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Zum Jahreswechsel platzt der Flughafen Bukarest-Baneasa aus allen Nähten wie eine zu eng gewordene Jeans. Schon im Normalbetrieb hat der Airport für Billigfluglinien ein enormes Passagieraufgebot, nun sind die Grenzen der Kapazität weit überschritten. Endlose Schlangen, unbestimmte Wartezeiten und stickige Luft. Die meisten Menschen, die sich hier durch die Halle schieben, quetschen und drängeln, sind im Ausland arbeitende RumänInnen: capsunari, Erdbeerpflücker, wie sie in Rumänien genannt werden, egal, ob es sich dabei um Bauarbeiter in Bologna, Altenpflegerinnen in Paris, Hafenarbeiter in Rotterdam oder LandarbeiterInnen in Andalusien handelt. Schätzungsweise arbeiten 10-20 Prozent der rumänischen Bevölkerung - bis zu fünf Millionen Menschen - permanent oder vorübergehend im Ausland, vor allem in Italien und Spanien. Die Feiertage am Jahresende verbringen die meisten »zuhause« in Rumänien. Und so kann man zum Jahreswechsel auf den Busbahnhöfen und Flughäfen im Land eine der größten innereuropäischen Migrationsbewegungen beobachten. Die Auswanderung hat Unternehmen im Inland schon seit einiger Zeit vor massive Probleme gestellt. Laut einer Studie von Manpower war Rumänien 2008 weltweit das Land mit der höchsten Arbeitskräfteknappheit. [1] Besonders stark betroffen waren das Baugewerbe, wo die Hälfte der Arbeitsplätze nicht besetzt werden konnte, die Tourismusbranche und die Schuh- und Textilindustrie. Obwohl das Lohniveau in Rumänien in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen ist, liegt es im EU-Vergleich noch immer an letzter Stelle. In den Textilfabriken wird auch heute landesweit nur etwas mehr als der gesetzliche Mindestlohn gezahlt. [2] Zu diesen Löhnen ist kaum noch jemand bereit, in der Fabrik zu schuften. Bemühungen der Firmen, mehr Leute vom Land zu rekrutieren, scheiterten immer wieder an mangelnder Qualifikation, häufigen Fehlzeiten und unmotivierter Haltung der ArbeiterInnen gegenüber der Fabrikarbeit. Um die übriggebliebenen einheimischen Beschäftigten zu halten, kommen ihnen viele Unternehmen entgegen und gewährend für die Saisonarbeit im Ausland neben dem regulären Urlaub zwei weitere Monate unbezahlten. Doch auch damit ließ sich der Arbeitskräfteschwund nicht aufhalten, der zudem durch die Abwanderung in neue Betriebe der Autozulieferer- und Elektronikindustrie verstärkt wurde, wo höhere Löhne gezahlt werden. Die Arbeitskräfteknappheit sollte schließlich durch den Import von Arbeitskräften aus Asien gelöst werden. Dabei kam es von Anfang an zu Konflikten und Widerstandsaktionen der migrantischen ArbeiterInnen aus China, Indien, Pakistan, Vietnam, Bangladesch und von den Philippinen. Dazu zwei Beispiele aus der Textilindustrie:Dem Bekleidungshersteller Mondostar in Sibiu waren von 1200 einheimischen Beschäftigten weniger als 350 geblieben. Um nicht in den Konkurs zu gehen, stellte die Firma im Mai 2008 zunächst 95 philippinische Textilarbeiterinnen ein. Der Arbeitsvertrag mit einer Vermittlungsagentur in Manila sicherte den Philippinas einen Basislohn von 400 USD, 100 Prozent Überstundenzulagen sowie freie Kost und Logis. Aufgrund dieser Zusagen gingen die Frauen das Risiko ein, sich für die anfallenden Vermittlungsgebühren inklusive Reisekosten mit je 2500 USD zu verschulden. Die Voraussetzungen, unter denen die migrantischen ArbeiterInnen für eine Verbesserung ihrer Bedingungen kämpfen, sind keineswegs günstig. Ihr Aufenthaltsrecht ist an den Arbeitsvertrag gebunden. Damit haben die Arbeitgeber ein wichtiges Druckmittel in der Hand. Die TextilarbeiterInnen sind in der Regel in Wohnheimen auf dem Fabrikgelände untergebracht und dadurch leichter kontrollierbar. Weiter erschwert wird der Kontakt zu einheimischen KollegInnen dadurch, dass sie innerhalb der Produktion meist getrennt von diesen arbeiten. Hinzu kommen sprachliche Barrieren. Welche Ausmaße die Repressionen der Unternehmer gegenüber migrantischen ArbeiterInnen annehmen, zeigt das Beispiel des italienischen Textilfabrikanten Gamba, der in Bacau zwei größere Werke betreibt, Sonoma und Wear Company. Er hatte vor drei Jahren als erster Unternehmer in Rumänien eine Lizenz für 1000 chinesische Näherinnen beantragt. Wenige Monate später, im Januar 2007, wurde die Wear Company international bekannt, als 400 chinesische Frauen in einen spontanen Streik traten, da ihnen die versprochenen Löhne nicht gezahlt wurden. Ein Teil der Frauen kehrte nach dem Streik nach China zurück, ob auf eigenen Wunsch oder abgeschoben, ist bis heute nicht bekannt. Auswirkungen der weltweiten WirtschaftskriseDie weltweite Krise wird die sozialen Verhältnisse in dem jungen EU-Land drastisch verändern. Ein Wirtschaftswachstum von 9,3 Prozent, wie 2008 verzeichnet, Lohnerhöhungen um 25 Prozent und eine Arbeitslosenquote unter vier Prozent - diese Dynamik dürfte vorerst gebrochen sein. Derzeit gibt es in größerem Ausmaß Kurzarbeit und erstmalig seit Jahren Einstellungsstopps auf dem rumänischen Arbeitsmarkt. In der Automobilindustrie und bei ihren Zulieferern, in der Stahl- und der Chemiebranche stehen Entlassungen bevor. Das Drehkreuz der Migration kann auch für die «Erdbeerpflücker« in naher Zukunft die Richtung ändern. In Spanien ist aufgrund der weltweiten Krise der Immobilienmarkt und damit die Baubranche zusammengebrochen. 500 000 rumänischen Bauarbeitern droht nun die Arbeitslosigkeit. Werden die Flughäfen und Busbahnhöfe in Rumänien bald mit Rückkehrern überfüllt sein? Welche Perspektiven haben sie? Werden sie, an deutlich höhere Löhne gewöhnt und über neue Erfahrungen verfügend, bereit sein, sich erneut den in Rumänien herrschenden Bedingungen von langen Arbeitszeiten und niedrigen Löhnen zu unterwerfen?
Ana Cosel
Endnoten: [1] Manpower-Studie veröffentlicht am 22. April 2008, derzufolge 73 Prozent der in Rumänien befragten Unternehmen angaben, nicht genügend Arbeitskräfte finden zu können. [2] Zwischen 2000 und 2008 hat sich der gesetzliche Mindestlohn von 35 Euro auf derzeit etwa 135 Euro vervierfacht. In den Textilfabriken werde selten mehr als 200 Euro Lohn im Monat gezahlt. [3] OFW = Overseas Filipino Workers, mehr Informationen dazu unter http://en.wikipedia.org/wiki/OFW [4] In der rumänischen Presse erschien Ende 2008 lediglich die Meldung, dass von den 500 in Bacau arbeitenden Bangladeshi 100 verschwunden seien. Die Polizei bitte um Mithilfe. [5] Seit Januar 2005 gibt es keine Importquoten für Textilien mehr. Davon profitierte vor allem die Textilindustrie in China und Indien, da ihre Produkte billiger auf den US-amerikanischen und den europäischen Markt eingeführt werden konnten. Mit dieser neuen Konkurrenz konnten Textilfirmen in Rumänien schwer mithalten. |
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