Wildcat-Zirkular Nr. 62 - Februar 2002 - S. 30-31 [z62nazis.htm]
Zwischenruf: »Nazis/Staatsapparate«
- Inzwischen (10.2.) sind unter den gegenüber dem Verfassungsgericht zitierten Zeugen sechs V-Männer aufgetaucht (Stand am 14.2.: 9), die meisten davon Führungskader: Landesvorsitzender der JN Layer, Landeschef der NPD in NRW Holtmann (der mit der Führungsgruppe der Nazi-Terrortruppe »Europäische Befreiungsfront« kooperierte), Vize-Chef in Thüringen Tino Brandt (Anti-Antifa und Sprecher der »revolutionären Plattform in der NPD«, der mit seinem Honorar von bis zu 100 000 Euro die rechte Szene finanzierte), NPD-Gründungsmitglied Wolfgang Frenz, NPD-Bundesvorsitzender Udo Voigt. Laut Stern liegt in Mecklenburg-Vorpommern »nahezu die gesamte Parteiarbeit [der NPD] in den Händen von V-Männern«. Die Situation in Thüringen ist ähnlich: nach der Enttarnung der Führungskader Dienel und Brandt sollen aktuell noch »6 - 7« Führungskader der thüringischen NPD von Geldern des VS leben. Der Spiegel geht von bundesweit über 100 V-Leuten in der NPD (6500 Parteimitglieder) aus.
- Der NPD-Verbotsantrag wurde Anfang 2001 eingereicht. Der Spiegel berichtete im Herbst, es könnten V-Männer unter den Zeugen sein. Tino Brandt war im Mai 2001 aufgeflogen, Matthias Meier bereits 2000 usw.. Im Herbst 2000 hatte der VS mit einem »Geheimpapier« in die Beschlußfassung über den Verbotsantrag einzugreifen versucht: der Antrag habe keine Aussicht auf Erfolg; »aus den letzten vier bis fünf Jahren hätten die Verfassungsschutzbehörden lediglich 25 Informationen gewinnen können, aus denen eine Gewaltbereitschaft der NPD abgeleitet werden könne.« Spektakulär bei der engen Verfilzung zwischen VS und NPD! Ein Skandal wurde aber erst daraus, als die CDU/CSU Stoiber aufgestellt hatte.
- Es ist aus Frankreich bekannt, daß Mitterand den Front National stützte, weil er damit die Gaullistenmehrheit bei Wahlen brechen und selbst an die Regierung kommen konnte; in den letzten Wochen kam raus, daß Chirac mit Le Pen zusammengearbeitet hat, um die Präsidentschaftswahlen zu gewinnen.
- Ob mit der V-Mann-Affäre »Schily reingelegt« werden sollte (ein SPD-ler), oder ob die SPD die Bundestagswahlen dadurch zu gewinnen versucht, daß die NPD der CDU ein paar Prozente abnimmt, das ist für uns nicht wichtig. Wir müssen nur wissen, daß solche Spiele gespielt werden, um parlamentarische Mehrheiten zu erlangen - und uns nicht zum Anhängsel solcher Kampagnen machen. Zweitens wird »der Rechtsextremismus« sehr häufig als Anlaß benutzt, um Gesetzesverschärfungen durchzudrücken (z.B. Zensur im Internet), die dann für alle gelten, oder als Bande gespielt, um Gesetze gegen andere zu verschärfen (Asylrecht). Und drittens werden die »Rechtsextremisten« hin und wieder direkt als Sturmtruppen gegen unliebsame soziale Entwicklungen im Land gebraucht (wenn Zuwanderer den Kopf zu hoch tragen, Hausbesetzer zu frech werden ...).
- In vielen »Pogromen« hatte der deutsche Staat die Hände im Spiel
[wir hatten absolut recht mit unseren damaligen Überlegungen zu Rostock!]
Den Anschlag in Solingen haben Jugendliche verübt, die im Karate-Studio eines V-Manns trainiert hatten - oder soll man sagen »trainiert worden waren«?
Der als Zeuge benannte V-Mann Grube war beim Brandanschlag auf eine Pizzeria beteiligt, usw.
- Es fällt immer wieder auf, wie geschmeidig die rechtsextreme Szene hochgefahren werden kann, wenn es politisch gebraucht wird (Verschärfung des Asylgesetzes und drohende Arbeiterkämpfe im Osten Anfang der 90er) - und wie sie wieder in die Bedeutungslosigkeit versenkt werden kann, wenn ein anderes Bild von Deutschland gemalt werden soll - Überfälle gegen »Ausländer«, »Penner« und »Schwule« oder Friedhofsschändungen gibt es seit Jahren in etwa gleich viele, aber die politische Wirksamkeit und die großen Aktionen des organisierten Rechtsradikalismus gehorchen staatlichen Bedürfnissen.
- Eine (antifaschistische) Linke, die in die Krise gerät, wenn sich der Bundeskanzler in Rahmen einer Greencard-Kampagne als der bessere Antifaschist präsentiert, hat nicht begriffen: wer in Deutschland vom Faschismus reden will, darf vom Staat nicht schweigen.
- Falls die Antifas sich nun von den Antideutschen neues ideologisches Rüstzeug verpassen lassen, um weiterhin »antifaschistisch« sein zu können, ohne anti-staatlich und antikapitalistisch zu sein, spielen sie letztenendes das Spiel mit, das vom Staat mithilfe der NPD aufgeführt wird.
- Das alles heißt nicht, daß es ohne den Staat keine Fremdenfeindlichkeit und keine Gewalt gegen Schwächere geben würde. Aber die NPD würde als organisierte Struktur wahrscheinlich zusammenbrechen, wenn der Staat seine Agenten daraus abzieht. (Die PDS Thüringen höhnte, der schlimmste Schlag für die Nazis wäre es, wenn das Landesamt für Verfassungsschutz aufgelöst würde.)
- Das alles heißt auch nicht, den Rassismus in der Arbeiterklasse in Deutschland zu unterschätzen. Anscheinend können in allen europäischen Ländern 15-20 Prozent der Menschen für rechtsradikale Propaganda gewonnen werden bzw. vertreten selber rassistisches Gedankengut. Das ist schlimm genug! Damit setzen wir uns aber nicht auseinander, indem wir mit/gegen Schily und/oder CDU oder Westerwelle zusammen das NPD-Verbot be- oder hintertreiben ... oder indem wir die Bombardierung Afghanistans oder die nochmalige Bombardierung Dresdens fordern ...