Die Buchmacherei hat Ingrid Bauers 1988 erschienene Dissertation neu rausgebracht und um historische Bilder, ein aktuelles Vorwort und eine DVD-Beilage erweitert. Was sich anfangs etwas langatmig liest, wird zunehmend eine anregende Untersuchung mit analytischem Tiefgang und viel Empathie für Fabrikarbeiterinnen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts.
Am besten sind die Stellen, die mit Interviewauszügen (die im Originaldialekt transkribiert sind, die Frauen waren allesamt in ihren 80ern) und deren Interpretation herausarbeiten, wie sich die Arbeiterinnen unter den damaligen Bedingungen organisierten. Hallein in Salzburg, wo das österreichische Tabakmonopol eine dieser Tabakwaren-Fabriken hingestellt hat und wo die Geschichte spielt, ist bekannt für den Abbau von Salz und die heute noch existierende Zellstoffindustrie. Bauer zeigt, dass diese Kleinstadt mit damals knapp 10 000 und heute 21 000 Einwohnern eher prominent sein müsste wegen der renitenten Geschichte dieser proletarischen Frauen.
Der Beschäftigtenhöchststand war 1922 mit 605 Arbeitern erreicht (davon 554 Frauen). Die produzierten Stückzahlen an Zigarren in diesem Jahr wurden nicht veröffentlicht, aber es gibt Zahlen für andere Jahre. Z. B. produzierten 1912 537 Arbeiter (493 Frauen) insgesamt 27 577 000 Zigarren. Im Streikjahr 1934 und nach zwei Kündigungswellen produzierten 306 Arbeiter (276 Frauen) 10 693 000 Zigarren (S. 180f.). Im Krisenjahr 1923 wurde in allen 10 österreichischen Tabakfabriken radikal saniert, an manchen Standorten wurde über die Hälfte der Beschäftigten gekündigt.
In der Halleiner Fabrik gab es grob vier Abteilungen, in denen die Frauen arbeiteten: Vorrichterei, Puppenmacherei, Spinnerei und Verpackung. Zu mehr als 90 Prozent wurde im Akkord gearbeitet. Aufstiegschancen gab es wenige, »zeitentlohnte ›Tabakwägerin‹ zu werden oder als ›Übernehmerin‹ die Arbeiten an einem Produktionstisch anzuleiten, waren die höchsten Positionen, die langjährige und ›vertrauenswürdige‹ Arbeiterinnen erreichen konnten« (S. 186).
Der Produktionstisch war neben den hohen Löhnen, der medizinischen Versorgung und anderen sozialen Vorteilen die materielle Voraussetzung, dass die Arbeiterinnen gern in die Fabrik gingen. In der von der seinerzeitigen Rationalisierungs- und Automatisierungswelle noch nicht berührten Zigarrenproduktion konnten die Arbeiterinnen in Zwölfergruppen an einem Tisch sitzen und während der ganzen Arbeitszeit miteinander reden. In den Interviews betonen sie den Spaß, ihren Zusammenhalt, die politische Emanzipation und wie sie sich untereinander neue Fähigkeiten beigebracht haben; welche Gefahren es bei einer Abtreibung zu beachten gilt; manche lernten sogar kochen; wiederum andere erzählten, welche Bücher sie gelesen haben, z. B. Bebels »Der Sozialismus und die Frau«, während die anderen ihr Tagessoll mitproduzierten, damit die Referentin sich ganz aufs Erzählen konzentrieren konnte (S. 188-227).
Wenn sich ArbeiterInnen im Betrieb verstehen und Freundschaft schließen, entsteht ein autonomes Kommunikationsnetz – das ist eine der größten Gefahren für Antreiber, Chefs und damit fürs Kapital. So kam es mehrmals zu spontanen Tumulten gegen die Willkür der männlichen Beamten und Aufseher. Die Frauen konnten erfolgreich Zeitraub und andere Ungerechtigkeiten abwehren.
Zu größeren Bewegungen kam es im November 1915, 1916 und im Juli 1917. Während des Kriegs wurden Lebensmittel knapp und aufgrund der langen Arbeitszeit konnte frau die Läden zu deren Öffnungszeiten gar nicht besuchen. Die Arbeiterinnen organisierten eine Demonstration zur Bezirkshauptmannschaft, in deren Verlauf sich auch Kinder einreihten – eine Arbeiterin, damals eines dieser Kinder, erzählt in einem längeren Auszug, dass es sie sehr beeindruckt hat, als 300 Arbeiterinnen »mia woin an Zucker! Mia woin unser Brot haum!« skandierten (S. 149). In allen drei Jahren konnten die Arbeiterinnen ihre Forderungen durchsetzen und sogar erreichen, dass sie als »Schwerarbeiterinnen« eingestuft wurden und damit höhere Brot- und Mehlrationen bekamen.
1918, im Jahr des großen Jännerstreiks auf dem gesamten österreichisch-ungarischen Territorium, streikten die Halleiner Arbeiterinnen mehrmals. Die Fabrikdirektion hielt Mehlreserven zurück, nur mit Mühe konnten 50 bis 60 Frauen daran gehindert werden, dem »Ernährungsreferenten« was anzutun – natürlich holten sie sich die Mehlreserven. In diesem und im folgenden Jahr kam es immer wieder zu Arbeiterinnen-Demos in Hallein, im September 1918 fanden Riots und Plünderungen statt, im Dezember 1919 »schwere Unruhen« (S. 150-154).
Dem Personalabbau 1923 standen die Arbeiterinnen eher hilflos gegenüber, erst gegen die Zerschlagung der Arbeiterbewegung im Februar 1934 organisierten die Frauen wieder einen großen Kampf. Die Zigarren-Arbeiterinnen waren in Hallein die einzigen, die beim Generalstreik nahezu geschlossen mitgemacht haben, in Salzburg als eine »der ganz wenigen überhaupt« (S. 236). Im Interview kommt der Vorwurf an die Männer wieder hoch: »Ausgezeichnet hobt´s eich domois net«. »Mia san außi und haumd gsogt, sie soin si schämen.« (S. 237)
Die Betriebsrätin Agnes Primocic, über die die DVD spielt und die damals in einer kommunistischen Widerstandsgruppe aktiv war, wurde in diesem Jahr entlassen und in den folgenden vier Jahren viermal eingesperrt.
Ein anderer großer Teil des Buchs macht Beschreibungen, Erinnerungen und Reflexionen über die Kindheit, Schulzeit, die erste Zeit danach (z. B. überausgebeutet als Dienstmädchen in München, S. 146) und über das Leben in der Arbeiterfamilie aus. Im Gegensatz zur Hausarbeit hatte die Fabrikarbeit ein fixes Ende – zu Hause schien die Arbeit endlos: Waschen, Putzen, Nähen, Kochen, die Kinder – alles ohne die Hilfe der Männer. Während der jungen Jahre der interviewten Arbeiterinnen, die geprägt waren vom Mangel und von Unsicherheit, schildert Bauer die oft »umsichtige, ausdauernde und schlaue Überlebens-Arbeit«, etwa »gemeinsame Hamsterfahrten« (S. 144).
Die Fabrik wurde von den Nazis 1940 geschlossen, damit die deutsche Tabakindustrie weniger Konkurrenz hatte.
Dieses Stück Arbeiterinnengeschichte ist sehr ermutigend und hilft dabei, ein Gespür zu entwickeln, worauf es in einer Fabrik unter ArbeiterInnen ankommt. Das Buch ist ein gutes Beispiel dafür, wie (linke) WissenschaftlerInnen und ArbeiterInnen gemeinsam eine richtig erfrischende Lektüre hinbekommen können, wenn sie sich aufeinander einlassen.