Paola Rudan, Devi Sacchetto
»Jetzt wird gestreikt!«, hallt es am Samstag durch den Bauernhof Boncuri in Nardò bei Lecce. Afrikanische Arbeiter, die aus ganz Italien zur Ernte hier zusammengekommen sind, rufen das in ein Megafon. 60 Prozent der eilig abgeschlossenen Wassermelonenernte vergammeln auf den Feldern, unter anderem weil Melonen zu Schleuderpreisen aus Griechenland und der Türkei importiert werden. Nun sollen die Migranten Tomaten ernten. Auch hier sind die von den ebenfalls afrikanischen Vorarbeitern [caporali1] festgelegten Löhne noch niedriger als letztes Jahr: 3,50 Euro pro 100 Kilo-Kiste bei großen, sieben Euro bei Kirschtomaten. Als dann am Samstagmorgen noch die Anweisung kommt, dass die Tomaten auf den Feldern gleich noch sortiert werden sollen, kommt es zum Streik. 40 Arbeiter stellen die Arbeit ein und gehen zum Hof zurück, wo der Verein Finis Terrae und die Brigate di solidarietà attiva (BSA) sie seit zwei Jahren beim täglichen Überleben und mit einer seit letztem Jahr laufenden Kampagne gegen Schwarzarbeit unterstützen. In einer schnellen Versammlung um halb sechs morgens beschließen die Migranten, die nahe gelegene Staatsstraße zu blockieren, was allerdings durch das sofortige Eingreifen der Polizei nur kurzfristig gelingt. Der Protest endet am Samstagabend mit einer Versammlung auf dem Hof, einberufen von der örtlichen für die Landwirtschaft zuständigen Gewerkschaft (FLAI-CGIL), die auf den letzten Drücker aufläuft, um die Migranten zu unterstützen. Als erster zeigt sich ein tunesischer Vorarbeiter, um den Wochenlohn auszuzahlen und sich einen Eindruck der Situation zu verschaffen. Er bleibt nur kurz und haut dann ab, während die Spannung unter den 300-350 Migranten steigt. Sie fordern Lohnerhöhungen und Arbeitsverträge. Letztes Jahr haben die Arbeitgeberorganisationen unter dem Druck der ersten unabhängigen Organisierung der Migranten für bessere Arbeitsbedingungen ungefähr 170 Verträge unterschrieben. Aber oft arbeiten nun mehrere Personen abwechselnd auf denselben Arbeitsvertrag, der zudem nach den Wünschen der Vorarbeiter aufgesetzt wird. Allerdings ist schwer vorstellbar, dass das System nur von migrantischen Vorarbeitern getragen wird.
Sicher, sie kontrollieren den Arbeitsmarkt bei der Ernte von Wassermelonen und Tomaten: »Ein Tunesier ist der Capo der Vorarbeiter, die sind Sudanesen und Ghanaer. Jeder versucht, Leute seiner Nationalität anzustellen«, sagt François, ein dreißigjähriger Togolese, der seit vier Jahren in Italien ist. Jeder Vorarbeiter stellt seine Arbeitstruppen um vier Uhr morgens zusammen, genommen wird, wer in der Verhandlung den niedrigsten Lohn akzeptiert. Die Arbeiter kennen die Realität der migrantischen Arbeit und wissen, dass es »unterschiedliche Kategorien von Migranten gibt«, und dass die ohne Aufenthaltserlaubnis bisweilen schlechtere Löhne akzeptieren. So wirkt das Bossi-Fini-Gesetz von den Fabriken im Norden bis zu den grünen Fabriken im Süden. Die rekrutierten Arbeiter werden in Kleinbusse gepfercht: »Für den Transport zahlst du drei Euro, und in den Camps lassen sie dich auch noch für Brot, Wasser und Zigaretten zahlen«, erzählt Abdellah, ein Tunesier, der von September bis Juni auf den Feldern rund um Trapano arbeitet. Gerüchten zufolge zahlt der Arbeitgeber zehn Euro pro Kiste mit großen Tomaten und 15 Euro für Kirschtomaten: sechs bis sieben Euro pro Kiste teilen sich die verschiedenen Vermittler, die niemand genau kennt. Daher verlangen die streikenden Arbeiter, direkt mit den Unternehmen zu verhandeln.
Dieses System der Vermittlung – das in Teilen die auf Zergliederung und Auslagerung beruhende Organisierung der Industriearbeit nachahmt – ist die Form von Produktion und Ausbeutung in der Landwirtschaft, die sich in der migrantischen Arbeit ausbreitet, und nicht nur dort. Oben stehen fünf bis sechs Unternehmen: jedes hat 600-700 Hektar mit Wassermelonen und Tomaten. Manchmal lagern sie die Erntearbeit aus und verfahren dabei nach den Regeln des Subunternehmertums: die Produkte werden auf den Feldern verkauft, die Kosten der Ernte und der Vermarktung an die Subunternehmer übertragen. Die Produktionsstruktur ändert sich ständig, denn sie funktioniert wie ein politischer Raum, in dem sich die Konventionen schnell verändern. Die Ketten des Subunternehmertums und des caporalato greifen eng ineinander.
Die Isolierung der Arbeitskraft ist das Lebenselixier des caporalato: Die Erfahrungen in der Gegend um Foggia haben uns gezeigt, dass die Arbeits- und Lebensbedingungen schlechter sind, je weiter entfernt von bewohnten Gebieten die Arbeiter untergebracht sind. Wasser, Essen, Transport und Zigaretten sind teurer, und es ist unmöglich, sich über Erfahrungen und Organisierungsformen auszutauschen. Die Migranten, die aus dem Norden zur Ernte kommen, kennen den Zusammenhang zwischen physischer, sozialer und politischer Isolierung: Das Wirtschaftswunder im Nordosten beruht auf vielen kleinen, auf dem Land verstreuten Unternehmen. Trotzdem scheinen auf diesen apulischen Feldern, auch dank Finis Terrae und BSA, neue soziale Beziehungen zu entstehen, und vielleicht auch die wechselseitige Erkenntnis, eine Schicksalsgemeinschaft zu sein.
Dieses Jahr scheint die autonome Organisierung der migrantischen Arbeiter stärker zu sein, vielleicht auch weil die Arbeit rar und der Unmut verbreitet ist: Viele haben nicht mehr als drei, vier Tage in den letzten anderthalb Monaten gearbeitet. Nach der katastrophalen Wassermelonenernte ist ein beträchtlicher Teil der Tunesier abgereist, so dass das Camp nun vor allem aus Migranten aus dem subsaharischen Afrika besteht, alles Männer zwischen 25 und 40, einige sind schon 50. Neben vielen Asylsuchenden sind unter ihnen Arbeiter, die aus den Fabriken im Norden entlassen wurden und eine Überlebensmöglichkeit für den Sommer suchen, also moderne Tagelöhner, die der Ernte folgen: Foggia, Palazzo San Gervasio, Rosarno. Nur ein kleiner Teil hat eine Aufenthaltserlaubnis, ein größerer Teil hat Flüchtlingsstatus oder eine Duldung aus humanitären Gründen. Viele der Illegalisierten sind vor dem Konflikt in Libyen übers Mittelmeer geflohen und waren bis vor kurzem in einem Auffanglager. Sie leben in 28 von der Provinz Lecce zur Verfügung gestellten oder in eigenen Zelten und sind mit dem Notwendigsten versorgt: Trinkwasser, warme Duschen, Chemieklos, Strom, Rechtshilfe, ein Arzt des öffentlichen Gesundheitsdienstes ist von 17 bis 22 Uhr anwesend. Das Essen wird für drei bis vier Euro pro Mahlzeit von Migranten zubereitet, die nur dafür zuständig sind, in Baracken auf dem Hof für die anderen zu kochen.
Burkiner, Ghanaer, Sudanesen, Tunesier scheinen entschlossen zu kämpfen. Und der Druck ist stark: Ivan, kamerunischer Student an der Technischen Hochschule von Turin und Anführer der Proteste, erklärte auf der Versammlung am Montagabend vor den Kameras der örtlichen Fernsehsender mit absoluter Ruhe durchs Megafon, dass er Morddrohungen von den Vorarbeitern erhalten habe. Niemand der Anwesenden hat an seinen Worten gezweifelt. Aber auch heute morgen um drei haben die kämpferischsten der Migranten behelfsmäßige Absperrungen errichtet, um die Vorarbeiter daran zu hindern, Streikbrecher mitzunehmen. Währenddessen versuchen die Lokalzeitungen, allen voran die Gazetta del Mezzogiorno, das Feuer zu ersticken, und behaupten, die meisten Migranten wollten die Arbeit wiederaufnehmen.
Dieser Kampf verläuft nicht entlang einer Community. Die migrantischen Arbeiter aus Nardò teilen weder Sprache noch Nationalität, sondern ein Ziel – die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und des Lohns – und die Idee, dass der Streik das Mittel sein könnte, um es zu erreichen. Ein Streik, der trotz absolut prekärer Lebens- und Arbeitsbedingungen geführt wird, ein Streik auch für die, die durch die vom Bossi-Fini-Gesetz ständig produzierte Illegalität erpressbar geworden sind. »Salento: Sonne, Meer und Ausbeutung«, stand vor einigen Jahren auf einer Mauer nicht weit weg: die mutigen afrikanischen Arbeiter scheinen in der Lage, den Wind zu drehen.
Mimmo Perotta, Devi Sacchetto
»Wir streiken jetzt schon sieben Tage, aber wir können weitermachen«, versichert Kwere, ein 30jähriger Ghanaer, stolz. Der Kampf der afrikanischen Tagelöhner in Nardò begann am Morgen des 30. Juli mit einer Straßenblockade vor dem Camp, das vom in der Umgebung des Hofs Boncuri aktiven Verein Finis Terrae und der Brigate di soldarietà attiva aufgebaut worden ist. Gestern haben sie mit hundert Leuten ein Sit-in vor der Präfektur von Lecce gemacht, zu dem die Gewerkschaft FLAI-CGIL aufgerufen hatte. Die Präfektur hat für Montag eine Fachrunde einberufen, was als entscheidender Schritt erscheinen mag, aber die afrikanischen Arbeiter haben gelernt, dass sich die Arbeitsbeziehungen nur auf den Feldern verändern, mit oder ohne die Vorarbeiter: auf der Versammlung gestern Abend auf dem Hof haben sie beschlossen, den Streik fortzusetzen.
In den letzten Tagen sind Fernsehsender, Journalisten und Gewerkschafter gekommen, und einige haben genug von dieser Öffentlichkeit: »Wir sind hergekommen um zu arbeiten und was zu verdienen«, meint Tarek, ein 45jähriger Tunesier, »aber wir wollen für einen gerechten Lohn arbeiten.« Mittwochnacht, als die streikenden Arbeiter versucht haben, die Transporter der Vorarbeiter zu blockieren, ist etwas Neues passiert: Die Ordnungskräfte haben einen Bus angehalten mit einigen Streikbrechern an Bord und einem Vorarbeiter, dem es gelungen ist abzuhauen. Es lassen sich nur wenige Vorarbeiter sehen, immer mal wieder versucht einer, Arbeiter für die Ernte der übrigen Tomaten abzuholen. Gegen die wettert Ivan, kameruner Student und Anführer der Tagelöhner: »Das ist ein Unding, wieder haben sie Arbeiter mitgenommen. Die sind heute morgen um zehn arbeiten gegangen und um fünf zurückgekommen.« Die grüne Fabrik ist durchlässig, und irgendwen zum Arbeiten findet man immer. Andererseits fahren die Streikenden einen sehr gemäßigten Kurs gegenüber Streikbrechern, so radikal sie im Kampf sind.
Die Vorarbeiter versuchen ständig, den Streik zu brechen. Sie sind von den Hofbesitzern angestellt, die selbst im Dunkeln bleiben, aber ihre Tomaten schnell ernten müssen. Der Kampf hat eine gewisse mediale Öffentlichkeit erreicht, und die Neuigkeiten sprechen sich rum. Viele ausländische Tagelöhner in den mehr oder weniger versteckten »Ghettos« in der Basilikata und Apulien schauen auf Nardò, um zu erfahren, ob sich bei den nächsten Ernten was ändern könnte. In Foggia, einem der schwierigsten Orte für die Arbeiter, hat schon die Tomatenernte begonnen. Hier zeigt der caporalato auch sein gewalttätiges Gesicht; hier riskiert man sein Leben. Fragt die Polen! Danach ist Palazzo San Gervasio dran (wo die Region Basilikata sehr spät vor einigen Tagen gut 70.000 Euro rausrückte, um die dramatische Lage der Tagelöhner zu verbessern, die draußen auf verlassenen Höfen hausen), und im November Rosarno zur Orangenernte. Aber die Wege der Migranten in Nardò führen auch in andere Regionen: Abderraouf, ein 33jähriger Tunesier, wird nach Ragusa zurückkehren, wo er von September bis Juni für 32 Euro am Tag in den Gewächshäusern arbeitet. Viele Tunesier arbeiten acht bis neun Monate im Jahr in Sizilien und kommen danach nach Nardò zur Wassermelonenernte, bei der auch die Arbeiter höhere Gewinnmargen haben, 60 bis 70 Euro am Tag. Aber dieses Jahr sind die Wassermelonen wegen der Kälte etwas später reif, deshalb überschneidet sich ihr Verkauf mit dem von Melonen aus anderen Gegenden wie Latium; billige Wassermelonen aus der Türkei und Griechenland tun ihr Übriges.
Ibrahim, ein 26jähriger Sudaner, ist zur Tomatenernte nach Nardò gekommen und wird in ein paar Wochen schon wieder in Palazzo San Gervasio sein, für die gleiche Ernte zum gleichen Lohn: 3,50 Euro für den Korb mit 100 Kilo Tomaten. Er kommt ein bisschen rum im Süden, aber maximal bis Rom. Er hat in Salento auch schon in der Montage von Photovoltaikanlagen für Tecnova gearbeitet, in der Branche läuft gerade ein von der apulischen UGL [rechte Gewerkschaft] unterstützter Kampf. Kireme, ein junger Ghanaer, der die letzten sieben, acht Monate auf den selben Feldern gearbeitet hat wie Ibrahim, schert sich nicht um die unterschiedlichen Kürzel der Gewerkschaften: »Ja, wir wurden von der UGL unterstützt und haben eine Demo gemacht; hier ist es jetzt die CGIL, heute waren wir in Lecce (vor der Präfektur).« Bei Tecnova hat er 12 bis 13 Stunden am Tag gearbeitet mit einem Ruhetag in der Woche und kam auf 900 bis 1000 Euro im Monat. Hier hat er mit elf bis zwölf- Stunden Arbeit an neun Tagen 400 Euro verdient, »aber an einem Tag haben wir 15 Stunden gearbeitet.« »Es ist alles Schwarzarbeit, das ist das Problem«, sagt Abdel, ein 42jähriger Tunesier, der seit zehn Jahren in Belluno lebt: »Ich hab in einer Fabrik gearbeitet, wo Schwimmer und Bojen hergestellt werden, aber sie haben mich entlassen. Jetzt habe ich hier drei Tage in der Tomatenernte gearbeitet, aber da verdient man ja nichts. Zehn Körbe für 40 Euro, wenn man Transport, Essen und Getränke abzieht bleiben dir 32 bis 33 Euro. Und den Leuten, die das Essen kochen, schulde ich noch 150 Euro.«
Die Gewerbeaufsicht ist chronisch unterbesetzt und kann keine ausreichenden Kontrollen durchführen, gefälschte Arbeitsverträge sind weitverbreitet. Auch Said hat einen ungültigen Vertrag bei einem Unternehmen in Porto Cesareo, nicht weit weg von Nardò. Manche skandalisieren die hygienisch-sanitären Bedingungen im Camp, die Arbeiter fordern bessere Arbeitsbedingungen. Klar, die Bedingungen im Camp sind prekär, es gibt Zelte mit sieben Betten und einige Igluzelte, außerdem schlafen zig Menschen quasi unter freiem Himmel: »Es ist immer noch besser hier zusammen zu sein, als in den verlassenen und abgelegenen Höfen in Foggia«, sagt Salim, der gerade alle Felder des Südens abgeklappert hat. Das Zusammenleben im Camp führt bisweilen zu Spannungen, aber es hat die Tagelöhner dieses Jahr zusammengebracht und gestärkt: »Hier treffen wir uns und reden. Es ist viel einfacher«, erzählt Ivan. Vielleicht ist es das, was vielen Sorgen bereitet und deshalb wollen sie das Camp schließen, weil es – Ironie des Schicksals! – kein warmes Wasser gibt. Wer sich wenige Kilometer entfernt am Strand erholt und seinen Hund für 15 Euro am Tag in einer Tierpension gelassen hat, findet die hygienischen Bedingungen vielleicht entscheidend, aber für die afrikanischen Arbeiter ist ein höherer Lohn eine unvergleichlich wichtigere Perspektive.
Die Forderungen der streikenden Arbeiter sind sicher nicht revolutionär: reguläre Verträge, Vermittlung durch das örtliche Arbeitsamt statt durch die Vorarbeiter, seine Papiere behalten können2, eine stärkere Kontrolle der Camps durch die Institutionen, bessere Unterbringung. Außerdem soll eine Kiste Tomaten mit sechs statt mit 3,50 Euro bezahlt werden. Den Akkordlohn stellen sie nicht in Frage, er bringt ihnen am meisten. Dank ihrer körperlichen Kraft – die meisten Tagelöhner sind zwischen 20 und 40 – hoffen sie auf einen täglichen Verdienst von ungefähr 40 Euro für 6,5 Stunden vertraglich garantierter Arbeit. Tatsächlich profitieren natürlich die Arbeitgeber vom Akkord, denn er stellt sicher, dass die Kosten für die Arbeitskraft der Ernte entsprechen, während er für die Arbeiter eine Beschleunigung des Arbeitsrhythmus und oft eine Ausweitung des Arbeitstags bedeutet, aber sicher keinen höheren Gesamtlohn. Trotzdem kann die Forderung nach höheren Akkordlöhnen, die der nach »regulären Verträgen« in gewisser Weise entgegensteht, das prekäre Gleichgewicht der süditalienischen Landwirtschaft in die Krise bringen.
Inzwischen gibt es erste Zeichen konkreter Solidarität. Am Mittwoch Abend hat die BSA Beutel mit Essen verteilt und noch einmal betont, dass es um Solidarität mit kämpfenden Arbeitern geht, nicht um Almosen. Trotz aller Schwierigkeiten wissen alle afrikanischen Arbeiter, was auf dem Spiel steht, nicht nur hier in Nardò.
5. August 2011
Mimmo Perrotta, Devi Sacchetto
»Die Sache hat sich ausgeweitet, aber anders als erwartet«, sagt Ivan aus Kamerun, einer der Wortführer der Proteste in Nardò. Gestern Morgen sind fast 150 Arbeiter zur Tomatenernte auf die Felder zurückgekehrt, während fast genauso viele beschlossen hatten, der Arbeit weiter fernzubleiben. Die Streikenden wollen die Straßenblockaden rund um den Hof um drei Uhr morgens, die typisch für die letzte Woche waren, nicht fortsetzen. Dafür haben die Vorarbeiter begonnen, den Arbeitern legale Verträge zu geben und den Preis für eine Kiste auf bis zu sechs Euro angehoben, beides Forderungen der Streikenden von Anbeginn. Die bisher bestehende Einigkeit löst sich damit auf, auch wenn die Streikenden weiter mit denen diskutieren, die die Arbeit wieder aufgenommen haben. Die profitieren schon von den ersten Ergebnissen des Streiks und von der Anstrengung vieler anderer, ihn fortzusetzen. Die Tomaten vergammeln auf den Feldern, und nicht immer kann man Schadensersatz vom Staat oder der EU dafür bekommen. »Wir wollen was am Arbeitssystem verändern und darauf sind wir stolz«, sagt Gharib, einer der Tunesier, die sich bei der ganzen Geschichte am meisten hervorgetan haben. Die regulären Verträge gehen zu Lasten von zig Leuten ohne Papiere, auch wenn einige von ihnen unter falschem Namen arbeiten. Die Kombination aus den Bossi-Fini-Gesetzen, seinen sukzessiven Anhängen und den Arbeitsmarktgesetzen3 hat verheerende Auswirkungen für die Migranten.
Aber Unternehmen und Vorarbeiter haben verstanden, dass sich etwas verändert und dass sie sich zumindest in diesem Jahr arrangieren müssen. Die Vorarbeiter haben im Moment die Arbeitsorganisation noch fest in der Hand, auch wenn sie vorübergehend eine für sie nicht kontrollierbare Situation akzeptieren mussten. Yvan erklärt: »Die Vorarbeiter haben sich in den letzten Tagen versteckt, nun haben sie ihre Papiere in Ordnung gebracht und kommen morgens ohne Angst hierher, weil sie wissen, dass sie maximal eine Ordnungsstrafe erwartet; am Anfang haben sie gedacht, dass diese Kampagne sie stoppen würde, aber jetzt kriegen sie nur Strafen von 40,50 Euro. Bei einem Verdienst von 20, 25, 30 Tausend Euro pro Saison macht ihnen das gar nichts. Sie kommen ganz frei hierher und trauen sich auch noch zu sagen: 'Der Streik bringt nichts, die Polizei traut sich nicht, uns zu verhaften, macht euch an die Arbeit.'«
Die direkten und indirekten Drohungen der Vorarbeiter gegen Yvan und die anderen Protagonisten des Streiks gehen weiter. Der Streik stört, auch wenn es keine Gewalt gibt, die medial aufgeblasen werden könnte, denn die Leute sind absolut entschlossen. Es ist bereits klar, welche Punkte beim Treffen mit dem Präfekten nächsten Montag, das ihnen nach der Demonstration letzten Donnerstag zugestanden worden war, besprochen werden sollen: »richtige« Arbeitsverträge; die Behörde soll die Arbeitsvermittlung übernehmen; kostenloser und angemessener Transport zur Arbeit; höhere Löhne; medizinische Betreuung nach der Arbeit. Das sind scheinbar moderate Forderungen, aber in der süditalienischen Landwirtschaft kommen sie den Unternehmen, die »konkurrenzfähig« bleiben müssen, unmöglich vor. Bleibt rauszukriegen, welche Unternehmen um Unterschriften unter die Vereinbarungen angegangen werden müssen, denn die drei, vier örtlichen Verbände sind nicht immer repräsentativ.
Nach sieben Streiktagen ist zwischen den Tagelöhnern unterschiedlicher Nationalität einige Spannung aufgekommen: Sudanesen und Tunesier, die auf die Vorarbeiter zählen können, die den Arbeitsmarkt kontrollieren, fühlen sich benachteiligt. Zweifellos belasten die »unvoreingenommenen Vorschläge« der Vorarbeiter diejenigen, die auf einige Tageslöhne hofften. Die Organisatoren des Streiks sind sich dieser Spaltung und der Ressentiments bewusst. Auch gestern Abend gab es lange Diskussionen mit einigen spannungsgeladenen Szenen unter den Arbeitern. Aber eins der wichtigsten Ergebnisse der Mobilisierung ist die Tatsache, dass die Isolierung der Tagelöhner untereinander im Camp zuende ist: »Früher ging jeder zur Arbeit, kam zurück und ging schlafen, ohne mitzukriegen, was im Camp passierte. Seit der Streik angefangen hat, gibt es mehr Kommunikation und Diskussion«, bestätigt Mohammed aus dem Sudan.
Die Diskussionen gehen in der Tat weiter, ob über die Fortsetzung des Streiks oder die Forderungen, die mediale Aufmerksamkeit oder die kommenden Erntekampagnen: »In Foggia haben sie die selben Probleme wie wir hier und wie überall in Süditalien«, meint Tarek. Und James, ein Ghanaer, der schon im letzten Jahr hier war, bestätigt: »Wir wollen unseren Kampf auf ganz Apulien ausweiten und möglichst auf ganz Süditalien, weil diese Art von Ausbeutung der Migranten aufhören muss.« Auch die regionale FLAI-CGIL scheint vorzuhaben, bei den kommenden Ernten aktiv zu werden, man wird aber sehen müssen, was dann real dabei herauskommt.
Unterdessen geht die Solidarität in aller Stille weiter. Auch gestern kamen zwei Frauen aus Galatina, einem Dorf 15km von Nardò entfernt, und brachten in einer großartigen anonymen Aktion ein Dutzend Tüten mit Einkäufen. Sie betonten: »Das ist Solidariät mit dem Kampf, kein Almosen«.
Heute Morgen sind ein paar Arbeiter der FIOM-CGIL (Metallgewerkschaft) gekommen, um mit den streikenden Arbeitern zu diskutieren, und auch die selbstorganisierten Versammlungen der Migranten gehen weiter. Heute, Samstag, ist für 16.30 Uhr ein Treffen von antirassistischen Gruppen aus Apulien, Kalabrien und der Basilikata angesetzt, unter anderem, um über die nächsten Erntekampagnen zu diskutieren.
6. August 2011
Mimmo Perrotta, Devi Sacchetto
»Ihr habt uns daran erinnert, wie man streikt«, sagt Nicola, Aktivist des Antirassistischen Netzwerks Bari, beim Treffen antirassistischer Gruppen und anderer Vereine aus Apulien am Sonntag auf dem Hof Boncuri in Nardò. Die Versammlung ist gut besucht, mindestens 50, mit Essen und anderem Material beladene Leute aus ganz Apulien, aber auch aus der Basilicata, Kalabrien, Bologna und anderen Städten im Norden sind gekommen und haben gezeigt, dass das Camp in Nardò, wo afrikanische Tagelöhner seit mehr als einer Woche streiken, schon zum Bezugspunkt für migrantische Kämpfe geworden ist. Arturo von der Associazione Equosud ist aus Piana di Gioia Tauro/Kalabrien gekommen und erinnert die Arbeiter daran, dass hier etwas Historisches passiert: zum ersten Mal streiken ausländische Tagelöhner in der Landwirtschaft für bessere Arbeitsbedingungen und ein Ende des caporalato. Und das tun sie selbstorganisiert.
Yvan, einer der Anführer des Kampfs, erzählt von den verschiedenen Phasen des Streiks, ohne die Schwierigkeiten zu verschweigen: »Manche haben wieder angefangen zu arbeiten, weil sie es nicht kapieren, andere, weil sie von den Vorarbeitern bedroht werden.« Yvan und seine Kollegen sind stolz darauf, was sie schon erreicht haben, sie wissen, was in den nächsten Tagen kommt, angefangen mit dem Treffen auf der Präfektur von Lecce Montagmorgen. Die Versammlung macht unterschiedliche Befindlichkeiten deutlich: die antirassistischen Netzwerke Apuliens bestehen darauf, in den nächsten Wochen eine regionale Demonstration in Bari zu organisieren, bei der es auch um andere Aspekte der süditalienischen Realität gehen soll, nicht nur um den Streik in Nardò, sondern auch darum, was in Cara di Bari passiert, und um die MigrantInnen in Manduria; andere diskutieren darüber, den Migranten dabei zu helfen, den Streik oder Mobilisierungen bei den kommenden Ernten fortzusetzen, in Foggia, in Palazzo San Gervasio, in Rosarno.
Schwer wiegt vor allem, dass aus der Capitanata [Gegend um Foggia] niemand da ist: die Tomatenernte hat schon angefangen und die vielen über ein riesiges Gebiet verteilten »Ghettos« sind voll. Die räumliche Verstreutheit der Ernte um Foggia macht einen Streik schwierig; dazu kommt die massive Anwesenheit von osteuropäischen Arbeitern. Aber die Streikenden in Nardò haben einen weiten Blick: sie nehmen Kontakt auf zu Leuten, die in anderen Gegenden arbeiten, sie planen Versammlungen und Möglichkeiten, sich zu treffen. Am Rand der Versammlung diskutieren Afrikaner und ItalienerInnen, tauschen Ideen aus, erzählen, fragen nach Erklärungen. Moussa, gerade von der Arbeit zurückgekehrter Burkiner, erzählt dass sein Trupp von 20 Leuten heute einen ganzen LKW gefüllt hat, jeder Arbeiter hat drei bis sechs Kisten gepflückt, und für jede sechs Euro gekriegt. Und der Vorarbeiter? »Ich weiß nicht. Wenn ich sechs Euro für die Kiste kriege, wird er acht kriegen. Außerdem hab ich ihm noch fünf Euro für den Transport bezahlt.« Moussa ist skeptisch, was den Streik angeht: »Es ist gleich geblieben. Auch vorher haben wir sechs Euro für die kleinen Tomaten gekriegt. Und die Macht der Vorarbeiter ist ungebrochen.« Und die Straßenblockaden der Transporter? »Ja, die gibt es, aber viele schlafen auf den Feldern, um trotzdem arbeiten gehen zu können. Vor allem die Illegalen, weil sie nie einen Vertrag haben werden.« Die Bossi-Fini-Gesetze, die Hierarchie unterschiedlicher rechtlicher Stellungen und die Spaltungen zwischen den migrantischen Arbeitern, die sie hervorbringen, wiegen schwer.
Von wenigen Ausnahmen abgesehen ist der Akkordlohn dennoch gestiegen, und wer arbeitet, bekommt nun einen »richtigen« Vertrag. Andererseits erzählt uns Omar, ein Nigerianer, der Süditalien gut kennt, dass einige Vorarbeiter Leute aus Foggia zum Arbeiten hergeholt haben, um die Front der Streikenden zu brechen. »Dieser Kampf ist schwierig.« Omar, der mittlerweile Arbeit in einem Geschäft in Nardò gefunden hat, stimmt dem zu, was Yvan schon auf der Versammlung gesagt hat: »Wir brauchen ein nationales Gesetz gegen den caporalato. Wenn es eine Straftat wäre, caporale zu sein, hätten die viel weniger Macht.« Das ist wahrscheinlich ziemlich optimistisch, denn die Gesetze zur Einwanderung und Prekarität zeigen, dass die Ausbeutung beständig unter dem Siegel der Legalität geschieht, die ja nur Machtbeziehungen ausdrückt. Aber das ist den Tagelöhnern in Nardò klar, die mit ihrem Streik eine stärkere Position gewinnen wollen.
John, ghanaer Tagelöhner, informiert sich bei den Leuten aus der Basilikata über die Lage in Palazzo San Gervasio, wo in wenigen Wochen die Tomatenernte anfängt. Dort wird es auch dieses Jahr kein Camp geben, einige Bauernhäuser wurden von ihren Besitzern abgerissen, so dass die Arbeiter in verlassenen Häusern auf dem Land wohnen müssen. Den einzigen »Empfang« stellt das Abschiebelager dar, das gerade aufgebaut wurde. Was mal wieder zeigt, dass die Lager (CIA, Centri di identificazione ed espulsione) immer noch die tragenden Strukturen des Arbeitsmarktes sind. Es überrascht nicht, dass John mit den Händen ein Kreuz formt und überzeugt sagt: »Nein, dieses Jahr gehe ich nicht nach Palazzo.«
Eins der Ergebnisse der Versammlung ist, dass ein Netz afrikanischer Arbeiter in Süditalien aufgebaut werden soll, das sich an die Verbandsstrukturen in den Gebieten anlehnen könnte, um koordinierte Hilfestellungen zu geben und die Forderungen der Tagelöhner zu unterstützen. Dieser Streik rückt einmal mehr das strukturelle Problem der süditalienischen Landwirtschaft in den Mittelpunkt, die seit 20 Jahren ihre Widersprüche und Krisen auf die migrantischen Arbeiter abwälzt. Der Hof Boncuri ist ein politisches Labor, und der harte Kern der Streikenden scheint das zu wissen. Sogar der leitende Staatsanwalt Cataldo Motta, Vorsitzender der Antimafia-Staatsanwaltschaft in Lecce, sagt in einem Interview im Regionalteil der Repubblica: »Die Migranten haben uns in den letzten Monaten eine große Lektion in Anstand erteilt... Wir müssen lernen, Mut zu haben und uns ein Beispiel an denen nehmen, die ihn trotz schwerer Bedingungen bewiesen haben.«
Die Migranten stehen allerdings unter großem Druck, bald wieder Geld zu verdienen, für ihre eigenen unmittelbaren Bedürfnisse, aber auch weil die globale Wirtschaftskrise anderswo viel schlimmer durchschlägt als in Italien: »Wir haben alle Familien, entweder hier oder in Afrika, denen wir Geld schicken müssen«, sagt Omar. Auch wenn mehr als die Hälfte der Migranten in die Camps zurückgekehrt ist – wer weiterkämpft, hofft auf eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen hier in Nardò, um dann auch in den kommenden Monaten anderswo stärker zu sein. Wie so oft weisen die MigrantInnen als erste auf die neuesten Formen der Prekarisierung hin, und diesmal auch auf die Möglichkeiten dagegen zu kämpfen. Angesichts der Gewalt, die der globale Kapitalismus in den letzten Monaten hervorgebracht hat, hoffen wir, dass der Kampf in Nardò die Grundlage für eine mögliche Antwort legt.
7.August 2011
Mimmo Perrotta, Devi Sacchetto
Nach 13 sehr schwierigen Tagen ging der Streik auf dem Hof Boncuria in Nardò (Lecce) Mitte August zuende. Yvan, der kamerunische Anführer des Protests, verließ den Hof nach einem Abend voller Spannungen zwischen den Streikenden am 13. August. Die Gruppe der Migranten, die trotz ihrer politischen Unerfahrenheit einen mutigen Streik auf die Beine gestellt hat, wurde durch den ständigen Druck von Bossen und Institutionen, durch die gewerkschaftliche und massenmediale Beobachtung (auch Linea diretta und Report waren vorbeigekommen) aufgerieben. Dazu kam, dass andere Migranten und Caporali Geschichten über angebliche Privilegien einiger der Anführer verbreiteten, die es in Wirklichkeit nicht gibt. Sicher, die Eilverordnung der Regierung – ein geschicktes Manöver im Klassenkampf – führte mit Artikel 12 die »unerlaubte Vermittlung und Ausbeutung von Arbeit« als Straftat ein: das war eine wichtige Anerkennung für den Kampf der afrikanischen Migranten in Nardò. Trotzdem können die Caporali sich weiter ungestört innerhalb und außerhalb des Camps bewegen, obwohl die Migranten noch vor Ende des Streiks zehn Anzeigen bei der Polizei gemacht haben.
Die ersten Risse zwischen den Migranten entstanden am 5. August, nachdem der Streik fast sechs Tage lang fast vollständig befolgt worden war. Einerseits zeitigte er die ersten Ergebnisse: Lohnerhöhungen und einige reguläre Verträge. Andererseits weiteten die Bosse und Caporali ihre Angriffe auf mehrere Fronten aus: sie rekrutierten Streikbrecher sogar in weit entfernten Gegenden wie Foggia; die Caporali stachelten mit Gerüchten Konflikte zwischen Streikenden unterschiedlicher Nationalität an; es gab direkte und indirekte Drohungen gegen die exponiertesten Protagonisten. In der letzten Woche kam noch dazu, dass die runden Tische der Präfektur von Lecce und der Bezirksverwaltung von Bari den Schwung der Migranten zum Erlahmen gebracht haben, weil sich nun viele Subjekte eingemischt haben. Die institutionellen Praktiken, mit denen die Unternehmen bloßgestellt werden sollten, brachten nicht den ersehnten Erfolg.
Die CIA Puglia [Confederazione Italiana Agricoltori], eine der landwirtschaftlichen Arbeitgeberorganisationen, hat in einer Pressemitteilung eine Teilnahme am runden Tisch abgelehnt, weil sie »diese angeblichen Landwirte weder repräsentiert noch vorhat, dies zu tun, da diese hauptsächlich Vermittler und Händler sind, die illegalerweise Caporali einsetzen und Sklaverei betreiben.«
Bei den Vereinbarungen auf regionaler Ebene geht es um die probeweise Einführung von Vormerk-Listen für Saisonarbeiter im Arbeitsamt von Nardò, aus denen dann die Bosse ihre Arbeitskräfte aussuchen sollen. Der Transport vom Hof zu den Camps wird von der Kommune Nardò nur für diejenigen kostenfrei zur Verfügung gestellt, die von den Betrieben anhand der Vormerk-Listen ausgewählt werden. In der Zwischenzeit versucht die Regionalverwaltung mithilfe der für die Verwaltung von EU-Zuschüssen zuständigen Behörde (AGEA, Agenzia per le Erogazioni in Agricultura), alle tomatenproduzierenden Betriebe zu ermitteln. Regionalverwaltung und Gewerkschaft hoffen, mindestens drei oder vier »vorbildliche« Unternehmen zu gewinnen, um dann das gleiche Vorgehen anderswo vorzuschlagen, erstmal überall in der Gegend um Foggia. Viele Migranten auch von denen, die schon arbeiten, haben sich in die Listen eingetragen, aber die Betriebe sind nicht dazu verpflichtet, die Einstellungen über das Arbeitsamt zu regeln, so dass sich wenig geändert hat, und nun geht die Ernte ohnehin zuende. Es stimmt, dass in den letzten Tagen zehn Migranten regulär und direkt von einem Betrieb eingestellt worden sind, einen Stundenlohn gezahlt und eine Unterkunft gestellt bekommen.
Die FLAI-CGIL war die einzige Gewerkschaft, die den Kampf unterstützt hat; sie hat einerseits auf runde Tische gesetzt, andererseits hat sie direkte, kollektive Verhandlungen verhindert und wenig getan, um die Streikenden in den Camps und bei den Straßenblockaden praktisch zu unterstützen, obwohl sie in der Provinz Lecce mit 5 000 Mitgliedern ziemlich stark ist. Das wirkliche oder vorgebliche Angebot, einen der exponiertesten Protagonisten des Streiks bei der CGIL Lecce zum »Referenten für die Immigranten« zu ernennen, hat sicher nicht zur Geschlossenheit der Migranten beigetragen.
Auf dem Hof war am Nachmittag des 12. August die Enttäuschung zu spüren. Yvan bestätigte das: »Es ist bitter, weil wir in diesem Kampf alles gegeben haben, um sofort etwas zu erreichen. Doch nichts ist passiert. Aber wir wissen, dass man einen Sieg nicht leicht erringt und dass man weiterkämpfen muss, weil man gar nichts erreicht, wenn man nicht kämpft. Gleichzeitig ist es ein Gefühl des Sieges, weil sich auf der politischen und institutionellen Ebene was bewegt, seit die Presse berichtet hat.« Aufgrund des Streiks fühlen sich viele der Migranten weniger allein und handeln in erster Person: »Ich hab meinen Boss angezeigt, weil er mich regulär eingestellt hat, mir aber weiter Akkord und keinen Stundenlohn zahlt, wie er es müsste«, sagt Karim, ein junger Tunesier.
Obwohl viele Migranten gezwungen sind, die Arbeit wieder aufzunehmen, scheint der Kampf den meisten von ihnen ihre Stärke bewusst gemacht zu haben. Viele hatten vorher noch nie gestreikt: »Das hier ist eine Gruppe von Arbeitern, die immer sofort an die Gegenwart denkt, an den Tagesverdienst«, meint Yvan. Migranten, die an die Erschöpfung und den geringen Verdienst gewöhnt sind, an miserable Unterbringung, die aber offensichtlich Schwierigkeiten haben, einen derart langen Streik politisch zu bewerkstelligen. Und die Freiwilligen der Associazione Finis Terrae und der Brigate di solidarietà konnten nur wenig tun, um den starken Druck zu verringern, der auf den Tagelöhnern lastete.
Die Lage im Camp bleibt angespannt, seine Schließung wird erwartet. Der Bürgermeister von Nardò hat bei seinem Besuch am 13. August versprochen, den Migranten ein Stück weit entgegen zu kommen, vor allem denen, die aufbrechen müssen und keinen Cent in der Tasche haben. Wie so oft, wenn ein Streik zu Ende ist, tauchen Individualismus und kleine Selbstsüchte wieder auf, die während des Kampfs schwächer waren. Aber trotz all seiner Grenzen hat der Streik der afrikanischen Arbeiter in Nardò gezeigt, dass es möglich und notwendig ist, sich auch unter schwierigsten Bedingungen selbstbestimmt zu organisieren und bessere Arbeits- und Lebensbedingungen einzufordern. Das müssen wir alle in den kommenden schwierigen Monaten im Kopf behalten, nicht nur die MigrantInnen.
September 2011
[1] Das »caporalato« ist ein süditalienisches, mafioses Ausbeutungssystem. Der caporale hat einen Kleintransporter und sucht frühmorgens auf den Dörfern Tagelöhner zusammen, die er dann auf die Felder oder auf illegale Baustellen transportiert. Dafür streicht er meistens zwischen 50 und 60 Prozent des Lohns ein. Wir haben es im Text meist mit Vorarbeiter übersetzt, obwohl das nicht richtig trifft – uns ist kein passendes deutsches Wort eingefallen.
[2] Bisher müssen sie sie bei Arbeitsbeginn manchmal an die Vorarbeiter abgeben.
[3] Gemeint ist das 2003 verabschiedete Biagi-Gesetz, mit dem der Arbeitsmarkt stark dereguliert wurde.