Über die kapitalistische Anwendung der Maschinerie im Spätkapitalismus
Raniero Panzieri, in: Quaderni Rossi, Nr. 1, 1961
Bekanntlich tritt nach Marx die einfache Kooperation historisch zu Beginn des Entwicklungsprozesses der kapitalistischen Produktionsweise auf. Aber diese einfache Gestalt der Kooperation ist nur eine besondere Form der Kooperation als Grundform der kapitalistischen Produktionsweise [1]. »Die kapitalistische Form setzt (...) von vornherein den freien Lohnarbeiter voraus, der seine Arbeitskraft dem Kapital verkauft«. Aber der Arbeiter tritt als Eigentümer und Verkäufer seiner Arbeitskraft nur als Vereinzelter in ein Verhältnis zum Kapital. Die Kooperation, dieses wechselseitige Verhältnis der Arbeiter untereinander, »beginnt erst im Arbeitsprozeß, aber im Arbeitsprozeß haben sie bereits aufgehört, sich selbst zu gehören. Mit dem Eintritt in denselben sind sie dem Kapital einverleibt. Als Kooperierende, als Glieder eines werktätigen Organismus, sind sie selbst nur eine besondere Existenzweise des Kapitals. Die Produktivkraft, die der Arbeiter als gesellschaftlicher Arbeiter entwickelt, ist daher Produktivkraft des Kapitals. Die gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit entwickelt sich unentgeltlich, sobald die Arbeiter unter bestimmte Bedingungen gestellt sind, und das Kapital stellt sie unter diese Bedingungen. Weil die gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit dem Kapital nichts kostet, weil sie andrerseits nicht von dem Arbeiter entwickelt wird, bevor seine Arbeit selbst dem Kapital gehört, erscheint sie als Produktivkraft, die das Kapital von Natur besitzt, als seine immanente Produktivkraft« [2].
Der kapitalistische Produktionsprozeß entwickelt sich in seinen verschiedenen historischen Phasen als Entwicklungsprozeß der Arbeitsteilung, und dieser Prozeß spielt sich hauptsächlich in der Fabrik ab: »Es ist ein Produkt der manufakturmäßigen Teilung der Arbeit, ihnen [den Teilarbeitern] die geistigen Potenzen des materiellen Produktionsprozesses als fremdes Eigentum und sie beherrschende Macht gegenüberzustellen. Dieser Scheidungsprozeß beginnt in der einfachen Kooperation, wo der Kapitalist den einzelnen Arbeitern gegenüber die Einheit und den Willen des gesellschaftlichen Arbeitskörpers vertritt. Er entwickelt sich in der Manufaktur, die den Arbeiter zum Teilarbeiter verstümmelt. Er vollendet sich in der großen Industrie, welche die Wissenschaft als selbständige Produktionspotenz von der Arbeit trennt und in den Dienst des Kapitals preßt« [3].
Die Entwicklung der Technologie vollzieht sich ausschließlich innerhalb dieses kapitalistischen Prozesses. So zersplittert die Arbeit auch sein mag, das handwerkliche Geschick bleibt doch die Grundlage der Manufaktur, und da »der in ihr funktionierende Gesamtmechanismus kein von den Arbeitern selbst unabhängiges objektives Skelett besitzt, ringt das Kapital beständig mit der Insubordination der Arbeiter«. Die Manufaktur hat also eine enge technische Basis, die »mit den von ihr selbst geschaffenen Produktionsbedürfnissen in Widerspruch« gerät [4]. Die Einführung der Maschinen in großem Maßstab kennzeichnet den (Übergang von der Manufaktur zur Großindustrie. Dieser Übergang erscheint einerseits als Aufhebung des »technischen Grundes der lebenslangen Annexation des Arbeiters an eine Teilfunktion (...) Andrerseits fallen die Schranken, welche dasselbe Prinzip der Herrschaft des Kapitals noch auferlegte« [5].
Die im kapitalistischen System angewandte Technologie zerstört gleichzeitig das »alte System der Teilung der Arbeit« und konsolidiert es systematisch »als Exploitationsmittel der Arbeitskraft in noch ekelhaftrer Form. Aus der lebenslangen Spezialität, ein Teilwerkzeug zu führen, wird die lebenslange Spezialität, einer Teilmaschine zu dienen. (...) Nicht nur werden so die zu seiner eignen Reproduktion nötigen Kosten bedeutend vermindert, sondern zugleich seine hilflose Abhängigkeit vom Fabrikganzen, also dem Kapitalisten, vollendet« [6].
Der technische Fortschritt selbst erscheint also als Existenzweise des Kapitalismus, als seine Weiterentwicklung. »Selbst die Erleichterung der Arbeit wird zum Mittel der Tortur, indem die Maschine nicht den Arbeiter von der Arbeit befreit, sondern seine Arbeit vom Inhalt. Aller kapitalistischen Produktion, soweit sie nicht nur Arbeitsprozeß, sondern zugleich Verwertungsprozeß des Kapitals ist, ist es gemeinsam, daß nicht der Arbeiter die Arbeitsbedingung, sondern umgekehrt die Arbeitsbedingung den Arbeiter anwendet, aber erst mit der Maschinerie erhält diese Verkehrung technisch handgreifliche Wirklichkeit. Durch seine Verwandlung in einen Automaten tritt das Arbeitsmittel während des Arbeitsprozesses selbst dem Arbeiter als Kapital gegenüber, als tote Arbeit, welche die lebendige Arbeitskraft beherrscht und aussaugt« [7].
Die automatische Fabrik begründet potentiell die Herrschaft der assoziierten Produzenten über den Arbeitsprozeß. Aber bei der kapitalistischen Anwendung der Maschinerie, in dem modernen Fabriksystem »ist der Automat selbst das Subjekt, und die Arbeiter sind nur als bewußte Organe seinen bewußtlosen Organen beigeordnet und mit denselben der zentralen Bewegungskraft untergeordnet« [8]. Es kann also unter anderem festgestellt werden: 1) die kapitalistische Anwendung der Maschinerie ist keine bloße Verzerrung oder Abweichung von einer »objektiven«, in sich rationalen Entwicklung, sondern sie bestimmt den technischen Fortschritt; 2) »die Wissenschaft, die ungeheuren Naturkräfte und die gesellschaftliche Massenarbeit (sind) im Maschinensystem verkörpert (...) und (bilden) mit ihm die Macht des »Meisters« [9]. Für den individuellen, »entleerten« Arbeiter äußert sich die technische Entwicklung also als Entwicklung des Kapitalismus: »als Kapital, und als solches besitzt der Automat im Kapitalisten Bewußtsein und Willen« [10]. In dem »Hirn [des Meisters] (sind) die Maschinerie und sein Monopol an derselben unzertrennlich verwachsen« [11].
Je höher das Niveau des technologischen Fortschritts des Industrialisierungsprozesses ist, desto mehr verstärkt sich die Autorität des Kapitalisten. Mit dem zunehmenden Umfang der dem Arbeiter gegenüberstehenden Produktionsmittel wächst die Notwendigkeit einer absoluten Kontrolle von seiten des Kapitalisten. Der Plan des Kapitalisten wird den Lohnarbeitern ideell als »Zusammenhang ihrer Arbeiten« gegenübergestellt, »praktisch als Autorität des Kapitalisten (...), als Macht eines fremden Willens« [12]. Eng verbunden mit der Entwicklung der kapitalistischen Anwendung der Maschinen vollzieht sich also die Entwicklung der kapitalistischen Programmierung. Der Entwicklung der Kooperation, des gesellschaftlichen Arbeitsprozesses, entspricht in der kapitalistischen Leitung die Entwicklung des Planes zum Despotismus. In der Fabrik bringt das Kapital seine Macht in zunehmendem Maße »privatgesetzlich« zur Geltung. Sein Despotismus ist seine Planung, »die kapitalistische Karikatur der gesellschaftlichen Regelung des Arbeitsprozesses« [13].
Die technischen und organisatorischen Veränderungen des Kapitalismus und die objektivistischen Interpretationen
Die Methodologie, die Marx bei der Analyse der Arbeitsteilung im System der kapitalistisch geleiteten Großindustrie angewandt hat, erscheint geeignet, die verschiedenen »objektivistischen« Ideologien zu widerlegen, die derzeit im Hinblick auf den technischen Fortschritt (insbesondere im Zusammenhang mit der Phase der Automation) wieder aufkommen. Die kapitalistische Entwicklung der Technologie bringt durch die verschiedenen Phasen der Rationalisierung, durch immer subtilere Formen der Integration, usw., eine ständig wachsende kapitalistische Kontrolle mit sich. Das Hauptmerkmal dieses Prozesses ist die Zunahme des konstanten Kapitals im Verhältnis zum variablen Kapital. Im Spätkapitalismus kommt es mit dem Übergang zu monopolistischen und oligopolistischen Formen zu einer ungeheuren Ausweitung der Planung, die von der Fabrik auf den Markt und dann auf alle Bereiche der Gesellschaft übergreift.
Es gibt keinen »objektiven«, verborgenen Faktor, der dem technischen Fortschritt oder der Planung in der spätkapitalistischen Gesellschaft immanent ist und die »automatische« Transformation oder den »notwendigen« Umsturz der bestehenden Verhältnisse gewährleistet. Die allmählich erreichten neuen »technischen Grundlagen« der Produktion stellen für den Kapitalismus neue Möglichkeiten der Konsolidierung seiner Macht dar. Das heißt natürlich nicht, daß sie nicht gleichzeitig auch neue Möglichkeiten der Systemüberwindung eröffnen. Aber diese Möglichkeiten fallen mit dem systemsprengenden Charakter zusammen, den die »Insubordination der Arbeiter« gegenüber dem immer unabhängigeren »objektiven Skelett« des kapitalistischen Mechanismus tendenziell annimmt.
Die »objektivistischen«, »ökonomistischen« Ideologien weisen daher offensichtlich in bezug auf die Probleme des technischen Fortschritts und der Betriebsorganisation die interessantesten Aspekte auf. Wir beziehen uns hierbei natürlich nicht auf die neokapitalistischen Ideologien, sondern auf Anschauungen, die innerhalb der Arbeiterbewegung und ihrer theoretischen Problematik entwickelt wurden.
Der Prozeß der Erneuerung der Klassengewerkschaft gegen die alten ideologischen Verkrustungen der Gewerkschaftsaktion geht in diesen Jahren in erster Linie von der Anerkennung der »neuen Realitäten« des Spätkapitalismus aus. Aber die Aufmerksamkeit, die den Veränderungen der gegenwärtigen technologischen und ökonomischen Phase zu Recht geschenkt wird, wird in zahlreichen Positionen und Analysen verzerrt, indem diese Veränderungen in »reiner«, idealisierter Form dargestellt werden, isoliert von den konkreten Zusammenhängen mit den allgemeinen und (in bezug auf die Macht) entscheidenden Elementen der kapitalistischen Organisation [14]. Die Rationalisierung mit ihrer ungeheuren Zersplitterung der Arbeit, mit der »Sinnentleerung« der Funktionen des Arbeiters, wird als eine zwar »schmerzliche«, aber notwendige Phase des Übergangs zu dem Stadium betrachtet, in dem die »Teilarbeiten wieder vereint und zusammengefaßt« werden. Es wird widersprüchlicherweise anerkannt, daß die verringerte Anwendung der lebendigen Arbeit in der Produktion und die damit verbundene Erhöhung des konstanten Kapitals zu einer Kontinuität des Zyklus führt und zu einer »weiteren Verstärkung der inneren und äußeren Interdependenz: ebenso wie innerhalb einer Produktionseinheit der einzelne Arbeitsplatz und der einzelne Arbeiter nur als Teil eines organisch gefügten Ganzen gesehen werden können, so sind jede einzelne Produktionseinheit und ihr Verhalten nach außen hin enger mit dem ganzen Wirtschaftskörper verflochten« [15].
Neue Merkmale der kapitalistischen Organisation werden so mit Entwicklungsstufen einer objektiven »Rationalität« verwechselt. So wird beispielsweise die positive, »rationale« Funktion des MTM betont, da »der Techniker durch die Fertigungszeiten gezwungen ist, die Methoden zu untersuchen« [16]! Darüber hinaus wird vollkommen übersehen, zu welchen verheerenden Auswirkungen es in einem modernen Großbetrieb »mit einer geplanten und kontinuierlichen Produktion« kommen kann, wenn »ein Arbeiter oder eine Gruppe von Arbeitern den Anforderungen nicht entspricht, die aufgrund der im Produktionsprogramm des Betriebs formulierten Prognosen an sie gestellt werden« [17]; betont wird dagegen die (natürlich »rationale«) Notwendigkeit »des sogenannten 'moralischen' Verhältnisses zwischen Unternehmern und Arbeitenden, das Voraussetzung und Zweck der sogenannten 'human relations' ist, weil die Zusammenarbeit eben einzig und allein auf ihrer Grundlage hergestellt werden kann«: »einer integrierten Produktion muß eine Integration des Arbeiters in den Betrieb entsprechen, und diese Integration muß freiwillig erfolgen, da kein Zwang und keine Disziplin die Menschen dazu bringen kann, auf die Freiheit zu verzichten, beispielsweise an einem Tag etwas weniger und an einem anderen Tag etwas mehr zu produzieren«, usw. [18]. So daß »diese Bewegung [der 'human relations'] erst dann wird aufhören können, wenn man ihre positiven Aspekte übernommen haben wird«; wobei die Gewerkschaften allerdings eingreifen müssen, um »gefährliche Formen des Betriebspatriotismus zu unterbinden, die eng mit den 'human relations' selbst verknüpft sind« [19]! Die Substanz der Integrationsprozesse wird also akzeptiert, und ihnen wird eine immanente Notwendigkeit zugesprochen, die zwangsläufig aus dem Wesen der »modernen« Produktion hervorgeht. Es wird lediglich gefordert, einige »Verzerrungen« zu korrigieren, die dieser Prozeß im Kapitalismus erfährt. Sogar die »funktionale« Organisation der Produktion wird in diesem Rahmen nur in ihrer technologisch »sublimierten« Form gesehen, geradezu als eine Überwindung der Hierarchisierung, die die früheren Phasen der Mechanisierung kennzeichnete. Man hegt nicht den leisesten Verdacht, daß der Kapitalismus die neue »technische Basis«, die der Übergang zum Stadium der fortgeschrittenen Mechanisierung (und der Automatisierung) ermöglicht hat, dazu ausnutzen könnte, um die autoritäre Struktur der Fabrikorganisation zu verewigen und zu konsolidieren; der ganze Industrialisierungsprozeß ist nämlich angeblich von der »technologischen« Zwangsläufigkeit beherrscht, die zur Befreiung »des Menschen von den Schranken führt, die ihm seine Umwelt und seine physischen Möglichkeiten auferlegen«. Die »Verwaltungsrationalisierung«, der gewaltige Ausbau von Funktionen der »Organisation nach außen hin« werden ebenso in einer »technischen«, »reinen« Form gesehen: die Beziehung zwischen diesen Entwicklungen und den Widersprüchen und Prozessen des Spätkapitalismus (der nach immer komplexeren Mitteln sucht, um seine Planung durchzusetzen), d.h. die konkrete historische Wirklichkeit, in der die Arbeiterbewegung lebt und kämpft, die heutige »kapitalistische Anwendung« der Maschinen und der Organisation - alles das wird zugunsten einer idyllischen technologischen Konzeption völlig übersehen.
In bezug auf das Wesen der Arbeitsleistung in der modernen Fabrik sind die Entstellungen, die einer »objektiven« Betrachtung der neuen technologischen und organisatorischen Formen entspringen, besonders bedenklich. Es wird auf das Ende der Parzellierung der Arbeit und auf das Auftreten neuer, einheitlicher Funktionen hingewiesen, die Verantwortungsbewußtsein, Entschlußkraft und vielseitige technische Vorbereitung erforderten [20]. Die Entwicklung der mit dem Management verbundenen Techniken und Funktionen wird von ihrem konkreten gesellschaftlichen Zusammenhang, nämlich von der zunehmenden Konzentration der kapitalistischen Macht, isoliert und dementsprechend als Quelle neuer Kategorien von Arbeitenden (Techniker, »Intellektuelle der Produktion«) betrachtet, die »ihrer Natur nach«, als unmittelbare Folge ihrer neuen Berufe, die Widersprüche »zwischen Wesen und Erfordernissen der Produktivkräfte und den Produktionsverhältnissen« aufheben würden [21]. Der Gegensatz zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen erscheint hier als technische »Inkongruenz«: »wenn es beispielsweise um die Wahl der besten Kombination bestimmter Produktionsfaktoren geht, die heutzutage mit objektiv immer zuverlässigeren Methoden getroffen werden kann, sind sie [die Arbeitenden neuen Typs] gezwungen, die objektiv besten Lösungen abzulehnen, um sich innerhalb der von den Privatinteressen gesetzten Grenzen zu halten« [22]. Und unter diesem Gesichtspunkt steht fest, daß »Hammer und Sichel ... heute nur ideell ein Symbol der menschlichen Arbeit sein können« [23]! Das alles wirkt sich natürlich unmittelbar auf die Konzeption von den Arbeiterkämpfen und auf die Vorstellung von den Protagonisten dieser Kämpfe selbst aus. Die Realität der heutigen Kämpfe zeigt, daß die verschiedenen »Schichten« der Arbeitenden, die die heutige Organisation der großen Fabrik hervorgerufen hat, sich in der Forderung nach Mitbestimmung treffen [24]. Dieser Prozeß erfolgt natürlich auf der Grundlage objektiver Faktoren, die eben in der unterschiedlichen »Stellung« der Arbeiter im Produktionsprozeß, in ihrem jeweils verschiedenen Verhältnis zu Produktion und Organisation, usw., bestehen. Aber man kann das Spezifische dieses Prozesses der »Vereinheitlichung und Zusammenfassung« nicht erfassen, wenn man den Zusammenhang zwischen dem »technologischen« Faktor und dem politisch-organisatorischen (d.h. Macht-) Faktor im kapitalistischen Produktionsprozeß übersieht oder bewußt ignoriert. Das Klassenniveau manifestiert sich nicht als Fortschritt, sondern als Bruch, nicht als »Enthüllung« der verborgenen Rationalität, die dem modernen Produktionsprozeß innewohnt, sondern als Schaffung einer vollkommen neuen Rationalität, die im Gegensatz zu der vom Kapitalismus praktizierten Rationalität steht. Wenn die Arbeiter der großen Fabriken heute ein Klassenbewußtsein entwickeln, so »kommt darin nicht nur die grundlegende Forderung nach einer Entfaltung der Persönlichkeit in der Arbeit zum Ausdruck, sondern auch eine strukturell motivierte Forderung nach der Verwaltung der politischen und wirtschaftlichen Macht des Unternehmens und damit der Gesellschaft« [25].
Deshalb tragen die oben erwähnten Faktoren der »objektiven« Bestimmung der verschiedenen Schichten von Arbeitenden im Produktionsprozeß zweifellos dazu bei, daß die Arbeiter sich der politischen Implikationen der Produktion »kollektiv« bewußt werden. Aber damit bildet sich eine geschlossene, systemdurchbrechende Kraft heraus, die die heutigen technologischen, organisatorischen und Eigentumsverhältnisse der kapitalistischen Fabrik in allen ihren Aspekten anzugreifen droht.
Integration und Gleichgewicht des Systems
Bei der vollen Bejahung der Rationalisierungsprozesse (die als Gesamtheit der im Rahmen des Kapitalismus entwickelten Produktionstechniken verstanden werden) wird übersehen, daß gerade der kapitalistische »Despotismus« die Form der technologischen Rationalität annimmt. Im Kapitalismus werden nicht nur die Maschinen, sondern auch die »Methoden«, die Organisationstechniken, usw., dem Kapital einverleibt und den Arbeitern als Kapital, als ihnen fremde »Rationalität«, gegenübergestellt. Die kapitalistische »Planung« setzt die Planung der lebendigen Arbeit voraus, und je größere Anstrengungen unternommen werden, um sie als ein in sich geschlossenes, vollkommen rationales System darzustellen, desto abstrakter und partieller ist sie und erscheint nur für eine hierarchisch gegliederte Organisation geeignet. Die Kontrolle und nicht die »Rationalität«, der Machtanspruch der assoziierten Produzenten und nicht die technische Planung ermöglichen es, ein angemessenes Verhältnis zu den technischen und ökonomischen Gesamtprozessen zu gewährleisten.
Bei einer »technischen«, pseudowissenschaftlichen Betrachtungsweise der neuen Probleme und der neuen Widersprüche, die im heutigen kapitalistischen Unternehmen auftreten, ist es in der Tat möglich, für die neuen Ungleichgewichte immer »fortgeschrittenere« Lösungen zu finden, bei denen die Entfremdung nicht nur im wesentlichen unangetastet bleibt, sondern durch die das Gleichgewicht des Systems sogar noch konsolidiert wird. Die soziologischen und Organisationsideologien des modernen Kapitalismus weisen verschiedene Phasen auf, vom Taylorsystem über den Fordismus bis hin zur Entwicklung der Integrationstechniken wie human engineering, human relations, Regelung der Kommunikationen, usw. [26]. Diese Techniken stellen den immer subtileren und komplizierteren Versuch dar, die Planung der lebendigen Arbeit den jeweiligen, durch die ständige Zunahme des konstanten Kapitals bedingten Erfordernissen der Produktionsplanung anzupassen [27]. Angesichts dessen versteht es sich, daß die »Informationstechniken«, die den Protest der Arbeiter gegen den »totalen« Charakter der Entfremdungsprozesse in der rationalisierten Großfabrik neutralisieren sollen, immer größere Bedeutung gewinnen. Natürlich findet man sich bei der konkreten Analyse mit Situationen konfrontiert, die in dieser Hinsicht sehr unterschiedlich sind, was mit einer Vielzahl spezifischer Faktoren zusammenhängt (Unterschiede in der technologischen Entwicklung, in der subjektiven Zielsetzung der kapitalistischen Leitung, usw.); aber worauf es uns hier ankommt, ist die Feststellung, daß der Kapitalismus bei der Anwendung der »Informationstechniken« zur Manipulation des Verhaltens der Arbeiter einen breiten, unbestimmbaren Spielraum für »Zugeständnisse« besitzt. Die Grenze, bei deren Überschreitung die »Information« über die globalen Produktionsprozesse aufhört, ein Faktor der Stabilisierung der Macht des Kapitals zu sein, ist nicht bestimmbar. Fest steht, daß die Informationstechniken in der komplexeren Situation des modernen kapitalistischen Betriebs tendenziell jenen »Reiz« der Arbeit wiederherstellen, von dem bereits im Kommunistischen Manifest die Rede war [28].
Die Verbreitung der Informationstechniken und ihres Anwendungsbereichs ebenso wie die Ausweitung der Sphäre der technischen Entscheidungen [29] passen ausgezeichnet in das Bild der kapitalistischen »Karikatur« der gesellschaftlichen Regelung der Produktion. Es muß also betont werden, daß das »Produktionsbewußtsein« nicht den Umsturz des Systems herbeiführt und daß die Teilnahme der Arbeiter an dem »funktionalen Plan« des Kapitalismus an sich ein Faktor der Integration, der Entfremdung, sozusagen an den äußersten Grenzen des Systems, ist. Allerdings stellt die Entwicklung der »Stabilisierungsfaktoren« im Spätkapitalismus für die Aktion der Arbeiterklasse eine Prämisse dar, die den totalen Umsturz der kapitalistischen Ordnung unmittelbar notwendig macht. Der Kampf der Arbeiterklasse erscheint deshalb als Notwendigkeit des globalen Antagonismus gegen den kapitalistischen Plan, wobei das dialektische Bewußtsein der Einheit der beiden Momente der gegenwärtigen Produktionsorganisation, nämlich des »technischen« und des »despotischen« Moments, ausschlaggebend ist. Die revolutionäre Aktion muß die technologische »Rationalität« »verstehen«, aber nicht um sie zu akzeptieren und zu verherrlichen, sondern um sie einer neuen Verwendung zuzuführen, nämlich der sozialistischen Verwendung der Maschinerie [30].
Die Löhne und die politische Knechtschaft
Da sich mit der modernen Organisation der Produktion »theoretisch« für die Arbeiterklasse neue Möglichkeiten ergeben, die Produktion selbst zu kontrollieren und zu lenken, während andererseits durch die immer stärkere Konzentration der Machtentscheidungen die Entfremdung »praktisch« auf die Spitze getrieben wird, zielt der Kampf der Arbeiterklasse, und zwar jeder Kampf der Arbeiterklasse, tendenziell auf die politische Durchbrechung des Systems. Und diese Systemdurchbrechung beruht nicht auf dem Vergleich zwischen den »rationalen« Erfordernissen, die den neuen Techniken immanent sind, und der Verwendung, die der Kapitalismus von ihnen macht, sondern auf dem Widerstand einer Arbeiterkollektivität, die die Unterordnung der Produktionsprozesse unter die gesellschaftlichen Kräfte fordert. Eine Kontinuität der technisch-ökonomischen Entwicklung über den revolutionären Sprung hinaus gibt es nicht: die Aktion der Arbeiterklasse stellt die Grundlagen des Systems und alle seine Äußerungen und Aspekte auf allen Ebenen in Frage.
Der technische Fortschritt, »diese stets rascher einander verdrängenden Erfindungen und Entdeckungen, diese sich in bisher unerhörtem Maße Tag auf Tag steigernde Ergiebigkeit der menschlichen Arbeit« [31] ist natürlich im Wesen der kapitalistischen Entwicklung begründet.
Aber während dieser Prozeß bei Engels zur »Spaltung der Gesellschaft in eine kleine, übermäßig reiche, und eine große, besitzlose Lohnarbeiterklasse« führt, sieht Marx die Erhöhung nicht nur des Nominal-, sondern auch des Reallohns voraus: »Vermehrt sich ... die Einnahme des Arbeiters mit dem raschen Wachstum des Kapitals, so vermehrt sich gleichzeitig die gesellschaftliche Kluft, die den Arbeiter vom Kapitalisten scheidet, so vermehrt sich gleichzeitig die Macht des Kapitals über die Arbeit, die Abhängigkeit der Arbeit vom Kapital« [32]. Je rascher also das Kapital anwächst, desto besser wird die materielle Lage der Arbeiterklasse. Und je enger der Arbeitslohn mit dem Wachstum des Kapitals verknüpft ist, desto unmittelbarer ist die Abhängigkeit der Arbeit vom Kapital. Anders ausgedrückt: in dem Maße, wie sich die materielle Lage des Arbeiters verbessert, verschlechtert sich seine gesellschaftliche Lage, vertieft sich die »gesellschaftliche Kluft, welche ihn vom Kapitalisten trennt« [33].
In diesem direkten Verhältnis zwischen Arbeitslohn und Kapital ist »die günstigste Bedingung für die Lohnarbeit ... möglichst rasches Wachstum des produktiven Kapitals«: d.h. »Je rascher die Arbeiterklasse die ihr feindliche Macht, den fremden, über sie gebietenden Reichtum vermehrt und vergrößert, unter desto günstigern Bedingungen wird ihr erlaubt, von neuem an der Vermehrung des bürgerlichen Reichtums, an der Vergrößerung der Macht des Kapitals zu arbeiten, zufrieden, sich selbst die goldnen Ketten zu schmieden, woran die Bourgeoisie sie hinter sich herschleift« [34].
Auch in der »Kritik des Gothaer Programms« weist Marx darauf hin, daß »das System der Lohnarbeit ein System der Sklaverei, und zwar einer Sklaverei ist, die im selben Maß härter wird, wie sich die gesellschaftlichen Produktivkräfte der Arbeit entwickeln, ob nun der Arbeiter bessere oder schlechtere Zahlung empfange« (Hervorhebung durch mich, R.P.). Lenin stellt diesen Aspekt des Marxismus klar heraus: »Und wir wissen, daß auch die Marxsche Theorie diese Ansicht der Klassiker von der Akkumulation übernommen hat, indem sie anerkennt, daß sich, je rascher der Reichtum wächst, die Produktivkräfte der Arbeit und ihre Vergesellschaftung desto vollständiger entwickeln, die Lage des Arbeiters desto mehr verbessert, soweit sie sich in dem gegebenen System der Volkswirtschaft überhaupt verbessern kann« [35]. Die ständige Vertiefung der »gesellschaftlichen Kluft« zwischen Arbeitern und Kapitalisten wird von Marx auch in der Form des relativen Lohns und seiner Verringerung ausgedrückt. Aber dieser Begriff impliziert natürlich das Element des politischen Bewußtseins, nämlich der Einsicht, daß der Verbesserung der materiellen Bedingungen, der Zunahme des Nominal- und des Reallohns die Verstärkung der »politischen Abhängigkeit« entspricht. Die sogenannte Unvermeidlichkeit des Übergangs zum Sozialismus ist nicht im materiellen Konflikt begründet, sondern sie hängt, gerade aufgrund der ökonomischen Entwicklung des Kapitalismus, mit der »Unerträglichkeit« der gesellschaftlichen Kluft zusammen, die sich nur als politische Bewußtwerdung äußern kann. Aber gerade deshalb wird mit der Umwälzung des Systems durch die Arbeiterklasse die ganze Organisation negiert, in der die kapitalistische Entwicklung sich manifestiert, und in erster Linie die Technologie, da sie mit der Produktivität verknüpft ist.
Der Mechanismus Lohn-Produktivität kann also nicht durch die »allgemeine« Forderung nach einer Erhöhung des Lohnniveaus durchbrochen und überwunden werden. Natürlich ist der Kampf um die Nivellierung des Lohngefälles ein Aspekt der Überwindung dieses Verhältnisses. Für sich genommen garantiert er keineswegs die Systemüberwindung, sondern lediglich »goldenere Fesseln« für die gesamte Arbeiterklasse. Allein der Angriff auf die Wurzeln der Entfremdungsprozesse, das Bewußtsein der zunehmenden »politischen Abhängigkeit« vom Kapital ermöglicht eine wirklich allgemeine Klassenaktion [36].
Mit anderen Worten: die Kampfbereitschaft, die revolutionäre Kraft der Arbeiterklasse erscheint (potentiell) gerade in den »Wachstumsbereichen« des Kapitalismus am stärksten, d.h. dort, wo sich die Arbeiterklasse aufgrund des erdrückenden Verhältnisses des konstanten Kapitals gegenüber der lebendigen Arbeit und der diesem Verhältnis aufgeprägten Rationalität unmittelbar die Frage ihrer politischen Knechtschaft stellt. Übrigens entspricht die zunehmende Abhängigkeit der »äußeren« gesellschaftlichen Gesamtprozesse vom kapitalistischen Plan, wie sie sich vor allem auf der Ebene des Betriebs äußert, der elementaren Logik der kapitalistischen Entwicklung. Bekanntlich hat Marx wiederholt auf diese ständig wachsende Ausbreitung der Grundlagen der kapitalistischen Macht hingewiesen: als Grenzfall fällt die Arbeitsteilung in der Fabrik tendenziell mit der gesellschaftlichen Arbeitsteilung zusammen - was natürlich nicht in eng ökonomistischem Sinne zu verstehen ist.
Konsum und Freizeit
Der »Objektivismus« erkennt die kapitalistische »Rationalität« auf Betriebsebene an, spricht dem Kampf innerhalb der Strukturen und in den Wachstumsbereichen jede Bedeutung ab und neigt vielmehr dazu, die Wichtigkeit der Aktion in der äußeren Sphäre, nämlich der des Lohns und des Konsums, zu betonen; infolgedessen sucht er nach einer »Dialektik« zwischen Kapital und Arbeit auf höherem Niveau innerhalb des Systems, überschätzt den Wert der Aktion auf staatlicher Ebene, unterscheidet bzw. trennt das gewerkschaftliche und das politische Moment, usw. So erschöpfen sich schließlich auch die ernsthaftesten Debatten (die heute vor allem in der Klassengewerkschaft ausgetragen werden) in einer bloßen Bestätigung der alten »demokratischen« Tendenzen des Kampfes der Arbeiterklasse, wenngleich in kritischeren und moderneren Formen. Alle Analysen und Bemühungen, die Gewerkschaftsaktion den Entwicklungsbedingungen des Kapitalismus anzupassen, laufen damit Gefahr, schließlich in eine Bekräftigung alter Positionen einzumünden, die zwar mit neuem Inhalt erfüllt werden, die ihrer Form nach aber mystifiziert sind. So »wird die autonome Aktion der breiten Massen niemals a priori bestimmt, sondern erst, nachdem die Unternehmer ihre Entscheidungen getroffen haben« [37].
Während die der kapitalistischen Akkumulation immanenten Prozesse in zunehmendem Maße global bestimmt werden, sowohl »innen«, auf der Ebene des Betriebs, als auch »außen«, auf der Ebene der Gesellschaft, erscheinen die verschiedenen, an Keynes anknüpfenden Positionen, die auch innerhalb der Arbeiterbewegung wieder aufkommen, als regelrechte Ideologien, als Reflex der spätkapitalistischen Entwicklungen. Für sie gilt mehr denn je der Hinweis Marx', daß die Sphäre der Zirkulation oder des Warenaustauschs, in welcher sich der Verkauf und Ankauf der Arbeitskraft vollzieht, in der Tat ein wahres Eden der unveräußerlichen Menschenrechte ist. Nicht umsonst wird dem vom Kapitalismus »aufgezwungenen« Konsum der »sinnvolle« Konsum gegenübergestellt, den die Arbeiterklasse vorschlagen müßte, und die allgemeine Anhebung der Löhne, d.h. die Bekräftigung der kapitalistischen Knechtschaft, wird als »Forderung« des Arbeiters ausgegeben, der als »Mensch« die Anerkennung und Bestätigung seiner »Würde« (innerhalb des Systems!) fordert [38].
Die Forderung nach Befriedigung der »wesentlichen Bedürfnisse« (wie Bildung, Gesundheitswesen), die sich gegen die vom Kapitalismus oder vom Spätkapitalismus aufoktroyierte Konsumskala richtet, ist - wie Spesso zu Recht bemerkt - sinnlos, wenn sie nicht mit der Ablehnung der kapitalistischen Rationalisierung und mit der Forderung der Arbeiterklasse verbunden ist, die Kontrolle und Leitung der Produktion selbst zu übernehmen [39].
Es ist bezeichnend, daß »revisionistische« Positionen sich - wenn auch unter Entstellungen - auf die Marxsche Konzeption der »Freizeit«, ihres Verhältnisses zum Arbeitstag und ihres Stellenwerts in der Perspektive einer kommunistischen Gesellschaft berufen. Ausgehend von einer »ökonomistischen« Interpretation neigt man also dazu, im Marxschen Denken die kommunistische Freiheit gleichzusetzen mit der Zunahme der freien Zeit, die durch eine immer größere »objektive« Planung und Rationalisierung der Produktionsprozesse ermöglicht wird [40]. Für Marx nämlich fällt die für die freie geistige und gesellschaftliche Betätigung der Individuen freie Zeit nicht einfach mit der Verkürzung des »Arbeitstags« zusammen. Sie setzt vielmehr die tiefgreifende Veränderung der Arbeitsbedingungen des Menschen, die Abschaffung der Lohnarbeit und die »gesellschaftliche Regelung des Arbeitsprozesses« voraus. Sie erfordert also die vollständige Umkehrung des kapitalistischen Verhältnisses von Despotismus und Rationalität zugunsten einer von freien Produzenten verwalteten Gesellschaft, in der - mit der Aufhebung der Produktion um der Produktion willen - die Planung, die Rationalität und die Technologie der ständigen Kontrolle der gesellschaftlichen Kräfte unterliegen; denn so (und nur so) kann die Arbeit zum »ersten Bedürfnis« des Menschen werden. Die Überwindung der Arbeitsteilung, die das Ziel des Klassenkampfes und der gesellschaftlichen Entwicklung darstellt, bedeutet nicht etwa einen Sprung in das »Reich der Freizeit«, sondern die Erkämpfung der gesellschaftlichen Kontrolle über die Sphäre der Produktion. Die »vollständige Entfaltung« des Menschen, seiner körperlichen und geistigen Fähigkeiten (die zahlreiche »humanistische« Kritiker der »Industriegesellschaft« zu beschwören lieben) erscheint als Mystifikation, wenn sie als »Genuß der freien Zeit«, als abstrakte »Vielseitigkeit«, dargestellt wird, unabhängig von dem Verhältnis des Menschen zum Produktionsprozeß, von der Wiederaneignung des Produkts und des Inhalts der Arbeit durch den Arbeiter selbst in einer Gesellschaft freier assoziierter Produzenten [41].
Die Arbeiterkontrolle in einer revolutionären Perspektive
Die »neuen« Forderungen der Arbeiterklasse, die in den Arbeitskämpfen artikuliert werden, haben keinen unmittelbaren revolutionären politischen Inhalt und implizieren auch keine automatische Entwicklung in dieser Richtung. Dennoch kann ihre Bedeutung auch nicht auf die einer bloßen »Anpassung« an die jüngsten technologischen und organisatorischen Entwicklungen in der modernen Fabrik zurückgeführt werden, die eine »Regelung« der Arbeitsverhältnisse auf einem höheren Niveau ermöglichten. Sie liefern vielmehr Hinweise auf die zukünftige Entwicklung des Kampfes der Arbeiterklasse allgemein und seiner politischen Bedeutung. Diese Hinweise ergeben sich jedoch nicht einfach aus der Kenntnisnahme und aus der »Summe« jener Forderungen, so neu und »fortschrittlich« sie sich auch im Vergleich zu den traditionellen Zielen ausnehmen mögen. Die Verhandlungen über Arbeitszeiten und -rhythmen, über die Höhe der Belegschaft, das Verhältnis von Lohn und Produktivität, usw., neigen natürlich dazu, das Kapital innerhalb des Akkumulationsmechanismus selbst und auf der Ebene seiner »Stabilisierungsfaktoren« anzugreifen. Daß diese Forderungen durch die Kämpfe der Arbeiter in den Schlüssel- und Wachstumsindustrien vorangetrieben werden, ist eine Bestätigung ihres systemsprengenden Charakters. Der Versuch, sie für die engen Ziele eines allgemeinen Lohnkampfes auszunutzen, führte in der Praxis nicht zu einer neuen, umfassenderen Einheit der Klassenaktion, sondern zu ihrem geraden Gegenteil, nämlich zu dem Rückfall in betriebliche Abgeschlossenheit als notwendige Folge der Aushöhlung der potentiellen Elemente politischen Fortschritts. Die Grundtendenz, die als gültige Hypothese und Richtschnur objektiv erkennbar ist, zielt in Richtung auf die Verstärkung und Ausweitung der Forderung nach Arbeiterkontrolle. Da sie sich nicht in einer bloßen Forderung nach Beteiligung an den »Kenntnissen« erschöpft, sondern das konkrete Verhältnis von Rationalisierung, Hierarchie und Macht berührt, bleibt sie nicht auf den Rahmen des Betriebes begrenzt, sondern wendet sich eben gegen den »Despotismus«, den das Kapital auf alle Bereiche der Gesellschaft projiziert und ausübt, und äußert sich als Notwendigkeit, das System durch einen umfassenden Prozeß der Bewußtwerdung und einen allgemeinen Kampf der Arbeiterklasse als solcher vollkommen umzustürzen.
Unseres Erachtens kann diese Linie praktisch und unmittelbar in der Forderung nach Arbeiterkontrolle zum Ausdruck gebracht werden. Hier muß allerdings einiges klargestellt werden. Der Ausdruck »Arbeiterkontrolle« kann heutzutage mißverständlich erscheinen, er kann einer »zentristischen« Konzeption zugeschrieben werden, die die in den Kämpfen erhobenen revolutionären Forderungen abschwächt oder sie mit der traditionellen nationalen, parlamentarischen und demokratischen Linie in Einklang zu bringen sucht, und es fehlt tatsächlich nicht an Hinweisen dafür, daß der Ausdruck in diesem Sinne gebraucht wird. Zweideutig und unglaubwürdig ist die Berufung auf die Arbeiterkontrolle beispielsweise, wenn man darunter die Fortführung oder die Wiederaufnahme der Vorstellung und der Erfahrung der Betriebsräte versteht. In der Bewegung der Betriebsräte wurde eine echte Forderung nach Arbeiterkontrolle (bis zu ihrer schließlichen Aufhebung) dem »sozialpartnerschaftlichen« Element untergeordnet, das mit den Ideologien des nationalen Wiederaufbaus verknüpft war, und die lebendige Bewegung wurde für institutionelle und wahltaktische Zwecke ausgenutzt. Ebenso zweideutig ist es, wenn die Strategie der Arbeiterkontrolle als »akzeptable« Alternative, als »Korrektur« des »Extremismus« der Perspektive der Arbeiterselbstverwaltung vorgeschlagen wird. Es liegt auf der Hand, daß eine nicht mystifizierte Konzeption der Arbeiterkontrolle nur im Zusammenhang mit dem Ziel des revolutionären Umsturzes und mit der Perspektive sozialistischer Selbstverwaltung sinnvoll ist. In diesem Rahmen bringt die Arbeiterkontrolle die Notwendigkeit zum Ausdruck, die gegenwärtig bestehende Diskrepanz zwischen den auf gewerkschaftlicher Ebene formulierten fortschrittlichsten Forderungen der Arbeiterklasse und der strategischen Perspektive zu überwinden. Sie stellt also (potentiell) in ihrer nicht mystifizierten Form eine unmittelbare politische Alternative zu den gegenwärtig von den Klassenparteien vorgeschlagenen Linien dar.
Die Strategie der Arbeiterkontrolle wird hier offensichtlich als Mittel zur Beschleunigung des allgemeinen Klassenkampfes, als politisches Instrument zur schnellen Herbeiführung der revolutionären Durchbrechung verstanden. Weit davon entfernt, die Eroberung der politischen Macht zu ersetzen, stellte die Arbeiterkontrolle eine Phase des höchsten Drucks auf die kapitalistische Macht dar (da sie das System ausdrücklich an seinen Grundlagen bedroht). Die Arbeiterkontrolle muß also als Vorbereitung auf Situationen der »Doppelherrschaft« im Hinblick auf die vollständige Eroberung der politischen Macht gesehen werden.
Es erübrigt sich, hier auf die Gründe hinzuweisen, weshalb die Arbeiterkontrolle gegenwärtig zum allgemeinen politischen Ziel erhoben wird. Worauf es wirklich ankommt, ist, daß die Polemik gegen die Formeln nicht zum Vorwand genommen wird, um sich dem allgemeinen politischen Problem, das durch die Arbeiterkämpfe mit Macht aufgeworfen wurde, zu entziehen, sondern daß man konkret darauf hinarbeitet, ausgehend von diesen Kämpfen eine neue politische Perspektive zu entwickeln, die die Aktion der Arbeiterklasse vor dem »gewerkschaftlichen« Verfall und vor ihrer Integration in die kapitalistische Entwicklung bewahrt.
Fußnoten:
[1] Karl Marx, Das Kapital, I, MEW. Bd. 23, S. 355.
[2] Ibid., S. 352-53.
[3] Ibid., S. 382.
[4] Ibid., S. 389-90.
[5] Ibid., S. 390.
[6] Ibid., S. 444-45.
[7] Ibid., S. 445-46.
[8] Ibid., S. 442.
[9] Ibid., S. 446.
[10] Ibid., S. 425.
[11] Ibid., S. 446.
[12] Ibid., S. 351.
[13] Ibid., S. 447.
[14] Wir beziehen uns hier auf die ersten Dokumente des gewerkschaftlichen »Umschwungs«, die der Debatte auch heute noch zugrunde liegen: I lavoratori e il progresso tecnico (Dokumente des Seminars im Institut »Antonio Gramsci« in Rom vom 29.6.-1.7.1956 zum Thema: Le trasformazioni tecniche e organizzative e le modificazioni del rapporto di lavoro nelle fabbriche italiane); Silvio Leonardi, Progresso tecnico e rapporti di lavoro.
[15] Vgl. Leonardi, a.a.O., S. 93; vgl. auch S. 35, 46, 55-59.
[16] Ibid., S. 48.
[17] Ibid., S. 50. »Eine bloße Verspätung, ein Ausfall oder auch nur ein geringer Leistungsabfall eines einzigen Arbeiters kann sich auf ein ganzes Fließband auswirken«, usw. (S. 50 ff).
[18] Leonardi, a.a.O., S. 50-51.
[19] Ibid., S. 52.
[20] Ibid., S. 55-56.
[21] Ibid., S. 82. Zum Thema der »völligen Entfremdung« der »Intellektuellen der Produktion« s. dagegen die interessanten und scharfsinnigen Ausführungen von Pino Tagliazucchi in seinem Artikel Aspetti della condizione impiegatizia nell'industria moderna, in »Sindacato moderno«, Nr. 1, Februar-März 1961, S. 53 ff.
[22] Leonardi, a.a.O., S. 81-82.
[23] Ibid., S. 67.
[24] S. das Referat von R. Alquati in »Quaderni Rossi«, Nr. 1, September 1961.
[25] Ibid.
[26] Vgl. Nora Mitrani, Ambiguïté de la technocratie, in »Cahiers internationaux de sociologie«, Bd. XXX, 1961, S. 111.
[27] Franco Momigliano hat zu Recht darauf hingewiesen, daß »die moderne Fabrik die Arbeiter nicht nur in zunehmendem Maße von der bewußten Teilnahme an der Ausarbeitung des rationalen Produktionsplans, am globalen Produktionsprozeß, ausschließt, sondern daß sie von den Arbeitern, die der neuen Rationalität unterworfen sind, gleichzeitig verlangt, das 'antirationale' Moment zu verkörpern, das der Kunst des 'Improvisierens' des überkommenen Empirismus entspricht. So wird paradoxerweise sogar der Widerstand der Arbeiter noch rational ausgenutzt«. Vgl. Il Sindacato nella fabbrica moderna, in »Passato e Presente«, Nr. 15, Mai-Juni 1960, S. 20-21.
[28] »Die Arbeit der Proletarier hat durch die Ausdehnung der Maschinerie und die Teilung der Arbeit allen selbständigen Charakter und damit allen Reiz für den Arbeiter verloren. Er wird ein bloßes Zubehör der Maschine ...«
[29] Vgl. Seymour Melman, Decision Making and Productivity, Oxford, 1958. In diesem sehr wichtigen Buch wird auf die Notwendigkeit einer »demokratischen« Teilnahme der Arbeiter im Interesse einer rationaleren kapitalistischen Verwaltung hingewiesen.
[30] Die jüngsten Entwicklungen auf dem Gebiet der ökonomischen und technischen Forschung in der Sowjetunion sind recht doppeldeutig. Während die Forderung nach der Autonomie der Forschung zweifellos einen Gegensatz und Bruch gegenüber den gröbsten Formen des Voluntarismus bildet, wie sie in der Planung Stalinscher Prägung zum Ausdruck kommen, scheint die Entwicklung »rationaler« Prozesse, unabhängig von der gesellschaftlichen Kontrolle über die Produktion vielmehr die Voraussetzung und Grundlage für neue Entwicklungen der alten Bürokratisierungsprozesse zu sein (schon heute? oder erst als Zukunftsperspektive?). Es darf allerdings nicht übersehen werden, worin sich die sowjetische Planung von der kapitalistischen unterscheidet. Das autoritäre, despotische Moment der Produktionsorganisation entsteht innerhalb der kapitalistischen Verhältnisse und überlebt in den Planwirtschaften bürokratischen Typs. In ihrem Verhältnis zur Arbeiterklasse können die Bürokratien sich nicht nur auf die objektive Rationalität berufen, sondern müssen sich auf die Arbeiterklasse selbst berufen. Mit dem Wegfall des grundlegenden Elementes, dem des Privateigentums, wird der bürokratischen Organisation sozusagen ihre eigene Grundlage entzogen. Deshalb erscheinen die Widersprüche in der UdSSR und in den Volksdemokratien in anderer Form, und der Despotismus ist prekär und nicht systemimmanent. Das heißt natürlich nicht, daß er sich nicht ebenso krass äußern kann wie in den kapitalistischen Gesellschaften. Vgl. die sehr wichtigen Ausführungen von Rodolfo Morandi in den Schriften: Analisi dell'economia regolata (1942) und Criteri organizzativi dell'economia collettiva (1944), die in Lotta di popolo, Turin 1958, abgedruckt sind. Das Eigentumsmoment wegfallen zu lassen und das autoritär-bürokratische Moment oder die technische Entfremdung (oder beides) für sich zu betrachten, darauf gründet sich bekanntlich eine inzwischen ins Uferlose wachsende ideologische Literatur des Spätkapitalismus und des Neoreformismus.
[31] Vgl. Friedrich Engels, Einleitung zu Marx' »Lohnarbeit und Kapital«, MEW, Berlin 1970, Bd. 22, S. 209.
[32] Karl Marx, Lohnarbeit und Kapital, MEW, Bd. 6, S. 416.
[33] Ibid., S. 416.
[34] Ibid., S. 416.
[35] Lenin, Zur Charakteristik der ökonomischen Romantik, in Werke, Berlin 1961, Bd. 2, S. 141.
[36] Vgl. die Debatte in der Zeitschrift »Politica ed economia« mit Beiträgen von Garavani, Tato', Napoleoni, usw. 1960-61.
[37] Vgl. Ruggero Sposso, Il potere contrattuale dei lavoratori e la »razionalizzazione« del monopolio, in »Politica ed economia«, November 1960, S. 10. Einige besondere Betrachtungen müssen zu den von Franco Momigliano vertretenen Positionen angestellt werden. Er weist zu Recht darauf hin, daß die Gewerkschaft von der Analyse der »Instrumente der Organisation und Rationalisierung der modernen Welt« ausgehen muß, »um die Bedingungen für einen wirksamen Wettstreit und für die Hegemonie der Arbeiterklasse zu ermitteln« (zitierter Artikel, S. 20-29). Und er hat wiederholt die Notwendigkeit betont, daß die Arbeiterklasse auf diesem Wege gegenüber dem Kapital wieder eine echte und vollständige Autonomie erlangt. Aber es ist unverständlich, wie er diese Thesen und Forderungen damit vereinbaren kann, daß er der Gewerkschaft einen »besonderen institutionellen Boden« zuerkennt und der Gewerkschaftsaktion dementsprechend den Charakter einer systemsprengenden Kraft abspricht (vgl. F. Momigliano, Struttura delle retribuzioni e funzioni del Sindacato, in »Problemi del Socialismo«, Juni 1961, S. 633). S. auch F. Momigliano, Una tematica sindacale moderna, in »Passato e presente«, Nr. 13, Januar-Februar 1960, sowie das Referat auf dem Kongreß über den technischen Fortschritt und die italienische Gesellschaft (Mailand, Juni 1960) über das Thema »Lavoratori e sindacati di fronte alle trasformazioni del processo produttivo nell'industria italiana«.
[38] Vgl. Antonlo Tato', Ordinare la struttura della retribuzione secondo la logica e i fini del sindacato in »Politica ed economia«, Februar-März 1961, S. 11-23. Der zunehmende unmittelbare gesellschaftliche Einfluß der Sphäre der Produktion wird bekanntlich in allen marxistischen Untersuchungen hervorgehoben. Unter anderem hat Paul Sweezy in Die Theorie der kapitalistischen Entwicklung einen in verschiedener Hinsicht noch heute gültigen Nachweis dafür erbracht.
Sweezy zitiert diesen Passus aus Sozialreform oder Revolution? von Rosa Luxemburg: »Das, was heute als 'gesellschaftliche Kontrolle' funktioniert ... betätigt sich nicht als Beschränkung des kapitalistischen Eigentums, sondern umgekehrt als dessen Schutz. Oder ökonomisch gesprochen, sie bildet nicht einen Eingriff in die kapitalistische Ausbeutung, sondern eine Normierung, Ordnung dieser Ausbeutung«. Vgl. auch Das Kapital, I, 8., 6., zur englischen Gesetzgebung über die Beschränkung des Arbeitstags.[39] Vgl. R. Spesso, a.a.O.: »Der Wunsch nach einem höheren Konsum an Kulturgütern ist sinnlos, wenn die Anwendung dieser Kultur durch den Menschen gerade bei seiner schöpferischen Aktivität, und das heißt im Arbeitsprozeß, unmöglich ist ... Der Konsum eines Menschen selbst hängt vollkommen von seiner Stellung in der Produktion ab ... Die 'wesentlichen Bedürfnisse' (Bildung, Gesundheit) entstehen, präzisieren sich und machen sich geltend in der Ablehnung der work rules, in dem Prozeß, in dem die Arbeiterklasse sich der Bedeutung und der Rolle der Arbeit bewußt wird. (S. 9-10).
Die Entfremdung im Spätkapitalismus als Entfremdung des Konsumenten darzustellen, ist eine der lächerlichsten und zugleich verbreitetsten Ideologien, die heute gängig sind.[40] Vgl. Paul Cardan, Capitalismo e socialismo, in »Quaderni di unità proletaria« Nr. 3. Es muß allerdings festgestellt werden, daß Cardan sich in einer Polemik gegen den Marxismus von einem revolutionären Standpunkt aus auf diese Interpretation bezieht.
[41] Darstellung der kommunistischen Gesellschaft als eine Gesellschaft des »Überflusses« an Gütern (allerdings nicht nur an materiellen Gütern) und an »Freizeit« ist in den sowjetischen Ideologien sehr verbreitet; sie entspringt offensichtlich der Verweigerung einer wahrhaft gesellschaftlichen Regelung des Arbeitsprozesses. Die heute gängigen »technologischen« Illusionen tun ein übriges, um diese Ideologien heute zu begünstigen. Bei Strumilin beispielsweise werden die »Funktionen der Leitung der Produktionsprozesse« mir der »technischen« Kontrolle, mit dem »höchsten geistigen Inhalt« der Arbeit gleichgesetzt, der durch »den Fortschritt der Technik mit ihren wunderbaren automatischen Mechanismen und den 'denkenden' elektronischen Maschinen« ermöglicht worden ist (vgl. Sulla via del comunismo Moskau 1959). Und so wird dank der Automation eine wirkliche »Überflußgesellschaft«, eine Gesellschaft von »Freizeitkonsumenten« verwirklicht werden können! (Vgl. Anmerkung 30). Als Beispiel für eine typische Entstellung der Marxschen Texte zu diesem Thema vgl. Georges Friedmann, Zukunft der Arbeit, dt. 1953, wo die Wiederaneignung des Produktes und des Inhalts der Arbeit selbst durch den Arbeiter mit der psycho-physiologischen Kontrolle der Arbeit gleichgesetzt wird.