Öl, Waffen und Geld
Gulf Information Group/USA - Februar 1991
Einleitung
Die Parole »Kein Blut für Öl« war das Motto der Bewegung gegen den Golfkrieg. Vier Worte decken die Lügen der Bush-Regierung über ihren Angriff auf den Irak auf. Überall auf der Welt haben die Menschen erkannt, daß es ein Krieg um Öl ist. Sogar einige der Kriegsbefürworter sind von dem Gedanken motiviert, daß die USA ein von Gott gegebenes Anrecht auf die Kontrolle des Öls im Nahen Osten besitzen. Viele Menschen - unabhängig davon, ob sie den Blut-für-Öl-Handel gut finden oder nicht - erkennen, daß die USA keine halbe Million SoldatInnen an den Persischen Golf schicken, um irgendwelche internationalen Gesetze oder UN-Resolutionen zu unterstützen. Dieses Papier zeigt, daß die allgemeine Wahrnehmung dieses Blutvergießens als eines Kriegs um Öl richtig ist.
Der folgende Text untersucht die Bedeutung und die jüngste Geschichte der beiden Flüssigkeiten in der Parole - Blut und Öl.
Um die gegenwärtige Krise zu verstehen, müssen wir ihre Hintergründe betrachten: Kapitalismus und Krieg. Blut ist der Lebenssaft der Menschen, der in Arbeit gesteckt oder auf Schlachtfeldern vergossen wird. Öl war eine der wichtigsten Waren der Welt im 20. Jahrhundert, und die Geschichte seines Handels und seiner Verwertung ist die Geschichte des Kapitalismus. Blut und Öl öffnen uns eine lange, komplexe und grausame Geschichte.
Der erste Teil dieses Papiers diskutiert die Gründe für den ersten Anstieg der Ölpreise in den Jahren 1973-1974, den entscheidenden Wandel in der kapitalistischen Strategie, den dieser Anstieg darstellte, und die internationale Umstrukturierung der Zusammensetzung der Arbeiterklasse in den folgenden Jahren.
Der zweite Teil betrachtet, warum die Ölpreise in den 80ern fielen, wie sich Krieg und Austeritätspolitik auf dem Planeten ausbreiteten, und wie Ende der 80er eine »internationale Intifada« wie Phoenix aus der Asche aus der Zerstörung des zurückliegenden Jahrzehnts auftaucht.
Der dritte Teil analysiert die aktuelle Golfkrise: die Gründe für den geplanten Ölpreisanstieg 1990, Iraks Kampfansage an die US-Kontrolle über Öl-Preise und -Einnahmen, und die Bedeutung einer dauerhaften Besetzung des Nahen Ostens durch das US-Militär.
Wir sollten vorab betonen, daß die unter Anti-Kriegs-Aktivisten in den USA verbreitete Annahme, daß nämlich die USA für billiges Öl kämpfen, falsch ist. Die US-Regierung bemüht sich, ihre Kampagne gegen den Irak als eine Anstrengung darzustellen, die den Ölpreis niedrig halten und eine Rezession in den USA verhindern soll (oder »Arbeitsplätze retten« und »unseren Way of life verteidigen«). Aber der US-Regierung geht es nicht um billiges Öl, tatsächlich kämpft sie für teureres Öl. Die internationale Ölindustrie plant für dieses Jahrzehnt einen Anstieg der Ölpreise. Das Pentagon beabsichtigt eine dauerhafte militärische Besetzung des Persischen Golfs. Die US-Truppen sollen die durch die höheren Ölpreise steigenden Einnahmen der Staaten im Nahen Osten kontrollieren. Dies ist ein Krieg um Öl, weil es ein Krieg um Öleinnahmen ist.
Die US-Regierung will absichern, daß die »Petrodollars« des Nahen Ostens dazu verwendet werden, Zinsen für westliche Bankkredite (aus Europa, den USA und Japan) zu bezahlen, der US-Rüstungsindustrie mehr Waffen abzukaufen und die Investitionen für die zunehmende Erschließung von Land zur Ölproduktion (zum Beispiel in den Regenwäldern Südamerikas und in Alaska) zu finanzieren. Die US-Regierung will nicht, daß die Länder im Nahen Osten die Einnahmen für weitere soziale Programme, höhere Löhne oder eine unabhängige wirtschaftliche Entwicklung »verschwenden«.
Erste Aufgabe des US-Militärs ist es, die Macht des irakischen Staates zu zerstören, der zu stark und unabhängig von den US-Plänen geworden war. Aber die SoldatInnen, die jetzt den Irak bekämpfen, werden sich bald Interventionen in anderen Ländern widmen, vielleicht in Ägypten oder Marokko unbeliebte Regimes stützen, vielleicht andere Rivalen wie den Iran schlagen, vielleicht im Sudan oder in Somalia eine neue Regierung einsetzen. Es gibt viele potentielle Angriffsziele des Pentagons, besonders da die große Mehrheit der Menschen im Nahen Osten, vom Iran bis Marokko, sich an den englischen und französischen Kolonialismus erinnert, und ganz und gar gegen die aktuellen Anstrengungen ist, dort wieder imperialistische Kontrolle durchzusetzen.
Neben ihrer Strategie für den Nahen Osten, wollen die USA ihre Kontrolle über Öl-Preise und -Einnahmen dazu benutzen, die US-Militärindustrie im Geschäft zu halten und den Dollar als internationale Leitwährung zu stärken. Die US-Kapitalisten können nicht mehr mit der BRD und Japan konkurrieren, aber sie halten immer noch einige Trümpfe in der Hand. Ihr gegenwärtiger Beitrag zum internationalen Kapitalismus ist die Rolle als Weltwaffenfabrik, als Polizeimacht, Finanzmanager und als Regler des Ölventils im Nahen Osten. Dies sind traditionelle Rollen des US-Kapitals in der Nachkriegszeit, die jetzt aber mit deutlich mehr Druck wieder geltend gemacht werden.
Die überragende Bedeutung der Öleinnahmen verrät die Belanglosigkeit des Arguments, daß Energiesparen in den USA Kriege um Öl verhindern würde. Die USA erhalten nur 10% ihres Öls aus dem Nahen Osten. Und selbst wenn sie keinen Tropfen Öl importieren würden, ständen 500 000 ihrer SoldatInnen am Golf und würden ihre B-52 Bombenteppiche über dem Irak abwerfen. Energieeinsparung mag an sich eine gute Forderung sein, aber an der US-Kriegstreiberei am Golf kann es nichts ändern.
Die Golf-Informations-Gruppe meint, der beste Weg, um gegen diese Kriegstreiberei zu kämpfen, ist die Verbindung der Forderung nach Beendigung des Krieges mit dem Kampf gegen die Austeritätspolitik und die Militarisierung in den USA. Kämpfe gegen den Krieg müssen sich auch gegen die gestiegenen Preise richten, die sinkenden Löhne, die Enteignung von Land (durch Multis, Makler, Militär usw.) und gegen den Aufbau eines Polizeistaates in den USA. Die Bomben, die auf Bagdad fallen, zielen auch auf diejenigen von uns hier, die ein besseres Leben und soziale Gerechtigkeit forderten. Die Bush-Administration versucht uns mit diesem Krieg zu sagen, daß unsere Kämpfe aussichtslos sind, der Staat so mächtig, die Repression so massiv ist, daß wir besser aufhören zu kämpfen, noch bevor wir angefangen haben.
Die USA sind heute eine Gesellschaft mit High tech-Industrie, umgeben von einem riesigen Meer von NiedriglohnarbeiterInnen. In den Augen des Pentagon sind die USA eine unerschöpfliche Quelle für Kanonenfutter. Unsere Kämpfe gegen Armut, Machtlosigkeit und das Gefühl der Hoffnungslosigkeit sind ein direkter Kampf gegen die »Einberufung durch Verarmung«. Mit seinen Verträgen, seinen Kriegsgerichten und der geringen Bezahlung ist Militärdienst eine Art amtlicher Sklaverei.
Wir müssen unsere Truppen dadurch unterstützen, daß wir eine Gesellschaft schaffen, in der die Menschen nicht bei der Army nach nem Job suchen müssen, in der die Leute nicht in eine antidemokratische, sexistische, rassistische und schwulenfeindliche Organisation eingezogen werden, in der die Menschen ihr Leben nicht weltweiter imperialistischer Politik opfern - und nicht, indem wir sie in den Tod schiken. Das US-Militär ist ein Abriß von allem Falschen in dieser Gesellschaft: der patriarchalen und autoritären Werte, der Diskriminierung von Schwulen und Lesben, des Gebrauchs von Farbigen als Kanonenfutter, der institutionalisierten Brutalität.
»Unterstützt unsere Truppen« im Sinne der Regierung heißt Unterstützung beim blinden Gehorsam. Aber die Befehle sind verbrecherisch und die Männer, die sie erteilen, Kriegsverbrecher. Außer als Kanonenfutter, scheren sie sich einen Dreck um die SoldatInnen. Man schaue sich nur die gleichgültige Behandlung der Vietnamveteranen durch die Regierung an. Ein Drittel der zur Zeit Obdachlosen sind Vietnamveteranen. Die, die jetzt angeblich die Truppen unterstützen, werden sie bald wieder ausgrenzen wollen, wenn sie zurückkehren in dieses Land voller Armut, Dreck und Bullen.
I. Öl:
Vom Auto-Deal zu den ÖlpreisschocksWenn das Öl die Wurzel der aktuellen Krise am Golf ist, sollten wir zuerst die Frage beantworten: Was ist Öl? Offensichtlich eine Substanz, die aus dem Boden gepumpt wird, dann veredelt und in Fabriken und Autos verbrannt wird. Aber da das Öl auch eine Ware ist, deren Kauf und Verkauf weitgehend das globale Niveau der Löhne, Gehälter und Profite bestimmt, gibt es weit mehr zu sagen. Öl könnte als grundlegende Ware bezeichnet werden. Sein Preis bestimmt den Preis der meisten anderen Waren. Steigt oder fällt der Ölpreis, fallen oder steigen die anderen Preise meistens entsprechend.
Was also bestimmt den Ölpreis? Viele Leute nehmen an, die »unsichtbare Hand« des Marktes kontrolliere die Preise. Diese Sichtweise ignoriert jedoch die bewußte Marktmanipulierung. Öl ist tatsächlich ein Hauptinstrument der kapitalistischen Planung und Gegenstand verschiedenster politischer Kämpfe. Diese Kämpfe durchliefen mehrere historische Phasen.
Bis in die frühen 70er war der größte Teil des Welterdöls im Besitz von sieben westlichen (hauptsächlich US-)Öl-Gesellschaften, den sogenannten Sieben Schwestern. Sie produzierten und verkauften das Öl. In der produktivsten Erdölregion des Planeten, dem Nahen Osten, besaßen diese Gesellschaften riesige Landstriche und zahlten nur eine formelle Steuer an die jeweiligen Regierungen. Das war eine Epoche relativ billigen Öls. Die kapitalistische Planung im Westen baute auf steigende Löhne und steigenden Konsum der Arbeiterklasse, einhergehend mit einer wachsenden Produktivität in den Fabriken. Die Planer hatten die keynesianische Strategie übernommen (benannt nach dem Ökonom J.M. Keynes). Für das Wachstum der auf der Autoproduktion basierenden Wirtschaft - mehr Benzin für die Autos und mehr Energie für den Arbeitsvorgang, der die Autos produzierte - war ein niedriger Ölpreis notwendig. Der Ölpreis in den 50er und 60er Jahren war recht stabil, was die Stabilität des keynesianischen Deals während dieser Zeit widerspiegelt.
Da die westlichen Ölgesellschaften den Löwenanteil des Öls besaßen, war es für die westlichen Wirtschaftsplaner kein Problem, den Ölpreis dem Wachstum des Autodeals anzupassen. Wenn ausländische Regierungen mehr Steuereinnahmen oder mehr Kontrolle über das Öl innerhalb ihrer Grenzen forderten, wurden diese Regierungen umgehend von den USA sabotiert oder gestürzt (z.b. Iran 1953, Irak 1963, Indonesien 1965).
In den USA organisierte sich das gesamte Leben dieser Gesellschaft am Auto. Das Auto brachte einen riesigen Sprung an geographischer Mobilität. Unsere Städte wurden neu geplant, um sie dem Autoverkehr anzupassen, und eine neue Art von Wohnverhältnissen breitete sich aus: die Vorstädte. Heute erfordert die räumliche Struktur unserer Städte nahezu den Autotransport. Als das führende Abbild der Massenkultur wurde das Auto mit Erotik, Machismo und »Freiheit« ausgestattet.
Das Ende dieser Autoära, in der alles, was gut für GM war, auch gut für den Kapitalismus war, kam Ende der 60er Jahre, als die Kämpfe der Arbeiterklasse in Europa und den USA den Lohn/Produktivitäts-Deal des Keynesianismus aufkündigten, und gleichzeitig die verschiedenen Kämpfe in den ölproduzierenden Staaten die Verstaatlichung der Ölfelder erzwangen. Die Antwort des Kapitals auf diesen doppelten Angriff war zum einen im Westen die Senkung der Löhne und die beginnende Eliminierung des Industrieproletariats. Die Auswirkungen dieser neuen Strategie können heute an der Senkung der Reallöhne (mit steigender Obdachlosigkeit und Armut) und dem Abbau der industriellen Produktion in den USA gesehen werden. In den ölproduzierenden Staaten akzeptierten die USA die Verstaatlichungsprogramme, aber die Ölgesellschaften behielten die Kontrolle über Raffinierung und Verteilung.
Der Ölpreisanstieg der Jahre 1973-74 wird gewöhnlich der OPEC zugeschrieben. In der Tat war es die OPEC, die den Preis erhöhte, den sie den Ölgesellschaften für Rohöl abverlangte. Die Entscheidung kam allerdings erst nach Zustimmung Saudi Arabiens zustande. Andere OPEC-Länder hatten schon seit Jahren höhere Preise gefordert, konnten sie jedoch gegen Saudi Arabien nicht durchsetzen. Saudi Arabien, der größte Erdölproduzent in der OPEC, hatte (und hat) die Macht, durch die Höhe der eigenen Fördermengen die Preise einseitig festzulegen. Die Regierung Saudi Arabiens ist von der politischen Unterstützung der USA abhängig und traf ihre Produktions- und Preisentscheidungen immer in Absprache mit US-Wirtschaftsplanern. Die wichtigste saudische Bank (SAMA) wird in Absprache mit dem US-Handelsministerium geführt. Die Saudis änderten 1973 ihre Meinung und unterstützten höhere Rohölpreise, weil die US-Regierung ihnen dies vorgab. 1971 begann die US-Regierung, Saudi Arabien - so wie die ganze OPEC - wissen zu lassen, daß der Preis für Rohöl steigen solle. Der Yom Kippur Krieg 1973 und das darauf folgende arabische Ölembargo waren weitgehend unerheblich für den Mechanismus der Preiserhöhung an sich. (Zur Rolle der USA beim Ölpreisanstieg siehe Oppenheim, 1976 und Terzian, 1985.)
Aber warum wollten die US-Wirtschaftsplaner, daß die Ölpreise steigen? Ein Ziel war die Schaffung einer Masse von Investitionskapital, um einen neuen Wachstumszyklus zu finanzieren. Der Anstieg der Ölpreise begann durch die OPEC, aber die Öl-Gesellschaften erhöhten ihre Preise sofort zusätzlich zu den neuen Forderungen der OPEC-Staaten. Tatsächlich erhöhten alle Energie-Gesellschaften (Erdgas, Kohle usw.) ihre Preise, als der Ölpreis stieg. Die westlichen Kapitalisten zogen enorme Gewinne aus all diesen Preisanstiegen.
Aber auch die Extraprofite aus den gestiegenen Einnahmen der Golfstaaten (insbesondere von Saudi Arabien und Kuwait) landeten letztendlich bei den Banken des Westens und auf den Aktienmärkten - gewöhnlich wird das Petrodollar Recycling genannt. Die Summen in diesem Vorgang waren riesig - Hunderte Milliarden Dollar - und wurden wesentliche Elemente der folgenden kapitalistischen Strategie. Sie stellten den größten Finanzstrom der Welt dar. All die Leute, die an den Tankstellen über die arabischen Scheichs meckerten, lieferten ihre Kohle in Wirklichkeit bei westlichen Banken ab.
Diese neue Masse an Investitionskapital erlaubte es den Kapitalisten, ab 1973 die Mechanisierung der US-Fabriken stark zu beschleunigen. In den 70ern fiel die Lohnrate und die Produktion wurde höchst kapitalintensiv. Viele Arbeiter wurden aus ihren Jobs geschmissen, und die, die in den Fabriken blieben, arbeiteten mit einer gestiegenen Menge an fixem Kapital. Nachdem jedes Jahr die Löhne gestiegen waren, begann die Lohnrate 1973 zu fallen und sank in den folgenden 15 Jahren um 20%. Im selben Zeitraum verdreifachte sich die Kapitalintensität in der Produktion. Große Investitionen in die Industrieproduktion wurden vor allem in Mexiko, Südkorea oder anderen Dritte Welt-Ländern getätigt, wo die Löhne weit niedriger waren. Im Februar 1991 veröffentlichte die US-Regierung Statistiken, in denen sie stolz zeigte, daß Industrieproduktion und Produktivität in den letzten zwei Jahrzehnten nicht gesunken waren. Bei dem Versuch, die De-Industrialisierungsthese zu widerlegen, vergaß der Report aber zu erwähnen, daß die Zahl der IndustriearbeiterInnen abgenommen hatte. Die ArbeiterInnen selber hatten einen sehr realen De-Industrialisierungsprozeß erlebt: Jobs gingen verloren, Fabriken wurden geschlossen, Städte verlassen.
Die Welt nach 1973 ist sehr verschieden vom Keynesianismus der 50er und 60er Jahre, die bestimmt waren durch steigende Löhne und stufenweisen Anstieg der Produktivität. Jetzt versucht das Kapital herauszufinden, wie tief die Löhne sinken können und wie schnell die Automatisierung weitergeführt werden kann. Das US-Kapital wurde in das riskante Projekt getrieben, enorme Massen an fixem Kapital den Händen schlecht bezahlter, prekärer ArbeiterInnen anzuvertrauen. Im gleichen Maß, wie der Produktionsprozeß anfälliger für Arbeiterwiderstand wurde, ist der Typ des beschäftigten Arbeiters unberechenbarer geworden.
Auch am Golf änderte sich die Zusammensetzung der Arbeiterklasse. Sowie die Petrodollars nach London und New York flossen, begannen die Golfstaaten mit dem massenhaften Import von ArbeiterInnen aus Afrika und Asien, die auf den Ölfeldern, auf den Bauplätzen und in den Küchen arbeiten sollten. Auch in den Jahrzehnten davor waren Arbeiter importiert worden, aber nicht in diesem Ausmaß. 1990 gab es 4 Millionen MigrationsarbeiterInnen auf der arabischen Halbinsel, was einem Anteil von 75% auf dem Arbeitsmarkt entsprach. Sie kamen zumeist aus Indien, Pakistan, Bangladesh, Ägypten, Palästina, von den Philippinen und aus dem Sudan. Von Beginn an hatten die WanderarbeiterInnen keinerlei Rechte und lebten mit der permanenten Drohung von Ausweisung und Polizeirepression. Am Golf waren alle Arbeiterorganisationen verboten. Philippinische Hausangestellte hatten keinerlei Schutz, wenn sie der Mann des Hauses schlug oder sexuell angriff.
Die meisten Wanderarbeiter sind Männer. Haben sie Familie, lassen sie diese für Jahre zurück. Die Härten der Migration werden von den Härten zuhause noch übertroffen. Die Frauen wurden oft mit noch mehr Arbeit belastet als zuvor; zusätzlich zu der Bewirtschaftung der Äcker müssen sie sich um die Familie, das Haus und das Geld kümmern. Gelegentlich konnten sich Frauen durch diese neuen Rollen mehr Einfluß in Familie und Gemeinschaft verschaffen, aber sie wurden innerhalb der patriachalen Gesellschaften auch angreifbarer. Sollten sie ausnahmsweise ihren Mann lieben, sind die Frauen dann oft allein.
Trotz despotischer Arbeitssysteme und diktatorischer Regierungen schuf der Anstieg der Ölpreise einen solchen Reichtum, daß es den Menschen gelang, einen Teil davon in ihren Besitz zu bringen und sogar dazu zu benutzen, gegen die Unterdrückung zu kämpfen.
Weniger von Einwanderung betroffen und somit weniger gespalten, führte das iranische Erdölproletariat mit den Streiks in der Ölindustrie vom Oktober 1978 bis zum Februar 1979 den abschließenden und entscheidenden Schlag gegen das Schah-Regime. Dieser Streik und die breite soziale Bewegung im Iran zeigten dem Kapital die Gefahren eines schnellen und deutlichem Anstiegs der Öleinnahmen im Nahen Osten und anderen ölproduzierenden Staaten.
Der Ölpreisanstieg nach 1973 löste einige Probleme des Kapitals, schuf aber neue. Das größte neue Problem zeigte sich in der iranischen Revolution. 1980 war die Wirtschaftspresse voll mit Klagen über die Art des ökonomischen Wachstums nach 1973 in ölproduzierenden Ländern wie Nigeria, Venezuela und Algerien. Die Wirtschaftsplaner dieser Länder hatten zu schnell vor den Forderungen nach höheren Löhnen und Regierungsgeldern für Sozialleistungen kapituliert. Die westlichen Kapitalisten waren erbost über die Verschwendung von Öleinnahmen für »unproduktive« Ausgaben. Ein Teil der gestiegenen Öleinnahmen der ölproduzierenden Länder wurde in die Hände der westlichen Kapitalisten zurückgeführt, aber der andere Teil wurde »verschwendet« und dazu benutzt, Bedingungen für soziale Revolutionen zu schaffen (Jahangir 1982). Das Kapital zog daraus den Schluß, wenn die Ölpreise steigen sollen, müssen auch die ölproduzierenden Länder stärker diszipliniert werden.
Die iranische Revolution hatte eine weitere Folge. Der Iran war die Hauptsäule der US-Militärstrategie im Nahen Osten gewesen. Der Schah wurde mit Milliarden Dollar in Form von US-Waffen unterstützt. Er sollte der regionale Aufpasser sein, um Länder einzuschüchtern, die nicht mit den Öl-Produktions- und -Preisarrangements der USA konform gingen. Er war der Bulle, der jede nationalistische und/oder Arbeiterbewegung sabotieren sollte. Der Schah setzte die Quoten der iranischen Ölförderung - die zweithöchsten in der OPEC - entsprechend den Produktions- und Preisentscheidungen der USA fest. Als er 1979 fliehen mußte, hatte die US-Regierung keinen sicheren Büttel mehr in der Region. Natürlich waren die Golfstaaten verläßliche Verbündete, aber ihnen fehlte das »Menschenmaterial« (sprich: Kanonenfutter) für große Armeen. Israel war politisch allzu isoliert, um die Rolle des Chefbullen einzunehmen. Die einzige Lösung war die Stationierung eigener Truppen am Golf.
Einen Monat nach der iranischen Revolution gab die US-Regierung die Aufstellung einer 200 000 Mann starken Schnellen Eingreiftruppe (Rapid Deployment Force) für den Nahen Osten bekannt. In den 80ern haben die USA für 14 Milliarden Dollar ein Netz von Militärbasen in Saudi Arabien errichtet. Zusätzlich verkauften die USA und Europa den Saudis ein Luftverteidigungssystem für 50 Milliarden Dollar. Es ist so konstruiert, daß es bei einer Besetzung des Golfs durch westliches Militär in Koordination mit ihm eingesetzt werden kann. Seit zehn Jahren gibt es Pläne der USA, die RDF am Golf einzusetzen. Die Besetzung jetzt sollte uns nicht überraschen.
Die iranische Revolution 1979 war Teil einer allgemeinen Tendenz in den »Neokolonien« der USA Ende der 70er, die ihre politische Freiheit gewinnen wollten. Im Gefühl des Sieges über das US-Militär in Vietnam, Laos und Kambodscha 1975 wurden sieben weitere US-gestützte Regimes in Dritte Welt-Ländern besiegt: Mosambik, Angola, Guinea-Bissau 1975-76; Afghanistan 1978; Zimbabwe, Nicaragua und Grenada 1979. Der Regierungswechsel in all diesen Ländern war in unterschiedlichem Ausmaß das Werk in den Massen verankerter revolutionärer Kräfte. Zusammengenommen trieben diese das US-Kapital in eine Belagerungsmentalität und zwangen es zur militärischen Aufrüstung. Die erneute Militarisierung der USA begann nicht erst unter Reagan, sondern schon unter Carter: Registrierung zur Einberufung, neue Waffensysteme, steigender Rüstungsanteil im Staatshaushalt usw. Die Verteidigungsausgaben waren von 324 Milliarden Dollar 1968 bis auf 203 Milliarden Dollar 1976 ständig gesunken (in $ von 1990). Aber seit 1978 stiegen sie wieder jährlich an und erreichten 1987 wieder 320 Milliarden Dollar. Letztlich wurden die Petrodollars zur Finanzierung der Militärausgaben benutzt.
Ein anderer Bereich, in den diese riesige Masse an Investitionsgeldern gelenkt werden sollte, war die Kernenergie. Aber die Anti-Atom-Bewegung Ende 70er Jahre hat den kapitalistischen Plänen einer Atomenergiewirtschaft ein Ende bereitet. Jeder Reaktor erfordert langfristig mehrere Milliarden Dollar Investitionen, die Industrie war deshalb in hohem Maße auf sozialen Frieden und zuverlässige Arbeiter angewiesen. Die Proteste trieben das Investitionsrisiko dermaßen in die Höhe, daß 1980 die Atomwirtschaft abgeschrieben war. Der Unfall von Three-Miles-Island zeigte sowohl das Ausmaß der Opposition gegen Atomkraft, als auch, wieviel Geld in ein halbwegs »sicheres« AKW gesteckt werden müßte.
In den ölproduzierenden Ländern wurden die Öleinnahmen »verschwendet« - aber auch in den westlichen Ländern gab es massive Probleme, die Petrodollars für die weitere kapitalistische Entwicklung einzusetzen. Auch der US-Trucker-Streik 1979, eine Antwort auf den zweiten Ölpreis-»Schock«, zwang die Planer, die Durchsetzbarkeit von hohen Ölpreisen zu überdenken. Bereits 1974, nach dem ersten Anstieg der Benzinpreise, hatten die Trucker gestreikt. Man hat aus ihnen Kultfiguren gemacht: mit CB-Funk im Konvoi, aber ihre fortschrittliche Kommunikation und ihre Fähigkeit zu koordinierten Aktionen stellten die kapitalistischen Planer vor große Probleme.
Kaum hatten in den 60ern verschiedenste Kämpfe die keynesianische Strategie der Nachkriegszeit beendet, wählte das Kapital eine Strategie der Lohnsenkung und eines schnell wachsenden Investitionskapitals zur Mechanisierung der Produktion. Steigende Ölpreise waren integraler Bestandteil dieser Strategie. Sie senkten die Reallöhne und schufen riesige Pools an Investitionskapital. Aber 1980 war die ganze Strategie, stabile Akkumulationsbedingungen sowohl in den USA als auch in den ölproduzierenden Ländern zu schaffen, gescheitert. Für die 80er mußte eine neue Strategie her.
»In dem Maße aber, wie die große Industrie sich entwickelt, wird die Schöpfung des wirklichen Reichtums abhängig weniger von der Arbeitszeit und dem Quantum angewandter Arbeit, als von der Macht der Agentien, die während der Arbeitszeit in Bewegung gesetzt werden {und die selbst wieder - deren powerful effectiveness - selbst wieder in keinem Verhältnis steht zur unmittelbaren Arbeitszeit, die ihre Produktion kostet}, sondern vielmehr abhängt vom allgemeinen Stand der Wissenschaft und dem Fortschritt der Technologie oder der Anwendung dieser Wissenschaft auf die Produktion. (...) Der wirkliche Reichtum manifestiert sich vielmehr - und dies enthüllt die große Industrie - im ungeheuren Mißverhältnis zwischen der angewandten Arbeitszeit und ihrem Produkt{, wie ebenso im qualitativen Mißverhältnis zwischen der auf eine reine Abstraktion reduzierten Arbeit und der Gewalt des Produktionsprozesses, den sie bewacht}. (...) Das Kapital ist selbst der prozessierende Widerspruch [dadurch], daß es die Arbeitszeit auf ein Minimum zu reduzieren sucht, während es andererseits die Arbeitszeit als einziges Maß und Quelle des Reichtums setzt.«
(Marx, Grundrisse)II. Blut:
Krieg und Austeritätspolitik gegen die internationale IntifadaIn diesem Abschnitt beleuchten wir die Strategie des US-Kapitals in den 80ern: Fall der Ölpreise, globale Schuldenkrise, ausgedehnte Kriege. Die neue globale Strategie basierte nicht auf steigenden Ölpreisen, sondern auf rigideren Forderungen des IWF nach Zinszahlungen und zunehmender Militarisierung der Welt. Diese Strategie war das Jahrzehnt über recht effektiv, aber die explosionsartige Ausbreitung von Widerstandsaktionen gegen die Austeritätspolitik in vielen Ländern Ende der 80er war ein entscheidender Beitrag zu ihrem Ende. Laßt uns zunächst die Ölpreise betrachten.
In den 70ern hatten US-Wirtschaftsplaner noch mit steigenden Ölpreisen bis ins nächste Jahrhundert hinein kalkuliert. Aber ab 1980 ließen sie die Ölpreise fallen. Die Ölpreise waren 1979 sehr abrupt gestiegen und zwar mehr als während des ersten Preisanstiegs 1973-74. Genau wie der vorangegangene Anstieg wurde auch die Preiserhöhung 1979 einer Unterbrechung der Ölförderung im Nahen Osten zugeschrieben, in dem Fall der iranischen Revolution. Und wieder war die Unterbrechung v.a. mythischer Natur. Die Ölgesellschaften hatten geschlossen die Preise hochgesetzt, das war der wirkliche Grund des Anstiegs. Eine Ölknappheit hat es nie gegeben (Terzian 1979). Aber dieser Preisanstieg konnte, anders als fünf Jahre zuvor, nur ein Jahr aufrechterhalten werden. Der Rohölpreis wurde nach 1980 abgefangen, begann ab 1982 zu fallen und stürzte 1985-86 heftig ab, als Saudi Arabien seine Ölproduktion innerhalb von neun Monaten verdoppelte.
Dieser Sturz zeigt deutlich die Manipulation des Ölmarktes durch die US-Wirtschaftsplaner. Ende 1985 sorgten die USA dafür, daß Saudi Arabien die Produktion hochfuhr. Dies hatte eine »Ölschwemme« zur Folge, die Preise sanken schnell auf die Hälfte. Die Herabsetzung des Ölpreises war notwendig geworden, weil gleichzeitig der Dollar entwertet wurde (aus Gründen, auf die wir hier nicht eingehen). Ein gleichbleibend hoher Ölpreis (30 Dollar pro Barrel bei einem Dollarkurs von 1989), hätte den Preis der Ölimporte explodieren lassen. Die Entwertung des Dollars um fast 50% hätte sonst mehr als eine Verdopplung der Kosten für Ölimporte aus Mexiko, Venezuela, Afrika und dem Nahen Osten zur Folge gehabt. Das Haushaltsdefizit und die negative Handelsbilanz wären sonst astronomisch geworden (solche riesigen Defizite waren während der Ölpreissteigerungen in den 70ern nicht das Problem, da in dieser Zeit der Dollar nicht entwertet worden war). Mit der Halbierung des Weltölpreises retteten die Statthalter von Mekka die Seele der Kriegsherren in Washington.
Trotz eines Verlusts an Petrodollars in den 80ern als Folge solcher Manöver wie dem Preissturz 1985-86 erhöhten die USA ihre Rüstungsausgaben in den 80ern um über ein Drittel. Dieses Kriegsgeld steht für die Zunahme von Mord und Zerstörung in vielen Ländern der Dritten Welt. Die 80er Jahre waren extrem blutig. Natürlich gehören Krieg und Bullenrepression zum kapitalistischen Alltag, aber Form und Ausmaß sind nicht immer gleich. Zu Zeiten des Keynesianismus (etwa 1940-70) dienten die Rüstungsausgaben als »Wirtschaftsankurbelung« für das Industriekapital; sie waren Teil der Staatsausgaben für die Erhaltung der Profitrate. Wie der 2. Weltkrieg und der Koreakrieg zeigen, waren die Militärausgaben entscheidend für die Auto-Deal-Ordnung. Wie Keynes gesagt hat: »Es scheint für eine kapitalistische Demokratie nicht möglich zu sein, Ausgaben im benötigten Maßstab zu organisieren für das große Experiment, das meine Sache beweisen würde - außer unter Kriegsbedingungen.«
Aber das Ende des Keynesianismus in den frühen 70ern und das Ende der Ölpreissteigerungen 1980 machten aus der Wirtschaftskurbel Rüstungshaushalt das Angekurbelte selbst. Alle Requisiten des Keynesianismus wurden weggefegt - das Einkommen der Arbeiterklasse wurde angegriffen, Sozialfürsorgeprogramme wurden gestrichen und die Industrieproduktion beseitigt bzw. zügig »modernisiert«, die Arbeitslosenzahlen stiegen. Außer Rüstungsausgaben blieb der kapitalistischen Strategie nicht viel. Staatskohle mußte die Vorhut und die Nachhut für einen neuen Wachstumszyklus abgeben.
Aber trotz Steuererhöhungen für die Bevölkerung stieg auch das staatliche Defizit von 1973-1986 um das 45-fache. Von den späten 40ern bis zu den frühen 70ern war das Defizit zu vernachlässigen. Der darauf folgende enorme Anstieg war im wesentlichen einer Kombination aus gesunkenen Gewerbesteuer-Einnahmen (da die Industrieproduktion gleichfalls rückläufig war) und gestiegenen Rüstungsausgaben zuzuschreiben.
Die Wiederaufrüstung der USA in den 80ern stellte eine große Subvention der US-Profitrate dar. Aber es war genauso ein Konzept, um der US-Waffentechnologie die globale Führungsposition zu sichern. Die Rüstungsindustrie funktioniert wie jede andere; sie benötigt Produktivitätssprünge, um im Wettbewerb zu bleiben. Die Reagansche Logik war, den technologischen Fortschritt zu finanzieren, um aus den US-Waffen die »produktivsten« (oder destruktivsten) der Welt zu machen.
Unter dem wachsenden Schatten der drohenden totalen Vernichtung durch Atombomben setzten die USA in den 80ern viele regionale Vernichtungen ins Werk. Der Iran-Irak-Krieg 1980-88 war der größte Krieg des Jahrzehnts. Eine Million Menschen starben in diesem Krieg. Dann, gerade um die Ecke, Krieg in Afghanistan, der 1979 begann und noch immer andauert. Weitgehend sind die USA dafür verantwortlich, daß dieser Krieg soweit wie nur möglich in die Länge gezogen wird. Über vier Millionen Flüchtlinge und Zehntausende Tote sind das Ergebnis dieses CIA-Projekts. Westlich des Iran-Irak-Kriegs herrschte Krieg im Libanon. 1982 waren die Israelis einmarschiert, sie zerbombten die Städte und Dörfer, töteten 20 000 palästinensische Flüchtlinge und unterstützten eine faschistische libanesische Partei bei der Bildung einer Marionettenregierung. In den 80ern spannte sich ein Kriegsbogen von Afghanistan bis hin zum Libanon.
In Afrika wurde der Krieg in Angola durch die Unterstützung der UNITA-Banden mit CIA-Geldern in die Länge gezogen. Außerdem wurde Südafrika bei seinen Feldzügen in Angola, Namibia und Mosambik unterstützt. Im vergangenen Jahrzehnt forderten Krieg und Hunger in diesen Ländern Millionen von Toten. Auch Ostafrika war von Krieg und Hunger betroffen. Die US-gestützte Regierung in Somalia tötete 50-60 000 ihrer eigenen Leute. Frankreich und die USA stifteten den Tschad zu einem Krieg in Libyen an, in dem Zehntausende starben. In Lateinamerika unterstützten die USA die Contras, um die nicaraguanische Revolution zu sabotieren. Die USA bewaffneten und finanzierten faschistische Regimes in El Salvador, die in den 80ern über 70 000 Menschen ermordeten. Ein anderer von Washingtons Lieblingsfaschisten, Marcos, veranstaltete auf den Philippinen einen umfassenden Terror, bei dem Zehntausende ihr Leben verloren.
Die USA unternahmen direkte Invasionen in Grenada (1983) und Panama (1989-90) und bombardierten 1986 Libyen. Mehr als 4000 Menschen starben dabei. Das US-Militär war schon immer recht aktiv auf dem Globus, aber die 80er stellen mit Sicherheit einen Höhepunkt in dieser Karriere dar. Alles in allem waren die USA im Lauf der 80er entweder beteiligt an oder allein verantwortlich für einige Millionen Tote.
Wurde die Dritte Welt dem Massentod ausgesetzt, war das eigene Land die Szenerie des selektiven Todes. Ein alter Spruch sagt, die britische Herrscherklasse konnte sich in Indien in Massakern ergehen, mußte sich aber in England mit Erhängen begnügen. In vielen Bundesstaaten wurde die Todesstrafe wieder eingeführt und vollstreckt. Die Zahl der Gefangenen in den US-Knästen verdoppelte sich in den 80ern, mittlerweile haben die USA die größte Gefangenenrate der Welt (in US-Knästen sitzen mehr Schwarze als in den Gefängnissen Südafrikas).
Die Städte der USA wurden unter dem Vorwand »Krieg gegen die Drogen« zu Kriegszonen gemacht. Es besteht ein klarer Zusammenhang zwischen den SWAT-Einheiten in den amerikanischen Städten und den Marines im Ausland. Der Bulle auf der Straße kollaboriert mit den Drogendealern, der CIA kollaboriert mit den führenden Drogensyndikaten. Sowohl die Produzenten (z.B. in Peru und Kolumbien) als auch die Konsumenten (z.B. in New York City und Boston) werden von denselben Leuten einer mörderischen militärischen Kontrolle unterworfen, die den Drogenhandel unterstützen. Im südamerikanischen Hochland und in den Ghettos der USA soll sich dadurch ein kapitalistischer Traum erfüllen: niedrige Löhne, gefährliche Arbeitsbedingungen und schlechte Bedingungen, sich zu organisieren. Die Militarisierung, die den Anstieg der Drogenproduktion und des Drogenhandels begleitete, hatte direkte Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse und die Bewegung der Landbevölkerung in Amerika. Der Drogenkrieg in Kolumbien z.B. war in erster Linie ein Krieg gegen Arbeiter und Bauern: gegen die Gewerkschafter, die bei den ausländischen Ölgesellschaften (z.B. Exxon) arbeiteten, die Kaffee- und BananenplantagenarbeiterInnen usw..
Aber nun ein Blick auf den längsten Krieg der 80er, gleichzeitig der bedeutendste für unsere Geschichte des Öls: der Iran-Irak-Krieg. Er begann 1980 mit der Invasion des Irans durch den Irak, dauerte acht Jahre und endete ohne Grenzverschiebung oder sonstige Konzessionen der einen oder anderen Seite. Einerseits verloren beide, andererseits gewannen beide. Die Macht der Arbeiterklasse im Irak und im Iran wurde durch den Krieg praktisch zerstört.
Nach acht Jahren hatten sich beide Länder Millionen von Witwen, Amputierten, Verarmten, Gefolterten und Leichen eingehandelt. Aber nicht nur Iraner und Iraker waren betroffen. Der Irak importierte während des Krieges eineinhalb Millionen Arbeiter aus Ägypten und über 300 000 aus dem Sudan. Krieg plus Polizeistaat schufen in beiden Ländern ähnlich militarisierte Arbeitsbedingungen wie auf den Koka-Feldern in Südamerika.
Die Monarchen am Golf und das internationale Kapital hielten den Terror gegen die Menschen im Nahen Osten in Erinnerung an die iranische Revolution für notwendig. Saddam Hussein begann den Krieg im September 1980 mit einer Invasion in den Iran in der Absicht, die iranische Revolution niederzuschlagen, genauer gesagt die iranischen Revolutionen. Sowohl die pan-schiitische Politik Marke Khomeini als auch die links gerichteten Bewegungen im Iran stellten eine Bedrohung für die Staaten am Persischen Golf dar, obwohl beide Kräfte im Iran großteils in Opposition zueinander standen. Saddams Invasion hatte einen doppelten Effekt: Sie beschnitt Khomeinis internationalen Einfluß, und ermöglichte ihm, seine Diktatur im Innern zu konsolidieren (im Juni 1981 schließlich zerschlug Khomeini die Opposition mit landesweiten Massakern und Verhaftungen).
Gleichzeitig half die Invasion Saddam, seine eigene Diktatur im Irak zu festigen. Es gab also eine bestimmte Übereinstimmung zwischen Saddam und Khomeini, den Krieg weiterzuführen. Es war gerade ein Jahr her, daß Saddam den Präsidententitel an sich gerissen hatte, der Krieg ermöglichte den weiteren Ausbau seines Polizeistaats.
Während des acht Jahre langen Krieges unterstützten Kuwait und Saudi Arabien den Irak mit Krediten in Höhe von 80 Milliarden Dollar. Der Irak Saddam Husseins wurde der zweitgrößte Waffenabnehmer der Welt, die UdSSR (53% der Lieferungen) und Frankreich (20%) waren die wichtigsten Waffenlieferanten. Für die USA bestand das Ziel des Krieges darin, sowohl den Irak als auch den Iran als unabhängige regionale Mächte auszuschalten. Henry Kissinger sprach es aus: »Es liegt im elementaren Interesse der USA, daß beide Seiten verlieren«.
Aber die USA brachen eine Lanze für den Irak. Besonders nachdem der Iran die Vorzeichen umgedreht hatte und in den Irak einmarschiert war, machten sich die USA (und die UdSSR) für den Irak stark. US-Politiker sagten, daß keine Seite gewinnen sollte, ein iranischer Sieg aber das schlimmste aller Szenarien wäre. Hussein galt als unzuverlässig, das iranische Regime aber als ausgesprochen gefährlich.
Solange die Ölproduktion und die Schiffahrt am Golf nicht beeinträchtigt war, gab es für die US-Regierung keine Veranlassung, Truppen zu entsenden. Aber die Ölverschiffung wurde 1987 unterbrochen. Der Irak war dabei, den Krieg zu verlieren und begann, Tanker zu bombardieren. Der Iran schloß sich an. Hussein wußte, daß ein »Tankerkrieg« die US-Marine zum Schutz der Schiffe an den Persischen Golf bringen würde, und er war sich sicher, daß die USA auf der Seite des Irak intervenieren würden. Und genau das passierte. Die irakische Rakete, die sich im Mai 1987 in den Rumpf der USS Stark bohrte, signalisierte den USA, daß die Schiffahrt im Persischen Golf zum Angriffsobjekt geworden war, und daß die USA den Krieg jetzt beenden mußten. Die Botschaft kam an: Sie rechtfertigte den Raketenangriff und den Tod von 38 amerikanischen Seeleuten. Dann schoß die US-Marine ein iranisches Passagierflugzeug mit fast 300 Menschen ab. Außerdem griffen sie iranische Bohrinseln im Golf an und töteten weitere 200 Menschen. Der Iran kapierte die Botschaft der USA und entschied sich für die Beendigung des Krieges. 1988 stimmten der Irak und der Iran einem Waffenstillstand der UNO zu.
Die andere militärische Intervention der USA im Nahen Osten war die Bombardierung Libyens im April 1986. Wie schon berichtet hatten die USA dank dem Wohlwollen Saudi Arabiens Ende 1985 die Senkung der Ölpreise durchgesetzt. Libyens Widerstand in der OPEC gegen diesen Preissturz sollte mit der Bombardierung beseitigt werden. Iran, der andere »Preisfalke« der OPEC, wurde nicht bombardiert, sondern bestochen. Ab August 1985 fanden geheime Treffen zwischen Vertretern der USA und dem Iran statt, und im Laufe des folgenden Jahres wurde beschlossen, Waffen und Ersatzteile im Wert von 100 Millionen Dollar an den Iran zu veräußern. Dieser Handel wurde später als »Tausch von Waffen gegen Geiseln« dargestellt, der Zeitpunkt deutet aber auf einen »Tausch von Waffen gegen Einwilligung bei der Ölpreispolitik« hin.
In den Dokumenten vom Juni 1985 über die Einzelheiten dieser geheimen Absprache findet sich kein Hinweis auf Geiseln, wohl aber wird gesagt, daß ein Ziel des Waffenhandels die »iranische Zustimmung zur Ölpreispolitik der OPEC« sei.
Der Kollaps der Ölpreise von 1981 bis 1986 hatte einige positive Auswirkungen für das Kapital. Die ölproduzierenden Staaten waren in den 70ern die verlorenen Söhne des Kapitals gewesen, jetzt wurden sie mit einer Austeritätspolitik unter Führung des IWF konfrontiert. Der Fall der Ölpreise bedeutete einen Rückgang der Einnahmen für die ölproduzierenden Staaten. Die meisten von ihnen verschuldeten sich. Venezuela, Nigeria und Algerien z. B. hatten in den 70ern ehrgeizige Projekte zur Kapitalakkumulation angefangen, aber in den 80ern landeten sie in den Fängen des IWF. Sogar so ein unglaublich reiches Land wie Saudi Arabien hatte in den späten 80ern Probleme mit der Zahlungsbilanz. Das internationale Kapital registrierte mit Genugtuung, wie die Länder der Dritten Welt als Bettler an seiner Türschwelle auftauchten: »Die niedrigen Ölpreise in den 80ern entlarvten den nationalistischen Anspruch fast aller ölproduzierenden Staaten, sie könnten die Ölvorkommen selbst effektiv ausbeuten, als Illusion« (Morse 1990).
Auch diejenigen Staaten, die Arbeitskräfte an die Ölstaaten geliefert hatten, wurden in den 80ern hart getroffen. Ägypten, Jordanien, Pakistan, und die von den Israelis besetzten Gebiete Westjordanland und Gazastreifen waren am schlimmsten betroffen. Die Geldüberweisungen der Wanderarbeiter hatten in der Strategie der Wirtschaftsplaner vom Nahen Osten bis nach Südostasien eine Schlüsselrolle gespielt. Als sie nun abnahmen, rutschten die Staatshaushalte tiefer in die roten Zahlen. Das machte die Länder für die Sparpläne des IWF noch anfälliger.
Mexiko ist der Ölproduzent, der diese Schuldenkrise am dramatischsten widerspiegelt. 1982 erklärte es seinen Bankrott, trotz allen Ölreichtums. Als der Ölpreis nach 1982 weiterfiel, versuchte Mexiko, den IWF mit mehr und mehr Sparmaßnahmen zufriedenzustellen.
Aber in Mexiko und in vielen anderen Staaten war der Widerstand gegen diese Zahlungen und die Sparmaßnahmen nicht klein zu kriegen. In den 80ern ist der IWF Riot zum festen Bestandteil des internationalen Klassenkampfes geworden. In den späten 80ern war diese Form der Kämpfe am heftigsten. Eine Welle von Aufständen gegen die IWF-Sparpolitik ging 1988-90 durch die ölproduzierenden und -exportierenden Staaten, von Algerien, Jordanien, Venezuela, Nigeria bis nach Marokko und Trinidad. Und immer handelte es sich um Volksaufstände mit heftigen Folgen für die Regierungen. In jedem dieser Länder wurde das jeweilige Regime, das IWF-Programme umzusetzen versuchte, zu Konzessionen gezwungen. Alle Aufstände im Nahen Osten waren direkt von der 1987 beginnenden palästinensischen Intifada beeinflußt. Diese hatte sich als Kampf gegen eine besonders ätzende Abart des Siedler-Kolonialismus organisiert, aber die Power dieses Widerstandes beflügelte andere, gegen die finanzielle Kolonisation durch den IWF zu kämpfen.
Zunächst krachte es 1988 in Algerien, Tausende nahmen sich die Straßen, eine Antwort auf die von Staatspräsident Benjedid angekündigten Preiserhöhungen. In den acht Jahren davor waren von der Regierung Tausende ArbeiterInnen gefeuert worden. Bei den 20-30jährigen lag die Arbeitslosenquote um die 50%. Die Exporte Algeriens bestanden zu 98% aus Erdöl und Erdgas. Als der Ölpreis fiel, ging der Staat bankrott. 5 der 8 Milliarden Dollar aus den Öleinkünften gingen zur Schuldentilgung an westliche Banken. Aber 1988 explodierte der Frust der Armen, die zusehen mußten, wie reiche Algerier das Land an westliche Banken verkauften, während sie ums Überleben kämpften. Im September hatten die ArbeiterInnen gestreikt, um weitere Sparmaßnahmen zu verhindern. Als nun das Sparprogramm durchgesetzt werden sollte, griffen v.a. Jugendliche Regierungsgebäude an und plünderten staatliche Läden. Mercedes-Autos wurden abgefackelt. Die Regierung antwortete mit Kugeln; es gab 250 Tote, 1000 Verletzte, und das Militär verhaftete etwa 3000 Menschen.
Präsident Benjedid war gezwungen, Zugeständnisse zu machen und Oppositionsparteien zuzulassen. Bei den Wahlen im Juni 1990 gewannen die Parteien, die gegen die soziale Ungleichheit und den IWF-Deal eingestellt waren, etliche Sitze. Diese Parteien galten als »islamische Fundamentalisten«, aber die Sünde des Wucherzinses war so ziemlich das einzige Fundament, auf das sie sich bezogen. Ein Journalist schrieb: »Viele Jugendliche sprechen von der Inspiration durch die palästinensischen Aufstände in den von Israel besetzten Gebieten und von dem Bedürfnis nach einer Rückkehr zu strengeren islamischen Regeln«.
Im Februar 1989 stand die nächste Revolte in Venezuela an, dem Hauptöllieferanten der USA. Wieder hatte der Präsident ein Sparpaket angekündigt, um einen Kredit des IWF abzusichern. In den sechs Jahren davor waren die Reallöhne schon um 40% gesunken. Der Gipfel des Ganzen war die Verteuerung lebenswichtiger Waren wie Getreide, Kaffee und auch der Busfahrten. Die Menschen gingen zum Angriff über, Autos wurden in Brand gesteckt und Läden geplündert. Sie wußten, daß die 38 Milliarden Dollar Staatsschulden nicht ihre Schulden sind. Aber Kapitalisten sind ausdauernd, sie schickten die Bullen, um ihre Zinszahlungen zu sichern. Das Leben von 300-600 Menschen wurde dem IWF geopfert. Im folgenden Jahr plante das Militär einen Putsch.
Zwei Monate nach den Riots in Venezuela versuchte Jordanien, einen vom IWF diktierten Sparkurs durchzuziehen. Das Ergebnis war vorprogrammiert: Riots. »Das ist unsere Intifada«, sagte ein Mann auf den Barrikaden. Fast alle Regierungsgebäude wurden mit Steinen angegriffen. Die Leute waren besonders über die hohen Benzinpreise erbost; bei den ganzen Ölfeldern um sie rum war es nicht einzusehen, solch hohe Preise zu zahlen. Der jordanische König, der mit Kriegsrecht regiert, stimmte nach der Ermordung von elf Menschen einigen politischen Reformen zu. In den Wahlen 1990 gewannen, ähnlich wie in Algerien, die »islamischen Fundamentalisten« mehr Einfluß. Meist drückten sie einfach den wirtschaftlichen Frust der Menschen aus.
Der Lauf der Ereignisse war von den Küsten des Toten Meeres bis zur sonnigen Karibik prinzipiell der gleiche. Eine aus 100 Mitgliedern bestehende islamische Gruppe griff sich Ende Juli 1990 die Spitzenpolitiker der Regierung in Trinidad und forderte ein Ende der rigiden Wirtschaftspolitik und die Bildung einer repräsentativeren Regierung. Die meisten Menschen in Trinidad sind keine Moslems und standen nicht hinter Abu Bakr, dem Chef der Gruppe. Nichtsdestotrotz waren die Gründe dieser Aktion klar, und die Leute nutzten die Chance, die eine (im Wortsinne) gefesselte Regierung bot, und räumten die Geschäfte aus. Die Gewerkschaft der Ölarbeiter stellte fest, daß die gestiegene Gewaltbereitschaft und die Armut des Landes die Ursachen dieses Coups seien. Die Gewerkschaft formulierte eine ähnliche Sicht der Dinge wie Abu Bakr: »Eine Gesellschaft, die mit Händen und Füßen an den IWF/die Weltbank gekettet ist, kann keine gerechte Gesellschaft sein.«
Dann machten die Revolten einen Sprung über den Atlantik. Einer der Koalitionspartner des Pentagons, die marokkanische Monarchie, wurde durch Anti-IWF-Riots ins Wanken gebracht, nachdem das Pentagon die mörderischen Wolken des Krieges über dem Golf aufziehen ließ. Die Menschen in Marokko gingen wie 1981 und 1984 auf die Straßen, und griffen Banken, Limousinen und Regierungsbüros an. Ein Fünfsterne-Hotel wurde bis auf die Fundamente niedergebrannt - nicht ohne vorher die Fernseher einzupacken. Gleichzeitig gab es einen Generalstreik der beiden wichtigsten Gewerkschaftsverbände. Die Gewerkschaften riefen, ähnlich wie in Trinidad, nicht zu den Riots auf, aber sie sympathisierten mit den gegen die Sparpolitik gerichteten Forderungen der Steinewerfer und Plünderer. Der Geist der Intifada wirbelte durch die uralten Gassen von Fez.
Auch im Süden Afrikas wurde dem Kapital klargemacht, daß Sparmaßnahmen und Krieg das Kapital nicht vor bedeutenden Niederlagen schützen. Soldaten aus Angola und Kuba schlugen Südafrika, diese Gallionsfigur eines gesunden Kapitalismus, in der Schlacht von Cuito Cuanavale. Angolas Hauptexportartikel ist Öl, aber auch sieben Jahre sinkende Ölpreise hatten es nicht der Möglichkeit beraubt, die modernste Armee Afrikas zu besiegen. Der Sieg Angolas ist nur durch den Haß auf das Apartheidsystem zu erklären. Diese Schlacht verursachte Bothas Herzinfarkt und führte direkt zum Rückzug Südafrikas aus Namibia. Der ganze nationale Sicherheitsapparat war angeknackst.
Das Jahrzehnt der Austeritätspolitik und des ausgedehnten Krieges traf Ende der 80er auf die internationale Intifada. Die kapitalistischen Planer erkannten, daß die Strategie der 80er nicht unendlich weitergeführt werden konnte, ohne in einer Katastrophe zu enden. Die Strategie war erfolgreich gewesen; die Löhne der Arbeiterklasse waren niedriger, viele Menschen aus der Arbeit und von ihrem Land vertrieben worden. Sie verbrachten hungrige Nächte voller Angst vor zischenden Kugeln und explodierenden Bomben. Außerdem wurden nationale Kapitale in der Zweiten (Osteuropa) und Dritten Welt zur Kapitulation vor den westlichen Banken und Märkten gezwungen. Die Perestroika in der UdSSR (Massenentlassungen und gewaltige Preissteigerungen), die Pläne des IWF in Polen, die der Solidarnosc den Job zuwies, den Menschen die Sparmaßnahmen aufzudrücken, die Wucherung der Märkte und Manager in China ... all die alten Abmachungen des Sozialismus und einer nationalen Entwicklung schienen beendet zu sein. In Nicaragua hatte die begeisterndste Revolution dieses Jahrzehnts stattgefunden, aber auch sie wurde Ende der 80er durch Inflation (Tausende Prozent) und fallende Reallöhne zerrüttet. Das Sparprogrammm der Sandinisten von 1989 zeigte die Grenzen einer nationalen Lösung gegen das westliche Finanzmonopol auf. Die Contras und das Handelsembargo der USA verschlimmerten nur die Situation des Landes, der so oder so nicht zu entkommen war.
Die Ölindustrie ist das offensichtlichste Beispiel für diese Kapitulation vor dem westlichen Kapital. In den 80ern öffneten die staatlichen Ölgesellschaften in Algerien, China, Vietnam, Mexiko und vor allem auch in der UdSSR dem westlichen Kapital die Türen. Die Geschäftsleute in Europa und den USA sahen mit Freude »die Wiedereröffnung früherer Tabuzonen« (Morse 1989). Die Staaten, die ihre Ölfelder und Fördereinrichtungen in den frühen 70ern verstaatlicht hatten, wurden unter finanziellem Druck zur Kapitulation vor den alten Ölgesellschaften der Kolonialzeit gezwungen.
Aber nun stand das Kapital vor der Frage: Woher nun das Geld nehmen, damit sich die neuen Eroberungen auch lohnen? Viele Kapitalisten der Zweiten und Dritten Welt waren vor den Forderungen »ihrer« Arbeiterklasse erwartungsvoll in die Arme des IWF und privater Gesellschaften geflohen; und die fragten sich nun gespannt, wo die Investitionsgelder herkommen sollten. Der Fall der Ölpreise hatte natürlich auch gesunkene Profite bei den Ölgesellschaften zur Folge. Die Ölindustrie schlug sich von der UdSSR bis Venezuela mit einer abnehmenden Produktion und uneffektiven Technologien rum, aber die amerikanischen Ölgesellschaften hatten nicht das Geld, um das zu ändern. »Wir erwarten viel von euch«, so Gorbatschow zu den Ölchefs der USA. Während Gorbi die Sanierung der russischen Ölindustrie versprochen wurde, durchwühlten die Ölchefs ihre Taschen und fragten sich, woher sie das Geld bekommen könnten. Die riesigen Petrodollarüberschüsse waren in den 80ern aus den Banken verschwunden.
Die Kapitalisten in Japan und der BRD hatten die Taschen voller Geld. Aber die US-Kapitalisten redeten über die »Mangelware Geld« und einen »globalen Kapitalmangel«. Gegenüber der DM und dem Yen fiel der Dollar in der ersten Hälfte des Jahres 1990 um 8%, und japanische Investoren hatten 9 Milliarden Dollar von den Aktienmärkten der USA abgezogen. Allan Greenspan, Mr. Obergeldbeutel und Vorsitzender der Federal Reserve {US-Notenbank}, sagte Ende 1990: »Wir können uns in Zukunft nicht mehr unbegrenzt auf ausländische Einlagen verlassen«. Deutschland und Japan standen bereit, die Kapitulationen in Osteuropa, China und der Dritten Welt zu nutzen, aber wo war das US-Kapital? Wie sollte es in dieser »neuen Weltordnung« überleben? Ein Jahrzehnt aus Krieg, Sparmaßnahmen und fallenden Ölpreisen hatte bei der Disziplinierung verschiedener Länder und der Vernichtung ihrer Wirtschaftsgrundlagen einiges erreicht, aber die Welle der Kämpfe Ende der 80er Jahre und die fehlenden Investitionsgelder für das US-Kapital machten eine neue Strategie notwendig.
»Aber der Krieg geht weiter. Und wir werden noch jahrelang die vielfachen und manchmal unheilbaren Wunden zu verbinden haben, die unseren Völkern durch die kolonialistische Landplage zugefügt worden sind ... Weil der Kolonialismus eine systematische Negation des anderen ist, eine blindwütige Entschlossenheit, dem anderen jedes menschliche Attribut abzustreiten, treibt er das beherrschte Volk dazu, sich ständig die Frage zu stellen: `Wer bin ich eigentlich?' ... In den hier behandelten Fällen scheint uns das auslösende Ereignis hauptsächlich die blutige und unbarmherzige Atmosphäre, die allgemeine Verbreitung unmenschlicher Praktiken und der unabweisbare Eindruck zu sein, daß man einer wirklichen Apokalypse beiwohne.«
(Franz Fanon: Kolonialkrieg und psychische Störungen; 1963)III. Die Kreuzzüge des US-Kapitals: Rekolonisation im Nahen Osten!
Die gegenwärtige Besetzung des Golfs durch die USA ist die Antwort auf die Frage, wie sich das US-Kapital das Überleben in dieser »neuen Weltordnung« vorstellt: weiterhin die Kontrolle über den Ölnachschub aus dem Nahen Osten, was das notwendige Investitionskapital bringt, um mit Japan und der BRD zu konkurrieren; Ausbau der Rüstungsindustrie, die Ende der 80er von Kürzungen bedroht war; Durchsetzung höherer Ölpreise, um den Dollar als internationale Leitwährung zu stärken. Aber all das hängt von der Kontrolle über das Öl im Nahen Osten ab, und wie unsicher diese ist, hat das Aufflammen der Kämpfe Ende der 80er deutlich gemacht. Folglich taucht mit den geplanten Ölpreissteigerungen für die 90er und darüber hinaus der Erdölbulle auf: das US-Militär. Dieser Abschnitt handelt von Preisen und Bullen - oder den Gründen für den Krieg gegen Irak.
Daß die Ölpreise in den 90ern fahrplanmäßig steigen sollen, ist kein Geheimnis. Die OPEC-Länder, die USA, die europäischen Regierungen und die UdSSR waren sich 1990 allesamt einig, daß der Ölpreis in den 90ern kontinuierlich steigen müsse. Eine expandierende Produktion braucht dringend neue Investitionen in die globale Ölindustrie, darin herrschte Übereinstimmung bei den Wirtschaftsplanern dieser Länder. Nachdem diese Länder sich jahrzehntelang politisch bekämpft hatten, war das schon eine bemerkenswerte Einmütigkeit. Der Direktor der OPEC errechnete 1990, daß allein in den OPEC-Ländern bis 1995 etwa 60 Milliarden Dollar für solche neuen Investitionen notwendig seien. Andere Schätzungen gingen davon aus, daß diese 60 Milliarden gerademal für die fünf wichtigsten Produzenten der OPEC ausreichen würden: Iran, Irak, Saudi Arabien, Venezuela und Kuwait. Die Experten der Ölindustrie schlossen dies aus den Absprachen der Ölverantwortlichen und Wirtschaftsplaner überall auf dem Globus, daß »selbst ohne die derzeitigen Tumulte im Nahen Osten, höhere Ölpreise - um die 40 Dollar pro Barrel - im Laufe der 90er so gut wie sicher sind« (Morse 1990).
Die zwei größten Ölproduzenten außerhalb der OPEC, die USA und die UdSSR, waren in den letzten sieben Jahren mit einer abnehmenden Ölproduktion konfrontiert gewesen. Außerdem verzeichneten beide Ölindustrien eine sinkende Produktivität. Westliche Kapitalisten stürzten sich gierig auf die Ölfelder, als die sowjetische Ölindustrie, die größte der Welt, auf die internationalen Märkte geworfen wurde. Sie prophezeiten, daß die sowjetische Ölindustrie, zusammen mit der der Golfstaaten, der zukünftige Dreh- und Angelpunkt des weltweiten Ölmarktes sein werde.
Ziel der USA ist die Kontrolle der Produktion und der Preisentscheidungen des sowjetischen Öls, aber das kann nur gelingen, wenn es zu Investitionen kommt, um die Politik des Landes zu diktieren. Dieses Geld sollen die Petrodollars aus dem Nahen Osten beschaffen. Anzahlungen trudeln schon ein: Saudi Arabien versprach der UdSSR Kredite in der Größenordnung von 3 Milliarden Dollar, die kuwaitische Exilregierung kündigte im Januar 1991 Kredite in Höhe von 1 Milliarde Dollar an (Kuwait ist sowieso eher eine Bankengruppe als ein Land).
Der Ölpreis setzt eine knifflige finanzpolitische Frage auf die Tagesordnung. Seit dem Ende des 2. Weltkrieges ist der Dollar internationales Zahlungsmittel. Aber die USA sind nicht mehr die stärkste Wirtschaftsmacht der Welt, DM bzw. der Yen werden zunehmend gebräuchlich. Gangart und Richtung der Weltwirtschaft durch finanzielle Manipulationen zu kontrollieren, wird für Washington damit aber immer schwieriger. Die Kontrolle über den Dollar und damit Mitkontrolle der Werte praktisch aller anderen Währungen (besonders durch die Politik des IWF), hatte grundlegende Bedeutung für die Weltmacht USA.
Wenn der Ölpreis steigt, wird der Dollar stärker, da das Öl aus dem Nahen Osten in Dollar gehandelt wird. Die politische Vorherrschaft der US-Regierung und der US-Ölgesellschaften im Nahen Osten sorgt dafür, daß Öl auch in Zukunft mit Dollar bezahlt wird. Die US-Herrschaft über den Nahen Osten sichert die Vormachtstellung des Dollar. Aber was ist mit dem sowjetischen Öl - wird es in Dollar oder DM gehandelt werden? Mit den anstehenden Ölpreissteigerungen versuchen die USA sicherzustellen, daß der Dollar das Rennen macht.
Darüberhinaus müssen die USA ihre eigene Ölindustrie neu mit Kapital versorgen. Der Fall der Ölpreise hatte die Banken und die Ölindustrie in den USA getroffen. Die Savings and Loans-{Sparkassen}Krise im Südwesten war weitgehend durch die fallenden Ölpreise der 80er ausgelöst worden. Die texanische Ölproduktion versiegte, Immobilienwerte purzelten in den Keller. Der ganze Boom der 80er basierte auf Immobilien, Firmenfusionen, Risikoaktien und Finanzspekulation: die Ära von Trump und Milken. Mit dem Untergang von Savings and Loans war der ganze Deal aufgeflogen. Die US-Regierung schätzt die Sanierungskosten auf 500 Milliarden Dollar.
Mitte 1990 begann die Vorbereitung des Ölpreisanstiegs seitens der OPEC. Unmittelbar vor dem irakischen Einmarsch in Kuwait trafen sich die OPEC-Mitglieder in Bagdad und kamen zu einer Übereinkunft. Der Ölpreis war gerade (Juli 1990) bei 16-17 Dollar gelandet, im Vormonat war er sogar auf 14 Dollar pro Barrel abgesackt. Uneinigkeiten unter den Ländern gab es nur bei der Frage, um wieviel der Ölpreis steigen sollte; entweder auf die von den Saudis gewünschten 21 Dollar oder auf 25, wie der Irak es forderte. Der vorangegangene Preisbeschluß der OPEC hatte 18 Dollar betragen. Schließlich wurden 21 festgelegt; aber der Irak bestand weiterhin auf seinen 25. Die US-Regierung machte sich für einen Preis von 21 Dollar stark; der US-Botschafter im Irak beschwor Saddam: »Ich würde Sie bitten, die Möglichkeiten zu prüfen, einen allzu hohen Ölpreis (gemeint waren die 25) zu vermeiden.« Tarik Aziz gab sich alle Mühe, dem Botschafter zu versichern, »unsere Politik ist gegen plötzliche Sprünge des Ölpreises gerichtet«, und Hussein betonte, »25 Dollar pro Barrel sind kein hoher Preis« (NYT)
Der Streit ging nur um die Frage, wie schnell der Preis steigen sollte. Die USA hatten nichts gegen die 25 Dollar, aber sie wünschten sich eine eher stufenweise Anhebung. Eine Studie der Universität in Georgetown hatte Hussein überhaupt auf diese 25 Dollar hingewiesen. Das reichlich mit Ex-CIA-Gespenstern ausgestattete Zentrum für Strategie und internationale Studien hatte 1989 im Auftrag Saddam Husseins einen Bericht über Ölpreispolitik angefertigt. Der Bericht ist geheim, aber der Autor kam zu der Schlußfolgerung, die ja Hussein zitierte, 25 Dollar sei kein zu hoher Preis. Der Autor errechnete, daß eine Erhöhung der OPEC-Ölpreise auf 25 Dollar keinen Wechsel der Verbraucher hin zu anderen Energiequellen verursachen würde (Arab Oil and Gas Journal 3/1/90).
Die US-Regierung wurde durch Husseins Forderung nach 25 Dollar pro Barrel nicht großartig gestört. Sie wurde aber sehr wohl durch Husseins Ambitionen gestört, sich zum Schiedsrichter über die OPEC-Preise aufzuschwingen. Und selbst wenn die USA mit dem Preis völlig einverstanden gewesen wären, hätte Husseins Versuch, den Preis militärisch durchzusetzen, die Glocken in den Amtsstuben der USA Alarm schlagen lassen. Mitte Juli konzentrierte der Irak Truppen an der Grenze zu Kuwait, am 17. Juli drohte Hussein mit der Invasion. Es gab keinerlei Geheimnisse über die Motive seiner Kriegsabsichten. Jeder im Nahen Osten wußte, was das zu bedeuten hatte. In der folgenden Woche sollte das Treffen der OPEC-Mitglieder in Bagdad stattfinden, die Delegierten würden gezwungen sein, Ölpreis- und Förderquoten unter dem drohenden Schatten irakischer Gewehre festzulegen. Falls dem Irak die Rolle des Preisreglers der OPEC verweigert bliebe, würde seine Armee einige Kuwaitis töten. Offiziell zielten Husseins Drohungen darauf, daß Kuwait seine Förderquoten verletzt hatte, aber das war allzu offensichtlich eine dürftige Ausrede, nachdem Kuwait bereits am 11. Juli einer Beschränkung seiner Produktion zugestimmt hatte. Das Middle East Economic Digest erkannte die Motive des Irak: »Der irakische Ausbruch verdeutlicht das Ausmaß der Unstimmigkeiten in der OPEC und Bagdads Streben nach mehr Einfluß in der Organisation, um einer Nichtbeachtung seiner Interessen vorzubeugen« (3/8/90).
Hätte Hussein seine Befehle direkt aus Washington empfangen, so wären seine Einschüchterungen von Bush & Co unterstützt worden. Aber Husseins Regime verhandelte mit so vielen Staaten, daß es ihm möglich war, jede bedeutsamere Abhängigkeit von den USA zu vermeiden - ungeachtet der jahrelangen Zusammenarbeit und den zunehmend freundschaftlichen Beziehungen zwischen beiden. Hussein hatte 1990 mehrmals die anderen Staaten des Nahen Ostens dazu aufgefordert, den westlichen Banken kein Geld mehr zu überweisen und sich selbständig zu entwickeln (Village Voice 22/1/91).
Es gibt Leute, die die Invasion Kuwaits als anti-imperialistisch bezeichnen. Das Hauptanliegen der Aktion war aber die Sanierung des eigenen Regimes; ohne Krieg und enorme Öleinnahmen würde die Baath-Partei für die breiten Forderungen nach Demokratie und wirtschaftlicher Gerechtigkeit sehr verwundbar werden.
An eine Schlacht mit dem Imperialismus hat Hussein aber sicher nicht gedacht. Die USA beantworteten seine Invasionsdrohungen mit süßer Gleichgültigkeit. »Wir haben keine Meinung zu inner-arabischen Streitereien«, teilte die US-Botschafterin ihm noch eine Woche vor der Invasion mit. Im Kongreß bestätigte Staatssekretär John Kelly, daß es kein Verteidigungsabkommens mit Kuwait gebe. Auf dem spiegelglatten Parkett der Diplomatie gibt es wohl kaum eindeutigeres grünes Licht. Aber warum wurde vor der Invasion kein Lärm veranstaltet, wenn die USA gegen eine starke Regionalmacht Irak waren? Und wenn die Invasion zum Stolperdraht für den 3. Weltkrieg hätte werden können, warum griffen Bush & Co dann nicht in den zwei Wochen vor der Invasion ein?
Der Grund für das grüne Licht für Hussein lag wohl darin, daß die USA nicht an eine Invasion glaubten, oder, im Falle einer Invasion niemand mit einer Besetzung des ganzen Landes rechnete. Die New York Times berichtete: »Die Strategie (Husseins Invasionsdrohung nicht zu attackieren) beruhte nach den Angaben hoher Regierungsbeamter auf der Auffassung, daß sowohl Washington als auch große Teile der arabischen Welt mit einer begrenzten Invasion Kuwaits leben könnten, bei der irakische Kräfte Teile des kuwaitischen Territoriums besetzen, um Konzessionen durchzusetzen.« (23/9/90) Die USA hofften noch immer, die irakischen Ambitionen zu zähmen und Hussein für ihre eigenen Ziele einsetzen zu können. Denn trotz allem war Hussein für das gesamte Kapital in den 80ern ein recht braver Mitspieler gewesen.
Die US-Regierung hielt es für notwendig, Hussein anzugreifen, wenn er sich ganz Kuwait nähme. Eine komplette Invasion würde aus einem potentiell nützlichen Bullen und Kapitalisten einen Verbrecher machen. Eine Invasion würde dem US-Militär die Chance geben, eine ganze Liste von Ausgabenkürzungen und Massenentlassungen zu verhindern. Außerdem würde sich die Gelegenheit für eine dauerhafte Besetzung des Persischen Golfs ergeben. All diese weitgehenden Absichten ließen keine Enttäuschung aufkommen, als Hussein losstürmte.
Die Invasion war ein Verbrechen gegen internationales Recht, aber die eigentliche Provokation bestand für Bush & Co in dem Vergehen gegen das internationale Kapital. Und zwar zuallererst in der Übernahme des kuwaitischen Öls, was einen Machtzuwachs innerhalb der OPEC und Druck auf die anderen Golfstaaten nach sich ziehen würde. Das Recht, die Ölpreise zu bestimmen, beanspruchen die USA für sich alleine. Die enorme Bedeutung der Ölpreisfestlegung ist nichts, was die US-Kapitalisten einem Regime in der Dritten Welt überlassen können. Zum zweiten hatte Hussein einseitig Schulden an Kuwait in einer Größenordnung von 15 Milliarden Dollar für nichtig erklärt und auch den Saudis die Nachricht zukommen lassen, daß er deren Kredite von 50-60 Milliarden Dollar nicht zurückzahlen würde. Zum dritten strich er Kuwaits Rolle im Recycling der Petrodollars. Vor der Invasion hatte Kuwait 60 Milliarden Dollar in den USA und weitere 100-200 Milliarden weltweit investiert. Das war ein besonders böser Präzedenzfall, weil Saudi Arabien im Westen etwa 1 Billion investiert hatte.
Aus all diesen Gründen beschloß die US-Regierung, den Irak als Regionalmacht zu eliminieren. Als Ziel des gegenwärtigen Krieges gegen den Irak wurde die Befreiung Kuwaits angegeben, aber die US-Regierung gibt langsam zu, daß es um die Zerstörung der irakischen Militärkapazitäten geht. Die New York Times berichtete von »ranghohen Staatsbeamten« und ihrer Angst vor einem Rückzug des Irak aus Kuwait. Ein Sprecher sagte: »Die Andeutung eines diplomatischen Erfolges macht uns die meisten Sorgen« (22/1/91). Die Begründung für den Angriff und damit für die Eliminierung dieser Regionalmacht wären futsch gewesen, wenn der Irak sich zurückgezogen hätte. Die USA wollten den Krieg von Anfang an.
Regierungsbeamte der USA plauderten recht freimütig über die Pläne einer langfristigen Besetzung des Persischen Golfs. Staatssekretär Baker verkündete fortwährend, die USA würden nach dem Krieg am Persischen Golf bleiben. Aus PR-Gründen sagt die Administration, die Truppen »machen ihren Job und kommen dann heim«, aber die militärische Planung sieht eine kontinuierliche Truppenpräsenz vor (NYT 7/2/91). Die USA haben kein ganzes Stützpunktsystem am Golf aufgebaut, um es dann aufzugeben. So wie die jetzige Besetzung des Golfes seit zehn Jahren geplant und vorbereitet war - lange vor der irakischen Bedrohung - reichen ihre Perspektiven bis ins nächste Jahrzehnt und darüber hinaus.
Wie sehen diese Perspektiven aus? Wir wissen, daß der Ölpreis in den 90ern steigen wird. Aber die kapitalistischen Planer in den USA und Europa haben die Erfahrungen der 70er Jahre nicht vergessen. Nach der 73er Preiserhöhung war für die nächsten Jahrzehnte ein stetig steigender Ölpreis vorgesehen gewesen. Aber wie schon berichtet mußten sie das 1980 zurücknehmen. Wenn nun im nächsten Jahrzehnt die Ölpreise verdoppelt werden, sollen die zusätzlichen Einnahmen die Akkumulationsmaschine stabilisieren.
Unsere wohl beste Quelle in dieser Hinsicht ist Morse, der als Herausgeber des Petroleum Intelligence Weekly bestens mit der kapitalistischen Planung vertraut ist. Er nimmt an, daß der Ölpreis im Jahr 2000 bei 40 Dollar liegen wird. Das eigentliche Problem sieht er nicht in der Erhöhung der Ölpreise, sondern in der Frage, ob sie dann auch oben gehalten werden können: »Auch wenn der Ölpreis nach dem Ende der gegenwärtigen Krise wieder unter 20 Dollar pro Barrel fallen sollte, scheint es ziemlich unwesentlich, ob dieser Preis stabil bleibt, oder ob eine bescheidene Erhöhung drin ist. Es ist an der Zeit, die Frage zu stellen, wie die Ölmärkte und die Strukturen der Ölindustrie auf eine gepfefferte Preiserhöhung reagieren würden« (Morse 1990).
Die Auswirkungen in den ölproduzierenden Staaten machen die größten Sorgen, wenn von den »Strukturen der Ölindustrie« die Rede ist. Von Venezuela über Libyen bis nach Indonesien werden die Einnahmen steigen. Wird dieses Kapital - wie in den 70ern - erneut für Löhne und Staatsausgaben »verschwendet«? Werden sich die Leute noch kontrollieren lassen, wenn die Armut inmitten riesiger Anhäufungen von Reichtum fortbesteht? Werden die Regimes dieser Staaten den neuen Reichtum nutzen, um die Macht der Troika IWF/Weltbank/Pentagon zu untergraben, oder können sie weiterhin in Zinszahlungen und Waffenkäufe verstrickt werden? Werden die Regimes dem Druck der Bevölkerung nachgeben?
Die US-Kapitalisten denken nicht nur an die iranische Revolution, sie erinnern sich auch an die Welle der Anti-IWF-Kämpfe in den späten 80ern. Das alles verheißt »falsche« Antworten auf all die unangenehmen Fragen. Aber wo sind die »richtigen«? US-Truppen. Die USA sind auf die langfristige Besetzung des Golfs vorbereitet. Von den dortigen Stützpunkten (plus denen in der Türkei, in Diego Garcia und Kenia) aus sind Interventionen nicht nur am Persischen Golf, sondern auch in Afrika und Asien möglich.
Die Partner der USA dort sind alle extrem unpopuläre Regimes, und wahrscheinlich muß immer wieder US-Militär zu Hilfe gerufen werden, um massenhaften Widerstand zu unterdrücken. Die besten Alliierten der USA sind die marokkanische Monarchie, die ägyptische Tyrannei, Syriens Diktatur und die türkische Militärherrschaft mit einer durchsichtigen bürgerlichen Fassade. Aber die Mehrheit der Bevölkerungen dieser vier Länder ist offensichtlich gegen den Krieg der Amis im Irak. Nur ein Beispiel: In Ägypten hat die Regierung aus Angst vor Menschenansammlungen die Schulen geschlossen und Sportveranstaltungen abgesagt. Bei den Wahlen im Oktober 90 verbot die Regierung die wichtigsten Oppositionsparteien, die alle die Besetzung des Golfs durch die USA verurteilt hatten.
Das US-Militär könnte leicht direkt in die Unterdrückung der Palästinenser durch Israel hineingezogen werden. Israel will so bald wie möglich die Palästinenser vertreiben, die Präsenz des US-Militärs könnte helfen, die pan-arabische Antwort auf dieses mörderische Manöver unter Kontrolle zu halten. Die Palästinenser verkörpern den Antiimperialismus und die Unabhängigkeitsbestrebungen der Menschen im Nahen Osten, sie sind die stärkste Bedrohung für das Management des dortigen Arbeitsmarktes.
Die Golfstaaten werden nach dem Krieg noch verwundbarer sein. Wegen ihrer Habgier und Unterwürfigkeit dem Westen gegenüber werden sie von den Menschen im Nahen Osten verachtet. Um ihre Ölfelder vor Sabotage, ihre Grenzen vor Angriffen und ihre Bürger gegen »gefährliche« politische Gedanken zu schützen, werden sie sich noch mehr als bisher auf die USA verlassen müssen.
Die US-Kapitalisten planen für das nächste Jahrzehnt Ölpreissteigerungen, aber die politischen Kämpfe könnten ihnen das erneute Experiment mit Preiserhöhungen unter den Händen hochgehen lassen. Die Preiserhöhungen sollen von europäischen und US-Truppen flankiert werden. Fast alle Länder im Nahen Osten haben Erfahrungen mit dem europäischen Kolonialismus. Sie erinnern sich an die Bomben, die Schlachten und die Demütigungen und sehen in der jetzigen Besetzung durch die USA die Rückkehr vergangener Zeiten. Das ganze 20. Jahrhundert haben sie für den Aufbau von Gesellschaften gekämpft, in denen ein Barrel Öl nicht mehr wert ist als ein menschliches Leben.
In den USA wird dieses Experiment mit Preiserhöhungen und militärischer Besetzung nur mehr Armut und Militarisierung bedeuten. Die US-Regierung führt nicht nur Krieg gegen den Irak, sondern auch gegen die Menschen im eigenen Land. Der Krieg bedeutet eine massive Entwertung unseres Lebens. Wir müssen die Forderung »Kein Blut für Öl« durchsetzen.
»Wir müssen auch sagen, daß das Konzept der friedlichen Koexistenz nicht nur, was Beziehungen zwischen souveränen Staaten angeht klar definiert werden muß. Als Marxisten haben wir immer betont, daß die friedliche Koexistenz der Länder nicht die Koexistenz zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten, Unterdrückern und Unterdrückten beinhaltet.« (Che Guevara, Rede vor der UNO, 1964)