Wildcat-Zirkular Nr. 59/60 - Juli/August 2001 - S. 114-121 [z59inant.htm]


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Antifa in Indonesien

Interview mit der Aksi Anti-Fasisme/Rasisme (Antifaschistische und antirassistische Aktion, AFRA), Jakarta

Obwohl es an fast jeder Ecke ein Internetcafé gibt, ist die indonesische Gesellschaft insgesamt immer noch relativ isoliert vom Rest der Welt. Dafür gibt es viele Gründe, die wichtigsten sind die tatsächlich große Abgeschnittenheit während der 30 Jahre Diktatur und die Sprachbarriere. Wenig Ausländer verstehen die Bahasa Indonesia (obwohl leicht zu erlernen) und aufgrund der Armut (die in Dollar gerechnet unvorstellbar groß ist) haben nur sehr wenige IndonesierInnen die Gelegenheit, ein halbwegs brauchbares Englisch zu lernen. Deshalb blüht eine reiche und große Punk-, Hardcore- und Redskin-Szene, die sich vor allem an den Symbolen der Szene in den westlichen Ländern orientiert. In dieser breiten Jugend-Szene bewegen sich erste revolutionäre Organisationsansätze. Die örtlichen Gruppen sind locker zusammengeschlossen im »Jaringan Antifasi Nusantara (Jafnus)« (Antifaschistisches Netzwerk des Archipels).

Dabei ist der Antifaschismus in Indonesien keine modische Attitüde oder eine Ersatzideologie für den fehlenden Klassenkampf, sondern definiert in ganz anderer Dimension wie in Europa die alltägliche Erfahrung von Unterdrückung und Bedrohung durch faschistische Kräfte, die sich aus den alten halbstaatlichen Massenorganisationen der Diktatur und neuen fundamentalistisch-islamischen oder sich ethnisch definierenden Gruppen zusammensetzt, die allesamt beste Beziehungen zu Polizei- und Militärapparat besitzen.

Die GenossInnen wissen um ihre praktische, politische und theoretische Abgeschnittenheit und wollen das schleunigst ändern. Das folgende Interview mit der AFRA in Jakarta soll genau diesem Zweck dienen: Erstmal die Vorstellung der Gruppe mit dem Ziel, andere Gruppen und Leute zur Kontaktaufnahme und zur Diskussion zu ermuntern. Es geht um die Herstellung einer explosiven Mischung: Nur aus dem Austausch von Erfahrungen und Analysen aus dem globalen Klassenkampf kann eine notwendige Erneuerung revolutionärer Theorie und Praxis erwachsen.

Bitte schreibt an:
dislike@mailcity.com oder berontak_recs@yahoo.com
in Bahasa Indonesia oder möglichst einfachem Englisch.

Was ist die AFRA? (Selbstdarstellung)

Die AFRA ist eine Organisation, deren Mitgliedschaft offen ist für alle, nicht beschränkt in Bezug auf Religionszugehörigkeit, Abstammung, Geschlecht oder politische Einsichten. Die AFRA ist unabhängig und nicht an andere Massenorganisationen gebunden, wie etwa politische Parteien oder NGOs. AFRA arbeitet manchmal mit solchen Organisationen zusammen, aber auf vorübergehender oder taktischer Ebene.

Die AFRA ist eine Widerstandsorganisation, geboren aus einem gemeinsamen Verständnis darüber, daß die Entwicklung der Situation und die Bedingungen im Land immer düsterer werden und für die Leute immer schlechter. Das Regime der kapitalistischen, feudalen und militärischen Machthaber hört nicht auf, Maßnahmen zu ergreifen, die gegen die Menschenrechte gerichtet sind und das Leben der kleinen Leute kaputt machen. Das Volk hat eine Veränderung zum Besseren erhofft, wie es erst mal von den Machthabern versprochen worden ist. Aber es wird immer deutlicher, was daraus geworden ist. Die horizontalen Konflikte zwischen Gruppen innerhalb der Gesellschaft geschehen weiterhin und werden nie abschließend gelöst. Wo gibt es ein Leben in Gerechtigkeit, Sicherheit und Wohlstand?

Angesichts dieser Situation und dieser Bedingungen steht die AFRA untrennbar als Teil des Volkes für Anstrengungen, Bewußtsein und Stärke von unten aufzubauen, und will auf dieser Ebene einen Prozeß von gemeinsamem Lernen, um wirkliche Veränderungen zu bewirken, in denen Menschenrechte, Gerechtigkeit und Wohlstand hochgehalten werden.

Für eine soziale Gesellschaft mit Gerechtigkeit, Wohlstand, Absicherung und ohne Unterdrückung kämpfen wir gegen

Interview mit der AFRA

Wie lange gibt es die AFRA schon?

Im Unterschied zur Wildcat ist die AFRA noch jung. Seit dem 26.6.1999.

Wie seid Ihr organisiert?

Gewiß haben wir keine Organisationsstruktur, in der es einem Einzelnen oder einer Gruppe allein möglich ist, seine Fähigkeiten und Wünsche zu den Wünschen der Gemeinschaft zu machen (Zentralismus).

Wer organisiert sich in der AFRA?

Diesbezüglich sind wir nicht beschränkt... Männer, Frauen, 15 jährige, Künstler, Punks, Kleinhändler oder städtische Arme.

Wie groß ist die AFRA?

Bei unseren Aktionen machen schon eine Menge Leute mit, jedenfalls genug, daß wir zum Spuk geworden sind für alle Kapitalbesitzer, Militärs und die radikalen Intelektuellen, die nur auf einen Sitz im Parlament scharf sind.

Warum sieht man bei der AFRA so wenig Frauen?

Weil hier die gesellschaftliche Kultur etwas anders ist als in Europa. In Indonesien ist die Gesellschaft noch immer schwer mit der Wertschätzung feudaler Verhältnisse beladen, einschließlich der Frage des Geschlechts. Hier haben Frauen kein Recht, so frei zu sein, wie sie es wünschen. Sie haben nicht die Freiheit, sich zu organisieren, wie sie es wollen, oder sich das Leben selbst zu gestalten, zum Beispiel dürfen sie abends nicht das Haus verlassen.

Was sind Eure Ziele?

1. Eine Veränderung herbeiführen, die von ganz unten, aus den Graswurzeln, kommt.

2. Gemeinsam ein neues Bewußtsein bauen, das Gleichheit hervorbringt.

Welche Diskusionen werden bei Euch geführt?

Themen, die mit den Schritten in Richtung Veränderung der gesellschaftlichen Situation zusammenhängen, wie etwa das Problem der Theorie des Materialismus, der Dialektik und Geschichte ebenso wie das der Kunst, die auf der Seite des Volkes steht, bzw Kunst als Propaganda.

Wie sind Eure Beziehungen zu anderen Organisationen?

Unsere Beziehungen zu anderen Organisationen sind nur taktischer Natur. Eine Bedingung unter anderen ist, dass sie das gleiche wie wir wollen und immer einen hohen Wert auf Menschlichkeit und Demokratie legen.

Woher kommt die Krise in Indonesien?

Weil das feudalistische, kapitalistische und militaristische Regime so mächtig ist. Um sein Monopol im gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Terrain zu behalten. Es handelt sich um eine multidimensionale Krise im gesellschaftlichen Leben.

Warum die Geldkrise?

Es gibt ein Defizit im Staatshaushalt, das sich immer weiter aufbläht, Auslandsschulden, Privatschulden, Intervention von Monopolen und dem Staat in die Wirtschaft.

Und die politische Krise?

Weil die Möglichkeiten, sich zu organisieren, beschränkt sind. Es gibt weder Organisationsfreiheit noch Pressefreiheit und dazu die Heiligsprechung der Staatsideologie Pancasila (»Einheit in Vielfalt«, Korporatismus, Religion. Red). Die Leute werden blind gemacht gegenüber den politischen Problemen.

Gab oder gibt es keine Entwicklung in Indonesien?

Während der Zeit der Orde Baru gab es sowas wie Aufbau, allerdings nicht nachhaltig oder von unten. Aufbau nur soweit es Soeharto oder seinen Freunden diente. Diese Art von Entwicklung führte nicht zu einem Wachsen der wirtschaftlichen Basis der Leute. Zum Beispiel die Autobahnen und Hochhäuser...

Seit dem Sturz Soehartos gab es nur im politischen Bereich Veränderungen. Und selbst da nur äußerlich, weil es immer noch die gleichen Beschränkungen gibt und Verbote von Ideologien, z.B. des Marxismus-Leninismus. Im wirtschaftlichen Bereich hat es keine nennenswerten Veränderungen gegeben seitdem.

Zum Faschismus: Wer sind die Faschisten und warum gibt's Faschismus?

Naja, da gibt es Zivilisten, die für die Zwecke gewisser Parteien organisiert werden oder für die Zwecke des Militärs. Rt/Rw (Verwaltungseinheiten auf Straßen- oder Blockebene) funktionieren als Kontrollorgan für die Preman, wo diese organisiert und bewaffnet werden. Darüber hinaus gibt es Organisationen in der Gesellschaft, die auf der Religion beruhen und ebenfalls oft zum Ort von faschistischer Organisierung werden.

Zum Rassismus: Gegen wen, durch wen? In welchen Schichten der Gesellschaft? Und warum?

Gegen wen und von wem? Es gibt Krieg zwischen Gruppen, Krieg zwischen Stämmen, wie etwa zwischen den Dajak gegen die Maduresen vor kurzem im Gebiet Sampit, Kalimantan. Oder von Pribumi (Javanesen) gegen die Nicht-Pribumi (chinesischer Abstammung).

Warum? Weil es Unterschiede in Bezug auf wirtschaftliche, politische und Entwicklungsverhältnisse gibt, die nicht verschwinden. Und es gab die Umsiedlung (Transmigrasi) an Orte, von denen viel versprochen worden war, was ja auch zum Krieg zwischen den Dayak und den Maduresen geführt hat.

Der Rassismus heute scheint schlimmer geworden zu sein im Vergleich zur Zeit des Soeharto-Regimes.

Den Rassismus in Indonesien gibt es deshalb, weil es Ungleichheiten gibt auf der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Ebene. Der Rassismus hier ist gemacht mit dem Ziel, die Probleme zuzudecken und die Gewaltherrschaft aufrechtzuerhalten. Zum Beispiel die Unruhen in Kalimantan, in die die Dayak und die Maduresen, Alteingesessene und Zuwanderer, verwickelt sind. Das ist von der Elite künstlich hervorgerufen mit politischen Mitteln, indem man gesellschaftliche Schwierigkeiten vor Ort analysiert und ausgenutzt hat.

Wie wichtig sind die Gewerkschaften in der gesellschaftlichen Veränderung? Wie wichtig sind die Kämpfe von Arbeitern, Bauern, Studenten, städtischen Armen?

Das Bewußtsein der ArbeiterInnen ist derzeit im Wesentlichen noch normatif (d.h. an die Gesetze gebunden, Red), außerdem noch nicht frei vom zu großen Einfluß, den die Gewerkschaften als Agenten des Kapitals bei den ArbeiterInnen spielen. Deshalb erreicht der Kampf der Arbeiter, der ja eigentlich, soweit aus den Arbeitern selbst geboren, ein Kampf um Befreiung, Freiheit und gegen die Zwangsarbeit ist, nicht die Ebene des revolutionären Kampfes.

Die Bauern kämpfen um die Rückgabe ihres Landes, das ihnen von kapitalistischen Kräften oder dem Militär geraubt worden ist. Und sie kämpfen um das Recht, es bearbeiten zu dürfen. Die Studenten kämpfen für Demokratie. Die städtischen Armen kämpfen um ein menschenwürdiges Leben und um Sozialversicherungen.

Habt Ihr sowas wie ein Aktionsprogramm für die nächste Zeit?

Unter anderem Diskussionen, eine Bühne für gute Kunst und Massenaktionen.

Wie wichtig schätzt Ihr die internationale Bewegung ein für die Situation in Indonesien?

Die internationalen Bewegungen, wie gegen die Schulden oder Anti-IWF-Bewegung sind sehr wichtig. Sie nehmen großen Einfluß auf die ökonomischen Bedingungen in Indonesien, weil die Interventionen von IWF und Weltbank in der Politik der indonesischen Regierung eine riesige Rolle spielen. Zum Beispiel die Kürzungen der Subventionen für Benzin und Kerosin zum Kochen, die zu allgemeiner Verteuerung der Lebenshaltung geführt haben, oder die Subventionskürzungen bei der Ausbildung.

Für die AFRA ist die internationale Bewegung wichtig, weil sie gegen den Kapitalismus selbst ist. Allerdings, die objektive Situation im (eigenen) Land ist natürlich wichtiger.

Wie ist für Euch das Verhältnis von politischem Kampf, alternativer Kunst und alternativer Ökonomie?

Das Problem ist, dass der indonesische Staat in alle Felder interveniert, Ökonomie, Soziales, Kultur und Politik. Das bringt alles zusammen, weshalb das in der Verbindung der drei Ebenen (Politik, Kunst, Alternativökonomie) ein einziger Kampf ist.

Was wünscht sich die AFRA von der internationalen linken und revolutionären Bewegung?

Den Aufbau von Solidarität in jeder Beziehung.

Welche Beziehungen wollt ihr mit Organisationen oder Bewegungen im Ausland?

Gegenseitige Information, Diskussion und Solidarität.

Anfang Juni 2001


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