwei- bis dreitausend tatsächliche LKW-Fahrer und Bauern -, und doch hatte ihr Erfolg damit begonnen, daß sie innerhalb weniger Tage eine Situation hervorriefen, in der Anzeichen für eine Doppelherrschaft am Horizont aufblitzten. Wer wäre nicht erschrocken angesichts solcher Verantwortung? Sie spürten vielleicht, daß diese Versammlungen, besonders die großen, anfingen, einen eigenen Rhythmus zu entwickeln: die Heißsporne (woher und wer auch immer, und wen juckt's) hielten ihre Zungen nicht mehr im Zaum.

Sie kapitulierten - und wie! Auf einen Schlag exponierten sie ihre eigene Naivität und ihren Mangel an Erfahrung, als sie die ganzen alten, in Ehre ergrauten, schwachsinnigen Argumente betreffs moralischer Siege und des guten Willens benutzten, zugunsten eines Placebos »zum Durchatmen« 60 Tage lang usw.. Sie schafften es gerade mal so, die Niederlage vor den Zähnen des Sieges zu retten. Nicht einmal der hölzernste gewerkschaftliche Streik hätte es dabei bewenden lassen. Kein Abkommen; kein Stück Papier mit irgendeiner Unterschrift darauf; gar nichts!

Besonders, wenn es um offenen Protest geht und um direkte Aktionen von unten, ist das genau das, was man nicht tun darf, wenn man es mit dem blutrünstigen britischen Staat zu tun hat. Der Dracula-Staat hier, dessen Fänge immer noch vom Lebensblut der Bergarbeiter triefen, der Drucker, der Seeleute, Docker, der städtischen Aufständischen und aller anderen, die schlicht wirklich anders und authentisch sein wollten, wird guten Willen einfach nicht anerkennen. Was er erkennt und wovon er lebt, ist Schwäche. Ein Interregnum gibt ihm einfach nur Zeit, um zum Todesstoß anzusetzen. Manch ein alter Knacki aus den alten Schlachten schüttelte ungäubig den Kopf. Hatten während der Blockade nicht einige der Protestierenden gesagt, jetzt hätten sie etwas von dem verstanden, was die Bergarbeiter 1984/85 durchgemacht hatten, und das aus so unwahrscheinlichen Ecken wie von Truckern aus Essex? Klar, abgesehen von einigen wenigen besänftigenden und heuchlerischen Worten besteht das einzige, was der Staat aktiv betreibt, darin, mit Unterstützung des Verbandes der britischen Industrie, der Polizeichefs und des TUC sicherzustellen, daß nie wieder etwas Ähnliches passiert, selbst wenn das heißt, das Leben jedes rebellischen Truckers und Kleinbauern zu zerstören. Und sie werden das auf die Art und Weise tun, mit der sie sich auskennen: Geldstrafen, Enteignungen und Schulden, nicht so sehr mit Knast und Märtyrertum. Das ist die moderne Methode. Die Methode des Geldes.

Dave W., Ende Oktober 2000


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