Kampf bei FIAT
Romano Alquati, in: Classe Operaia, Nr. 1, Januar 1964
Vorbemerkung von Alquati für den Wiederabdruck des Artikels in: Romano Alquati, Sulla Fiat e altri scritti, Mailand Feltrinelli 1974 (Siehe auch seine Einführung zur Neuherausgabe der Texte.)
Dieser Artikel ist ein ausführlicher Bericht über die Arbeiterkämpfe bei FIAT in den letzten Monaten des Jahres 1963, also nach dem nicht gerade begeisternden Abschluß der Tarifverhandlungen. In dieser Phase hatte die Gewerkschaft das Problem, den Tarifvertrag anzuwenden und die Arbeiter das, die Kämpfe in die Fabrik zurückzutragen. Sie gingen dabei von dem untergründigen Kampf aus, der die autonome Bewegung rekonstruiert.
Schon im Februar '63 war der offensive Druck zurückgegangen, was sicher auch an der Enttäuschung über den Gebrauch, den die Gewerkschaften davon gemacht hatten, lag. Es hatte eine Phase von tiefgreifenden und unterirdischen Bewegungen begonnen, die auch an der Basis der institutionellen Arbeiterbewegung die Erfahrungen des großen Kampfs von '62 umsetzten.
Schon bei den ersten Symptomen der Konjunkturkrise wurde es offensichtlich, daß die Kapitalistenklasse dabei war, eine erste von einer ganzen Reihe von politischen Antworten vorzubereiten, um die Krise in einer stabilisierenden Funktion durchzusetzen (das gilt auch heute noch). Doch die lange Folge von Angriffen wird nicht nur an der Erneuerungsfähigkeit der Arbeiterautonomie scheitern, sondern auch an der Unzulänglichkeit der Mitte-Links-Regierung und der Unfähigkeit der politisch-institutionellen Ebenen unseres Landes, den von den Kapitalisten verlangten politischen Gebrauch der Krise durchzusetzen. Man schlug diesen Plan nämlich nur als eine Politik der Einkommen, der Kontrolle vor, also eine makro-ökonomische Einkommenspolitik - ein Plan, der sich an der zunehmenden Rigidität des Lohns und der Arbeit die Hörner abstoßen wird.
Schon einige Monate nach dem Tarifvertrag tauchte bei FIAT erneut eine Kampfform auf, die typisch für die fortgeschrittenen kapitalistischen Länder ist, und die sich durch eine große Autonomie der Bewegungen der Arbeiterklasse auszeichnet: der »Wildkatzen«-Streik.
In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre wird diese Art von Streik bei FIAT äußerst wirkungsvoll, weil der Betrieb durch eine absurde Starrheit seiner Organisation und durch die außerordentliche Anhäufung von kombinierter Arbeit gegenüber dieser Kampfform sehr verwundbar ist. Dieser etwas unzusammenhängende Artikel zeigt einige Merkmale der Arbeiterautonomie auf, die für die offizielle Arbeiterbewegung während der ganzen 60er Jahre unüberwindbare Grenzen darstellen, bis sich die »Autonomisten« innerhalb der Gewerkschaft im Herbst 69 dazu entschließen werden, sie für ihre eigenen Interessen zu benutzen.
Doch natürlich besteht die Autonomie auch noch in den siebziger Jahren, trotz der Ambivalenz der Delegierten.
Ich betone die Autonomie in diesem Artikel mit einem gewissen Nachdruck, weil ich den subjektiven Kräften innerhalb aber auch außerhalb der offiziellen Arbeiterbewegung den ganzen politischen Spielraum klarmachen will, den diese für eine spezifische Initiative der politischen Kräfte gegenüber der entstehenden und erneuerten Arbeiterklasse im Kampf eröffnet - vor allem in den »dynamischsten« Unternehmen. Obwohl das Thema die Kampfbewegung der gesellschaftlichen Arbeitermasse ist, drängt das Problem der politischen Organisation und zwar auch im institutionellen Sinn. Bei FIAT scheint sich unmittelbarer als in jedem anderen Klassenkern das Problem des Verhältnisses Klasse - Partei zu stellen,.das sich in nächster Zukunft intensivieren und räumlich verallgemeinern lassen wird - und dies wohl gerade wegen der sichtbaren Rolle der Autonomie bei der Rückkehr dieser Arbeiterklasse in den Kampf. Es lag für mich auf der Hand, für die Lösung dieses Problems die Untersuchung vorzuschlagen, die wir bereits seit Ende der 50er Jahre durchführten und für die wir uns in den sechziger Jahren noch klarer und stärker einsetzten - jedoch fast ohne Resultate.
Heute gibt es weltweit eine regelrechte Scholastik zu den Themen des Arbeiterkampfs. Bei uns hat die Arbeiterautonomie jedoch, auch wenn sie sich in so besonderen und verbreiteten Kampfformen wie dem »Wildkatzen«-Streik ausdrückt, einige ungewöhnliche subjektive Eigenschaften; das ist noch offensichtlicher, wenn man bedenkt, wie ungewöhnlich die politischen Kräfte unseres Landes im Vergleich zu den Sozialdemokratien waren (und sind), die wir in allen anderen Ländern finden, in denen die »Wildkatze« eine wichtige Rolle gespielt hat. In Italien hat die Sozialdemokratie bekanntlich nichts mit der Arbeiterklasse gemein und die französische Kampfbewegung der Arbeiterklasse unterscheidet sich stark von der italienischen - vor allem in den sechziger Jahren.
Das Auftreten der Arbeiterautonomie gerade und vor allem bei FIAT hat einige Monate nach der Explosion des offenen Kampfs im Jahr '62 gereicht, um eine ideologisch-organisatorische Tradition zu verdrängen, von der auch heute noch zuviele politische Kräfte und Gruppen zu zehren versuchen.
Schließlich möchte ich noch auf den »strategischen« Charakter des Artikels hinweisen. Er zeigt die praktisch unüberwindbare Beschränktheit eines derartigen Artikels zu jener Zeit. Wir hatten uns vorgenommen, eine neue Beziehung zwischen Taktik und Strategie herzustellen. Da wir jedoch über keine taktische Ebene und auch nicht über die Mittel zur Eroberung dieser entscheidenden Dimension verfügten, waren wir gezwungen, die Strategie taktisch voranzutreiben. Waren wir also Wichtigtuer? Es handelte sich nicht so sehr um den Widerspruch des Intellektuellen, der Politik betreibt. Es war die Frustration aus jedem Versuch, Kommunikationsverbindungen zwischen dem italienischen politischen System und den drängenden historischen Bedürfnissen der Arbeiterklasse zu knüpfen.
Viele der alten Genossen von »Classe Operaia« meinen heute aus entgegengesetzten Gründen, daß es so besser ist ... ich nicht.
Dieser Artikel analysiert schematisch einige Aspekte des »Wildkatzen«-Kampfs, den die Arbeiter bei FIAT vor kurzem angewendet haben; wir behaupten nicht, daß dies die einzig mögliche Kampfform ist. Es ist eine »spezifische« Analyse, was nicht heißt, daß die beschriebenen Ereignisse besonders herausragend sind oder alleine dem »Massenkern« entsprechen, den die Arbeiter bei FIAT darstellen. Wir setzen aber hier die gesellschaftliche Dimension, in der die Bewegung erst eine politische Bedeutung bekommt, als die bestimmende Ebene voraus, ohne sie direkt zu analysieren. (Andere entscheidende Bestandteile des politischen Wachstums der Arbeiter, die in dieser Argumentation schon durchscheinen, werden im nachfolgenden Artikel über Alfa genauer untersucht. In ihm wird ein weiterer Aspekt behandelt, der die allgemeine Dimension der Entwicklung des Arbeiterkampfs betrifft.)
Am 15./16. Oktober haben die Arbeiter bei FIAT ihren wichtigsten Streik nach dem von Juni/Juli 1962 durchgeführt. Die 6200 Arbeiter der Gießereien haben den Streik »spontan« begonnen und am nächsten Tag hat er sich »spontan« nach »Wildkatzenart« ausgebreitet. Die Frühschicht in der Werkstatt 4 stellte am Dienstag, den 15., plötzlich die Arbeit ein und übertrug den Stillstand auf die Normalschicht und später auf die Spätschicht.
Mit der ihm eigenen »Zweideutigkeit« nutzte der Arbeiterkampf die produktive Arbeitsteilung der kapitalistischen Kooperation!
Die Werkstatt 4 der Gießereien ist eine Wartungs- und Instandhaltungswerkstatt, in der »berufständisches« Erbe (relativ) besser als anderswo überlebt, doch trotzdem ist der von ihr ausgelöste Streik anti-korporativ und gegen den Betrieb als solchen ausgerichtet. Tatsächlich sind die Gießereien, die sich materiell im Zentrum des großen Mirafiori-Komplexes befinden, vor allem ein Knotenpunkt von verschiedenen Produktionszyklen (PKW's, Traktoren, LKW's), die alle direkt in eine »weltweite« Arbeitsteilung gegliedert sind, durch die FIAT (als Bestandteil des weltweiten gesellschaftlichen Kapitals) die Arbeiterklassen der 1., 2. und 3. Welt ausbeutet und so vereint! Dies sind die materiellen, unmittelbaren Grundlagen des Streiks: Der Arbeiterkampf bei FIAT muß in der internationalen Dimension der Arbeiterantwort auf einen Unternehmer gesehen werden, der sich nie als »individueller« oder »einzelner« Kapitalist seinen 130 000 direkt Ausgebeuteten gegenüberstellt, schon deswegen, weil diese sich in ihrem Kampf immer als Avantgarde an die Spitze der ganzen Bewegung stellen.
Der »Wildkatzen«-Streik ist keine anarchoide Protestform von Arbeitern, die unfähig sind, in kollektiver und organisierter Form zu kämpfen; im Gegenteil: Er erfordert ein hohes Niveau an Organisation und Zusammenhalt, weil er eine typische »umfassende« Kampfform ist. Es wäre absurd, ihn sich als abgetrennten Kampf von einzelnen Abteilungen und Werkstätten innerhalb eines so »weltweiten« Betriebs wie FIAT vorzustellen! Der erste Sieg des »Wildkatzen«-Streiks vom 15. ist es, daß er die gegenwärtige Entwicklung (die gerade deshalb unbekannt gehalten wird, weil sie so wichtig ist) klar aufgezeigt und entmystifiziert und auch über Turin hinaus bekanntgemacht hat: nämlich daß sich bei FIAT eine Arbeiterorganisation entwickelt, die stark genug ist, einen solchen Streik durchzuführen - absolut außerhalb der historischen, offiziellen Organisationen.
Der »Wildkatzen«-Streik bei FIAT eliminierte die alte Idee, nach der der Arbeiterkampf auf dieser Ebene von einem besonderen internen »Kern« organisiert wird, der das Monopol über das antagonistische Arbeiterbewußtsein hat. Der Streik vom 15./16. Oktober ist direkt von der ganzen und kompakten »gesellschaftlichen Masse« der Arbeiter der Werke, die daran teilgenommen haben, organisiert worden. Das Besondere ist hier nur, daß sich das gegenüber den vorhergehenden Kämpfen mit einer größeren Klarheit ausdrückt, die auch nicht nur bei FIAT besteht, wo die wenigen »Militanten« der alten Parteien seit dem Juni 62 am hintersten Ende der Kämpfe stehen.
Nach dem ersten Stoß der internationalen Kämpfe von 53-54 wird die CGIL von FIAT als Massenorganisation ausgeschaltet. Einerseits verliert die offizielle Arbeiterbewegung nun die Kontrolle über die italienische Arbeiterklasse, auf der anderen Seite führt die Mechanisierung der Arbeit durch automatische Produktionsabläufe zu einem bemerkenswerten Sprung nach vorne in der Vergesellschaftung der Arbeit.
Die zweite Welle der internationalen Kämpfe von 1956, auf beiden Seiten des eisernen Vorhangs, beschleunigt in Italien die Wiederaufnahme der Streiks und den Prozeß ihres politischen Wachstums; so beginnt bei FIAT ein »untergründiger« Kampf, der direkt von den Arbeitern geleitet wird. Mit der dritten großen internationalen Streikwelle nach 1960 radikalisiert und vereinigt sich die Bewegung auf internationaler Ebene, und die FIAT-Arbeiter werden wieder offen zum Zentrum der politischen Zirkulation von Kämpfen und Erfahrungen, die die Arbeiterklasse »als solche« vereinen, neu zusammensetzen und vervielfachen. Es ist eine Klasse, die sich wieder erhoben hat, um in erster Person als gesellschaftliche Klasse die Methoden und Ziele des Kampfs zu bestimmen, wobei sie sich immer mehr von der »gewerkschaftlichen« Dimension entfernt. Die Vereinheitlichung der Methoden und Inhalte wächst mit jedem Kampf und von einer Organisationsform zur anderen. Da die Initiative in den Händen der »kompakten gesellschaftlichen Masse« ist, muß der Unternehmer inzwischen seine allgemeine Strategie der Produktivitätserhöhung allein auf die »gesellschaftliche Klasse« der Arbeiter stützen.
Es sind gerade die Kämpfe, die das Kapital zur Suche nach einem fließenden Übergang zu einem neuen Stadium der Vergesellschaftung drängen. Heute geht es dem Unternehmer darum, das abzuschaffen, was in den sozialen Spannungen ein politisches Hindernis für die »Strukturreformen« darstellt. Wenn er die volle politische Kontrolle über die Arbeiterklasse bekommt und deren Kollaboration [1] erreicht, so werden die Kämpfe zu einer höheren »Produktivität« und zu einer größeren »politischen Despotie« des Unternehmers führen.
Kollaboration und Politische Kontrolle
Die KPI verspricht »fordernde« Kämpfe (Kämpfe, die auf einen Vertragsabschluß hinauslaufen; d.Ü.) und die FIOM verspricht, daß sie sie mit einer schlaueren Politik einschließen wird.
Wenn wir noch einen Schritt zurückgehen, so sehen wir, daß die internationalen Kämpfe die (»inneren« und »äußeren«) Handlungsspielräume des »Systems FIAT« auf so »brüske« Weise zersetzt haben, daß der unvorbereitete Unternehmer Gefahr lief, die politische Kontrolle über die Arbeiter zu verlieren.
Im Rahmen der ersten Mitte-Links-Regierung zeigte sich mit dem Programm für den »modernen Arbeitsvertrag« noch ein Unternehmer, der sich sicher war, bald wieder die vollständige politische Kontrolle zu erlangen; er verlangte nach der »Kollaboration« der Arbeiter bei einer massiven und rationellen Erhöhung der Produktivität, die zu einer weiteren Vergesellschaftung der Arbeit führen würde, also: »Automatisierung«, »pluralistische Planung«, »Reform des Staates«. Die Arbeiterklasse sollte als gesellschaftliches Gehirn der kapitalistischen Produktion neu zusammengesetzt werden, indem sie auf der höchsten Ebene der toten Arbeit, in den Maschinen, eingeschlossen werden sollte. Die Klasse sollte die Maschinen mit einer größeren wirtschaftlichen Rationalität bedienen und diese ihr gleichzeitig als politische Herrschaft des Kapitals gegenüberstehen und sie erdrücken. Wenn die Arbeiter für diesen Tarifvertrag, der allein den Bedürfnissen des Unternehmers entspricht, gekämpft hätten, so wäre der Kampf an sich schon die Durchführung des Plans gewesen.
Doch die Gewerkschaften, die den Arbeitern den Plan vermitteln sollten, hatten keinen Halt mehr. Die Neuzusammensetzung der Klasse war schon viel weiter fortgeschritten, als die Berechnungen von La Malfa-Trentin annahmen. So ist es der Arbeiterklasse gelungen, das Projekt zu überrennen, indem sie alle ihre Kämpfe unvermittelt in den Tarifstreik der 100 000 bei FIAT einbrachte. Der Streik war gegen den gewerkschaftlichen und demokratischen Plan aufgeflammt und vereinigte alle Fabriken, Branchen und Regionen bei den Streikposten an den Toren und im Kampf auf den Straßen. Angesichts dieser Einheit der Arbeiter wird die Schwäche des Unternehmers offensichtlich. Mit dieser politischen »Autosuggestion« des vereinigten Kampfs ist es der Arbeiterklasse gelungen, ihren Sprung nach vorne innerhalb des kapitalistischen Sprungs zu machen. Mit diesem strategischen Sieg der Arbeiter verändert sich die Perspektive: Die »fließenden Übergänge« werden jetzt zu »brüsken Sprüngen« und zu Möglichkeiten einer politischen Organisation der Arbeiterklasse, die sich außerhalb der politischen Kontrolle der Unternehmer neu vereinigt hat.
Das heißt also, daß die kapitalistischen Projekte der Modernisierung und der allgemeinen Rationalisierung in der gegenwärtigen Perspektive die »Kollaboration« und politische »Kontrolle« dieser subjektiv neu zusammengesetzten Arbeiterklasse erzwingen müssen.
Die Arbeiterklasse muß das Unternehmer-Projekt der »industriellen Demokratie« langfristig angehen: Das »strategische Ziel« besteht darin, auf internationaler Ebene die eigene »politische« Selbstverwaltung außerhalb der kapitalistischen Produktion und gegen die »allgemeine politische Macht« des Kapitals zu organisieren.
Um das zu erreichen, muß der Kampf das unmittelbare »taktische Ziel« vorantreiben, außerhalb der »politischen Kontrolle« des Unternehmers einen Kampf zu führen, der sich heute noch gezwungenermaßen innerhalb der kapitalistischen Akkumulation und Produktion abspielt, auch wenn er zum Teil auf gesellschaftlicher Ebene oder auf der Straße stattfindet.
Die Arbeiterklasse nutzt die ihr vom Unternehmer zugeschriebene Rolle, mit »brüsken« Sprüngen die Formen des kapitalistischen Projekts der »neuen Ordnung« zu bestimmen, um ihr hegemoniales politisches Potential auf eine höhere Ebene der kapitalistischen Vergesellschaftung zu verlagern. Der »taktische Gebrauch« der »Nicht-Kollaboration« zwingt den Unternehmer zu immer fortschrittlicheren Projekten, mit denen er den Arbeiterdruck in der »Fabrik« »reformistisch einholen« will. Diese werden sodann überrannt und verbrannt und behindern so einen »strategischen« Plan des Unternehmers.
Die »Nicht-Kollaboration« der Arbeiter schlägt diesen Plan innerhalb der kapitalistischen Produktion, denn er kann nur funktionieren, wenn er sich kapillar im Produktionsprozeß festsetzt ... Das Verhältnis zwischen Entwicklungsprojekt und politischer Basis ist heute so eng, daß wichtige politische Ereignisse als »technische« Angelegenheiten oder unmittelbare »Rebellionen« mystifiziert werden.
Die Arbeiterklasse kämpft mit den Instrumenten, die sie zur Verfügung hat. Ebenso wie auf der Piazza Statuto kein Arbeiter glaubte, daß dies die Gewalt sei, die zur Zerstörung des kapitalistischen Systems notwendig ist, glaubt kein Arbeiter, daß dieser Gebrauch der »Nicht-Kollaboration« der politische revolutionäre Kampf sei. Schon seit der Aussperrung durch Valletta im Juli '62 sehen die Arbeiter die dringende Notwendigkeit, ihre »Maulwurfsarbeit« auf das soeben eroberte Terrain zu verschieben, um sich mit langfristigen Organisationszielen gegen einen geschlossenen Gegenangriff der Unternehmer zu schützen. Nachdem sich der Abschluß bei FIAT im neuen Tarifvertrag verallgemeinert, werden von der allgemeinen Bewegung bei FIAT nur solche Organisationsziele ausgesucht und vorgeschlagen, die sich am ehesten dazu eignen, sich der höchsten Ebene des politischen Plans der Unternehmer entgegenzustellen.
Die ersten plötzlichen Anwendungen der »Nicht-Kollaboration« siegen problemlos, weil die unternehmerische Taktik den wiedervereinigten Arbeitern nichts anderes vorschlagen kann als etwas erneuerte Formen der »Gewerkschaft in der Fabrik«, was diese schon abgewiesen hatten; und tatsächlich werden sie im Winter 62/63 zuerst bei FIAT und Alfa und dann überall fehlschlagen.
Die »Nicht-Kollaboration« ist keine Methode, um den Produktionsprozeß ins Chaos zu stürzen und der »Wildkatzen«-Streik ist keine Methode, um ihn in die Klemme zu bringen. Aber es ist kein Zufall, daß die Presse der Unternehmer und die der Arbeiterbewegung sich nun im gemeinsamen Versuch treffen, die politische Bedeutung dieses Arbeiterkampfs und die enormen politischen Möglichkeiten, die die kapitalistische Entwicklung einer politisch organisierten Arbeiterklasse bieten würde, zu verschleiern, indem sie ihn als die alte anarchosyndikalistische Form der »Sabotage« darstellen.
Der typische andauernde Kampf in den »rationalisierten« Betrieben basiert auf der Tatsache, daß nur der kollektive Arbeiter weiß, welches die »normalen« Wege und Regeln sind, durch die der Arbeitsgegenstand »umgewandelt« wird, und das ist auf der ganzen Welt klar. Kein Funktionär des Kapitals (Gewerkschafter oder individueller Kapitalist) regt sich darüber auf, daß der kollektive Arbeiter immer dazu gezwungen ist, die Vorschriften »zu verletzen«, um mit seiner eigenen Rationalität die grundlegende Irrationalität eines Systems auszugleichen, das auf der Ausbeutung der Klasse basiert, und daß gerade diese andauernde Erneuerung die Verwertung des Kapitals, also die Produktivität, ausmacht. Aufregen tun sie sich bloß, wenn der kollektive Arbeiter die produktive »Kooperation« in eine politische Neuzusammensetzung umdreht, die vom »Maschinenarbeiter« zur »Qualitätskontrolle« reicht oder vom »Verwaltungs«-Angestellten zum »Techniker« und auch zum untergeordneten »Ingenieur«. Die Funktionäre sehen rot, wenn sich endlich alle als »Arbeiterklasse« erkannt haben und vereint ihre tatsächliche Verwaltung des Arbeitsprozesses, in den sie eingeschlossen sind, genutzt haben, um das politische Projekt des Unternehmers, nämlich die politische Kontrolle über sie zurückzuerobern, zu schlagen.
Der Weg zum »Wildkatzen«-Streik
Es ist nicht möglich, die Aufeinanderfolge der konkreten Formen zu beschreiben, durch die die Arbeiter ihre »Nicht-Kollaboration«, ihre Bewußtseins- und Organisationsebene immer entschiedener zur politischen Organisation entwickelt haben, gegen einen politisch organisierten und in einer weltweiten kapitalistischen Front vereinten Unternehmer ... Im Jahr 1963 haben sie so den Unternehmer gezwungen, die Gewerkschaften zu überspringen und zu versuchen, die Arbeiter direkt zu kontrollieren. Die Arbeiter wurden nun aufgefordert, ihre »autonome« Organisation innerhalb der kapitalistischen Produktion zu bilden und positive Forderungen aufzustellen, um so die rationalisierende Funktion zu erfüllen, zu der die »Gewerkschaft in der Fabrik« unfähig gewesen war. Im Juli 63 machen die Gewerkschaften (die von außen für die »demokratische« Linie des Kapitals werben sollen) einen interessanten Schritt nach vorne, indem sie den Arbeitern vorschlagen, »autonom«, aber mit ihrer Vermittlung, die »Arbeiterkontrolle« zu organisieren. Doch die Arbeiter kontrollieren bereits die Produktion und da die Einführung einer Prämie für Kollaboration sie antreiben und ihren Lohn an die Anwesenheit koppeln würde, weisen sie auch diese Falle zusammen mit der ganzen permanenten Verhandlung zurück, die sich von nun an im Leeren dreht.
Von nun an wird die »neue Ordnung« des Kapitals die politische Kontrolle der Klasse als Kontrolle der Kämpfe vorschlagen. Die Form dieser Kontrolle wird die Arbeiter-»Selbstkontrolle« sein - also die Selbstverantwortung der Arbeiter, ihren Kampf autonom innerhalb des langfristigen Plans des Unternehmers zu führen - und deren Institutionalisierung auf einer immer allgemeineren Ebene. Die Alternative besteht zwischen der Kontinuität des Kapitals durch die demokratische Kontrolle des ganzen Kampfs und der Kontinuität von immer unkontrollierteren Kämpfen.
Im Jahr 63 gab es allein in der Werkstatt 17 drei Arbeitsniederlegungen, die dem Anschein nach in das Konzept der »neuen Ordnung« des Kapitals paßten: Sie hatten spontan und mit lokalen Forderungen begonnen und wurden beendet, sobald sich die Gewerkschaft mit viel Lärm darauf gestürzt hatte, um die Verallgemeinerung dieser Form in allen Werken zu verlangen, »weil das die richtige ist«. In allen Werken haben die Arbeiter diese Verallgemeinerung abgelehnt, weil es eine Form der demokratischen Institutionalisierung des »Arbeiterprotests« innerhalb des Kapitals gewesen wäre. Sie waren sich dabei der politischen Bedeutung ihrer Weigerung bewußt, den Kampf in dieser Form auszudrücken. Im Jahr 1963 gab es keinen heißen Gewerkschaftssommer, der Arbeiterkampf ist aber trotzdem gewachsen und hat sich durch die »Nicht-Kollaboration« gestärkt. Sie war die Grundlage der andauernden politischen Diskussion, durch die sich die »unsichtbare Organisation« der Arbeiter entwickelt hat. Gerade an den Knotenpunkten der Produktion werden ununterbrochen politische Versammlungen abgehalten, die dann im sozialen Gewebe der »Arbeiterstadt« weitergeführt und verallgemeinert werden; wobei die jungen Arbeiter an erster Stelle stehen. Die FIAT-Arbeiter sind damit beschäftigt, aus der ganzen internationalen Erfahrung der Arbeiterkämpfe die Formen herauszusuchen, zu kritisieren und auszuwählen, die sich am ehesten dazu eignen, dem immer allgemeineren Angriff, den der Unternehmer vorbereitet, entgegengesetzt zu werden; seit dem Streik der Pariser U-Bahn-Arbeiter schätzen sie vor allem die »Wildkatzenart«, die auch in Italien in ihren Vorstufen seit dem Niedergang des Tarifstreiks aufgetaucht ist.
Was den Arbeitern am »Wildkatzen«-Streik so gefällt, ist vor allem seine räumliche und zeitliche Unvorhersehbarkeit. Die politische Bedeutung dieser Form des Arbeiterkampfs wird in folgendem gesehen: a) Sie verlangt eine »unsichtbare Organisation«, die sich nicht als selbständige Organisation im kapitalistischen Produktionsprozeß institutionalisiert; b) sie wird durch eine andauernde unvorhersehbare Rotation der Taktiken, Methoden, Zeitpunkte und Orte des Streiks durchgeführt; c) es werden keine Forderungen aufgestellt.
Es ist klar, daß die Arbeiter ihn nicht für die einzige Kampfform halten, sondern einfach für die am meisten fortgeschrittene Ebene der »Nicht-Kollaboration«.
Der »Wildkatzen«-Streik schließt den Massenstreik oder den Kampf auf der Straße nicht aus, sondern diese finden im Gegenteil abwechselnd statt und treiben sich so gegenseitig voran und stärken sich. Aber die Dimension des »Wildkatzen«-Streiks ist eine andere: Es ist nicht die Aufgabe einer politischen Organisation, die »Wildkatze« auf vorausbestimmte Weise zu planen, denn gerade dann würde das Risiko bestehen, daß sie vom Unternehmer gezähmt würde. Die Organisation muß hingegen dazu beitragen, den Streik zu intensivieren, während für seine Organisierung und Ausbreitung auch die »unsichtbare Organisation« der Arbeiter ausreicht, für die der »Wildkatzen«-Streik zur andauernden Tatsache wird.
Die »Wildkatze« ist also kein Modell des politischen revolutionären Kampfs; und die Arbeiter sind sich heute darüber im klaren, daß allein ihre Überwindung sie rettet.
Der Streik in den Giessereien geht weiter
Aber die Arbeiter gehen nach der Diskussion zur »sichtbaren« Durchführung des Streiks über (ein Beweis dafür, daß die »unsichtbare Organisation« gerade das Gegenteil von der Weigerung, sich zu organisieren, bedeutet). In den ersten Augusttagen (also kurz nach der Verbreitung der Zeitung wildkatze, die mit viel Enthusiasmus aufgenommen wurde und in allen Turiner Fabriken zirkulierte, wo sie jetzt bekannt ist und diskutiert wird) kommt es um ein Haar zu einem solchen Streik in der Werkstatt 7, die die Schlüsselposition in der ganzen FIAT hat; aber der Streik, der in der Werkstatt 7 nicht stattfindet, wird am 15. Oktober in den Gießereien organisiert. Und jetzt können wir auch die präzise Bedeutung der Tatsache sehen, daß sich die streikenden Arbeiter weigern, sich an die Commissione Interna zu wenden, die sie erst fünf Tage zuvor gewählt hatten! Obwohl die Gewerkschaften sie mit Flugblättern anflehen, schließen sie sie aus dem Kampf aus.
Die »alternativen Thesen« finden in den Fabriken keine Alternative. Der italienische Teil des internationalen Kapitals, der berühmte Valletta hat bereits begriffen, daß die Arbeiter die FIOM mit dem klaren Ziel gewählt hatten, den »Bürokraten« jedes »Alibi« zu nehmen. Er überspringt ein weiteres Mal die Gewerkschaften, weil er die enorme Bedeutung der Arbeiterantwort erkennt, die ihm zum x-ten Mal eines seiner Projekte verbrennt - da braucht es mehr als ein »altes Eisen« wie die Commissione Interna. Er schickt die Kapos zu den Mitgliedern der Commissione Interna, um sie zu bitten, Delegationen zu bilden; doch diese meinen, daß es noch nicht an der Zeit ist, zusammen mit dem wachsenden Ausschuß auch die soeben triumphal eingesetzte Commissione Interna wegzuschmeißen. Der Unternehmer schickt die Kapos also direkt zu den streikenden Arbeitern, damit diese Delegierte wählen; die Kapos nehmen einige Typen mit und schicken sie zur Geschäftsleitung, wo ihnen gesagt wird, daß die permanente Verhandlung über die Arbeitszeit wieder aufgenommen wird ...
Doch unberührt vom gewerkschaftlichen Drama bestehen die Arbeiter auf dem klar anti-kapitalistischen und anti-bürokratischen Charakter ihres Kampfs: Am nächsten Dienstag, den 16. Oktober, breitet sich der Streik nach »Wildkatzenart« auch außerhalb der Werkstatt 4 aus und erreicht andere FIAT-Fabriken. Plötzlich stellt auch die Werkstatt 3 teilweise die Arbeit ein und teilt es den verschiedenen Schichten der Werkstatt 2, einschließlich der Prüfer und Wagenfahrer mit. Plötzlich steht auch die FIAT osa di Stura in allen drei Schichten still, und in allen anderen Werken kommt es zu unvorhergesehenen Stillständen (wie z.B. bei der FIAT Lingotto, wo die Arbeiter einiger Werkstätten für mehrere Stunden die Arbeit niederlegen). Noch ruft niemand die Commissione Interna; keine Institutionalisierung und keine Forderung. An diesem Dienstag sind es mehrere tausend, die auf diese Art streiken und ihre Erfahrung zirkuliert auch außerhalb von Turin im sozialen Gewebe der Arbeiter.
Die Arbeiter weigern sich, Forderungen aufzustellen
Im Streik vom 15./16. Oktober drückte sich das revolutionäre Bewußtsein und der revolutionäre Wille der Arbeiter vor allem in ihrer Weigerung aus, eine positive Forderung an den Unternehmer zu stellen. Und doch ist allen klar, daß dieser Streik eine Antwort auf eine weitere brutale Provokation der Unternehmer ist, nämlich auf den erneuten Angriff auf den Reallohn - fast ein Drittel des Lohns wird durch die Lohnsteuer zurückbehalten! Wieder einmal ist die Haltung der Arbeiter nur für den Unternehmer »irrational« ...
Für seine Entwicklung braucht der Unternehmer die Erhöhung der Kaufkraft der Arbeiter; die Konjunkturschwierigkeiten wurden durch das Programm der ersten Mitte-Links-Regierung vorausgesehen. Nicht vorgesehen war hingegen, daß erstens die Kämpfe außer Kontrolle geraten und damit auch die Löhne in einem »brüsken Sprung« erhöht würden und zweitens (aber nicht weniger wichtig), daß der Arbeiterkampf zu einer Erhöhung der Kosten und einer dementsprechenden Verringerung der Produktivität führen würde; eine wahre Enttäuschung für diejenigen, die eine Beteiligung am Wohlstand im Tausch mit der Kollaboration versprochen hatten ... Aber solange der Unternehmer politisch besser organisiert ist als die Arbeiter, würde ein starkes Beharren auf allgemeinen und nicht planbaren Lohnforderungen zwar zu einer vorübergehenden starken Verlegenheit führen, aus der er aber mit einer größeren reformistischen Geschlossenheit hervorgehen würde, und dies, obwohl die Arbeiter ihn zeitweise in der Unfähigkeit eingeschlossen haben, ihre Kaufkraft zu erhöhen. Es gibt tatsächlich auch Gewerkschafter, die sich dem »Lohnstopp« entgegenstellen und sogar wie die Arbeiter die Taktik der »Kostenerhöhung« unterstützen, weil sie ein Anreiz für innovative Investitionen und Strukturreformen ist ... Dennoch haben die Arbeiter den Weg gewählt, den Arbeitstag durch die »Nicht-Kollaboration« zu verkürzen, weil er es ihnen ermöglicht, die Kontrolle über ihre Kämpfe in den Händen zu behalten.
Schon seit der Wiederaufnahme der Kämpfe, also seit 1960, lernen die FIAT-Arbeiter aus den »externen« Erfahrungen den »provokatorischen« Gebrauch der fortgeschrittensten Forderungen, die die Gewerkschaften demagogisch in ihre Tarifplattform eingefügt haben: Bandgeschwindigkeit - Lohn - Personalbestand - Arbeitszeit, alles und sofort; indem sie beispielsweise die »Bandgeschwindigkeit« angreifen und gleichzeitig antreibende Prämien und Akkorde ablehnen, schalten sie die Gewerkschaften aus jeder führenden Rolle innerhalb des Streiks aus ... Im Juni-Streik bricht vorübergehend der ganze »Forderungskatalog der Arbeiter« mit all seiner vertraglich-gewerkschaftlichen Dimension zusammen).
Nach dem Juni zwingt der Würgegriff der vereinigten Arbeiter den Unternehmer dazu, die Gewerkschaften um eine Kampfpause zu den Punkten zu bitten, über die noch kein Vertrag abgeschlossen worden war. Doch zu diesem Zeitpunkt (Herbst '62) ist der Druck der Arbeiter bereits so stark, daß die Gewerkschaften im verzweifelten Versuch, diesen Druck auf die »Gewerkschaft in der Fabrik« umzuleiten, dazu gezwungen sind, unverändert auf den Forderungen zu beharren ...
Vom Sommer '63 an kehrt sich die Situation um. Der besorgte Unternehmer schickt Laufburschen aus, um die Arbeiter zu befragen und deren Antwort ist klar: »Von Euch haben wir nichts zu fordern«. Die Arbeiter drängen allein auf ihre politische Organisierung. Jetzt ist der Unternehmer gezwungen, die Arbeiter zu provozieren, um zu versuchen, sie über die fortgeschrittensten Forderungen zu kontrollieren, doch die Arbeiter lassen diese als Antwort darauf fallen ...
Der Streik vom 15./16. Oktober zerschlägt die ganze Operation, weil es den Arbeitern gelingt, diejenigen Aspekte ihrer »Nicht-Kollaboration« zu erfassen, die aus ihr schon eine »politische« Antwort machen, also die Antwort auf das klare »politische« Ziel des Unternehmers. Ihre wachsende ökonomische Bedeutung bleibt auch für die politisch vereinigten Arbeiter äußerst wichtig, doch stellt sich hier eine Arbeitsteilung ein, die die Teilung der Klasse widerspiegelt: Die Forderungen und das wirtschaftliche Wachstum überlassen die Arbeiter dem Dialog zwischen Unternehmer und Gewerkschaften - aber die Perspektive der politischen revolutionären Organisation behalten die Arbeiter in den eigenen Händen.
Am 16. Oktober reagieren die Gewerkschaften auf die Weigerung der Arbeiter, Forderungen aufzustellen und erreichen die »kollegiale« Einstimmigkeit der Commissione Interna, indem sie die üblichen, tausendfach abgelehnten, Qualifizierungen, die Wiederaufnahme der permanenten Verhandlung, Gesetzesreformen und demokratische Demonstrationen der Bürgerschaft gegen die »Teuerung« (mit »Hausfrauen« und »Ladenbesitzern« an der Spitze) als die Forderungen der Arbeiter darstellen. Das ganze wird noch klarer, als die Arbeiter weniger als einen Monat später einen anderen unerwarteten Streik bei FIAT Aeritalia, einem ziemlich vernachlässigten und isolierten Betrieb, organisieren ...
Hier bestand eine ziemlich verbreitete Unzufriedenheit über die Arbeitsgeschwindigkeiten, und in dieser Situation provozierte der Unternehmer, als er die Verdienste weiter aufspaltete, um sich mit Hilfe der »berufständischen« Egoismen zu schützen ... Am Morgen des 14. November stellen die Arbeiter der Abteilung »mechanische Verarbeitung« und die Anreißer sofort nach Arbeitsbeginn die Arbeit ein; zwei Stunden später durchqueren einige von ihnen die Lagerhallen und geben der Abteilung Blechverarbeitung Bescheid, daß sie streiken, woraufhin die ihrerseits in den Streik treten - keine Delegation und keiner ruft die Commessione Interna. Erst als die Kapos gezwungen werden, die Arbeiter nach ihren Forderungen zu fragen, verlangen diese provokatorisch einfach 50 Lire mehr in der Stunde und zwar »für alle und sofort«. Dabei wissen sie sehr wohl, daß keine Möglichkeit besteht, diese zu bekommen, und daß sie damit nicht nur die »politische« Diskriminierung zerstören, sondern auch den Versuch der Gewerkschaften, sich durch die Rationalisierung der Löhne einzuschalten. Nun läßt die Geschäftsleitung selbst die Commissione Interna eingreifen, die bis dahin noch nicht einmal von dem Streik erfahren hatte. Das Duett, das nun zwischen Gewerkschaften und Unternehmer beginnt, bleibt ganz und gar außerhalb des Kampfs der Arbeiter: Die Arbeiter geben den Gewerkschaften wenig mehr als eine Stunde Zeit, um die 50 Lire zu kriegen. Und da nach Ablauf der Frist die 50 Lire noch nicht da sind, führen sie den Streik weiter, ohne sich im mindesten um die Verhandlungen zu kümmern, die wirklich auf »allen Ebenen« weitergeführt werden. Da die »Werks«-Verhandlungen in die am 12. wieder aufgenommenen allgemeinen Tarif-Verhandlungen über die Arbeitszeit eingefügt werden, werden die Forderungs-Feuerwerke am nächsten Tag in der Presse hervorgehoben. Doch die Arbeiter führen ihren Streik unbeeindruckt am ganzen folgenden Morgen weiter, ohne irgendwelche Forderungen aufzustellen. Das überlassen sie ganz klar dem Unternehmer und den Gewerkschaften - und das ist auch die Bedeutung des Kampfs, die nach außen dringt.
Die Kommunikation durch die Kämpfe
Dieser Streik ist ein weiteres Beispiel dafür, wie sehr sich durch die Entwicklung der Kämpfe die politische Einheit gestärkt und die Fähigkeit der Arbeiter vergrößert hat, auf einer allgemeinen Ebene ihre politisch wichtigsten Erfahrungen durch das soziale Gewebe »innerhalb« und »außerhalb« des Betriebs zirkulieren zu lassen.
Die Arbeiter haben von selber sehr gut gelernt, die kämpfenden Kerne miteinander zu verbinden, sich gegenseitig durch Massen-Streikposten zu unterstützen oder sich zu einer bestimmten Zeit auf der Straße zu treffen. Jetzt stellen sie sich das Problem, ihren Kampf politisch und subjektiv zu vereinigen.
Die Arbeiter der FIAT-Aeritalia wußten bestens über die Zeitung »Wildkatze« Bescheid, obwohl sie nicht in ihrem Werk verteilt worden war. Ebenso die Arbeiter bei Michelin (anderer Betrieb, andere Branche), die gerade in diesen Tagen von der FILCEP zum gewerkschaftlichen Streik aufgerufen worden waren.
Die Gewerkschaft war sich sicher, bei michelin die übliche »Gewerkschaftslinie« durchsetzen zu können, weil sich bereits zwei »spontane« Arbeitsniederlegungen ereignet hatten, die zeigten, daß im Betrieb eine große Spannung herrschte. So beschränkte sie sich darauf, die Arbeiter mit einer Art Flugblatt-Fragebogen zu befragen, welche Art von »Schwerpunkt«-Kampf [2] sie danach weiterführen wollten (... wobei sie in Wirklichkeit hinterlistig das »Modell Olivetti« vorschlugen ...). Es ist klar, daß die Mehrheit der Arbeiter nicht am (wie sie sagten) »vergewerkschaftlichten« Streik teilnahm: Wer streikt, macht keinen Streikposten und gibt denen, die arbeiten gehen, Recht ... und sowohl die einen wie die anderen sind davon überzeugt, daß die »wirtschaftlichen Errungenschaften« keine Perspektive darstellen. Die einen wie die anderen betonen mit dem gleichen Kampfeswillen die gleiche Notwendigkeit wie die Arbeiter bei FIAT oder bei Lancia: Die Arbeiter müssen ihren Kampf über jede Branchenbegrenzung hinaus führen, um so einen entscheidenden Schritt zur Klärung der politischen revolutionären Organisation zu machen.
Dieser Prozeß schließt sogar den berühmten »Schwerpunkt-Kampf« bei Olivetti in Ivrea ein, der zweifellos der einzige Großbetrieb ist, wo die Gewerkschaften noch nicht vernichtend abgewiesen worden sind: Auch hier überspringen die »Jungen« fröhlich die Vorschläge und Initiativen der Gewerkschaft. Ihr absolutes Desinteresse für die Art und Weise, wie die Gewerkschaft die Rationalisierung der Akkorde fordert, beunruhigt den Unternehmer aus politischen Gründen aufs äußerste. Es ist klar, daß auch sie so weit »außer Kontrolle« geraten sind, daß die Gewerkschaft um ihr Gesicht zu retten sogar gezwungen ist, ihren Schwerpunktkämpfen immer mehr einen Schein von »Wildkatze« zu geben ... Die Tendenz zur Neuzusammensetzung ist bei Olivetti so stark, daß sogar die 300 »Trainer« (Streikbrecher mit der besonderen Funktion, die Arbeitsgeschwindigkeiten der anderen anzuheben) spontan mit den anderen gestreikt haben. Dies ist ein so klares Zeichen für die politische Vereinigung außerhalb der Kontrolle des Unternehmers, daß es geheimgehalten wurde.
Der Arbeiterkampf entwickelt sein maximales politisches Potential an den Knotenpunkten seines Netzes, wo sich die politische Erfahrung der größten Arbeiterkonzentrationen ansammelt, die durch die höchste Intensität des offenen Kampfs gebildet und entwickelt wurde - die Explosion dieser Knotenpunkte pflanzt sich in Wellenbewegungen im ganzen umfassenden Netz fort in Richtung auf die fortschreitende Vereinigung und das politische Wachstum.
Die allgemeine Kampfwelle, die auch durch den Tarifstreik der Chemie-Arbeiter verursacht worden sein kann, stellt sicher nicht das endgültige Modell der politischen revolutionären Organisation dar, kann aber ein weiterer bemerkenswerter Schritt in diese Richtung sein. Es hat nur beschränkt Sinn, zu sagen, daß allgemein wahrscheinlich noch kein ausreichendes Kräftepotential vorhanden ist, das die FIAT-Arbeiter festigen und in einem neuen großen Massenstreik umsetzen könnten, denn auch der »Wildkatzen«-Streik bei FIAT hat zur politischen Entwicklung der ganzen Bewegung beigetragen!
Das Problem, das sich dem Arbeiterbewußtsein hingegen stellt, ist das der Leitung des Prozesses und dessen Beschleunigung durch die Massenavantgarden auf der Basis einer Strategie, die diesen Prozeß in einen Kampf für die allgemeine politische Macht umwandelt. Den andauernden Kampf über die »Wildkatze« hinauszubringen, verlangt vor allem ein »Mehr« an Voraussicht, Theorie, Organisation, Strategie und damit ein »Mehr« an internationaler Organisation des revolutionären politischen Kampfs. Sonst wird das durch ihn ausgedrückte Arbeiterbewußtsein, obwohl es schon »über« das Besondere und den Arbeitsprozeß hinausgeht, auf der gegenwärtigen Grundlage nicht weit »darüber« hinausgehen können.
Von FIAT, als Grenzsituation, werden Hinweise auf die ersten Formen einer politischen Organisation kommen, die wirklich »außerhalb« der kapitalistischen Akkumulation steht und die die Rolle der strategischen Leitung der politischen Bewegung der Arbeiterklasse übernehmen kann. Bei FIAT, wie in der ganzen italienischen Arbeiterklasse, blicken die Arbeiter schon auf den endgültigen Kampf: Heute können wir in der »Besonderheit« der Antworten auf den kollektiven Unternehmer einen taktischen Arbeitergebrauch der Weigerung, Forderungen zu stellen und der Verweigerung der Klassen-Kollaboration finden, doch man bewegt sich schon in die Richtung eines Gebrauchs dieser Waffen in ihrer vollen Stärke als strategische Waffen des revolutionären Durchbruchs.
Fußnoten:
[1] Anm. d. Ü.: Den marxistischen Begriff »Kooperation« haben wir natürlich so stehen lassen; schwieriger war es mit dem Alquati'schen Begriff »collaborazione« [Zusammenarbeit, Mitarbeit], der deswegen schlecht zu übersetzen ist, weil er ihn widersprüchlich benutzt.
[2] Anm. d. Ü.: Gemeint ist die damalige gewerkschaftliche Taktik der nach Schwerpunkten »gegliederten« Tarifverhandlung.