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Thesen zur globalen Krise1. Wir sind in einer welthistorischen SituationStrukturkrise, Konjunkturkrise, Finanz-/Bankenkrise, »ökologische Krise« und regionale Krisen kommen zusammen. Das ist kein Zyklus, egal welchen Buchstabens, sondern ein »Bruch«. Die strategischen »Geschäftsmodelle« der letzten beiden Jahrzehnte (Investment Banking, Hedge Fonds, Derivatehandel, »Heuschrecken«...) sind am Ende. (Beispiel: Krise der Autoindustrie und des Autos) Seit drei Monaten bricht der Welthandel ein, das ist der Kipppunkt und wesentlich gefährlicher als die »Bankenkrise« der letzten zwei Jahre. Und es geht in seiner Dynamik bereits jetzt über die Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre hinaus. Damals fiel der Welthandel in einem protektionistischen Flächenbrand in der ersten Hälfte der 30er Jahre um 66 Prozent – beim aktuellen Tempo wäre diese Marke in etwa im Herbst 2009 erreicht – obwohl der protektionistische Wettlauf noch gar nicht richtig losgegangen ist. Wenn er losgeht, wird uns nicht nur das Welthandelssystem, sondern auch Weltfinanzsystem und Weltwährungssystem um die Ohren fliegen. 2. ÜberakkumulationskriseSeit 1974 wurden alle Krisen durch die stärkere Ausweitung des Kredits »gelöst« – die verschiedenen Finanzblases waren die (krisenhafte) Grundlage der sogenannten »Realwirtschaft«. In den USA erwirtschaftet der Finanzsektor 40 Prozent des BIP. Die andere Seite ist die gigantische Verschuldung der Staaten, der Unternehmen und der Privathaushalte. Seit 1980 sind in den USA die privaten Schulden doppelt so schnell wie die Einkommen gewachsen, in Großbritannien liegt die Rate inzwischen bei 220 Prozent! Im Zentrum der Ausweitung des Kredits standen die Verbriefung von Schuldscheinen (»securitazition«) und Credit Default Swaps: Die Securitisierung neuer Finanzprodukte stieg von 2000 bis 2007 von 78 Milliarden Euro auf 454 Milliarden Euro an; die globalen Derivatemärkte werden auf 600 bis 1000 Billionen Dollar geschätzt, die CDS auf mindestens 60 Billionen – zum Vergleich: das Bruttosozialprodukt der ganzen Welt liegt bei etwa 45 Billionen.
3. »Krise der Krise« – die Rache der ’68er1973-2006 war eine langgezogene Krise – der aktuelle Einbruch ist die Krise dieser Krise. Die Anfang der 70er Jahre beginnende Krise wurde nicht durch massive »Kapitalentwertung« gelöst – die Verhinderung des Kollaps verhinderte die Revolution, verhinderte aber auch einen neuen Boom. Der Volcker-Schock 1979 läutete den langen neoliberalen Krisenangriff ein – aber seither kamen die Krisen immer schneller: Schuldenkrise, Sparkassenkrise, weltweite Krise Anfang der 90er, Währungskrisen 1997-1998 (Südostasien, Rubel, Lateinamerika), dot.com-Krise, nun seit 2006 die globale Krise.
4. Chimerica bricht zusammenDie schuldenfinanzierte und konsumgeleitete US-Wirtschaft war und ist auf gewaltige Kapitalzuflüsse, v.a. aus China angewiesen, das gleichzeitig zum Industriezentrum der Welt für Konsumwaren geworden war. Im Zeitraum von 2003 bis 2006 stieg das Handelsbilanzdefizit der USA auf 800 Mrd. Dollar jährlich. In diesem Dreieck verdienten vor allem die US-Banken: sie liehen Geld billig auf dem Weltmarkt und verliehen es teurer an Konsumenten (Hypotheken, Studi- und Auto-Kredite). Die Hauptkapitalgeber China, Japan, Taiwan und Südkorea halten inzwischen zusammen vier Billionen Dollar an Währungsreserven. Diese Anlagen wurden durch den Dollarverfall praktisch halbiert. Die USA mussten aber auf chinesischen Druck hin Fannie Mae und Freddie Mac im September nationalisieren – China hat dort insgesamt 500 Mrd. Dollar investiert – eine historische Niederlage »des Westens«! Die zur Aufrechterhaltung dieser fragilen Situation notwendigen Kapitalzuflüsse (Prinzip der »rollierenden Kredite«) hängen am US-Dollar als »Weltgeld« – und der hängt von der militärischen Dominanz der US-Armee ab, aber auch vom Export Chinas – der im Februar um 25 Prozent eingebrochen ist.
5. Protektionismus – KlassenkampfDas Ende der Hegemonialmacht führt zum Scheitern der multilateralen Ansätze – denn Multilateralismus setzt eine Hegemonialmacht voraus. Die Krise verschärft den Protektionismus. Viele Länder haben protektionistische Maßnahmen gegen chinesische Importe ergriffen. Aber das geplatzte »Bretton Woods II« lässt sich nicht einfach durch politische Entscheidungen (»Handelspolitik«) durch etwas Neues ersetzen – es ist sehr stark verwoben mit den Klassenverhältnissen, und alle haben Angst vor dem Klassenkampf in China. 6. Aktuell: Bankenkollaps?Der Zahlungsausfall in Osteuropa droht, das europäische, v.a. österreichische, Bankensystem herunterzureißen.
7. It's the system, stupid!Die Krisenmaßnahmen der Herrschenden zielen bisher nicht auf einen Wiederaufschwung, sondern darauf, politisch zu überleben. Die neoliberalen Angriffe auf die Klasse wurden fortgesetzt, teilweise sogar verschärft.
8. Keine Dialektik Reform – RevolutionEs sind keine »Reformen« in Sicht, die der Klasse Luft verschaffen – stattdessen wird die Politik von shock and awe gegen die Klasse noch verstärkt (ständige Verunsicherung). Mehr Regulierung heißt nicht mehr Sozialstaat! Stärkere Regulierung wird gleichwohl notwendig, denn die Zentralbanken und die Staaten können ihre bisherige Strategie nicht durchhalten: Es ist unmöglich, einerseits die Spareinlagen zu garantieren und andererseits die Banken weiterhin große Risiken eingehen zu lassen (Ackermann sprach gerade wieder von den 25 Prozent Rendite aufs Eigenkapital!). 9. Schon in den ersten Phasen der Krise läuft der größte Angriff auf die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse seit Jahrzehnten (Massenentlassungen, Anstieg von Obdachlosigkeit usw.)Autoindustrie, Banken und Versicherungen haben bereits in den letzten Jahren stark Personal abgebaut. Bisher wurde das aber mit Abfindungen bewerkstelligt. Nun schnellt die Arbeitslosigkeit viel schneller als in früheren Krisen hoch. Etwa 200.000 Leiharbeiter wurden in der BRD bereits entlassen. Trotzdem ändert sich die Zusammensetzung der Arbeitslosigkeit rasant. Im Februar stehen bei Märklin und Karmann erstmals Massenentlassungen ohne Abfindungen an...
10. Die Phasen der Krisenpolitik– 2007 bis September 2008: Einlullen;
11.Krise der Repräsentanz – Krise der PolitikWir sind bereits mitten in einem »regime change« – Hypothekenbanken, Hedge Fonds usw., die Geschäftsmodelle der letzten Jahre, sind kaputt – »Ende der Wall Street«. Auch wenn die Herrschenden bisher in der Substanz ihrer Politik nicht umschalten, das bisschen Veränderung verschärft bereits ihre Krise bis zum Anschlag: Die SPD ist am Arsch, die CDU leidet noch viel mehr. Die Mitgliederverluste bei Gewerkschaften und »Volksparteien« sind keine »Politikmüdigkeit«. Es gibt heute viel mehr Initiativen, soziales Engagement und Kapitalismuskritik... zwei Drittel der Deutschen sagen aktuell bei Umfragen, dass die soziale Marktwirtschaft kein gutes Gesellschaftssystem ist. Aber viele Leute haben noch Hoffnungen in Reformen. Entscheidend ist, was daraus entsteht, wenn diese unter der Wucht der Krise zerbrechen. Zwei Drittel der Griechen sagten im Dezember, das sei eine soziale Revolution... 12. Krise der LinksradikalenDie (radikale) Linke ist nicht auf der Höhe der Zeit, sondern macht business as usual. Bündnispolitik, Mobilisierung zum symbolischen Gipfelsturm, Hoffen auf Gewerkschaften und andere Institutionen. Die Gewerkschaften machen derweil Zugeständnisse im Voraus oder führen Ablenkungskämpfe. »Organisierte Erwerbslose« sind Ausdruck der Klassenspaltung, nicht Teil ihrer Bekämpfung.
13. Parallele »long depression« – Ende einer historischen KonstellationIn der Weltwirtschaftskrise in den 30er Jahren waren sich »alle« einig, wie man aus der Krise wieder herauskäme: Kapitalisten, Stalinisten, Nationalsozialisten und US-Demokraten (Roosevelt) setzten auf die serielle Massenproduktion von langlebigen Konsumgütern und Maschinen, flankiert von einem nationalen Sozialstaat – und alle experimentierten mit Arbeitslagern. Heute ist weder eine neue Produktionsweise noch eine neue Form von produktiver, staatlicher Einbindung in Sicht. Die aktuelle Krise ist eher mit der fünfjährigen »long depression« 1873-1878 vergleichbar, die in eine zwanzigjährige Stagnation bis 1896 mündete. Der Kapitalismus kam damals aus der Krise heraus, indem er sich radikal verwandelte: industrielle Herstellung von langlebigen Produkten des Massenkonsums (Nähmaschine, Staubsauger, Auto, Kühlschrank...). Die wesentliche Innovation war das Fließband (Bauernarbeiter / Ende der historischen Arbeiterorganisationen). Auf der anderen Seite Geburtsstunde der »Dritten Welt« und Erdöl als Energiebasis. Heute Ende des Fließbands, Ende der »Dritten Welt«, Ende des Erdölzeitalters – und damit Ende der Industriegewerkschaften als Organisationsform der Klasse. 14. Es gibt kein Außen mehr.Zum ersten Mal in der Geschichte des Kapitalismus wird die Arbeiterklasse in China gleichzeitig mit dem Rest des Weltproletariats von den Auswirkungen der Krise erfasst. Und nach den von der bürgerlichen Presse »food riots« genannten Aufständen in der ersten Hälfte 2008 begannen die Industriearbeiter zunächst in China im September mit ihren Kämpfen gegen die Krisenauswirkungen. Man nimmt an, dass inzwischen 30 Millionen WanderarbeiterInnen entlassen worden sind –. Im November und Dezember kam es dann zu Bewegungen in Italien, Russland und Griechenland. Im Januar verschob sich das Zentrum auf Osteuropa: in Lettland, Litauen, Bulgarien, Rumänien, Ungarn – aber auch in England, Frankreich, Island, Südkorea, Guadeloupe, Reunion, Madagaskar, Mexiko und Irland gingen Leute gegen die Krise(npolitik) auf die Straße – in vielen Fällen verbunden mit Streiks. Die Frage ist, ob in diesen Bewegungen eine gemeinsam kämpfende Weltarbeiterklasse entsteht. Island und Argentinien (2003) zeigen, dass das nicht automatisch passiert! Hier hat die Bewegung zwar eine Regierung zur Abdankung gezwungen, ist aber Ende Februar in Stagnation verfallen – bei 20-prozentiger Inflation und sich weiter verschärfenden sozialen Problemen! 15. Selber tun!Der Kapitalismus bricht nicht von selber zusammen und alles wird gut. Aber heute sollte radikal Neues möglich sein. Aus der »Wirtschaftskrise« wird eine politische Krise – so oder so. Den letzten Crash konnten sie noch auf die überzogenen Erwartungen an den Internetboom und die Anschläge vom 11.9. schieben, aber nun sehen alle, dass das Finanzsystem selber implodiert. Nun sollte wirklich Neues möglich sein! Wenn wir uns aber daran erinnern, wie schnell vor 20 Jahren Handlungsmöglichkeiten zugemacht und Oppositionelle weggeschoben wurden, wird vielleicht auch deutlich, dass wir uns nicht lange auf einem »Vorsprung« ausruhen können. März 2009 |
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