Thekla 6 - April 1985 - S. 119-129 [t06eisen.htm]


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Tradition und Erneuerung in den FIAT-Eisenhütten

Romano Alquati, in: Democrazia diretta, September-Oktober 1961

Vorbemerkung von Alquati für den Wiederabdruck des Artikels in: Romano Alquati, Sulla Fiat e altri scritti, Mailand Feltrinelli 1974 (Siehe auch seine Einführung zur Neuherausgabe der Texte.)

Ich nehme diesen kleinen Artikel hinzu, weil er die inneren Abläufe jener Jahre vervollständigt. »Direkte Demokratie« war eine etwas ambivalente kleine Zeitschrift aus Genua; sie gab mir damals Gelegenheit, den endgültigen Bruch zwischen den Quaderni Rossi und den Turiner Institutionen der Arbeiterbewegung bekanntzugeben.

Dieser Bruch fand gerade in einem Moment statt, wo sich im Innern unserer Gruppe eine recht gute Übereinstimmung über die Ziele herausgebildet hatte, und er war eine Art Zufall. Verantwortlich dafür war vor allem G. Muraro, der zu dieser Zeit als einziger verantwortlicher Bezirkssekretär in Turin war. Er unterstützte zunächst unsere Initiative, um sich dann, als die anderen zurückkehrten, davon zu distanzieren. Der Bruch hätte sich auch durch eine Selbstkritik vermeiden lassen; aber nach dem Scheitern des Frühjahr-Streiks hatte die Turiner CGIL harte Kritik von den Verbandsspitzen und von der KPI ertragen müssen und verlangte nun einen taktischen Rückzug, auf den sich aber unsere Gruppe nicht einlassen wollte — dies um so weniger, als die Situation der Klasse weiter nach vorn trieb. Der Bruch wäre also so oder so gekommen, es sei denn, wir hätten die Linie unserer Gruppe taktisch verändert.

In der Folge wurden die beteiligten kommunistischen [d.h. die Partei-Mitglieder, d.Ü.] Genossen aus der Partei ausgeschlossen. Als Reaktion steigerte die Gruppe ihren Dissens gegenüber den historischen Organisationen der Arbeiterbewegung. Somit begann also notwendigerweise eine politische Arbeit von außen. Panzieri fand sich von einem Tag auf den anderen von den offiziellen Organisationen abgeschnitten und paßte sich zunächst (für gut eineinhalb Jahre) dieser neuen Situation an; später wird er den endgültigen Zerfall der Gruppe zum Anlaß nehmen, in die Arbeiterbewegung zurückzukehren. Und übrigens haben sich damals sowohl die KPI als auch der neugegründete PSIUP geweigert, ihn aufzunehmen!

Dieser Artikel ist eher auf die Basis zugeschnitten, und ich halte ihn für eine meiner gelungeneren Veröffentlichungen, denn er hat eine eigene Linearität, Kohärenz und Entsprechung zur Intervention; die wahrscheinlich gelungensten Sachen dieser Art sind einige Flugblätter und Massenzeitungen für die Fabrik.

 

Die Situation in den FIAT-Eisenhütten

In den »FIAT-Eisenhütten« konzentriert sich fast die gesamte Eisenherstellung des großen Turiner Konzerns. Sie produzieren also auch für andere FIAT-Betriebe, für die Conegliano, SAFIM und andere Werke im ganzen Land.

Das Werk selber steht mitten in Turin und wird von städtischen Straßen in drei Hauptgruppen von Abteilungen zerschnitten. In alles anderer als rationaler Weise sind hier folgende Arbeitsprozesse versammelt: die eigentliche Eisenherstellung (Schmelzöfen und verschiedene Stahlgießereien), Ziehereien (Heiß- und Kaltwalzen); Nacharbeiten und Auftragsarbeiten (Federn, Blattfedern usw.). Unter diesen heterogenen und komplexen Produktionen ist die Stahlherstellung allerdings vorherrschend. Seit 1950, vor allem aber seit 1955 sind einzelne Innovationen, neue Abteilungen usw. eingeführt worden, so daß heute in der Fabrik die verschiedensten technologischen Ebenen nebeneinander existieren.

Diese Veränderungen, die Versetzung von kleinen Arbeitergruppen, die mit speziellen Arbeiten betraut waren, welche sehr hohe Qualifikationen verlangten (wie z.B. die Modell-Werkstatt, die noch immer im Ausland ist), die Einführung der automatischen, kontinuierlichen Walzstraßen usw. haben es ermöglicht, daß gut 60 Prozent der Arbeitskräfte erst in den letzten Jahren eingestellt worden sind. So sind Arbeiter in die Fabrik gekommen, die man zum Teil vom Land oder aus den kleinen und mittleren Betrieben in Turin rekrutiert hatte: das Ziel ist dabei nicht nur, die alte Belegschaft mit ihrer »beruflichen« Qualifikation zu ersetzen — die in der Nachkriegszeit die stärkste und am meisten politisierte Basis der Turiner Arbeiterorganisationen war —, das Ziel besteht auch darin, eine genauso erzwungene, wie falsche Dequalifikation durchzusetzen.

In Wirklichkeit haben die Innovationen dazu geführt, daß die alten und traditionellen Arbeiterberufe durch neue Arten von Qualifikation ersetzt werden, die sich die Arbeiter selbst entwickeln und selbst beibringen müssen; und nicht nur das: aufgrund der Unfähigkeit von vielen Managern (dirigenti) und der immer stärker parasitären Merkmale der technischen Direktion von FIAT, werden von den Arbeitern immer größere Verantwortung bei exekutiven und bei technischen Entscheidungen verlangt.

Nun ist das »klassische« Ziel der kapitalistischen »Rationalisierung« — also der Verstärkung des kapitalistischen Kommandos über die Arbeit durch die immer weiter vorangetriebene Zersetzung der Aufgaben, um das Klassenbewußtsein der Arbeiter politisch zu zerbrechen, so daß sie definitiv von den politischen Entscheidungen der Betriebe ausgeschlossen werden (von der politischen Macht, die sich auf die Fabrik gründet) — dieses Ziel also ist in den Eisenhütten wie in allen anderen Werken keineswegs erreicht. Das stetig wachsende Bewußtsein von Arbeitern, die als Maschinenpersonal oder als nicht spezialisierte Handlanger eingestellt worden sind, über einen hohen qualifizierten Inhalt und über hohe technische Verantwortung, sowie eine brutale, intensive Ausbeutung lassen sehr bald (durch die wiederentstandene interne Zirkulation von Ideen, die Wiederkehr der Diskussion und die Wiederaufnahme von lokalen Kämpfen) ein neues Klassenbewußtsein entstehen, dessen politische Tragweite die Arbeiter selbst wahrzunehmen beginnen.

Heute arbeiten fast 6000 Arbeiter in den Eisenhütten, 43 Prozent von ihnen stimmen für die FIOM (die Hochburg der Einheitsgewerkschaft bei der FIAT). Auch einige organisatorische Strukturen haben die Eliminierung der »Roten« überlebt, die 1950 im Zuge der ersten technologischen Innovation vorgenommen wurde. Die Mitglieder der FIOM gingen von 4000 auf 450 zurück, die der KPI von 3500 auf etwa 400. Es ist also, zumindest auf dem Papier, eine gewisse Stärke übriggeblieben. Wenn man aber die Politik der KPI in den Einsenhütten in den letzten 17-18 Jahren (denn das geht bereits seit den Zeiten der Klandestinität so) analysieren wollte in Bezug auf die Kräfte, über die sie verfügte, so liegt die Schlußfolgerung nahe, daß sie niemals, obwohl sie in Turin die Kontrolle ausübte und auch heute noch die FIOM »kontrolliert«, auf die Unternehmer-Entscheidungen Einfluß genommen hat, und daß die ganze berühmte Stärke der Arbeiter der Eisenhütten in der Nachkriegszeit (mit all den Arbeiterorganismen zur Kontrolle usw.) nichts anderes war als eine revolutionäre, organisierte Kraft, die der Apparat als Manövrier- und Propagandamasse benutzte. Auch unter den Basiskadern sagen viele Genossen, daß man in der unmittelbaren Nachkriegszeit, als die Arbeiter in den Eisenhütten formell alles zu bestimmen hatten, Jahre mit »Spielen« vergeudet habe, ohne real etwas dafür zu tun, daß eine authentische Arbeiterkontrolle zur Realität werde, die dann auch hätte aufrechterhalten werden können. Und viele schließen daraus, daß diese berühmte »Organisation«, an die man sich heute als ein Symbol und Banner erinnert, in Realität eine Schwäche und keine Kraft war — und daß genau deswegen die FIAT-Direktion sie nicht vollständig vernichtet hat, wie sie es in anderen Werken getan hat.

Sicherlich ist dieses harte Urteil einseitig; offensichtlich hat der Fortbestand von Abteilungen und Arbeitsabläufen, die technologisch rückständig und traditionell waren, hier und da die Eliminierung der alten Arbeiter eingeschränkt; und das entsprechende »rote Klima« hat die Neueingestellten angesteckt und damit mehr als anderswo die Bedingungen für einen schrittweisen Austausch erzeugt — gerade als Einbeziehung in die traditionelle Linie der KPI. Noch heute wird der kommunistische Fabrikkader, der ein gewisses Gewicht und Einfluß auf die spontanen Initiativen hat und diese oft kanalisieren kann, oft von anderen Kommunisten kontrolliert, die sich im Nachkriegsklima in den Eisenhütten entwickelt haben und an den konservativsten Flügel der KPI gebunden sind. Diese stellen eine regelrechte Machtgruppe dar.

Die neuen Entwicklungen des Klassenkampfs

In den letzten Jahren beginnt sich aber auch in den Eisenhütten etwas Neues abzuzeichnen. Viele wissen, daß es das einzige FIAT-Werk ist, in dem ein von der FIOM-Spitze extern beschlossener Streik noch eine gewisse Zustimmung erfährt: die »treuen« Genossen würden ihn unterstützen. Andererseits weiß man aber auch, daß mit Einverständnis der nationalen Leitung die FIAT-Eisenhütten aus dem letzten Tarifkampf der Stahlarbeiter ausgeschlossen blieben ... Viel weniger bekannt ist — das ergibt sich ja aus der Natur solcher Bewegungen —, daß es im Verlauf von 1960 einen spontanen Streik in den Eisenhütten gegeben hat und zwar in der Abteilung »Walzendreherei«. Es handelt sich dabei um eine Abteilung zur Instandhaltung, Wartung und Reparatur der Walzen für die Walzstraßen — also um höchst spezialisierte Arbeitskraft mit hohem beruflichem Bewußtsein. Sowohl bei den [Partei-] Mitgliedern als auch bei den Sympathisanten und den Nicht-Mitgliedern überwiegen die Jungen. Wie immer bei »spontanen« Streiks war die Arbeitsunterbrechung in der Walzendreherei durch eine lange und geduldige Überzeugungsarbeit organisiert und vorbereitet worden, die zumeist von jungen (zwischen 25 und 30 Jahren) Fabrik-Kommunisten durchgeführt worden war. Das war aber keine Initiative der FGCI oder der FIOM, diese Genossen haben aus eigener Initiative gehandelt und die Aktion unter dem Argwohn der alten Genossen und eines Teils des FIOM-Führungskaders vorangetrieben. Die konkreten Forderungen waren dabei nur ein Vorwand für eine wichtigere Eroberung, die aus dem Bewußtsein entstand, daß man die Probleme der Arbeit bei FIAT real nur lösen kann, wenn man sich vereinigt, diskutiert und gemeinsam den Kampf vorbereitet. Das Bewußtsein, das man gegenüber den Arbeiterorganisationen vertrat: nur wenn die Aktion aus dem Innern der Fabrik vorbereitet und durchgeführt wird und wenn sie sich auf Probleme bezieht, die die Arbeiter selber empfinden und wenn sie sich in organisatorischen Formen ausdrückt, die die Arbeiter entwickelt haben — von der Abteilung hin zu einer allgemeinen organisatorischen Forderung, die von unten ausgeht — nur so ist eine authentische Wiederaufnahme der Klassenbewegung bei FIAT möglich.

Diese Arbeiter sehen die grundlegende Rolle der FIOM als »Einheitsgewerkschaft der Klasse« darin, daß sie mit allen ihren Mitteln eine solche Aktion fördert, unterstützt und koordiniert, als Aktion einer Bewegung, die sich dem kapitalistischen Management widersetzt und der Art von produktiver Organisation, welche dieses in der Fabrik durchsetzt — mit all dem, was daraus auf allgemeinerer politischer Ebene folgt, mit all den Implikationen und demokratischen Elementen, die »bewußte« Kräfte im Kampf für den Sozialismus und die Arbeiterkontrolle entwickeln können. Die Diskussion erweitert sich hier selbstverständlich und birgt große Probleme, aber Kämpfe dieser Art werfen heutzutage konkret diese Probleme auf. So blieb der spezielle Kampf in der »Walzendreherei« zwar isoliert innerhalb der Fabrik und scheiterte bald — und dennoch war er alles andere als unnütz: er hat etwas erobert und Perspektiven eröffnet. Und zudem ist die Situation in der »Walzendreherei« verallgemeinerbar: überall erobern die »neuen Arbeiter« schnell ein gewisses Klassenbewußtsein, nehmen Haltungen von Kritik und radikaler Verweigerung gegenüber der FIAT-Direktion ein. Sie drängen die alten Kader der »alten Garde«, und oft überwerfen sie sich mit ihnen und ihrer Orientierung auf die externe und parlamentarische Aktion, ihrem »italienischen Weg zum Sozialismus«. Die Unzufriedenheit wächst, es gibt unorganisierte Genossen und Arbeiter, die richtigerweise eine organisatorische Anstrengung fordern, um die Explosionen von allgemeiner Unzufriedenheit so weit wie möglich konkret und effektiv zu machen: wenn ein Kampf stattfindet, so muß sich in ihm vor allem das Bewußtsein verallgemeinern, daß sich die Probleme nur durch die Arbeitermacht lösen und daß man sich für dieses mögliche und unumgängliche, aber nicht unmittelbare, Ziel organisieren muß.

Nun ist die Situation nicht auf die Eisenhütten beschränkt. Vielmehr gab es in Mirafiori im Herbst 1960 und Sommer 1961 zwei Phasen von starker Spannung in der »Werkstatt 30« (Instandhaltung und Wartung; Produktion von Stempeln für die Stanzen) mit vielen Merkmalen, die auch die Bewegung in der »Walzendreherei« auszeichneten. Darüberhinaus hat der starke Druck der Arbeiter, die in ganz Italien im Verlauf von 1960 neue Forderungen und neue organisatorische Formen entwickelten, eine gewisse Antwort bei der Turiner FIOM hervorgerufen. Im Frühjahr 1961 gab sie bei der FIAT die Parole aus, Vorbereitung des Kampfes, einheitliche Basis-Organisation und Arbeitermacht. Damit begaben sie sich auf einen Weg, der zwar notwendigerweise noch propagandistisch war, aber bereits dies mißfiel der CGIL — und der nationalen FIOM und der KPI umso mehr. Jedenfalls erarbeitete die FIOM spezifische Arbeitspläne für die Eisenhütten und für alle anderen Werke (der FIOM-Plan für Mirafiori wurde in der Juli/August-Nummer dieser Zeitschrift veröffentlicht) und bereitete sich damit darauf vor, ihre »Linie« umzusetzen.

Im Unterschied zu den anderen Werken und vor allem zu Mirafiori ist es den aktiven FIOM-Kadern in den Eisenhütten gelungen, die Weiterentwicklung dieser Arbeit zu verhindern. Dieser Kader wird von einigen Genossen der »alten Garde« kontrolliert, die sehr eng mit dem konservativsten Flügel der Turiner KPI zusammenhängen. Damit die Sache nicht auf irgendeine Art ihrer Kontrolle entgleiten könne, haben sie versucht, sie für den üblichen »italienischen Weg zum Sozialismus« zu funktionalisieren. Damit machten sie diese Arbeit zur rein gewerkschaftlichen Untersuchung, um eine neue Forderungs-Plattform aufstellen zu können usw..

Zu Beginn war die FIOM in den Eisenhütten von der Annahme ausgegangen, daß man eine langwierige Arbeit unternehmen müsse, um sich direkt mit den jungen Mitgliedern und »Sympathisanten« zu verbünden, nur so könne man seine Ziele erreichen, eine Situation von wirklichem Austausch, von Erneuerung und Neubeginn zu schaffen. Der Angriff von Amendola und Togliatti während der Fabrikkonferenz der Kommunisten auf die Turiner FIOM schuf eine ganze Reihe von Schwierigkeiten auf nationaler Ebene - in dieser Situation fangen die Ferien an.

Während der Urlaubszeit sind nur die Instandhaltungsarbeiter in der stillstehenden Fabrik. Sie überholen die Maschinen und bringen sie so weit wie möglich wieder in Ordnung. Diese Arbeiter betrachtet man in den Eisenhütten ein bißchen als etwas besonders: insofern in ihrem Fall die schlechtesten Aspekte des Arbeiterkorporativismus eine Rolle spielen mit all der negativen Rivalität zwischen »Mechanikern« und »Stahlarbeitern«. Die Instandhaltungsarbeiter sind zudem weitgehend spezialisiert und unter ihnen sind junge Genossen mit einem hohen Grad an Klassenbewußtsein und Politisierung. Wie im Fall der »Walzendreherei« gingen also auch hier Überzeugungsarbeit und Diskussionen unter den Arbeitergenossen voraus, um einen einheitlichen Kampf in den Abteilungen vorzubereiten — der bei FIAT nur als autonomer Kampf möglich ist angesichts der innergewerkschaftlichen Streitigkeiten und Spaltungen. Und dies war, daran sei erinnert, auch die Linie der Turiner FIOM. Während der Urlaubszeit — und in Abwesenheit der Commissione Interna und der Genossen, die die FIOM in den Eisenhütten unter Kontrolle haben — findet die erste wichtige Bewegung statt, die für jeden wirklich äußerst wichtig erscheint, der das Klima von Isolation, Resignation und Opportunismus kennt, das jahrelang in der FIAT herrschte. Die »spontane« Bewegung verlief folgendermaßen. Die Arbeiter in der Instandhaltung der »Zona Larghi Nastri« machen am 7. August, die in der Instandhaltung der »Zona Valdocco« am 7.-8. August einen Proteststreik (niemand erfährt etwas davon und der Unità ist es nur eine kleine Notiz am 9. August wert).

In der »Larghi Nastri« beteiligen sich etwa 60 Arbeiter, unter ihnen vier, fünf Arbeiter, von denen einige nicht sonderlich enthusiastische Kommunisten der Macht-Clique eine willkürliche Verlängerung der Arbeitszeit um eine halbe Stunde dazu benutzen, die Arbeitsunterbrechung durchzuführen, die sie schon einige Zeit vorbereitet hatten, um einen Überblick über die Situation zu kriegen — was durch die wenigen und ungenügenden Kontakte bisher nicht möglich gewesen war. Sie beginnen mit dem Streik und laufen herum, um die anderen mitzureißen; zwei von ihnen gehen durch eine Unterführung schließlich bis in die »Zona Viali«, um die dortigen Arbeiter zu überzeugen (was dann dort passierte, haben wir aus Mangel an FIOM-Kontakten nie erfahren). In der »Zona Valdocco« hingegen unterbrechen 100 die Arbeit und 30 von ihnen stechen und gehen raus; jedenfalls gelingt es nicht, mit dieser Zone Kontakt von außen her aufzubauen, und noch weniger von innen, von den Arbeitern der »Zona Larghi Nastri« aus. Die zwei Streiks sind voneinander unabhängig verlaufen.

Nach ein paar Tagen, in denen wir die Arbeiter an den Toren anhalten und Kontakt zu ihnen aufnehmen, kommt es zu einer ersten Versammlung, an der sich die Mehrheit von denen beteiligt, die den Streik angetrieben haben, außerdem ist ein Führer der FIOM dabei und zwei Genossen, die von außen an der Wiederaufnahme des Klassenkampfs in dem Turiner Betrieb arbeiten.

Auf dieser Versammlung haben die Arbeiter sofort zwei Probleme benannt: der Unternehmer hat wüste Drohungen ausgestoßen - und: wie können wir eine Verbindung mit der Zona Valdocco und zur Zona Viali aufnehmen, um zu sehen, ob sich unsere wichtige Initiative fortsetzen läßt, um damit auch die Beschränktheit der Improvisation zu überwinden und etwas mit präziseren Zielen zu organisieren. Man diskutiert über die berüchtigten Repressalien der FIAT und den einheitlichen Basis-Charakter des »Streiks«. In diesem Sinn setzt man eine erste Fassung für ein Flugblatt auf. Diese wird später nochmal überarbeitet und von allen angenommen, es wird als erstes von zwei Flugblättern in den drei Instandhaltungsabteilungen verteilt und hat vor allem den Zweck, eine Diskussion auszulösen und zur Koordinierung beizutragen. Es wird in allen Abteilungen zustimmend kommentiert und diskutiert, es löst aber (wie vorhergesehen) keine neue Bewegung aus.

Bereits bei der Versammlung hatte man beschlossen, ein weiteres Flugblatt zu machen, um die Arbeiter, wenn sie aus dem Urlaub zurückkehren, über den »Streik« zu informieren. Jetzt vervielfachen sich auch die Kontakte und die Versammlungen; auch die Mitglieder der Commissione Interna der FIOM beteiligen sich. Die »streikaktiven« Arbeiter wollen mit dem zweiten Flugblatt vor allem ihre Erfahrung weitergeben und für alle nutzbar machen. Es wird aufgesetzt und mit Infos und Berichten von anderen Arbeitern über ihre Situationen angereichert. Trotz gegenteiliger Stellungnahme eines Teils des FIOM-Sekretariats wird das Flugblatt verteilt. Die Diskussion unter den Arbeiter entwickelt sich in allen Abteilungen weiter und die solchermaßen zum ersten Mal in die Eisenhütten getragene Parole »Arbeitermacht« erhält viel Zustimmung. Die Redensart geht um, »zum ersten Mal wird von den Sachen geredet, die die Arbeiter interessieren«. Viele FIOM-Kader und sogar Genossen von der Commissione Interna stimmen dem zu; das sei der Weg zur Wiederaufnahme des Kampfes bei FIAT.

Während der Urlaubszeit gab es auch in der Werkstatt 29 in Mirafiori (Instandhaltungswerkstatt für Maschinen und Anlagen) einen Arbeiterprotest aus ähnlichem Anlaß. Davon erfuhr man aber außerhalb nichts, und es werden keinerlei Kontakte aufgenommen, denn die beteiligten FIOM-Genossen haben sich traditionell verhalten. Das heißt, an einem bestimmten Punkt haben einige Genossen die Aktion auf eine Ebene gebracht, wo sie sich mit dem Paternalismus der Geschäftsleitung traf. Sie haben eine Abmachung aufgesetzt, die von anderen unterschrieben wurde, so daß die Sache schlecht ausging.

Die Widersprüche in der FIOM

Jedenfalls begann im Innern der FIOM eine Diskussion über den »Streik« in den Eisenhütten und über die zwei Flugblätter. Das war aber nur Auslöser für eine allgemeinere, unmittelbare Diskussion über das verwickelte Verhältnis zwischen Turin und Rom [zwischen dem Landesverband und der nationalen Leitung der FIOM; d.Ü.], zwischen der FIOM und den anderen Gewerkschaften, zwischen CGIL und KPI, sowie zwischen diesen und der PSI angesichts der politischen Tragweite der Arbeiterinitiativen und ihren Implikationen. In Wirklichkeit ist die FIOM aufgrund ihrer zentralisierten und bürokratischen Struktur nicht in der Lage, jene Art politischer Arbeit konsequent zu entwickeln, die sie sich vorgenommen hat. Die bürokratische Logik ihrer alten zentralistischen Organisationsstruktur überwiegt und bringt sie in Widerspruch zu ihren eigenen grundlegenden Zielen, wie sie die Turiner FIOM verfolgt - dies bereits in der allgemeinen Situation der Arbeiterkämpfe und umso mehr in den besonderen Fabriksituationen (vor allem in den technologisch fortgeschrittenen Betrieben). Die Turiner FIOM wiederum sieht sich gerade aufgrund ihrer zentralistischen Struktur und ihrer traditionellen Politik mit der KPI und der nationalen FIOM konfrontiert (die noch immer und mehr denn je all ihre Aktionen auf den demokratischen Zentralismus stützen). Sie gerät also in die Lage, die interne Diskussion und den Dialog mit Rom nur fortsetzen zu können, wenn sie sich vorher von all diesen »peinlichen Dingen« lossagt. Und das bedeutet eben, vorher jede Verbindung zu den »lebendigsten« Kampfsituationen abzuschneiden, um sich dann völlig entwaffnet der Macht-Clique gegenüberzusehen, die von der Spitze her die historischen Organisationen der Arbeiterbewegung kontrolliert. Dieser bezeichnende Widerspruch der Turiner FIOM gegenüber den Arbeiterinitiativen zwingt sie dazu, ihre eigene »Linie« zu verleugnen, um wieder auf die traditionelle Orientierung einzulenken. Was um so schwerwiegender ist, als sich die Klassensituation genau in entgegengesetzter Richtung entwickelt.

Während die FIOM diese Flugblätter mißbilligt und sich mit dem konservativen kommunistischen Kader der »Eisenhütten« verbindet, entwickeln sich bei FIAT-Prosidea die Bedingungen für den Streik, den die FIOM dann ausruft und aktiv unterstützt. Das gleiche bei der SPA di Stura, wo auch die KPI für die Vorbereitung eines Streiks mobilisiert, der als Proteststreik anfängt, aber weitreichende Folgen haben kann.

In Turin ist man gegenwärtig nahe am berühmten Streik bei FIAT, von dem viele sagen, man könne ihn weder »gewerkschaftlich« noch reformistisch bändigen. Sollte also die Rückkehr der Turiner FIOM zur bürokratischen Linie und bürokratischen Praxis nur formaler Art sein, könnte sie die so sehr herbeigewünschte Perspektive der politischen Entwicklung der Klasse und der revolutionären Entwicklung des Kampfs bei FIAT eröffnen und sie dann den nationalen Führungsspitzen der Arbeiterbewegung aufzwingen.

Wieder einmal stellt der Arbeiterkampf die Fragen, die man für abgeschlossen hielt, und wirft die grundlegenden Probleme auf. Wenn sich der Kampf der Arbeiter bei FIAT ausweitet und weiterkommt, wird er praktisch viele der traditionellen Tabus überwinden, so daß die bereits in Bewegung geratenen Kräfteverhältnisse umgestürzt werden in dem Maße, wie die Bewegung voranschreitet.

Aber auf welcher Linie kann man heute diesen Arbeitern eine einheitliche Klassenperspektive geben, die nach Jahren der Stagnation mit Hilfe der FIOM wieder kollektiv handeln und den Streik in die FIAT zurücktragen, in das bedeutendste ökonomische und politische Machtzentrum Italiens?

 


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