Offener Brief an Herrn Ramonet
[von Etienne D., aus Combat Syndicaliste, Region Midi Pyrénées der CNT AIT, übersetzt aus dem Spanischen, aus: Ardi Beltza Nr. 6, Juni 2000; Ignacio Ramonet ist Chefredakteur von Le Monde Diplomatique und der »Vater« von ATTAC]
Eigentlich schreibe ich nie an Journalisten. Mit meinen 50 Jahren habe ich schon lange kapiert, daß ein Journalist in erster Linie ein (wenn auch Luxus)-Lohnabhängiger ist, der die Anordnungen eines Zeitungsbosses befolgt, der die Hälfte seines Gewinnes aus den Zuschüssen bezieht, die die Politiker (unsere Herren) bewilligen, und die andere Hälfte mittels Werbung aus dem Markt. Ein Journalist ist nichts anderes als ein bezahlter Gaukler, der den Auftrag hat, das Leben in Ereignisse zu verwandeln, die Empörung in Resignation, und die Wahrheit in Schweigen.
Nein, ich schreibe nie an Journalisten, und genausowenig an Richter oder Polizisten. Aber es fällt mir immer schwerer, das Spektakel von ATTAC (dieser virtuellen Linken) zu ertragen und die täglichen jämmerlichen Litaneien ihres Jüngers »Daniel Mermet-man-kann-nichts-machen« in France Inter, und vor allem die zahlreichen Beiträge seiner Kollegen von Le Monde Diplomatique und ATTAC in sämtlichen Veranstaltungen der Bürger und Gebildeten in den Provinzstädten, wo in geschwollenen Monologen debattiert wird über die Zukunft des Volkes oder der Menschheit, diesen elenden Sumpf, der zur Demokratie nicht fähig ist (die Arbeitslosigkeit, das Nord-Süd-Problem, der Rassismus, die Schlafstädte...).
Wir könnten euch ignorieren, euch eure Salons, Lesungen und Veranstaltungen abhalten lassen, unter euch, unter den Schicken, den Neureichen und Etablierten. Aber sie haben Erfolg in den Medien, wo das »Konzept« des Bürgers (dieses »Extremisten des Konsenses, der zu nichts Wesentlichem eine feste oder klare Meinung hat, und der entsprechend zu keiner Sache, an der er sich die Finger verbrennen könnte, Schlußfolgerungen zieht«) der politische und finanzielle Träger ist (übrigens: Wie geht's dem »Diplo«?). Und mithilfe dieses Erfolges kommen sie jetzt an, um ihren Quatsch auf der Straße zu verkaufen. Es gibt schon keine Demonstration mehr, wo nicht ein Flugblatt von ATTAC auftaucht oder ein Transparent, das den Bürger verherrlicht, und es gibt kein soziales Problem, zu dem man nicht im Fernsehen einen ihrer Jünger sehen könnte, der zwischen einem unbedeutenden Schriftsteller und einem »sauberen« Volkswirtschaftler seine Ziele erläutert. Sie werden als die schöne Linke präsentiert, die reine, die verantwortliche, die ehrliche, die in den Vorstädten von Afrika redet, die die Armut anprangert, die die politische und finanzielle Korruption geisselt...
Die neue Linke! Was für ein Trauerspiel, was für eine Lüge, was für ein Betrug, Herr Ramonet! Sicher haben Sie Talent dafür, die Leichen zu zählen, die Vermögen abzuwägen, die Profite zu berechnen, die Diktatoren aufzuzählen, und die Toten und Todgeweihten abzuschätzen. Sie und Ihre Jünger sind Meister in der Ökonomie des Leidens und des Elends. Ihre Abrechnungsbücher sind auf dem neuesten Stand. Das ist ihre erste Funktion. Das Chaos, die Schmerzen, die Ungerechtigkeiten, den Raub und die Plünderungen aufzuzählen. Angst verbreiten! Diese Botschaft soll rüberkommen: »Die Welt ist ein großes grausames und blutiges Chaos, und Westeuropa ist ein schmales Tal des Friedens, grün und zerbrechlich, das teilweise verwundet aber bis heute von den schlimmsten Plagen verschont geblieben ist, die von den ewigen Dämonen kommen, die die menschliche Natur erschüttern«.
Ihre zweite Funktion ist es, die Unordnung zu verhindern, die Revolte einzudämmen, die Truppen zu beschwichtigen. Oder noch schlimmer, die Polizei in den Konflikten zu sein. Mit dem lauten Geschrei »Bürger, an die Urnen« verteidigt ihr alles, was zur Ausplünderung und Entfremdung dieser Welt beiträgt.
Zuerstmal die Wahlen. Immer dasselbe Lied. Angesichts der Veruntreuung von Demokratie und öffentlichen Gütern durch die Politikerclans ruft ihr zu den Urnen und zur Bürgerkontrolle. Ihr träumt sogar von einer Bürgerkontrolle der WTO; die Ausgeraubten sollen mit den Räubern verhandeln, damit der Raub weniger grausam ausfällt. Ihr nehmt den Mund mit Demokratie voll und hört nicht auf, die Vorzüge von Wahlen, Gewählten und Vertretung anzupreisen. Wie jeder etablierte Bürger habt ihr Angst vor der Wut derjenigen, die nichts als Pech haben, die kaputtgehen, die mit ihrem Leben für eure Klassengesellschaft bezahlen.
Und dann die Ware, die Grundlage des kapitalistischen Systems. Bei eurer Tobin-Steuer, Herr Ramonet, muß ich an diese wohltätigen Damen denken, die Sonntags nach der Messe ihren guten Armen das schlechte Brot hinschmeissen. Während der Woche arbeiten diese verdammten Armen in der Fabrik ihres Ehemannes, des Bankiers. Die Tobin-Steuer ist genau das, und noch schlimmer. Denn auch wenn der Steuersatz bei den Börsengewinnen noch so niedrig ist, wird er sich immer auf den Bürger als Konsumenten... pardon, den Bürger der Waren auswirken. Sie reden mit Resignation von der Globalisierung, mit Resignation von den Profiten und der Ausbeutung. Aber sagen Sie mal, Herr Ramonet, mussten Sie so dick auftragen?
Wegen all dem schreibe ich Ihnen, Herr Ramonet. Um Ihnen laut und deutlich zu sagen, daß Sie und Ihre Jünger die besten Verbündeten des Kapitalismus sind. Die Ausbeutung anzuprangern, ist gut. Zu erklären, daß sie unumstößlich sei, heißt den Kapitalismus verteidigen. Zur Wahl aufzurufen bedeutet, sich aktiv am Erhalt dieses Systems zu beteiligen, seine Sicherheit und Fortdauer abzusichern. Sie sind kein Progressiver, noch nichtmal ein Protestler oder Reformist, Sie sind ein Diener des Kapitalimus, ein Gaukler ... ein Journalist. Es lebe die soziale Revolution, Herr Ramonet, auf daß Sie immer unsere Toten zählen können!