Trump, Orbán, Meloni, Milei, Wahlerfolge der AfD … Elon Musks »libertär-postfaschistische Internationale« reitet auf der Erfolgswelle.
In der Wildcat 114 beschreiben wir die historische Entwicklung dorthin: Jahrzehnte wirtschaftlicher Verschlechterungen für die Arbeiter – während die »politische Klasse« sich immer stärker bereicherte. Warum soll man heute noch sozialdemokratisch oder grün wählen? Diese Parteien stehen für die schlimmsten sozio-ökonomischen Auswirkungen des Kapitalismus: endlose Kriege und Abbau von gut bezahlten Industriearbeitsplätzen. Nun kommt zu den eingangs erwähnten Figuren der österreichische Rechtsradikale Herbert Kickl hinzu. Wenn nichts komplett Unvorhergesehenes mehr passiert, bekommt Österreich zum ersten Mal einen FPÖ-Kanzler.
29 Prozent in den Nationalratswahlen Ende September 2024, im November 35 Prozent in den Landtagswahlen in der Steiermark, Anfang Januar 2025 fast 40 Prozent in aktuellen Bundeswahlumfragen – die FPÖ marschiert durch. 2024/25 ist sie in fünf von neun österreichischen Bundesländern an einer Regierungskoalition mit der ÖVP beteiligt – der Spruch von ÖVP-Kanzler Nehammer bezüglich einer »Brandmauer« gegen die FPÖ war lächerlich. Am 19. Januar wird im bevölkerungsmäßig kleinsten Bundesland Burgenland gewählt – auch hier wird die FPÖ viele Stimmen bekommen und womöglich eine Regierungskoalition mit der SPÖ formen.
Von 1945 bis 1970 stellte die ÖVP alle Bundeskanzler. Von 1970 bis 1983 regierte SPÖ-Kreisky, die ÖVP war bis 1987 in der Opposition. Seit 1987 war die ÖVP wieder an jeder Regierung beteiligt.
Wahlarithmetisch begann der Aufstieg der FPÖ 1970, weil Kreisky das Wahlrecht zugunsten kleinerer Parteien ändern ließ. Damals kam die FPÖ mit dem ehemaligen SS-Obersturmführer Friedrich Peter als Spitzenkandidat auf 5,5 Prozent (SPÖ 48,4/ÖVP 44,7). Kreiskys Deal war: Die FPÖ bekommt mehr Mandate, dafür unterstützt sie die SPÖ-Minderheits- bzw. Alleinregierung (in dieser SPÖ-Regierung waren dann ein Drittel ehemalige NSDAP-Mitglieder).
Bisher ist jede Regierungsbeteiligung der FPÖ krachend gescheitert, danach waren ihre Wähler demobilisiert; zuletzt nach dem »Ibiza-Skandal« 2019. Die aktuelle Wähler-Remobilisierung geht auf die Covid-Pandemie zurück. Herbert Kickl ersetzte Strache und positionierte sich als lautester Kritiker der Coronamaßnahmen, trat auf Demonstrationen auf und schwor, dass bei ihm »zuerst das Volk, dann der Kanzler« käme; er sei bereit für die Position eines »Volkskanzlers«. Damit produzierte er das Bild, dass eine Mehrheit der Österreicher Coronamaßnahmen ablehnen würde (was nicht stimmte) und dass die damalige Schwarz-Grüne Regierung autoritär/undemokratisch herrschen würde (was stimmte). Außerdem war die Regierung selber in viele Skandale involviert, etwa bei der Gründung der »Covid-19-Finanzierungsagentur des Bundes GmbH« (Cofag). Mit dieser privaten Finanzierungsgesellschaft hat die damalige Regierung vorgetäuscht, Coronamaßnahmen »abzufedern«. Real wurden gezielt politische Freunde bedient, der Opposition wurden Kontrollmöglichkeiten entzogen. Parlamentarische Untersuchungsausschüsse zu den Ungereimtheiten werden von ÖVP und Grünen sabotiert.
Zusätzlich punktet die FPÖ immer wieder mit ihrer Fremdenfeindlichkeit – die Grundkonstante der Partei, mit der man in Österreich immer etwa zehn Prozent Wählerstimmen bekommt. Viele Kollegen lassen sich (seit Jahren) durch Falsch-, ungenaue und selektive Meldungen auf krone.at und auf Social Media gegen Flüchtlinge und Muslime aufhetzen. Gleichzeitig ist Österreich ein Hochlohnland mit offenen Grenzen zu den Niedriglohnländern des Balkan – die ausländischen Kollegen übernehmen zwar in erster Linie Arbeiten, für die sich keine Österreicher mehr finden, aber sie werden trotzdem als Bedrohung empfunden. Tatsächlich steigt die Ausländerkriminalität seit einigen Jahren auch statistisch wieder an.
Die ÖVP hat spätestens seit Sebastian Kurz offen die Positionen der FPÖ übernommen (Kurz selber sagte: »FPÖ light«). Dabei wetterte zum Beispiel der jetzt neu berufene ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker noch vor ein paar Wochen gegen FPÖ-Kickl: »Für uns ist klar: Es wäre für Österreich fatal, wenn Kickl jemals wieder Regierungsverantwortung übernimmt.« Oder: »Herr Kickl, es will Sie niemand in diesem Haus. Auch in dieser Republik braucht Sie keiner.« Jetzt verhandeln Stocker und Kickl die Regierungskoalition. Die ÖVP muss nun sogar selber zugeben, dass sie massiv an Glaubwürdigkeit eingebüßt hat – was aber weniger stark wirkt, wenn es jemanden gibt, der noch unglaubwürdiger ist: die SPÖ. Viele Parteigenossen stehen einer Koalition mit der FPÖ positiv gegenüber; in höchsten Positionen wursteln rechtsradikale, kriminelle SPÖler herum. Ein Beispiel ist Georg Dornauer, der mit einer Parlamentsabgeordneten der Fratelli d'Italia zusammen ist, beste Kontakte zum Immobilienmafiosi René Benko unterhält und Waffenverbote bricht.
Bundespräsident Van der Bellen hatte der FPÖ als stimmenstärkster Partei zunächst einen Regierungsauftrag verwehrt – das empfanden viele als undemokratisch. Eigentlich war es andersrum: 71 Prozent haben gegen die FPÖ gestimmt. In absoluten Zahlen: Von 6,35 Millionen Wahlberechtigten haben »nur« 1,42 Millionen Kickl gewählt (außerdem leben in Österreich fast 9,2 Millionen Menschen). Aber für eine Koalition reichte die Gemeinsamkeit, gegen Kickl zu sein, nicht aus.
Die Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und den neoliberalen NEOS sind in drei wichtigen Punkten gescheitert: Senkung der Lohnnebenkosten, sprich eine Verschlechterung der Sozialversicherung – ÖVP und NEOS wollen die Leute in private Versicherungen treiben; eine Erhöhung des Renteneintrittsalters wurde von der SPÖ abgelehnt; und in der Frage, wie man das Haushaltsdefizit auf die EU-Normgröße von drei Prozent des BIP senken kann. Um EU-Strafzahlungen zu entgehen (»Defizitverfahren«), wären Ausgabenkürzungen für 2025 in der Höhe von etwa sechs Milliarden Euro vorzunehmen, in den nächsten vier bis sieben Jahren 15 bis 24 Milliarden Euro. Doch die ÖVP will die Körperschaftssteuer senken! Die NEOS forderten eine Erhöhung des Pensionsalters, keine Anpassung bei Renten in den nächsten drei Jahren, Gehaltskürzungen bei Lehrern und Pflegern in den kommenden beiden Jahren [auch bei Polizei und Bundesheer] und Einsparungen von 20 Prozent im Gesundheitswesen.
Österreichische Kapitalisten sind mit sinkenden Profiten konfrontiert. Das Land war in den letzten fünf Jahren das einzige in Europa, wo es trotz einer relativ hohen Teuerung bei Lebensmitteln (höher als in Deutschland) Reallohnsteigerungen in der Industrie und industrienahen Branchen gab. Die Pandemiejahre brachten wegen des Auftragsbooms zusätzliche Überstunden und Arbeit im (für die Kapitalisten teuren) Vier-Schicht-System. Das »Lieferkettenchaos« übertrug sich eins zu eins auf die Produktionsplanung und damit auf die Arbeiter (wenn Rohstoffe oder Teile erst am Freitag eintrafen, dann musste man Samstag und Sonntag Anlagen anschmeißen; wenn Rohstoffe oder Teile nicht eintrafen, dann wurde eifrig umgeplant und die Arbeiter mussten auf andere Anlagen; in Lagern wurde die Arbeitszeit stärker als vorher flexibilisiert). Auftragsboom und Lieferkettenchaos machten mehr Arbeiter notwendig, senkten also die Arbeitslosigkeit und intensivierten den Arbeitskräftemangel, so dass die Unternehmer Schmerzensgeld bezahlen mussten – sie gaben bei Lohnerhöhungen schnell nach, zahlten großzügiger Prämien als vorher.
Ein anderes Resultat ist, dass viele Arbeiter unter extremen Erschöpfungszuständen leiden und überdurchschnittlich viele – vor allem jüngere – seit der Pandemie keinen solchen Arbeitsgeist mehr aufbringen wollen und können, wie ihn die Chefs erwarten. Bei Arbeitskräfteknappheit konnte man sich da viel erlauben.
Dazu kommt die ausgebliebene »grüne Transformation«. Der Plan, den Unternehmern ihre Modernisierung durch verschiedene nationale und EU-»Transformationsfonds« mit Steuergeld zu subventionieren, ist bisher nicht aufgegangen. Die Investitionsquote geht seit 2022 zurück, die Bruttoanlageinvestitionen sind sogar negativ.1
Diese drei Dinge brachten Österreich eine Industriekrise. Sie begann Ende 2023 mit Stellenabbau in der Autoindustrie und frisst sich nun in viele Bereiche weiter, bis hin zu Betriebsschließungen.
Die Arbeiter geben größtenteils der Schwarz-Grünen Regierung mit ihren Klimamaßnahmen und ihrer Kriegsunterstützung für die Ukraine die Schuld. Sie wollen eine FPÖ-Regierung, weil die Partei verspricht, die Klimamaßnahmen zurückzufahren und weil sie am lautesten die österreichische Neutralität in Bezug auf Ukraine- und Gazakrieg sowie gegen einen NATO-Beitritt vertritt. Vier Fünftel der österreichischen Bevölkerung sind für die Beibehaltung der Neutralität, zwei Drittel gegen einen NATO-Beitritt.
Mit der politischen Pleite der SPÖ und der höchstwahrscheinlich zustande kommenden FPÖVP-Regierung haben sich Österreichs Unternehmer und die Wirtschaftsfraktion der ÖVP durchgesetzt – und zwar nicht nur das »Großkapital«, wie so viele Linke behaupten, sondern vor allem das »Kleinkapital«, sprich kleinere und Mittelbetriebe, die die Krise nicht abfedern können; wo die Arbeitsbedingungen viel schlechter sind und die Eigentümer noch stärkere Interessen an einer »wirtschaftsfreundlichen« Regierung haben.
Die Industriellenvereinigung fährt seit Monaten heftige Angriffe gegen den »Verlust der Wettbewerbsfähigkeit« usw. Mit der skandalösen Pleite und dem Lohnraub an tausenden Beschäftigten des Motorradherstellers KTM hatte die Wirtschaft ihren Präzedenzfall. KTM gehört dem Großindustriellen, Milliardär und Präsidenten der oberösterreichischen Industriellenvereinigung Stefan Pierer. Zeitlich hat seine Show gut gepasst, um die Aufmerksamkeit auf leidende Kapitalisten zu lenken und der Beseitigung eines »Reformstaus« und einem »Bürokratieabbau« Nachdruck zu verleihen – gemeint ist: Deregulierung. Im Wesentlichen geht es drum, zusammen mit der FPÖ die Krise zu nutzen, um die Sozialpartnerschaft abzuschütteln – sie ist seit Jahrzehnten der verhasste sozialdemokratische Klotz am Bein der Unternehmer, der sie historisch zu Investitionen in Modernisierung und damit zur relativen Mehrwertproduktion gezwungen hat (noch immer macht der Export 60 Prozent vom BIP aus [in Deutschland unter 50 Prozent]; es gibt Betriebe, die 98 Prozent ihrer Produkte exportieren, und Gegenden, wo 45 Prozent der Lohnabhängigen in der Industrie arbeiten).2
Die FPÖ möchte schon mal die »Zwangsmitgliedschaft« in der Arbeiterkammer aufheben, ein gesetzlicher Bereich der Sozialpartnerschaft. Der AK-Mitgliedsbeitrag wird vom Bruttolohn abgezogen, er macht 0,5 Prozent als Teil des Sozialversicherungsbeitrags aus. Die Arbeiterkammer unterstützt mit dem Geld Lohnabhängige vor allem in arbeits- und sozialrechtlichen Fragen. (Schon 1934, unter dem faschistischen Ständestaat, wurde die Arbeiterkammer umorganisiert, in dem der damalige Kanzler Dollfuß die sozialdemokratischen Funktionäre durch Faschisten ersetzte.)
Mit der FPÖ kommt nun auch in Österreich die überdurchschnittlich kriminelle Energie der Polit- und Unternehmerlumpen an die Regierung, die keinen Wohlstand produzieren (Wirecard-Marsalek war FPÖ-Mann; Benko unterhielt beste Kontakte zur FPÖ; Pierer macht Gewinne mit Beteiligungen und Unternehmensverkäufen; gegen Kickl und den zukünftigen Landeshauptmann der Steiermark Mario Kunasek laufen Ermittlungen). Die FPÖ wird auf nationaler Ebene die Krise der relativen Mehrwertproduktion moderieren. Anstatt mit Investitionen soll diese Krise mit Deregulierung gelöst werden – Deregulierung bedeutet, kriminelle Unternehmenspraktiken zu legalisieren. Damit synchronisiert sich Österreich mit dem großen Rest der westlichen Welt, wo nach der gescheiterten »grünen Transformation« ein Übergang von Industrie zu Raub stattfindet.
Bundespräsident Van der Bellen wird wie 2017 bei der Sebastian Kurz-ÖVP-FPÖ-Regierung versuchen, im Vorfeld auf die Kabinettsliste einzuwirken. Damals hielt er mit seinem Veto zwei FPÖler aus den Ministerien fern.
In den Städten mobilisieren antifaschistische Initiativen und NGOs zu Demonstrationen. Gegen die FPÖ ist es seit 2000 Tradition, »Donnerstagsdemos« zu organisieren; auch diesmal soll es damit wieder zu einer Verstetigung des Protests kommen. Die meisten wissen, dass diese Mobilisierungen ihre starken Grenzen haben. Für viele scheint es so, dass sich mal wieder über die FPÖ »antifaschistisch« empört wird, während der alltägliche und für die Mehrheit viel greifbarere Wahnsinn der Deindustrialisierung, der Benkos, Pierers sowie der grünen Kriegshetze ignoriert wird.
NGOs, Leute aus dem Kulturbetrieb und aus der linken Identitätspolitik, die Geld aus staatlichen Fördertöpfen beziehen, stellen sich auf härtere Zeiten ein (dementsprechend erklärt sich die soziale Zusammensetzung der Antifa-Demos). FPÖVP haben schon angekündigt, dass eine »Reduktion der Förderquote« die Hälfte der geplanten 6,39 Milliarden Euro einsparen soll.
Der Erfolg der FPÖ beflügelt aktuell die AfD. Im ZDF-Politbarometer vom 10. Januar liegt sie mit plus zwei bei 21 Prozent an zweiter Stelle. Am selben Tag freute sich Elon Musks neu gewonnene Freundin und AfD-Chefin Alice Weidel auf ihrem Parteitag über den »krachenden Zusammenbruch der von der ÖVP errichteten Brandmauer«. Sie verkündete die selbe Entwicklung für Deutschland.
[1] In Österreich und Deutschland liegen die Bruttoanlageinvestitionen seit 2020 im Minusbereich – allein um bestehende Anlagen flott zu halten, müssten einige Prozente investiert werden, vgl. WKO Statistik, Bruttoanlageinvestitionen, Stand November 2024. Österreich unterhält im Ländervergleich eher hohe Investitionsquote, aber viele Firmen investieren in Dinge, die sich im Nachhinein als unproduktiv oder sogar Kosten steigernd herausstellen, wie zum Beispiel in unbrauchbare Software oder fehlerhafte Automatisierung, vgl. WKO Statistik, Investitionsquoten, Stand November 2024.
[2] Zur historischen Entwicklung der Klassenzusammensetzung in Österreich siehe: