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31.05.2020

Die Proteste nach dem Mord an George Floyd halten seit Tagen an und haben sich in viele Städte der USA ausgebreitet, wie die Bewegungen nach den Morden von Ferguson und Baltimore vor einigen Jahren. Sie drücken auch den Unmut der Leute aus, die wissen, dass sie in jeder Hinsicht die höchsten Kosten des Covid-Ausbruchs zahlen: weil sie vorher schon zu wenig Einkommen hatten; weil sie sich in engen Wohnungen isolieren sollen; weil sie in Jobs arbeiten, in denen sie besonders gefährdet sind. In Minneapolis haben sich ArbeiterInnen mit den Protesten solidarisiert, BusfahrerInnen weigern sich, für die Polizei zu arbeiten.
Das Online-Magazin Hard Crackers - Chronicles of Everyday Life hat am 29.5.20 ein Interview mit einem Busfahrer veröffentlicht, der sich mit seinen KollegInnen organisiert.

»Der Angriff auf Einen ist ein Angriff auf Alle«

Ein Busfahrer über die Proteste in Minneapolis

29. Mai 2020

Adam ist Busfahrer in Minneapolis und Mitglied des ATU Local 1005 [örtlicher Zweig der Amalgamated Transit Union; Gewerkschaft für den ÖPNV in den USA und Kanada] und der Socialist Alternative MN [lokaler Zweig einer trotzkistischen Partei]. Inmitten der Proteste in Minneapolis weigerte er sich, festgenommene Personen mit seinem Bus zum Polizeirevier zu transportieren. In der Folge hat die ATU International eine unabhängige Untersuchung des Todes von George Floyd gefordert und das Recht ihrer Mitglieder verteidigt, den Transport von Polizeibeamten und verhafteten Demonstranten zu verweigern. Wir haben mit Adam über die anhaltenden Proteste in Minneapolis gesprochen und darüber, wie Gewerkschaftsmitglieder den Kampf gegen rassistische Polizeibrutalität unterstützen können.

Was arbeitest du und wie bist du zur Entscheidung gekommen, der Polizei von Minneapolis zu verweigern, deine Busroute für die Beförderung verhafteter DemonstrantInnen zu benutzen?

Ich bin seit zwei Jahren Busfahrer, meine Route liegt im Umland von Minneapolis und St. Paul. Ich bin im Local 1005 und seit der Erschießung von Philando Castile durch die Polizei mache ich bei linken Organisierungsversuchen mit. Castile wurde [2016] von der Polizei in Falcon Heights erschossen, einer Siedlung zwischen Minneapolis und St. Paul. Danach gab es viele Proteste. Unter anderem wurde die Villa des Gouverneurs besetzt, die nicht weit von dem Ort entfernt ist, an dem Castile ermordet wurde. Ich war dabei, als die Autobahn zwischen Minneapolis und St. Paul blockiert wurde. In dieser Nacht wurden viele von uns dort verhaftet, wir wurden in Stadtbusse verladen und ins Bezirksgefängnis gebracht.

Damals wurde mir klar, dass die Polizei davon ausgeht, dass sie Busse und Arbeiter für ihre Zwecke einsetzen kann. Ich habe mich für diesen Job entschieden, weil er gute Zusatzleistungen bietet und es eine starke Gewerkschaft gibt. Aber jetzt bin ich selbst in der Situation. Was soll ich tun? Als die Proteste wegen George Floyd ausgebrochen sind, war ich am zweiten Tag dabei. Wir starteten an dem Ort, wo er getötet wurde, und marschierten zum Polizeirevier. Am dritten Tag, also Mittwoch, wurde das dritte Polizeirevier dann besetzt. Da konnte ich nicht dabei sein, weil ich gearbeitet habe. Aber ich bekam eine Nachricht, dass die Fahrer, die einen Polizeibus fahren wollten, Überstunden machen können. Ich wusste sofort, dass die Polizeibehörde den öffentlichen Nahverkehr benutzen wollte, um sich auf Massenverhaftungen vorzubereiten. In meiner Pause habe ich einfach einen kurzen Beitrag auf Facebook geschrieben – den, den du gesehen hast. Er lautete in etwa: »Hey, als Gewerkschaftsmitglied und als Arbeiter kann ich mich dabei nicht guten Gewissens beteiligen.«

Aber ich wollte nicht einfach nur einen Facebook-Post schreiben, sondern auch meine Kolleginnen und Kollegen überzeugen. Mir ist klar, dass ich nur Busfahrer bin und keine wirkliche Autorität über 2500 Arbeiter habe. Aber ich wollte meinen Kolleginnen und Kollegen zeigen, dass es ziemlich einfach ist, nein zu sagen, weil es nur um Überstunden ging. Zu denen können sie uns nicht zwingen. Solange sie den Einsatz als Überstunden anbieten, können wir ablehnen.

Neben dem Facebook-Posting habe ich auch eine Online-Petition gestartet, die meine Kolleginnen und Kollegen und andere Gewerkschaftsmitglieder unterzeichnen sollten. Wir haben auch eine Facebook-Gruppe Gewerkschaftsmitglieder für #JusticeforGeorgeFloyd gegründet, um die Proteste zu unterstützen.

Hast du versucht, direkt mit KollegInnen über die Proteste zu sprechen?

Das war schwierig. Sogar unter normalen Umständen siehst du deine Kollegen selten, meistens bist du allein in deinem Bus. Wegen COVID-19 ist es jetzt noch schwieriger, mit jemandem zu sprechen. Wir haben den Service reduziert, und viele Fahrer sind krank und kommen nicht zur Arbeit, weil sie Kontakt mit Infizierten hatten oder Angst haben, die Krankheit mit nach Hause zu ihren Familien zu bringen. Es war also eine sehr stressige Zeit.

Ich bin heute Nachmittag zur Arbeit gegangen, und als ich reinkam, kündigten sie im Grunde gleich an, dass das gesamte System runtergefahren wird. Sie sagten, es gäbe zu viele Unruhen, als dass die Menschen weiterhin riskieren könnten, zur Arbeit zu gehen. Uns wurde jedoch gesagt, dass wir bleiben sollten, wenn wir uns freiwillig melden wollten.

Was heißt das?

Du kannst dich freiwillig für verschiedene Aufgaben melden: Du kannst Busse von einem Depot zum anderen fahren; Polizeibeamte und jetzt möglicherweise auch die Nationalgarde befördern; oder du bringst verhaftete DemonstrantInnen ins Gefängnis. Ich habe die Gelegenheit genutzt, um mit meinen KollegInnen zu sprechen. Ich habe sie gefragt: »Bist du bereit, sowas für eine Polizeibehörde zu tun, wo Kriminelle arbeiten?«

Wie haben sie geantwortet?

Viele FahrerInnen sagten was in die Richtung: »Ich möchte nicht in eine gefährliche Situation kommen. Meine Frau bringt mich um, wenn sie herausfindet, dass ich in den Aufruhr geraten bin.« Sie sind um ihre Sicherheit besorgt. Eine Fahrerin sagte, sie hat Angst zur Zielscheibe von Demonstranten zu werden, wenn sie Polizisten fährt.

Und dann wurde ich Zeuge, wie eine Kollegin sich freiwillig meldete. Die Fahrdienstleiterin sagte, sie müsse bereit sein, Polizisten zu transportieren. Und da sagte sie nein und setzte sich wieder hin. Sie sagte: »Ich kann von einem Depot zum anderen fahren, aber ich werde nicht die Polizei herumfahren.«

Da dachte ich, es gibt genug FahrerInnen, die die Polizei nicht unterstützen wollen, um was zu erreichen.

Was halten deine KollegInnen von den anhaltenden Protesten? Ich habe in den Nachrichten gesehen, dass ein Polizeirevier niedergebrannt wurde.

Ich konnte heute im Depot mit ihnen reden. Jeder, mit dem ich gesprochen habe, hielt es für besonders ungeheuerlich, wie die Polizei George Floyd ermordet hat, der Polizeibeamte sollte angeklagt und verhaftet werden und für seine Taten vor Gericht kommen. Es gibt eine Menge Sympathie für den Protest wegen dieser offensichtlichen Ungerechtigkeit. Aber gleichzeitig drehten sich die Gespräche um die Frage, ob wir die jüngsten Eskalation der Unruhen gutheißen. Ich habe versucht, das Gespräch in die Richtung zu lenken, dass die politischen Eliten die Stadt schlecht verwaltet haben und die Polizei ohne jede Rechenschaftspflicht vorgehen lassen. Der Polizeibeamte ist ein rassistisches Stück Scheiße. Er ist seit 19 Jahren bei der Polizei und hat schon viele Brutalitäten im Dienst begangen. Er hat Verhafteten Gewalt angetan. Der Bürgermeister und der Stadtrat sind liberaler geworden, sie werden sich solidarisch mit Black Lives Matter erklären, aber dennoch durfte dieser Polizeibeamte die ganze Zeit bei der Polizei bleiben. Sie haben den Polizeihaushalt Jahr für Jahr erhöht, obwohl es eine Wohnungskrise gibt. Ihre erste Aussage nach der Ermordung von Floyd war eine glatte Lüge. Sie haben davon gesprochen, dass er sich der Verhaftung widersetzt habe. Nun wurde ein Video veröffentlicht: George Floyd hat sich keinen Moment der Verhaftung widersetzt.

Wie sieht Minneapolis im Augenblick aus?

Als die Leute im 3. Bezirk eintrafen, wurden sie mit Gummigeschossen und Bereitschaftspolizei empfangen. Die Polizei unternahm nichts, um die Situation zu deeskalieren. Das war Dienstagnacht. Aber ich würde sagen, dass die DemonstrantInnen kein Vertrauen in das politische Establishment der Stadt haben, kein Vertrauen, dass Trumps FBI eine gründliche Untersuchung durchführt, und kein Vertrauen in die Polizei, die mit ihren Methoden die DemonstrantInnen weiterhin provoziert. Der Bürgermeister ist ein typischer liberaler Politiker des Establishments, der die Methoden und Taktiken der Polizei gegenüber den DemonstrantInnen nicht verurteilt.

Es ist nicht überraschend, dass die Leute zur Schlussfolgerung gekommen sind, dass sie sich auf die Führung von Polizei und Stadt nicht verlassen können. Sie haben demonstriert, dass sie unfähig oder nicht willens sind, früheren Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Warum sollten sie ihnen dieses Mal vertrauen? Deshalb nehmen sie die Sache selbst in die Hand.

Was erhoffst du dir von der Mobilisierung deiner KollegInnen?

Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem sich die Protestbewegung verändern muss, um voranzukommen. Die Liberalen sagen den Leuten, sie sollen nach Hause gehen, aber das wird nicht funktionieren. Es gab heute Bemühungen verschiedener unabhängiger progressiver Gruppen, die Proteste vor dem Büro der Stadtregierung in der Innenstadt fortzusetzen, wo sich die Staatsanwaltschaft befindet. Es gab auch die Forderung, dass der oberste Bezirksstaatsanwalt Anklage gegen die vier beteiligten Beamten erheben soll. Wahrscheinlich sind schon Protestierende auf den Weg dorthin. Ich werde mich wahrscheinlich jetzt selbst auf den Weg machen. Es sind Tausende da, das ist eine gute Entwicklung. Die Menschen wollen zurückschlagen und nicht nach Hause gehen. Sie finden die Taktik von gestern Abend vielleicht nicht effektiv, aber sie wollen auch nicht zu Hause bleiben. Sie wollen wiederkommen und kämpfen, aber vielleicht mit anderen Methoden.

Ich finde es bemerkenswert, dass die Minnesota Nurse Union [Gewerkschaft von KrankenpflegerInnen], die Minneapolis Federation of Teachers [Lehrergewerkschaft] und das Local 1005 den Mord an George Floyd verurteilt haben. Sie haben erklärt, dass es Gerechtigkeit geben muss und sehr deutliche Worte gefunden. Ich denke, es ist notwendig, dass die Arbeiterbewegung sich mit den DemonstrantInnen verbindet. Immer mehr People of Color werden Gewerkschaftsmitglieder, aber damit die Arbeiterbewegung wachsen und zu einer lebendigen Kraft im Kampf gegen die Bosse werden kann, müssen wir zeigen, dass wir für die gesamte Arbeiterklasse kämpfen können. Wir müssen über das hinausgehen, was am Arbeitsplatz geschieht, wir müssen die unorganisierten ArbeiterInnen erreichen und zusammen mit ihnen überbetriebliche Kämpfe führen. Das ist die Rolle, die Gewerkschaften spielen können.

Die Arbeiterbewegung wurde zurückgedrängt. Aber sie ist nach wie vor die effektivste Kampfkraft für ArbeiterInnen, weil sie die kollektive Macht sein kann, die den Bossen entgegentritt und sie vor deren Interessen schützt.

Was planst du als nächstes?

Sie werden den Transitverkehr bis Montag einstellen. Ich werde also leider nicht zur Arbeit gehen und mit KollegInnen sprechen können. Aber ich glaube, ich habe Wege gefunden, um im Gespräch zu bleiben und mich außerhalb des Arbeitsplatzes zu organisieren. Ich werde sie ermutigen, zu den Protesten zu kommen. Am Samstag wird wieder eine sehr große Demonstration erwartet; ich sehe die Möglichkeit, ArbeiterInnen zu organisieren, die sich mit den DemonstrantInnen solidarisch zeigen. Gewerkschaftsmitglieder können zeigen, dass sie ihre Position nutzen, um für Gerechtigkeit und die Forderungen der Demonstranten zu kämpfen. Organisierte ArbeiterInnen können kollektiv handeln, um die Produktion und die Unternehmensgewinne stillzulegen, das ist die größte Bedrohung für die herrschende politische Klasse.

 
 
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