Wildcat 101, Winter 2018
Mit dem sogenannten »Flüchtlingsproblem« werden zwei Jahre nach dem »Sommer der Migration« politische Mehrheiten organisiert bzw. verloren. Sind die erbitterten Debatten über den Familiennachzug für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz nur Schaukämpfe? Wie passt dies alles zusammen mit dem Gejammer von Unternehmen über Fachkräftemangel? Inwieweit ist es der Flüchtlingsverwaltung gelungen, die hier Angekommenen in den Arbeitsmarkt zu integrieren?
Wir haben versucht, offizielle Zahlen zusammenzutragen, was nicht ganz einfach ist – zu viele politische Interessen sind hier im Spiel. Parallel dazu haben wir Interviews mit Geflüchteten zu ihrer Arbeitssituation gesammelt. Einen Teil davon findet Ihr in gekürzter Form im Anschluss.
Im Sommer 2015 haben hunderttausende Flüchtlinge sich einen Weg nach Europa gebahnt. Sie schmuggelten sich nicht versteckt und nachts über die Grenzen, sondern sie konnten so hohen politischen Druck aufbauen, dass die deutsche Regierung die Grenze öffnete.
Für kurze Zeit waren sie eine Kampfgemeinschaft, als es darum ging, Zäune zu überrennen. In der BRD und anderen Ländern angekommen, konnte diese Offensive nicht bestehen bleiben. Gegenüber den Behörden, auf dem Arbeitsmarkt, im Alltag bist du ein Einzelner. Dies gilt insbesondere für diejenigen, die sich auf ein Asylverfahren einlassen, um als politischer Flüchtling oder Kriegsflüchtling ein spezielles Antragsverfahren zu durchlaufen. Die Rolle als Bittsteller erschwert ein gemeinsames und kämpferisches Auftreten. Manch eine/r muss Geschichten erfinden, um hierbleiben zu dürfen; damit durchzukommen ist mehr oder weniger Glückssache. Beispielsweise treten viele Iraner und Afghanen zum Christentum über. Das führt in die Abhängigkeit von Kirchengemeinden und schränkt die eigenen Handlungsmöglichkeiten erheblich ein – die falsche Lebensgeschichte muss möglicherweise jahrelang aufrecht erhalten werden.
Es ist unwahrscheinlich, dass Flüchtlinge »als Flüchtlinge« in größerem Ausmaß kämpfen werden. Flüchtlingskämpfe in der Vergangenheit waren meist kollektive Kämpfe in Lagern gegen Lebensmittelpakete. Das Arbeitsverbot führte dazu, dass sie jahrelang unter diesem Status lebten. Außerdem waren viele Flüchtlinge schon in ihrem Herkunftsland politisch organisiert gewesen und setzten dies hier fort. Das ist heute anders.
Bei der Aufnahme von Geflüchteten im Sommer und Herbst 2015 wollte die Regierung den Gegnern dieser Politik von vornherein den Wind aus den Segeln nehmen und behauptete, diese Menschen würden den leergefegten Arbeitsmarkt entlasten und dass man alles tun wolle, um sie sobald wie möglich in Arbeit zu bringen. Arbeitserlaubnisse sollte es nun auch für Geduldete geben; auch Leiharbeit sollte künftig für Geflüchtete möglich sein. D.h. viele der als Flüchtlinge Eingereisten werden arbeiten gehen und in Betrieben mit anderen zusammen arbeiten. Wie werden sie dort aufgenommen? Gibt es eine Abwehrhaltung einheimischer Kollegen? Werden Flüchtlinge auf Arbeit schlechter gestellt? Wird es zu einer »Unterschichtung« kommen, die die Kampfbedingungen generell verschlechtert? Werden gemeinsame Kämpfe möglich sein?
Die Zugewanderten kommen heute in einen sehr viel stärker deregulierten Arbeitsmarkt als beispielsweise die »Gastarbeiter« in den 1960er Jahren. Die Situation, auf die sie in deutschen Betrieben treffen, ist ziemlich desolat. Belegschaften haben sich nach Strich und Faden auseinanderdividieren lassen. Eine Vielzahl von Erpressungen und Zumutungen wurde kampflos hingenommen. Aus dieser Position eigener Schwäche und Defensive neigen Teile der ansässigen Arbeiterklasse dazu, die damit verbundenen Probleme auf andere zu schieben, vor allem auf MigrantInnen und Flüchtlinge.
Es ist notwendig, dass die ArbeiterInnen damit aufhören, die Tatsachen zu verdrehen und auf staatlichen Protektionismus zu setzen. Das geht nur, wenn sie durch eigenes Handeln und Kämpfen die Bedingungen für alle verbessern und die Eingewanderten als Teil der Klasse sehen. Im direkten Umgang miteinander im Betrieb ist das möglich.
Genau darauf müssen Linke ihre volle Kraft richten, Antirassismus und Sozialarbeit reichen nicht aus. Nur eine kämpfende Klasse kann verhindern, dass sich einzelne Gruppen gegeneinander wenden.
Als immer mehr Geflüchtete in die BRD kamen, platzten Unternehmerverbandsvertreter, Handwerkskammerpräsidenten und Unternehmensvorstände vor Freude über dieses potentielle Humankapital, das neuen Schwung in den Arbeitsmarkt bringen werde. Manche Linken vermuteten angesichts der jubelnden Kapitalisten, dass die Öffnung der Grenzen im Sommer 2015 eine geplante Maßnahme war, um die BRD mit billigen Arbeitskräften zu versorgen und die hiesige Arbeiterklasse unter Druck zu setzen.
Tatsächlich war die Grenzöffnung ein Moment des Kontrollverlusts: Wie auch immer es genau abgelaufen ist, es war eine Zeitlang unmöglich, die Flüchtlinge an der Grenze stehen zu lassen.
Aber das Zeitfenster war kurz, die Grenzkontrollen wurden drastisch verschärft, die Balkanroute ist dicht, bei der Flucht übers Mittelmeer kamen letztes Jahr mindestens 3000 Menschen ums Leben.
Parallel zur Einwanderung von Geflüchteten aus Asien und Afrika sind seit dem Kriseneinbruch 2008 viele Leute aus Süd- und Osteuropa eingewandert. Die Öffnung des Arbeitsmarktes in der EU hat wie ein weiterer Schritt der Globalisierung gewirkt. Wir haben es momentan mit der dritten großen Einwanderungswelle in die BRD zu tun – nach den »Gastarbeitern« der 60er und den Jugoslawien-Flüchtlingen und anderen Osteuropäern der 90er Jahre.
Über das politisch motivierte Hin und Her bei der Diskussion um Einwanderung hinaus lassen sich weitläufigere historische Muster erkennen. Moderne Gesellschaften reproduzieren sich nicht aus sich selbst heraus, sondern sind auf Zuwanderung angewiesen. Das BRD-Kapital wird seit 150 Jahren über Immigration mit Arbeitskraft versorgt; diese wurde entweder durch Kriege ausgelöst oder über Anwerbeabkommen organisiert. Seit einigen Jahrzehnten nimmt sie die Form von Zuwanderungs- oder Flüchtlingswellen an. So wird die Arbeiterklasse überfordert und in der Defensive gehalten.
Die Politik ist eingeklemmt zwischen den Forderungen der Wirtschaft nach einer Liberalisierung der Migration und der politischen Weltlage, die die Zahl der Flüchtlinge zu einer unberechenbaren Größe macht. Bundes- und Landesregierungen fahren einen Schlingerkurs: auf der einen Seite werden immer neue Maßnahmen erfunden, um die Geflüchteten zu verwalten und in Arbeit zu bringen; auf der anderen Seite werden mit Schielen auf die letzten Meinungsumfragen publikumswirksam Leute in Kriegsgebiete abgeschoben, darunter auch mal bestens integrierte Arbeiter. AfghanInnen, die sich zu händeringend gesuchten PflegehelferInnen haben ausbilden lassen und sich als solche bewährt haben, erhalten negative Asylbescheide. Ehrenamtliche verlieren den Glauben an den Staat, weil sie sich an das Wort der Regierung gehalten haben, dass es vor allem um »Integration« gehe.
Die offizielle Rhetorik lautet »Kriegsflüchtlinge ja, Wirtschaftsflüchtlinge nein«. Allerdings sind diese beiden Gruppen oft schwer zu unterscheiden. Sie werden zurzeit mit allen Mitteln draußen gehalten, um keine »Sogwirkung« zu erzielen – zumindest so weit das in der Öffentlichkeit akzeptiert wird.
Dabei halten die meisten PolitikerInnen Einwanderung für notwendig, sie soll aber in geordneten Bahnen verlaufen, mit Blue Card oder über Werkvertragsfirmen beispielsweise.
Die deutsche Wirtschaft boomt, und auch wenn das ein Tanz am Abgrund der Weltwirtschaftskrise ist und niemand weiß, wie lange er dauern wird, braucht sie erst einmal Arbeitskraft. Die Einheimischen werden immer älter, es wachsen viel weniger ArbeiterInnen nach als in der Vergangenheit. Die seit Jahrzehnten wiederkehrende Propaganda um einen Fachkräftemangel hat sich angesichts der sinkenden Arbeitslosigkeit gerade wieder hochgeschaukelt. Die Arbeitgeber fordern mit dieser Begründung seit 20 Jahren mehr Zuwanderung. Am besten sollen qualifizierte Leute herkommen, und wer von den Flüchtlingen keine Ausbildung hat, soll gleich eine machen. Je mehr gut ausgebildete Leute es gibt, umso weniger müssen die Unternehmen ihnen bieten und zahlen.
Die Arbeitgeber-Lobby ruft immer nach Leuten mit Ausbildung. Oft ist gar nicht wichtig, welche Ausbildung das ist, es geht nur darum, dass die Leute mal drei Jahre durch die Mühle gegangen sind, Industrieabläufe kennen und bewiesen haben, dass sie diszipliniert genug sind. Und das sollen die Geflüchteten jetzt auch erstmal zeigen.
Es werden nämlich gar nicht nur »Fachkräfte« gesucht (tatsächlich werden im Moment sogar viele Fachkräfte entlassen, z.B. bei Banken und Versicherungen). Im Gegenteil fehlt es zurzeit hauptsächlich an einfacher Arbeitskraft und an Leuten, die harte körperliche Arbeit machen. Hinter dem Bild von der BRD als dem »Land der Ingenieure« versteckt sich ein großer Niedriglohnsektor, der für die Exportwirtschaft produziert: schlecht bezahlte Montage-Arbeiterinnen, Lagerarbeiter und LKW-Fahrer. Genau für diese Jobs werden dringend Leute gesucht. Dazu kommen noch Bau, Handwerk, Dienstleistungen und Pflegearbeiten, die parallel zu den Industriejobs immer »günstiger« werden müssen.
Die Zahl der Arbeitsstellen, für die man keine formelle Qualifikation braucht, ist in letzter Zeit weit stärker als alle anderen Arten von Jobs gewachsen: In den letzten drei Jahren sind 1,6 Millionen sozialversicherungspflichtige Jobs entstanden, für 45 Prozent davon braucht man keine formelle Ausbildung, obwohl diese Art von Jobs insgesamt nur 13 Prozent ausmachen. Viele Deutsche wollen solche harten Jobs zu den gegebenen Bedingungen nicht machen. Der Betreiber einer großen Spedition sagt beispielsweise: »Für die Nachtschicht kriegen Sie keinen Deutschen«. Dem Institut der deutschen Wirtschaft zufolge gibt es allein für LKW-Fahrer 15 000 offene Stellen. Die Zuwanderung aus Osteuropa ist bereits rückläufig. Viele gehen in ihre Herkunftsländer zurück bzw. bleiben gleich dort, weil die Löhne gestiegen sind und die Lebensbedingungen sich verbessert haben. Die Arbeitgeber auf dem Bau und in der Gastronomie jammern.
Da der Konkurrenzdruck in diesen Bereichen hoch ist und die einzelnen Kapitalisten die Arbeitsbedingungen kaum verbessern können, suchen sie eben Zuwanderer und Flüchtlinge, die bereit sind, für wenig Lohn flexibel zu arbeiten – zumindest als Einstieg. VertreterInnen der Institutionen merken das immer mal wieder offen an: »Offenbar haben wir einen großen Bedarf an einfachen Dienstleistungen. Daher profitieren wir von dieser Art Zuwanderung, vorausgesetzt, diese Menschen kommen am Arbeitsmarkt an.« (Prof. Brücker, IAB)
In der BRD herrscht im Moment die paradoxe Situation, dass die Arbeitslosigkeit relativ niedrig ist und die Wirtschaft wächst, die Löhne aber kaum steigen.
Mit der Einführung des Mindestlohns 2015 hat die Politik eine Lohnuntergrenze gezogen. Damit konnte das Lohnniveau der Ansässigen nicht weiter nach unten absacken und das »Lohnabstandsgebot« zur Sozialhilfe besser gewahrt werden.
Forderungen von Unternehmerseite, die Lohnuntergrenze für Flüchtlinge aufzuheben, wurden bisher nicht erfüllt. Es war sogar eine Forderung der AfD im Wahlkampf, dass der Mindestlohn auch für Flüchtlinge gelten soll.
Ausnahmen davon gibt es trotzdem, z.B. im Zweiten Arbeitsmarkt; es gibt auch immer die Möglichkeit der Schwarzarbeit. Aber es ist offensichtlich nicht politischer Wille, dass dieser Lohn von der Zuwanderung unterlaufen, sondern dass von unten aufgefüllt wird.
Die Gefahr des Mindestlohns besteht eher darin, dass diese Lohnhöhe als legitim angesehen und akzeptiert wird und immer mehr Leute nur den Mindestlohn bekommen, wie die Entwicklung in anderen EU-Ländern (z.B. Frankreich) zeigt.
Tatsächlich ist es für noch nicht anerkannte Flüchtlinge ziemlich kompliziert, legal zu arbeiten. Umziehen zum Beispiel darf man erst mit der Anerkennung, und auch dann können noch Wohnsitzauflagen gelten. Es sind immer mehrere Behörden für einen Fall zuständig, die nicht unbedingt gut vernetzt sind, oft hängt alles von Ermessensspielräumen ab. Die Bearbeitung der Anträge dauert ziemlich lange, und es ist sehr schwer, eine Arbeit zu finden, wenn jederzeit die Abschiebung droht.
Der DIHK fordert zur verbesserten Einstellbarkeit von Flüchtlingen einen Abschiebeschutz während der Einstiegsqualifizierung, die Wartezeiten für Sprachkurse müssten kürzer und das Wirrwarr von Zertifikaten beseitigt werden. Eine Ausbildungsduldung sollte sechs Monate vor Beginn der Ausbildung erteilt werden – denn Ausbildungsverträge werden frühzeitig abgeschlossen.
Für die Unternehmer wäre es am besten, dass Flüchtlinge einfach herkommen und anfangen zu arbeiten, ohne »bürokratische Hemmnisse«. Am besten auch ohne dass sie staatliche Unterstützung bekommen, damit sie sich für jede Arbeit hergeben müssen. Einige »Hemmnisse« wurden rasch beseitigt, so dass es im Vergleich zu früher theoretisch leichter geworden, als Flüchtling in der BRD zu arbeiten, selbst wenn noch unklar ist, ob und wie lange man bleiben kann.
Wer Asyl oder Schutz als Flüchtling nach der Genfer Konvention beantragt, muss seinen Ausweis abgeben und bekommt eine Aufenthaltsgestattung. Wird dem Antrag stattgegeben, bekommt man eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre, oder für ein Jahr, wenn nur subsidiärer Schutz zuerkannt wird – was die Arbeitssuche sehr viel schwerer macht. Das ist mittlerweile bei vielen Syrern der Fall. Wird der Antrag abgelehnt, aber eine Abschiebung ist nicht möglich, bekommt man eine Duldung.
Uneingeschränkt arbeiten dürfen anerkannte Flüchtlinge und Asylberechtigte. Menschen aus »sicheren Drittstaaten« dürfen in vielen Fällen gar keine Arbeitserlaubnis bekommen.
Wer noch im Antragsverfahren steckt oder eine Duldung hat, braucht eine Arbeitserlaubnis. Die Ausländerbehörde muss dann jede Arbeitsaufnahme konkret genehmigen und dafür die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit einholen. Die BA prüft unter anderem, ob die geflüchtete Person zu schlechteren Bedingungen eingestellt werden soll als deutsche Mitarbeiter.
Die Vorrangprüfung in den ersten 15 Monaten des Aufenthalts, bei der die Zustimmung nur dann erteilt wird, wenn die Arbeitsstelle nicht mit einem »Inländer« besetzt werden kann, wurde mit dem Integrationsgesetz vom Sommer 2016 in den meisten Regionen für drei Jahre ausgesetzt (ausgenommen sind Mecklenburg-Vorpommern sowie einige Orte in Bayern und NRW). Einschränkungen für Leiharbeit wurden bereits im Herbst 2015 aufgehoben.
Auf dieses Integrationsgesetz geht auch die »Ausbildungsduldung« zurück. Die Erteilung einer Duldung für die Zeit der Ausbildung ist heute ein Rechtsanspruch und liegt nicht mehr im Ermessen der Behörde, die Altersgrenze von 21 Jahren wurde abgeschafft. Es dürfen allerdings noch keine Schritte zur Abschiebung eingeleitet worden sein – eine von mehreren Bundesländern sehr weitläufig interpretierte Vorschrift.
Das Gesetz erhöht den Druck, arbeiten zu gehen, was zulasten der Arbeitsbedingungen gehen dürfte. Nur Flüchtlinge, die einen Arbeitsplatz haben, dürfen ihren Wohnort frei wählen; die Länder können sonst Regelungen erlassen, nach denen der Wohnort bestimmt oder zumindest bestimmte Orte ausgeschlossen werden. Das schon bekannte Prinzip der Agenda 2010 »Fördern und Fordern« wird nun auch auf Flüchtlinge angewendet: Wird ein Integrationskurs verweigert, können Leistungen gestrichen werden. Das ist ein Hohn angesichts der Tatsache, dass Tausende von Flüchtlingen lange Zeit darauf waren, an Integrations- und Sprachkursen teilnehmen zu können. Zudem sind Flüchtlinge verpflichtet, sogenannte »Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen« anzunehmen, also »Ein-Euro-Jobs«. Der üppige Zuverdienst wird für sie allerdings auf 80 Cent die Stunde gekürzt.
Man könnte fast schon von einer Strategie sprechen: Ein Arbeitsplatz wird versprochen und darf dann doch nicht angenommen werden. Anträge reihen sich an lange Wartezeiten, Auskünfte widersprechen sich. Diese Prozeduren reiben die Leute auf und sind ein Mittel der Vereinzelung. Die nicht völlig unberechtigte Hoffnung auf Aufenthaltsstatus, Unterstützung und eine neue Existenz wird wachgehalten, auch über viele Hindernisse hinweg. So bleiben viele potentiell enttäuschte und verzweifelte Menschen unter Kontrolle, Aufstandssituationen wie in italienischen Flüchtlingslagern werden verhindert.
Die große Mehrheit der Geflüchteten, die arbeiten dürfen oder zumindest nach Genehmigung arbeiten dürfen, steckt in Sprachkursen, Praktika oder anderen Maßnahmen. Die Jugendlichen ohnehin: von ihnen besuchen viele noch die Schule oder spezielle Integrationsklassen. Wer 2015 gekommen ist, wird diese frühestens 2018 verlassen. In Bayern schlossen im Sommer 2017 etwa 5500 Flüchtlinge eine Berufsintegrationsklasse ab, sie sind alle vor 2015 gekommen. 2018 werden es wohl mehr als doppelt so viele sein.
Aber auch wer früher gekommen ist und schon zwei Jahre hinter sich hat, hat nicht unbedingt einen klaren Weg vor sich. Bei manchen dauert die Schule länger, weil sie noch alphabetisiert werden mussten. Viele werden nicht zur Hauptschulabschluss-Prüfung zugelassen oder bestehen sie nicht.
Nur die wenigsten fangen jetzt eine Ausbildung an, in Darmstadt z.B. sind es von 67 Integrationsklassen-Schülern nur 12. Zu der Schwierigkeit, einen Arbeitgeber zu finden, der die bürokratischen Hürden auf sich nehmen und sie ausbilden will, kommen noch zahlreiche Vorschriften hinzu, mit denen eine erfolgreiche Ausbildung und gelungene Integration sichergestellt werden soll. Viele erfüllen die Voraussetzungen nicht: Um die Genehmigung für eine Ausbildung zu erhalten, müssen Geflüchtete Sprachkenntnisse auf B2-Niveau nachweisen. Damit haben viele Probleme, die wenige Kontakte zu Deutschen haben. Einige haben sogar die Zusage für einen Ausbildungsplatz in der Tasche, kämpfen aber noch mit dem Spracherwerb.
Viele junge Leute wollen aber gar keine Ausbildung machen: viele kennen das Konzept einer mehrjährigen Ausbildung und die vielen Ausbildungsberufe gar nicht, die es in der BRD gibt, nicht. Manchen behagt auch der angebotene Beruf nicht. Und viele wollen oder müssen gleich mehr Geld verdienen und nehmen schnell einen Helferjob an.
Wie viele Geflüchtete bisher tatsächlich eine Berufsausbildung begonnen haben, ist nicht genau zu sagen. In der Statistik der Bundesagentur tauchen für 2017 6000 auf, die damit ihre Arbeitslosigkeit beendet haben. Dazu kommen aber noch alle, die vorher beispielsweise zur Schule gegangen sind oder andere Kurse besucht haben. In Baden-Württemberg haben 2017 2300 Geflüchtete eine Ausbildung angefangen, ungefähr doppelt so viele wie 2016.
Auch bei den (etwas) Älteren scheinen die Behörden besorgt zu sein, sie zu früh auf die reale Arbeitswelt loszulassen – oder auf starke Schwierigkeiten zu stoßen, was Festeinstellungen angeht. Die Leute werden zunächst in Kurse und Praktika geschickt. Viele haben schon mehrere Praktika absolviert, diese dauern ein bis vier Wochen, und wenn nicht schon eine bestimmte Qualifikation vorhanden ist, finden sie zumindest in Berlin und Brandenburg oft in Bereichen wie Gastronomie und Verkauf statt. Jobs werden daraus meistens nicht, es gibt nur die Hoffnung, dass das Zeugnis bei der nächsten Bewerbung hilft. Auch in der stärker industriell geprägten Stuttgarter Region gibt es viele Praktikanten.
Manche versuchen, durch eine Ausbildung in einem Mangelberuf wie Altenpflegerin ihren Aufenthalt zu legalisieren. Andere versuchen, der Abschiebung durch einen Job im zweiten Arbeitsmarkt zu entgehen.
Das ist allerdings keine Perspektive für Leute, die ihre Familie herholen wollen oder dies bereits getan haben: wer einen fünfköpfigen Haushalt versorgen will, braucht sofort einen Job und die Möglichkeit, mit Überstunden und Nebenjobs wie schwarz putzen gehen, den Lohn zu erhöhen.
Die Zahlen des BAMF und des IAB (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit) entsprechen in etwa diesen Erfahrungen. Als Annäherung an die Zahl der Geflüchteten ziehen sie die Zahl der »Personen aus den acht wichtigsten außereuropäischen Herkunftsländern« heran (Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien).
Wie viele Geflüchtete zumindest offiziell auf Jobsuche sind, kann man den Statistiken grob entnehmen. Die Bundesagentur hat für Dezember 2017 181 000 Arbeitslose aus diesen Ländern als arbeitslos registriert, das sind 7000 mehr als vor einem Jahr. Immer mehr Geflüchtete werden von den Ausländerbehörden an die Jobcenter »übergeben«, aber nur ein Teil von ihnen taucht in der Arbeitslosenstatistik auf. Die Zahl derer, die als »Unterbeschäftigte« bezeichnet werden, ist im Jahr bis zum Oktober 2017 von 320 000 auf 420 000 gewachsen. Dahinter verbergen sich diejenigen, die gerade Kurse, Praktika und andere Maßnahmen absolvieren.
Viele Geflüchtete haben geringfügige Jobs, insgesamt sind es 61 000. Von Oktober 2016 bis Oktober 2017 haben 56 000 Geflüchtete, die vorher arbeitslos waren, eine sozialversicherungspflichtige Arbeit am ersten Arbeitsmarkt aufgenommen, 7000 eine geringfügige Beschäftigung, weitere 9000 eine am zweiten Arbeitsmarkt. Im Oktober 2017 haben etwas mehr als 200 000 Menschen aus den acht genannten Ländern sozialversicherungspflichtig gearbeitet.
Die Beschäftigungsquote (die geringfügig Beschäftigte einschließt) stieg damit im Verlauf des Jahres von 16 auf 25 Prozent an. Das bedeutet, dass ein Viertel der erwerbsfähigen Geflüchteten bereits offiziell arbeitet, bei den Ausländern insgesamt sind es 47 Prozent und bei den Deutschen 67 Prozent.
Ein Viertel der arbeitenden Flüchtlinge ist über Leiharbeit beschäftigt, gefolgt von Beschäftigungsverhältnissen in Unternehmen, die »wirtschaftliche Dienstleistungen« erbringen, und dem Gastgewerbe. Fast die Hälfte der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten arbeitet als Helfer.
Die Zugewanderten verfolgen unterschiedliche Strategien. Anders als die »Gastarbeiter« sind viele Flüchtlinge nicht hierher gekommen, um in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Geld zu verdienen und dann wieder in ihr Herkunftsland zu gehen.Sie wollen ein besseres Leben, nicht in beschissenen Jobs ackern bis zum Umfallen. Das zeigen auch die folgenden Interviews. ■