Thekla 8 - November 1987 - S. 17-50 [t08akmu1.htm]


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Arbeitskreis militante Untersuchung

auf dem Workshop in Hamburg

März 1984

Der Hamburger »Workshop« war entstanden aus dem Interesse der vielen Jobber-, Arbeitslosen- und Soziempfänger-Inis, miteinander zu diskutieren und voneinander zu lernen. »Wir Karlsruher« waren hingefahren, um unsere Überlegungen zur Militanten Untersuchung zur Diskussion zu stellen und noch einen Versuch zu unternehmen, über den Vorschlag einer gemeinsamen Sklavenhändler-Kampagne zu diskutieren. Der Arbeitskreis zu Sklavenhändlern kam nicht zustande, weil sich niemand dafür interessierte; der Arbeitskreis zur militanten Untersuchung diskutierte relativ intensiv und traf sich im folgenden des öfteren. Insgesamt war der Hamburger Workshop aber ein Fehlschlag, es kam keine gemeinsame Debatte zustande.

Im folgenden veröffentlichen wir die Referate, die wir damals für den Arbeitskreis vorbereitet hatten, die Diskussionen geben wir nur sehr auszugsweise wieder. Das ganze hat zwei Begrenzung: wir wollten auf dem Workshop gegen die Zersplitterung in lauter Teilbereichs-Inis ankämpfen; die Argumentation ist von daher sehr stark gegen diese Zersplitterung und gegen die damals allgemeine Einschätzung »es herrscht Ruhe im Land und in den Fabriken« zugespitzt. Zum zweiten versuchten wir, um diese Zersplitterung zu überwinden, den Sprung von der Jobber(usw.)-Ini zur militanten Untersuchung zu forcieren; das führt in der Argumentation tendenziell zu einer Unterbewertung der Erfahrungen mit den Jobbern. Zur historischen Situation sind noch zwei Anmerkungen notwendig: die Qualifizierungsoffensive kam erst später, das Interesse der Gewerkschaften für die Prekären auch.

 


1. Sitzung

Referat:

In den letzten zehn Jahren haben in der BRD einschneidende Veränderungen stattgefunden. Anfang der 70er Jahre sah es noch so aus, als würde der SPD-Reformismus den Wohlfahrtsstaat immer weiter ausbauen, als würden die Löhne weiter steigen. Es sah so aus, als könnten die ProletarierInnen den bereits erreichten Anteil am erarbeiteten Reichtum immer mehr steigern. Allein in den Jahren 68-73 wurden 35% reale Lohnerhöhung durchgesetzt.

Ein erster Einbruch erfolgte bereits kurze Zeit danach: die »Ölkrise« zog den Arbeitern über Benzin- und Ölpreiserhöhungen Milliarden Mark aus der Tasche. Kurz darauf erreichte die Arbeitslosigkeit zum ersten Mal nach 15 Jahren wieder die Millionengrenze. Lange Zeit schien das aber niemanden besonders zu beeindrucken, die Linke auch nicht: der eine Teil erhoffte sich davon ein Anwachsen der Klassenkämpfe, der andere Teil lehnte die Arbeit sowieso ab und träumte davon, daß das Kapital die Arbeit für uns abschaffe. Die Rausgeschmissenen bezogen erstmal ein, zwei Jahre Arbeitslosengeld, fanden dann wieder einen Job, die Gewerkschaften kümmerten sich nicht um die Entlassenen, weil diese ja eh nur die Störenfriede der konzertierten Aktion gewesen waren.

Heute, 1984, nimmt das Gejammer über die Krise, das Unglück der Arbeitslosen usw. kein Ende; Arbeitslosengeld gibt's gerade noch für die Hälfte der Arbeitslosen, die Löhne sinken, und sogar die Gewerkschaften suchen nach einer neuen Grundstellung beim Steigbügelhalten. Deshalb ist es, denken wir, angesagt, über diesen Zeitraum noch einmal zu diskutieren: über ein Jahrzehnt der Krise.

Daß die Krise nicht unvermittelt über uns hereingebrochen ist, sondern daß damit bestimmte kapitalistische Strategien durchgesetzt werden, haben wir in den letzten Jahren mehrfach in allen gesellschaftlichen Bereichen sehen können, die von »Krisen« erfaßt waren:

Wir wollen uns im folgenden vor allem mit der »sozialen Abwärtsbewegung«, der Verschlechterung der Lebensbedingungen der ProletarierInnen hier in der Metropole befassen. Auf diesem Terrain sind in den letzten fünf Jahren Initiativen entstanden, die so ziemlich alle Knackpunkte anpackten. Sie sind entstanden aus dem Zerfall der linken Strukturen/Gruppen der 70er Jahre, zum anderen aus der Erkenntnis heraus, selbst von dieser Proletarisierung betroffen zu sein, und daß es nicht ausreicht, sich weiterhin innerhalb eines eng abgesteckten Scene-Ghettos zu bewegen, solange man sich noch nicht geschlagen geben will und einen Umsturz der Gesellschaft noch für möglich hält.

Wir meinen, daß sich die Erfahrungen, Fehlschläge und Grenzen all dieser Versuche mit unseren eigenen in wesentlichen Punkten decken:

Allen Versuchen ist gemeinsam, daß sich an keinem Ort ein Subjekt mit homogenisierenden Verhaltensweisen herausgebildet hat, eine stabile proletarische Figur. Betroffenenpolitik mußte so ins Leere laufen oder wurde zur Sozialarbeiterei.

Erschwerend kam noch hinzu, daß viele ehemalige GenossInnen inzwischen den Löffel geschmissen hatten, die Front gewechselt, oder einfach den Klassenbegriff aufgegeben hatten.

Diskussion:

A: Die Zersetzungsprozesse müssen wir noch genauer rausarbeiten und zwar vor dem Hintergrund einer Klassenhomogenität; also: welche Homogenität greift das Kapital mit seiner Zersetzung an? Und von daher dann den Zusammenhang genauer kriegen: in einer proletarischen Familie können z.B. Prekäre, Sozi-Empfänger und Hochlohn-Malocher sein. Die Situation der Hochlohn-Arbeiter ist innerbetrieblich gesichert und tarifvertraglich dokumentiert. Auf diesem Hintergrund ist dann das kapitalistische Problem: wie zerschlägt man die Hochlohn-Ebene durch Prekarisierung? Und so können wir auch das Verhalten der ArbeiterInnen besser verstehen. Die millionenfache Zersetzung findet also statt vor dem Hintergrund eines einheitlichen Denkens und Sich-Verhalten-Wollens der Klasse. Das Kapital muß also einen bestimmten Begriff von der Homogenität der Klasse haben, um zu wissen, was sie zersetzen wollen. Die versuchen ja, aus ihrer Niederlage im letzten Kampfzyklus zu lernen. Und ähnlich wie die Scene-Verhaltensweisen sind auch die homogenen Verhaltensweisen der Klasse dem Angriff nicht gewachsen. Die Rausrationalisierten lassen sich erst mal ganz schön lange über ihren Wunsch verarschen, daß sie wieder zu den alten Verhältnissen zurückmöchten. Der (geschrumpfte) Hochlohnsektor existiert ja immer noch, existiert also als Versprechen für die Prekarisierten. Die Prekarisierten kennen ja auch gar nix anderes, das war ja bisher das beste, das sie kennengelernt haben, und so klammern sie sich erstmal mit allen Fasern daran, diese Verhältnisse wiederherzustellen. Daß Prekarisierung ein Angriff ist, dem man mit den alten Mitteln nicht beikommen kann, kapieren die Arbeiter erst mal nicht.

B: Und das Problem mit den »Jobbern« in den letzten Jahren war, daß das Jobben ja als ein zeitweises Ausnutzen von Bedingungen entstanden ist, die man nicht selbst erkämpft hat (Hochlohn, Lohnfortzahlung usw.). Das Kapital hat die Jobber als Zersetzungshebel und Schmiermittel für die Restrukturierung benutzt. Deshalb haben wir auch immer gesagt, daß wir nicht »die Jobber« organisieren wollen, sondern das Jobben aufgreifen wollen als Ausdruck eines sozialen Bedürfnisses nach einem Leben ohne Maloche, also als Widerspruch zwischen Arbeitsverweigerung und Arbeitszwang. Die Euphorie, wenn man entdeckt, daß man ausgehend von der ersten Person Plural, von den eigenen Bedingungen und Bedürfnissen, politisch eingreifen kann, die hatten wir ja am Anfang alle, die haben alle Jobber-Inis, und die ist legitim gegenüber den abgehobenen Versuchen der K-Gruppen in den 70ern. Aber wir selber haben vor ein paar Jahren einfach unterschätzt, wie viele Möglichkeiten unsere Scene noch für sich auftun konnte, um sich zur drohenden Proletarisierung eben nicht kollektiv und gesellschaftlich verhalten zu müssen (Alternativbetriebe, Studium usw.). Jobben orientiert sich vor allen Dingen individuell am Weg des geringsten Widerstands - das setzt einer Selbstorganisation von Anfang an enge Grenzen.

Referat, zweiter Teil:

Von der Überzeugung, daß das Kapital auf dem Weg ist, die Arbeit für uns abzuschaffen bis hin zur Katastrophenangst gehen die Deutungen, die der Zersetzungs- und Verarmungsangriff in den letzten Jahren erfahren hat. Bei genauem Hinsehen ist unserer Ansicht nach allerdings Stück für Stück ein kapitalistischer Plan durchgesetzt worden.

Schon ein Blick in die jüngste Vergangenheit genügt, das zu verdeutlichen: Ganz im Gegensatz zu der herrschenden Ansicht, die Arbeitslosigkeit steige, weil es nicht mehr genug Arbeit gebe, hat sich das Arbeitsvolumen (mit Ausnahme eines leichten Rückgangs 1983) in den letzten Jahren sogar ausgeweitet; 1981 und 1982 hätte es zum Beispiel gar keine offizielle Arbeitslosigkeit gegeben, wenn keine Überstunden gemacht worden wären.

In dieser Ausweitung des offiziellen Arbeitsvolumens sind verschiedene andere Formen von Arbeit noch gar nicht enthalten: so zum Beispiel der ganze Bereich der illegalen Arbeit - das Millionenheer illegaler Ausländer, die alle irgendwo malochen, gehört hier dazu - und der Schwarzarbeit, der Boom des Do-it-yourself, die Überwälzung von ehemals entlohnten Dienstleistungsarbeiten auf Frauen (freiwillige Altenpflege usw.), die vermehrte Reproduktionsarbeit im Haushalt, wenn alles teurer wird.

Nun zum zweiten wichtigen Aspekt der Arbeitslosigkeit. Bereits 1979/80, als die offizielle Arbeitslosigkeit noch um die Millionengrenze schwankte, waren mehrere Millionen mindestens einmal von Arbeitslosigkeit betroffen gewesen. Die Zeit, in der jemand arbeitslos ist, wird für den Großteil der Arbeitslosen immer kürzer. Zwar fällt ein wachsender Anteil der Arbeitslosen aus dem Beschäftigungssystem heraus - Alte, Kranke usw., die noch keine Rente kriegen -, für die Masse der ProletarierInnen gibt es jedoch keine stabile, langandauernde Phase der Arbeitslosigkeit. Sie sind zu einer hochmobilen Arbeitskraft geworden, die, wenn sie arbeitslos geworden ist, zu 60% Arbeiten unter 3 Monaten annimmt, um dann wieder arbeitslos zu werden. Mit der steigenden Zahl von Leuten, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, wird der Arbeitsmarkt statt zu einem Auffangbecken für überschüssige Arbeitskraft zu einer riesigen Drehscheibe. Sie stellt den Versuch dar, Arbeitslosigkeit ständig neu zu erzeugen und wieder abzuschaffen. Waren die Mehrfacharbeitslosen 1978 noch eine Minderheit von 25%, so sind es 1982 schon 60% - bei in absoluten Zahlen fast doppelt so vielen Arbeitslosen. Das besondere ist, daß die Gruppen, die anteilsmäßig die meisten Arbeitslosen stellen, zugleich die kürzesten Vermittlungszeiten haben, das sind die Ausländer und die Jugendlichen. Jedes Jahr werden 6 Millionen Arbeitsverhältnisse gekündigt und neu geschlossen - das sind die Zahlen von der Sozialversicherung! Und welcher Jobber, Illegale und Schwarzarbeiter ist dort schon gemeldet?

Sowohl hier wie auch in den USA ist der Trend, daß man, je häufiger man den Job wechselt, um so kürzer hinterher arbeitslos ist. Arbeitslosigkeit bedeutet also nicht Nicht-Arbeit für einen Teil der Klasse, sie ist Ausdruck für eine Arbeitskraft, die in Bewegung geraten ist, zwangsmobilisiert nach unten in Richtung auf immer schlechter bezahlte und anstrengendere Jobs, in Richtung Verarmung. Der Zwang zur Arbeit wird verschärft, die Arbeit selbst bringt immer weniger Einkommen, ein Teil der Arbeit wird illegalisiert oder einfach nicht mehr bezahlt. Durch die verschärfte Ausbeutung, die Verlängerung des Arbeitstages, Doppel- und Mehrfacharbeit, durch Proletarisierung und Einbeziehung immer weiterer Schichten bewirkt dieser mobilisierte Arbeitsmarkt genau das Gegenteil dessen, was die herrschenden Mystifikationen verkünden.

Wenn es also nicht um die Abschaffung der Arbeit, sondern offensichtlich genau um das Gegenteil geht, was bezwecken die Massenentlassungen aus garantierten Arbeitsverhältnissen hinein in einen zwangsmobilisierten Arbeitsmarkt dann?

Wir haben in den letzten zehn Jahren eine rasante Veränderung in der kapitalistischen Arbeitsorganisation erlebt. Der Ausgangspunkt vor 15 Jahren war die »Vollbeschäftigung«. Immer mehr Menschen arbeiteten in der Industrie und zwar unter tariflich ausgehandelten Bedingungen und in immer größeren räumlichen Einheiten. Das waren die Bedingungen für die Massenarbeiterkämpfe Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre. Die Antwort des Kapitals bestand in einer umfassenden Restrukturierung der Produktion. Es bildete sich ein doppelter Zyklus heraus, in dem die Funktionen wie folgt aufgeteilt waren:

1. Ein Zyklus der intensiven Ausbeutung durch relative Mehrwertproduktion, die vermittelt war über Rationalisierung und technologische Steigerung der Produktivität; Hochlohn und soziale Garantien waren die Regel. Unmittelbar daran angeschlossen war ein

2. Zyklus der extensiven Ausbeutung. Er umfaßte die dezentralisierte Produktion, die unzähligen Klitschen und Kleinbetriebe und die Untergrundwirtschaft, in der die Ausbeutung der »schwachen Arbeitskraft« (Alte, Behinderte) und der Illegalen verwirklicht wurde. Für die hier tätige Arbeitskraft wurden alle Garantien beseitigt. Eine extreme Ausdehnung des Arbeitstages und ein niedriges Lohnniveau sind die Kennzeichen dieser Arbeitsverhältnisse.

Die Kontrolle der im 2. Zyklus beschäftigten Arbeitskraft, die in der Region verstreut und meist nicht dauerhaft beschäftigt war, dies zum Teil auch gar nicht sein wollte, war der Punkt, auf den sich alle Maßnahmen der letzten Jahre konzentrierten. Denn viele Tarife und staatlichen Garantien galten ja erstmal für alle Beschäftigten, auch wenn sie für die Masse der Prekären gar nicht mehr gedacht waren. Die aktuelle Gesetzesinitiative zu Kündigungsschutz und befristeter Beschäftigung ist der letzte Punkt einer Reihe von Versuchen und Maßnahmen, gewisse Garantien nicht mehr automatisch für alle Arbeitskraft gelten zu lassen. Das Entscheidende ist aber schon lange gelaufen. Nach der schubweisen Entlassung der Renitenten aus den Großfabriken hatte man mittels einer enormen Arbeitshetze zwischen 1973 und 1980 eine Produktionssteigerung von 40% erreicht. Gleichzeitig war die Wettbewerbsfähigkeit einiger Sektoren (z.B. der Autoindustrie) inzwischen zu drei Fünfteln von der Komponentenproduktion abhängig geworden. Die geschieht zu großen Teilen im 2. Zyklus, hier mußten die Kosten noch weiter gedrückt werden. Die Massenentlassungen zu Beginn der 80er Jahre waren der logische Schritt, weiteren Druck auf die Löhne auszuüben.

Daß die Massenarbeitslosigkeit von den größten Investitionen, die es in der Geschichte der BRD gegeben hat, begleitet wird, macht die Vorgehensweise erst richtig deutlich. Der Zusammenbruch des Neff-Werkes in Bretten ist ein gutes Beispiel für die gewaltsamen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt. Der anscheinende Zusammenbruch und Anschluß an Siemens-Bosch führte zu folgenden Ergebnissen: 1. sank der Arbeitslohn im Werk selbst um durchschnittlich drei Mark pro Stunde, 2. wurden 900 Leute endgültig entlassen - Alte, Aufsässige und vor allem »Ungelernte«; sie suchten in der Klitschenproduktion Arbeit oder begegneten uns dann als Sklavenarbeiter beim Bau des KKP für die KWU/Siemens 30 km weiter wieder. Die Produktion im Brettener Werk ist inzwischen mit der halben Belegschaft beinahe wieder auf dem alten Stand angelangt.

Sklavenhändler sind nur ein Mittel zur Kontrolle der prekären Arbeitskraft. Die direkte Anbindung der Klitschenproduktion an das Kommando des Zentralbetriebes, in der nächsten Zeit vervollkommnet durch die Verkabelung, die Abwälzung aller Risiken auf die Subunternehmer und der Druck auf die Löhne der hier Beschäftigten sollen die Kontrolle über die gesellschaftliche Arbeit und den Transfer des hier geschaffenen Mehrwerts an die Pole des Kommandos garantieren.

Diskussion:

[die Diskussion drehte sich dann stark um die damals gerade aktuelle 35-Stunden-Kampagne der IG Metall und IG Druck, weil die Hamburger Gruppe vorher ein Papier verschickt hatte, das zur Solidarität mit diesem »Kampf« aufgerufen hatte]

A: Wenn wir jetzt dieses Geflecht »integrale Beschäftigung« von seinen zwei Polen her diskutierten (hohe organische Zusammensetzung - massenhafte Ausbeutung in Niedriglohnsektoren), dann sollten wir vielleicht mit dem Pol anfangen, der ja in den letzten Jahren nicht unser Schwerpunkt war, also die Diskussion über den »selektiven Korporativismus«, Flexibilisierung/Garantierung an den Polen extrem hoher organischer Zusammensetzung, 35-Stunden-Kampagne als Teil solcher Strategien ...

Die Politik der DGB-Gewerkschaften flankiert die Politik des BRD-Kapitals: in den 70er Jahren hat man der eigenen Basis die Reallöhne gesichert (also auf Verteilungskampf bereits verzichtet und nicht einmal einen Anteil am Produktivitätszuwachs gefordert), hat sich aber auf der Ebene der Arbeitszeit gar nicht verhalten - und das angesichts einer weltweit ständig zunehmenden Arbeitslosigkeit, besser: angesichts der Tatsache, daß das multinationale Kapital steigende »Arbeitslosen«zahlen zur Mobilisierung in schlechter bezahlte Arbeit benutzte! Der DGB hat nichts gegen die Prekarisierung und die zunehmend verschärfte Ausbeutung der Niedrig-Entlohnten. Jetzt, wo die Prekarisierung mit vier Millionen »Arbeitslosen« (Gewerkschaftszahlen) und jährlich sechs Millionen aufgelösten und neu geschlossenen Arbeitsverträgen durchgesetzt ist, jetzt sagen Stingl [vormaliger Präsi der Bundesanstalt für Arbeit], DGB und SPD: das Erreichte sichern! und dafür brauchen wir eine Arbeitszeitverkürzung, denn das weitere Ansteigen der Arbeitslosigkeit soll kontrollierbar bleiben. Die Ausbeutung an den Polen hoher organischer Zusammensetzung soll so neu geregelt werden: Maschinendurchlauf durch Samstagsarbeit, Jahresarbeitszeit-Verträge, von Abteilung zu Abteilung variable Arbeitszeiten, Ausdehnung des 8-Stunden-Tags, Nacht- und Schichtarbeit. Lothar Späth: »Diese Leute [in den »neuen« Fabriken] können dann natürlich nicht mehr 40 Stunden in der Woche arbeiten, sondern werden 36, 34 oder meinetwegen auch 35 Stunden in der Woche arbeiten.«

B: Nochmal zum Begriff »integrale Beschäftigung«, das bedeutet eben nicht das keynesianische Konzept der »Vollbeschäftigung« mit garantiertem Soziallohn und institutioneller Vermittlung (Betriebsrat, Arbeitsrecht, AL-Geld usw.), sondern die Ausdehnung der Ausbeutung auf mehr Schichten und die gleichzeitige Verunsicherung des Arbeitsplatzes, bedeutet die Ausweitung des Arbeitstages und die Ent-Garantierung des Arbeitsverhältnisses, bezahlt werden soll nur noch die wirklich geleistete Arbeit. Viel deutlicher kann man das Projekt ja gar nicht auf den Begriff bringen als dadurch, daß von 1980 bis 82 sowohl die »Arbeitslosigkeit« als auch das Arbeitsvolumen gestiegen ist, und zwar den offiziellen Zahlen zufolge!

C: Eine weitere Präzisierung ist noch nötig, wenn man kapieren will, was da vor sich geht: die Dezentralisierung der Produktion und die weitere Zentralisierung des Kommandos sind ein identischer Vorgang, sind zwei Seiten derselben Medaille. Also Zentralisierung des Kommandos zum einen auf der Ebene der Multis, zum anderen auf der Ebene des Staates (siehe z.B. die ganzen aktuellen Versuche, der Ausbeutung der Prekären eine staatliche Kontrolle vorzuschieben und diese zu effektivieren: Kampagnen gegen Schwarzarbeit, Lockerung des AÜG usw.). Schließlich darf man auch nicht vergessen, daß die Arbeitszeit auf der anderen Seite auch dadurch verlängert wird, daß sämtliche unproduktiven Tätigkeiten ausgegliedert werden. Das fängt bei den (Essens-)Pausen an, die ja früher manchmal bezahlt waren, geht über so Sachen wie Umziehen und Duschen bis hin zum Weg zur Arbeit, der ja noch nie bezahlt war, der aber auch noch nie so lang war wie heute im Durchschnitt (eben aufgrund der Mobilisierung).

D: Die weitere Zunahme der »Sockelarbeitslosigkeit« (inzwischen gibt es etwa eine halbe Million »Dauerarbeitsloser«) gehört in diesen Zusammenhang: immer mehr Menschen kriegen keine offizielle, legale Arbeit mehr und sind gezwungen, für totale Schweinelöhne stunden- und tageweise auf Großmarkt, Schlachthof, Hafen usw. zu malochen. »Sockelarbeitslosigkeit« ist wohl der hauptsächliche Bereich von Schwarzarbeit, Schleppern, Tagelöhnerei usw. Mit der terroristischen Steigerung der Mehrwertraten und der Durchsetzung des gesamtgesellschaftlichen Zwangs zur Arbeit steigt gleichzeitig die Anzahl derer, »die aus dem Arbeitsleben herausfallen«, die also auch durch solche Arbeiten nicht mehr verwertet werden können. Und die werden dann nochmal anders verwertet: Reha-Werkstätten, Sozi-Zwangsarbeit, Zwangsarbeit in Klapsen, Knästen usw. Und die völlig Unproduktiven werden ausgespuckt: Rentenkürzungen, Abschieben der Alten als »Pflegefall« sind hierzu Stichworte.... Wie gesagt: der Arbeitsmarkt wird extrem aufgefächert: garantiert - legal - prekär - illegal - kriminell - ausgesondert. Und »integrale Beschäftigung« heißt: jeder Blutstropfen wird verwertet. Und wenn alles ausgepreßt ist, werden die Menschen ausgespuckt. Das kann sich durchaus in gegenläufigen Bewegungen manifestieren. Die Behinderten werden zum einen rausgeschmissen, zum anderen kann durch »behindertengerechte Produktionsstätten« ein Produktivitätsschub erzeugt werden. Die Verwertung von Behinderten wird außerdem vom Arbeitsamt massiv subventioniert und zwar auf eine Art, die das »Rotierenlassen« der Behinderten herausfordert und begünstigt: subventioniert wird die Einstellung, nicht die Weiterbeschäftigung!

 


2. Sitzung

Referat: Die Arbeiteruntersuchung der Quaderni Rossi

Teil 1

[Die 2. Sitzung des Arbeitskreises sollte eine »Einführung« in die Methode der Arbeiteruntersuchung sein anhand des Aufsatzes von Alquati über Olivetti. Da wir den ganzen Text nicht in drei, vier Stunden »durcharbeiten« konnten (einige Teilnehmer hatten ihn noch gar nicht gelesen), sollte das erste Referat einen Überblick über die wichtigsten Punkte der Methode und die Ergebnisse der Untersuchung von 1961/62 geben.]

Die Quaderni Rossi begannen mit ihrer Untersuchungsarbeit 1961, in einer Phase der Stagnation, in der aber schon Punkte sichtbar wurden, an denen es zu gären begann. 1962 wurde der Zyklus der Massenarbeiterkämpfe eröffnet - vorbei an den traditionellen Organisationen der Arbeiterbewegung, die die neue Klassenzusammensetzung nicht mehr repräsentierten.

Die Gruppe um die Quaderni Rossi wollte direkte Beziehungen zur Arbeiterklasse knüpfen, dafür wählte sie den Weg der Untersuchung. Hier zeigte sich, daß erst eine ganze Reihe von Ideologien und Mystifikationen aus dem Weg geräumt werden mußten: all die Thesen zum Beispiel, daß der Besitz an Konsumgütern die Arbeiter ins System integriert habe, daß die Arbeiter immer »bürgerlicher« würden, daß die Tertiarisierung die Arbeiter zunehmend zu Angestellten mache und damit die Klasse selbst abschaffe. Dies wurde gerade auch von Vertretern der traditionellen Arbeiterorganisationen behauptet, um die »Bündnispolitik« mit Kleinunternehmern und neuer Mittelklasse zu rechtfertigen.

Die »Arbeiteruntersuchung« sollte keine soziologische Untersuchung sein, sie wollte die Zusammensetzung der Arbeiterklasse entschlüsseln und dabei die antagonistischen Punkte herausschälen, von denen aus eine revolutionäre Initiative organisiert werden könnte.

Der Text über Olivetti ist eigentlich nur eine Voruntersuchung, bei der erstmal die Fabrik, die Arbeiter, ihre offiziellen »Repräsentanten« und ihr Verhältnis zueinander »abgeklopft« wurden. Neue Begriffe mußten gebildet werden, um überhaupt die Grundlagen für eine weitergehende theoretische Diskussion zu schaffen, so zum Beispiel der Begriff »Klassenzusammensetzung«.

Mit den Institutionen, die sich als ihre Repräsentanten ausgaben, und in ihrer Politik, die eher die Interessen des Kleinbürgertums als die der proletarischen und subproletarischen Schichten vertraten, war der Begriff »Arbeiterklasse« selbst zu einer Versteinerung geworden, in dem sich die Dynamik des Klassenkampfes nicht mehr ausdrückte. Die Arbeiterklasse ist nun aber keineswegs ein einheitlicher Block, sondern in jeder historischen Phase haben wir es mit einer bestimmten »Zusammensetzung« der Klasse zu tun - diesen Begrifft stellten die Quaderni Rossi dem Begriff »technische Zusammensetzung des Kapitals« gegenüber. Die technische Zusammensetzung der Arbeiterklasse ist also die Arbeitskraft, die einem spezifischen historischen Kapitalverhältnis entspricht.

Negri erklärt die Verwendung des Begriffs Klassenzusammensetzung durch die Quaderni Rossi in seinem 1979 entstandenen Interview recht anschaulich (siehe TheKla 5, S. 22ff.), auch wenn das nicht unbedingt Alquatis Definition in späterer Zeit entspricht - der Begriff ist in den 60er und 70er Jahren selbst zum Mythos geworden (siehe Alquati: Beiträge zu einem Lexikon). Negri unterscheidet neben der technischen die politische Zusammensetzung der Klasse. Die Zusammensetzung der Arbeiterklasse ist nicht einfach Resultat einer Phase der kapitalistischen Entwicklung, die vom Fortschreiten des konstanten Kapitals bestimmt wird: sie ist auch selbst eine fortwährend veränderte und sich selbst verändernde Realität; sie verändert sich durch ihre Bedürfnisse, ihre Kultur, ihre Kämpfe. In jeder Epoche von »Neuzusammensetzung« gibt es eine »besondere« Arbeiterfigur, die die Speerspitze im Kampf gegen das Kapital darstellt. Während die technische Klassenzusammensetzung zahlenmäßig zu erfassen ist, entspricht die »politische Klassenzusammensetzung« nicht unbedingt der zahlenmäßigen Mehrheit. Die politische Klassenzusammensetzung läßt sich an den realen Kämpfen ablesen, in denen sich die »autonome Organisation« der Arbeiter ausdrückt. Für den Kampfzyklus der 60er/Anfang der 70er Jahre hat man den Massenarbeiter in den großen Montagefabriken als die ziehende Figur, als Avantgarde aufgespürt, weil er der Zusammensetzung des Kapitals am meisten antagonistisch begegnet ist und so in seinen Kämpfen alle proletarischen Interessen auf sich beziehen konnte.

Die eigentliche Arbeiteruntersuchung hätte nach den Vorstellungen der Quaderni Rossi erst auf dieser Grundlage von Voruntersuchung laufen sollen. Das hätte aber geheißen, daß sich Tausende von Genossen in ganz Italien beteiligen, Kontaktnetze knüpfen, um wirklich »die Massen zum Reden zu bringen«, statt sich Strategien am Schreibtisch auszudenken. Die Massenuntersuchung wäre damit auch ein Schritt in Richtung Organisierung gewesen: autonom und von unten zur Neubegründung der Klassenbewegung.

»Wir erarbeiten unsere Hypothesen für Avantgarden, die den Kämpfen eine Richtung zu geben vermögen; nicht also für neue geschlossene und in ihrer ideologischen Reinheit isolierte 'Gruppen', sondern gerade für diejenigen, die - mit oder ohne Rang und Mitgliedsausweis - innerhalb oder außerhalb der Fabrik (auch das ist ein falsches Problem: die Fabrik existiert heute nicht mehr als abgetrenntes Moment ...) tatsächlich im Zentrum des Klassenkampfes stehen: dort also, wo die neue politische Zusammensetzung der Arbeiterklasse, der Austausch der Erfahrungen, die Kritik, die Diskussion und die Erarbeitung neuer Formen und Inhalte des Kampfes ihren höchsten Punkt erreichen, wo also diese ganzen Probleme mit der Entfaltung des Kampfes selbst eine immer grundlegendere und allgemeinere Bedeutung gewinnen.« (A S. 35)

Zur großangelegten Arbeiteruntersuchung kam es allerdings nicht mehr. Die Gruppe um die Quaderni Rossi war in verschiedene Fraktionen gespalten, die unterschiedliche (mehr soziologisch oder mehr marxistisch und praktisch orientierte) Ansätze verfolgten. Es gab mehrere Abspaltungen, zum Beispiel eine Gruppe, die die Arbeit in Padua fortführte, die einzelnen Leute sind bei ganz unterschiedlichen Gruppen gelandet. Ein Teil ist immer noch (wie Alquati) oder auch wieder Mitglied der KPI.

Das Objekt der Untersuchung: die Großfabrik

Die Q.R. setzten mit ihrer Untersuchung bei der Großfabrik an. Ihre These war: wenn man die Machtverhältnisse beeinflussen wolle, müsse man die Großunternehmen angreifen, in denen der kapitalistische Plan realisiert wird. Fiat und Olivetti waren Anfang der 60er Jahre typische italienische Großunternehmen, die massenhaft billige Arbeitskraft aus dem Süden heranholten.

Aus dem realen Kontakt mit der Fabrik thematisierten die Q.R. sehr bald die zentrale und exemplarische Stellung der Montagearbeiter: in der Montageabteilung werden die verschiedenen Teile, die aus den einzelnen Abteilungen (Gießerei, Stanzerei usw.) kommen, zusammengefügt; hier häufen sich also die Widersprüche, die Unstimmigkeiten der Einzelteile aufgrund des Arbeiterverhaltens, die die Montagearbeiter bewältigen sollen. Ihre Arbeit ist vollständig zerlegt, sie gebrauchen nur ihre Hände, praktisch keine komplizierten Werkzeuge oder Maschinen. Die anderen Arbeiter betrachten sie nicht mal als »richtige« Arbeiter, sind sie doch Ex-Bauern, Ex-Friseure, Ex-Metzger. Die Gewerkschaft hat sich für ihre Probleme nie interessiert, weil sie sie für Probleme einer »anomalen und pathologischen Übergangsphase« hielt - obwohl doch gerade diese Arbeiter die Hauptlast der Kapitalakkumulation für den nächsten Schritt hin zur Automatisierung trugen.

Die Methode der Untersuchung: »conricerca« = Mit-Untersuchung

Ein Teil der Gruppe kam von einer fortschrittlichen Soziologie her, die das Konzept der »Mit-Untersuchung« vertrat. Im Gegensatz zur herkömmlichen Soziologie sollte der Untersuchte nicht Objekt sein, sondern selbst aktiv mitarbeiten; die Fragestellungen diskutieren, die Ergebnisse politisch auswerten, Kampfschritte entwerfen.

Einige Genossen gelangten über Partei- und Gewerkschaftskanäle in die Fabrik, arbeiteten z.T. selbst dort und begannen, ein Kontaktnetz unter den Arbeitern aufzubauen. Daneben benutzte man sämtliche Möglichkeiten, um über die Sektionen der Parteien und die Gewerkschaften an die jungen Arbeiter heranzukommen, die mit der Politik ihrer Führung unzufrieden waren.

Ihr Konzept war, daß sich aus dem Kontaktnetz selbständige Arbeitergruppen bilden, die fähig sind, die Untersuchung allein weiterzuführen und erste organisatorische Konsequenzen zu ziehen.

»...war es die Absicht der beiden sozialistischen Genossen in Ivrea [Sitz von Olivetti, nördlich von Turin am Alpenrand], die mit dieser Arbeit begonnen haben ..., die Kader nur einzusetzen, um die Arbeit in Gang zu bringen und um mit den jungen, nicht organisierten Arbeitern Kontakte aufzunehmen. Sie wollten dann mit diesen jungen Arbeitern die Arbeit weiterführen ... Wir haben bereits gesagt, daß diese Arbeit das Ziel hatte, sich immer weiter auszudehnen, zunehmend gründlicher zu werden, um schließlich der einzelnen Erfahrung die größtmögliche verallgemeinernde Bedeutung geben zu können ... (in einer Phase der Stagnation besteht aber) die Gefahr, daß sich das Verhältnis zum Arbeiter auf seine Wutausbrüche oder auf mechanische Interviews reduziert, in denen er zwar Daten liefert, ansonsten aber der bleibt, der er vorher schon war.« (S. 44; vgl. auch S 45)
»Das war nur möglich, wenn man immer wieder auf den Arbeiter selbst zurückkam, um die Diskussion voranzutreiben und den objektiven Prozeß der Politisierung der Thematik nicht aus den Augen zu verlieren. Dies geschah nicht, um 'ein Interview und eine Umfrage zu vervollständigen', sondern um ein dauerhaftes Verhältnis zu schaffen, um vermittels der konkret aufgetauchten Probleme einen festen Kontakt herzustellen, um also gerade jene politische Organisation der Arbeiter in der Fabrik ins Leben zu rufen, die durch die Art der Probleme im Bereich des Produktionsverhältnisses selbst auf eine alternative, das heißt revolutionäre Ebene gezwungen wurde.« (S. 46)

Praktische Vorgehensweise: Erfahrungen mit Fragebögen

Wie alle Untersucher hatten auch die Q.R. mehrmals Fragebögen entworfen, um ihre Fragerei zu systematisieren. Die Erfahrungen speziell bei Fiat sind aufgezeichnet worden. Probleme gab es z.B. mit der »Objektivität« des Interviewers: Am Anfang wurde häufig der Fehler gemacht, durch eigene Anregungen ins Gespräch einzugreifen, die Fragen so zu stellen, daß bequeme, d.h. manipulierte, Antworten rauskommen.

Das deckt sich auch mit unserer Erfahrung bei früheren Stadtzeitungs-Interviews: früher oder später sagen die Leute das, was man hören will. Das hat aber nicht unbedingt etwas mit dem zu tun, was die Leute wirklich denken oder wozu sie bereit sind.

Die Fragebögen störten bei den Q.R. oft die Gesprächsführung, sie unterbanden Verknüpfungen, die die Arbeiter selbst vornahmen, die aber in der Logik der Fragebögen fehlten. Die besten Gespräche fanden in der Regel nach Abschluß des Fragebogens statt.

Man tendierte dazu, eine Masse von Daten und Urteilen zu erfragen, die nur den einzelnen betrafen, z.B. hielt man sich lange bei akribischen Beschreibungen der Tätigkeit des einzelnen Arbeiters auf. Diese Daten waren aber nur sehr begrenzt verallgemeinerbar, machten allenfalls die Kommunikation mit anderen Arbeitern leichter. Daraus zogen die Q.R. dann den Schluß, daß es bei Gesprächen v.a. darauf ankommt, über den einzelnen hinaus die Gesamtsituation im Betrieb zu erfassen. Man müsse sich auch davor hüten, schreiben sie, von bestimmten materiellen Dingen vorschnell auf die Einstellung des Arbeiters zu schließen. Der Besitz bestimmter Konsumgüter und ein bestimmtes Freizeitverhalten braucht nicht gleich auf einen besonders angepaßten Arbeiter zu deuten. Man muß danach fragen, wie die Arbeiter diese Dinge so einschätzen, wie wichtig sie ihnen sind, warum sie eine Sache so und nicht anders machen.

Wichtig ist, den Leuten nicht die eigene Meinung in den Mund zu legen oder einen entwickelten Klassenstandpunkt vorauszusetzen. Deshalb stellten sie Fragen wie »möchtest Du gerne Vorarbeiter sein?«, »Wie sollen Deiner Meinung nach die Löhne gestaffelt sein?«, »Was hast Du Dir von dem Job hier erwartet?«.

Integration - Konflikt - Antagonismus

Bevor die Q.R. selbst in die Fabrik gingen, hatten sie die Vorstellung von einer rationell bis ins einzelne durchgeplanten Organisationsstruktur und von in die Firmenideologie integrierten Arbeitern. Ihre ersten Erfahrungen waren dann, daß die Organisation der Produktion weit weniger »rational« ist, und die Arbeiter weit weniger »integriert« sind als erwartet. Sie entdeckten überall Widersprüche: weil der Ablauf der Produktion verändert wird und Arbeiter und die unteren Ebenen der Hierarchie sich anpassen müssen, weil eine Abteilung die Fehler der anderen ausbügeln muß usw. Es gibt eine Unzahl von Spannungen an allen Punkten und den Arbeitern erscheint die kapitalistische Planung als »organisierte Desorganisation«. Im Gegenzug waren die Leute von Q.R. dann versucht, auf diese Konflikte abzufahren und sie zu übersteigern.

Die genauere Untersuchung machte jedoch klar, daß zwar in jedem Mikrokonflikt die grundlegenden Widersprüche des Systems enthalten sind, aus der Summierung dieser Widersprüche sich aber noch kein Antagonismus ergibt. Mit ihrem Gebrauchswertinteresse versuchen die Arbeiter, die ständig auftretenden Widersprüche durch ihre informelle Kooperation zu lösen, sie verschleißen sich in den Mikrokonflikten und treiben so selbst die kapitalistische Entwicklung voran. Alquati erklärt beispielhaft anhand der Kontrolleure (siehe S. 116ff.), wie man durch die militante Untersuchungsarbeit diesen Widerspruch zwischen der Gebrauchswertsphäre, in der die Arbeiter gefangen sind, und dem Profitinteresse der Kapitalisten knacken kann: die Hauptaufgabe der Kontrolleure besteht nicht darin, die Qualität der Produkte zu garantieren; sie sind dazu da, die Arbeiter untereinander zu spalten.

Die Kooperation der Arbeiter, die diesen Widerspruch immer wieder überwindet, ist also kein Zufall, sondern das Wesen der kapitalistischen Mehrwertproduktion selbst. Wenn die Arbeiter ihre Bedeutung erkennen, ist das ein entscheidender Schritt zur Herausbildung eines Klassenbewußtseins.

»Die wirklichen Probleme verschärfen sich, die Arbeit wird immer entfremdeter: das haben die Genossen in Ivrea nicht erst jetzt entdeckt. Sie wissen auch, daß die Widersprüchlichkeit des Systems keineswegs in eine Dysfunktionalität umschlägt, sondern daß dieses System gerade deshalb so voranschreitet, weil es sich von seinen Widersprüchen ernährt; weil im unmittelbaren Bereich, aufgrund der gegebenen Atomisierung, keiner dieser Widersprüche zum Politikum werden kann, das über den Betrieb hinaus verallgemeinert und damit nicht länger absorbiert werden könnte. Ebenso klar ist jedoch, daß durch die umfassende Wahrnehmung dieser Widersprüchlichkeit am Ende ein wichtiger politischer Rest bestehen bleibt, der heute einen Konfliktraum bezeichnet, der bis auf den Grund gehen und so zum bewußten alternativen Kampf werden kann. Eben dieser politische Rest in der Realität des Großbetriebes läßt jene aufrechten Ideologen, die aus ihrer Gesellschaftstheorie die Klassen und aus der Ausbeutung die Fabrik eliminiert haben, ebenso wie ihre kapitalistischen Herren immer wieder und mehr denn je über das Gespenst der proletarischen Revolution stolpern.« (S. 39)

Punkte von Antagonismus ergeben sich also erst dort, wo der Plan nicht erfüllt wird. Hier ist direkt der Widerspruch zwischen kapitalistischem Plan und Arbeiterwissen wirksam - und nicht der Boykott des frustrierten Technikers oder eines intrigierenden Angestellten. (Siehe Schluß des 1. Teils der Untersuchung, S. 70).

Diskussionsbeitrag:

»Das wichtige an den Q.R. ist die materialistische Analyse des Ausbeutungsverhältnisses. Im Gegensatz zu der Tendenz in der Linken, den Zwangscharakter der Ausbeutung zu überzeichnen, was eben agitatorisch oder aufklärerisch ist, mit den realen Verhältnissen aber nicht viel zu tun hat. Wenn die Arbeit nur Zwangscharakter hätte à la Orwell, wenn also die Mehrwertseite, die produktive Kooperation der Arbeiter, wegfiele, könnten wir nach Hause gehen. Unser Anspruch auf Revolution kommt ja gerade aus der Mehrwertproduktion. Die Q.R. haben den entmystifizierenden Charakter revolutionärer Theorie wiederentdeckt, d.h. systematisch die noch so versteinerten Verhältnisse auf das Handeln der Proleten zurückzuführen. Die Arbeiter produzieren nicht nur das Kapital im stofflichen Sinn, sondern sie reproduzieren auch ständig das Kapitalverhältnis, den Ausbeutungszusammenhang, indem sie ihre Arbeitskraft immer wieder verkaufen und ihre gesellschaftliche Produktivität (produktive Kooperation) dem Kommando des Kapitals unterwerfen. Das hat nichts mit dem bürgerlichen Zynismus 'Die Arbeiter sind selbst schuld an ihrer miesen Lage' zu tun, sondern heißt: die Arbeiter machen die Geschichte, aber sie machen sie nicht bewußt und nicht aus freien Stücken oder so ähnlich. Der Anspruch revolutionärer Theorie liegt darin, nicht nur die Mystifikationen der kapitalistischen Produktion zu entschlüsseln, sondern auch zu begreifen, warum und aus welchen Stituationen heraus diese Mystifizierungen entstehen, warum die Verhältnisse auch im Bewußtsein der Arbeiter ver-kehrt erscheinen, warum ihnen z.B. ihre gesellschaftliche Produktivität als die Produktivität des Kapitals, der Maschinerie erscheint. (Vgl. Alquati S. 45: 'Das erste Ziel war es, die harte Schale der offiziellen Mythen und Gemeinplätze aufzubrechen, mit denen der isolierte und angesichts eines vorzüglich organisierten Kapitalisten ohnmächtige Arbeiter seine verzweifelte Lage rationalisiert, um sie akzeptieren zu können.')

Und jetzt geht's drum, die produktive Kooperation auf neuer technologischer und gesellschaftlicher Stufenleiter zu entschlüsseln: Computerbediener, diffuse Ausbeutung, Prekäre usw. Wichtig ist das angesichts der in der ganzen Linken verbreiteten Mythen über die Allmacht der Computer, Vollautomation usw. In der Diskussion wurde daher auch die Frage angetippt, worin denn in den isolierten Computerarbeitsplätzen noch die produktive Kooperation besteht - z.B. Datatypistin. Sie kooperiert mit der Maschine, so jedenfalls will es die arbeitswissenschaftliche Analyse des »Mensch-Maschine-Systems«, dabei korrigiert sie aber ständig ihre eigenen Fehler, erst ihre Kooperation mit der Programmierarbeit bringt das System zum Laufen (Schreibkräfte an zentralisierten Textverarbeitungssystemen haben entdeckt, daß das System zusammenbricht, wenn sie alle zum selben Zeitpunkt eine Eingabe machen und erkämpfen sich so Pausen). Hier muß dem ganzen Schmuh über Computer eine genauere Untersuchung gegenübergestellt werden. Z.B. Genossen, die im Software-Bereich arbeiten, berichten, daß diese Arbeit die reinste Hudelei ist, Hauptsache, das Programm läuft irgendwie, aber jeder weiß, daß es an bestimmten Stellen dann doch abstürzt. D.h. der Laden läuft nicht, weil die Computer so übermächtig sind, sondern weil die Malocher lernen, mit diesen Fehlern umzugehen, sie auszugleichen oder zu beheben.«

 

Teil 2:

Ergebnisse der Olivetti-Untersuchung

Die Betriebsspitze setzt den kapitalistischen Plan durch, aber sie weiß nicht, wie er verwirklicht wird! Darin liegt das größte ungelöste und unlösbare Problem für jedes System, das auf entfremdeter Arbeit beruht.

Auf den Arbeiter werden immer mehr Aufgaben der Planung, der Organisation und der Kontrolle abgewälzt: er muß immer mehr Funktionen übernehmen, wird sein eigener Kontrolleur.

S. 60 und S. 70: Organisation der Arbeit, Plan, Nichterfüllung - Klassenantagonismus:

»Eines der wichtigsten Merkmale der Mehrwertproduktion ist heute gerade die Tatsache, daß Aufgaben der Planung, der Organisation und selbst der Kontrolle im Entscheidungsbereich jedes einzelnen Arbeiters liegen. Daraus ergibt sich aber eine weitere Komplikation des Problems dadurch, daß der Arbeiter bei allen seinen auf die Produktion bezogenen Entscheidungen unausweichlich gezwungen ist, mit dem Kapital zusammenzuarbeiten, denn im kapitalistischen System ist die Produktion per se Produktion des Profits, Produktion des kapitalistischen Despotismus.« (S. 66)

Der Arbeiter wird so gezwungen, bei jedem Teilschritt mit dem Kapital zusammenzuarbeiten. Der Plan gibt die Arbeitsnorm vor, der Arbeiter versucht, sich einen kleinen Freiraum gegenüber der vorgeschriebenen Arbeitszeit - »Poren« - zu verschaffen. Die Kapitalisten versuchen, ihm jeden Spielraum mittels ihrer Zeitmessungen wieder wegzunehmen, ohne aber zu wissen, wie der Arbeiter die alte Grenze überwinden konnte. Sie setzen neue Normen fest, gegenüber denen sich der Arbeiter wieder frei schaffen muß. Der Kapitalismus ist so organisiert, daß die Arbeiter - beim Bemühen, sich Luft zu verschaffen - ihn immer effektiver organisieren.

»Nachdem der Kapitalist in der neuen, die Arbeitskraft ersetzenden 'Maschine' seine Investitionsquote 'verwirklicht' hat, (muß der Arbeiter an dieser neuen), in den Gesamtprozeß integrierten Maschine 'beginnen', in der die ihm und seinen Genossen in der Vergangenheit gestohlenen Synthesen erstarrt sind: er muß sich an sie 'gewöhnen', um die 'Zeit' zu schaffen ... Doch gerade mit dieser 'Gewöhnung' stellt und löst der Arbeiter vom ersten Tag an das Problem der konkreten 'Ausführung' der 'Norm-Tätigkeit'; und mit den ersten Veränderungen ihrer qualitativen Struktur ... übersetzt er die zuvor festgelegten Annäherungsmargen in Mehrwertmargen. Er schafft schließlich die ihm vorgeschriebene Zeit, indem er seine Bewegungen immer wieder neu organisiert, womit er sich seine 'Poren der Arbeit' zu schaffen versucht (wie Marx den winzigen Spielraum der Autonomie gegenüber dem Kapital genannt hat) ... Und kaum hat ... der Arbeiter seine 'Poren' etwas geöffnet und ein bißchen Luft zu schnappen versucht, ... kommt auch schon der Zeitmesser an, der ihm zur Beruhigung seines Gewissens sofort wieder eine kürzere Zeit vorgibt und so seine Poren wieder zustopft, ohne auch nur zu wissen, auf welche Weise der Arbeiter sie sich geöffnet hatte. Stattdessen setzt er dem Arbeiter jetzt eine neue Norm vor und zwingt ihn damit, wieder von vorn anzufangen.« (S. 95/96)

Die Kooperation der Arbeiter untereinander und mit dem Kapital

Die kapitalistische Produktion ist so organisiert, daß nicht jeder einzelne Arbeiter in der Fabrik »seine Arbeit« macht, sondern die Arbeiter arbeiten zusammen. Der Kapitalist bezahlt zwar einzelne Arbeiter, bekommt aber ihre gesellschaftliche Produktivkraft, die viel mehr schafft an Mehrwert als die Summe der einzelnen Arbeitskräfte es vermöchte. Ihre Kooperation bekommt er umsonst dazu. Die Arbeiter selber organisieren die ganzen Teilschritte der Arbeit, sie allein wissen, wie der Plan erfüllt wird.

Die Kooperation untereinander ist deshalb auch immer Kooperation mit dem Kapital: deshalb bleibt auch die »Solidarität« der Arbeiter untereinander immer zwiespältig, denn alle Beziehungen zu den anderen Arbeitern beruhen auf der Entfremdung, gemeinsam diese Arbeit bewältigen zu müssen.

Alquati beschreibt, wie in jener Phase bei Olivetti immer mehr Funktionen auf die Arbeiter abgewälzt werden; sie müssen die Produktion selbst organisieren, was auch dazu führt, daß sie untereinander verschiedene Funktionen anders verteilen, als es der Vorgesetzte gesagt hat, daß sie bestimmte Arbeiten an andere Arbeiter abschieben. So verwirklichen sie eine bessere kollektive Auslastung der gesellschaftlichen Arbeitszeit, als es das Kapital je organisieren könnte. Sie erlangen ein gesellschaftliches Qualifikationsniveau - gleichzeitig bleiben sie aber in ihren Mikroentscheidungen gefangen.

Das Kapital setzt die Kooperation der Arbeiter in Gang mittels der Fabrik, weiß aber nicht, wie die Arbeiter sie verwirklichen. Unsere Frage ist nun: wann und wo können die Arbeiter ihre Kooperation und ihr Wissen über die Erfüllung des Plans gegen die Kapitalisten einsetzen, die Kooperation »umdrehen« in Arbeitermacht?

Taylorismus

Alquati wendet sich entschieden gegen den Gemeinplatz, Ziel der tayloristischen Methode sei es, die Arbeiter auf Affen zu reduzieren, sie zu reinen Anhängseln der Maschine zu machen. Das Kapital muß die Arbeiter nur zu Anhängseln machen, wenn die Gefahr besteht, daß sich über ein höheres Niveau von Entscheidungsfreiheit die Insubordination wesentlich verstärken würde. (siehe S. 104) Ansonsten sind die Arbeiter für die Kapitalisten viel zu wertvoll, um die Funktion von Affen einzunehmen. Sie sind ihm wertvoll als menschliche Arbeitskraft, die mit ihrer Kreativität die Produktion ständig verbessert - die volle Entfaltung ihrer schöpferischen Fähigkeiten macht die Produktion billig, spart Zeit usw., sie ist aber nur möglich, wenn die Disponibilität der Arbeiter garantiert ist.

»Taylorismus und Arbeiterbewegung. In der Geschichte der Industrie hat es nie eine Tendenz gegeben, die Arbeiter in Affen zu verwandeln und (um hier die Zwieschlächtigkeit des Naturvergleichs zu unterstreichen) in Automaten zu verwandeln. Wo die Mechanisierung bestimmte Arbeitsverhältnisse auf 'Wiederholungen' reduziert hat, hat sie deren Kreativität gerade mit Hilfe der Maschinen entfaltet und auf andere Arbeitsverhältnisse übertragen.« (S. 109)
»Gerade die Arbeiterbewegung betrachtete den Taylorismus als Tendenz, die Arbeiter als konstantes Kapital auf Affen zu reduzieren, wohingegen der tayloristische Slogan die Arbeiter als Proletariat auf Affen reduzieren wollte. Taylor wollte die Rationalisierung der politischen Zergliederung der Einheit und der alternativen Kraft der Arbeiterklasse wissenschaftlich organisieren; inzwischen aber schuf er gerade jene Bedingungen, unter denen die äffischen Aspekte der Arbeit durch die Maschine absorbiert werden konnten.« (S. 110)

Die Taylorisierung war der Schritt zur Automatisierung der Produktion, die Mechanisierung und Automatisierung sind Schritte, um noch mehr Mehrwert aus den Arbeitern herauszupressen. Im Gegensatz zu all den düsteren Globalgemälden sagt Alquati keineswegs, daß die Automaten einfach die Menschen aus der Produktion verdrängen, daß die Fabriken zu menschenleeren Hallen werden, auf die die Arbeiter keine Zugriffsmöglichkeit mehr haben. Das Kapital ist trotz aller Maschinen nach wie vor auf unsere Arbeitskraft angewiesen.

Wir sehen an dem Text auch, daß schon damals, vor mehr als zwanzig Jahren, die Automation wie ein Damokles-Schwert über die Arbeiter gehängt wurde, das sie bedrohen und ihre wirkliche Funktion verschleiern sollte. Gegen all die Ideologien, die den Arbeitern keinerlei produktive und wichtige Funktion mehr zubilligen, stellt Alquati fest, daß gerade mit der fortschreitenden Mechanisierung immer mehr Verantwortung nach unten übertragen wird. Hatte früher ein Arbeiter eine Werkbank und einen Schraubstock unter sich, so muß er vielleicht heute eine ganze Produktionsstraße beaufsichtigen. Die individuelle Qualifikation des Handwerkers ist immer weniger wert, dagegen wachsen die Ansprüche an die kollektive Qualifikation des Proletariats, das die Industrie in Gang hält.

»Mit der fortschreitenden 'Mechanisierung' und 'Tertiarisierung' der Arbeit verdrängt die Kapitalistenklasse nicht etwa den Arbeiter aus den Produktionsverhältnissen, sondern sie steigert vielmehr seine Bedeutung für den Wert des Produktes. Damit schafft sie objektive und immer komplexere Grundlagen nicht etwa für die Beseitigung, sondern für die Entwicklung des 'Proletariats'.« (S. 89)

Alquati sieht im Voranschreiten der Vergesellschaftung der Arbeit die Entstehung von objektiven Bedingungen zur Vereinheitlichung der Arbeiter. Wir sehen uns dagegen heute einem Meer von Zersplitterung und Zersetzung innerhalb einer wachsenden proletarisierten Masse gegenüber - über diesen Widerspruch sollten wir später nochmal anhand der Tertiarisierungsthese diskutieren.

»Das Ziel des Kapitalisten ist es immer gewesen, in den Produktionsverhältnissen ein Maximum an übertragener Verantwortung und objektiver Vergesellschaftung mit einem Minimum an Bewußtsein und politischer Einheit der Arbeiterklasse zu verbinden.« (S. 105)
»Doch die Strukturen der Klassenausbeutung, auf denen die Automation und Planung beruhen, machen die Übertragung der Verantwortung und die objektiven neuen Zusammensetzungsprozesse oft gerade zu jenen Mechanismen, die die erneute Umwandlung des variablen Kapitals zur Arbeiterklasse vermittelt, die sich ihres historischen Antagonismus bewußt ist.« (S. 104)

Das Kapital will mit der Technologie nicht nur mehr Mehrwert aus den Arbeitern herauspressen, sondern auch die Arbeiter vollständig seinem Kommando unterwerfen. Alquati arbeitet die Punkte heraus, an denen deutlich wird, daß es die Arbeiter sind, die das System funktionieren lassen, genauso wie sie die Erneuerung der Produktion vorantreiben.

»Unter 'Maschine' verstehen wir hier das ganze Bündel der in der technologischen Erneuerung erstarrten gesellschaftlichen Beziehungen. Die Arbeiter selbst treiben diese Erneuerung voran, denn der Arbeitsprozeß ist schon im voraus derart organisiert, daß die Arbeiter, die ihn entfalten, koordinieren und integrieren, gleichzeitig auch die zunehmende Erstarrung der lebendigen Arbeit in der neuen 'Maschine' entfalten, koordinieren und integrieren.« (S. 88)
»Doch Olivetti vermag viele Verzerrungen, Verzögerungen, Vergeudungen, Spannungen und Konflikte (in denen die Arbeiter ein alternatives Bewußtsein entwickeln könnten) zu beherrschen, indem sie höchst unbefangen alle die Kompensationsmechanismen, die die Arbeiter sich ausdenken, um ein derart vorausgeplantes System überhaupt (ohne freilich gleich zu übertreiben) funktionieren zu lassen, mit dem Stempel der Technik beglaubigt ... Und dies mit Recht, denn jenseits der Mythen ist die Technik tatsächlich nichts anderes als dieses Setzen der Organisation der Verwertungsarbeit durch die Arbeiter selbst.« (S. 100).

In der anschließenden Diskussion wurde anhand konkreter Beispiele aus verschiedenen Fabriken und der Post beschrieben, wie sich nach einer betrieblichen Umstrukturierung die Arbeiter das Wissen um die Organisation der Produktion neu aneignen müssen: Der Unternehmer setzt eine neue Norm, anfänglich herrscht großes Chaos, am Ende erfüllen die Arbeiter den Plan, indem sie alle neuen Widersprüchlichkeiten bewältigt haben. Das Arbeiterwissen um die Erfüllung des Plans heißt jedoch noch nicht antagonistische Arbeitermacht; antagonistisch wird es erst, wenn eine Vereinheitlichung unter den Arbeitern die produktive Kooperation zum Hebel gegen das Kapital macht. Das Kapital hingegen versucht mit allen Mitteln, sich das Arbeiterwissen anzueignen, um Maschinen zu verbessern und damit die Arbeiter zu immer schnellerer Arbeit anzutreiben.

Etwas anderes ist die Qualifikation, ein bürgerlicher Begriff, der den Anspruch auf höheren Lohn begründet. Der ist aber immer eine Frage des Machtverhältnisses; Qualifikation schließt das Bewußtsein des Arbeiters über seine Verantwortung und Bedeutung für die Produktion mit ein. In dem Moment, in dem die »dequalifizierten« Massenarbeiter ihre Funktion für die Erfüllung des Plans kapierten, brach die Lohndifferenzierung zu den Qualifizierten zusammen. Dequalifizierung bedeutet im Zuge der Automation also einerseits eine höhere Verantwortung des Gesamtarbeiters für die Produktion, andererseits die politische Atomisierung, die Raubung dieses Bewußtseins über diese Verantwortung. (Vgl. Alquati, S. 105)

 

Teil 3:

Modernität und Grenzen des Olivetti-Textes

Schon auf den ersten Seiten des Berichts entwickelt Alquati frappierend Zusammenhänge, die uns hier erst in den letzten Jahren so recht bewußt geworden sind. So analysiert er nicht eine einzelne Fabrik, sondern er sieht sie klar als Kommandozentrale über die Arbeitskraft einer ganzen Region: Olivetti kommandiert die Klitschenproduktion im Hinterland, die Zuliefererfabriken in der ganzen Welt, ein Heer von ungarantierter und schlecht bezahlter Arbeitskraft, die zersplittert und noch unfähig zu einer Vereinigung ist.

Heute sehen wir, wie mit der Kabeltechnologie diese Zentralisierung des Kommandos, die Region als Fabrik, technisch vollendet wird: die Zentrale diktiert direkt die Produktionsrhythmen auf den Bildschirmen, überwacht Tausende von Heimarbeiterinnen, kann den Kleinkapitalisten, der eigentlich nur die Funktion des »Meisters« wahrnimmt, vernichten, falls er die Planvorgabe nicht erfüllt.

Die Verbindung zwischen allen Elementen ist das Transportsystem: sowohl das innerbetriebliche zwischen den Abteilungen, als auch der Verkehr zwischen den einzelnen Werken und Verteilstellen. Über das Transportsystem wird die Ungleichzeitigkeit der Produktion, werden die Unterschiede in der organischen Zusammensetzung des Kapitals bei Klitschen und Fabriken organisiert und die Takte nach dem Niveau der kürzesten Arbeitszeit ausgerichtet. Die modernste Arbeitsorganisation befindet sich immer am Ende der Produktionskette: in der Montagefabrik mit modernster Maschinerie bzw. am Bandende. Hier werden Qualität und Liefertermin (= Arbeitstempo) festgelegt.

»Das Förderband [Transportsystem] ist das Element, dem die Hauptfunktionen der räumlichen und zeitlichen Organisation der Arbeit einverleibt worden sind. ... In dem engen Bereich, in dem das Förderband arbeitet, besteht seine organisatorische Funktion ganz besonders darin, die verschiedenen Arbeitszeiten und Operationen (die in einem durch das Band organisierten Zyklus notwendig »unterschiedlich« sind), dem Niveau der kürzesten Arbeitszeit anzugleichen.« (S. 54)

Der Transportsektor ist heute zu einem entscheidenden Hebel der Restrukturierung der Produktion geworden, der internationalen Arbeitsteilung, der Strukturierung einer Region nach den Bedürfnissen des kapitalistischen Kommandos. Einerseits wurde dieser Sektor immens ausgeweitet, sind die LKWs fahrende Warenlager geworden; andererseits ist die Arbeit stark intensiviert worden. Die Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse hat hier alle berufständischen Eroberungen zunichte gemacht.

Über die neuen Technologien und die Folgen eines massiven Robotereinsatzes in der Industrie gibt es bisher tonnenweise Texte, aber praktisch keine Analyse, die uns Antwort geben könnte auf die Frage, wo wir noch Ansatzpunkte finden können für eine antagonistische Initiative.

Gegen die Mythen müssen wir Arbeiterwissen setzen! Wie funktioniert die Roboterfabrik? Welche Entscheidungen müssen die Arbeiter da drinnen selber treffen? »Fließt« die Produktion? Wo ist die Lücke zwischen Planung durch die Ingenieure und der Tätigkeit der einzelnen Arbeiter?

Alquati meint, daß die Automatisierung die Widersprüche nicht ausräumt, sondern sie auf immer spezifischere Ebenen verlagert und klarer macht (S. 70): dies gilt es herauszufinden!

Die Aussagen über die Tertiarisierung haben sich voll bestätigt: die fortschreitende Mechanisierung hat die Menschen keineswegs von der stupiden Tätigkeit befreit, sie sind nicht alle zu angepaßten Angestellten geworden. Eine Arbeiterin steht heute vielleicht nicht mehr am Fließband einer Konservenfabrik, sondern tippt am Küchentisch Daten in den Computer - vollkommen atomisiert, räumlich weit entfernt von der Kooperation mit Kollegen. Sie ist formal »selbständig«, hat keinerlei »Arbeitnehmerrechte« mehr, sondern trägt alle Risiken selber. Sie ist in Wirklichkeit, was ihr Einkommen betrifft, voll der Verfügungsgewalt des Unternehmers unterworfen. Sie ist also in Wirklichkeit voll proletarisiert, prekarisiert worden.

Auf diese neuen Ausbeutungsverhältnisse wird sich unsere Untersuchung erstrecken müssen, um dann wieder all die einzelnen Situationen zusammenzuführen.

 


3. Sitzung

Referat: Die Untersuchung aufnehmen!

»Die einzig materialistische Basis der Subjektivität ist die Klassenzusammensetzung«. Was aus den Gauklern geworden ist, die in den 70er Jahren was anderes behauptet und praktiziert haben, um sich Einfluß bei den Jugendbewegungen zu verschaffen, dürfte ja bekannt sein. Speziell Negri (von dem paradoxerweise das Zitat stammt) hat bereits Mitte der 70er den »gesellschaftlichen Arbeiter« als neues revolutionäres Subjekt auf den Schild gehoben, der sich in alternativen und untergetauchten Wirtschaftsstrukturen »selbst verwerten« würde und die nächste Phase des revolutionären Programms als »Übergang von der Selbstverwertung zur Selbstbestimmung« angegeben. So hatte man eine Theorie, die einerseits den Aufbau von Miniparteien aus Schülern und Studenten legitimierte, die sich ja alle als »gesellschaftlicher Arbeiter« ansehen konnten, und mit der man andererseits sehr effektiv in die 77er Jugendbewegung intervenieren konnte mit der fatalen Linie, das kämpfende neue revolutionäre Subjekt müsse vor allem seine Kampfformen der »Absonderung« radikalisieren. Auf diese Weise hat sich die Autonomia sehr bald von den realen und massenhaften Punkten der Klassenkonfrontation zurückgezogen. »Wir haben uns im Sand verankert« hat neulich einer der ehemaligen Führer gesagt.

Zwei Präzisierungen:

1) was den »gesellschaftlichen Arbeiter« betrifft, sollten wir nicht das Kind mit dem Badewasser ausschütten. Alquati hat diesen Begriff 1972/73 benutzt, wie er sagt als Arbeitshypothese für eine militante Untersuchung langer Dauer. Was anderes ist das, was die Autonomia draus gemacht hat. Alquati meinte mit diesem Begriff die »neue umfassende komplexe Form der Arbeiterklasse in ihrer gegenwärtigen Neuzusammensetzung«, den »gesellschaftlichen Arbeiter« gebe es erst embryonal, seine potentielle Fähigkeit zu Aktionen und Mobilisierungen von langem Atem sei noch völlig unklar, es gäbe riesige Probleme, was die Neuzusammensetzung der Klasse und ihre politische Vereinheitlichung in der Form gesellschaftlicher Arbeiter betrifft. All diese Hypothesen müßten sich darauf beziehen, wie sich der Massenarbeiter gegen die Zersetzungs- und Spaltungsangriffe verhält. Mehr oder weniger alles Sachen, die die »Autonomia« ins Gegenteil verkehrt hat.

2) die sagenhaften organisatorischen Erfolge der Autonomia sind unbestritten; das sind Probleme, denen auch wir nicht mehr allzulange aus dem Weg gehen können, wir können unsere politische Praxis ja nicht auf alle Zeiten an unseren Kleingruppenstrukturen festmachen [über dieses Thema sollte auf dem Workshop getrennt diskutiert werden, was dann aber ausgefallen ist].

Gerade die Bologneser »Sonderliste« [Siehe Karlsruher Stadtzeitung Nr. 31] ist in den letzten Jahren noch einmal ein Beispiel für die Vor- und Nachteile solcher »Verankerung« gewesen. Ihr Ansatz war ganz einfach der, alle Leute in ihrer Region, die Jobs suchten, in einer Liste zu erfassen und dann von der Kommunalverwaltung (KPI-Modellstadt) zu fordern, daß bestimmte Arbeiten an sie vergeben würden (Telefonbücher austragen, Volkszählung durchführen, Arbeiten auf der Messe usw.). »Körperlich schwere Arbeiten« haben sie abgelehnt, also z.B. keine Fabrikarbeit, vor allem keine Arbeit auf dem Bau angenommen. Andererseits haben sie überhaupt kein kritisches Verhältnis zu den ganzen Sozialbullen-Jobs entwickelt, die sie gemacht haben (Untersuchungen der Punk-Strukturen im Stadtteil im Auftrag der KPI-Verwaltung, Zähler bei der Volksaushorchung usw.). Bestimmte Zerstöraktion gegen Telefonzellen und Arbeitskampfmethoden ähnlich denen der Teamsters in den USA (mafia-ähnliche Trucker-Gewerkschaft) haben ihre Forderungen wirkungsvoll unterstützt, und schließlich hatten sich 5000 Leute in der Liste eingetragen. Aber diese Liste wurde wie gesagt nur durch den Wunsch nach einem lockeren Job zusammengehalten. Man thematisierte weder die ungeheuren Lohnunterschiede zwischen den einzelnen Leuten, noch versuchte man, Verbindungen zu anderen Teilen der Klasse herzustellen. Dementsprechend zerfiel die Liste auch nicht trotz ihrer Größe, sondern an ihrer Größe: für 5000 »Mitglieder« war es nicht mehr möglich, auch nur annähernd genügend Jobs zu »erkämpfen« - und zwar nicht, weil es in der Region von Bologna nicht so viele prekäre Arbeitsverhältnisse geben würde (es gibt viel mehr!), sondern weil eine solche Menge effektiv in die KPI-Klientelspraxis von Jobvergabe hätte einschneiden müssen, das ganze also als politisches Problem, letztlich als Klassenproblem hätte angepackt werden müssen - dafür reichten aber die korporativen Interessen der »Mitglieder« nicht aus.

Zusammengefaßt: wir können von der Autonomia sicherlich lernen, wie man große organisatorische Strukturen aufbauen kann, wir sollten aber auch gelernt haben, daß man nicht die eigenen Interessen klassenmäßig drapiert und fertig ist die revolutionäre Partei (bzw. genau das!). Was die militante Untersuchung betrifft, können wir mit einigen Ausnahmen (»proletarische Runden« z.B.) so gut wie nichts von der Autonomia oder ähnlichen deutschen Gruppen lernen (»Proletarische Front« usw.).

Es ist keineswegs unmöglich, sich als Jobber zu organisieren, es ist sogar ganz offensichtlich, daß in den nächsten Jahren einiges mehr an Jobberaufsässigkeit und an Jobberkämpfen laufen wird als in den zurückliegenden vier Jahren, in denen wir das propagiert haben. Es ist aber genauso klar, daß sich diese Kämpfe nicht aus sich heraus stabilisieren werden oder ausweiten können. Es ist ein Leichtes, in einem Betrieb mit einem festen Prozentsatz Prekärer, Sklavenmalocher und/oder Jobber dem Boss klarzumachen, daß man für seinen Hundelohn nicht weiter malocht. JobberInnen sind allemal drauf, Putz zu machen, entwickeln in Konfliktsituationen sagenhafte Organisationstalente [»gesellschaftliche Kooperation« gegen den kapitalistischen Plan wenden] und ziehen alle Register, um sich durchzusetzen. Das haben wir jetzt in allen Richtungen durchbuchstabiert: in Bremen mal eben eine Nachtschicht auflösen, in Mailand die Essensversorgung der Kantinen durcheinander bringen, in Philippsburg einen Sklavenhändler in die Knie zwingen usw. Aber in der Regel sind wir schon an dem Problem gescheitert, zum Beispiel einen höheren Lohn nicht nur zu erkämpfen, sondern den dann auch zu kriegen (weil wir meistens kurz darauf rausgeflogen sind).

Ein ähnliches Problem ergibt sich, wenn wir über unseren unmittelbaren Tellerrand und die offiziellen Presseverlautbarungen hinausgucken: auch nach zehn Jahren Krisenpolitik ist die Gesellschaft nicht befriedet, es herrscht keine Ruhe im Land und in den Fabriken. ArbeiterInnen wehren sich gegen drohende Entlassungen, überall ist Widerstand gegen Sozi-Zwangsarbeit entstanden, wehren sich Leute gegen Kürzungen beim Sozi- und Arbeitslosengeld .... Aber für alle diese Konflikte gilt das gleiche: sie haben nicht aus sich heraus die Kraft zum Bruch und zur Ausweitung, sie laufen individuell oder bestenfalls betrieblich ab, sind oft korporativ geprägt, einige können sogar von den Herrschenden für das weitere Vorantreiben ihrer Krisenpolitik funktionalisiert werden (etwa wenn der DGB »Arbeit für alle« brüllt, wenn Arbeitslosen-Demos als Betteln um Arbeit organisiert werden, wenn sich die hungerstreikenden Reha-Umschüler mit Haimo George darüber unterhalten, bei wem denn an ihrer Stelle gekürzt werden sollte ... [bezieht sich auf eine Diskussion im Dezember '83 in Wildbad nach dem Hungerstreik der Umschüler gegen die Unterhaltsgeldkürzungen, siehe Karlsruher Stadtzeitung Nr. 33]).

Die Kampfkraft des Massenarbeiters ist zersetzt, von den Abwehrkämpfen im bisherigen Stil gegen Entlassungen und Betriebsschließungen sind keine vereinheitlichenden Signale zu erwarten; auf der Seite des mobilisierten und umgeschichteten Proletariats bildet sich nirgends eine stabile Kampffront heraus und schon gar nicht sind irgendwelche vereinheitlichenden Kampftendenzen auszumachen.

Um also auf die obige Diskussion zurückzukommen: unsere Initiativen sind bestenfalls Embryonen einer neuen politischen Klassenzusammensetzung. Es ist wichtig, die Augen aufzukriegen und mitzukriegen, was im Proletariat abgeht, wie die Leute auf ihre neue Situation reagieren, Verbindungen herzustellen. Und es ist falsch, um irgendwelche »Forderungen« herum unsere Fähnlein zu scharen.

Wir haben bereits weiter oben ausgeführt, daß wir einige Schritte weiterkommen, wenn wir die gegenwärtige Situation vom kapitalistischen Projekt her analysieren. Vom Projekt der »integralen Beschäftigung« her entschlüsseln sich sowohl die produktive Struktur als auch die Struktur der technischen Klassenzusammensetzung:

a) dem Kapital geht es um die Wiedererrichtung seiner Profitraten. Von den zwei Extrempunkten der Produktionsstruktur her läßt es sich am besten erklären, wie das passiert und passieren soll; einerseits die Pole extremer Mehrwertraten: wenig Arbeitskraft, neue Technologien, extrem hohe organische Zusammensetzung des Kapitals, praktisch 7 x 24 Stunden durchlaufende Maschinen (die 35-Stunden-Kampagne wird ein Schritt dahin!); andererseits weltweit (also Philippinen genauso wie Ruhrgebiet, Malaysia genauso wie Schwarzwald) massenhafte Ausbeutung von Niedriglohn-Arbeit, niedrige organische Zusammensetzung, brutal ausgedehnter Arbeitstag (die 84 Wochenstunden, die laut neuer Arbeitszeitordnung in der BRD künftig möglich sein sollen, sprechen eine deutliche Sprache!); die halbe Million Arbeiter, die der BRD-Staat seit 1982 eingestellt hat genauso wie die 5 Millionen neue Arbeitsplätze in den USA sind zum größten Teil Beispiele für diese Art der Ausbeutung; außerdem natürlich Klitschenproduktion, Sklavenhändler, große Teile der Schwarzarbeit usw.

Zwischen diesen beiden Polen spielt sich das Ganze ab: Jobber in der Halle 54, Klitschenproduktion für den Weltmarkt auf höchstem technologischen Niveau, Jobber in Atomkraftwerken, Schwarzarbeit in der Computer-Fabrik usw.; die zwei Extrempunkte sind vor allem gedankliche Modelle, um die Wirklichkeit, die sich zwischen ihnen abspielt, zu kapieren.

b) Senkung der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit und Ausdehnung des Arbeitstages, Massen»arbeitslosigkeit« und Ausdehnung der Verwertung auf alle menschliche Arbeitskraft ... Die dem entsprechende technische Klassenzusammensetzung könnten wir mit einigem Vorbehalt mal als »Prekäre« bezeichnen. Mit einigem Vorbehalt deswegen, weil sich der Begriff ja nur auf die Form des Arbeitsverhältnisses bezieht: prekäre Arbeitsverträge sind inzwischen gesamtgesellschaftlich durchgesetzt, also auch Ingenieure, Techniker usw. kriegen oft nur noch befristete Verträge, freie Mitarbeiter-, Werkverträge usw.; aber die meinen wir ja nicht, sondern wir meinen vor allen Dingen die zwangsmobilisierten Malocher, die un- und angelernten ArbeiterInnen, »Arbeitslose«, Sozi-Empfänger - »Prekäre« bedeutet in diesem Zusammenhang, daß man eben weder Sozi-Empfänger, noch »Arbeitsloser«, noch Malocher, noch Zwangsgeräumter ist und bleibt, sondern all dies nacheinander und durcheinander. Der Begriff soll die Aufmerksamkeit darauf richten, daß sich diese ProletarierInnen in keiner Stellung mehr einrichten können (und wollen!), sondern durch all diese Stationen sich hindurch bewegen (und durchgeschleust werden!) - teils als Ausdruck der Zwangsmobilisierung, teils als Ausdruck der Tatsache, daß sie keine dieser Situationen akzeptieren (Arbeitslosenkohle als Flucht vor der Maloche). Diese ProletarierInnen werden sich also gerade nicht formal nach ihrem jeweiligen Vertragsverhältnis definieren können, sondern Bewußtsein von sich nur über die Einsicht in ihre Funktion als gesellschaftliche ProduzentInnen kriegen.

Prekarisierung benutzen wir darüber hinaus als Begriff, der die »Widersprüche« zusammenfaßt: Massen»arbeitslosigkeit« und Ausdehnung des Arbeitsvolumens, Senkung der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit und Verlängerung des Arbeitstages. Bei einer »Arbeitslosigkeit« von über 4 Millionen zum Stichtag und jährlich 6 Millionen neuen offiziellen Arbeitsverhältnissen machen die »Prekären« die Mehrheit der Klasse aus: ungelernte (oder mit dem »falschen« Beruf), mobilisierte, jobbende MalocherInnen; Leute, die ihr niedriges Einkommen durch Doppel- und Schwarzarbeit aufbessern; Leute, die nur noch bei Sklavenhändlern Anstellung finden; Jugendliche, die noch gar keine offizielle Anstellung hatten ... Diese Situation ähnelt der historischen Situation, in der die Wobblies agierten: große technologische Innovationsprozesse, Millionenheer von Prekären und Wanderarbeitern, die von keiner Institution repräsentiert werden, da sich die Gewerkschaften heute wie damals auf die Vertretung einer stark geschrumpften und weiter schrumpfenden Kernarbeiterschaft beschränken und sogar aktiv dabei mitspielen, die Prekären aus dem Garantiensystem rauszuhalten.

Über die Entwicklung dieser technischen Klassenzusammensetzung zur politischen können wir im Moment nur die Hypothese aufstellen, daß sie aus dem Widerspruch zwischen Ausweitung der Verwertung und Marginalisierung hervorgehen wird, daß sich also aus der produktiven, gesellschaftlichen Kooperation all dieser sozial Marginalisierten ein Bewußtsein von der eigenen Rolle als gesellschaftliche ProduzentInnen entwickeln wird, ein Bewußtsein der eigenen kollektiven sozialen Existenz. Dazu hat Negri im Interview über den gesellschaftlichen Arbeiter ausgeführt: die Entwicklung von der technischen zur politischen Klassenzusammensetzung geschieht über den Begriff der produktiven Kooperation. »An einem bestimmten Punkt bemerken wir, daß die produktive Kooperation nicht für die Realisierung des Produkts funktioniert, sondern für die Realisierung der Arbeiterkommunikation, für die Realisierung des Kampfs auf Massenebene. Das heißt, an einem bestimmten Punkt beginnen wir zu sehen, daß die produktive Kooperation, das heißt, daß du, ich, er im selben Zyklus arbeiten, nicht nur eine Kooperation unserer Arbeit für die produktive kapitalistische Verwertung ist, sondern auch eine Reihe von sekundären Effekten bedeutet, die aber aus unserem Gesichtspunkt primär sind. Eine Reihe von Kampfsequenzen beginnt sich zu bilden, die zuerst mechanisch dem zyklischen Rhythmus des Arbeitsprozesses folgen, dann aber anfangen, sich von ihm zu lösen und politisches Element zu werden.« (vgl. überhaupt die Auszüge aus dem Negri-Interview in TheKla 5 S. 7-31, zum Marx'schen Begriff der Kooperation vgl. MEW 23 S. 341 ff. und MEW 25 S. 89 ff.)

Daraus ergaben sich Anregungen und erste Linien für die militante Untersuchung:

Dies sind nur erste Linien für eine militante Untersuchung. Sie sind nicht hierarchisch, sondern jede Gruppe sollte da anfangen, wo sie Möglichkeiten hat und so, wie es ihren Kräften entspricht. Wir meinen allerdings, daß wir alle den Gesamtzusammenhang sehen und uns darauf beziehen müssen, wenn bei den einzelnen Sachen was rauskommen soll.

Ziel dieser »Voruntersuchungen« (Alquati) ist es rauszukriegen, wie die technische Klassenzusammensetzung aussieht, wo ihre Knotenpunkte von Widerstand und Angriff liegen, wo sie massenhaft konzentriert ist, wo die verwundbaren Punkte des kapitalistischen Zyklus sind und wie wir sie angreifen können.

Die militante Untersuchung ist aber nicht nur Mittel, um uns 'n Sack voll Informationen an Land zu ziehen, die wir dann verwalten, sie ist auch revolutionäres Prinzip, das wir immer anwenden müssen. Es geht ja darum, die Unterdrückten und sprachlos Gemachten zu Wort kommen zu lassen. Wir wollen nicht der Klasse unsere radikalisierten Scene-Inhalte überstülpen, sondern rauskriegen, wie sich die produktive gesellschaftliche Kooperation abspielt, wo sich Konflikte ergeben, wie sich diese zu einem antagonistischen kollektiven Bewußtsein und Kampf verdichten. Wir wollen den Klassenkampf aus dem entwickeln, was die Leute selber denken und nicht aus unserem »Partei-o.ä.-programm«. Deshalb ist es ganz wichtig, von Anfang an auch am Aufbau eines Arbeiternetzes zu arbeiten; das heißt erst mal ganz simpel, Kontakte halten, Diskussionen führen, Treffen anregen ... Wir sind im Moment nicht in der Lage, allgemeingültig anzugeben, wie das dann aussehen kann, nur mal als Anregung: die Quaderni-Rossi-Gruppen haben zwischen ihren Untersuchungen und dem Heißen Herbst '69 einen Großteil ihrer Anstrengungen darauf verwandt, »Arbeiterredaktionen« in den Betrieben zu initiieren, in denen sie Kontakte hatten. Und sie haben sich bei der Herstellung der Zeitungen zwar aktiv an den Diskussionen beteiligt, vor allen Dingen aber gelernt, irgendwelche intellektuelle Arroganz abzulegen und den Arbeitern die letztendliche Entscheidung zu überlassen - bevor es das (politische) Konzept von »Arbeiterautonomie« gab, haben sie es also ein Stück weit umgesetzt.

Vorgehensweise

Im Interview zum gesellschaftlichen Arbeiter entwickelt Negri drei Dimensionen der politischen Arbeit der Quaderni Rossi, an die wir uns, glaube ich, auch heute halten können: 1.) Lektüre des »Kapital«, 2.) Kritik der kapitalistischen Ideologien, 3.) die konkrete Untersuchungsarbeit (siehe TheKla 5 S. 12-15).

1.) Wir würden nicht das »Kapital« zur Pflichtlektüre erklären, wir sollten uns auch nicht aufs »Kapital« beschränken. Aber wichtig ist, daß wir uns analytische und methodische Instrumente erarbeiten. Einige grundlegende Marx'sche Kategorien brauchen wir schon, um den Charakter der gegenwärtigen Krise zu entschlüsseln, die einzelnen Angriffsmaßnahmen des Kapitals auf die Reihe zu kriegen usw. Dann sind auch einige Weiterentwicklungen und Präzisierungen der Operaisten sehr wichtig für die aktuelle Diskussion und die Untersuchung: Mehrwertrate als Ausdruck des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen, Technologie als kapitalistische Waffe, Doppelcharakter der Kooperation, Konzept von der Klassenzusammensetzung. Zu klären sind schließlich auch »neuere« (in Wirklichkeit alte) Fragen: Bedeutung der unentlohnten Arbeit, Verhältnis der »Überschußbevölkerung« zu den Profitraten, Verhältnis der zentralen Zyklen zur verstreuten Ausbeutung (wie setzt sich die produktive Kooperation fürs Kapital in Putz-, Bedien- usw. Jobs in kollektiven Antagonismus um?). Theorie und Praxis gehören bei diesem Prozeß zusammen: die (theoretischen) Begriffe, die wir benutzen oder neu einführen, beziehen sich auf konkrete Erfahrungen und politische Probleme, wir müssen sie auch immer wieder an der Realität überprüfen, wir brauchen kein »Theoriegebäude«, wo durch Verschieben von Begriffen immer wieder eine schöne bunte Fläche entsteht wie beim Zauberwürfel! Und auch umgekehrt: natürlich stellen bestimmte theoretische Klärungen und begriffliche Ausarbeitungen neue und eventuell höhere Ansprüche an unsere praktischen Ansätze.

2.) Wir müssen die kapitalistischen Ideologien zerfetzen. So wie es damals die Quaderni Rossi mit einem »integrierten Arbeiter« und einem kapitalistischen »Plan, der alles regelt« zu tun hatten, haben wir es auch heute mit einem ganzen Bündel von Ideologien zu tun, die - wie damals - auch den Linken die Köpfe verwirrt haben: »der Gesellschaft geht die Arbeit aus«, »die Roboter kommen, und dann braucht das Kapital keine menschliche Arbeitskraft mehr«, »der Wirtschaft muß es wieder besser gehen, dann geht es uns allen wieder besser« (wie sehr diese Ideologie greift, sieht man am CDU-Wahlsieg!). Speziell in bezug auf die neuen Technologien verwirren sich diese Ideologien zu einem Labyrinth: Die Gewerkschaften unterstützen sie wie jeden technologischen Fortschritt und versuchen lediglich, die Folgen »sozial abzufedern«; sie mobilisieren aber gleichzeitig ihre Basis mit einer Gleichsetzung von Maschinen mit Arbeitsplatzvernichtung (eben um mit diesem »Druck von der Basis« die »soziale Abfederung« durchzusetzen); diese Gleichsetzung geht aber weit über die Gewerkschaftspropaganda hinaus, wie wir an der letzten »Autonomie« [Nr. 13] gesehen haben, die in ihren pessimistischsten Passagen die Schlacht verloren gibt: Die neue Technologie sei durchgesetzt, der Klassenkampf von unten beendet. Auch die »grünen Realpolitiker« haben ihr Herz für den kapitalistisachen Fortschritt längst entdeckt, und Thomas Schmidt, immerhin ehemaliger Genosse der »Autonomie«, schwafelt was von »neuer Synthese zwischen Industrie und Freiheit«.)

Wir müssen die Roboter und überhaupt die ganzen neuen Technologien vom Arbeiterstandpunkt her auseinandernehmen so wie Alquati damals den Kreisförderer.

Während die Ideologien und Mythen vom »Roboter« die offizielle Arbeiterbewegung lähmen zwischen Hoffen (daß sich »die BRD« im internationalen Wettbewerb behaupte) und Bangen (vor den sozialen und politischen Folgen dieser »Behauptung«), sorgt die Ideologie von der »Arbeitslosigkeit« (»der Gesellschaft geht die Arbeit aus«, »die Arbeit muß gerechter verteilt werden«, »Arbeit für alle«) dafür, daß Millionen von ProletarierInnen aus dem politischen »Kräftespiel« ausgeklammert bzw. schlimmstenfalls sozialdemokratisch-gewerkschaftlich ruhiggestellt werden. Hier müssen wir in den jeweiligen Situationen die wirklichen Inhalte von »Arbeitslosigkeit«, Verelendung, Flexibilisierung, Mobilisierung usw. herausarbeiten.

Und natürlich auch die Ideologien in den eigenen Reihen angreifen: gegen die grün-autonom-liberale Allianz des Mindest-Einkommens!

3.) Wir müssen die konkrete Untersuchungsarbeit systematisch anfangen und vorantreiben. Das Untersuchungsprojekt geht erstmal von zwei Sachen aus: Wir wollen uns planvoll über die Abschottung der linksradikalen Szene von der Klassenwirklichkeit absetzen; und es lassen sich derzeit keine Klassenkämpfe ausmachen, an die wir uns einfach dranhängen könnten. Zudem geht es uns nicht darum, wie die K-Gruppen Anfang der 70er Jahre irgendwelche Konflikte auszumachen und sie dann »organisiert« aufzublasen und auszuschlachten, aus jeder Fabrik ein, zwei »Vorzeigearbeiter« rauszuziehen, sondern wir wollen materialistisch die Klassenzusammensetzung untersuchen, die Mythen aufdecken, mit denen die Leute ihre Situation ertragen, die Unterdrückten zu Wort kommen lassen, Punkte von sozialer und politischer Homogenisierung ausmachen.

»Militante Untersuchung« heißt, daß wir keine Soziologie betreiben. Das heißt zum einen, keine platte Zustandbeschreibungen anzufertigen, sondern unser Untersuchungsprojekt lebt von der Spannung zwischen technischer und politischer Klassenzusammensetzung. Das heißt zum anderen, daß wir die »Untersuchten« nicht als Objekte unseres Mitleids oder unserer wissenschaftlichen Neugier sehen, sondern als Subjekte, die sich selber an der Untersuchung beteiligen sollen.

Aus dem bisher Diskutierten sind ja einige Linien deutlich geworden, die wir als Orientierung für unser Untersuchungsprojekt benutzen können: Dem Kapital geht es nach wie vor um die Realisierung seiner Profite, es setzt seit einigen Jahren auch in den Metropolen auf breiter Front wieder höhere Mehrwertraten durch. Dabei kann es den grundlegenden Widerspruch nicht abschaffen, daß sich in der Mehrwertproduktion auch die antagonistische Klasse immer wieder neu konstituiert. Um diesen Widerspruch auszulöschen, müßte sich das Kapital selbst abschaffen. Wir müssen also unsere Untersuchung entlang der Linien von Verwertung/Ausbeutung vorantreiben. Für weite Bereiche der Ausbeutung heißt das wohl zunächst mal, sie überhaupt wahrzunehmen, zu lokalisieren, ihren Umfang klarzukriegen. Für sehr weite Bereiche heißt das, mit Schwerpunkt wirklich erst mal zu untersuchen und keinen Kampfvorschlag oder Interventionsansatz zu haben.

Um voreilige Schlüsse, Frusts und Illusionen zu vermeiden, ist auch wichtig, daß wir uns über die derzeitigen Grenzen unseres Untersuchungsprojekts im Klaren sind. Wir machen jetzt nicht mal schnell »die Klassenanalyse« oder kriegen mal eben auf die Reihe, »wie aus der technischen die politische Klassenzusammensetzung wird«, sondern das ist unser Ziel, und wir sind noch ziemlich am Anfang. Als nächsten Schritt könnten sich einige Städte darauf verständigen, gemeinsam die oben skizzierten »Vor-Untersuchungen« anzupacken, außerdem könnten wir vielleicht gemeinsame Hypothesen ausarbeiten, die uns dann als Leitfaden dienen können.


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