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Spaziergänge gegen Ein-Euro-Jobs
Bericht vom Spaziergang Nr. 7

»wenn alle einen Tag sagen würden: is' nich', würde sich was ändern!«

Unterwegs mit acht Leuten, führte uns der siebente Spaziergang durch drei Neuköllner Schulen. Angeregt zu dieser Schulrunde hatte uns eine Entdeckung in einer Neuköllner Grundschule auf unserem vierten Spaziergang im Februar und ein Artikel in der Berliner Zeitung vom 23.3.04: »Personalräte an Schulen fürchten um feste Arbeitsplätze«. Wir stießen damals in einer einzigen Schule auf 40 ehemals Arbeitslose, die über ABM (ArbeitsbeschaffungsMaßnahme), SAM (StrukturanpassungsMaßnahme) und MAE (Mehraufwandsentschädigung = Ein-Euro-Job) u.a. in der Schulstation, der Kantine, in den Computerräumen und im Bereich des Hausmeisters eingesetzt waren. Die Schule läuft schon seit Jahren über diese Maßnahmen und bis auf die LehrerInnen ist dort quasi niemand regulär beschäftigt.

Bei unseren Vorerkundungen stießen wir darüber hinaus in sieben von acht Schulen auf Ein-Euro-Job-Hausmeistergehilfen (»facility manager« wie Hausmeister jetzt so schön in den Arbeitsagenturen heißen). Des weiteren fanden wir Ein-Euro-Jobber im Bereich Sprachförderung und -unterricht, Bibliothek, in der Biologie (angeblich als Putzkraft), in den Computerräumen und auf dem Sportplatz.

Die beiden Hausmeistergehilfen unserer ersten Station luden uns zu einem Gespräch in ihrem Pausenraum ein. Sie waren an der Schule unfreiwillig von der Arbeitsagentur als Ein-Euro-Jobber seit März eingesetzt, für insgesamt neun Monate. Beide konnten sich die Jahre zuvor gut mit Schwarzarbeit auf dem Bau, im Fischverkauf bzw. mit ABM im Gartenbau oder bei der BSR (Berliner Stadtreinigung) über Wasser halten. Schwarzarbeit ist jetzt für sie zeitlich nicht mehr möglich.

Einer der beiden überlegt sogar den Job hinzuschmeißen, um wieder schwarz arbeiten zu gehen und würde dafür auch die erste Kürzung von 30 Prozent in Kauf nehmen. Er vermutet das bei einer zweiten Kürzung nur noch Essensgutscheine ausgegeben werden.

Die wöchentliche Arbeitszeit von 30 Stunden müssen sie nicht ganz ableisten, der festangestellte Hausmeister lässt sie auch mal eine Stunde eher gehen. Er muss jedoch die Arbeitszeit der beiden Jobber unterschreiben und hat natürlich Schiss, dass er für das bisschen Schummeln Ärger bekommt. Wirklich arbeiten müssen sie effektiv auch nur zwei Stunden pro Tag, aber die Anwesenheit ist wichtig. Ihren »Chef« finden sie ganz ok und er hat schon ein Auge darauf, dass sie nicht genauso viel arbeiten wie er. (»Macht mal langsam – ihr verdient viel weniger als ich«). Vom Aufgabenspektrum machen sie aber doch irgendwie alles was Hausmeister so machen. Interessant war dabei auch, dass es sich um wichtige Arbeiten handelt, die ein einzelner Hausmeister zeitlich nicht bewältigen könnte und sicherlich (da es sich um ein öffentliches Gebäude handelt) auch nicht liegen bleiben würden. D.h. die Jobber erledigen Aufgaben, die ansonsten an Firmen hätten weitergegeben werden müssen. Inzwischen gibt es ja auch schon Meldungen, dass die Aufträge stark zurückgegangen sind. Von den Lehrern haben die beiden zu Ostern Fresspakete bekommen, als Dank für Renovierungsarbeiten.

Erschreckend war zu hören, dass der für sie zuständige Beschäftigungsträger sie nicht über die Inhalte des Vertages informiert, sondern auf schnelles Unterschreiben gedrängt hat. Erst später fanden sie raus, dass sie bei Krankheit nacharbeiten müssen, ebenso bei Urlaub. Urlaubstage müssen sie übrigens zwei im Monat nehmen. Geld gibt es wie bei den anderen Ein-Euro-JobberInnen weder für Urlaub noch im Krankheitsfall. So wussten sie bis zu unserem Gespräch auch nichts davon, dass ihnen eigentlich Qualifizierungsmaßnahmen zustehen (dafür bekommen die Träger ja Geld). Beide bemängelten, dass es für sie weder im Amt noch bei diesem Träger konkrete Ansprechpartner gibt.

Beide empfinden das Ganze als Abzocke und Disziplinierungsmaßnahme, d.h. lernen morgens aufzustehen. Wir erzählten von unseren Erfahrungen von den vorherigen Spaziergängen. Beide hörten interessiert zu und einer der beiden dachte dann länger darüber nach, was wäre, wenn die Ein-Euro-JobberInnen wirklich einen Tag lang ihre Arbeit nicht machen würden, alle, dann könnten sie durchaus was durchsetzen. »Wenn alle einen Tag sagen is' nich', würde sich was ändern«.

Weiter gings zur nächsten Schule, diesmal eine Grundschule mit ca. 400 Kindern, 40 Lehrern, zwei Erziehern und zwei Sozialpädagogen (die jedoch über einen externen Träger angestellt sind und nicht direkt über die Schule). Auch hier waren zwei Ein-Euro-Hausmeister angestellt. Desweiteren gab es noch einen Vater, der als Ein-Euro-Jobber u.a. bei Elternabenden übersetzt und eine Fussball AG leitet, eine Mutter, die als Ein-Euro-Jobberin Arabisch unterrichtet und bis vor kurzen auch noch einen, der sich um die Computer kümmerte. Gesprochen haben wir mit einer Lehrerin und einer Sozialpädagogin, die wir im Schülercafé antrafen. Sie waren sehr interessiert daran, warum wir diese Spaziergänge machen und fanden unser Konzept gut. Auch in der Lehrerschaft gäbe es Diskussionen und kritische Stimmen über den Einsatz von Ein-Euro-Jobbern, zwar eher zwischen Tür und Angel und nicht in einem wirklich offiziellen Rahmen (z.B. auf einer LehrerInnen-Konferenz). Viele der LehrerInnen hätten schlechte Erfahrungen mit »Hilfslehrern« und deren mangelnder Kompetenz gemacht. Gebrauchen könnten sie diese Unterstützung aber auf alle Fälle. In einem Schulbetrieb habe man immer das Gefühl, sich nicht ausreichend mit den Kindern zu beschäftigen. Es kämen auch desöfteren Leute vorbei und fragen nach, ob sie in der Schule als Ein-Euro-JobberIn eingesetzt werden könnten.

Ein Problem sei auch das überalterte Kollegium (Ende 30 und vor allem älter), dass keine neuen Stellen geschaffen werden und so auch keine jungen Leute nachkämen. Insbesondere im Bereich Sprachförderung (Deutsch als Zweitsprache und Leseförderung) würden wohl keine neuen Leute eingestellt. Die Berliner Zeitung schreibt hierzu: »Über die Arbeitsagentur Süd [Neukölln u.a.] sollen in nächster Zeit 75 Erwerbslose die Sprachförderung bei Kindern übernehmen.« Darüberhinaus gab es Ende letzten Jahres vehemente Kürzungen bei Urlaubs- und Weihnachstgeld. »Wir sind zwar verbeamtet und nicht kündbar, aber unsere Bedingungen ändern sich.«

Auf unserer dritten und letzten Station, einer Grundschule, wurden wir von einer ABM-Kraft und dem festangestellten Hausmeister barsch abserviert. Offensichtlich standen sie unter Druck der Schulleitung. Sie verweigerten ein Gespräch und wollten uns auch untersagen, mit den beiden Ein-Euro-Hausmeistern zu sprechen bzw. meinten, wir müssten erst eine Genehmigung von der Schulleitung einholen. »Das ist ein öffentliches Gebäude und da kann man doch nicht einfach reinĀ­gehen und Informationen von Leuten holen!« Am Eingang hängt auch tatsächlich ein Schild mit der Aufschrift »Unbefugten ist der Zutritt verboten«. Wir konnten gerade noch erfahren, dass es sich auf der Schulstation bei den dort Angestellten um zwei ABM-Kräfte handelt und die Schulstation bis vor kurzem geschlossen war. Dann wurde uns die Tür vor der Nase zugeknallt und wieder abgeschlossen.

Im Hauptgebäude fanden wir jedoch die beiden Ein-Euro-Hilfshausmeister. Sie ließen uns in ihr Büro und zeigten keine Scheu, mit uns zu reden. Einer der beiden ist seit März dort und zwar freiwillig, als Überbrückung bis zum Herbst, dem Beginn seiner Ausbildung. »Dann hat man wenigstens was zu tun und kann sich auch mal Zigaretten kaufen.« Er bekommt 180 Euro im Monat. Sie müssen nicht voll arbeiten und machen die gleiche Arbeit wie der »Meister« – nicht wie bei Praktikas und in der Ausbildung, wo man oft die Drecksarbeit machen müsse und ausgenutzt werde. Der andere arbeitet seit zwei Jahren dort, erst über GZA (Gemeinnützige Zusätzliche Arbeit, lief übers Sozialamt und belief sich auf 3 Stunden täglich) und jetzt auf Ein-Euro-Basis. (Das haben wir übrigens schon ein paarmal entdeckt, dass Leute über Jahre hinweg auf den gleichen Stellen eingesetzt sind, von GZA, ABM, SAM hin zu Ein-Euro-Jobs.)

Als dann eine ziemlich krude Diskussion darüber losging, ob denn das ginge, dass Leute einfach nicht arbeiten wollen und ein so verschuldeter Staat sich das nicht leisten könne..., unterbrach uns dieser unwirsche Hausmeister-»Meister« und forderte uns auf, umgehend das Gebäude zu verlassen. Wir bedankten uns noch für das Gespräch und gingen.

Beim anschließenden Auswerten in einer dieser urtypischen Neuköllner Eckkaschemmen, wo der Kaffee wie Bauchschmerzen schmeckt, aus dem Radio eine Rockballade nach der nächsten dröhnt, die Luft am Boden hängt und das einzig lebendige die Fische im Aquarium neben der Tür sind, haben wir versucht, noch ein paar Ideen zu sammeln: Wie können wir Leuten gegenüber argumentieren, die davon ausgehen, dass Arbeit das einzig zentrale ist im Leben ist, und denen die Einstellung fremd ist, nicht arbeiten zu wollen, weil man Zeit zum Leben braucht?

Berlin, April 2005

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