»Meine Frau und ich haben das Ganze durchgesprochen. Wir entschieden, dass wir jung genug sind, um die Geschichte auszukämpfen. Was haben wir zu verlieren? Wenn wir gewinnen, brauchen wir nicht mehr wie Sklaven zu arbeiten. Wenn wir verlieren, werde ich woanders Arbeit finden.«
Joginder Singh, 28 - Maruti-Arbeiter
Seit Juni 2011 kämpfen 3500 ArbeiterInnen bei Maruti Suzuki in Manesar. Ihr Streik sprang auf andere Automobilfabriken des Industriekorridors über und legte das weltweit drittgrößte Autowerk im benachbarten Gurgaon lahm. In der wohl bedeutsamsten Klassenkonfrontation in Indien seit zwei Jahrzehnten haben die Arbeiter an mehreren Punkten die Spaltung in Festeingestellte und LeiharbeiterInnen durchbrochen. Somit greift der Kampf den harten Kern des indischen Entwicklungsmodells an und stellt dieses in Frage: Einbindung in die globale Produktion auf höchstem technologischem Niveau, bei schärfster Prekarisierung der ArbeiterInnen mit allen Mitteln. Das geht von lokalen Sklavenhändlern, die mit Schrotflinten auf sie losgehen bis zur individuellen sms aufs Handy jedes Streikenden (beim 10millionsten Maruti hatte die Firma jedem eins geschenkt).
Vom 4. bis 17. Juni haben die ArbeiterInnen das Montagewerk besetzt, nachdem das Management den Versuch zur Gründung der Gewerkschaft mseu sabotiert hatte. Sie blieben zwei Wochen in der Fabrik und wurden in der Zeit von FreundInnen und Angehörigen versorgt. Prekäre Verladearbeiter schlossen sich dem Streik an und forderten dieselbe Lohngruppe wie die lkw-Fahrer. Mehrere Gewerkschaftsverbände riefen zu einem Solidaritätsstreik am 14. Juni auf, bliesen diesen aber in letzter Minute ab. Das größere Maruti-Montagewerk im 20 km entfernten Gurgaon lief weiter. Die Besetzung endete mit einem Abkommen, in dem Maruti Suzuki nur vage Zugeständnisse in der Gewerkschaftsfrage machte, den ArbeiterInnen aber eine Strafe von zwei Tageslöhnen pro Streiktag aufbrummte.
Vom 17. Juni bis 28. August köchelte der Konflikt untergründig weiter. Arbeiter berichteten, dass direkte Vorgesetzte nach der Besetzung erstmal sehr viel freundlicher waren. In der ersten Woche wurden täglich nur 1100 statt 1200 pkws produziert. Ende Juni wies der Staat Haryana den Antrag auf Gewerkschaftsgründung aus formalen Gründen ab. Die ArbeiterInnen boykottierten die Gewerkschaftswahlen der Maruti-Unternehmensgewerkschaft muku. Das Unternehmen begann, neue Facharbeiter aus Kanpur und anderen iti-Ausbildungsstätten anzuheuern; gleichzeitig wurden die Grünflächen, die während der Besetzung als Versammlungsorte gedient hatten, durch Zäune abgesperrt – Vorbereitung auf eine mögliche Aussperrung. Am 28. Juli kamen Bullen in die Fabrik und nahmen vier Arbeiter mit ins Bürogebäude, weil es laut Unternehmenssprecher zu ›tätlichen Angriffen auf Vorgesetzte‹ gekommen war. Die Arbeiter legten sofort die Arbeit nieder und versammelten sich. Das Unternehmen stoppte die Busse für die B-Schicht und ließ ankommende Arbeiter nicht in den Betrieb. Die A-Schicht weigerte sich, die Fabrik zu verlassen. Nach einer Stunde ließ das Management die B-Schicht an die Arbeit.
Anfang August forderten Leiharbeiter, dass zusätzliche Leute eingestellt werden, weil die Arbeit nicht zu schaffen war. Als der Abschnittsleiter sie deswegen runtermachte, legte die gesamte Abteilung aus Solidarität die Arbeit nieder. Der Abschnittsleiter entschuldigte sich vor den versammelten Arbeitern. Laut Unternehmensangaben wurden am 24. August statt den geplanten 1230 pkws lediglich 437 produziert, von denen es nur 96 durch die Qualitätskontrolle schafften. In diesen Tagen wurden vier weitere Arbeiter suspendiert und 40 Leiharbeiter abgemeldet.
In der Nacht zum 28. August rückten rund 400 Sondereinsatzbullen in die Fabrik ein und richteten sich dort ein. Das Unternehmen errichtete eine Metallbarriere und forderte alle ArbeiterInnen auf, eine individuelle Einvernehmenserklärung zu unterschreiben, dass sie auf Sabotage, Langsamarbeiten und anderes disziplinloses Verhalten verzichten. Nur zwei Dutzend ArbeiterInnen unterschrieben, die restlichen errichteten ein Protestcamp vor der Fabrik, machten Demos und Kundgebungen. Maruti versetzte Ingenieure und Vorarbeiter vom Gurgaon-Werk nach Manesar und fing an, neue Facharbeiter auf Zeitbasis einzustellen. Bis zum Ende der 33tägigen Aussperrung wuchs die Anzahl der ArbeiterInnen im Werk durch Neueinstellungen auf rund 1300.
Am 12. September streikten 1200 Zeitarbeiter in der benachbarten Munjal Showa Fabrik, einem Hersteller von Motorradstoßdämpfern. Ihr Ausstand gefährdete die Produktion bei Honda und Hero Honda. Am Tag darauf versprach das Unternehmen, 125 Arbeiter festeinzustellen und beschwerte sich über den negativen Einfluss der Maruti-Arbeiter.
Am 14. September streikten mehrere tausend Beschäftigte bei Suzuki Powertrain, Suzuki Castings und Suzuki-Motorcycles in Manesar. Bei Suzuki Castings und Powertrain sind die separaten Unternehmensgewerkschaften unter dem Druck der Fabrikbesetzung des Hauptwerks im Juni anerkannt worden, sie sind dem Dachverband hms angeschlossen, während sich die mseu des Montage-Werks in Manesar der aituc (Gewerkschaft der kp) angliedern will. Die Arbeiter stellten eigene Forderungen auf, forderten aber auch eine Rücknahme der Aussperrung und Suspendierungen beim Suzuki-Werk in Manesar. Suzuki Powertrain produziert nicht nur für Manesar Motoren, Getriebe und Achsen, sondern auch für Gurgaon: nach einem Tag stand dort die Produktion. Dies ist auch deshalb von Bedeutung, weil Maruti mit der Rückverlagerung eines Modells von Manesar nach Gurgaon spekuliert hatte, um die Verluste der Aussperrung zu kompensieren. Am 16. September blies der Gewerkschaftsverband hms den Streik ab, weil ein Teil seiner Forderungen anerkannt worden sei.
Die Aussperrung in Manesar zog sich bis zum 30. September hin, schließlich empfahlen die Arbeitervertreter den Arbeitern, die Einvernehmenserklärung zu unterschreiben, im Gegenzug nahm Maruti 18 der suspendierten Auszubildenden zurück und wandelte die restlichen 44 Entlassungen in ›Suspendierungen‹ um. Beide Seiten erklärten, für harmonische Arbeitsbeziehungen sorgen zu wollen.
Am 3. Oktober sollte die Produktion in Manesar wieder anlaufen, das Unternehmen ließ die festeingestellten Arbeiter in die Fabrik – in der Zwischenzeit waren viele Arbeiter innerhalb der Fabrik »umgesetzt« worden -, verweigerte aber rund 1200 ZeitarbeiterInnen, die an Besetzung und Protestcamp teilgenommen hatten, den Zutritt.
Der enorme Lohnverlust hat die Ressourcen vieler Arbeiter aufgebraucht. Rund 100 Zeitarbeiter haben nach dem 3. Oktober frustriert eine andere Arbeit gesucht. Am 7. Oktober besetzten die festeingestellten Arbeiter das Montagewerk in Manesar. GenossInnen vor Ort berichteten, dass sie sich nicht zuletzt durch den Druck der Zeitarbeiter zur Besetzung entschieden. Aber nicht nur die Arbeiter des Montagewerks, sondern auch die Arbeiter bei Suzuki Powertrain, Suzuki Castings und Suzuki Motorcycle antworteten auf den Spaltungsversuch Marutis mit Sit down-Protesten in ihren Werken. In acht weiteren Fabriken gab es Solidaritätsstreiks. Ein Teil der während der Aussperrung neueingestellten Zeitarbeiter, die sich nun ebenfalls in der Fabrik befanden, solidarisierten sich mit den draußen demonstrierenden ausgesperrten Zeitarbeitern.
Am 9. Oktober tauchten lokale Leiharbeits-Kontraktoren in einem Jeep vor dem Suzuki Motorcycle-Werk auf und bedrohten streikende Arbeiter; einer der Kontraktoren schoss, es gab Verletzte. Die ArbeiterInnen in den besetzten Werken forderten die Wiedereinstellung der LeiharbeiterInnen, die Rücknahme der Suspendierungen, das Ende der Umsetzungen und die Wiederaufnahme des Unternehmensbusverkehrs, den Maruti nach der Aussperrung eingestellt hatte. Der Staat Haryana beschuldigte die ArbeiterInnen, die vertragliche Abmachung vom 30. September gebrochen zu haben und gab ihnen 48 Stunden für eine Erklärung. FreundInnen berichteten, dass vermehrt ›private Gorillas‹ zusammen mit Bullen an Straßensperren standen und Leute davon abhielten, ins Industriegebiet zu gehen. Anfang Oktober liefen die Wahlen in Haryana, der Polizeiapparat war deshalb überfordert. Am 10. Oktober produzierte Maruti nur noch 1000 statt 2800 pkws in Gurgaon, es fehlten Teile von Powertrain, zwei Tage später kündigte das Unternehmen dort eine Werkschließung an.
Am 14. Oktober, nach den Wahlen, räumten die Bullen die Streikküche, die die rund 4000 BesetzerInnen der drei Fabriken versorgt hatte. Gleichzeitig stockte der Staat die Polizeikräfte innerhalb des Werks in Manesar auf 1500 auf, versiegelte Kantine und Toiletten. In der Nacht verließen die Arbeiter das Montagewerk, am nächsten Morgen endeten auch die zwei anderen Besetzungen. Der Streik wird nun draußen fortgeführt. Im Laufe der Besetzung wurden mehr als 50 weitere Arbeiter entlassen. Am 16. Oktober verkündete Maruti, dass die Produktion auf unterem Level wieder anlaufe. Am selben Tag begannen 1500 ArbeiterInnen beim Solarzellen- und dvd-Hersteller Moser Baer im benachbarten Noida einen Streik für höhere Löhne.
Das Montagewerk in Manesar wurde 2007 angefahren, Maruti stellte neue Facharbeiter aus diversen iti-Schulen in Nordindien ein. Ein Großteil der Arbeiter ist unter 30. Ursprünglich aus dem Hinterland Haryanas oder Uttar Pradeshs leben sie nun in den Schlafdörfern Manesars und Gurgaons, oft zu mehreren in einem Zimmer. Rund 1000 der Maruti-Arbeiter sind festeingestellt, 800 sind sogenannte Trainees [Anzulernende], weitere 400 Azubis, und rund 1200 sind Leiharbeiter. Trainees und Azubis arbeiten ganz normal in der Produktion. Die Festeingestellten verdienen monatlich rund 13 000 bis 17 000 Rupien (Rs), die Trainees um die 8000, die Leiharbeiter 6500, die Azubis etwa 4000. Der Lohn der Festeingestellten setzt sich aus rund 5000 Rs Grundlohn (das ist der staatliche Mindestlohn) und 8000 Rs Prämien für Anwesenheit, Pünktlichkeit und Produktivität zusammen.
Damit verdienen die jungen Festeingestellten in Manesar sehr viel weniger als die Festeingestellten im alten Werk in Gurgaon oder die in der benachbarten Honda Motorrad-Fabrik in Manesar, die jeweils mit 30 000 Rs und mehr nach Hause gehen. Maruti in Gurgaon wurde 1980 eröffnet und war Teil der »Volkswagen-Vision« von Sanjay Gandhi. Vor zehn Jahren sind die Maruti-Arbeiter in Gurgaon durch eine ähnliche, mehrwöchige Aussperrung gegangen. Damals hatte das Unternehmen ihre Niederlage dazu genutzt, einen Großteil der 5500 Festeingestellten durch Zeitarbeiter zu ersetzen. Heute arbeiten noch 2300 Festeingestellte in Gurgaon, die Lohndifferenz, sprich Klassenspaltung, wird durch die Gewerkschaft muku verwaltet. Die jungen Arbeiter in Gurgaon sahen sich von dieser nicht vertreten und suchten einen Ausweg in der Gründung einer eigenen Gewerkschaft.
Den jungen ArbeiterInnen geht es um Konkretes: Mehr Geld, weniger Arbeit. Sie vergleichen ihre Löhne mit denen in anderen Autofabriken. Sie beklagen, dass Maruti bei der kleinsten Verspätung oder (ungenehmigten) Abwesenheit die Zulagen kürzt, für einen Tag ›Urlaub‹ rund 2200 Rs. Sie beschweren sich über das enorme Arbeitstempo, das keine Zeit zum Luftholen lässt. Die halbe Stunde Pause reiche nicht, um in der 400 Meter entfernten Kantine zu essen; man brauche Genehmigungen, um auf die Toilette zu gehen. Sie sind wütend über die verschiedenen Warteschleifen bis zum Festvertrag (Azubi, Trainee, Leiharbeiter, junior workman…). Aber sie haben diese konkreten Anliegen nicht in den Vordergrund ihres Kampfs gestellt. Damit hätten sie eine Brücke zu den anderen 150 000 IndustriearbeiterInnen Manesars geschlagen. Stattdessen forderten sie offiziell die Anerkennung der Gewerkschaft bzw. die Wiedereinstellung der Entlassenen. Sie kämpfen mit härtesten Bandagen für ein Stück Papier, das sie allerdings als Symbol der Einigkeit, Stachel im Fleisch des Unternehmers und als Festschreibung des Erkämpften sehen.
Die Kämpfe seit Juni trafen Maruti hart: Ausfall von über 50 000 pkws bei 100 000 offenen Bestellungen für den neuen Swift, die Wartezeit für Kunden hat sich jetzt auf »unverkraftbare« acht Monate verlängert. Mitte Oktober verkünden die Wirtschaftsblätter, dass sich der finanzielle Verlust für Maruti und Zulieferer seit Juni auf 30 Milliarden Rs [rund 450 Millionen Euro] belaufen soll. Das rüttelt auch am globalen Unternehmen Suzuki: die indische Tochter sorgt für 55 Prozent der weltweiten Betriebseinahmen des Konzerns, und Manesar ist der einzige Produktionsstandort für das Weltauto A-Star (wird in Europa von Nissan als Pixo vertrieben). Gleichzeitig wird der Druck auf dem indischen Markt stärker, die Konkurrenz schläft nicht und die indische Zentralbank hat seit März 2010 zwölfmal die Zinsen erhöht, rund 80 Prozent der Autokäufe laufen über Kredit.
Aufgrund der Aussperrung nahm Maruti die ›Fabrik B‹ in Manesar bereits im September 2011 in Betrieb, drei Monate früher als geplant. Mit diesem stärker automatisierten Werk hat allein Maruti Suzuki in Gurgaon/Manesar eine Gesamtkapazität von 1,7 Millionen Autos, mehr als der indische Binnenbedarf. Im Juli hatten Ford und psa angekündigt, jeweils neue Montagewerke in Gujarat zu eröffnen. Im September setzte die Gewerkschaft uaw in den usa das ›Two-Tier‹-Sytem um, nach dem Neueingestellte in den Autowerken lediglich die Hälfte der Alten verdienen – ein gewaltiger Druck auf die globale Lohnkaskade von Norden nach Süden.
Zunächst verlief die Auseinandersetzung nach dem Drehbuch der ›industrial relations‹ Gurgaons der letzten zwei Jahrzehnte: Wenn man die Lage nicht unter Kontrolle bekommt, fokussiert man den Kampf auf die Frage der Vertretung, versucht diese zu zerschlagen oder die Vertreter zu kaufen. Gelingt das nicht, bereitet man die Aussperrung vor. Man provoziert die Arbeiter, z.B. durch Hinauswurf der Führungspersonen. Um den Vorwurf einer illegalen Aussperrung zu verhindern, verlangt man individuelle Einvernehmenserklärungen. Dabei kann man darauf zählen, dass die Hauptgewerkschaften den ›traditionellen Weg‹gehen: keine Unterschriften, Kampf außerhalb der Fabrik, »Kampf um unsere Vertreter«. Man hält die Produktion halbwegs aufrecht, um Verluste zu vermeiden und die Arbeiter zu demoralisieren. Man attackiert die Arbeiter zwischenzeitlich. Es kommt zu einem Abschluss, man schichtet die Arbeitskraft um, z.B. indem man Leiharbeiter nicht wiederbeschäftigt oder Leute umsetzt. So gingen die meisten Arbeiterkämpfe der letzten Zeit verloren und die Umstrukturierung voran.
Durch die Besetzung sind die Arbeiter Maruti Suzuki zuvorgekommen. Nach einer Woche stand aufgrund von mangelnden Lagerkapazitäten die Produktion bei rund 200 Maruti-Zulieferern still, oder die Arbeit lief auf Minimalbasis. Aus mehreren Gründen kam eine Räumung nicht in Frage. Abgesehen von möglichen Sachschäden, liegt das Werk in einer Industriezone mit rund 500 größeren Fabriken. Die Räumung hätte zum Fanal werden können. Außerdem war der indische Staat in diesen Wochen mit verschiedenen Wellen der Anti-Korruptionsbewegung (in Ramdev, Harare) konfrontiert. Streikende Maruti-Arbeiter hatten sich in Interviews positiv darauf bezogen. Die Besetzung im Juni konnte vor allem dank der Unerfahrenheit der ArbeiterInnen und der beruhigenden Intervention der Hauptgewerkschaften in eine ›Niederlage auf dem Papier‹ verwandelt werden. Die ArbeiterInnen mussten nicht nur Lohnverlust, sondern auch eine moralische Schlappe in Form von zwei Tageslöhnen Strafe pro Streiktag hinnehmen (ein ziemlich unerhörter Fall in Indien). Aber sie waren nicht geschlagen, das zeigte sich in der unruhigen Zwischenzeit.
Während der Aussperrung standen zwei Dinge infrage: lässt sich ein modernes Montagewerk tatsächlich relativ schnell in Bewegung setzen? Halten sich in dieser Zeit die Gewerkschaften und die ArbeiterInnen an die üblichen symbolischen Protestformen? Maruti Suzuki beschränkte sich beim versuchten Produktionsanlauf auf ein einziges Modell, den Swift, die anderen beiden Modelle lagen während der Aussperrung auf Eis. Am 31. August, dem dritten Tag der Aussperrung, startete das Unternehmen mit 50 Ingenieuren und 290 Vorarbeitern, die teilweise aus dem Gurgaon-Werk abgezogen worden waren. Sie wurden mit 120 befristet neueingestellten Bandarbeitern aufgestockt. Die 460 Personen sollen angeblich 60 Autos produziert haben. Mit Blick auf Aktienkurse und Kundengefühle ließ Maruti täglich neue Produktionsrekorde vermelden. Am 3. September sollen 840 Arbeiter rund 200 Autos produziert haben. In einem Kommuniqué vom 5. September stellte die ausgesperrte mseu solche Zahlen als pure Propaganda dar. Am Ende der Aussperrung sollen 1200 neueingestellte Bandarbeiter zusammen mit den Ingenieuren der neu angelaufenen ›Fabrik B‹ den Swift wieder auf Vollkapazität produziert und sich sogar an eins der zwei anderen Modelle gewagt haben.
Die Aussperrung dauerte lange genug, um demoralisierend zu wirken. Zweimal hätte Marutis Strategie kippen können, beim Streik bei Munjal Showa am 12. und beim Streik bei Suzuki Powertrain am 14. September. Der erste wurde mit Zugeständnissen sofort beigelegt. Den zweiten beendete die Gewerkschaft hms, sobald in Gurgaon die Bänder stillstanden.
Am 30. September verhandeln die muku, die mittlere Führungsebene der aituc und drei Funktionäre der bisher nicht anerkannten mseu mit dem Management nach 33 Tagen Aussperrung über deren Ende. Eine zweite Niederlage auf dem Papier: Sie empfehlen den Arbeitern, die Einvernehmenserklärung zu unterschreiben, die ihnen bereits Disziplinarstrafen androht, wenn sie nicht gut rasiert zur Arbeit erscheinen oder während der Arbeit singen. Weder war die neue Gewerkschaft formal durchgesetzt, noch waren die Entlassenen zurückgeholt. Als am 3. Oktober die Produktion wieder anlaufen soll, verweigert Maruti den 1200 kämpferischen Zeitarbeitern den Zutritt. Bis dahin war alles nach dem erwähnten Drehbuch verlaufen. Aber die Wiederbesetzung und die Solidaritätsstreiks am 7. Oktober überrumpelten das multinationale Management und schlagen womöglich ein neues Kapitel im Klassenkampf auf dem indischen Subkontinent auf.
Am 21. Oktober beenden die Maruti-Arbeiter ihren Streik zunächst, nachdem die Unernehmensleitung zugesichert hatte, die 1200 Zeitarbeiter wieder aufzunehmen und 64 Suspendierungen zu annulieren. Kurz darauf setzen sie den Streik doch noch fort, da die neue Gewerkschaft bei Suzuki Powertrain ihre Forderungen noch nicht gegenueber dem Unternehmen durchgesetzt hat. »Wir haben den Streik zusammen angefangen, wir beenden ihn auch zusammen.« Die Powertrain-Arbeiter fordern die gleichen Loehne wie bei Maruti Suzuki. ■