Die slowenische Regierung versucht, die steigende Staatsverschuldung – von 22 Prozent des BIP 2008 auf 83 im Jahr 2015 – mit Privatisierungen einzudämmen. Auf europäischer Ebene wollen die Herrschenden mit neuen Gesetzespaketen (Port Package) die Häfen deregulieren. Das bedeutet, dass die Regierung und die EU die relativ geschützten ArbeiterInnen in den (halb-)staatlichen Unternehmen Sloweniens angreifen – eines davon ist der Hafen von Koper, der zu 67 Prozent in Staatshänden ist. Der Containerumschlag und der Gewinn in Koper erhöhten sich in den letzten Jahren kontinuierlich, es wurden neue Piers gebaut, neue Kräne gekauft, das Hafenbecken ausgebaggert; neue Eisenbahnstrecken und Terminals im Hinterland sind in Planung. Seit 2011 ist der Hafen der wichtigste für die österreichische Industrie, deren Umschlag hat sich von 2006 bis 2014 fast verdoppelt, und der größte der North Adriatic Ports Association (NAPA: Koper, Ravenna, Venedig, Triest, Rijeka). 2011 hatten die Arbeiter schon einmal wild gestreikt und Verbesserungen durchsetzen können (s. Wildcat 94). Im Juli 2016 streikten sie erneut, um den Verkauf des Hafens zu verhindern – und gewannen. In den deutschsprachigen Medien fand sich kein Wort dazu.
Eine Besonderheit des Hafens ist, dass die ArbeiterInnen, voran die in einer »anarchistischen Basisgewerkschaft« [1] organisierten Kranführer, erreicht haben, dass sie im Aufsichtsrat (drei von neun Köpfen) und im Vorstand (einer von vier) der Betreibergesellschaft Luka Koper AG vertreten sind. Sie haben de facto mitzureden, wer Geschäftsführer wird und welche Entscheidungen er treffen kann. In den letzten drei Jahren gab es drei Geschäftsführer – der jetzige ist der Regierung ein Dorn im Auge, weil er die Privatisierung ablehnt.
Seit dem Sommer 2013 versucht die Regierung mit allen Tricks, diese durchzukriegen und damit den ArbeiterInnen die Verfügungsgewalt über Geldflüsse und Investitionen zu entreißen. In den letzten drei Jahren gab es erhebliche Lohnsteigerungen, weil die Arbeiter die Finanzen kennen. Heute verdienen Kranführer ohne Nacht- und Wochenendschichten in einem Monat so viel wie mit diesen Schichten 2013, etwa 1500 Euro netto – das doppelte eines durchschnittlichen slowenischen Arbeiterlohns.
Eine Privatisierung würde zudem bedeuten, dass eine Port Authority installiert wird, die ein Vergaberecht an den verschiedenen Piers/Terminals besitzt. Letztere würden an unterschiedliche Firmen, die das Terminal betreiben, vergeben – so würden die Arbeiter im selben Hafen in verschiedenen Unternehmen angestellt und die innerbetriebliche Konkurrenz festgeschrieben. Das ist heute in allen »modernen« Häfen gang und gäbe.
Mit dem Aufsichtsrats- und Vorstandsmodell konnten sie das bis jetzt blockieren. »Wir sind eine Belegschaft«, sagt ein Kranführer, der gleichzeitig im Aufsichtsrat sitzt. Aber auch ohne Port Authority sind die Spaltungen im Hafen vorangekommen: An die 40 Subfirmen sind bereits tätig, und die Kranführer verdienen mehr als andere Arbeiter.
Ende Juni 2016 ging eine E-Mail vom slowenischen Infrastrukturminister an die staatliche Holding, in der er erklärt, das Aufsichtsratsmodell »verbessern« zu wollen. Es sollte eine neue Hafenverwaltung geschaffen werden, der Vertrag mit der Luka Koper AG »überprüft« und eine zweite Betreibergesellschaft installiert werden. In unserer Sprache: Wenn die jetzige Führungsstruktur des Luka Koper entmachtet wird, kann endlich privatisiert werden. Dieses Schreiben wurde geleaked, die ArbeiterInnen bekamen es in die Hände. Dabei steht da drin nur, was sie seit eineinhalb Jahren vermuteten. Die E-Mail war jedenfalls nicht entscheidend für den Streik, versichert uns der Kranführer. Ausschlaggebend war die Jahreshauptversammlung der Aktionäre der Luka Koper AG am 1. Juli.
Zuvor organisierten die ArbeiterInnen und solidarische Gruppen am 28. Juni eine Demonstration durch Koper, an der sich auch Minderheitsaktionäre beteiligten – BürgerInnen, ArbeiterInnen, usw. – die 33 Prozent der Aktien halten und sich in einer Vereinigung zusammengeschlossen haben (Vseslovensko Združenje Malih Delničarjev, VZMD, Panslowenische Investoren- und Aktionärsvereinigung; da drin befinden sich auch Nationalisten!). Es sprachen Hafenarbeiter, jemand von den Minderheitsaktionären, Frauen aus verschiedenen Organisationen und von anderen Betrieben, usw. 4000 Leute aus der Region marschierten durch die Stadt (Koper hat 25 000 EinwohnerInnen). Es ging um die katastrophalen Auswirkungen von Privatisierungen und um die Machenschaften der slowenischen Regierung.
Eigentlich wollte ein Teil der Hafenarbeiter nur die Aktionärsversammlung blockieren, aber die Bullen verhinderten das – also entschlossen sie sich, den Hafen zu blockieren. Der Kranführer sagt listig, dies sei völlig spontan passiert, »plötzlich legten alle, auch die in den Büros, die Arbeit nieder und trafen sich am Tor«. Schlussendlich kamen etwa 800 Leute zusammen. Die Arbeiter blockierten den Zugang zum Hafen, so konnten keine Streikbrecher eingesetzt werden. Das einzige, das sie verluden, waren verderbliche Waren. Alles andere – Erz für österreichische Stahlwerke, Holz für die steiermärkischen Papierfabriken, Autos aller Marken für den Import/Export, Container mit Konsumprodukten für Europa, u. v. m. – wurde nicht angerührt; am 2. Juli stauten sich 40 Züge bis ins Hinterland; sechs konnten den Hafen nicht verlassen. Die Eisenbahnunternehmer redeten von 700 000 Euro Verlust pro Tag, aber der Kranführer sagt, dass dies Teil der negativen Medienpropaganda war. Ein Arbeiter aus dem Cargo Center Graz berichtet, dass die Zahl der ankommenden Container innerhalb kürzester Zeit massiv gesunken ist (das CCG ist mit 16 Zugverbindungen pro Woche der wichtigste Hinterland-Terminal des Hafens).
Der Kranführer räumt ein: »Die Reederein sind unter extremem Druck – bei weltweit sinkendem Volumen ist es wichtig, schneller als die anderen zu sein; das geht in Europa am besten über den Hafen von Koper, weil man zwei bis drei Tage in eine Richtung und viel Geld gegenüber Hamburg spart.«
Neben der Zurücknahme der geplanten Änderungen der Führungsstruktur forderten die Hafenarbeiter den Rücktritt des Infrastrukturministers und einer Staatssekretärin des Finanzministeriums. Ihre Forderungen richteten sie an den slowenischen Ministerpräsidenten Miro Cerar, mit dem sie ein Treffen verlangten. Der wiegelte zunächst ab. Es sei nicht zu akzeptieren, dass seiner Regierung von den Arbeitern, »von der Straße aus« irgendwas diktiert wird. Bürgerliche Medien fuhren die übliche Diffamierungsstrategie: »Terroristen«, bla… Dagegen kamen viele Freunde und Familienangehörige, auch Kinder der ArbeiterInnen, vor die Tore – am Sonntag, 3. Juli protestierten insgesamt an die 1500 Menschen vor dem Hafen.
Bereits nach den ersten paar Stunden Streik wurde in der Aktionärsversammlung am 1. Juli entschieden, die geplante Entlassung von drei den Arbeitern wohlgesonnenen Aufsichtsratsmitgliedern zurückzunehmen – stattdessen trat der Chef der staatlichen Holding zurück. Trotzdem wurde bis zur Frühschicht am 4. Juli weitergestreikt, um der Forderung nach dem Rücktritt der Regierungsmitglieder und eines Treffens mit Cerar Nachdruck zu verleihen. Am 5. und 6. Juli wurde je eine Schicht (von normalerweise dreien) pro Tag gearbeitet.
Am 6. Juli beschloss der Ministerpräsident, dass er sich doch mit den Arbeitern treffen wolle – diesmal war seine Verteidigung, dass niemand den Hafen privatisieren wolle und die Arbeiter offensichtlich belogen worden seien. Die Arbeiter hörten sich die Worte des Ministerpräsidenten an, kamen aber zu dem Schluss, dass er von nichts eine Ahnung hat. Sie erklärten ihm die Situation und verlangten, dass er sich für sie einsetzt. Danach gingen sie wieder zum Normalbetrieb über, weil sie ihr Hauptziel, die Rücknahme der Pläne der Staatsholding, erreicht hatten. Am 13. Juli traten der Finanzminister und seine Staatssekretärin zurück. »Jetzt müssen wir nur noch den Infrastrukturminister verjagen«, euphorisiert der Kranführer.
Leider haben sich in den Tagen des Protests und Streiks Nationalisten eingemischt – Gift für jeden Arbeiterkampf. In Europa kann man heute überall sehen, was das anrichtet. Speziell in den südosteuropäischen Staaten haben Proteste immer dann Kraft entwickelt, wenn sie explizit anti-nationalistisch waren.
Während des Streiks gab es einen Soli-Bummelstreik im italienischen Nachbarhafen von Triest, wo Schiffe anstatt an einem halben an eineinhalb Tagen gelöscht wurden. Vom kroatischen Nachbarhafen Rijeka kam eines von vielen Soli-Schreiben – der Hafen ist schon privatisiert. Die Arbeiter in Koper sagen, sie sollten auch der slowenischen Regierung schreiben (die drei Häfen sind historisch miteinander durch Kampferfahrungen verbunden: von 1966 bis 1971 kam es zu einer »parallelen Choreografie von Arbeiterunruhen« [Sabine Rutar] [2]).
Leute aus der ganzen Region verstehen, dass es ihnen nur gut geht, wenn es den ArbeiterInnen gut geht – deshalb erklären sich viele solidarisch, der Kampf vertritt Allgemeininteressen.
Der Angriff der Herrschenden ist erstmal gescheitert, die Arbeiter konnten den für sie vorteilhaften Status quo erhalten. Sie zeigen, wie stark eine Belegschaft ist, die sich organisiert und zusammenhält.
Die Herrschenden werden versuchen aus ihrem Scheitern zu lernen. Sie müssen aufpassen, dass ihnen nicht wieder Aufstände wie der 2012/13 oder in Bosnien 2014 um die Ohren fliegen [3]. Die Hafenarbeiter in Koper werden jedenfalls sehr selbstbewusst in kommende Auseinandersetzungen gehen.
Nachtrag:
Mitte Juli berichten Reederei-Webseiten, dass COSCO einem Streik der griechischen Eisenbahner, die die Waren vom Hafen von Piräus ins Hinterland bringen, erfolgreich ausweichen kann – sie leiten die Containerschiffe nach Koper um. SMS vom Kranführer: »Ich werde dem nachgehen. Das Problem ist, dass COSCO unsern Hafen sowieso regulär anfährt. Ich schau, ob sich da was verändert.«
[1] Sindikat Žerjavistov Pomorskih Dejavnosti, dt. Gewerkschaft der Kran- und Seefahrer-Tätigkeiten; in ihr sind die etwa 220 Kranführer organisiert. Die Gewerkschaft hat 390 Mitglieder von 840 direkt bei der Luka Koper AG angestellten. Insgesamt arbeiten im Hafen 1150 Leute mit den Tochterunternehmen, dazu kommen etwa 500 Arbeiter von den Subfirmen (Leihbuden, usw.). Es gibt noch eine alte Gewerkschaft, die aber fast nicht mehr aktiv ist, und weniger als 60 Mitglieder hat. Zehn Frauen sind Mitglied der Anarcho-Gewerkschaft; generell arbeiten Frauen nur in den Hafenbüros.
[2] Diese sehr schöne Darstellung der Streiks liefert Sabine Rutar vom Regensburger Institut für Ost- und Südosteuropaforschung: Epistemologische Grenzen und europäische Zeitgeschichte am Beispiel der nordöstlichen Adriaregion, in: Europa Regional 22.2014 (2015), 3-4, S. 192-206, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-459994
[3] Siehe dazu:
Wildcat 96: Aufstand in Bosnien, Frühling 2014
Wildcat 94: Slowenien: Das Ende der Transformation, Frühjahr 2013 (Online mit Update zu den Kämpfen am Balkan vom 2.11.13)