17.05.2004 | ||
Wir haben Arbeiterkämpfe in fortgeschrittenen Gebieten und in zurückgebliebenen Gebieten erlebt: Das Interessante dabei ist, dass die Arbeiterkämpfe in fortgeschrittenen und in zurückgebliebenen Gebieten sich sehr oft gleichen, d.h. dass sie eben tendenziell – und sei es auch nur über gewerkschaftliche Inhalte – das Gesamtverhältnis zwischen Arbeiterklasse und Kapital sichtbar machen. (Raniero Panzieri »Lotte operaie nello sviluppo capitalistico«, März 1962) Ein regnerischer heißer Mai
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Chronologie:18. April Zuerst streiken einige Zulieferbetriebe und dann sämtliche Automobilbetriebe in San Nicola di Melfi, wo sich Fiats wichtigstes Werk in Italien befindet. Die wichtigsten 3 Ziele sind: Lohnerhöhungen (in Melfi wird 15 bis 20 Prozent weniger gezahlt als in anderen Fiat–Werken), weniger schwere Arbeitsorganisation, Strafsystem. Vor allem die FIOM, aber auch Slai Cobas, UGL und Cisal unterstützen den Streik. Die Mehrheitsgewerkschaften (UILM, FIM und FISMIC) sind dagegen. In den nächsten Tagen verschärft sich der Ton von Fiat und den geschäftsleitungsfreundlichen Gewerkschaften gegen die Streikposten, die angeblich die Arbeitswilligen am Betreten des Betriebs hindern. 24. April Kundgebung vor der Fiat Sata in Melfi. Die ArbeiterInnen vergewissern sich, dass die Streikposten stehen. 26. April Die Polizei greift die Streikposten an. Mehrere ArbeiterInnen werden verletzt. Regierungsvertreter sprechen der Polizei ihre Unterstützung aus. Zum ersten Mal seit etlichen Jahren gibt es eine direkte Auseinandersetzung zwischen ArbeiterInnen und Polizei. CISL, UIL und FISMIC kritisieren die Polizei wegen »Exzessen«, vor allem aber die Streikenden. 28. April Italienweiter vierstündiger Streik (in der Basilicata acht Stunden) der MetallarbeiterInnen gegen die Polizeiübergriffe. Riesige Beteiligung von ArbeiterInnen an der Demo in Melfi. 29. April Die FIOM reagiert auf den Druck und sagt zu, die Streikposten abzuziehen und sie in eine ständige Versammlung der streikenden ArbeiterInnen umzuwandeln. Hierbei geht es ganz klar um ein formelles Zugeständnis an FIM, UILM und FISMIC, denn die ArbeiterInnen versperren den Streikbrecherbussen, die im übrigen halb leer sind, weiter den Weg. 4. Mai Demo in Rom. Aufgerufen haben die ständigen Versammlungen mit Unterstützung der FIOM. Interessant ist, wie drei Strukturen nebeneinander bestehen: die RSU, die überhaupt keine Rolle spielt, die Delegierten der Kampfkoordination, die zwar den Arbeitskampf führt, aber organisatorisch schwach ist, die FIOM, die der Bewegung freie Bahn lässt, aber Verhandlungen und Organisation in der Hand behält. (Für die FIOM war der Kampf in Melfi auch aus innerorganisatorischen Gründen sehr wichtig: der FIOM–Kongress steht vor der Tür und die CGIL unterstützt die rechte Minderheit in der FIOM.) 9. Mai Die Einigung wird unterschrieben, und zwar von einer provisorisch wiedervereinigten Gewerkschaftsfront. Die Slai Cobas, die einzige in Melfi wahrnehmbare alternative Gruppe, wird dabei natürlich ausgegrenzt. |
Sie haben außerordentlich hart und entschlossen gekämpft und damit faktisch den Betriebsrat (in dem FIM[2], UILM[3] und FISMIC[4] die Mehrheit haben) ausgehebelt, der die bisherige Passivität der Belegschaft recht gut widerspiegelte. Aber sie haben nicht nur die Gewerkschaft in Frage gestellt, sondern auch die Anfälligkeit der Just–in–Time–Arbeitsorganisation für sich ausgenutzt. Da die »integrierte Fabrik« keine Puffer hat, ist sie darauf angewiesen, dass der Produktionszyklus, an dem verschiedene Werke und Unternehmen beteiligt sind, wie am Schnürchen funktioniert. Die ArbeiterInnen haben den Zersetzungsprozess der alten fordistischen Fabrik, mit dem ihre Verhandlungsmacht geschwächt werden sollte, gegen die Unternehmer gewendet und klargemacht, dass auch in der postfordistischen Fabrik gekämpft werden kann.
Dem Streik bei Fiat in Melfi gingen im letzten Sommer Mobilisierungen gegen Atommülldeponien voraus: Große Menschenmassen hatten sich an Straßenblockaden beteiligt und ganz Lukanien blockiert. Dabei handelte es sich natürlich um eine klassenübergreifende Volksbewegung, aber sie zeigte sehr deutlich, dass man mit direkten Aktionen gesellschaftlich etwas durchsetzen kann. Bereits im Winter 2002/2003 waren in den Auseinandersetzungen um die Kurzarbeit bei Fiat Straßenblockaden zum Massenphänomen geworden. Auch wenn dieser Kampf mit einer klaren Niederlage zu Ende ging, hinterließ er ein eindeutiges Zeichen in der gesellschaftlichen Wahrnehmung. Die wilden Streiks der Busfahrer und des Flughafenpersonals im Winter 2003/2004 stellten dann einen Qualitätssprung dar, weil sie von Blockaden von außen zu Aktionen im Produktionsprozess selbst übergingen.
Der Kampf gegen die Entlassungen bei der Alitalia war so gesehen »klassischer«, aber vor diesem Hintergrund nicht weniger interessant: Straßensperren, wilde Streiks, Druck von unten auf institutionelle Gewerkschaften, zunehmende Verwurzelung der Alternativgewerkschaften haben sich miteinander verflochten.
Zunächst haben Regierung und Unternehmen versucht, den Widerstand der Alitalia–ArbeiterInnen damit abzutun, diese hätten die objektiven wirtschaftlichen Notwendigkeiten »nicht begriffen«. Damit kamen sie aber nicht lange durch, und mußten über ernsthafte Dinge sprechen, nämlich darüber, dass auch die als überflüssig an den Rand Gedrängten das Recht auf ein Einkommen haben. Danach versuchte Alitalia die klassische »spalterische« Schiene: Ein Großteil des Unternehmens sollte an Zulieferfirmen ausgelagert werden – mit den üblichen Folgen für Löhne, Arbeitsbedingungen und Sicherheit der Jobs.
Auch bei diesem Kampf war am wichtigsten, dass die ArbeiterInnen selbst aktiv geworden sind und dabei Aktionsformen benutzt haben, die sich gerade verallgemeinern. Die ArbeiterInnen scheinen sehr gut begriffen zu haben, dass die Auseinandersetzung so geführt werden muss, dass man den Gegner hart trifft und gleichzeitig den Kampf öffentlich vermittelt, weil man sonst gar nichts erreicht.
Nach 20 Tagen Kampf und etwa 35.000 nicht produzierten Autos (mehr als 1,5% der Fiat–Jahresproduktion) haben FIM, FIOM, UILM, FISMIC und UGL[5] eine Einigung mit Fiat erreicht, und der Arbeitskampf wurde zunächst beendet. In Rom wurden die Verhandlungen in der Schlussphase von den nationalen Vorständen der Gewerkschaften geführt, die damit wieder gemeinsam aufgetreten sind, nachdem das Tischtuch kurz vorher noch endgültig zerschnitten schien.
Wenn ein Abschluss aber sowohl von Gianni Alemanno von der postfaschistischen Regierungspartei Alleanza Nazionale, der das Abkommen als »großen Sieg der Arbeiter des Mezzogiorno« einschätzt, als auch von Rifondazione–Comunista–Chef Fausto Bertinotti begrüßt wird, dann ist er entweder wirklich gut, oder alle beteiligten Institutionen hatten ihn bitter nötig.
Kritik kam von Giorgio Santini, dem Vorsitzenden der Gewerkschaft CISL[6], die wie UIL[7] und FISMIC gegen die Blockade von Sata war: »Es ist das eine, eine regierbare Fabrik zu haben, und etwas anderes, zu entdecken, dass die Fabrik unregierbar ist. (...) Ich fürchte, dass das Projekt Melfi jetzt auch von Fiat anders gesehen werden könnte.« (Corriere della Sera, 10. Mai 2004).
Der zwölfseitige Abschluss lässt sich ungefähr so zusammenfassen:
Wenn wir eine gesellschaftliche Klasse mit einem Konservativen wie Max Weber nicht als statisches Aggregat, sondern als eine Schicksalsgemeinschaft bzw. als menschliche Gruppe definieren, die aus Individuen besteht, die nicht ideologisch, sondern unmittelbar eine gemeinsame Zugehörigkeit empfinden, dann folgt daraus, dass das Selbstverständnis als Klasse ein Prozess, eine Errungenschaft, die Schaffung von sozialen Codices ist, die eben diese Gemeinschaft charakterisieren.
Dafür sind Kämpfe wesentlich, eben weil sie für die beteiligten Subjekte das Moment darstellen, in dem sie ihre Autonomie erproben und sich selbst als Subjekte und nicht nur als Rädchen der gesellschaftlichen Maschine wahrnehmen.
Es hat sich wieder herumgesprochen, daß diese Gesellschaft auf dem Konflikt basiert und dass man kämpfen muss um Verschlechterungen abzuwehren, oder - wie im Fall von Melfi - um etwas Besseres zu bekommen.
[1] FIOM: Metallarbeitergewerkschaft der CGIL[8]
[2] FIM: Metallarbeitergewerkschaft der CISL
[3] UILM: Metallarbeitergewerkschaft der UIL
[4] FISMIC: klassische »gelbe« Betriebsgewerkschaft bei Fiat
[5] UGL: Den Postfaschisten (Alleanza Nazionale) nahestehender Gewerkschaftsverband
Siehe außerdem zum gleichen Thema den Artikel von Vittorio Rieser in il manifesto vom 8. Mai (hier unsere Übersetzung)