Die erste Form von Massenarbeit in den US-Südstaaten war die Baumwoll- und Plantagenwirtschaft. Der große Industrialisierungsschub kam mit den Rüstungsfabriken vor dem Zweiten Weltkrieg, vor allem Flugzeuge und Militärfahrzeuge, und mit der Ölindustrie. Nach dem Krieg wurden Houston und der Mississippi zu Zentren der Chemie- und Ölindustrie, bis heute arbeiten zehntausende in über 400 solcher Fabriken.. Die zweite Industrialisierungwelle kam in den 1990er Jahren mit der Fleisch- und vor allem Autoindustrie. Seit der Krise 2008/09 entwickelt sich nun ein großer Niedriglohnsektor, der von der Möbel- über die Waffen- bis zur Autoindustrie reicht. Gerade erweitert BMW seine Fabrik in South Carolina, die vor allem für den Export produziert. Sie wird dann die weltweit größte des Konzerns sein. Auch Nissan verlagert die Produktion eines Modells von Japan in die Südstaaten, die Zulieferer ziehen mit.
Insgesamt wurden 2014 aus dem Süden der USA zum ersten Mal mehr als zwei Millionen Autos exportiert – eine Steigerung um 73 Prozent in zehn Jahren (auch die Fleischfabriken sind exportorientiert: nachdem die Lieferungen nach Russland und China einbrachen, mussten zB. viele Geflügelbetriebe vor allem in North Carolina schließen).
Die durchschnittlichen Arbeitskosten betragen in den Nordstaaten etwa 29 USD/Stunde, im Süden 25. Der Mindestlohn beträgt in Seattle 15, im Süden 7,25 Dollar. Ausschlaggebend für die Ansiedlungen in den US-Südstaaten sind neben den niedrigen Löhnen die hohen Subventionen (VW bekam eine halbe Milliarde vom Bundesstaat Tennessee, Nissan eine viertel Milliarde USD), sowie niedrige Energiepreise, keine Gewerkschaften, gute Verkehrsanbindung, mildes Klima, die steigende Bildung und junge Arbeitskräfte (somit zunächst niedrige Kosten für die Betriebsrentenkassen). Der US-Süden ist der billigste Produktionsstandort in der weltweit größten Ökonomie. Während die Löhne in ähnlichen Branchen in Asien in den letzten Jahren gestiegen sind, stagnieren sie in den Südstaaten der USA ebenso wie in der Maquiladoras-Industrie im Norden Mexikos.
Zur Nord-Südspaltung kommen noch die üblichen innerbetrieblichen durch Leiharbeit, Auslagerungen und seit der Krise auch bei den Löhnen, zB. liegt der Einstiegslohn in einer Ford-Fabrik bei 19,28 USD/Std.; der nächsthöhere, der top-tier bei 28,50. Im Süden stiegen die Einstiegslöhne in der Autoindustrie seit Anfang der 90er Jahre von 12 auf 15 Dollar – was angesichts der Inflation einem deutlichen Reallohnverlust entspricht. Eine Studie vom November 2014 errechnete eine Reallohnsenkung von über 20 Prozent im Zeitraum von 2001 bis 2013 1.
Der aktuelle Industrialisierungsschub bedeutet vor allem für die schwarze Arbeiterklasse eine erneute Proletarisierung, die Krise verstärkt den Rassismus. Die Vermögen schwarzer Haushalte sind seit 2007 kontinuierlich um mehr als 30 Prozent gesunken und machen heute nur noch ein Dreizehntel des durchschnittlichen Vermögens weißer Haushalte aus. Die Belegschaft der führenden Internetfirmen wie Google, Facebook, etc. ist zu über 95 Prozent weiß. Der Aufstieg über Bildung funktioniert speziell für Schwarze kaum. Fast ein Viertel der schwarzen Männer hat weder einen Job, noch sind sie als arbeitssuchend gemeldet; ihr prozentualer Anteil an der US-Arbeitskraft ist am niedrigsten unter allen »ethnischen« Gruppen.
Die Geschichte des Raums auf beiden Seiten der Grenze ist geprägt von enormer Gewalt gegen die ProletInnen (Drogenkartelle, die Morde an den Maquila-Arbeiterinnen in Nordmexiko, das Grenzregime, der Ku-Klux-Klan in den Südstaaten...). Die ArbeiterInnen sind gespalten, durch Rassismus, Sexismus, verschiedene Verträge und ganz unterschiedliche Bedingungen – in Mexiko arbeitet die Hälfte quasi informell und in vielen unproduktiven Kleinbetrieben, in den größeren Betrieben verhandeln gelbe Gewerkschaften (»protection unions«) im Geheimen Arbeitsbedingungen aus, die die Unternehmen vor Streiks schützen sollen.
Viele MigrantInnen können ihre Erfahrungen in einer Maquila umsetzen in einen Job in den USA, zB. haben MexikanerInnen die Schwarzen in den Fleischfabriken regelrecht ersetzt. Die meisten arbeiten am Bau (wo in der Krise massenhaft Jobs verloren gingen und am wenigsten zurückkamen), im Dienstleistungssektor (Restaurants, Hotels...) und im Handel. Ihre Erfahrung von (Über-)Ausbeutung und Illegalisierung war die Grundlage der Mobilisierungen bei den großen Si-se-puede-Demos 2006, wo es u.a. gegen Abschiebungen ging. Auf den Märschen in Chicago, Los Angeles und Dallas waren je mehrere hunderttausend Leute auf den Straßen, am Höhepunkt insgesamt mehrere Millionen in über 100 Städten. Auch bei den vielen Konflikten und aktuellen Mobilisierungen in der Fast Food Industrie, in den Lagern des Inland-Empire, bei Wal-Mart, usw. stehen die »Latin@s« in der ersten Reihe. Viele von ihnen sind schon in den USA geboren. Mittlerweile geht die Zahl der einwandernden MexikanerInnen zurück, während die Zahl der MigrantInnen aus den mittelamerikanischen Ländern steigt.
Die MigrantInnen aus diesen Ländern können nicht eben so wie MexikanerInnen zurückgeschoben werden – deshalb wurden Detention Center eingerichtet, eine Art teilprivatisierte Abschiebeknäste. Die Bedingungen dort sind geprägt von schlechter Infrastruktur, keiner medizinischen Versorgung und sexuellem Missbrauch. Dagegen gibt es schon länger Aufstände, wie gerade erneut im texanischen Willacy County Correctional Center in Raymondville (es wird auch »Ritmo« genannt, parallel zu »Gitmo«, dem Spitznamen Guantánamos). Im Aufstand zerlegten die Gefangenen den Knast, so wurde er auch offiziell unbewohnbar – nun werden sie verlegt. 2
2010 zündeten 300 Foxconn-ArbeiterInnen in Ciudad Juárez eine Kantine an, um gegen aufgezwungene Überstunden zu protestieren. Im selben Jahr streikten ArbeiterInnen in einer Autozulieferfabrik von VW, Johnson Controls in Puebla, um ihren gesetzlichen Anteil von zehn Prozent am Unternehmensprofit einzufordern. Sie organisierten sich gegen die »protection unions« in einer eigenen Gewerkschaft, zusammen mit Berg- und MetallarbeiterInnen. Daraufhin schloss Johnson Controls die Fabrik. 2013 streikten 2000 Honda-ArbeiterInnen im Hauptwerk in El Salto, Bundesstaat Jalisco, wild, um ebenfalls ihren Gewinnanteil einzufordern – der erste Streik in der 27jährigen Geschichte des Werks. Auch sie hatten gegen die dortige »protection union« ihre eigene, nicht genehmigte Gewerkschaft gegründet. Sie erreichten die Erhöhung des Gewinnanteils von 300 Pesos (25 USD) auf 17 000 Pesos (1390 USD) und ein Maßregelungsverbot.
In der Geschichte brachen Kämpfe oft in Phasen der anziehenden reellen Subsumtion unter das Kapital aus, wenn sich zu den »alten Kernbelegschaften« neue Arbeitermassen gesellen, wenn an strategischen Punkten der gesteigerten (relativen) Mehrwertproduktion ein neuer industrieller Raum entsteht, wo Erfahrungen der Senkung des Lebensstandards auf solche von überausgebeuteten frisch unters Fabrikkommando unterjochten Leuten treffen.
Nun beginnen auch die »alten« (Kern-)Belegschaften in den USA (und in Kanada: Lokführerstreik im Februar!) wieder zu kämpfen. Für das Scheitern der United Auto Workers (UAW) im VW-Werk Chattanooga (Tennessee) 2013/14 machten Linke den Konservatismus der weißen Südstaaten-ArbeiterInnen verantwortlich, ihre Anfälligkeit gegenüber anti-gewerkschaftlichen Kampagnen (»union busting«). Sie seien traditionell gegen »social change«. Der UAW-Dissident Sam Gindin fand es dagegen »überhaupt überraschend, dass irgendeinE ArbeiterIn eine Gewerkschaft wollte, die ihnen so wenig versprach« 3. Die UAW hatte 2008/09 mitgeholfen, GM und die US-Autoindustrie wieder profitabel zu machen, indem sie die Bedingungen massiv absenkte (niedrigere Renten, Löhne, weniger Pausen, usw.).
Was also vor einem Jahr für die wenigsten möglich schien, entwickelt sich gerade zur größten Auseinandersetzung zwischen ArbeiterInnen und Ölkonzernen seit 1980. Am 1. Februar traten 3800 ArbeiterInnen in neun Raffinerien in den Streik, nachdem monatelange Verhandlungen der United Steelworkers (USW) mit den Ölfirmen kein Ergebnis gebracht hatten. Der Streik weitete sich aus, am 20. Tag stiegen auch ArbeiterInnen der größten US-Raffinerie in Port Arthur (Texas) ein. Am 21. Februar streikten in 15 Fabriken 6000 ArbeiterInnen, wovon 12 Raffinerien die Kapazität eines Fünftels der US-Rohöl-Bearbeitung ausmachen, die meisten davon in Texas und Louisiana. Der Streik kann allerdings durch den Einsatz von nicht-gewerkschaftlich organisierten ArbeiterInnen teilweise unterlaufen werden, die bestreikten Betriebe stehen nicht komplett still, auch aufgrund von sowieso geplanten Wartungsarbeiten. Manche streiken nur zögerlich oder verlassen die Streikposten wieder, weil das Streikgeld nicht reicht, das die Gewerkschaft zahlt.
Abseits der Diskussion um die niedergehende Macht der Gewerkschaften dreht sich das Ringen um zentrale Punkte: Es geht um die brutalen Arbeitszeiten: Die »operators«, darunter viele Frauen, berichten von zwei Wochen ohne freien Tag mit 12 Stunden-Schichten. Es geht gegen den Einsatz von »non-unionized« ArbeiterInnen bei sicherheitstechnisch heiklen Instandhaltungs- und Wartungsarbeiten; »non-unionized« steht synonym für Selbständige oder Werkvertragler, die zu viel schlechteren Bedingungen arbeiten. Und es geht um die fehlende Nachbesetzung der Arbeitsplätze, die wegfallen, wenn jemand in Rente geht. Dies sind Punkte, mit denen die ArbeiterInnen auch die umliegenden BewohnerInnen in ihren Kampf miteinbeziehen, weil alle wissen, dass solche Bedingungen zwar die Profite der Ölkonzerne bei sinkenden Preisen und Überkapazitäten aufrecht erhalten, aber zu schrecklichen Unfällen führen (immer wieder töten Explosionen und austretende Substanzen ArbeiterInnen, 27 allein in den letzten vier Jahren, viele AnrainerInnen müssen evakuiert werden oder werden krank...). 4 Die ÖlarbeiterInnen stehen an der Front im Kampf gegen die Gesundheitsschädlichkeit der Arbeit.
Shell, dessen Vorstand die Verhandlungen über die neuen Arbeitsverträge mit den USW führt, hat kürzlich in einem Brief erklärt, dass sie die gewerkschaftlich organisierten ArbeiterInnen kündigen und durch andere ersetzen wollen. Zudem laufen dieses Jahr die Arbeitsverträge von etwa fünf Millionen ArbeiterInnen aus, darunter Lehrpersonal, PostlerInnen, Auto- und TelekommunikationsarbeiterInnen. So könnte sich der Kampf der ÖlarbeiterInnen zuspitzen und mit anderen zusammenkommen.
[1] Catherine Ruckelshaus & Sarah Leberstein: Manufacturing Low Pay: Declining Wages in the Jobs that built America`s Middle Class, 2014.
[2] Renee Lewis: Inmates riot at for-profit Texas immigrant detenction facility, 2015, zu den Aufständen in den US-Knästen siehe Wildcat 91: USA: Hungerstreiks in US-Knästen – The Living Hell in Pelican Bay, Herbst 2011; zum neuen Klassenkampf ab etwa 2011 (Occupy, Hafen- und LagerarbeiterInnen, LehrerInnen...) siehe den Schwerpunkt in Wildcat 94: USA: Erste Schritte des neuen Blaumanns, Frühjahr 2013.
[3] Daniel Behruzi: USA: VW-Werk Chattanooga: US-Süden bleibt gewerkschaftsfrei, in: Lunapark21 25, 2014.
[4] Zwei Videos auf Youtube, in denen ArbeiterInnen, AnrainerInnen und angereiste UnterstützerInnen (zB. Krankenschwestern) selbst zu Wort kommen: https://www.youtube.com/watch?v=kEcoHjGJ-LQ; https://www.youtube.com/watch?v=Rs2t5xk8Tg8