Wildcat-Zirkular Nr. 62 - Februar 2002 - S. 13-14 [z62enron.htm]


[Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt] Zirkular: [Nr. 62] [Ausgaben] [Artikel]

Enron - Die Schuldenspirale dreht sich schneller

Im Moment (6. Februar) könnte man fast behaupten, daß die Pleite der Enron Corporation inzwischen in der amerikanischen Politik eine größere Rolle spielt als der Angriff auf das World Trade Center und das Pentagon am 11. September. Bereits die Höhe der unmittelbaren Verluste - das Kapital von Enron betrug 63 Mrd. US-Dollar - macht diese Pleite zur größten in der amerikanischen Geschichte - was in der gegenwärtigen »Rezession« eine ungeheure Tragweite hat. Aber selbst diese Summe verblaßt neben den weiteren Auswirkungen, die sich von Tag zu Tag zu vermehren scheinen, die bis in die obersten Etagen der amerikanischen Politik und der »Großen Fünf« der internationalen Unternehmensberatungen reichen und 20 bis 25 Jahre »neoliberale« Ideologie mit sich reißen. Enron war nämlich der »New Economy«-Konzern par excellence, eine Energiehandelsfirma mit relativ wenig direktem Gas- und Ölbesitz.

Die Zauberworte der Ökonomie nach 1980 stehen klein und nackt da: Deregulierung, die »synergetische Firma«, »Pro-forma«-Bilanzierungsmethoden, Aktienbeteiligung für Beschäftigte....

Enron fing 1985 als kleine Gesellschaft in der Gas- und Ölproduktion an. Aber unter den beiden Vorstandsvorsitzenden Jeff Skilling und Kenneth Lay entwickelte sie sich bis 2001 zu einem riesigen, tausendfach verschachtelten Konglomerat, einem riesigen »Ponzi-Projekt«, [1] das bis Mitte 2001 als eine der heißesten Aktien der »New Economy« galt. Die Firmenkonstruktion war dermaßen komplex, daß fast niemand in der Firma einen akkuraten Überblick über das Ganze hatte. Der Zusammenbruch begann im Herbst, als Enron 1,2 Mrd. US-Dollar »nicht in den Büchern aufgeführte« Schulden aus einer ihrer Tausenden von »Tochterfirmen« zugeben mußte. Daraus ergaben sich genug Fragen über Enrons wirkliche Situation, um die Aktie (die ein Jahr zuvor noch bei 90 US-Dollar gestanden hatte) auf 34 US-Dollar und bis Ende November auf unter 1 US-Dollar fallen zu lassen. Im Dezember mußte Enron Konkurs anmelden.

Die Enthüllungen nach dem Konkurs lassen sich kaum zählen. Enron hatte praktisch jedem Kongreßabgeordneten große Geldsummen zukommen lassen (allerdings gingen ungefähr Dreiviertel an Republikaner). Enron war eine der größten Spenderfirmen im Wahlkampf vom Bush und Cheney 2001 gewesen und hatte massiven Einfluß auf die »Energiekommission«, die Vizepräsident Cheney zur Entwicklung der nationalen Energiepolitik eingerichtet hatte.

Arthur Andersen, einer der großen fünf Unternehmensberatungen, wurde von Enron betrügerische Buchhaltungsmethoden vorgeworfen, und Andersen warf Enron seinerseits unzureichende und falsche Informationen vor. Sowohl Enron als auch Andersen hatten massenweise Dokumente in den Reißwolf geworfen, selbst noch, nachdem der US-Kongress juristische Untersuchungen angekündigt hatte. Es stellte sich heraus, daß Skilling, Lay und viele andere führende Enron-Manager ihre Aktien im Sommer 2001 zum Höchstwert abgestoßen hatten, während sie die Enron-Beschäftigten zwangen, noch mehr für ihre Firmenrentenversicherungen (die sogenannten »401 k's«) zu kaufen. Normalen Beschäftigten wurde verboten, ihre Enron-Aktien zu verkaufen. 4 000 Leute verloren ihren Arbeitsplatz und viele durch die Entwertung der Enron-Aktien auch noch ihre gesamten Ersparnisse.

Es kam heraus, daß mehrere führende Enron-Manager 2001 nach Warnungen über einen drohenden Unternehmenszusammenbruch gekündigt hatten. Ein ehemaliger Vizepräsident wurde tot in seinem Auto gefunden, ein Selbstmord (?) wenige Tage, bevor er vor einer parlamentarischen Untersuchungskommission aussagen sollte. Der Armeeminister hatte im Jahr 2001 Enron-Aktien für 100 Mio. US-Dollar abgestoßen. Es stellt sich heraus, daß sehr viele Mitglieder von Bushs Kabinett und andere hohe Amtsinhaber bei Enron beschäftigt waren.

In der US-Wirtschaft lauern noch viele weitere Enrons. Die Auswirkungen über Hedge-Funds und Derivate lassen sich überhaupt noch nicht abschätzen. Wie die kürzlich erfolgten »Abwärts-Berichtigungen« von »Pro-forma«-Profiten in den Jahren der »Spekulationsblase« 1995-2001. Nach der Asienkrise von 1997, der Zahlungsunfähigkeit Rußlands und der staatlichen Rettung des Long Term Capital Management 1998, dem dot.com-Aktiendebakel im März 2000 und der Zahlungsunfähigkeit Argentiniens ist Enron ein weiterer schwerer Schlag gegen die ganze Ideologie des »Freien Marktes« nach 1980 und erlaubt einen weiteren Einblick in den unglaublichen fiktiven Kreditpyramidenbau, der den »Wohlstand« der letzten 20 Jahre angetrieben hatte.

L., New York


Fußnoten:

[1] Benannt nach C. K. Ponzi, der 1920 mit dem Versprechen »50 Prozent Profit in 45 Tagen« von Anlegern fast 10 Mio. Dollar einsammelte. Heute werden solche »Ponzi-Schemes« mit ausgeklügeltem Marketing in riesigen Dimensionen betrieben und nicht mehr auf solch simple Art. (Red.)


[Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt] Zirkular: [Nr. 62] [Ausgaben] [Artikel]