Wildcat-Zirkular Nr. 59/60 - Juli/August 2001 - S. 89-90 [z59aerol.htm]


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Aerolíneas Argentinas:

Mit Flughafenblockaden gegen den drohenden Ausverkauf

Die beiden Flughäfen von Buenos Aires sind seit Wochen immer wieder Schauplatz heftiger Auseinandersetzungen zwischen Polizei und protestierenden ArbeiterInnen der Fluggesellschaft Aerolíneas Argentinas. Sie campen in der Halle, verhindern das Einsteigen der Passagiere und blockieren die Pisten, um die Schließung des Unternehmens und die Entlassung der verbliebenen 7000 Beschäftigten zu verhindern.

Die argentinische Fluggesellschaft Aerolíneas Argentinas ist ein typisches Beispiel für neoliberale Umstrukturierung, in diesem Fall allerdings nicht durch ein Privatunternehmen, sondern durch einen anderen Staat. 1990 hat die spanische Regierung Aerolíneas über ihre eigene Fluggesellschaft Iberia und über SEPI (Staatliche Gesellschaft für Industriebeteiligungen von Spanien) aufgekauft. Seitdem wurden 5000 Leute entlassen, die 34 Flugzeuge bis auf eines verkauft, die Wartung nach El Salvador, Israel, Neapel, Irland und Porto Alegre verlagert, und die Flugrouten nach Europa bis auf eine an Iberia übertragen. Die endgültige Abwicklung von Aerolíneas ist nun für Ende Juli geplant. Iberia hat Erfahrung mit solchen Operationen: vorher haben sie die venezolanische Fluggesellschaft VIASA aufgekauft, heruntergewirtschaftet und die Reste schließlich verkauft und geschluckt.

Der aktuelle Konflikt: Im April verlangt die Firma als Bedingung für die Fortführung des Unternehmens, daß die ArbeiterInnen einer Lohnsenkung und schlechteren Arbeitsbedingungen zustimmen, und sie macht die Auszahlung der Löhne von dieser Zustimmung abhängig. Die Proteste beginnen mit einem achttägigen Streik, und gehen mit Demos, Bürobesetzungen, einem Camp in der Innenstadt und Aktionen auf den Flughäfen weiter. Ende Mai unterschreiben sechs der sieben vertretenen Gewerkschaften die Verzichtserklärung. Die Techniker weigern sich und beschließen in einer Versammlung mit 800 Teilnehmern, daß sie zu keinerlei Verhandlung bereit sind, bevor nicht die ausstehenden Löhne (inzwischen zwei Monatslöhne) bezahlt werden. Als die argentinische Ministerin Bullrich, die gemeinsam mit Gewerkschaftsführern zu Verhandlungen nach Spanien gereist ist, dort verkündet, die Techniker müßten auf die Bedingungen eingehen, blockieren hunderte von ArbeiterInnen einen Flug von Iberia. Mit einem flexiblen Blockadekonzept gelingt es ihnen trotz massiven Polizeieinsatzes, den Abflug zu verhindern. Am nächsten Tag besetzen sie für zwölf Stunden das Büro von Aerolíneas in der Innenstadt, und auf beiden Flughäfen blockieren Piloten, Techniker und Bodenpersonal die Pisten. Die Techniker besetzen ihre Werkstatt, da sie befürchten, sonst am nächsten Tag nicht mehr reingelassen zu werden.

Am 2. Juni werden schließlich die Aprillöhne ausgezahlt. Nach einem Aktionstag und einem Generalstreik verschärft sich der Konflikt Mitte Juni wieder, als Aerolíneas ankündigt, die verbliebenen Europaflüge nach Madrid und Rom ebenfalls zu streichen. Mit der Parole »Wenn Aerolíneas nicht fliegt, fliegt niemand« blockieren ArbeiterInnen das Einchecken und die Pisten, beschimpfen die Sicherheitskräfte als Vaterlandsverkäufer, und leisten ihnen erbitterten Widerstand. Ein Arbeiter erleidet im Tränengas-nebel einen Atemstillstand und muß auf die Intensivstation gebracht werden. Iberia und Span Air streichen Flüge und bringen ihre Fluggäste in Hotels unter. Am nächsten Tag machen Stewardessen vor dem Hotel Sheraton eine Sitzblockade, um die Fahrt der Passagiere zum Flughafen zu verhindern.

Der Kampf gegen die Schließung von Aerolíneas findet in Argentinien breite Sympathie und Unterstützung - weit mehr als die zahlreichen anderen Kämpfe von ArbeiterInnen und von Arbeitslosen, die in verschiedenen Landesteilen immer wieder Überlandstraßen und Zufahrten zu den Städten blockieren. Den ArbeiterInnen von Aerolíneas ist es viel besser als anderen Entlassenen gelungen, die Öffentlichkeit für diesen Konflikt zu sensibilisieren. Beim Kampf um den Erhalt der nationalen Fluglinie mischt sich der Klassenkampf mit nationalem Gefühl, und »die Spanier« sind in Lateinamerika ein einfaches Feindbild für breite Bündnisse. Für den 9. Juli, den Tag der Unabhängigkeitserklärung von Spanien, rufen die sieben Luftfahrt-Gewerkschaften zu einer Demonstration »Für eine zweite Unabhängigkeit« auf, bei der gemeinsam die Nationalhymne gesungen werden soll. In dem defensiven Kampf um Arbeitsplätze inmitten einer heftigen Wirtschaftskrise versuchen die Gewerkschaften, aus den Interessen der ArbeiterInnen eine Frage von »Gemeinwohl« und nationalem Interesse zu machen, und appellieren dementsprechend an den »eigenen« Staat.


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