Besetzte Betriebe in Argentinien | |
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Zwei Beiträge zu besetzen Betrieben in Argentinienaus dem Buch:
Besetzte Betriebe: Kooperativen — Verstaatlichung — Arbeiterkontrolle?Anmerkungen zum Dilemma der Selbstverwaltung im Kapitalismus.Über die Hälfte der Industriekapazität in Argentinien liegt brach. In dieser dramatischen Krise entschließen sich immer mehr ArbeiterInnen, Betriebe zu besetzen und in Eigenregie weiterzuführen. Die Besetzungen entstehen als Überlebensprojekte in einer defensiven Situation. Aber sie werfen Fragen auf, die weit über das unmittelbare Ziel, den Erhalt der eigenen Arbeitsplätze, hinausgehen. Mehr als zehntausend ArbeiterInnen stellen zur Zeit in Argentinien das Privateigentum praktisch in Frage, und sie müssen sich teilweise handgreiflich gegen die Staatsgewalt durchsetzen. Sie machen die Erfahrung, dass sie in der Lage sind, die Produktion selbst zu organisieren. In einer Fabrik ohne Chefs ist plötzlich nichts mehr selbstverständlich, nichts muss als gegeben hingenommen werden. Es gibt keine Vorarbeiter und Meister mehr; statt dessen wählen die ArbeiterInnen Koordinatoren, die sie jederzeit wieder abberufen können. Sie verändern Arbeitszeiten und Arbeitsorganisation entsprechend ihrer eigenen Bedürfnisse. In Versammlungen diskutieren und entscheiden sie, was und wie produziert wird. Nicht mehr Profit und Gewinnmaximierung sind das Ziel der Produktion, sondern Einkommen für möglichst viele Menschen und die Herstellung nützlicher Dinge unter erträglichen Bedingungen. Das klingt schon fast nach einem kleinen bisschen Kommunismus. Selbstverwaltete Betriebe als Inseln im Meer der kapitalistischen Krise sind jedoch ein widersprüchlicher Versuch, der leicht in der Selbstverwaltung des Mangels steckenbleiben kann. Dass ein paar tausend ArbeiterInnen in verlassenen Fabriken auf eigene Rechnung arbeiten, muss nicht unbedingt weitergehende Folgen haben. Das Kapitalblatt The Economist (9.11.2002) macht sich zwar etwas Sorgen wegen der »Erosion der Eigentumsrechte«, gibt sich aber ansonsten zuversichtlich: »Diese Bewegung ist keine Bedrohung für kapitalistische Unternehmen« — denn die Wiedereröffnung von Firmen unter Arbeiterkontrolle würde nicht nur den Arbeitern, sondern auch den Kapitalgebern helfen, da sie die Maschinerie vor Verfall und Vandalismus bewahre. Diese Einschätzung haben sie sich nicht selbst ausgedacht; sie zitieren damit zwei Vertreter der MNER, der Nationalen Bewegung instandbesetzter Betriebe. In der MNER sind etwa achtzig selbstverwaltete Kooperativen mit insgesamt 8000 Beschäftigten organisiert. Die meisten besetzten Betriebe haben sich dafür entschieden, Kooperativen zu gründen. Damit konnten sie wenigstens drohende Räumungen und Zwangsversteigerungen verhindern. Bedingung für diese Legalisierung ist aber oft, dass die ArbeiterInnen die Schulden des ehemaligen Besitzers übernehmen. Entsprechend groß ist dann der Druck, produktiv und marktgerecht zu produzieren. Noch ist kein selbstverwalteter Betrieb völlig gescheitert, aber viele Kooperativen können nur geringe Löhne auszahlen und sehen sich gezwungen, Abstriche an Arbeitsbedingungen und Sozialleistungen zu machen oder gar ArbeiterInnen zu entlassen. Bei einigen reichen die Löhne kaum für das Überleben. Die BesetzerInnen können das kapitalistische Kommando innerhalb ihrer Betriebe außer Kraft setzen, aber sie haben keine Kontrolle über den Markt. Dort sind sie der Konkurrenz mit anderen Unternehmen ausgesetzt, die sie nur unterbieten können, indem sie die eigene Ausbeutung erhöhen. Für die Tendenz von Kooperativen, unter dem Druck der Verhältnisse den Arbeitsdruck zu erhöhen und kapitalistische Strukturen zu reproduzieren, gibt es in der Geschichte leider zahlreiche Beispiele. Angesichts der Vielzahl und Hartnäckigkeit der Besetzungen sind in der Hauptstadt und in der Provinz Buenos Aires Verordnungen für Enteignungsverfahren erlassen worden, nach denen bereits mehr als dreissig Betriebe »enteignet« und den neu gegründeten Kooperativen überlassen worden sind. Die bisherigen Enteignungsverfahren sind jedoch ein zweischneidiger Erfolg. Das Privateigentum an den Produktionsmitteln, das die ArbeiterInnen mit der Besetzung in Frage gestellt haben, wird dadurch letzten Endes wieder bestätigt. Den BesetzerInnen werden Gebäude und Maschinerie für einen befristeten Zeitraum überlassen (in der Regel für zwei Jahre, in Einzelfällen länger). Währenddessen garantiert der Staat den Eigentümern eine Miete. Nach Ablauf der Frist sollen die ArbeiterInnen ein Vorkaufsrecht für ihren Betrieb bekommen. Der verbleibt derweil unter Aufsicht eines Richters und eines Konkursverwalters, die die Interessen der Gläubiger wahren. Im Gegensatz zu den Eigentümern bekommen die ArbeiterInnen keinerlei Subventionen. Sie sollen mit ihrer Arbeit aus dem wertlosen Schrott, der in den Fabriken rumsteht, wieder Kapital machen. Wenn ihnen das gelingt, dürfen sie es danach kaufen (womit sich die Gläubiger ihre Arbeit wiederaneignen). In dieser Zeit sind sie keine BesitzerInnen, tragen aber das ganze Risiko, und haben keinerlei Rechte oder Lohnansprüche als ArbeiterInnen. Die MNER fordert einen Treuhandfonds und eine Änderung des Konkursgesetzes, um solche Enteignungsverfahren zu institutionalisieren. Sie wird von Kirchenkreisen, von Teilen der staatstragenden Gewerkschaftsbürokratie, von Peronisten und Mitte–Links–Parteien unterstützt. Bei solchen Kräften liegt der Verdacht nahe, dass sie mit ihrer Unterstützung in erster Linie verhindern wollen, dass die Bewegung den Rahmen der Legalität verlässt. Sie legen den ArbeiterInnen der besetzten Betriebe nahe, sich als Kooperativen zu legalisieren und sich auf 'realistische Lösungen' einzulassen. Unter der Drohung mit Räumung und Arbeitsplatzverlust ist der Spielraum für die ArbeiterInnen gering. Trotzdem weigern sich einige wenige besetzte Betriebe, wie u.a. die ArbeiterInnen der Textilfabrik Brukman in Buenos Aires und der Keramikfabrik Zanon in Neuquén, Kooperativen zu bilden und Schulden zu übernehmen. Statt dessen fordern sie 'Verstaatlichung unter Arbeiterkontrolle'. Sie wollen weder zu Unternehmern werden, noch zu Staatsangestellten. Vom Staat verlangen sie, dass er die notwendigen Rahmenbedingungen schafft: er soll Gebäude, Maschinerie und Patente ohne Entschädigung und endgültig enteignen, und ihnen den Betrieb überlassen, damit sie dort in Selbstverwaltung gesellschaftlich nützliche Produkte herstellen können. Brukman könnte beispielsweise Bettwäsche für Krankenhäuser oder Schuluniformen nähen, und mit den Kacheln von Zanon könnten öffentliche Gebäude und Sozialwohnungen ausgestattet werden. Die Arbeiter von Zanon spenden schon jetzt regelmäßig einen Teil ihrer Produktion an Schulen, Volksküchen, Krankenhäuser oder soziale Projekte. Durch die Produktion von Gütern für die Allgemeinheit, die vom Staat abgenommen werden, könnte der Druck der Marktkonkurrenz zumindest verringert werden. Auf den entsprechenden Antrag der Zanon–Arbeiter erfolgt seit Monaten keinerlei Reaktion, und den Antrag der Brukman–Arbeiterinnen hat der Stadtrat von Buenos Aires zurückgewiesen. Sie sollen eine Kooperative bilden, was sie aber mit Hinweis auf die schlechten Erfahrungen, die ihre KollegInnen in anderen besetzten Betrieben mit dieser Lösung gemacht haben, weiterhin ablehnen. Die ArbeiterInnen von Brukman und Zanon versuchen, die besetzten Betriebe zum Ausgangspunkt einer breiteren Bewegung zu machen, gemeinsam mit Organisationen der piqueteros, der organisierten Arbeitslosen, von denen inzwischen einige bei Zanon arbeiten, sowie mit Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes, die gegen die Verschlechterung der Bedingungen kämpfen, und mit oppositionellen Betriebsräten und Gewerkschaftsgruppen aus verschiedenen Bereichen. Im April 2002 haben sie das erste 'Treffen zur Verteidigung der besetzten Fabriken' veranstaltet, bei dem auf der Straße vor Brukman 700 ArbeiterInnen und Arbeitslose zusammenkamen, um Erfahrungen und Vorschläge auszutauschen. Das zweite Treffen dieser Art, bei dem der Aufbau einer gemeinsamen Streikkasse beschlossen wurde, fand dort im September statt. Zeitgleich gab es ein Treffen der MNER in der Metallkooperative Baskonia im Industrievorort La Matanza, das einen völlig anderen Charakter hatte. Hier traten verschiedene Parteienvertreter und Funktionäre als Redner auf, die zwar allesamt nichts anzubieten hatten, dafür aber umsomehr zu Gewaltfreiheit und Gesetzestreue aufriefen. Sogar ein Vertreter der Regierung Duhalde, der Vicechef des Kabinetts Eduardo Amadeo, durfte reden — was bei der allgemeinen Ablehnung von Politikern in Argentinien ein wirklich ungewöhnliches Ereignis ist. Aber trotz aller Differenzen lassen sich die verschiedenen besetzten Betriebe und Kooperativen bislang nicht gegeneinander ausspielen. Manche hatten VertreterInnen auf beiden Treffen, und alle teilen die Ansicht: 'Wenn sie einen von uns angreifen, sind wir alle gemeint'. Das ist nicht nur eine Parole, sondern auch Praxis: im September haben sie gemeinsam die Polizei daran gehindert, der Kooperative Lavalán ihr Rohmaterial abzunehmen. ArbeiterInnen aus legalisierten Kooperativen und aus Betrieben 'unter Arbeiterkontrolle' blockierten gemeinsam die LKWs, die die Wolle abtransportieren sollten. Auch Leute aus den Nachbarschaftsversammlungen und andere UnterstützerInnen beteiligten sich an der stundenlangen und letztlich erfolgreichen Auseinandersetzung. Für die Zukunft der Bewegung ist die Rechtsform, die sich die einzelnen Betriebe geben, sicher weniger entscheidend als die Frage, inwieweit die Ausweitung gelingt. Bleiben die selbstverwalteten Betriebe allein, bleiben sie Inseln, oder werden sie Teil einer breiteren (internationalen...) Bewegung, die in der Lage ist, Privateigentum und Produktionsverhältnisse grundsätzlich in Frage zu stellen? In Argentinien gibt es hoffnungsvolle Anzeichen dafür, dass alte Abgrenzungen innerhalb der Arbeiterklasse zwischen Armen, Arbeitslosen, FabrikarbeiterInnen und der sogenannten Mittelschicht überwunden werden. Eine Arbeiterin von Brukman berichtet: »Wenn wir früher gesehen haben, wie die piqueteros die Straßen blockiert haben, kam uns das wie eine Nachricht aus einem anderen Land vor. Wir waren keine piqueteros, wir hatten ja Arbeit. Jetzt haben wir den Betrieb besetzt und machen selbst Blockaden. Und so geht es auch den Leuten aus der Mittelschicht, die jetzt auf die Straße gehen. Wenn wir demonstrieren, dann hupen sie und applaudieren uns, und vorher hätten sie uns vielleicht auch angeguckt wie Leute aus einer anderen Welt«. Die Zukunft der Bewegungen in Argentinien ist offen. Es wird nicht nur von der Entwicklung dort abhängen, ob die besetzten Betriebe irgendwann als schöne Episode in den Geschichtsbüchern auftauchen, oder als Anfang von etwas Neuem. Aber eines haben die ArbeiterInnen sowieso schon gewonnen: die Erfahrungen, die sie mit ihren Besetzungen machen, kann ihnen niemand mehr nehmen. In Argentinien wird gerade praktisch demonstriert, dass eine Produktion keine Chefs braucht, und eine Bewegung keine Anführer. Von diesen Erfahrungen können wir sicher noch eine Menge lernen. Ein Arbeiter von Zanon fasst die grundlegende Perspektive eindrucksvoll zusammen: »Ich glaube, das Wichtigste ist, dass wir demonstriert haben, dass das hier überhaupt geht. Sie haben uns immer diskriminiert. Sie haben uns immer gesagt, dass ein Arbeiter überhaupt nichts kann ausser arbeiten. Wir haben aber bewiesen, dass wir alles selbst hinkriegen, wenn wir zusammenarbeiten. Das hier hat mit dem Kampf um den Erhalt unserer Arbeitsplätze angefangen, mit dem Kampf für eine würdige Art von Arbeit statt mieser Unterstützungszahlungen. Und das soll für die anderen Arbeiter rüberkommen: dass der Verlust des Arbeitsplatzes und der Kampf darum nicht heissen muss, einen sinnlosen Kampf zu führen. Diese Botschaft ist unabhängig davon, wie die Geschichte bei Zanon ausgeht. Da können die verschiedensten Dinge bei rauskommen: vielleicht kommt der Besitzer wieder, vielleicht verkauft er die Fabrik, da kann noch eine Menge passieren. Aber unser Ziel ist klar: wir wollen die Fabrik in den Dienst der Allgemeinheit stellen, wir wollen so produzieren, dass es das Leben von allen verbessert. Manchmal stelle ich mir vor, wie das wäre, wenn es viele Zanons gäbe, in diesem Land und anderswo. Das wäre eine völlig andere Realität, denn wir würden alle an alle denken, egal ob wir zehn Straßen voneinander entfernt wohnen, zehn Kilometer, oder zehntausend Kilometer...« Zum Produzieren braucht es keine ChefsBesetzte Fabriken als Teil der BewegungRaúl Zibechi Eine neue Welt entsteht auf den Trümmern der alten: ein treffender Satz angesichts Hunderter Fabriken, die nach dem Abzug ihrer Besitzer, die lieber leer stehende Hallen daraus gemacht hätten, von den ArbeiterInnen instand besetzt wurden. »Fabrik geschlossen, Fabrik besetzt« ist seit dem Aufstand vom 20. Dezember 2001 zu einer populären Parole geworden. Nachdem sie vier Jahre Rezession ertragen haben und nachdem inzwischen die Hälfte der aktiven Bevölkerung von Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung betroffen ist, erkennen immer mehr ArbeiterInnen, dass sie endgültig aus der formellen Wirtschaft herausfallen, wenn sie ihren Arbeitsplatz verlieren, und dass für sie dann nur noch der Randbereich von prekären und schlecht bezahlten Gelegenheitsarbeiten oder das Arbeiten auf eigene Rechnung bleibt. Tausende von ArbeiterInnen haben deshalb den Weg gewählt, hartnäckig ihre Arbeitsplätze zu verteidigen, nachdem sich die Unternehmer entschieden hatten, das Schiff der Produktion zu verlassen und auf die Spekulation zu setzen. Mehr als hundert Fabriken sind in Argentinien bereits von den ArbeiterInnen besetzt und zum Laufen gebracht worden. Dazu kommen etwa zweihundert in Brasilien — eine wirkliche Bewegung, die jetzt anfängt, sich mit anderen Gruppen zu koordinieren, die ebenfalls nach alternativen Wegen suchen. Die selbstorganisierte Instandsetzung von Betrieben hat Anfang der 90er Jahre begonnen, als durch die ökonomische Öffnung des Landes viele Betriebe auf der Strecke blieben, die nach vorheriger staatlicher Protektion nun als unrentabel galten und keinen geschützten Markt mehr hatten. Der Anfang ist immer am schwersten. Die etwas mehr als hundert Arbeiterinnen der Textilfabrik Brukman, die im Stadtteil Once in Buenos Aires Herrenanzüge hergestellt haben, waren verblüfft, als ihr Chef Ende Dezember 2001 verschwand, während das Land in Aufruhr war. Seit Monaten hatte er ihnen nur einen kleinen Teil des Lohns bezahlt, kaum noch einen Dollar täglich und später nur noch zwei pro Woche. Die Lohnrückstände zogen sich bereits seit fünf Jahren hin. Als die Tage vergingen, ohne dass irgendein Geschäftsführer aufgetaucht wäre, hielten ein paar Arbeiterinnen es für angebracht, in der Fabrik zu bleiben — Arbeiterinnen wie Celia, die vorher nicht die geringste gewerkschaftliche Erfahrung hatte und die nun auf irgendein Wunder wartete, das es ihnen ermöglichen würde, weiter zu arbeiten und Lohn zu bekommen, auch wenn es nur ein Bruchteil des vorherigen wäre. In nicht wenigen Fällen haben die Chefs das Verlassen der Betriebe von langer Hand geplant. Sie schulden dem Staat und ihren Zulieferern Millionen und konnten auf Unterstützung durch die Gewerkschaftsmafia in der staatstragenden CGT zählen. Die Karten werden neu gemischtIn den meisten Fällen kam die Entscheidung, die Produktion wieder aufzunehmen, erst nach einer gewissen Zeit zustande. Die Entscheidung fiel nie automatisch, sondern immer erst nach vielen Zweifeln, Unsicherheiten und Ängsten. Manche haben mehr als ein Jahr gebraucht, um die Fabrik wieder ans Laufen zu bringen. Einige können auf das Material zurückgreifen, das die Unternehmer zurückgelassen haben, aber andere müssen erst mal Rohstoffe besorgen; in manchen Fällen gelingt ihnen das mit Spenden und mit der Unterstützung der Bevölkerung. Kredite bekommen sie fast nie, zumindest nicht in der ersten Zeit. Abgesehen von einigen Gemeinsamkeiten, wie den rechtlichen Auseinandersetzungen, sind die Erfahrungen sehr unterschiedlich. Sie reichen von einem Bergwerk im Süden, Yacimientos Carboníferos Río Turbio mit mehr als tausend Beschäftigten, das nach drei Jahren Kampf wieder verstaatlicht wurde, bis zu der kleinen, aber modernen Druckerei Chilavert in Buenos Aires. Dort haben die Arbeiter verhindert, dass das Gebäude leergeräumt wurde, haben den Betrieb besetzt und mit dem Druck von Flugblättern und Plakaten für soziale Organisationen die Arbeit aufgenommen. Solidarität ist der zentrale Ausgangspunkt, besonders am Anfang, in der so genannten »Durchhaltephase« — ein Wort, das den Willen zum Kampf und zum Widerstand gegen den Druck von Polizei und Unternehmern ausdrückt. Das zeigt sich an einem Beispiel im Norden von Buenos Aires. Im Oktober 2001 wurden die Brotfabrik Panificadora Cinco geschlossen; die achtzig ArbeiterInnen wurden ohne Entschädigung entlassen. Im April diesen Jahres suchte die Nachbarschaftsversammlung des Stadtteils, die nach den Tagen im Dezember entstanden war, nach einer Möglichkeit, billiger an Brot zu kommen, und tat sich mit einer Gruppe von zwanzig Entlassenen der Panificadora Cinco zusammen. NachbarInnen und ehemalige ArbeiterInnen besetzten gemeinsam den Betrieb. 50 Tage lang hielten sie den Räumungsversuchen stand. Die Solidarität aus dem Stadtteil in dieser Zeit war beeindruckend: Mitglieder der Versammlung, piqueteros und linke AktivistInnen bauten vor dem Fabriktor ein Zelt auf, um Wache zu halten, sie organisierten drei Festivals, eine Demonstration durch den Stadtteil, ein escrache gegen den Unternehmer, eine Kundgebung zum 1. Mai, Veranstaltungen, Diskussionen und kulturelle Aktivitäten. Sie entschieden sich dafür, eine Kooperative zu bilden, und inzwischen haben sie durchgesetzt, dass das Provinzparlament das Gebäude, die Maschinen und den Markennamen enteignet und an die Kooperative übergeben hat. Jetzt produzieren sie billiges Brot, das sie unterhalb des Marktpreises an Krankenhäuser, Volksküchen und Leute aus dem Stadtteil verkaufen. Staat oder KooperativenDurch die Bewegung zieht sich von Anfang an eine grundsätzliche Diskussion. Welchen rechtlichen Status sollen sich die instand besetzten Fabriken geben? Es gibt zwei Vorschläge: Staatseigentum unter Arbeiterkontrolle oder die Bildung selbstverwalteter Kooperativen. Der erste Vorschlag kommt von der Linken, vor allem von den trotzkistischen Parteien Partido Obrero (Arbeiterpartei) und Movimiento Socialista de los Trabajadores (Sozialistische Arbeiterbewegung), er wird aber auch von Teilen der Kommunistischen Partei und der Sozialistischen Parteien geteilt. Die Idee gehört zur Vorstellungswelt der internationalen kommunistischen und revolutionären Bewegung und besteht in der Verstaatlichung des Betriebes, der dann später vom Staat subventioniert wird, wobei die ArbeiterInnen zu kommunalen oder staatlichen Angestellten werden, welche die Geschäftsleitung kontrollieren. Im Gegensatz dazu bedeutet der Kooperativenvorschlag, dass die Führungsaufgaben nicht an Instanzen außerhalb des Arbeiterkollektivs delegiert werden, sondern dass dieses selbst alle Verantwortlichkeiten und Risiken übernimmt, bis hin zur Vermarktung der Produkte. Ein Merkmal der selbstverwalteten Kooperativen besteht darin, dass sie sich in vielen Fällen vornehmen, die klassisch fordistische Arbeitsorganisation zu verändern, die Vorarbeiter absetzen und manchmal auch die Rolle der Vorarbeiter an sich in Frage stellen. Bisher hat sich die Mehrheit dafür entschieden, Kooperativen zu bilden. 2001 wurde das Movimiento Nacional de Empresas Recuperadas (MNER, Nationale Bewegung der instand besetzten Betriebe) gegründet, in der etwas über sechzig selbstverwaltete Betriebe zusammenkommen. Ihr Vorsitzender Jorge Abellí meint, »dass es nicht gerade angesagt erscheint, die Betriebe, die wir besetzt und mit großer Anstrengung ans Laufen gebracht haben, diesem mafiosen Staat zu übergeben«. Abellí gehört zu einer Geflügel–Kooperative in Rosario, die 1998 geschlossen wurde, wobei die hundert Arbeiter auf der Straße landeten. Seit 1999 produzieren sie für den kleinen Binnenmarkt. Bei den instand besetzten Betrieben sind alle Branchen der Produktion vertreten: Die größten sind die Metall– und Stahlbetriebe, es gibt Zeitungen und Druckereien, aber die meisten gehören zur Lebensmittelbranche. Im Durchschnitt haben sie siebzig Beschäftigte und sind über das ganze Land verteilt. »Es ist was anderes, einen kleinen Betrieb mit 15 ArbeiterInnen zu betreiben oder die größte Traktorenfabrik des Landes«, meint Abellí. Er bezieht sich auf einen beispielhaften Betrieb: auf Zanello in der Provinz Córdoba, eine große Traktorenfabrik mit 400 Arbeitern, die einzige Traktorenproduktion in Argentinien. Am 28. Dezember 2001 wurde der Betrieb per Gerichtsurteil den Beschäftigten übergeben. Im Februar brachten sie ein neues Modell auf den Markt, das die Arbeiter gemeinsam mit den Technikern auf der Grundlage eines findigen Abkommens entwickelt hatten. Sie schmiedeten eine »strategische Allianz«, eine Aktiengesellschaft, die zu gleichen Teilen den zur Zeit 280 Arbeitern der Kooperative, dem technischen und Leitungspersonal, das auf diese Weise ein höheres Einkommen erzielen kann als in der Arbeiterkooperative, sowie den Konzessionären gehört, die das Kapital zur Wiederaufnahme der Produktion eingebracht haben. Im März konnten sie zwei Traktoren montieren und verkaufen, und zur Zeit produzieren und verkaufen sie trotz der Krise schon jeden Tag einen, zu einem Preis, der dreißig Prozent unter dem der Traktoren von John Deere liegt. Dies ist ein anderer ungewöhnlicher Weg, aber wenn es um Großbetriebe mit fortgeschrittener Technologie geht, die große Investitionen erfordern, gibt es anscheinend keine einfachen Lösungen. Abgesehen von dem fehlenden Kapital für Material, stellt die Verwaltung ein weiteres großes Problem dar. Wenn Betriebe geschlossen werden, sind die Verwaltungsangestellten die ersten, die sich aus dem Staub machen. »Unsere Verwaltung ist prekär, aber transparent und demokratisch«, sagt Abellí. Viele selbstverwaltete Betriebe haben sich dafür entschieden, jeden Freitag Lohn auszuzahlen, und machen gleichzeitig einen Aushang mit den Einnahmen und Ausgaben, damit jedes Kooperativenmitglied über die Finanzen Bescheid weiß. Die MNER hat mit der Vereinigung der Klein– und Mittelbetriebe und mit der Technischen Universität von Buenos Aires ein Abkommen zur Unterstützung der Ausbildung von Verwaltungs– und Führungspersonal geschlossen. Solidarische ÖkonomieBei der Vermarktung gehen die Betriebe davon aus, dass der Konsument der beste Verbündete ist. Deshalb appellieren sie an die Nachbarschaftsversammlungen und andere Teile der Bewegung, auf einen »bewussten Konsum« umzustellen. Sie stützen sich aber auch auf die Kommunen und versuchen, Krankenhäuser und Schulen zu beliefern. Die Beispiele selbstverwalteter Produktion gehen über die Fabriktore hinaus und breiten sich tendenziell in der ganzen Basisbewegung aus, wie z.B. bei der Nachbarschaftsversammlung im Stadtteil Parque Avellaneda, einem relativ zentralen Stadtteil von Buenos Aires. Anfang Juni besetzten die organisierten NachbarInnen die leer stehende Kneipe Alameda, renovierten sie und richteten mit Unterstützung anderer asambleas eine Volksküche ein, zu der inzwischen mehr als 120 Leute kommen. Sie backen selbst Brot, kochen und haben jetzt eine Kooperative gebildet, die Brot produziert und an Volksküchen und BewohnerInnen des Stadtteils verkauft und die gerade anfängt, Reinigungsartikel zu niedrigen Preisen zu produzieren. In der instand besetzten Kneipe gibt es zwanzig Arbeitsgruppen, von Nachhilfeunterricht für Kinder bis zu ökologischem Gartenbau, Tanz, Keramik, Yoga, alternativen Medien, Selbstbehauptung und Tischlerei. Außerdem haben sich die NachbarInnen in acht Kommissionen organisiert, die sämtliche Aufgaben in diesem Kultur– und Produktionszentrum übernehmen. Darüber hinaus ist ein Versammlungsraum geschaffen worden, ein Ort, an dem etwa dreißig asambleas aus der Hauptstadt und der Provinz zusammenkommen, die vor ähnlichen Fragen stehen. Die Nachbarschaftsversammlungen, die mit gemeinschaftlichen Einkäufen und Erfahrungen von Tauschhandel angefangen haben, begeben sich so auf das Gebiet der Lebensmittelproduktion, andere trauen sich an den Versuch der Medikamentenproduktion heran, und wieder andere begeben sich an den Eigenbau von Wohnungen. Auf Initiative des Zentrums haben in der ehemaligen Kneipe im Juli und August zwei Treffen zur Solidarischen Ökonomie stattgefunden. Es waren breite Treffen, mit Beteiligung der VertreterInnen von asambleas, piqueteros, selbstverwalteten Fabriken und Gruppen von StudentInnen. Insgesamt vierzig Delegationen beschlossen, ein Unterstützungsnetz für Leute aus dem Stadtteil aufzubauen, die von Zwangsräumung bedroht sind. Mit ihren Beschlüssen, die in der Zeitung Alameda publiziert wurden, nehmen sie sich vor, »sich gemeinsam gegen die Angriffe von oben zu verteidigen und durch die Besetzung von verlassenen Fabriken, brachliegenden Grundstücken und leer stehenden Häusern Wege zu Arbeit und Würde zu finden«. Sie stellen fest, »dass der Wind sich allmählich zugunsten der Kleinen dreht«, und rufen dazu auf, »die Kräfte zu bündeln, damit die Mächtigen uns nicht spalten«. Ein interessanter Punkt sind die Verbindungen zwischen den Initiativen. Die asambleas produzieren in derselben Weise wie schon vorher die piqueteros von Solano im Stadtteil Quilmes; beide tun sich mit den selbstverwalteten Fabriken zusammen in der Hoffnung, Produkte tauschen zu können. Mit vereinten Kräften lernen sie aus den Erfolgen und Misserfolgen jedes Einzelnen; sie sind sich einig in der Solidarität mit der Keramikfabrik Zanón, im weit entfernten Süden, die eine von den Mapuche entworfene Kachel auf den Markt gebracht haben usw. Das Netz wird von Tag zu Tag dichter, es ist ein Kommen und Gehen, es verflechtet und verknotet sich, man trennt und vereint sich wieder. Die Welt verändernBeispielhaft ist die Geschichte der Fabrik Industrias Metalúrgicas y Plásticas de Argentina (IMPA), die mitten in Almagro liegt, einem normalen Wohnviertel von Buenos Aires. Sie wurde 1918 von Deutschen als Kupfergießerei gegründet. 1935 war sie das erste Aluminium produzierende Unternehmen, und am Ende des Zweiten Weltkriegs wurde sie unter der Regierung von Juan Domingo Perón verstaatlicht. Bei IMPA wurden die einzigen Düsenflugzeuge Lateinamerikas hergestellt und die Fahrräder, mit denen die argentinischen Kinder spielten. 1961 machte die Regierung einige Betriebsteile zu und beschloss die Umwandlung in eine Kooperative, die aber von der Geschäftsleitung immer wie ein Privatunternehmen geführt wurde. Mitte der 90er Jahre begann der Aluminiummonopolist Aluar einen unlauteren Konkurrenzkampf gegen IMPA. Aluar stellt die Vorprodukte für Alufolie her, die in den letzten Jahren das Hauptprodukt von IMPA war. Ende 1997 waren von den mehr als 500 Arbeitern, die in diesem Betrieb gearbeitet hatten, nur noch eine Handvoll übrig. Angesichts der unmittelbar bevorstehenden Schließung — der Strom war bereits wegen unbezahlter Rechnungen abgeschaltet — besetzten sie mit Unterstützung einiger Gewerkschafter den Betrieb, richteten mit Hilfe von BewohnerInnen und Händlern aus dem Stadtteil eine Volksküche ein, schmissen die alte Geschäftsleitung raus und wählten einen neuen Verwaltungsrat. Sie beschlossen, die Produktion wieder aufzunehmen. Sie waren gerade noch 15 Arbeiter (heute sind sie 136), beschafften sich Rohstoffe, die sie wiederverwerten konnten, und heute sind sie ein wichtiger Bezugspunkt für die ganze Bewegung. Es gab zwei einschneidende Entscheidungen: Aluminiumschrott zu kaufen, um Kosten zu senken und der Konkurrenz von Aluar zu entgehen, trotz der Skepsis sämtlicher Beschäftigten, die meinten, dass sie nicht qualifiziert genug wären, um mit wiederverwerteten Rohstoffen zu produzieren, was ihnen auch die Ingenieure sagten. Die zweite Entscheidung betraf die älteren Beschäftigten. »Wir hatten immer Arbeit für 80 bis 90 Personen, aber wir beschäftigen 136, weil hier viele Alte sind, denen sie die Rente geklaut haben, und die helfen hier mit, fegen, machen sauber, machen nach ihren Kräften mit. Das war ein Beschluss der Versammlung, die der Meinung war, dass es würdiger wäre, dass sie in der Fabrik bleiben, in der sie 30 oder 40 Jahre verbracht haben, als dass man ihnen eine Unterstützung zahlt und sie zu Hause bleiben«, sagt der Vorsitzende der Kooperative, Oracio Campos, ein Mann von 65 Jahren mit indigenen Zügen. Er sagt das mit ergreifender Aufrichtigkeit, einfach so, ohne zu merken, dass er damit jegliche Wirtschaftstheorie und sogar das Fortbestehen des Projektes in Frage stellt, um auf einer Menschlichkeit zu bestehen, die sie »Klassensolidarität« nennen. Sie halten Informationsversammlungen ab, haben die Vorarbeiter durch Abteilungs– oder Werkstattkoordinatoren ersetzt, die für die Arbeitsverteilung zuständig sind, und sie haben einige Gruppen gebildet, um die Arbeit zu demokratisieren. Aber sie sind nicht naiv: »In einigen Abteilungen gibt es hierarchische Strukturen, denn der Markt erfordert schnelle Entscheidungen, da bleibt für nichts Zeit«, erklärt Eduardo Murúa, ein ehemaliger Gewerkschafter von 41 Jahren, der die Funktion eines Geschäftsführers hat. IMPA produziert heute vor allem Einweggeschirr, Zahnpastatuben, Keksverpackungen und Tabletts für Catering. In Bezug auf die Arbeitsorganisation kommt es in den einzelnen Betrieben zu unglaublichen Veränderungen. Eine Arbeiterin von Brukman erklärt mit Nachdruck: »Jetzt herrscht größere Freiheit bei der Arbeit, wir arbeiten kollegialer zusammen, vorher waren wir nach Stockwerken getrennt, jetzt sind wir alle zusammen und organisieren uns selbst.« Die Arbeiterinnen haben entschieden, die Zuordnung der Maschinen zu verändern, und haben damit das alte Kontrollsystem über den Haufen geworfen. Abellí ist damit einverstanden, dass die »Laster des Kapitalismus« bekämpft werden müssen, aber er schlägt den unvermeidlichen Bogen zur Realität: »Die Produktion kann kein ständiger Diskussionsprozess sein.« Die wichtigste Initiative von IMPA, die sie von anderen unterscheidet und auf die Dario Fo neidisch wäre, ist die Einrichtung der Stadt–Kultur–Fabrik (La Fábrica Ciudad Cultural). Seit etwa vier Jahren betreiben sie ein selbstverwaltetes Kulturzentrum, das von einer Gruppe von vierzig Jugendlichen geleitet wird. 35 Kurse und Workshops finden dort statt, sowie Feste, Kino– und Theatervorstellungen und was es sonst noch an Ideen gibt. Tatsächlich begann das Projekt, als sie angesichts der mehr als zwei Millionen US–Dollar Schulden, die sie bei der Nationalbank haben und die zur Zwangsversteigerung führen könnten, die Solidarität der NachbarInnen und der sozialen Bewegungen brauchten. »Danach haben wir begriffen, dass das eine Möglichkeit war, der Gesellschaft für die enorme Solidarität, die wir bekommen haben, etwas zurückzugeben«, sagt Murúa. Campos lacht und erinnert an das Auftauchen der ersten Punks, mit ihren Punkerfrisuren und Ringen, von denen die Arbeiter nichts wissen wollten. Heute essen sie alle zusammen in der Kantine, die sie nach Azucena Villaflor de Devicenti benannt haben, der verschwundenen Gründerin der Mütter von der Plaza de Mayo, die auch Metallarbeiterin gewesen war. Wer gegen Abend in die Fabrik kommt, wenn die Produktion langsam eingestellt wird und die Jugendlichen eintreffen, kommt aus einer lauten Werkshalle, wo verdreckte Arbeiter Maschinen bedienen, die Aluminiumtuben ausspucken, in anliegende, durch einen kleinen Gang abgetrennte Räume, wo sich eine Gruppe von Studenten in völliger Stille zum Aktzeichnen um ein Modell schart. Sie geben die Zeitschrift IMPActo heraus und können auf einiges stolz sein. 2001 hat hier das Internationale Filmfestival von Buenos Aires stattgefunden, und 1998 kam Orlando Borrego, ein Genosse von Che Guevara in der Sierra Maestra, um die erste Veranstaltungsreihe zu eröffnen. Die Fabrik funktioniert weiter, und sie rühmen sich damit, dass es noch nie irgendeinen Zwischenfall gegeben hat zwischen Leuten von der Universität, Anarchopunks, Jugendlichen, die nackt Modell stehen, Homosexuellen und alten Arbeitern und Arbeiterinnen, die nur zwei oder drei Jahre auf der Schule waren. Das Portugiesische Krankenhaus ist vor sechs Jahren wegen Konkurs geschlossen worden. Vor zwei Wochen haben es zwei Nachbarschaftsversammlungen aus dem Stadtteil Flores in Buenos Aires besetzt. Die Überraschung war groß: In den vier Stockwerken mit Labors, Behandlungsräumen und Bettensälen waren noch fast alle Apparate intakt, sogar die der Intensivstation. Innerhalb weniger Tage kamen die Leute von Dutzenden asambleas und mehreren instand besetzten Fabriken zum ehemaligen Krankenhaus. Es entstand die Idee, ein Gesundheitszentrum für die 8 000 ArbeiterInnen der sechzig selbstverwalteten Fabriken einzurichten sowie ein Zentrum für Prävention für den Stadtteil. Aus den Überschüssen der Fabriken soll ein Fonds für das Startkapital gebildet werden. Mehrere ehemalige Angestellte der Klinik haben ihre Unterstützung für das Projekt erklärt. Die Brukman–Arbeiterinnen haben zugesagt, Bettwäsche herzustellen, und die Arbeiter von IMPA, Chilavert und einem halben Dutzend instand besetzter Fabriken stellen sich gemeinsam mit Leuten aus dem Stadtteil für die Reinigungsarbeiten zur Verfügung. Laut der Zeitung Página/12 haben die NachbarInnen den bezeichnenden Namen Que se vayan todos für das neue Zentrum ins Auge gefasst. Selbstverwaltung: Ein Projekt fürs LebenIn Brasilien wurde 1991 die erste Erfahrung mit dem Instand besetzen von bankrotten Betrieben gemacht. Die Schuhfabrik Makerli hatte den Betrieb geschlossen und 482 ArbeiterInnen auf die Straße gesetzt. 1994 wurde die Nationale Allianz von ArbeiterInnen in selbstverwalteten Betrieben (ANTEAG) gegründet, um die verschiedenen Unternehmungen, die mitten in der Krise der Industrie entstanden, zu koordinieren. Sie hat in sechs Provinzen Büros, welche die Selbstverwaltungsprojekte begleiten und versuchen, sie mit Initiativen von NGOs und mit den Provinz– und Stadtverwaltungen zusammenzubringen. Sie arbeitet mit 160 Selbstverwaltungsprojekten zusammen, zu denen 30 000 ArbeiterInnen gehören. Selbstverwaltete Betriebe gibt es in allen Branchen, vom Erzabbau über Textil bis hin zu Tourismus und Hotelgewerbe. Für die ANTEAG ist die Selbstverwaltung ein Organisationsmodell, welches das kollektive Eigentum an den Produktionsmitteln mit der demokratischen Beteiligung an der Geschäftsführung verbindet. Aber sie bedeutet auch Autonomie, weil die Entscheidungen und die Kontrolle der Betriebe, wie auch der Spezialisten, die sie beauftragen, bei den Mitgliedern liegen. Für die ArbeiterInnen der selbstverwalteten Betriebe besteht eine der größten Schwierigkeiten darin, »wieder zu denken«. Die ANTEAG stellt fest, »dass die paternalistische Kultur dazu geführt hat, dass die ArbeiterInnen erwarten, dass andere alles für sie machen«. Einige erwarten alles vom Chef, andere von der Gewerkschaft oder von der Regierung. Aber es bestehen auch Ängste, Verantwortung zu übernehmen und Risiken einzugehen, sowie Probleme beim Versuch der demokratischen und transparenten Geschäftsführung, und vor allem die Schwierigkeiten, zu verstehen, dass das wichtigste Ziel die Festigung des Kollektivs ist, von dem der Fortbestand des Betriebes abhängt. Die Selbstverwaltung ist auch ein Lebensprojekt, das für breite Schichten von ArbeiterInnen zum gesellschaftlichen Bezugspunkt werden kann, als Teil der Alternativen zum System, die von der sozialen Basis aus entstehen. Für einen unvermeidlichen Schritt hält die ANTEAG »die Neuerziehung des Arbeiters, damit er in der Arbeit einen neuen Sinn findet, an seine Fähigkeiten glaubt und die Initiative im Prozess der Selbstverwaltung ergreifen kann, um so mit der Geschichte der Unterwerfung zu brechen«. Aus dem Spanischen von Alix Arnold Spanisches Original: www.rebelion.org/argentina/zibechi190902.htm |
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