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Nachwort der italienischen Ausgabe von

»Storming Heaven«



In diesem neuen Jahrtausend gibt es wieder ein wachsendes Interesse am Operaismus. Unter anderem wurden einige Geschichten, aber auch einige klassische Texte wiederveröffentlicht, die bis vor kurzem vergriffen oder Ende der 70er Jahre eingestampft worden waren. Zu diesem wiederentstandenen Interesse hat auch der internationale Erfolg des Buches Empire von Michael Hardt und Toni Negri beigetragen, das in viele Sprache übersetzt worden ist. Der Band erschien 2000: unmittelbar nach den Protesten im November 1999 gegen die WTO-Tagung in Seattle, die sich im September 2000 beim WEF-Gipfel in Melbourne wiederholten, dem Weltbank und IWF Gipfel in Prag, und dann 2001 beim G8-Gipfel in Genua. Im übrigen waren die gesamten 90er Jahre gespickt mit Protesten gegen steigende Lebensmittelpreise und gegen die übermacht des IWF.

Das sind nur einige Ereignisse mit der stärksten Symbolkraft. Keines war einfach die Wiederholung des vorherigen. Jedesmal sind neue politischer Formen erprobt worden. Eine neue Generation musste sich mit den Dynamiken der kapitalistischen Globalisierung auseinandersetzen, der Prekarisierung der Arbeit, den Verwandlungen von old und new economy. Folglich sucht sie, gemeinsam, neue Arten der politischen Analyse und Intervention. Aus dieser Notwendigkeit heraus haben einige junge Aktivisten den Operaismus wiederentdeckt. Auch aus dieser Perspektive muss das Buch von Steve Wright über die Geschichte des italienischen Operaismus gelesen werden: Es wurde geschrieben von einem, der von der anderen Seite der Welt auf das provinzielle Europa schaut, und vielleicht ist es deshalb das beste zum Thema. Es ging - und geht! - nicht um eine antiquierte Geschichte.

Sergio Bologna hat zurecht darauf hingewiesen, dass der - im historischen Kontext des »Fordismus« der 60er Jahre in Italien stehende - Operaismus, nicht wiederentdeckt worden wäre ohne die theoretische Arbeit einer Generation, die eine Brücke von den damaligen Intellektuellen zu den jüngeren Generationen schlug. Nicht ohne die Arbeit von Genossen wie Primo Moroni, der jene Erfahrungen weitergegeben und verschmolzen hat. Nicht ohne den Versuch, die Dynamiken des sogenannten »Postfordismus« zu verstehen. Am meisten aber fasziniert am Operaismus wahrscheinlich seine Anmaßung, den Geruch der Niederlage abzuschütteln und in der Lage zu sein, die gesellschaftlichen Dynamiken vom Standpunkt der politischen Subjektivität und dem Auftreten der Klasse her zu verstehen. Eine regelrechte »Geste«, die, heute wie damals, viele Betrachtungsweisen umdrehen möchte, und damit neue Möglichkeiten von Analyse und politischer Aktion aufmachen kann.

Als Mario Tronti in Lenin in England die Passivität der Arbeiter, ihre Nichtbeteiligung an den Gewerkschaften, ihr Abwarten und ihre Verweigerung als »organisierte Passivität«, »programmatische Nichtbeteiligung«, »polemisches Abwarten« und »politische Verweigerung« deutete, schuf er einerseits neue Interpretationsweisen eines neuen Arbeiterverhaltens, andererseits suchte er nach einer neuen Verknüpfung zwischen Analyse und Praxis. Tronti suchte keine neue objektive Deutung der Wirklichkeit, sondern wollte auf diese Wirklichkeit einwirken. Die Illusionen von einer objektiven Geschichtsschreibung waren auch von Marx zerstört worden in seinem vielleicht brillantesten Text Der achtzehnte Brumaire: ein Beispiel von Geschichtsschreibung aus Arbeitersicht, nicht um die Wirklichkeit abzubilden, sondern um neue Wirklichkeit herzustellen.

Viele historische Arbeiten des Operaismus müssten wiederveröffentlicht und noch einmal sorgfältig gelesen werden. Steve Wright behandelt das in einem Absatz, der bezeichnenderweise »Tronti in Deutschland« überschrieben ist. Es geht um die wichtigen Arbeiten von Sergio Bologna über die deutsche Rätebewegung, um die geschichtliche Rekonstruktion der Arbeiterkämpfe in Großbritannien von Ferruccio Gambino, bis hin zur Arbeit von Karl-Heinz-Roth über »Die 'andere' Arbeiterbewegung« oder von Gisela Bock über die Wobblies. Das Buch von Steve Wright ist eins der wenigen, das die Bedeutung dieser Erneuerung von Geschichtsschreibung erfasst. Eine Erneuerung, die sich in den 70er Jahren mit der Zeitschrift Primo Maggio fortsetzte, mit ihrem Versuch, eine neue militante Geschichte ausgehend von den Kämpfen zu entwickeln. Indem sie das Verhältnis zwischen Geschichte und Erinnerung in den Mittelpunkt stellte, nahm die Zeitschrift den Kampf gegen den Geschichtsrevisionismus der darauffolgenden Jahre vorweg und legte auch die Betonung auf das proletarische Gedächtnis - gegen die Absage an das Gedächtnis, die Negri in seinen Schriften zu Beginn der 80er Jahre hochleben ließ.

In den 60er Jahren begründete Tronti das, was in seiner Größe, aber auch in seinen Grenzen, die operaistische »Geste« der Umdrehung werden sollte: die Notwendigkeit einer parteiischen Interpretation, die auch eine parteiische Intervention in die ablaufenden Prozesse und die gegebene Situation ist. In denselben Jahren perfektionierte Romano Alquati die Methodik der »conricerca« [wörtl.: Mit-Untersuchung] und baute die Thematik der »Klassenzusammensetzung« auf, den Zusammenhang zwischen Verhaltensweisen einer bestimmten Arbeitskraft und bestimmten Produktionsprozessen. Dieser Gesichtspunkt ist besonders wichtig, und obwohl die Operaisten ihn nicht immer an die erste Stelle setzten, macht Steve Wright daraus den roten Faden seiner Geschichte des Operaismus. Die Analyse der Klassenzusammensetzung und die conricerca waren die grundlegenden Bestandteile der operaistischen »Untersuchungs«arbeit, die eine Zusammenarbeit zwischen Intellektuellen und Arbeitern herstellen sollte; und die zuweilen in der Lage war, diese Versprechen einzulösen, wie die Erfahrung der Arbeiterkomitees in Porto Marghera zeigt, über die vor kurzem in einem Kongress in Mestre zusammen mit den alten Protagonisten diskutiert wurde. [siehe auch »Gli ultimi Fuochi di Porto Marghera«]

Aber die Geschichte des italienischen Operaismus ist kein monolithischer Block linearer Entwicklung, auch wenn es in Bezug auf eine Strömung, die man als »ideologischen« Operaismus definieren könnte, so scheinen mag. Steve Wright fokussiert sein Buch auf die 60er und 70er Jahre, und aus einem ganz einfachen Grund lohnt es sich, diesem Ablauf zu folgen: Für eine bestimmte Generation war jener Operaismus ein unvermeidlicher Bezugspunkt, ja noch mehr, ein regelrechtes, unausweichliches Erbe - egal ob es an vielen Punkten Dissens und Unterschiede gab. Zugleich kann man die Abweichungen, die in den letzten 30 Jahren zu verschiedenen »post-operaistischen« Strömungen geführt haben, nicht allzu leicht von den Ursprüngen abtrennen. Die späteren Grenzen haben ihre Wurzeln bereits in den Widersprüchen des ursprünglichen Operaismus.

Wenn wir uns auf die »klassischen« Figuren des operaistischen Pantheons beziehen - Mario Tronti und Toni Negri, aber zumindest teilweise auch Raniero Panzieri, den Wright in seinem Buch sehr sorgfältig darstellt (wobei er allerdings die Geschichte der Quaderni Rossi nach der Abspaltung von Classe Operaia auslässt) - dann lassen sich leicht einige unzweifelhaft starke Punkte des Operaismus ausmachen. An erster Stelle der Bruch mit der Plage des »Stagnationismus«, der die traditionelle italienische Linke und insbesondere die KPI (auch wenn es intern wichtige Gegenstimmen gab) verfallen war, und die es ihr unmöglich machte, das blühende kapitalistische Wachstum und das »Wirtschaftswunder« in Italien zu verstehen. Zu diesen wachen Augen auf die nicht »rückständige« Natur der wirtschaftlichen, aber auch sozialen Realität des Landes kam eine fruchtbare theoretische Innovation hinzu: Trontis Theoretisierung der Dualität Arbeitskraft/Arbeiterklasse, die man bei Marx entdecken, mit der man aber vor allem Marx neu lesen kann. Dank dieser Erneuerung brach der Operaismus mit einem Gutteil der von der Zweiten und Dritten Internationale überkommenen Tradition, mit deren ökonomistischen Vorstellungen, in denen die Arbeiter als passiv gesehen wurden. Und ob er sich dessen bewusst war oder nicht, Tronti öffnete auch den Weg für eine neue Krisentheorie (in vieler Hinsicht, wenn man so will, eine Zusammenbruchstheorie): eine »gesellschaftliche« Krise, die unmittelbar aus dem Verhältnis Kapital/Arbeit herrührt, Lichtjahre entfernt von den verschiedenen untereinander konkurrierenden mechanistischen Vorstellungen (von Ungleichgewicht, Unterkonsumtion, tendenziellem Fall der Profitrate).

Tronti ist in vieler Hinsicht die zentrale, aber nicht vollständige Figur des Operaismus der 60er Jahre. Er muss in ein Verhältnis von Kontinuität/Bruch zwischen Panzieri und Negri gestellt werden, wie es Steve Wright auch tut. Was Panzieri betrifft, wollen wir uns hier auf drei Aspekte seiner internen Reflektion bei der Erfahrung der Quaderni Rossi beschränken. Zuallererst seine starke Betonung der Nicht-Neutralität der Produktivkräfte und der Maschinen: eine nicht nur originelle, sonderen geradezu befreiende Eingebung. Zweitens die Erfindung der Kategorie »Plan des Kapitals«, also der Idee, dass das »Gesamtkapital« in der Lage sei, sowohl die Wirtschaft wie die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit zu planen. Mit dieser, allerdings problematischen, Kategorie versetzte Panzieri zurecht den Vorstellungen der traditionellen Linken einen weiteren Todesstoß, die den Sozialismus auf die Gleichung Verstaatlichung der Produktionsmittel plus Planung reduziert hatten. Und schließlich die Methode der »Untersuchung«: Um die Realität der Arbeiter kennenzulernen, braucht man eine Erkenntnismethode, die gleichzeitig politische Intervention und Kampf ist, unabhängig von der Analyse des Kapitals.

Es gibt für Panzieri keine »objektive« Grenze des Kapitals, sie liegt allenfalls in der Arbeit. Aber nicht als ins Kapital integrierter Teil, sondern in dem Ausmaß, in dem in ihren Kämpfen politische Inhalte entstehen. Hier liegt grob der Ausgangspunkt von Trontis Weg, der sozusagen ausgehend von Panzieri mit Panzieri bricht. Wir denken hier vor allem an Arbeiter und Kapital. Tronti behauptet, dass es zwei Marxismen gibt: den Marxismus als Wissenschaft des Kapitals und den Marxismus als Revolution. Der Marxismus als Wissenschaft betrachtet die Arbeiter als »Arbeitskraft«. Er ist eine Theorie der ökonomischen Entwicklung, in der die Arbeit vom Standpunkt des Kapitals gesehen und als vollkommen in seinem Inneren integriert verstanden wird. Im Gegensatz dazu betrachtet der Marxismus als Revolution die Arbeiter als »Arbeiterklasse«, als aktive, und folglich politische Weigerung, ins Kapital integriert zu werden.

Hier liegt der ferne Ursprung der verzerrten Auslegung dieser These, die für Negri typisch werden wird. Indem Tronti die Marx'sche Werttheorie politisch las, wollte er, entsprechend dem Geist der Umkehrung, der den Operaismus kennzeichnet, die Arbeitskraft vor das Kapital stellen. Daraus folgte nicht nur, dass die Arbeitskraft Bedingung des Kapitals ist, sondern auch, dass sie schon vor der Produktion selbst das Maß des Werts darstellt. Schon im Lohnverhältnis. Weil dem Kapital nicht der einzelne Arbeiter gegenüber tritt, sondern die Arbeiterklasse, und folglich der Klassenkonflikt, der dem Kapitalverhältnis vorausgeht, es verursacht und produziert. Mit Tronti gelangt man so zu einer Art politischem Maß für den Wert, seine endgültige Auflösung wird später kommen, wenn man so weit geht zu behaupten, dass jede menschliche Aktivität (oder Nicht-Aktivität) Wert produziert. Die Arbeit wird in einer angeblich ontologischen unabhängigen Realität hypostasiert, »von Natur aus« antagonistisch, die implizit schon für sich Wert produziert, vor der Einbeziehung ins Kapital. Das Kapital wird auf eine rein reagierende Realität reduziert, die immer mehr nur durch Autosuggestion weiterlebt. Hier kommt nicht nur die politische Klassenzusammensetzung zuerst und bestimmt die technische Zusammensetzung, sondern selbst die Macht des Kapitals wird immer mehr auf reines »Kommando« reduziert und verliert so jede gegenständliche Dimension, weil ja die kapitalistische Antwort auf den Antagonismus nichts anderes bewirkt, als die Arbeit, nicht nur politisch, sondern auch materiell zu vereinigen und zu homogenisieren, nunmehr vereinfacht in der abstrakten Figur des »Massenarbeiters«. Mit der Illusion, dass das Kapital im Grunde für uns arbeite. Ein Fehler, der sich mit der Zeit von der Tragödie zur Farce verwandeln wird. Es bleibt die performative Geste, aber inzwischen ist man der postmodernen Mode immer ähnlicher und baut Diskurse über Diskursen, die man immer weiter forciert.

Bevor wir aber zum Autor von Empire zurückkehren, wollen wir uns wenigstens an einen weiteren bedeutenden Punkt des Ansatzes von Tronti erinnern, der den späteren Operaismus und sogar den Postoperaismus tief prägen sollte. Gemäß dem Autor von Arbeiter und Kapital verwirklicht sich der Antagonismus, der die Arbeiter von Arbeitskräften zur Arbeiterklasse werden lässt, in den »Kämpfen um den Lohn«, wenn Lohnerhöhungen gefordert werden, die die Produktivität überschreiten, und in der »Arbeitsverweigerung« innerhalb der unmittelbaren Produktion. Wenn es diese beiden Dimensionen der Kämpfe nicht gibt, reduziert sich die Arbeit zu purem variablen Kapital. Das Buch von Steve Wright ist hilfreich, die Dreh- und Angelpunkte zu ermitteln, an denen sich mit der Zeit der für den Operaismus typische »Lohnblick« [ital.: visione ´salarialista´] auf den Klassenkonflikt entwickelt. Der Operaismus, von dem wir sprechen – sowie offensichtlich bis Mitte der 70er Jahre auch Negri – erkennt die Arbeiter quasi ausschließlich in dem Maße als Subjekte im Kampf an, in dem ihr Antagonismus unmittelbar subversiv ist. Die Antwort des Kapitals auf die Lohnkämpfe oder auf den Antagonismus am Arbeitsplatz sei nichts anderes als die kapitalistische Entwicklung selbst. Welche ihrerseits nichts anderes täte, als die kapitalistischen Verhältnisse von der Fabrik in die Gesellschaft hinein zu vereinheitlichen und so die Arbeiterklasse zu stärken, sowie das revolutionäre »Auge in Auge« zwischen den Klassen zu radikalisieren. Die Kämpfe übersetzen sich in die Krise, die sich in Entwicklung umkehrt, und diese übersetzt sich wiederum in die unaufhörliche antagonistische überwindung des Kapitals. Tronti wendet sich früh ab von einer reinen Zurückführung des Klassenkampfs auf den Lohnkampf, der die Vermittlung von Partei und Politik überspringe. Contropiano erscheint ab 1967, und Tronti kehrt in die Reihen der KPI zurück. Es bleibt jedoch die beinah ausschließliche Betonung der Lohnkämpfe. Die typische Abfolge des »ideologischen« Operaismus - Antagonismus im und gegen das Kapital/Sprünge in der kapitalistischen Entwicklung/Neuzusammensetzung - wird jedoch problematisiert, weil sich die Arbeiterkämpfe nicht mehr automatisch in kapitalistische Entwicklung übersetzen. Zwischen den Arbeitern und dem Kapital öffnet sich der Raum der Politik oder besser des Politischen. Die kapitalistische Entwicklung, die auf die Arbeiterkämpfe folgt, erfordert, um wirklich zu entstehen, das Eingreifen von oben: sie ist nicht freiwillig, sondern muss dem Kapital von der »Arbeiter«-Partei aufgezwungen werden. Es ist die Zeit der Taktik und der Partei. Wenn man am Horizont die »Autonomie des Politischen« erahnt, so setzt Tronti einstweilen, Ende der 60er Jahre, auf den Lohn als unabhängige Variable, was im Grunde nicht weit von den überlegungen Napoleonis in der Rivista Trimestrale entfernt ist. Beim einen wie beim anderen führt der Verteilungskonflikt zum willkürlichen und unbegründeten Eingreifen der staatlichen und politischen Sphäre und wird deren Instrument. Diese Sphäre ist parasitär in Bezug auf die Kämpfe und muss sich unvermeidlich von ihnen trennen, indem sie deren Subalternität behauptet.

Toni Negri startet beim selben Ausgangspunkt, schlägt aber einen anderen Weg ein: Er schlägt eine originelle, auf seine Art geniale, Erweiterung der marxistischen Krisentheorie vor. Ungleichgewicht und überproduktion hängen beide von Veränderungen in den Bedingungen der Verwertung ab, diese bestimmen notwendigerweise die ständigen Umwälzungen jener Tauschverhältnisse, die das Gleichgewicht ermöglichen sollten und die früher oder später aber die Krise ausbrechen lassen. Das ist der Marx des 19. Jahrhunderts. Das 20. Jahrhundert beginnt mit dem Oktober, der in Wirklichkeit das Risiko ausdrückt, dass sich die Fabrikkämpfe - noch einmal, und unmittelbar - in Kampf um die Macht verwandeln, und dass sich das wie ein ölfleck überallhin ausbreitet. Das Kapital wird davon zu einem weiteren Sprung gezwungen. Zerstörung der Klassenzusammensetzung der Handwerkerarbeiter, Geburt des Massenarbeiters, mittels der Abfolge Taylorismus-Fordismus, die von Negri, sowie von beinahe dem ganzen Operaismus, als nicht problematisch verstanden wird. So wird die Zersetzung der Klasse wieder einmal geleugnet, weil die Krise und die Umstrukturierung ununterscheidbar von der kapitalistischen Entwicklung und der Wiedervereinigung des antagonistischen Subjekts, der anderen Seite der Medaille, werden. Die Vermassung der Arbeiter an sich setzt sie bereits als Arbeiterklasse neu zusammen. Der Keynesianismus wäre somit nichts als der bürgerliche Versuch, die nunmehr unabwendbare Autonomie der Klasse innerhalb des Kapitals in eine Stimulierung der Nachfrage zu übersetzen, und somit die Stagnationstendenz zu überwinden, die mit den organisatorischen und technologischen Neuerungen einhergeht. Man will die Unabhängigkeit des Lohns zwangsweise an die Produktivität binden und so eine ausgewogene und proportionale Entwicklung garantieren.

Die theoretisch-politische Zentralität des Lohns als »unabhängiger Variablen« kehrt bei Negri in dem Moment zurück, wo dieser sich von der Produktivität löst. Der übergang vom absoluten zum relativen Mehrwert hat sich vollendet, innerhalb eines – zu kritisierenden – Ansatzes, der die beiden [Mehrwertformen] als sich gegenseitig ausschließend betrachtet. Wenn man die »notwendige« Arbeit traditionell als Produktion für die Subsistenz betrachtet, ist sie nunmehr tendenziell aufgelöst. Aber gerade die unabhängige Variable Lohn maximiert die »notwendige« Arbeit, wenn wir ihn [den Lohn als unabhängige Variable, d.ü.] als Wiederaneignung eines von Arbeit abgekoppelten Einkommens verstehen. Die Distribution wird als reines Gewaltverhältnis betrachtet. Das gesellschaftliche Produktionsverhältnis explodiert aufgrund der Lohnkämpfe, weil diese die Mehrarbeit einschränken. Negri selbst erinnert daran, dass in jenen Jahren auch einige junge Anhänger von Piero Sraffa dazu aufriefen, »beim Lohn hart zu bleiben« und so dem Kapital den Weg der Innovation als Antwort auf den Profitdruck aufzuzwingen. Aber sicherlich waren die Sprache, die Absichten und die Kategorien ganz andere. Der übergang vom Planstaat zum Krisenstaat ist dann fällig, wenn sogar die öffentlichen Ausgaben zu Lohnausgaben der Staatsfabrik werden. Ausbeutung und Lohnerhalt werden spiegelbildlich: die Forderung von Lohn und dann von Einkommen ist für ihn nichts anderes als der Angriff aufs Kapital und auf den Staat. Die kapitalistische Antwort, die Inflation und Outsourcing Seite an Seite stellt, macht in Wirklichkeit nichts anderes als die ganze Gesellschaft zum Arbeiten zu bringen. Dieser Sichtweise zufolge – die für Negri Mitte der 70er Jahre typisch war –, wären keine wesentlichen Veränderungen in der Realität des Arbeitsprozesses mehr zu erwarten gewesen: nur eine Vertiefung der Kommandostruktur.

Bis hierher ist klargeworden, dass Negri – der mit absoluter Folgerichtigkeit auf dem von Tronti gelegten Fundament aufbaut – mit zweifellos visionärer Kraft einem Operaismus mit stark irrationalen Zügen ins Leben geholfen hat, wie auch Steve Wright wiederholt zu verstehen gibt. Dieser Operaismus ist dementsprechend in der Lage, sich selbstreferenziell zu entwickeln, fast ohne weiteren Bezug zur sozialen Realität, die er doch angeblich zum Ausgangspunkt nimmt und ausdrückt. Entwicklung, Krise und Revolution werden so zu ein und derselben Sache. Es ist vergeblich, in einem Ansatz, der gleichzeitig idealistisch und umstürzlerisch ist und sich aus sich selbst heraus reproduziert, nach einer Vermittlung mit der Wirklichkeit zu suchen oder eine überprüfung an derselben zu verlangen: der Bezug auf das Konkrete hat hier nur die Funktion, eine Geschichtsphilosophie vom Reißbrett zu belegen. Solche Verdrehungen gab es von Anfang an. Classe Operaia beurteilte z.B. die Ergebnisse der Kämpfe von 1962/63 als lächerlich - der Kämpfe, in denen die Kategorie des Lohns als »unabhängige Variable« der Einkommensverteilung tatsächlich eine gewisse empirische Gültigkeit hatte und im übrigen zu einer gewalttätigen Reaktion des Systems führte. Potere Operaio schnürte den Heißen Herbst und seine Folgen in das Korsett der Lohnfrage [ital.: visione ´salarialista´], ohne wahrzunehmen, dass sich die Kämpfe 1968/69 stattdessen direkt gegen die Verausgabung von Arbeit richteten, die durch die »Restrukturierung ohne Invesitionen« seit Mitte der Sechziger Jahre extrem gesteigert worden war. Es verwundert deshalb nicht, dass man wenige Jahre später nicht in der Lage war, den zersetzenden Angriff auf die Arbeit zu erkennen, den die Antwort des Kapitals auf den Klassenkampf in der Produktion mit sich brachte.

Es ist richtig, dass der »Massenarbeiter« in der italienischen Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg eine zunehmend wichtige Rolle im Verwertungsprozess gespielt hat. Aber daraus folgte nicht, wie ein Teil von Potere Operaio annahm, dass diese Figur, als hegemoniales Subjekt, die anderen Schichten der Klassenzusammensetzung zusammenfassen konnte. Seit den siebziger Jahren ist die Art, wie man die kapitalistischen und antagonistischen Dynamiken interpretierte, immer stärker verknöchert und in die Zukunft projiziert worden. Der »Massenarbeiter« wurde ersetzt durch den »gesellschaftlichen Arbeiter«, den »Cyborg«, das sogenannte »Kognitariat« oder, eine Kategorie ohne jede Bedeutung, sogar durch den »immateriellen Arbeiter«. Die Methode war und ist dieselbe: Mache immer und überhaupt irgendeine »Tendenz« aus. Schneide an ihrem fortgeschrittensten Punkt einen Sektor heraus, dem du strategische Bedeutung zuschreibst. Schließe darüber eine neue politische »Wette« ab. Der gesamte theoretische Aufbau wird so politisch auf neue Figuren hingebogen, die jedesmal wieder zu hegemonialen erklärt werden. Angeblich fähig, neue Formen der Konfliktualität auszudrücken: und auf sie wird dann in einem neuen Glücksspiel gesetzt.

Toni Negri erinnert daran, dass ohne die Lektüre der Grundrisse viele Schriften des Operaismus nicht möglich gewesen wären. Die Grundrisse, 1968-70 ins Italienische übersetzt, wurden zu einer Art Lieblingsbuch der Bewegung der siebziger Jahre. Der Operaismus war in vielerlei Hinsicht ein Marxismus der Grundrisse. Sicherlich ein Text, der in vieler Hinsicht unausweichlich und befreiend ist – aber nur, wenn man beim Lesen seine Grenzen abmisst und in einer Rückwärtsbewegung vom Kapital ausgeht. Der Operaismus dagegen las die Grundrisse gegen das Kapital. Panzieri fand in ihnen gegen zahlreiche Passagen des Kapital und der Kritik des Gothaer Programms ein Modell des »übergangs« vom Kapitalismus direkt zum Kommunismus, während Tronti sie für politisch fortgeschrittener sowohl als den ersten Band des Kapital als auch Zur Kritik der Politischen ökonomie hielt. Aber während Tronti diesen politischen Elan einem formalen Grund zuschrieb, einer flüssigeren Marx'schen Darstellung, die nicht in eine eherne logische Anordnung von Argumenten gezwungen ist, entdeckte der Negri des Marx oltre Marx auf dieser Baustelle die Aktion einer revolutionären Subjektivität, die noch nicht durch die kategoriale Objektivierung des Kapital blockiert ist. Die Grundrisse wurden nicht nur zum fortgeschrittensten Text, sondern auch zu dem mit der meisten Subjektivität, die man gegen die verdinglichte Kruste wenden konnte, in der die Kategorien im Kapital dargelegt waren. Für viele Epigonen, wie die Dichter der kognitiven Arbeit, gab es nur die Grundrisse. Und vielleicht sogar nur ein paar Seiten daraus, das Fragment über die Maschinen.

Indem er die Grundrisse zum Buch der »Tendenz« macht, kann Negri behaupten, dass all das, was die fordistische Lohngesellschaft zerstört hat – neue produktive Subjektivierungsprozesse, die Globalisierung der Märkte, die weltweite Integration des Finanzsystems und sein Unabhängigwerden, die Behauptung der Wissensökonomie – eine neue soziale Figur ins Zentrum eines Universums rückt, in dem der Zusammenhang zwischen Lohn und Produktivität nicht mehr auszumachen ist, denn alle Formen der Arbeit seien gesellschaftlich produktiv. Für diesen Negri, nun jenseits des Operaismus, sind alle Formen der Arbeit gesellschaftlich produktiv. Trotzdem gibt es noch immer eine Arbeiterfigur, die ihre Hegemonie über die anderen ausübt. Die Industriearbeit des 19. und 20. Jahrhunderts habe ihre Hegemonie verloren, an ihre Stelle sei in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts die »immaterielle Arbeit« getreten. Der General Intellect wird in der kapitalistischen Produktion hegemonial; die immaterielle, kognitive Arbeit wird unmittelbar produktiv. Das »Kognitariat« ist die fundamentale Produktivkraft, die das System zum Funktionieren bringt.

Bevor wir irgendeine kritische überlegung zu diesem Ansatz anstellen, muss klar geworden sein, wie solche Positionen die Indifferenz der jungen Generationen der neunziger Jahre und derjenigen, die näher an der unsrigen sind, gegenüber der Arbeiterarbeit nähren: sie verwandeln den Hass auf die Arbeit in Gleichgültigkeit, wenn nicht sogar in Abneigung gegen eine Arbeiterklasse, die als reaktionär und rückständig gesehen wird, weil sie an den Arbeitsplatz gebunden ist. Wie sie gleichzeitig verhindern, dass die neuen Formen der wertproduzierenden Arbeit wahrgenommen werden, weil sie die konkrete Wirklichkeit auslöschen und sie durch ein Stereotyp ersetzen, das die durchaus materiellen Formen, die die Fragmentierung der vom Kapital abhängigen Arbeit heute annimmt, in eine verschwommene und unbestimmte Kategorie auflöst. Die unmittelbare Wertproduktion als Ort des Konflikts und des Antagonismus, oder auch der Kooperation und der kapitalistischen Hegemonie, wird niemals wirklich zum Thema gemacht, als würde sie nicht mehr existieren. Es fehlt der kapitalistische Arbeitsprozess als »umkämpftes« Terrain. Es fehlen folglich die ArbeiterInnen, wenn sie arbeiten: wenn sie sich nicht aufsässig verhalten, sind sie Arbeitskraft; wenn sie Arbeiterklasse sind, sind sie gegen die Arbeit. Der »ideologische« Operaismus sieht sie nur, wenn sie Lohn fordern oder wenn sie die Arbeitsleistung verweigern: ansonsten sind sie dasselbe wie Maschinen. Weil er die Arbeit als solche nicht wahrnimmt, müssen ihm auch die realen Formen der kapitalistischen Restrukturierung und der wirkungsvollen politischen Angriffe auf die Klasse der ArbeiterInnen entgehen. Das geht bis zur völligen Blindheit gegenüber den wirklich neuen Merkmalen des gegenwärtigen Kapitalismus.

Dieser Operaismus verwandelt den Antagonismus in die anmutigen Bewegungen eines schillernden, jeweils hegemonialen Subjekts; die Konfliktformen von Subjekten, die man in der Tendenz nicht länger für hegemonial hält, werden als rückständig betrachtet, Erinnerungen an einen Fellinifilm. Natürlich gilt das nicht für andere Autoren des Operaismus, wie Vittorio Rieser, Romano Alquati, Ferruccio Gambino, Sergio Bologna, Marco Revelli und viele andere. Ein Operaismus, den wir »materialistisch« nennen könnten, und der dem Abdriften des »ideologischen« Operaismus entkommen ist: letzterem gelingt es aber besser, sich in der Vorstellungswelt als der Operaismus schlechthin durchzusetzen und mit den verschiedenen postoperaistischen Strömungen die Erinnerung an die anderen auszulöschen. Anstatt den hegemonialen Subjekten einer vermeintlichen Tendenz nachzujagen, ist es heute hilfreicher, von den Körpern und Köpfen auszugehen, die im monströsen und todbringenden Mechanismus einer Selbstverwertung gefangen sind, in der die Ausbeutungsformen simultan werden. Ein Prozess, der - anders als es die Historisierung in unterschiedliche Phasen behauptet - relativen und absoluten Mehrwert verschränkt und zunehmend in derselben Produktionskette verschiedene Formen von Arbeit und Mehrwert kombiniert, Formen von High tech und von neuer Sklaverei, die heute in der kapitalistisch globalisierten Welt ständig zunimmt. Die Sprünge in der Produktivität der Arbeit sind untrennbar verbunden mit ihrer zwangsweise erhöhten Intensität und dem Drang nach einer Verlängerung des gesellschaftlichen Arbeitstages.

In seinem Buch wirft Steve Wright einerseits Licht auf die irrationalen Abwege eines Teils des Operaismus und zeigt andererseits die Fruchtbarkeit der Erfahrungen, die in der postoperaistischen Literatur zu oft in den Hintergrund gedrängt, wenn nicht schlicht und einfach vergessen werden. Besonders schätzen wir an Steve Wrights Buch seine Fähigkeit, den Operaismus der Frauen und Männer aufzuspüren, die die Kämpfe tatsächlich geführt haben - innerhalb der Arbeit, so wie sie ist und gegen die Initiative des niemals vergeistigten Kapitals. Zum Beispiel zeigen die Abschnitte über die Kämpfe gegen die Gesundheitsschädlichkeit der Arbeit oder die Kämpfe bei Fiat, dass der Operaismus der Arbeiterinnen und Arbeiter den überlegungen der Theoretiker dieser Strömung weit voraus war. Bemerkenswert ist außerdem die Fähigkeit, die untergründige Geschichte des »rationalen« Operaismus sichtbar zu machen, der sich nicht nur in Primo Maggio sammelte, sondern auch in gewisser Hinsicht in Altreragioni in den neunziger Jahren eine Fortsetzung hatte.

Weiterhin in der Tendenz der kapitalistischen Produktionsweise eine Befreiung durch Entwicklung zu erwarten, kann heute zunehmend bedeuten, auf ein selbstzerstörerisches Szenario zuzusteuern. Was übrigens auch Marx auf den düstersten Seiten des Kapital zu fürchten begann. Heute fallen Befreiung der und von der Arbeit von neuem und in tragischer Weise auseinander: die erste hängt im Horizont des Arbeitsplatzes fest, die zweite ist ökologisch eingekreist. Dieses Auseinanderfallen wird zum offenen Gegensatz, wenn die Arbeit in umweltschädlichen Fabriken auf dem Spiel steht. Wie es gerade im Petrochemiewerk von Marghera geschieht. Oder wie die Tragödie bei Thyssen/Krupp Ende 2007 zeigte, die weder als Ausnahme noch als Ausdruck von Rückständigkeit gesehen werden kann. Von der Gesundheitsschädlichkeit der Arbeit auszugehen, wie es die Gruppe Potere Operaio in Marghera vor vierzig Jahren getan hat, bedeutet die todbringende Natur der kapitalistischen Produktionsweise inner- und außerhalb der Fabriken zur Diskussion zu stellen. Es bedeutet, wie auch Sergio Bologna meint, sich nicht nur mit der giftigen Wirkung der Chemieindustrie auseinanderzusetzen, sondern auch mit den neuen Formen der Gesundheitsschädlichkeit, der sozialen Isolation, dem beschissenen Fraß, den nikotinarmen Zigaretten, den psychischen Störungen und den Hämorrhoiden der hoch modernen Wissensarbeiter.

Einige Postoperaisten behaupten, nach der formellen und der reellen Subsumtion seien wir heute in der Phase der »totalen« Subsumtion. Dieses entwicklungsideologische [sviluppismo] Raster setzt vor allen Dingen die Auslöschung des Wertbegriffs und die Ausdehnung des Begriffs 'produktive Arbeit' auf das gesamte menschliche Handeln (und Nicht-Handeln) voraus. Ein theoretischer Rahmen, der an den Haaren herbeigezogen ist und aus dem bisher keine Analyse entstanden ist. Eher hat sich Negri, wie Steve Wright schreibt, mit der Figur des »gesellschaftlichen Arbeiters« von den Schwierigkeiten des »Massenarbeiters« freigemacht. Aber dieses Schema setzt auch die Vorstellung von unterschiedlichen Phasen des Kapitalismus voraus, in der jede Form der Subsumtion einem neuen Typ revolutionärer Subjektivität entspricht: so macht der »Massenarbeiter« dem »gesellschaftlichen« Arbeiter Platz, und dieser dem »immateriellen«.

Wir haben es bereits angedeutet: ein solches Schema ist eine Geschichtsphilosphie »vom Reißbrett«. Und trotz seiner dröhnenden antagonistischen Rhetorik, die auch die Analysen der französischen Regulationsschule verwurstet, verflacht es letztendlich zu einem sozialliberalen Reformismus. Da wo der Regulationismus den Marxismus verlässt und wenig mehr als ein aktualisierter Bastard-Keynsianismus ist, der »Flexibilität« der Arbeit gegen ein allgemeines und bedingungsloses Grundeinkommen eintauschen will, stimmt dieser Postoperaismus fast schon begeistert zu. Zum Schaden kommt der Spott, denn in der Praxis übersetzt dieser Postoperaismus den »Existenzlohn« in eine Sozialhilfe für Prekäre. So pflastert er den Weg zur Hölle des Wettrennens der Lebensbedingungen nach unten, zu einer Wiederholung der Erfahrung mit dem Speenhamland-Gesetz [1], hier würde sich nicht nur die erneute Lektüre von Marx, sondern auch von Polanyi als nützlich erweisen. Indem er das tut, begünstigt dieser Operaismus ohne es zu wissen die inzwischen permanente kapitalistische Restrukturierung.

Das Paradigma der Phasen, das bis heute verschiedene Ausrichtungen der operaistischen Tradition kennzeichnet, verstellt die Sicht darauf, dass die verschiedenen Formen der Ausbeutung gleichzeitig existieren und aufeinander angewiesen sind, und es verortet das Zentrum der theoretischen und praktischen Kritik am Kapitalismus illusorischerweise außerhalb der Arbeit. Wenn man sich Geschichte vorstellt als angetrieben von einem immer klar auszumachenden hegemonialen Subjekt, kann man einerseits - wie Tronti es seit einigen Jahren tut - einen dekadent-spenglerschen [2] Blick auf die Geschichte entwickeln, wo die Arbeiterklasse als paulinischer Katechon [3] die zerstörerischen, nivellierenden und entpolitisierenden Aspekte der Modernität im Zaum hält. Nachdem der Klassenkampf nicht mehr starker Motor der Geschichte ist, der das Kapital zu ständigen Gegenangriffen zwang und die Entwicklung in ihre Form gegossen hat, bleibt nur noch die Geschichte mit negativem Vorzeichen. Das ist im Grunde der folgerichtige Weg derjenigen, die sich im Bewusstsein der Niederlage verschanzt haben. Oder man nimmt andererseits wie Negri, der auf dem Terrain der Tendenz bleiben will, jeweils die Perspektive der hegemonialen Figur der Arbeit ein, verbannt die anderen auf nachrangige Positionen, und hat dann eine triumphalistische Vorstellung, die sich von Sieg zu Sieg bewegt. Daraus ergibt sich eine Frage. Haben Positionen wie die von Tronti und Negri vielleicht dieselbe Geschichtsphilosphie, nur mit unterschiedlichen Vorzeichen, die eine verliert mit dem Untergang des Arbeiters den Motor der Geschichte, die andere sucht beständig nach neuen hegemonialen Figuren, die in der Lage sind, die Tendenz zu bestimmen? Genau dieses Paradigma wäre zu hinterfragen!

Wir aber müssen von vorne anfangen und die Bedingungen der Möglichkeit des Antagonismus im und gegen das Kapital rekonstruieren, in einer Welt, die nicht die überwindung der gegenwärtigen Ordnung der Dinge ist, sondern die einer gigantischen planetarischen Neuformierung der »Arbeiterklasse«.

Wir möchten dem Archiv Augusto Finzi im Dokumentationszentrum der Lokalgeschichte von Marghera und den Genossinnen und Genossen danken, die Material aus ihren privaten Sammlungen zur Verfügung gestellt oder diese Einleitung mit uns diskutiert haben.


Januar 2008 Riccardo Bellofiore, Massimiliano Tomba



[1] Das Speenhamland-Gesetz ist ein 1795 in England beschlossenes Sozialgesetz. Es sollte das Problem der Arbeitslosigkeit institutionell und zentral lösen. Um Beschäftigung zu sichern, wurden die Löhne immer niedriger angesetzt, so niedrig, dass sie keine Basis für eine Existenz darstellten. Das Gesetz setzte ein Existenzminimum fest, das durch Zuschlagszahlungen auf den Lohn aus der öffentlichen Hand erreicht werden sollte. Ein Kombilohnmodell, das wie auch in der aktuellen Debatte angemerkt, einen Nebeneffekt hatte: Der Staat finanzierte die niedrigen Löhne. Bis 1834 verwandelte diese Praxis weite Teile der Arbeiterschaft in Bettler. (Wikipedia)

[2] Oswald Arnold Gottfried Spengler (1880 - 1936), deutscher Geschichtsphilosoph, Kulturhistoriker und politischer Schriftsteller. Gilt als »Meisterdenker der Konservativen Revolution« und geistiger Wegbereiter des Nationalsozialismus. Sein Hauptwerk Der Untergang des Abendlandes (1918 + 1922) kennzeichnet die Weltgeschichte als immer wiederkehrenden Aufstieg und Niedergang von Kulturen und Zivilisationen.

[3] Aufhalter des Antichrist aus dem 2. Brief Paulus.





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