Wildcat-Zirkular Nr. 61 - Januar 2002 - S. 48-54 [z61casto.htm]


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In den Medien war die Castorberichterstattung davon bestimmt, wie gut die Bullen diesmal alles im Griff hatten und wie wenig die DemonstrantInnen erreicht haben. Der folgende Artikel zeichnet ein etwas anderes Bild, indem er genauer auf die inhaltliche Ausrichtung einiger Aktionen und Demonstrationen schaut. Ob die hier analysierte inhaltliche Radikalisierung der kleiner werdenden Bewegung Bestand hat, wird sich weniger beim nächsten Castortransport herausstellen, sondern an den alltäglichen Auseinandersetzungen, die die Gruppen vor Ort und anderswo führen.

Nach dem CASTOR ist nicht nur vor dem CASTOR

(oder: zwischen den Transporten herrscht auch im Wendland kapitalistischer Normalzustand...)

So schnell war noch kein Castor-Transport durchs Wendland gekommen wie jetzt im November 2001. Und das, obwohl wiederum Tausende von Menschen sich »querstellten«. Noch der letzte Transport im März, als der Atomexpress das erste Mal rückwärtsfahren musste, sah da ganz anders aus. Eine große Niederlage vor dem Hintergrund des 11. September? Eine neue Qualität der staatlichen Repression?

Der größte Unterschied zum Transport im März dieses Jahres lag in der Einschätzung danach. Damals wurde die Mobilisierung dagegen allgemein und zu Recht als Erfolg gewertet. Diesmal sieht es etwas anders aus. Viele sehen sie als Niederlage an. Besonders bei jungen Leuten, die tage- und nächtelang gegen eine anscheinend übermächtige Bullenarmada angerannt sind, die jede noch so kleine Widerstandsaktion schon im Keim erstickte. Es gelang zwar immer wieder vereinzelt oder auch in Gruppen, vor dem Castor auf die Gleise zu kommen. Obwohl der Zugverkehr auf der Strecke von Lüneburg nach Dannenberg bereits Tage vorher eingestellt war, es also nichts Konkretes zu blockieren gab, räumten die Bullen sofort aus berechtigter Angst, die Gleise oder das Gleisbett würden ramponiert werden. Soweit kam es aber nie. Nur an einer Stelle gelang es mal einigen Hundert mit Hilfe von Bauern, das Gleis kurzzeitig auszuhebeln.

Erfolgreiche Aktionen gab es nur im Vorfeld. So wurden einmal 25 Meter Gleis aus der Strecke geschnitten und zwei mit Stroh beladene Anhänger unter einer Holzbrücke angesteckt, so daß die Brücke für mehrere Tage unpassierbar war. Haben die Pigs aber auch noch rechtzeitig wieder hingekriegt, mit Tag- und Nachtarbeit.

Am Sonntag, nach der Auftaktdemo in Lüneburg, wurden die Bahnstrecke von Lüneburg nach Dannenberg sowie die Straßenstrecke von Dannenberg nach Gorleben von Abertausenden Bullen und BGSlern besetzt. Auf der Bahnstrecke wurden alle paar hundert Meter große Scheinwerfer aufgebaut, die die Strecke auch nachts überall taghell erleuchteten. 24 Stunden am Tag gab es jede halbe Stunde Patrouillen über die Gleise, 87 Hubschrauber taten ihr übriges. Ab Einbruch der Dunkelheit wurden sämtliche Zufahrtswege in die Wälder dichtgemacht und es kam niemand mehr rein. In Ortschaften, die an der Strecke lagen, wurden nur Bewohner gelassen. Wer dort nicht gemeldet war oder nicht überprüfbar nachweisen konnte, wo er/sie hinwollte, bekam Aufenthaltsverbot.

Mit anderen Worten: am Sonntagabend war allgemein klar, daß zumindest auf der Strecke von Lüneburg nach Dannenberg nichts mehr laufen würde. Sämtliche Maßnahmen, die bereits im Vorfeld getroffen wurden (z.B. unter den Gleisen angebrachte Rohre zwecks Einbetonierung), wurden entdeckt.

Sämtliche Camps wurden verboten, und beim Versuch, sie zu beziehen, schritten die Bullen sofort ein. Das wurde unterlaufen, indem AnwohnerInnen mit Regenschirmen vor ihren Häusern kennzeichneten, daß sie Leute privat aufnehmen, nach dem Motto »Wir lassen unsere Gäste nicht im Regen stehen«. Das hat auch ganz gut geklappt..

Erstmals, und das ist wirklich traurig, wurden Leute festgenommen, die im Gegensatz zu Greenpeace und RobinWood keinen Wert auf Festnahme bei ihren Aktionen legen.

Das Aktionskonzept wurde von der Bewegung im Wesentlichen aus dem Frühjahr übernommen. Ab Lüneburg sollten entlang der Strecke bis Dannenberg Aktionen stattfinden. Räumlich kam es zu einer Ausweitung auf die sogenannte Hauptstrecke von Hannover nach Lüneburg. Uelzen sollte dabei der Schwerpunkt sein. Das wurde ausgehebelt, indem diesmal der Zug von Hannover umgeleitet wurde und über Verden, Harburg/Maschen nach Lüneburg fuhr. Hier gelang es dann durch Schienenbesetzungen und einer Ankettaktion vor Lüneburg, den Zug für eine halbe Stunde aufzuhalten.

Verfeinerung der Repression

Das Ganze hört sich erstmal ganz schön traurig an. Ist es aber soweit eigentlich gar nicht. Es ist nun endgültig klar geworden, daß die Konzentration auf das Wendland mit Ausweitung bis Lüneburg und Uelzen ihr Ende erreicht hat. Dies wurde zwar bereits nach dem Transport im Frühjahr andiskutiert, trotzdem wurde das praktische Widerstandskonzept im wesentlichen aus dem Frühjahr übernommen. Die Ausweitung auf die kapitalistische Infrastruktur der Warenströme gelang nur marginal. In Frankreich verzögerte sich der Transport durch einen spontanen Streik von Bahnarbeitern, und hier in Deutschland stand der Zug mehrere unplanmässige Stunden in Maschen, weil die Lok aus unerklärlichen Gründen einen Maschinenschaden hatte.

Auch der Staatsapparat übernahm im Wesentlichen sein Konzept vom Frühjahr. Er verfeinerte es aber beträchtlich. Es waren wieder ca. 18 000 Bullen im Einsatz, Unmengen von Konfliktmanagern, die aber auch diesmal wieder wenig Kontakt zu den Demonstranten hatten. Sie schritten aber sehr viel schneller ein, wenn sich irgendwo Menschenmengen versammelten, so daß Ansammlungen wie beim letzten Mal (z.B. die Camps) sich gar nicht erst bilden konnten. Das Demonstrationsverbot entlang der Strecke wurde rigoros umgesetzt. Die größte Verfeinerung war aber die Besetzung der gesamten Strecke ab dem Sonntag. Das machte im Wesentlichen seinen diesmaligen Erfolg aus.

Das Konzept ist nicht als etwas völlig neues vor dem Hintergrund der Repression seit dem Krieg gegen den sogenannten Terror zu sehen. Es ist wichtig, das auch so festzustellen. Viele FreundInnen, die die Sache als Niederlage erleben, sehen einen Zusammenhang mit der Repression. Das lenkt ab von der Kritik an uns selber: das bisherige Konzept der Konzentration auf einen Landstrich hat sein Ende erreicht. Der Terror gegen die Bevölkerung durch den Staat hat hier keine neue Qualität erreicht, bestenfalls eine Verfeinerung. Hier wird bereits seit Jahren das praktiziert, was nun im Namen des Kampfes gegen den Terror überall durchgesetzt werden soll. Wenn wir uns jetzt an der Repression festbeißen, schwächen wir uns damit nur selber. Das würde in keinem Verhältnis zu unseren Möglichkeiten stehen: Die Ausdehnung des Widerstandes und des Kampfes über den Castor und die Atomenergie hinaus. In Ansätzen war das diesmal bereits ersichtlich, und damit komme ich zu den positiven und angenehmen Seiten der Tage.

Den Castor-Widerstand in Richtung auf den »ganzen Kapitalismus« erweitern: ein Versuch...

Im Aufruf für die Auftaktkundgebungen in Lüneburg und Karlsruhe heißt es: »... die Profite zählen in dieser Welt mehr als Menschenleben.« »Deswegen sagen wir: Es reicht nicht, gegen den Castor zu sein. In unseren Protesten müssen wir uns auch gegen jede Form der Ausbeutung und Unterdrückung der Menschen wenden. Egal ob sie ökonomisch, rassistisch, sexistisch oder sonstwie daherkommt.« »Stellen wir uns solidarisch gegen diese Verwertungslogik. Hier und heute gegen einen weiteren Castor-Transport ins Wendland. Aber auch an jedem anderen Tag, an jedem anderen Ort. Verweigern wir uns der kapitalistischen Durchdringung auch der letzten Lebensbereiche.«

Auf den Vorbereitungsveranstaltungen zum Castor-Transport wurde ebenfalls auf eine inhaltliche Erweiterung des Widerstandes auf den Kapitalismus gedrängt. Aus der Rede einer Frau der »Gruppe ohne Namen aber mit Meinung«:

»Und da wir keine Castortransporte, keine Abschiebungen, keine Rüstungsexporte und genauso wenig Vergewaltigungen in (und außerhalb) der Ehe, rassistische Übergriffe oder Normierungen für unser Sexualleben wollen, reden wir immerzu von Freiheit und Glück, von Revolte, Widerstand und Emanzipation. Wir behaupten, daß es zwischen den oben genannten Unterdrückungsformen die Konstante Kapitalismus gibt, die wir zu überwinden probieren wollen.

Im Kapitalismus geht es um die Akkumulation von Kapital, und um nichts anderes. Dies kann nur durch die mehr oder weniger abgefederte Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft geschehen, denn nur durch diese entsteht Mehrwert. ...

Wir wollen dem Kapitalismus, der Herrschaft und der Repression politischer Bewegung eine Antwort entgegensetzen, die sich nicht integrieren und verharmlosen läßt, sondern die die Verhältnisse destabilisiert. Dies darf nicht nur bei den symbolischen Treffen der Institutionen weltweiter Ausbeutung geschehen wie in Seattle, Prag, Göteborg und Genua. Wir müssen im Alltag und vor Ort Bewegung entstehen lassen, die Verteilungskämpfe, Lobbypolitik und die Selbstbeschränkung auf einen Kritikpunkt hinter sich läßt, die grundsätzlich und praktisch wird. Ein Ansatzpunkt ist für uns hier und heute der Castortransport. ...

Zum Überleben der Menschheit, zum freien und selbstbestimmten Leben der Menschen jedoch brauchen wir etwas ganz anderes, etwas, das in den Castortagen immer schon ein bißchen spürbar ist. Kollektives Denken und Handeln in möglichst nicht-hierarchischen Strukturen, Verantwortung für einander übernehmen, die zeitweise Aufhebung des Eigentumsgedankens, die Überschreitung von Gesetzen. Es zeigt sich, wozu Menschen fähig sind, wenn sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen und es eben nicht darum geht, Geld zu machen. Wir hoffen, daß Ihr und wir dazu beitragen werden, daß das beim kommenden Castor wieder spürbar wird.«

Nun mögen sowohl im Aufruftext wie auch im Redebeitrag kritikwürdige Passagen stehen, in beiden drückt sich aber was Neues aus, was es bisher, zumindest in den letzen 10-15 Jahren, in dieser Form bei den Mobilisierungen nicht gegeben hat, nämlich eine Hinwendung zur Kritik des Kapitalismus. Natürlich gab es immer antikapitalistische Gruppen, die ihren Standpunkt vertreten haben, aber in der Bewegung selber ist es neu.

Entsprechend sah auch die Demo in Lüneburg aus. Es war keine reine Anti-Castor- oder Anti-Atom-Demo, sondern antikapitalistische Standpunkte in ihrer Vielzahl und auch Widersprüchlichkeit waren deutlich präsent und wurden auch als solche wahrgenommen. Zitate aus einem Flugblatt »Zug durch die Gemeinde«, welches auf der Demo von einer Lüneburger Gruppe verteilt wurde.

»Es ist eine verkürzte Kritik am Kapitalismus, ihn zu personifizieren. Es lenkt den Blick davon ab, daß es ein gesellschaftliches Verhältnis ist. Das heißt, wir sind alle darin verstrickt. Wir müssen fast alles, was wir zum Leben brauchen, kaufen. Dazu müssen wir uns selber, unsere Arbeitskraft verkaufen. Deshalb ist unsere Arbeit ein Zwang. Wir reproduzieren den Kapitalismus deshalb immer wieder selber, gehören zur Struktur selber. Diese Struktur lässt sich aber namentlich benennen, und überall finden wir uns wieder als Beschäftigte oder sonst wie Beteiligte. Aber aus dieser Beteiligung kann auch Sand im Getriebe werden. Deshalb soll auf diese Strukturen der nun folgende Text den Blick der DemonstrantInnen lenken. Gebt also acht!«

Anschließend wurde auf verschiedene Orte dieser Struktur hingewiesen, an denen die Demo lang ging, wie Stromversorgungsunternehmen, Banken, Gerichte, Karstadt, Arbeitsamt, Ausländerbehörde usw..

An diese Institutionen wurden zur Kenntlichmachung große Wandzeitungen mit entsprechenden Texten gehängt. Vor Karstadt hing »Für eine Gesellschaft, in der nichts mehr gekauft werden muß«. Hier waren allerdings die »Namenlosen« zu zögerlich. Zu spät kam der Versuch, einen Teil der Demo durch Karstadt zu führen. Diese Zögerlichkeit haben später etliche kritisiert, weil damit eine »benötigte Radikalisierung« der Demo vertan wurde. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

Die Kundgebung selber war aber tödlich und stand im krassen Widerspruch zum Tenor der Demo. Die meisten hauten beim zweiten Redebeitrag ab. Damit wurde auch die Chance für im Vorfeld geplante Spontandemos in Richtung Gleise vertan. Die meisten DemonstrantInnen waren einfach schon weg. So formierte sich am Ende dann nur noch ein Zug von etwa 300 Leuten, die Stimmung war gut, viele Parolen... Aber wir kamen nicht so weit, wie wir wollten. Plötzlich zu viele grüne Männchen. Das war's dann auch.

Das Positive an der Mobilisierung zu diesem Castor-Transport bestand also darin, daß sich der Horizont inhaltlich, theoretisch auf den gesamten Kapitalismus erweitert hat. Es ist aber nicht gelungen, diese inhaltliche Erweiterung in ein praktisches Widerstandskonzept zu übersetzen. Die wenigen Versuche waren zu zögerlich. Aber für viele ist sowas auch völlig neu und muß erst gelernt werden. Wenn mensch aber bedenkt, daß es um einen Prozeß geht, nichts überstürzt werden sollte und solche Aktionen auch etwas mit kollektivem Lernen zu tun haben, dann ist die Lage eigentlich gar nicht so schlecht.

In Lüneburg gab es zwei Fahrraddemonstrationen am Sonntag und am Montag mit 40-50 Leuten. Die erste ging direkt zu den Gleisen, und es gab ewige Scherereien mit den Bullen und etliche Festnahmen. Am zweiten Tag orientierten sich die DemonstrantInnen am »Zug durch die Gemeinde«. Dabei wurden mehrere der aufgeführten Plätze kurzzeitig »besetzt«, rebellische Lieder gesungen und der normale Gang von Behörden und Geschäften gestört. Das sehen die Beteiligten insgesamt als Erfolg an.

Es gilt also nicht, die Niederlage zu konstatieren und »Nichts geht mehr« festzustellen, sondern einen Weg der Erweiterung des Widerstandes zu gehen. Dies inhaltlich und in der Folge dann auch praktisch. So wie es bei einem Teil der Bewegung diskutiert wird, die »Konstante Kapitalismus« als etwas Übergreifendes zu erkennen, das es zu überwinden gilt, ist das auch mehr als nur eine Vernetzung verschiedener Teilbereichsbewegungen. Es ist eine Tendenz, die bestehenden widerständigen Politikbereiche, wozu der Castor-Widerstand gehört, zu einer großen antikapitalistischen Bewegung, und den ganz großen Landfriedensbruch zu mehr als nur einem schönen Traum werden zu lassen.

Das soll kein Argument gegen den regionalen Widerstand sein. Gerade der Kampf gegen die Atomenergie lebt vom Wendland. Er wird auch weiterhin eine zentrale Rolle im Widerstand spielen. Das Wendland ist aber auch ein Beispiel dafür, daß das linke Ghetto durchbrochen werden kann, wenn der Widerstand regional ist.

Das alles ist jetzt keine einheitliche Sicht aus der Anti-AKW-Bewegung, sondern erstmal nur von Einigen, die aber in der Auseinandersetzung stehen und gegen den »Frust«, wie es ihn zweifellos in der Bewegung gibt, anstinken wollen.


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