»We kehr nicht mehr for you ...«
Wenn Müllsammler sich sammeln und vom Müllsammeln abkehren... [1]
In der Woche vom 11. bis 15. Juni 2001 fand bei den Müllbetrieben in Brighton ein Arbeiterkampf statt, wie wir in England schon lange keinen mehr erlebt hatten. Entgegen dem vorherrschenden Spektakel vom sozialen Frieden griffen die Müllmänner von Brighton zur kollektiven Aktion. Sie waren gefeuert worden, als sie die Arbeit nach neu eingeführten Normen verweigert hatten. Schnell nahm ihr Kampf den Charakter einer kompletten Verweigerung der Weiterarbeit unter demselben Management an, mit passiver Unterstützung eines großen Teils der Brightoner Bevölkerung. Nach vier Tagen Betriebsbesetzung siegten die Arbeiter und zwangen den Stadtrat von Brighton dazu, den Vertrag mit den Privaten zu kündigen und die Kündigungen der Arbeiter für unwirksam zu erklären. (...)
Am Montag, den 11. Juni 2001, führte die französische Firma SITA neue Arbeitsnormen ein, die einzuhalten teilweise völlig unmöglich war, wie z.B. das Fegen von etwa 27 Kilometer Straße mit dem Besen in acht Stunden. SITA war vom Stadtrat von Brighton und Hove mit der Straßenreinigung und der Müllsammlung beauftragt worden. Als die Arbeiter von den neuen Normen hörten, weigerten sich zwölf von ihnen, diese auszuführen, und wurden suspendiert, also sofort nach Hause geschickt. Als das geschah, riefen die zwölf Arbeiter ihre Kollegen herein, die das Depot bereits verlassen hatten, und erklärten ihnen die Lage. Daraufhin kehrten alle zurück und blockierten die Einfahrten des Depots. Sie wiesen das Vorgehen der Geschäftsleitung zurück und forderten die sofortige Rücknahme der Suspendierungen. Die Antwort der Geschäftsleitung von SITA bestand darin, jetzt alle zu kündigen. Als Folge dessen besetzten die Arbeiter ihren Betrieb - so etwas war in Brighton mindestens zwanzig Jahre nicht mehr geschehen - und stellten folgende Forderungen auf:
* sofortige Wiedereinstellung aller Arbeiter (der Festen wie der Leiharbeiter)
* Kündigung des Vertrages der Stadt mit SITA
Tags darauf wurde folgende Forderung hinzugefügt:
* Gründung einer Arbeiterkooperative für Straßenreinigung und Müllsammlung
Der Stadtrat gab daraufhin SITA 48 Stunden Zeit für den Nachweis, daß die Firma in der Lage sei, die vertraglich übernommenen Arbeiten auszuführen. Bei ihren Versuchen, dem nachzukommen und den »Streik« der Arbeiter zu brechen, griff SITA auf örtliche (private) Agenturen zurück, bei denen sie Streikbrecher bestellten. Die Arbeitsplätze der 240 suspendierten Arbeiter wurden in der Lokalpresse ausgeschrieben (nicht nur in Brighton selbst, sondern auch in umliegenden Gegenden wie Worthing und Crawley).
Einige von uns (anarchistische Anhänger der Direkten Aktion und Kommunisten) beteiligten sich gleich am Anfang, sobald wir davon gehört hatten, an dem Kampf und unternahmen zusammen mit den Arbeitern Aktionen. Als allererstes gingen wir mit einigen Arbeitern zum anderen Depot, von dem aus die Streikbrecher loszogen, und hinderten die LKW daran, das Depot zu verlassen. Diese Aktion war äußerst erfolgreich: eine Person von uns kettete sich unter dem ersten Streikbrecher-LKW an, der am Tor stand, was alle anderen LKW davon abhielt, das Gelände zu verlassen. Währenddessen überredeten die Arbeiter die Mehrheit der Leiharbeiter, nicht als Streikbrecher zu arbeiten, teilweise, indem sie ihnen die Lage erklärten, teilweise, indem sie ihnen damit drohten, ihre Gewerkschaft würde dafür sorgen, daß sie in Brighton keinen Job mehr bekommen würden. Als die Feuerwehr gerufen wurde, um unseren Genossen loszuschneiden, erklärte der shop steward [gewählter gewerkschaftlicher Delegierter, ähnlich dem Vertrauensmann in Deutschland] aus dem Depot die Situation, und in einem großartigen Akt der Solidarität verweigerten die Feuerwehrleute die Mitarbeit und fuhren so schnell weg, wie sie gekommen waren. Die meisten Leiharbeiter, die auf die Anzeige hin gekommen waren, verweigerten die Arbeit, nachdem ihnen klar geworden war, daß sie zu Streikbrechern würden (das war aus der Anzeige nicht hervorgegangen), während SITA und die Geschäftsleitung der Agenturen, die ebenfalls gekommen waren, um die Situation zu kontrollieren, mit der Entwicklung der Lage keineswegs zufrieden waren. Nur ein LKW, der später ankam, konnte mit einer dreiköpfigen Besatzung rausfahren, um eine Arbeit zu erledigen, die normalerweise mehr als dreißig LKW mit jeweils fünf Mann Besatzung erfordert.
Unsere zweite Aktion betraf die Agenturen, die in Brighton Streikbrecher einstellten. In Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft und auf deren Anfrage hin schrieben wir ein Flugblatt, in dem wir die Proletarier davor warnten, daß die Arbeitsaufnahme sie zu Streikbrechern machen würde, und verteilten diese vor den Agenturen. Die Geschäftsleitungen flippten aus und versuchten uns zu stoppen, indem sie die Polizei riefen. Diese konnte jedoch nichts tun, außer abstrakte Drohungen gegen uns auszustoßen. Nachdem die Geschäftsleitungen der Agenturen merkten, daß sie schlechte Karten hatten, versprachen sie, keine Streikbrecher mehr einzustellen. Dasselbe passierte bei einer Agentur in der Nachbarstadt Worthing, die für SITA arbeitete. Nachdem wir dort Flugblätter an die Arbeiter verteilt hatten, versprach auch diese Agentur, keine Streikbrecher mehr einzustellen.
Dem Kampf der Arbeiter gab die Tatsache, daß wir es in Zusammenarbeit mit ihnen schafften, die Streikbrecher zu stoppen, noch mehr Durchschlagskraft, da SITA dadurch nicht in der Lage war, die 48 Stunden-Frist des Stadtrats einzuhalten. Ohne diesen Erfolg wären die Verhandlungen zwischen den Arbeitern, dem Stadtrat und der Firma definitiv anders verlaufen.
SITA hatte seit Beginn der Besetzung jegliche Verhandlungen mit den Arbeitern verweigert, während die Leihfirma direkt Drohungen ausstieß, um dem Kampf das Rückgrat zu brechen. Nachdem jedoch die Arbeiter zu Aktionen gegriffen und öffentliche Unterstützung erfahren hatten, griff der Stadtrat vermittelnd ein, und ein weiteres Treffen wurde vereinbart. Dort wurde folgende Vereinbarung getroffen: SITA verliert den Vertrag und beendet die Müllentsorgung zum September, die Kündigungen aller entlassenen Arbeiter werden aufgehoben, die Löhne für die Woche der Besetzung voll bezahlt sowie die alten Normen von vor dem 11. Juni wieder eingeführt. Entlassungen müssen zukünftig mit der Gewerkschaft GMB abgesprochen werden, und alle Änderungen der Arbeitsorganisation werden in Zukunft von einem Vertreter des Stadtrats überwacht.
Nach dem September soll es eine andere Lösung geben, die noch unklar ist. Als Neuestes haben wir gehört, daß der Stadtrat eine andere Privatfirma in den Vertrag aufnehmen will. Gleichzeitig arbeiten die shop stewards an einem Plan zum Aufbau einer Arbeiterkooperative. Die wahrscheinlichste Möglichkeit ist jedoch die Verpflichtung einer anderen Privatfirma, da eine Arbeiterkooperative die nötigen Mittel erst auftreiben müsste.
Die Wilden Streiks kehren zurück ...
Dieser Kampf scheint aus dem Nichts entstanden zu sein, und doch gibt es Anzeichen für einen allgemeinen Aufschwung von Klassenkämpfen im Vereinten Königreich, in erster Linie von wilden Streiks. [2] Nur einige Monate vor den Aktionen der Straßenreiniger verbreitete sich ein wildcat-Streik bei der Post in wenigen Tagen übers ganze Land. Nachdem ein Postamt in Nordengland sich geweigert hatte, einen Plan zur Intensivierung der Arbeit anzunehmen, versuchte das Management, sie durch andere Postarbeiter zu ersetzen. Aber wohin sie sich auch wendeten, war die Nachricht über den Streik bereits eingetroffen, und dieser verbreitete sich wie ein Lauffeuer, außer Kontrolle der Gewerkschaften. Das Management war gezwungen, seine Pläne zurückzuziehen. Bei der Eisenbahn stießen Pläne zur weiteren Privatisierung andauernd auf Streiks oder zumindest deren Androhung, und auch dort war das Management gezwungen, seine Pläne zurückzustellen oder gar aufzugeben. Der Erfolg all dieser Aktionen ist ganz klar dem Umstand zuzuschreiben, daß die Arbeiter sich entschlossen, ungesetzliche Aktionen, also wilde Streiks anzuwenden, die über die langwierigen offiziellen Vorgehensweisen von Gewerkschaften hinausgehen.
Die Straßenreiniger repräsentieren eine ähnliche Bastion des Widerstands der Arbeiterklasse mit einer langen kämpferischen Tradition. [3] Viele der Arbeitsweisen stammen aus der Zeit vor der Privatisierung der Straßenreinigung (die vor zehn Jahren stattfand!), und SITA hatte seit langem versucht, daran etwas zu ändern - ohne besonderen Erfolg.
Es gab Spekulationen, daß SITA die Situation provoziert hätte (ohne sich jedoch vorstellen zu können, daß sie eine derartige Reaktion ernten würden), um einen neuen Versuch zu starten, die Verhaltensweisen der Arbeiter aus der »schlimmen Vergangenheit« loszuwerden. SITA hätte die erste Suspendierung in dem Wissen begonnen, so hieß es, daß sie nur dazu in der Lage wären, mehr Profit herauszuholen, wenn sie die Arbeit neu organisierten. Sie hätten darauf gesetzt, daß der Rest der Belegschaft auf die Suspendierungen reagieren würde, und wenn sie sie alle rausgeschmissen hätten, könnten sie sie alle einzeln mit neuen Verträgen wieder einstellen. Die hätten dann die neuen Normen enthalten sowie spürbare Lohnsenkungen und, noch wichtiger, die Stärke und Solidarität der Arbeiter gebrochen. Diese Taktik war jedoch nicht von Erfolg gekrönt: die Arbeiter ließen sich nicht spalten. Durch ihre ungesetzlichen Maßnahmen zwangen die Arbeiter das Management in die Defensive. Die Vermittlungen, die ein offizieller Streik vorschreibt, spielten keine große Rolle.
Der Kampf der Arbeiter war auch deswegen in einer besseren Position, weil Vollbeschäftigung herrscht. Das erklärt zum Beispiel, warum die privaten Agenturen schnell gezwungen waren, die Einstellung von Streikbrechern einzustellen, sowie die Tatsache, daß viele der Streikbrecher, die in dem zweiten Depot aufgelaufen waren, leicht überredet werden konnten, den Streik nicht zu brechen, da sie leichter als früher einen anderen Job finden konnten.
Die meisten Bewohner von Brighton unterstützten den Streik sofort, denn sie hatten die Erfahrung gemacht, daß die private Übernahme der Müllbeseitigung durch SITA eine Verschlechterung der Dienstleistung bedeutete, denn die Arbeiten waren weniger regelmäßig und schlechter ausgeführt worden. Obwohl sich nun der Müll in den Straßen stapelte, trafen wir während der ganzen Woche des Kampfes keinen einzigen Menschen, der die Arbeiter dafür verantwortlich machte. Ihr Kampf war vergesellschaftet und gewann dadurch an Stärke. Ähnlich wie bei den Kämpfen bei der Eisenbahn, wo der Verlust an Sicherheit (um nur einen Aspekt zu nennen) eine direkte Folge der Privatisierung war, aber mit einer stärkeren Dynamik in ihren Aktionen, erschütterte der Kampf der Müllarbeiter die gesellschaftliche Gleichgültigkeit und erfaßte die gesamte Bevölkerung der Stadt Brighton, wenn auch meist auf eine passive Weise. Die sichtbare Teilnahme von Aktivisten der direkten Aktion an dem Kampf ist ebenfalls ein Beweis dafür, daß er für andere offen war und alle anging.
Es war wohl auch so, daß der Stadtrat mit SITA nicht gerade zufrieden war, den Vertrag aber auf legale Weise nicht kündigen konnte. Der Kampf der Arbeiter scheint dem Stadtrat die Gelegenheit verschafft zu haben, auf eine Beendigung des Vertrags zu drängen. Das würde erklären, wieso der Stadtrat sich dafür entschied, eine Frist von 48 Stunden zu verhängen, wozu sie niemand gezwungen hatte, und auch die negative Haltung der Lokalpresse erschiene dann in einem anderen Licht. Trotzdem bleibt all das Spekulation, denn es ist genauso möglich, daß diese Gerüchte verbreitet wurden, damit der Eindruck entstände, es sei keineswegs unmöglich, SITA loszuwerden.
Wie wurde der Kampf organisiert?
Die völlige Einheit der Arbeiter bei allen Aktionen war einer der wichtigsten positiven Aspekte dieses Kampfes. Die Mehrheit der Arbeiter verbrachte die meiste Zeit im besetzten Depot (mit improvisierten Schlafplätzen und Essen aus der Kantine oder Sandwiches usw.), sie hatten ein Schichtsystem für die Bewachung der Einfahrten aufgestellt, und alle beteiligten sich bereitwillig an praktischen Aufgaben (Streikposten stehen, zu Leiharbeitsfirmen in Nachbarstädten fahren usw.). Die meiste Zeit herrschte eine gute Stimmung. Und obwohl es nie offen ausgesprochen wurde, gab es Sabotage, wurden gewisse Manipulationen an der Maschinerie vorgenommen, um für den Fall einer polizeilichen Räumung einer erzwungenen Rückkehr zur Arbeit vorzubeugen. Nicht wenige Arbeiter waren darauf vorbereitet, sich zu wehren, falls die Polizei versuchen sollte, sie zu räumen (Besen und andere Stöcke standen griffbereit in der Nähe der bewachten Eingänge), auch wenn es ihr erklärtes Ziel war, es bei einer gewaltfreien Aktion zu lassen.
SITA ist eine Firma mit Sitz in Frankreich, und wir machten uns Sorgen wegen der Möglichkeit, daß der Kampf einen »nationalen« Inhalt bekommen könnte. Doch wenn es auch gelegentlich zu anti-französischen Äußerungen kam, so blieben diese doch am Rand und waren keineswegs bestimmend für den Kampf. Der Argus, ein für seine reaktionäre Haltung bekanntes Brightoner Lokalblatt, versuchte zwar durchaus, die Karte des Nationalismus auszuspielen [4], hatte damit aber keinen Erfolg.
Eines der Probleme, das wir von Beginn des Kampfes an sahen, war jedoch der Mangel an Kommunikation und Information zwischen den Arbeitern. Die ganze Organisation, der Informationsfluß, jede Aktion und jedes Flugblatt ging, auf die eine oder andere Weise, durch die Hände des Gewerkschaftsvertreters. Und dies hatte verschiedene Auswirkungen auf den Kampf:
Einerseits bedeutete das, daß viele der Arbeiter selbst keine genauen Informationen darüber hatten, was gerade ablief, auf welchem Stand die Verhandlungen gerade waren, oder welche Entscheidungen gerade getroffen wurden. Das hieß, daß es jede Menge Gerüchte gab, was ihren Streß manchmal nicht gerade verringerte.
Andererseits war es auch für uns schwierig, von den Arbeitern selbst die komplette Story zu bekommen. Auch wir waren abhängig vom gewerkschaftlichen Vertreter (zum einen zwecks praktischer Aktionen, zum anderen zum Verständnis der Gesamtlage), und wir konnten nicht einfach irgendeinen Arbeiter danach fragen. Oft diskutierten wir mit einigen Arbeitern über bestimmte Fragen des Kampfes, und wenn es darum ging, eine Entscheidung zu treffen, verwiesen uns die meisten an die Gewerkschaft.
Wir können aber nicht abstreiten, daß sich der Vertreter der Gewerkschaft korrekt und kämpferisch verhielt und kein einziges Mal versuchte, sie zu verkaufen oder das Vertrauen zu mißbrauchen, das sie ihm entgegenbrachten, was das beinahe unbeschränkte Vertrauen erklärt. Und in der Tat wurde der Beitrag der Gewerkschaft durch die Militanz der Arbeiter selbst bedingt. Nachdem wir mit den Arbeitern gesprochen hatten, war uns klar, daß es bei einem anderen Gewerkschaftsvertreter sicherlich mehr Versuche zur Selbstorganisation oder zur Basisinitiative von Gewerkschaftsmitgliedern gegeben hätte. (...)
Die Leiharbeiter
Vielversprechend war auch der Grad an Einheit zwischen den Leiharbeitern und den Festangestellten. Beide Seiten hatten beschlossen, daß sie zusammenhalten und es zusammen durchkämpfen würden, was auch immer passieren würde, als ob sie sich beide in derselben Lage befänden. Das war insbesondere auch für die Leiharbeiter wichtig, da ihre Position viel unsicherer war als die der Festen und viele noch nicht einmal richtige Verträge hatten, da die Agentur sie immer wieder vertröstete. [5] Einer der Leiharbeiter, mit denen wir uns trafen, hatte schon mehr als fünf Monate auf seinen Vertrag gewartet!
Die Agentur versuchte sich in einer ganzen Bandbreite von Taktiken, um die Leiharbeiter von den Festen abzuspalten, was von dummen Tricks bis zu offenen Drohungen variierte. Zunächst baten sie ihre Arbeiter, sich mit ihnen in einem anderen Depot zu treffen, zu einer Lagebesprechung. Wie sich herausstellte, hatte ihr Plan darin bestanden, sie zur sofortigen Arbeitsaufnahme (also als Streikbrecher) aufzufordern, wobei Verweigerer mit sofortiger Entlassung zu rechnen hätten. Ihre Hoffnung war gewesen, daß sie die Arbeiter auf dem falschen Fuß erwischen würden und sie, getrennt von den anderen Arbeitern, zwingen könnten, zu akzeptieren oder ihren Job zu riskieren. Das funktionierte jedoch nicht, da alle Arbeiter kapierten, worum es dabei ging, und versprachen, bei ihrer Position der Arbeitsverweigerung zu bleiben. Keiner von ihnen erschien bei dem geplanten Treffen mit dem Management der Agentur.
Nachdem dieser Plan gescheitert war, griff die Agentur schnell zu offenen Drohungen, rief bei den Arbeitern zuhause an und informierte sie darüber, daß sie sich als entlassen betrachten könnten, wenn sie sich nicht im anderen Depot einfänden. Die meisten dieser Arbeiter verbrachten ihre Zeit jedoch im besetzten Depot und konnten die Anrufe so nicht entgegennehmen (und die es dennoch taten, leiteten die Nachricht an die anderen weiter, gaben aber vor, ebenfalls nichts davon gehört zu haben). Gleichzeitig bestätigten der Gewerkschaftsvertreter und die shop stewards den Beschluß, daß alle Arbeiter zusammenhalten würden, was auch immer geschehe, und daß alle gefeuerten Leiharbeiter die volle Unterstützung der Gewerkschaft hätten.
Am dritten Tag der Besetzung nahmen einige von uns an einem Treffen zwischen Leiharbeitern und einem der shop stewards teil. Offensichtlich gab es einige Spannungen zwischen den Leiharbeitern und der Gewerkschaft, aber es gelang uns nie herauszufinden, worum es dabei genau ging, weil sich niemand klar ausdrückte. So wie wir es verstanden, hatten die Leiharbeiter Angst, daß die Gewerkschaft einen Deal mit SITA machen und sie außen vor lassen könnte. Der shop steward war sehr darauf bedacht, keine solchen Gerüchte aufkommen zu lassen, und versicherte ihnen aufs Neue, daß die Gewerkschaft hinter ihnen stünde, solange sie hinter dem Kampf stünden. Doch er fügte auch hinzu, mit autoritärem Ton in der Stimme, ihm sei klar, daß »einige« Leiharbeiter herumliefen und Latrinenparolen verbreiteten und daß, sollte das andauern, er sich persönlich »darum kümmern« würde (was immer das heißen sollte). Er fügte hinzu, daß er es nicht zulassen würde, daß ihnen jemand in den Rücken falle, und daß die Leiharbeiter aufpassen sollten, was sie täten, denn schließlich seien sie hier nur »Gäste«. Natürlich wandten sich viele Arbeiter gegen diesen Begriff (»Wir sind Teil des Kampfs, keine Gäste«), und der shop steward ließ das schnell wieder fallen. Das Treffen endete damit, daß alle einmütig bestätigten, daß sie bis zum Ende kämpfen würden, in Einheit und Solidarität.
Während der folgenden Tage der Besetzung sahen wir keine weiteren Anzeichen einer Meinungsverschiedenheit zwischen den Leiharbeitern und der Gewerkschaft, obwohl einige der Leiharbeiter sich wegen der umlaufenden Gerüchte über die genaue Bedeutung des endgültigen Vorschlags des Stadtrats Sorgen machten, als der Gewerkschaftsvertreter von dort zurückkehrte.
Arbeiter und Aktivisten (und mittendrin die Gewerkschaft)
Vom ersten Moment an, als wir uns an diesem Kampf beteiligten, war klar, daß weder die Arbeiter noch die Gewerkschaft uns als Politikos sahen, die nur ihre Zeitungen verkaufen wollen. Der Grund dafür war, daß wir dort ankamen und Essen, Decken und unsere Bereitschaft mitbrachten, an Aktionen teilzunehmen oder diese mitzuorganisieren. Im Gegensatz zu den Sozialisten, die später dort eintrafen, hatten wir keine Zeitungen, die den Arbeitern erklären wollten, was sie taten, sondern wir nahmen teil, um ihren Kampf zu unterstützen. Die Arbeiter begrüßten uns mit Freude und Freundschaft, und diese Haltung änderte sich nicht bis zum Schluß (nach Beendigung des Kampfs schlugen die shop stewards vor, in Verbindung zu bleiben, und falls wir je Hilfe bräuchten, würden sie uns ohne zu zögern helfen, indem sie z.B. eine Arbeitsniederlegung für uns organisieren würden). Und als die Bullen einige von uns an der Einfahrt zum Depot anhielten, gab uns der Gewerkschaftsvertreter Einsatzwesten, wie sie die Arbeiter tragen, damit wir das Gelände ohne Probleme betreten und verlassen konnten. Es war offensichtlich, daß die Arbeiter unseren Beitrag (einschließlich des Plakatierens und des Flugblattverteilens überall in der Stadt) als Teil ihres Kampfes anerkannten.
Gleichzeitig und obwohl wir mit jeder Menge Arbeitern Kontakt hatten, blieben unsere Hauptansprechpartner der Gewerkschaftsvertreter und die shop stewards. Gemeinsame Aktionen konnten wir nur über sie organisieren (z.B. die Streikbrecher stoppen oder diejenigen Agenturen mit Flugblättern versorgen, die diese beschäftigten), und oft waren sich viele Arbeiter dessen nicht bewußt, daß wir unsere Aktionen mit dem Gewerkschaftsvertreter absprachen (obwohl dies kein Problem für sie darzustellen schien, vermutlich aufgrund ihres Vertrauens zur Gewerkschaft). Tatsache war, daß der Gewerkschaftsvertreter und die shop stewards jederzeit dazu bereit waren, den Einsatz zu erhöhen (und das taten sie auch, als beschlossen worden war, die Streikbrecher zu stoppen), und das genügte uns, um mit der Gewerkschaft auf gutem Fuß zu bleiben.
In bestimmten Momenten war uns klar, daß die Gewerkschaft unsere »Erfahrungen« bei direkten Aktionen ausnützte (wie bei dem Sich-unter-den-LKW-Anketten), aber wir waren uns alle dessen bewußt, und insofern wir die Aktionen sowie ihren Zweck gut fanden, waren wir dazu bereit, dieses Gefühl zu ignorieren. Erst nachdem einige Aktionen, die wir vorbereitet hatten (oder bei denen wir sogar schon mittendrin waren), von der Gewerkschaft zurückgepfiffen wurden, wurde die Möglichkeit diskutiert, eigene Initiativen in Angriff zu nehmen, ohne die Zustimmung der Gewerkschaft zu suchen, und sie nur mit den Arbeitern zu diskutieren. Wenn wir allerdings in Betracht ziehen, daß wir bei einem Kampf, der sich zu keinem Zeitpunkt verallgemeinerte, Außenseiter blieben, hätten derlei Initiativen sich als kontraproduktiv erweisen können. Doch durch die Art und Weise, in der sich die Dinge entwickelten, wurden solche Zwickmühlen unbedeutend.
Auch die Auswirkungen des Kampfs auf die Szene der AktivistInnen hatten ihre Bedeutung. Im Gegensatz zu der Zersplitterung, in der diese sich meist befindet, brachte dieser Kampf viele von ihnen zusammen. Viele der AktivistInnen wollten unbedingt teilnehmen und helfen [6], und am dritten Tag hielten etwa 30 Leute aus der Szene der Anhänger der direkten Aktion eine ad-hoc-Versammlung ab und beschlossen, durch Brighton zu ziehen, nach Streikbrecher-LKW zu suchen und diese aufzuhalten. Dazu kam, daß viele der Leiharbeiter, die als »Streikbrecher« im zweiten Depot aufliefen, aus der Szene der Anhänger der direkten Aktion kamen. Als sie hörten, was abging, war klar, daß niemand von ihnen als Streikbrecher arbeiten würde, und so weigerten sie sich sofort, die Linien der Streikposten zu durchbrechen. Die Teilnahme von Anhängern der direkten Aktion am Kampf rückte auch einige ihrer Vorgehensweisen in den Vordergrund. Die Bullen kennen ihre Taktiken mittlerweile ziemlich gut, und wenn diese bei den üblichen direkten Aktionen angewandt werden, wird ihre Effektivität nicht so sichtbar. Aber diesmal waren die Bullen völlig überrascht, als sie ähnlichen Taktiken bei einem Arbeiterkampf gegenüberstanden. Man könnte daraus diverse Erkenntnisse ziehen.
Was nun?
Gemessen am Potential des Kampfs war das Ergebnis definitiv ein Sieg für die Arbeiter (auch wenn einige sich wütend darüber äußerten, daß SITA bis September im Geschäft bleiben soll). Die abschließende Einigung erfüllte einen Großteil der Forderungen, und der Aufbau einer Arbeiterkooperative bleibt eine der möglichen Optionen, obwohl wir das, wie gesagt, für ziemlich unwahrscheinlich halten. Außerdem löst eine solche Entwicklung keines der wirklichen Probleme. Obwohl die Arbeitsbedingungen für die Arbeiter möglicherweise (zumindest für eine Weile) besser wären, wenn der Aufbau einer Kooperative gelänge, stellt eine solche Lösung im Endeffekt nur die Selbstverwaltung ihrer Ausbeutung dar. Natürlich schafft jeder Kampf sich seine eigene Dynamik und damit seine eigenen Potentiale. Und wenn wir in Betracht ziehen, daß der Kampf der Straßenreiniger nicht inmitten einer verallgemeinerten Krise der Gesellschaft stattfand, die es erlauben würde, daß sich weitere Möglichkeiten eröffnen und radikalere Umwandlungen stattfinden, sind wir versucht zu sagen, daß eine Arbeiterkooperative einen (teilweisen) Sieg der Arbeiter darstellen würde. Aber wenn wir denken, daß eine Arbeiterkooperative keine Aussicht haben kann, so entspringt das nicht einer ideologischen Sichtweise, die mit allem unzufrieden ist, was nicht konkret die Lohnarbeit und das Wertgesetz angreift. Indem sie sie für ihre eigene Entfremdung verantwortlich macht, integriert eine Arbeiterkooperative die Arbeiter als »gleiche« Mitglieder einer kapitalistischen Gesellschaft, in der sie selbst für deren Profite verantwortlich sind. Eine solche Situation würde wahrscheinlich die meisten von ihnen davon abhalten, sich an Kämpfen zu beteiligen, wenn für das Kapital das nächste Mal Veränderungen der Arbeitsbedingungen notwendig werden.
Für uns liegt die hauptsächliche Bedeutung dieses Kampfes darin, daß die Arbeiter sich dafür entschieden, illegale kollektive Aktionen anzuwenden, daß sie sich bis zum Schluß einig blieben, und daß sie ihren Kampf offen hielten für weitere Kreise der Gesellschaft, die schließlich alle zu ihrem Sieg beitrugen. Obwohl die Aussichten für wirklich günstige Entwicklungen in diesem Betrieb eher schlecht wirken, bleibt die Frage, inwiefern ihr Kampf andere in der Region oder gar im Vereinten Königreich beeinflussen wird, weiterhin offen. (...)
Brighton, Juli 2001
Fußnoten:
[1] Leicht gekürzte Übersetzung eines Textes aus Brighton. Der vollständige englische Originaltext befindet sich auf www.wildcat-www.de.
[2] Hier sollten wir eine Veränderung bei den Gewerkschaften nicht außer Acht lassen. In dieser Zeit der Vollbeschäftigung legen viele Gewerkschaften eine neue kämpferische Haltung an den Tag, wobei sie teilweise die Politik von New Labour direkt angreifen.
[3] Viele der älteren Arbeiter hatten mehr als zwanzig Jahre bei der Straßenreinigung gearbeitet. Der letzte größere Streik, an dem sie teilgenommen hatten und an den sich viele erinnerten, war ein vierzehnwöchiger Streik mit Besetzung im Jahr 1976, einschließlich offener Straßenschlachten mit der Polizei. Und erst kürzlich, vor wenigen Monaten, hielten die Müllmänner ein Sit-In ab aus Protest gegen die Weigerung des Managements, die versprochenen Zuschläge zu zahlen. Auch diese Aktion war erfolgreich gewesen.
[4] Der Argus berichtete über den Sieg der Arbeiter auf der ersten Seite mit der Schlagzeile »AU REVOIR SITA«.
[5] Einer der Arbeiter erklärte uns, daß es in der Vergangenheit im wesentlichen zwei Agenturen gegeben hatte, die Leiharbeiter für die Straßenreinigung zur Verfügung stellten. Eine davon zahlte mehr Geld als die andere, die gemäß Vertrag nur dann Zulagen zahlte, wenn innerhalb einer Woche eine bestimmte Anzahl von Stunden überschritten wurde. Als sich irgendwann Arbeiter der zweiten Agentur über den Unterschied zwischen ihren Bedingungen und denen der anderen Agentur beschwerten, beschloss SITA, daß eine Angleichung der Standards nötig sei, kündigte den Vertrag mit der ersten Agentur und stellte alle Arbeiter über die zweite Agentur wieder ein, was die Löhne aller Leiharbeiter auf das niedrigere Niveau senkte.
[6] Allerdings hörten wir, daß einige Tierrechts-Aktivisten sich weigerten, sich am Kampf zu beteiligen, weil die Arbeiter 'sexistisch' seien (und vielleicht sogar 'Fleischfresser'). Abgesehen von der Lächerlichkeit solcher moralischer Haltungen wurden solche Dinge durchaus für möglich gehalten (immerhin handelte es sich um einen Betrieb mit etwa 250 Menschen ausschließlich männlichen Geschlechts), doch die Situation im Depot, die wir vorfanden, machte jegliche derartige Spekulation gegenstandslos. Niemand von uns erlebte irgendeine Art von 'Sexismus' oder 'Rassismus'. Ein Aktivist machte die Bemerkung, wenn die anarchistische Buchmesse in London lediglich aus 250 Männern bestünde, würden sexistische Haltungen definitiv stärker aufscheinen, als es uns im Depot entgegentrat.