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Der Versuch der RWDSU, im Amazon-Logistikzentrum in Bessemer / Alabama als gewerkschaftliche Vertretung anerkannt zu werden, wurde weltweit verfolgt. Das Wahlergebnis war ein Desaster: von 5800 Beschäftigten haben nur 55 Prozent abgestimmt, 1798 gegen die Gewerkschaft, 738 dafür. Eine heftige Niederlage für die Bernie-Sanders-Linke und sogar für Biden selber, der sich für Gewerkschaftsrechte ausgesprochen hatte. Eine Niederlage aber vor allem für die »Linke«, die mit alten (Gewerkschafts-)Modellen gegen Amazon ankämpft – und damit bisher in der BRD (ver.di), in Italien (Amazonstreik am 22.3.) und nun auch in den USA scheitert.
Die Erklärungen waren schnell zur Hand. Die Expertin des »deep organizing«, Jane McAlevey, führte in ihrem Artikel vom 9. April 2021 in The Nation die Niederlage auf drei Gründe zurück: Das bösartige Vorgehen des Unternehmers (Lügen und Einschüchterung); die falsche Taktik der RWDSU, die durchgängig als Kraft von außen auftrat, die ArbeiterInnen als Opfer behandelte und zu keinem Zeitpunkt an ihre Stärke appellierte oder sie dazu aufrief, sich zusammenzuschließen; sowie drittens »den sozio-politischen Kontext«.
Bezeichnenderweise kommen in ihren Überlegungen die ArbeiterInnen selber gar nicht vor! Zwar hat Amazon die ArbeiterInnen, die sich wehren wollten, massiv eingeschüchtert. Aber im Kern konnten die Manager in den angeordneten Versammlungen so argumentieren: »Im Gegensatz zu den opportunistischen Gewerkschaften und den Versprechungen der Demokratischen Partei hat Amazon die Stundenlöhne im letzten Jahr auf 15 Dollar erhöht, während 40 Millionen US-AmerikanerInnen nach wie vor für den Mindestlohn von 7,25 Dollar arbeiten müssen« – und Biden gerade aus seinem Konjunkturpaket die vorgesehene Mindestlohn-Erhöhung herausgenommen hat. Amazon bietet für ungelernte ArbeiterInnen Lohn und auch Arbeitsbedingungen, die trotz der intensiven Ausbeutung oft besser sind als ihre anderen Optionen.
»Vor der Frage, ob sie weiterhin individuell mit dem Arbeitgeber verhandeln sollen, oder ob sie das an eine externe Gewerkschaft delegieren sollten, stellten sich die ArbeiterInnen in Bessemer Fragen, die der traditionelle Syndikalismus nicht beantworten kann. Er geht davon aus, dass es genüge, die Position der ArbeiterInnen am Arbeitsplatz zu stärken – während das neue Proletariat sieht, dass die Welt außerhalb der Fabrik in Flammen steht, und deshalb den vorübergehenden ›Status quo‹ in der Ausbeutung bevorzugt.« (Noi non abbiamo patria)
Dazu kommt, dass man die 738 von 5800 nicht zu leicht abtun sollte. Diese ArbeiterInnen waren eine kämpferische Minderheite, oder hätten es zumindest sein können, wenn die bisherigen Strategien diese Minderheiten nicht verbrennen würden.
An anderen Amazon-Standorten sieht man dieses Potential ebenfalls, in Chicago gab es am 7. April, praktisch gleichzeitig mit der Niederlage in Bessemer, einen spontanen Streik gegen die Zehneinhalb-Stunden-Schicht von dutzenden ArbeiterInnen. Er war der letzte einer längeren Folge kleinerer Streiks und Aktionen, die mit der Corona-Pandemie begannen. Auf eine der Intitativen, die diese Aktionen trägt, nimmt der untenstehende Artikel Bezug: »Amazonians United«.
Ein kleiner Einwand: Der folgende Text geht davon aus, die Arbeitsabläufe und Lieferketten bei Amazon seien sehr störungsanfällig. Aber in den letzten Jahren mussten wir immer wieder erleben, dass Amazon durch Streiks und Blockaden nicht so leicht zu treffen ist. Hier muss noch genauer gesucht werden, an welchen Punkten Amazon getroffen werden kann!
In der BRD haben die Konflikte zu graduellen Verbesserungen der Arbeitsbedingungen und Löhne geführt – so wie es der Autor perspektivisch auch für das Lager in Bessemer erwartet. Und mittlerweile ist es Amazon auch gelungen, die deutschen Betriebsräte in sein Management-Modell einzubinden.
Wildcat
Von Felice Mometti / connessioni precarie
Es waren sicherlich die am meisten beachteten Gewerkschaftswahlen in der jüngeren amerikanischen Geschichte. Sie wurden zu einer politischen Auseinandersetzung, die weit über die Frage von gewerkschaftlichen Rechten im Amazon-Logistikzentrum in Bessemer / Alabama hinausging. Eine Delegation von Amazon-ArbeiterInnen wurde vom Wirtschaftsausschuss des Senats empfangen, Football-Spieler und Hollywood-SchauspielerInnen hatten ihre Solidarität erklärt. Sogar Präsident Biden hatte erklärt, Gewerkschaften seien notwendig, um die Mittelschicht zu stärken; es sei nicht seine Sache, Arbeiter zum Gewerkschaftsbeitritt aufzufordern, es dürfe aber auch keinen Druck von seiten des Unternehmers geben, um das zu verhindern. Die Endauszählung der Stimmen wurde im Livestream an etwa 200 Personen übertragen, darunter Journalisten, Rechtsanwälte, Beobachter, Gewerkschaftsfunktionäre und Amazon-Manager.
Bessemer ist eine Kleinstadt mit etwa 30.000 EinwohnerInnen in der Metropolregion Birmingham in Alabama. 70 Prozent sind AfroamerikanerInnen, und jeder Vierte lebt unterhalb der Armutsschwelle. Es ist eine Domäne der Demokraten, die einen afroamerikanischen Bürgermeister stellt sowie einen Gemeinderat aus fünf Schwarzen und zwei Weißen, in dem die Frauen in der Mehrheit sind. Im Juli 2018 stimmte dieser einstimmig für die Ansiedlung eines Amazon-Logistikzentrums. Vorausgegangen war dem ein heftiger Kampf mit anderen Städten, in dessen Verlauf dem E-Commerce-Giganten immer größere »Anreizpakete« geschnürt wurden. Die businessfreundliche Kampagne von Bessemer hat nach und nach das Jefferson-County und den Bundesstaat Alabama miteinbezogen. Stadt, County und Staat gaben insgesamt etwa 60 Millionen Dollar Zuschüsse für die Errichtung des Lagers mit ursprünglich vorgesehenen 1500 ArbeiterInnen. Neben starken Steuererleichterungen, vereinfachten Genehmigungsverfahren und verbilligtem Bauland wurden Amazon auch die staatliche High School von Bessemer und das Lawson Community College zur Verfügung gestellt, um Arbeitskräfte auszusuchen und auszubilden. Dazu wurden in Zusammenarbeit mit Amazon Lehrgänge zu Robotik und Programme »fit für die Arbeit in der Logistik« aufgestellt. Nachdem Ende März 2020 das Lager eröffnet worden war, stieg die Anzahl der Beschäftigten im Coronaboom des Versandhandels in wenigen Monaten auf 5800. Die Anreizpakete, die Modifikationen an den Zulassungsverfahren und an den Lehrplänen, plus die Auswirkungen auf die Umgebung und die Folgen am Immobilienmarkt haben zu einer Art Tsunami in der ganzen Metropolregion Birmingham geführt was Institutionen, Städtebau und Arbeitsmarkt betrifft.
Weltweit hat Amazon 2020 430.000 ArbeiterInnen eingestellt sowie einen Umsatz von 390 Mrd. Dollar und einen Profit von 22 Mrd. gemacht. Im Moment haben sie 1,3 Millionen Beschäftigte und 500.000 FahrerInnen, die als »Selbstständige« geführt werden. In den USA sind es 900.000 Beschäftige an 800 Standorten (Lager und Logistikzentren). Die Pandemie hat die Zentralität der Logistik im gegenwärtigen Kapitalismus umso deutlicher gemacht. Sie ist das Rückgrat der globalen Netze der Wertproduktion. Eine Macht, die Amazon auch politisch ausnutzt; diese Macht geht über das aggressive Lobbyieren auf den verschiedenen institutionellen Ebenen hinaus. Die 20 Millionen Dollar, die hunderte von Lobbyisten im Dienste Amazons im letzten Jahr ausgegeben haben, sind inzwischen von sekundärer Bedeutung. Amazon ist ein umfassender politischer Akteur, auch wenn er an die Demokratische Partei gebunden ist, so ist er auch einer der wichtigsten Finanziers an der Wall Street, ein globaler Wirtschaftsriese, ein bedeutender sozialer Akteur an den Orten, wo er seine Lager und Verteilzentren ansiedelt, ein Mainstream-Medium mit dem Besitz der Washington Post. Eine solche Konzentration von Macht braucht keine politische oder institutionelle Vermittlung mehr, um an der staatlichen und föderalen Governance mitzuwirken. Um diese Machtstrategie auf vielen Ebenen aufrechtzuerhalten, ist Amazon auf die vollständige Freiheit und Flexibilität bei der Organisation der Arbeit angewiesen, bei der Aneignung und Verwaltung von big data, bei der Festlegung der Hierarchie in den eigenen Strukturen. Die Mehrwertproduktion bei Amazon basiert auf einer Kombination aus Arbeitsteilung und hierarchischem kapitalisischen Kommando, unpersönlichen Algorithmen, Videoüberwachung und konkreter Kontrolle und Disziplinierung der einzelnen Arbeitskraft. Jedes Hindernis, Verlangsamung, Blockierung wirkt sich unmittelbar auf den gesamten Prozess aus. Hierin liegt der Grund, warum Amazon sich jeder Organisierung der Arbeitskraft widersetzt, die Macht am Arbeitsplatz ausdrücken könnte. Dieses Modell, das beinahe zur Philosophie geworden ist, ist in den letzten Monaten in Widerspruch mit der Regierung Biden getreten. Sicherlich nicht deswegen, weil dem neuen US-Präsidenten die Arbeiterrechte am Herzen liegen würden. Amazon hat sich von den traditionellen Mechanismen politischer und institutioneller Vertretung befreit; Biden hingegen will diese, leicht upgedated, wieder herstellen, um im post-pandemischen Kapitalismus eine unabhängige und anerkannte Rolle spielen zu können. Und während Biden die Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Dollar verschiebt, indem er ihn aus seinem Rettungsplan ausgekoppelt hat, verstärkt Amazon seine Medienkampagne zur Ausweitung des 15-Dollar-Stundenlohns, den es in seinen Lagern zahlt, auf die ganze USA. Amazon kann sich die Gewerkschaft nicht leisten, weil sie möglicherweise zu Rissen in seiner Formierung, Verwaltung und Ausbeutung der Arbeitskraft führen würde, Biden hingegen beruft sich auf die Wahlfreiheit der ArbeiterInnen. Die Partie ist eröffnet, und ihr Ausgang noch keineswegs gewiss.
Die Situation, in der sich die allermeisten amerikanischen Gewerkschaften befinden, lässt sich nicht mal mehr als Business Unionism bezeichnen. Die Entwicklung der [1935 gegründeten, d. Ü.] United Automobile Workers (UAW) sind dafür exemplarisch: vom Bild einer in den Kämpfen Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre radikalen Gewerkschaft zur aktuellen Zwangsverwaltung durch ein Bundesgericht wegen Bestechung durch Fiat-Chrysler. Von der Zurschaustellung ihrer Unabhängigkeit von den Unternehmern, wenn schon nicht als Klasse, so doch zumindest als Gewerkschaft, bis dahin, dass sie inzwischen der größte Aktionär bei General Motors ist und die Verwaltung ihres Aktienpakets an BlackRock delegiert hat, die größte »Schattenbank« der Welt. Was zu einem gelinde gesagt paradoxen Kurzschluss geführt hat. Während der Tarifverhandlungen in der Automobilindustrie von 2011 und 2015 erhielt die UAW bei Verhandlungen mit General Motors, dessen zweitgrößter Anteilseigner sie damals war, Bestechungsgelder vom Konkurrenten Fiat-Chrysler, um Verträge zu unterzeichnen, die letztere gegenüber Ford und selbst General Motors bevorzugten. Die Finanzkrise der amerikanischen Gewerkschaften rührt von den enormen Unterhaltskosten ihrer Strukturen, der exorbitanten Anzahl ihrer Funktionäre und den fehlenden Börsenrenditen ihrer Pensions- und Krankenversicherungsfonds her. Um die Verbindlichkeiten in ihren Bilanzen zu begrenzen, hat die Gewerkschaftsfirma die Mitgliedsbeiträge erhöht und ihren »Kundenkreis« ausgeweitet. Jetzt ist die UAW nicht mehr nur die Gewerkschaft der Autoarbeiter, sondern auch der Bauern, der Universitätsforscher, des Gesundheitspersonals und des öffentlichen Dienstes, und zwar nicht, weil sie zu einer branchenübergreifenden Gewerkschaft geworden wäre – die verschiedenen Branchen sind strikt voneinander getrennt –, sondern um den finanziellen Kollaps abzuwenden. Ist die UAW ein Grenzfall? Ja, denn die Kombination aus endemischer Korruption und der Führung der Gewerkschaft wie eine Firma hat zum organisatorischen Zusammenbruch geführt. Nein, denn allein in den letzten zehn Jahren wurden auch die Führungen von Teamsters, SEIU und der Lehrergewerkschaft, um nur die mitgliederstärksten Gewerkschaften zu nennen, wegen Korruption oder Veruntreuung von Gewerkschaftsgeldern verurteilt. Dazu gehört auch die Retail Wholesale and Department Store Union (RWDSU), die Gewerkschaft, die die ArbeiterInnen des Logistikzentrums in Bessemer aufgerufen hatte, darüber abzustimmen, ob sie sie bei den Verhandlungen mit Amazon vertreten sollte. Die RWDSU vertritt nach eigenen Angaben 100.000 Mitglieder – über die Hälfte davon im Staat New York –, sie verliert Mitglieder, steckt in finanziellen Schwierigkeiten und wird seit 23 Jahren patriarchalisch von ihrem Vorsitzenden Stuart Appelbaum geführt. Stuart Appelbaum ist Mitglied des Nationalkomitees der Demokratischen Partei und war von 1996 bis 2020 Delegierter auf jedem Parteitag der Demokraten. Er ist ein Unterstützer von Biden und Andrew Cuomo, dem Gouverneur des Staates New York, der ihn in den Vorstand des New York City Regional Economic Development Council berufen hat. Er ist Vizepräsident der AFL-CIO, des größten Gewerkschaftsverbandes der USA. Allein als RWDSU-Präsident erhält er ein Jahresgehalt von über 300.000 Dollar. Die anderen Mitglieder des nationalen Vorstands – Management wäre wohl eine treffendere Bezeichnung – beziehen ein durchschnittliches Jahresgehalt von 250.000 Dollar. Der RWDSU-Mitgliedsbeitrag liegt durchschnittlich bei 950 Dollar pro Jahr, sollte aber laut einer informellen Vereinbarung mit den ArbeiterInnen in den ersten Jahren 500 Dollar nicht überschreiten. Der Beitritt von mehreren tausend Amazon-Beschäftigten wäre in erster Linie der Kasse einer Gewerkschaft in einer finanziellen Krise zugute gekommen. Der Einbruch des gewerkschaftlichen Organisationsgrads in der Privatwirtschaft auf sechs Prozent der Beschäftigten ist nicht nur auf die diskriminierenden und gewerkschaftsfeindlichen Praktiken der Firmen und auf Gesetze zurückzuführen, die so etwas begünstigen, sondern auch darauf, dass viele ArbeiterInnen sich zwischen zwei Firmen gefangen sehen: der des Arbeitgebers und der der Gewerkschaft.
Wie kam es zur Beteiligung einer Gewerkschaft wie der RWDSU? Ende letzten Sommers, wenige Monate nach der Eröffnung des Logistikzentrums in Bessemer, begann sich eine Gruppe von ArbeiterInnen zu treffen, die das vom Amazon-Algorithmus diktierte brutale Arbeitstempo nicht mehr ertragen konnten. Der Stundenlohn von 15 Dollar und die Krankenversicherung, die Amazon anbietet, sind keine Entschädigung für eine zutiefst zermürbende Arbeitsorganisation und Hierarchie, die das ganze Leben beeinträchtigen. Die RWDSU hat entschieden, keine harten Kampfformen einschließlich Streiks zu praktizieren, wie sie seit Ende März 2020 selbstorganisiert in den Amazon-Zentren in Chicago und New York stattgefunden haben. Auf Drängen der älteren ArbeiterInnen, die bereits gewerkschaftliche Erfahrungen hatten, wurde beschlossen, den gesetzlich vorgegebenen Weg zu gehen. Die Entscheidung für die RWDSU lag darin begründet, dass sich unter ihren Mitgliedern neben Beschäftigten aus der Hühnerzucht, dem Gesundheitswesen, dem öffentlichen Dienst und dem Reinigungssektor auch solche des Einzelhandels befinden. Bis Ende Dezember wurden 2000 Unterschriften gesammelt für einen Antrag auf Urabstimmung darüber, ob die RWDSU die Belegschaft gewerkschaftlich vertreten soll. Das National Labor Relations Board setzte wegen der Pandemie eine Briefwahl vom 8. Februar bis zum 29. März an. In diesen 50 Tagen mobilisierte Amazon Dutzende von Beratern und Influencern, eröffnete Websites, schickte jedem Mitarbeiter Dutzende von gewerkschaftsfeindlichen Nachrichten auf Twitter und WhatsApp und berief hunderte von Versammlungen mit Anwesenheitspflicht während der Arbeitszeit ein. Amazon zahlte einer Marketingfirma 10.000 Dollar pro Tag für eine Kampagne in Presse, Radio und Fernsehen. Amazon ließ den gesamten Betrieb tagelang von der Polizei besetzen. Die gewerkschaftsfeindliche Botschaft konzentrierte sich auf vier Punkte: Der Mindestlohn von Amazon sei doppelt so hoch wie der gesetzliche Mindestlohn in Alabama, den zu erhöhen den Gewerkschaften mit ihren Initiativen nie gelungen ist. Die Korruption in den Gewerkschaften sei mittlerweile außer Kontrolle geraten. Die Mitgliedsbeiträge der Gewerkschaft seien überzogen im Vergleich zu den angebotenen Leistungen, und selbst diejenigen, die nicht beitreten, müssten der Gewerkschaft einen reduzierten Beitrag zahlen. Amazon diskriminiere nicht aufgrund von Rasse, Geschlecht oder sexueller Orientierung, und 85 Prozent der ArbeiterInnen in Bessemer seien AfroamerikanerInnen, mehrheitlich Frauen.
Auf der anderen Seite hat Stuart Appelbaums Gewerkschaftsfirma es vermieden, ihre Mitglieder mit öffentlichen Protestaktionen zu mobilisieren und erst recht keine Momente aktiver Solidarität mit anderen Amazon-Zentren und anderen Gewerkschaften hergestellt. Sie hat Amazon auf dem medialen Terrain herausgefordert und dort versucht, die Erlangung von Gewerkschaftsrechten bei Amazon mit dem Kampf um Bürgerrechte für die AfroamerikanerInnen in den 1960er Jahren gleichzusetzen. Als wenn die der Arbeitsorganisation und der gesellschaftlichen Reproduktion zugrunde liegenden Verhältnisse nicht etwas anderes wären als die lineare Verlängerung fehlender Bürgerrechten – sie sind ein immer wieder zu untersuchendes und sich ständig wandelndes Wechselspiel zwischen Produktionsverhältnissen, institutionellem Rassismus und Bürgerrechten. Dieser Ansatz hat selbst in den schwarzen Gemeinden im Raum Birmingham kaum nennenswerte Ergebnisse gebracht. Die Beteiligung an einer in Birmingham veranstalteten Kundgebung und Autokarawane mit Unterstützung des Black Lives Matter Chapter Birmingham (keine soziale Bewegung, sondern eine kleine, von ein paar Aktivisten von Bernie Sanders' Our Revolution gegründete NGO) blieb mau. Amazon hingegen kombinierte eine starke Medienpräsenz mit einer bis ins kleinste Detail reichenden Beeinflussung und Erpressung der ArbeiterInnen im Betrieb. Die RWDSU konzentrierte sich hauptsächlich auf Unterstützungsbekundungen von Politikern, bekannten Persönlichkeiten und Gewerkschaftsführern, ohne jemals das Amazon-Modell und die mit ihm einhergehenden politischen, sozialen und territorialen Umwälzungen ernsthaft anzugreifen, dagegen aufzustehen und zu kämpfen. Am Ende wurden 3215 Stimmen abgegeben, von 55 Prozent der Wahlberechtigten. Die Auszählung dauerte etwa zehn Tage wegen Nachzählungen und Anfechtungen, vor allem weil Amazon dafür sorgte, dass über 500 Stimmzettel nicht gezählt wurden; dazu kommen 76 ungültige Stimmen. Die Nein-Stimmen gegen die Gewerkschaft gewannen mit 1798 Stimmen. Die Gewerkschaft erhielt 738 Stimmen, nicht einmal halb so viel wie die im Dezember gesammelten Unterschriften. Es war eine schwere und angesichts der Art und Weise, wie die RDWSU die Kampagne führte, und der von Amazon zur Erpressung der ArbeiterInnen eingesetzten Mittel leider absehbare Niederlage. Jetzt wird der Klageweg gegen Amazon für eine neue Abstimmung beginnen, der viele Monate dauern kann. In der Zwischenzeit wird sich die Situation im Logistikzentrum Bessemer jedoch ändern: Amazon wird einige Zugeständnisse machen und die engagiertesten ArbeiterInnen entlassen. Ein Sieg in Bessemer hätte eine starke symbolische und politische Bedeutung gehabt. Er hätte einen Präzedenzfall geschaffen, auf den sich andere Amazon-Zentren und -Lager hätten berufen können. Er hätte gezeigt, dass man in der Firma von Jeff Bezos nicht nur passiv Widerstand leisten, sondern sich auch organisieren und kämpfen kann. So wie es übrigens das Netzwerk »Amazonians United« getan hat und weiterhin tut – in anderen Formen und mit anderen Inhalten als die Gewerkschaftsfirmen.