aus: Wildcat 107, Frühjahr 2021
Die USA sind als kapitalistischer Weltführer wirtschaftlich, politisch und moralisch bankrott. Der innere Wi- derstand nimmt Fahrt auf: 2018 und 2019 gab es so viele und große Streiks wie seit mehr als zwei Jahrzehnten nicht mehr. 2020 gab es nur sieben Streiks mit 1000 und mehr Beteiligten, aber die größte Pro- testwelle der US-Geschichte. Die steigende Arbeitslosigkeit und die schlechte Gesundheitsversorgung während der Pandemie verschärften das Elend. Die – laut Umfragen 15 bis 26 Millionen – Menschen, die nach dem Polizeimord an George Floyd im Mai 2020 gegen Rassismus, das System aus Polizei und Inhaftierung sowie gegen Armut auf die Straße gingen, protestierten vor dem Hintergrund eines jahrzehntelangen sozio-ökonomischen Niedergangs. Menschen aller Hautfarben marschierten Hand in Hand, be- setzten Plätze, organisierten Verpflegung, bauten »autonome Zonen« und polizeifreie Viertel auf, führten leidenschaftliche Diskussionen...
Die seit den 1980er Jahren Geborenen erreichen nicht mehr den Wohlstand ihrer Eltern. Der Median der Haushaltseinkommen ist in den letzten 30 Jahren um 5,37 Prozent gewachsen, das durchschnittliche Vermögen eines US-Milliardärs um 1130 Prozent gestiegen während seine Steuerlast um 79 Prozent sank! Allein während Trumps Präsidentschaft stieg das Vermögen der US-Milliardäre von 2,9 auf 3,9 Billionen Dollar. Was soziale Ungleichheit (Gini-Koeffizient) betrifft, liegt die USA gleichauf mit Mexiko, Kenia und Dschibuti.
Am 20. Januar 1981 wurde Ronald Reagan als 40. Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt. Sein Wahlversprechen »Steuersenkungen« war ausgerichtet auf diejenigen, die zu Wohlstand gekommen waren und kein Interesse an steuerfinanzierten Umverteilungsprogrammen hatten. Sein Vorgänger Carter hatte 1977 eine Kündigungswelle in der Stahlindustrie und 1979 den Volcker-Schock zugelassen – eine heftige Anhebung der Zinsrate, um noch mehr Stellen abzubauen. Zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg sanken die Reallöhne. Reagan landete mit seinem Wahlkampf-Spruch »let‘s make America great again« einen Erdrutsch sieg gegen Carter.
Den Massenkündigungen in den traditionellen Kernregionen der US-Industrie waren Betriebsverlagerungen in die Südstaaten vorausgegangen. Gleichzeitig wurden nördliche Industriestädte über öffentlich-rechtliche Partnerschaften finanziell aus geblutet – statt Investitionen in Produktionsbetriebe gab es Immobilienprojekte. In den 1960ern konnten Arbeitslose und Stadtangestellte in Kämpfen ihr Einkommen von der Produktivität abkoppeln und wesentlich erhöhen. Besonders in New York waren sie extrem stark. In den 70ern reagierte die Regierung mit Sparpolitik, was die Erfolge der Bewegungen umkehrte. Wohnungsbau wurde Sache von »privaten Investoren«: Mitte der 70er übernahmen die Bundesregierung und Vertreter der Unternehmerelite die Stadt.1 Hier begann der Auf stieg des »Immobilien-Tycoons« Donald Trump.
Die Arbeiterklasse war in ihren Hochburgen geschlagen, aber noch immer organisiert – der Anteil der Gewerkschaftsmitglieder stieg von Mitte der 70er bis 1981 sogar leicht an. Mit dem Abräumen des Fluglotsen-Streiks 1981 kehrte Reagan auch diesen Trend um.
Von 1979 bis 1983 wurden 2,4 Millionen In dustriearbeitsplätze abgebaut, die Löhne sanken um fünf Prozent. Die Anzahl der Streiks und vor allem der Streikenden gingen drastisch zurück. Von 1981 bis zum Inkrafttreten des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) 1994 sank der gewerkschaftliche Organisationsgrad von 21 auf 14 Prozent.
Unter Reagans Nachfolgern Bush (1989-1993) und Clinton (1993-2001) halbierten sich die Jobs in der Stahlindustrie auf etwa 100 000. Vor allem Clinton baute auf die Tech-Firmen an den Küsten, auf Überwachung, Inhaftierung und Rüstung – die Rüstungsfabriken standen mittlerweile in den Südstaaten, wo die Löhne im Vergleich zum Norden um mehr als die Hälfte niedriger waren. Seitdem fand kein einziger bedeutender Streik in den Südstaaten statt.
2001 gewann Bush II die Präsidentschaftswahlen unter anderem mit den Arbeiterstimmen, die er mit seinem Vorschlag über Importzölle auf Stahl erringen konnte.
Nach dem Crash der »New Economy« um das Jahr 2000 entstand Wirtschaftswachstum nur noch durch die Immobilienwirtschaft, befeuert durch billige (Haus-)Kredite. 2008 brach die globale Krise wiederum im US-amerikanischen Wachstumssektor los, die Kreditketten hielten nicht. Viele verloren Arbeitsplatz und Wohnung.
Obamas Spruch »yes we can« war von den »Si-se-puede«-Mobilisierungen 2006 geklaut, wo hunderttausende migrantische Arbeitskräfte die Straßen der Großstädte fluteten und bessere Bedingungen, Legalisierung, usw. forderten.2 Obamas Regierungshandeln (2009-2017) war anders. Sein Affordable Care Act garantierte den Gewinn der Konzerne: Die Krankenversicherungen senkten die Preise, damit sich mehr Leute eine Versicherung leisten können; wer dann noch immer keine abschloss, musste Strafe zahlen. Damit trieb Obama den Versicherungen mehr Leute zu, die Zahl der Unversicherten ging um die Hälfte zurück. Aber am System änderte sich wenig – schlechte Leistungen, hohe Selbstbehalte und Medikamentenpreise, intransparente Krankenhausabrechnungen, usw.3
Die Grundlage des US-Wirtschaftswachstums nach der globalen Krise waren der Fracking- und der Tech-Boom. Die Tech-Firmen forcierten die Überwachung und verdienten damit Milliarden. Im Zuge des Niedergangs der Industrieregionen schoss die Zahl der Drogentoten in die Höhe. In den Metropolen entstanden schlecht bezahlte Lager- und Dienstleistungsjobs.4 In der Logistik und in den Fast-Food-Ketten kam es zu großen Mobilisierungen junger ArbeiterInnen. (Eine Ausnahme der »alten Klassenzusammensetzung« war der Ölarbeiter-Streik 2015 gegen Outsourcing.) In den Obama-Jahren wurde in einigen Bundesstaaten eine Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Dollar beschlossen, aber erst viel später eingeführt – in Gegenden, wo sich die Lebenshaltungskosten weit über dem nationalen Durchschnitt bewegen und wo man auch mit 20 Dollar Stundenlohn nicht richtig auskommt. Der bundesweite Mindestlohn liegt seit 2009 bei 7,25 Dollar!
Donald Trump war geschäftlich nicht erfolgreich, aber seine Fernsehauftritte (»You‘re fired!«) machten ihn landesweit bekannt. Seine überzeugtesten Anhänger sind Kleinunternehmer. Im Wahlkampf griff er Reagans Slogan wieder auf. Er sprach die Gefühle der Leute an, für die Minderheitenrechte nicht so wichtig sind wie ihre eigene Ohnmacht in einem globalen Arbeitsmarkt, den ihnen der »progressive Neoliberalismus« von Clinton und Obama beschert hatte. Trump versprach gut bezahlte Jobs in traditionellen Branchen, die brauchbare Dinge vor Ort herstellen – nicht die Bullshit Jobs der »Weltoffenen«, Etablierten oder Umzugsfreudigen. Als Arbeiter in den Appalachen oder in Ohio verstehst du unter »Make America Great Again«, dass dein Städtchen wieder in die amerikanische Wirtschaft eingegliedert wird, weil ihr vor Ort was produziert, das gebraucht wird – Sehnsucht nach der »alten Klassenzusammensetzung«. Aber das Niederkämpfen der Arbeiterklasse hat dazu geführt, dass Konsumartikel für Arbeiterhaushalte wie Kleidung, Computer, Küchengeräte... in den USA nicht mehr zu bezahlbaren Preisen hergestellt werden können. Nicht nur, weil die Löhne zu stark gesunken sind, sondern auch weil das Produktionswissen nicht mehr vorhanden ist.
Zu Beginn der »Coronakrise« reichten die Produktivkräfte nicht mal für Schutzkleidung und Stoffmasken; es gab viel zu wenige Testkits, Plastikvisiere, Betten, Beatmungsgeräte... Im April 2020 rief New York sein medizinisches Personal verzweifelt zur Nutzung von Regenponchos gegen Virusinfektionen auf – als Ersatz für fehlende Schutzkleidung.6 Auch die Infrastruktur ist kaputtgefahren, was man aktuell am 1999 privatisierten texanischen Stromnetz sehen konnte. Es brach Mitte Februar 2021 wegen Kälte und Schnee zusammen. Es gab Dutzende Tote; die Glücklichen, die noch Strom hatten, bekamen Rechnungen über mehrere tausend Dollar!
Nicht besser sieht es bei »High-Tech« aus: 2018/19 über 300 Tote wegen der neuen Boeing, 2021 herabfallende Teile bei einer anderen Boeing. 2019/20 der selbstverschuldete »größte digitale Angriff des Jahrhunderts« auf kritische US-Infrastruktur...
Trump hat NAFTA in das USMCA umgewandelt, letzteres sieht mehr nationale Produktion vor; er hat Importzölle auf Stahl eingeführt und den Trend der sinkenden Stahljobs zumindest gestoppt. Er hat weniger Arbeitsmigranten ins Land gelassen und die Mauer zu Mexiko ausgebaut – in Wirklichkeit allerdings nur um sechs bis zwölf Kilometer verlängert – hier »schwanken« die Angaben (die Baumaßnahmen betrafen eigentlich nur Verstärkungen). Die Arbeitslosenrate sank jedenfalls bis zum Februar 2020 auf 3,5 Prozent – so niedrig war sie seit 50 Jahren nicht mehr. Die Erwerbsquote (Labor Force Participation Rate) war mit 63 Prozent im Januar 2020 auf einem Siebenjahreshoch. Aufgeschlüsselt nach Ethnie und Geschlecht nahm sie bei weißen Männern deutlich ab und bei Schwarzen sowie bei Hispanic-Frauen leicht zu. Im Jahresvergleich stiegen die Löhne aber stärker als die Inflation: im Gesundheitssektor um 1,5 Prozent, in der Produktion um 3,3, im Einzelhandel um 4,1 und im Bergbau um fünf Prozent.7 Die Durchschnittslöhne in der Produktion sind während der zweiten Obama-Regierung um zwei, während Trump um drei Dollar gestiegen.
Die Median-Haushaltseinkommen waren unter Obama von 59.500 Dollar im Jahr 2008 auf unter 56000 im Jahr 2015 gefallen. Bis 2019 stiegen sie auf fast 69.000 Dollar.
Trump reduzierte drastische Gefängnisstrafen, die größtenteils Schwarze betrafen. Sein First Step Act sollte die ausufernden Gefängniskosten reduzieren – dass dadurch überproportional mehr Schwarze frei kamen, war ein Kollateralschaden. Trump setzte auch die Strafe für eine nicht abgeschlossene Krankenversicherung auf null Dollar herunter. Das war Teil des Tax Cuts and Jobs Act 2017, einem Steuersenkungsprogramm für Unternehmer. Seitdem stieg die Zahl der Unversicherten wieder. Aber trotz der Widersprüche und notwendigen Relativierungen haben ihm diese Maßnahmen Stimmen gebracht.
Einige »Erfolge« drehen sich aber ins Gegen- teil, wenn man genauer hinsieht: Es gibt ein extremes Gefälle des Medians der Haushaltseinkommen – an der Ostküste liegt er bei 90.000 Dollar, in den Südstaaten – sozusagen bei den Trumpwählern – bei der Hälfte. In Los Angeles gibt es Bezirke mit einem Median von 200.000 Dollar und welche mit 25.000. Und Trump hat sich beharrlich geweigert, den nationalen Mindestlohn zu erhöhen – Lohn- erhöhungen gehen auf Arbeitermobilisierungen zurück (»Fight-for-15«).
In den Krisen 2001 und 2008/09 waren gut bezahlte Fabrikjobs abgebaut worden; unter Obama erholten sie sich langsam, unter Trump stiegen sie schneller – erreichten aber auch nicht annähernd das (niedrige) Niveau von 2007, geschweige denn das von Ende der 90er.8 Unter Obama war die relative Industriebeschäftigung in acht Jahren um 0,2 Prozent zurückgegangen, unter Trump in vier Jahren um 0,5 Prozent. Mit den etwas über 30.000 Dollar im Jahr 2019 für einen Lagerjob kam man nicht über das Lohnniveau eines Fabrikarbeiters in den 90ern hinaus. Leiharbeiter verdienten nur 28.000 Dollar; in Leiharbeit sind weit überdurchschnittlich Schwarze und Hispanics beschäftigt.9 53 Millionen ArbeiterInnen hatten einen Medianlohn von 10,22 Dollar die Stunde, etwa 18.000 Dollar pro Jahr.
Trump hat eine neue Überstundenregelung ausgehöhlt, so dass Überstunden im Wert von über eine Milliarde Dollar nicht bezahlt wurden.
Er kündigte 13.000 Foxconn-Jobs in einer Großfabrik in Wisconsin an – und schaffte 281. Eine historische General Motors Fabrik in Ohio wurde 2019 geschlossen. Was Fracking betrifft, log sich Trump die Zahlen zusammen. Die meisten Jobs in der Branche entstanden unter Obama. Eine aktuelle Studie kommt zum Schluss, dass Fracking »Wachstum ohne [proletarischen] Wohlstand« bringt.10
Der Handelskrieg kostete Schätzungen zufolge etwa 300.000 Produktionsjobs. Die USA exportieren vor allem (petro-)chemische Produkte, Maschinen, Elektronik, Kfz(-Teile) und Nahrungsmittel. China ist der drittwichtigste Handelspartner. Neben den ArbeiterInnen traf es vor allem die Farmer hart, die Soja und Fleisch exportieren. Trump subventionierte sie zum Ausgleich 2018 und 2019 mit 23 Milliarden Dollar. Dabei ging er extrem selektiv vor: Ein Wahlkreis, der 2016 Clinton gewählt hatte, bekam 17 Dollar pro Kopf; einer, der ihn gewählt hatte, bekam 158 Dollar pro Kopf; Wahlkreise, die von den Demokraten zu den Republikanern gewechselt waren, sogar 163 Dollar.11 2020 kamen ein Drittel der Farmeinkommen aus staatlichen Töpfen. Solche Maßnahmen erklären, warum Leute im Farm Belt im Herbst 2020 Trump wählten.
Nach 2014 hatte Obama aufgrund der Erfahrung mit Ebola in Westafrika die gesamte Befehlskette für Pandemiefälle und das dafür vorgesehene Management im Weißen Haus neu aufgestellt. 2018 hat Trump sie alle gefeuert.
Die »Coronapolitik« hat für zwei dramatische Entwicklungen gesorgt: eine extreme Reichtumsumverteilung von unten nach oben und den Zusammenbruch eines ohnehin dysfunktionalen Gesundheitssystems – vor allem für Arme und demnach Schwarze ist die Pandemie relativ gesehen am tödlichsten.
Der US-Senat beschloss im März 2020 nach dem historischen Aktiencrash sehr schnell mit 96 zu null Stimmen den CARES Act (Coronavirus Aid, Relief, and Economic Security Act). Nun konnte die US-Zentralbank zum ersten Mal in ihrer 107jährigen Geschichte Unternehmensanleihen kaufen – damit stützte sie die Aktienkurse und die Gewinne der Unternehmer.12 Die Beihilfen für Lohnabhängige, die der CARES Act vorsah, waren bis Juli verbraucht. Deshalb wurde im September ein Räumungsaufschub für Mieter und weitere (kleinere) Hilfsprogramme beschlossen, die im Dezember verlängert wurden.
Die Umsätze 13 großer Einzelhandelskonzerne schnellten während der Corona-Pandemie um 16,9 Milliarden Dollar in die Höhe, die Aktienkurse stiegen um 33 Prozent. Aber die untersuchten Unternehmen haben die Löhne nur um durchschnittlich 1,11 Dollar pro Stunde erhöht, das macht zehn Prozent.13
Die Arbeitslosigkeit stieg sprunghaft an, am heftigsten traf es ArbeiterInnen, die weniger als 15 Dollar die Stunde verdienen, also vor allem Schwarze und Frauen.14 Ende Dezember 2020 bekamen noch immer 18,4 Millionen Menschen Arbeitslosengeld, 16 Millionen mehr als ein Jahr zuvor. Insgesamt gingen auf dem Höhepunkt der Krise ungefähr 22 Millionen Jobs verloren, bis Februar 2021 war etwa die Hälfte wieder hergestellt. Wie 2001 und 2008/09 führt auch diese Krise zu einem nachhaltigen Stellenabbau und dramatischer Armut.15 Ein Viertel der US-Bevölkerung war 2020 auf Nahrungsmittelhilfen angewiesen. Die USA sind das einzige Industrieland ohne gesetzlichen Mutterschutz, Urlaubsanspruch oder Krankengeld.
Deswegen hat Covid-19 noch härter zugeschlagen als in Westeuropa. 2020 starben in den USA fast 400 000 Menschen wegen Corona (200.000 Tote bis September, 300.000 bis Mitte November; am 19. Januar 2021 überstieg die Zahl der Toten 400.000, am 23. Februar war die halbe Million erreicht). Mehr als ein Viertel davon starb in Pflegeheimen, 3000 waren Pflegekräfte, es gibt eine »pandemische Explosion« in den Gefängnissen. Es ist mehr als zweieinhalb Mal wahrscheinlicher, an COVID-19 zu sterben, wenn man in einem armen Viertel lebt. Dort gibt es mehr Coronatote und niedrigere Impfraten.16 Die medizinische Fachzeitschrift The Lancet berichtete im Februar 2021, dass 40 Prozent der US-Corona-Toten hätten vermieden werden können.17
1980 lag die Lebenserwartung noch im Durchschnitt der Länder mit hohem Einkommen. 1995 lag sie schon 2,2 Jahre unter dem Durchschnitt der G7. 2018 lag der Abstand bei 3,4 Jahren. Nachdem die Opioid-Epidemie die Lebenserwartung zum ersten Mal seit hundert Jahren um ein bis zwei Jahre zurückgehen ließ, wird dies wegen der Corona- Pandemie erneut passieren, diesmal womöglich um drei Jahre.
In jeder Phase der US-Geschichte gab es bewaffnete Milizen – zunächst, um erobertes Land zu verteidigen; dann um die Ausbeutung der Sklaven zu organisieren, später (nach dem Bürgerkrieg 1861-1865), um Arbeiterorganisierungen zu bekämpfen; in den 50er und 60er Jahren gegen die Bürgerrechtsbewegung. Milizen handelten im Auftrag von Grundbesitzern, Großfarmern, Unternehmern und Staat; diese rüsteten Bullen, Arbeitslose, Rassisten, usw. für ihre Zwecke aus.
Ab 1965 (Civil Rights Act) und dann in der Phase der 68er Proteste wurden die Milizen zurückgedrängt. Einerseits war das staatliche Geheimprogramm Cointelpro wirksamer, und in den Südstaaten gab es den Ku-Klux-Klan, andererseits bekamen sie zum Beispiel von den Black Panthers spür- bare Gegenwehr. Einen erneuten Aufschwung erfuhren die Milizen in der Farmkrise der 1980er. Veteranen aus dem Korea- und dem Vietnamkrieg, Anti-Kommunisten und antisemitische Verschwörungstheoretiker, nutzten geschickt die verzweifelte Lage auf dem Land im Mittelwesten aus. Regierung und Banken hatten die Farmer in den 70ern dazu ermutigt, zu expandieren und dafür immer höhere Kredite aufzunehmen (»get big or get out«, sagte der Landwirtschaftsminister unter Nixon; Trumps Landwirtschaftsminister wiederholte das übrigens). Aber Präsident Carters Weizen-Embargo gegen die Sowjetunion – nachdem sie 1979 Afghanistan besetzt hatte – ließ die Exporte der Farmer einbrechen, der Volcker-Schock trieb die Zinsen hoch, die zweite Ölkrise ließ die Betriebskos- ten steigen, die Grundstückspreise fielen – die Farmer konnten ihre Kredite nicht mehr bezahlen. Präsident Reagan wollte sogar die restlichen Subventionen streichen – seine Regierung verstand die Krise als »Marktbereinigung«, um Zentralisationsprozesse in der Landwirtschaft anzukurbeln, damit die übrigen US-Farmer auf dem Weltmarkt bestehen. Von 1980 bis 1990 verringerte sich die Zahl der Farmen um ein Fünftel.
Ein kleiner Teil der Farmer ließ sich vom Patriot Movement rekrutieren, wo ihnen die rechtsradikalen Kriegsveteranen Schießen und Töten beibrachten. Der Feind war nun die US-Regierung, die einen Enteignungskrieg gegen die kleinen Familienfarmer zugunsten der Großkonzerne führte – allerdings musste Reagan nach Protesten der Mehrheit der moderaten Farmer seine DeregulierungsPläne abschwächen, um die Wahlen 1984 nicht zu verlieren. Danach wurden einige Köpfe der rechten Milizen verhaftet.
Trotzdem entstanden immer mehr rechte Milizen, zum Beispiel während des industriellen Niedergangs in Michigan. Anfang der 90er führten zwei katastrophale FBI-Aktionen gegen rechte Sektenführer, u. a. mit Dutzenden toten Kindern, zu noch mehr Zulauf für die Milizen (»Ruby Ridge« und »Waco Massacre«). Die Dynamik gipfelte im Anschlag 1995 auf ein Verwaltungsgebäude der Bundesregierung in Oklahoma City mit 168 Toten. Danach begann eine Verhaftungswelle, und viele Milizangehörige mussten sich distanzieren oder waren tatsächlich abgeschreckt. Von 1996 bis zum Jahr 2000 sank die Zahl der Milizen von 800 auf 150.
Die globale Krise und die Wahl Obamas führten zu einem Revival. Einige der heute bekannten Milizen gründeten sich nach 2008, z. B. die Three Percenters und die Oath Keepers. Ihre Zahl verzehnfachte sich in den folgenden vier Jahren. Mit Trump an der Regierung gründeten sich die Proud Boys und die Patriot Prayer – mit der »Antifa« als von Trump vorgegebenem Gegner.
Der gemeinsame Feind war nun die Summe aller früheren: Kommunisten (in Wirklichkeit oft nicht mal Sozialdemokraten, sondern Liberale), der etablierte Apparat in Washington und die Bewegungen auf der Straße: Frauen, Schüler, SchwarzeLinke... Trump bündelte rechte Milizen, Evangelikale und das Rentenkapital (Öl, Immobilien, Casinos, Security): »Lumpenmilliardäre: post-indus- trielle Räuberbarone aus dem Hinterland«.18
2017 marschierten Faschisten und rechte Milizen durch Charlottesville (dafür gab es den Sammelbegriff »Alt-Right«). Ein Rechtsradikaler fuhr mit seinem Auto in die Gegen-Demo der Antifa und tötete eine Frau. Trump stellte öffentlich fest, in den Reihen der Rechtsradikalen würden »sehr anständige Leute« mitlaufen. Der Ku-Klux-Klan-Chef bedankte sich dafür bei ihm.
»Corona« und die Rebellion im Sommer 2020 brachten die bisher schärfste Zuspitzung. Eine Antwort auf eine Ausgangssperre in Michigan (das die drittmeisten Coronatoten hatte) war, dass Bewaffnete ins Parlamentsgebäude in Lansing eindrangen – Trump hatte ihnen vorher »Befreit Michigan!« getwittert. Später bereiteten Mitglieder der rechten Wolverine Watchmen die Entführung der demokratischen Gouverneurin Gretchen Whitmer vor. Erst als der Versuch scheiterte, wurden sie verhaftet.
Gegen die überlegene BLM-Bewegung verteidigten rechte Milizen die »weiße Vorherrschaft« und das Trump-Regime. Ende August erschoss ein weißer Antifaschist bei Straßenkämpfen in Portland einen Patriot Prayer. Fünf Tage später ließ Trump den Antifaschisten durch Bundespolizisten mit 37 Schüssen hinrichten. »That‘s the way it has to be«, kommentierte er in einem Interview.19 Im TV-Duell mit Joe Biden Ende September 2020 wandte sich Trump direkt an die Proud Boys: »Stand back, stand by.« Die Milizen sollen sich bereit halten, sollte er die Wahl verlieren.
Bidens Sieg in wahlentscheidenden Bundesstaaten hing von ein paar tausend Stimmen ab. Der Vorsprung in Michigan war mit 2,6 Prozent und 147.000 Stimmen bei weitem der höchste. In Arizona waren es nur 0,3 Prozent oder 11.000 Stimmen, in Georgia ebenso 0,3 Prozent oder 14.000 Stimmen, usw.20 Das war der Vorwand für die Mobilisierung der »Stop the Steal«-Kampagne. Die Milizen rekrutierten neue Leute, mobilisierten zu Schießübungen und in die Städte zu Aufmärschen. Schon vorher hatte die Zahl der rechten Demos zugenommen; mit dem starken Rückgang der BLM-Proteste ab Juli fanden dann seit Oktober von der Anzahl – nicht von den TeilnehmerInnen – her mehr rechte Demos statt, aber auf ziemlich niedrigem Niveau.21 Die Rechten konnten sehr viel weniger Menschen mobilisieren; aber sie hatten deutlich bessere Verbindungen zum Staatsapparat und in die Regierung – wie wir dann am 6. Januar 2021 gesehen haben.
An dem Tag sollte Joe Biden als neuer Präsident vom Kongress im Kapitol bestätigt werden. Trump hielt vor 40.000 Fans eine Rede vor dem Weißen Haus und rief zum Marsch aufs Kapitol auf. Etwa 10.000 Menschen befolgten dies, Verschwörungstheoretiker, Rassisten, rechte Milizen und im Nachhinein als bekannt identifizierte organisierte Faschisten. 800 von ihnen drangen ohne großen Widerstand ins Kapitol ein – und schossen dort jede Menge Selfies. Die PolitikerInnen mussten fliehen oder sich verstecken.
Ein Polizist und vier Trump-Anhänger starben während der Aktion, ein Polizist und ein Trumpist begingen später Selbstmord. Die Polizei verhaftete erst im Nachhinein Leute. (Zum Vergleich: Auf einer großen Black-Lives-Matter-Demo am 1. Juni 2020 in Washington DC, wo keine Barrikaden gestürmt und keine Polizisten mit tödlicher Gewalt angegriffen wurden, sperrten die Bullen fast 300 Leute ein.)
Eine Auswertung von 193 verhafteten Kapitolstürmern ergab, dass zehn Prozent in Milizen organisiert sind. Der Rest gehört zur (oberen) Mittelklasse – (Klein-)Unternehmer, höhere Angestellte, usw. Zwei Drittel sind über 34 Jahre alt, ein Drittel über 45.22 Alles sehr ähnlich wie bei Pegida und den »Coronaleugnern«. Was die verzweifelten Farmer in den 80ern waren, sind die überzeugten Kleinunternehmer heute, die sich im Gegensatz zum »Großkapital« als moralisch höher stehend empfinden, am »Amerikanischen Traum« festhalten und von »der Politik« enttäuscht sind.23
Bis Mitte Februar 2021 gab es 250 Anklagen, Verhaftungen in 42 Bundesstaaten, Spitzenreiter Texas mit 24 Festnahmen, 25 Frauen. 20 Verhaftete sind ehemalige Militärs, drei aktive Soldaten, einige ehemalige Marineinfanteristen. Vier waren zum Zeitpunkt des »Sturms« im Polizeidienst, andere waren Feuerwehrleute. Viele hatten große Geldsorgen (Privatinsolvenzen, drohende Zwangsräumungen, Steuerschulden). Jeder fünfte musste fürchten, sein Haus zu verlieren.
Die Hälfte der Trump-Wähler fand den »Sturm« gut, zwei Drittel glaubten Mitte Januar noch immer an Wahlbetrug (50 Millionen). In der Republikanischen Partei verdrängen Rechtsradikale und QAnon-Anhänger die Konservativen, die traditionelle Republikanische Partei existiert praktisch nicht mehr. Im Januar traten 140.000 aus der Partei aus (noch hat die Partei 33 Millionen Mitglieder; die Demokraten 47 Millionen).
Die »Stop the Steal«-Demos gingen in der Woche nach dem »Sturm« um 90 Prozent zurück. Ende Januar 2021 fanden landesweit nur noch zwei statt. Die Verhaftungen gehen weiter: In Washington DC und in Kalifornien hob das FBI zwei schwer bewaffnete Rechte aus, einer davon Mitglied der Three Percenters. In Ohio, North Carolina und Florida wurden sechs Oath Keepers festgenommen. Andere sechs verhaftete Oath Keepers dienten am Vortag noch als Leibgarde für Roger Stone, ein verurteilter Trump-Vertrauter, den er Ende Dezember begnadigt hatte. Über Stone liefen Trumps Kontakte zu den Milizen. Anfang März wurde der erste direkte Trump-Vertraute verhaftet, der am »Sturm« beteiligt war, Frederico Klein, den Trump 2016 als Analyst in sein Team geholt hatte.
Rassistische Attacken gehen weiter. Aber die organisierten Rechten befinden sich in einer ähnlichen Phase wie »nach Oklahoma«. Sie werden als Aktivposten erstmal nicht mehr gebraucht, nur als jemand, mit dem man den Staat stärken kann, wenn »die Demokratie« gegen sie vorgeht. Gleichwohl werden kleine Unternehmer weiterhin ihren reaktionären Projekten und Verschwörungstheorien nachlaufen, wenn der Klassenkampf die neue Regierung nicht zu wirtschaftlichen Verbesserungen zwingt.
Trump hat die US-Gesellschaft politisiert. Bereits am Tag nach seiner Vereidigung gingen in Washington DC 200.000 Leute – hauptsächlich Frauen (»Women‘s March«) – auf die Straße, im ganzen Land 3,5 bis 4,5 Millionen. Es war der größte Protest seit den Anti-Vietnam Demos.
2018 gingen SchülerInnen gegen die Waffenlobby auf die Straße; Lehrer organisierten große Streiks, die wesentliche Verbesserungen brachten. Drei Viertel der Lehrer sind Frauen. Die Streiks begannen in republikanischen Hochburgen und breiteten sich rasant aus. Sie wurden von Schülern, Eltern und Nachbarn unterstützt. Nachdem die Lehrer in West Virginia fünf Prozent Lohnerhöhung durchgesetzt hatten, ging es im April in Oklahoma, Kentucky, Arizona und Colorado los. Am Ende gab es mindestens Lohnerhöhungen.
Mitte 2019 streikten LehrerInnen in Kalifornien, North und South Carolina sowie in Tennessee. In Los Angeles und Oakland setzten sie sechs bis elf Prozent höhere Löhne durch, eine Reduzierung der Schulklassengröße und mehr Personal. Weitere Privatisierungspläne wurden auf Eis gelegt. In Chicago zwangen die Lehrer die Stadt zu Investitionen von 1,5 Milliarden Dollar in öffentliche Schulen und zur Einstellung von 750 Vollzeitkräften.
Vor allem die Basis der Lehrer- und Kranken hausstreiks – Branchen, in denen traditionell mehr Frauen und relativ mehr Nicht-Weiße arbeiten – hat es mit dem Themenkomplex von »Black-Lives-Matter« zu tun. In den Streiks ging es unter anderem um Verbesserungen für Immigranten und Arme. In LA wurde ein »Defence Fund« für eingewanderte SchülerInnen installiert. In Chicago be kommen SchülerInnen in »unsicheren Verhältnissen« Unterstützung fürs Wohnen, für Kleidung, gratis Öffis...24
Nicht überall gab es solche Erfolge; in Georgia wurden zum Beispiel streikende Schulbusfahrer gefeuert.
2018 waren fast 500.000 ArbeiterInnen an Streiks mit 1000 und mehr Leuten beteiligt. 2019 gab es 25 solcher Streiks mit fast 430.000 Leuten. 2018/19 nahmen durchschnittlich 20.000 ArbeiterInnen an großen Arbeitsniederlegungen teil, die mindestens eine Schicht lang dauerten – das ist der höchste Zwei-Jahres-Durchschnitt seit Beginn der Aufzeichnungen 1947.25 Sogar in der Autoindustrie regte sich nach vielen Jahren Stillstand wieder was. Ende 2019 streikten fast 50.000 General Motors ArbeiterInnen. Das Ergebnis war durchwachsen: Es gab zwar Lohnerhöhungen, auch für Leiharbeiter, aber keine bessere Krankenversicherung. Und von mehreren geplanten Fabrikschließungen wurde nur eine zurückgenommen.26
In diesen Jahren begannen auch Beschäftigte in den großen Tech-Firmen, sich zu organisieren27 – ein schon sehr lange erwarteter Prozess, auf den wir in den nächsten Heften genauer eingehen werden.
Nennenswerte Kämpfe gab es noch im Einzelhandel und beim Telekommunikationsausrüster AT&T, einem der größten Konzerne weltweit. Die wichtigste Beschränkung bisher blieb aber, dass die Streiks die Branchen- und gewerkschaftlichen Grenzen nicht überschritten. Da machte die George-Floyd-Rebellion in Breite und Zielen einen Sprung.
Der Slogan »Black Lives Matter« geht auf 2013 zurück. Damals wurde ein rechter Milizionär freigesprochen, der einen Schwarzen erschossen hatte. In der Mobilisierung gegen dieses Urteil prägten drei Frauen aus NGOs die Parole »Black-Lives-Matter« in sozialen Medien.28 2019 gab es weltweit bereits 40 offizielle BLM-Ortsverbände – die Zahl der Gruppen, die sich in den USA auf BLM beziehen, dürfte weit höher sein. Die BLM Foundation hat seit Mai 2020 über zehn Milliarden Dollar Spendengelder erhalten. Aber diese offizielle, in den Medien sehr präsente Organisationsstruktur hat nur wenig mit den realen Mobilisierungen zu tun, wo bei konkreten Anlässen Hunderttausende oder gar Millionen Menschen auf die Straße gehen und das ganze System in die Kritik gerät – wie zum Beispiel in Ferguson 2014.
Am 13. März 2020 erschossen Bullen in Louisville die Afroamerikanerin Breonna Taylor. BLM vor Ort war zu der Zeit mit Lebensmittellieferungen für Arme und Organizer-Trainings unter Corona-Bedingungen beschäftigt; nun gingen alle Kräfte in die Mobilisierung gegen Polizeigewalt. Das Louisville Metropolitan Police Department sah sich gezwungen, größere Reformen anzukündigen, der Polizeichef musste zurücktreten.
Nach dem Mord an Floyd am 25. Mai ging es im ganzen Land los. Am 6. Juni gab es Demonstrationen in 550 US-Städten. Es gab Mobilisierungen in Orten mit weniger als 10 000 Einwohner, wo es noch nie eine linke Demo gegeben hatte. Einige der militantesten Proteste, in Städten wie Portland und Seattle, wurden mehrheitlich von Weißen getragen.
In vielen Städten haben die Proteste eine Vorgeschichte. In Minneapolis war 2015 nach dem Polizeimord an Jamar Clark unter anderem ein Stadtteil besetzt worden. Nach drei Wochen Besetzung tauchten mehrere Rechtsradikale auf, schikanierten die Leute und verwundeten schließlich mehrere durch Schüsse. Die Besetzung musste aufgegeben werden. In der Mobilisierung 2020 wurde in Livestreams auf diesen Vorfall fünf Jahre zuvor verwiesen und gefolgert, dass nun drastischer reagiert werden müsse – also wurde die Bullenstation und vieles andere angezündet.
Auch in Seattle hatte es in den Jahren 2014-2017 nach Bullenmorden eine Reihe von Solidaritätsmärschen gegeben, deren Teilnehmerzahlen manchmal in die Zehntausende gingen. Immer wieder verhinderten damals Polizeisperren, dass die Demos auf die wichtigste Stadtautobahn gelangten.
Am 30. Mai 2020 brachen so massive Proteste in der Innenstadt aus, dass die Polizei sich zeitweilig zurückzog. Es fanden Plünderungen und Graffiti-Aktionen statt. Mittendrin gingen mehrere hundert Leute auf die Stadtautobahn – zu diesem Zeitpunkt schien das, was einige Jahre zuvor ein unerreichbares Ziel gewesen war, nun ein Nebenschauplatz zu sein, und die Autobahn wurde zahlreiche Male blockiert.
Eine Soli-Demo für die weiter südlich kämpfenden AktivistInnen in Portland ging direkt zur Baustelle eines Jugendgefängnisses. Die Baustelle wure niedergebrannt und der Bau gestoppt.
Sogar um Seattle herum in Orten mit ein paar tausend Einwohnern marschieren ein paar hundert Menschen, und in vielen dieser Orte treffen sich bis jetzt einige wenige regelmäßig an der Hauptkreuzung und halten BLM-Schilder in den vorbeifahrenden Verkehr.29
In Chicago kam es ab dem 30. Mai immer wieder zu militanten Massendemos. Im August spitzte sich nach Polizeischüssen die Situation zu (das Opfer überlebte). Es begann ein 36stündiger Aufstand mit Plünderungen in einem Viertel der Reichen. Sogar Aktivisten von BLM Chicago, also die »guten Demonstranten«, die landesweit für Deeskalation und Befriedung stehen, unterstützten die gefangenen »Plünderer«; eine BLM-Sprecherin sagte, Plündern müsse als Entschädigung verstanden werden.30
Ende Oktober war Philadelphia der Hotspot: Demos, Zusammenstöße mit den Bullen, Plünderungen, Ausgangssperre. Die soziale Zusammensetzung der Proteste veränderte sich, weniger Menschen kamen raus (zudem wurde das Wetter schlechter). Aber die Plünderungen waren mittlerweile besser organisiert.Trotz weniger Schutz durch die Massen konnten die Leute fehlende Einkommen durch Bankomatsprengungen kompensieren (in den Mai- und Juni-Tagen war das Standard, weniger gut organisiert, aber im Schutz der Masse). Aber zum ersten Mal konnte eine Ausgangssperre nicht gebrochen werden.31
In Kenosha wurde nach den Schüssen auf Jacob Blake die Polizeistation angezündet. In Rochester ging im September ein einwöchiger Aufstand los, als rauskam, dass Bullen den Schwarzen Daniel Prude im März so schwer misshandelt hatten, dass er starb.
Während im Riot in Los Angeles 1992 teilweise wahllos Weiße halbtot geprügelt wurden, gab es so was in Ferguson 2014 und jetzt nicht mehr. 1992 wurden allein in Los Angeles 38 Menschen ermordet (gestorben sind insgesamt 53), der Bewegung 2020 werden – im ganzen Land! – nur halb so viele zugerechnet. Und davon gehen die meisten Toten auf Vorfälle zurück, die in keinem Zusammenhang mit den Protesten standen, sondern in der Umgebung einer Demo stattfanden. Eine materielle Grundlage für »Abolish the Police« (Abschaffung der Polizei) ist, dass in den selbstorganisierten Mobilisierungen weniger Leute sterben als im »gesellschaftlichen Normalbetrieb«. Eine aktuelle Studie kam zum Schluss, dass von 2014 bis 2019 in Gegenden, wo BLM-Proteste stattfanden, ungefähr 15 bis 20 Prozent weniger Menschen von Bullen ermordet wurden – das sind 300 Leben.32 Wenn man sich allein die Bullenmorde in den letzten Jahren ansieht, die pro Jahr bei 1000 liegen (2020: 1127), dann brachten die polizeifreien Zonen in Minneapolis, Seattle, Atlanta33... eine deutliche Verbesserung.
Im Gefolge der globalen Krise 2008/09 entwickelten sich Massenproteste (Occupy Wallstreet) und neue linke Organisationen. Und mit Trump als Präsident fingen sogar (Links-)Liberale an, über die Arbeiterklasse nachzudenken. Am bekanntesten sind das Jacobin Mag, die Democratic Socialists of America und die Sympathisantenszene von Bernie Sanders. Sie pushen Organizing-Kampagnen und verweisen auf die »gewerkschaftlichen Erfolge« in der Logistik, in Krankenhäusern, Schulen, Gefängnissen, Hotels, im Fast Food Bereich und neuerdings in der Tech-Branche34. Aber die massenhafteste und wichtigste Bewegung seit Jahrzehnten konnte die linke Diskussion noch nicht auf die Höhe der Zeit hieven. (Links-)Liberale wollen einen sozialeren Kapitalismus, der die Arbeiterklasse nicht so krass verzweifeln lässt, dass sie sich dem republikanischen Irrationalismus zuwenden. Die »Sozialisten« von Jacobin und DSA wollen die Sozialdemokratie erneuern bzw. in den USA einführen. »Die Linke muss sich der Tatsache stellen, dass wir trotz der großen Popularität ihrer Ideen und des dynamischen Beispiels von BLM als landesweite Kraft ahnungs los und unorganisiert sind«, kommentierte Mike Davis Anfang 2021.35
In den USA hat die Wucht der Bewegung dazu geführt, dass sich BLM neu sortiert. In der BLM Foundation setzen sich Leute mit Bezug zur Basis von den Führungsfiguren ab und wenden sich sozialen Kämpfen zu. In Seattle z. B. spaltete sich BLM in »junge Radikale« und »alte Reformisten«; die Jungen machen nun Anti-Knast Arbeit... Aber in Europa kommt vor allem die anti-rassistische, ahistorische Erzählung an. Zum Beispiel gründete sich in der BRD 2020 eine »Panthifa«, die eine »einheitliche schwarze Community« aufbauen will,36 BLM Berlin wollte Weiße und Schwarze auf einer Demo voneinander trennen...37
Das Neue und Tolle an der Bewegung war aber unter anderem, dass sich kaum jemand drum kümmerte, wer welcher »Ethnie« angehörte! (Und falls jemand nach Hautfarben sortieren will: »Weiße« waren überproportional an den Mobilisierungen beteiligt!38) Die Demos und Besetzungen forderten auch keine staatlichen Unterstützungsprogramme.
Ein (schwarzer) Genosse aus Los Angeles schrieb uns am 25. Oktober 2020: »Dies ist ein Kampf um die Seele der weißen Amerikaner, und er ist ernst. Ich denke, ein Aspekt der Bewegung ist, dass einige weiße Menschen, ArbeiterInnen, zeigen, dass sie bereit sind, durch das zu gehen, was schwarze Arbei- terInnen und AktivistInnen durchgemacht haben. Das ist entscheidend für zukünftige Kämpfe. Weiße Vorherrschaft steht jetzt offiziell unter offenem Beschuss, von normalen weißen Leuten.«
Der Kampf gegen Rassismus ist nicht vorbei, der universelle Gedanke der Bewegung ist: »Geht’s den Schwarzen gut, geht’s uns allen gut!« Die Forderungen nach einem besseren Gesundheitssystem, besseren Arbeitsbedingungen, Abschaffung der mordenden Polizei, des Repressionsapparats, der Waffengewalt, gegen die Armut, Umweltschutz... sind praktische Schritte in diesem Kampf. Hingegen haben Bemühungen, die auf staatliche Reformen setzten, zu nichts geführt. Polizisten morden weiter und werden freigesprochen – die Bullen, die Daniel Prude erstickt haben, zum Beispiel deshalb, weil sie »streng nach Protokoll handelten« – was ja noch skandalöser ist.
»Defund the Police« (Kürzung und Umverteilung von Polizeibudgets) konnte nur in wenigen Städten durchgesetzt werden.39 Die Bewegung für eine Erhöhung des Mindestlohns muss noch immer bundesweite Protesttage organisieren.40 In Flo- rida ging im November 2020 ein Referendum zugunsten einer Erhöhung aus, Mitte Februar 2021 gab es Demos in 15 Städten.
Aber seit dem Sommer 2020 sind viele (junge) Leute in selbstorganisierten Zusammenhängen tätig. Aktuell kämpfen sie intensiv für bezahlbaren oder für gratis Wohnraum. Es gab schon davor einige Tenant Unions (Mietergewerkschaften), nun hört man aus jeder Großstadt von Kämpfen für Wohnraum. Oft werden Barrikaden gebaut, um eine Räumung zu verhindern. Das hat in Portland geklappt.41 In Philadelphia wurden Häuser für arme Familien besetzt – dann musste die Stadtverwaltung legalisieren.42 Auch in Seattle gehen nach der Räumung der Capitol Hill Autonomous Zone die Besetzungen weiter.
Beim Wintereinbruch in Texas mobilisierten linke Gruppen sofort Unterstützung: warme Unterkünfte, Essen, Reparaturen...43
Während der ersten Wochen mit Corona gab es Proteste auf Arbeit für Schutzausrüstung, Sicherheitsvorkehrungen und einige Streiks für den Shutdown der Produktion. Anderswo organisierten ArbeiterInnen Sicherheitskomitees, damit sie die Ansteckungen überblicken, weil die Bosse dies ver- schweigen. In Solidarität mit der »George-Floyd-Bewegung« nahmen die Proteste zu: die Weigerung der Busfahrer in Minneapolis, Philadelphia, San Francisco, New York und Washington, Polizeitransporte durchzuführen; die neunminütigen Streiks in den Häfen, Fabriken, Schulen, usw.44
Im Juni gab es einen Aktionstag in Seattle mit dem Titel »Generalstreik und Marsch für das Schwarze Leben«. »Generalstreik« war übertrieben, es handelte sich um einen großen Marsch von vielleicht 60.000 Leuten, viele Gewerkschaftsbürokraten, ArbeiterInnen nahmen nur individuell teil. Ungefähr zur gleichen Zeit gelang es Lehrergewerkschaftern, die Polizeigewerkschaft aus der Seattler AFL-CIO auszuschließen.
Ende 2020 und Anfang 2021 liefen mehrere Streiks und Mobilisierungen:
Die Hoffnung, die Unternehmer würden die Löhne für »systemrelevante Arbeiter« (engl. »essential« oder »key workers«) erhöhen, wurde enttäuscht. Im Gesundheits- und Bildungsbereich probieren die lokalen Bosse, die Arbeit zu intensivieren: weniger Krankenschwestern und LehrerInnen sollen mehr Patienten und Schüler betreuen. Die Beschäftigten halten dagegen, es ist hart umkämpft.
Auch in »Zukunfts«-Branchen, wo die Unterneh- mer lange ihre Übermacht ausspielen konnten, gründen die Beschäftigten nun Gewerkschaften. Dies ist in den USA kein rein formaler Akt, sondern für viele ArbeiterInnen eine Erfahrung von durch- aus heftigen Konflikten mit dem Unternehmer.Kalifornien organisieren sich Fahrdienst-Arbeiter (»Rideshare Drivers United«). Im Silicon Valley machen Amazon-Angestellte erste Schritte, und Google-Angestellte haben gerade eine Gewerkschaft gegründet. Schon hört man, dass einige TechFirmen verlagern, zum Beispiel Oracle und Tesla nach Texas (das natürlich auch mit billigeren Flächen und Subventionen lockt).
Amazon-ArbeiterInnen im neuen Lager in Besse- mer (Alabama) werden nach einem Monat Stimmabgabe Ende März Bescheid wissen, ob ihr Antrag auf Gewerkschaftsgründung eine Mehrheit findet. Es wäre die erste gewerkschaftlich organisierte Belegschaft im Konzern in den USA und noch dazu in den gewerkschaftsfeindlichen Südstaaten. Das Lager war strategisch platziert: 70 Prozent im dortigen County sind Afroamerikaner, der Bezirk ist bitterarm und musste 2011 Konkurs anmelden. 85 Prozent der Belegschaft sind Afroamerikaner, vie- le von ihnen wurden durch »Black Lives Matter« politisiert. In den letzten Monaten betrieb Amazon einen Riesenaufwand, um die Mobilisierung zu verhindern: Lügen, Diffamierungen, fünf DrohSMS am Tag, Neujustierung von Ampeln vor dem Werk, damit Autofahrer nicht mit den protestierenden ArbeiterInnen sprechen können; ArbeiterInnen, die von selbst kündigen, bekommen 2000 Dollar »Prämie«.
Die 5800 Beschäftigten verdienen mit 15,30 Dollar die Stunde mehr als das Doppelte des Mindestlohns. Aber die LagerarbeiterInnen haben verstanden, dass sie so schnell nicht aus diesen Jobs flüchten können und deshalb die Bedingungen verbessern müssen.
Michael Goldfield, der zum Klassenkampf in den Südstaaten in den 1930ern und 40ern forschte, sagt zu dem Konflikt in Bessemer: »Die gewerkschaftliche Organisierung und Transformation des Südens ist der Schlüssel zur Transformation des Landes. Der Süden hat historisch alles zurückgehalten, von der frühen Kolonialzeit bis zur Gründung der Republik. Die Transformation des Südens ist der Schlüssel, der alle Möglichkeiten öffnet.«45
Die Gewerkschaft, die das Lager organisieren will, ist die RWDSU (Retail, Wholesale and Department Store Union), die unter der Schirmherrschaft der UFCW steht (United Food and Commercial Workers). In den USA gelten sie als »Business Unions«, also Gewerkschaften, die mit den Unternehmern gemeinsame Sache machen. In Bessemer stimmen die ArbeiterInnen nur ab, die RWDSU kümmert sich um den Rest. »Arbeiterorganisation« wäre was anderes! Die Gewerkschaft versucht, den direkten Kontakt zu anderen ArbeiterInnen zu verhindern. Das mussten auch die organisierten KollegInnen von Amazon Chicago erfahren. Der Genosse, mit dem wir ein Interview in der Wildcat 103 brachten, sagt, dass sie die RWDSU daran hindert, mit ihren KollegInnen in Bessemer in Kontakt zu kommen und Erfahrungen auszutauschen.46
Quer durch alle Strömungen sehen Linke den Aufbau von Strukturen der »gegenseitigen Hilfe« als ersten Schritt auf dem Weg in eine andere Gesellschaft – quasi Inseln, die zusammenwachsen. Solche Strukturen werden in Kämpfen immer gebraucht, aber sie sind niemals eine Strategie! Schneller als man denkt übernimmt man (sozial-) staatliche Aufgaben und bleibt da drin stecken – anstatt dass die Bewegung breiter und offensiver wird. Die Analysen der »Prekarität« und der »Ära des Riots« bleiben zu oberflächlich. Die Aktionen werden zwar militanter, aber die Bewegung eher kleiner. Dabei werden die richtigen Fragen durchaus gestellt: Wie lassen sich (Szene-)Schranken überwinden? Wer produziert die Dinge, die man im Aufstand klaut?47 Sogar: Wie gewinnt man einen Streik?48 Sie suchen nach Leuten, die auch in Auseinandersetzungen stecken und mit denen sie sich verbünden können. Aber in der Bewegungsdynamik überspringen sie die wichtige Frage: »Was ist Klasse heute?« Der Zusammenhang zwischen der kapitalistischen Ausbeutungsstruktur und der Kraft, die kollektiv die Gesellschaft herstellt und eine soziale Revolution machen kann, muss in der Auseinandersetzung mit den Bewegungen und Streiks neu erarbeitet werden. Nur dann ist die Linke nicht mehr »ahnungslos und unorganisiert«.
Die »diverse« Regierung Biden/Harris gibt sich gewerkschaftsfreundlich und befürwortet die Versuche in Bessemer. Sie wollen keine Flüchtlingskinder mehr von ihren Familien trennen, sind dem Klimaabkommen wieder beigetreten, wollen eine Wahlrechtsreform, die Exklusionsmechanismen abschafft. Die Tech-Monopole sollen gezähmt werden. Bidens 1,9 Billionen Dollar Paket (American Rescue Plan Act, ARPA) soll Wirtschaftswachstum schaffen. Viele prognostizieren sinkende Armut, sehen sozialdemokratische Morgendämmerung – das Geld aus dem Hilfspaket sichere Familien ein monatliches Einkommen von mehreren Tausend Dollar. Das wäre anständig.
Aber mit ihrer Wirtschaftspolitik des »go big« folgen sie der Modern Monetary Theory, also Schulden machen und Geld verteilen, ohne Gegenfinanzierung durch Steuereinnahmen. So lang sich keine Inflation entwickelt, sei alles gut, so die Theorie. Aber dies ist eben nicht mal sozialdemokratische Modernisierung, sondern ein »spät-imperialer Fiebertraum«49, ein Zugeständnis an die Rechten, die keine Steuererhöhungen dulden. Mitte März 2021 kündigte Biden an, die Unternehmenssteuer von 21 auf 28 Prozent zu erhöhen – aber 2017 hatte Trump sie von 35 Prozent aus gesenkt!
Das Geld geht auch nicht dahin, wo es nötig wäre. Im Wahlkampf hatte Biden 2000-Dollar-Schecks für die meisten US-AmerikanerInnen versprochen und eine Mindestlohnerhöhung auf 15 Dollar pro Stunde plus Arbeitslosengeldzuschüsse von 400 Dollar pro Woche. Daraus wurden nun 1400 Dol- lar plus 300-Dollar-Arbeitslosengeldzuschuss – die Mindestlohnerhöhung fällt aus. Dutzende Millionen ArbeiterInnen im Niedriglohnsektor kriegen nun keine Lohnerhöhung.
Biden/Harris holen sich ihre Ökonomen von Black Rock, dem weltgrößten Investmentunternehmen, das die Vermögen der Reichen vermehrt. Neben alten Bekannten aus Obama-Zeiten haben sie neue krasse Leute geholt: der Verteidigungsminister sitzt im Aufsichtsrat eines Rüstungskonzerns, der Waffen nach Saudi-Arabien liefert. Biden selbst ließ gleich einen Monat nach Amtsantritt Syrien bombardieren. Er lehnt »Medicare for all« (Gesundheitssystem »für alle«) und »Defund the Police« ab.
Viele kritisieren die neue Regierung als »Obama III« – aber eigentlich sieht es noch schlimmer aus, weil die neue Regierung überhaupt nicht die Ursachen sozialer Ungleichheit thematisiert; es geht nur um »racial inequality« (ethnische Ungleichheit). Mit der Bändigung der Tech-Monopole wollen sie Wettbewerb und Innovation wiederbeleben. Die Unterstützungszahlungen des ARPA sollen am 31.12.2020 enden.
Klassenpolitisch ist eine Kombination aus gewerkschaftlicher Regulierung (Bessemer, Protecting the Right to Organize Act) und Modernisierung sozialer Kontrolle zu erwarten.
Mitte März 2021 sagte Biden den Flüchtlingen aus Mittelamerika: »Kommt nicht!« Gleichzeitig eskaliert er die geopolitische Konfrontation – drei Wochen nach dem US-Bombenangriff auf Syrien stimmt er zu, dass Putin ein Mörder sei. Über den Außenminister forderte er den »sofortigen Baustopp« an der Gas-Pipeline Nord Stream 2 zwischen Russland und Deutschland. Im Bündnis mit Japan und Südkorea erlässt die US-Regierung weitere Sanktionen gegen China.
»Es gibt nur eine Partei in den Vereinigten Staaten, die Partei der Besitzenden. Und diese Partei hat zwei rechte Flügel. Die Republikaner und die Demokraten.« (Gore Vidal)
[1] Donna Demac, Philip Mattera: New York entwickeln und unterentwickeln,
die »Haushaltskrise« und die Durchsetzung der Austerität, Zerowork (Thekla
10), 1988;
Salena Zito: The day that destroyed the working class and sowed the seeds of
Trump, New York Post, 16.9.2017.
[2] George Caffentzis: Der »Si se puede«-Aufstand: Eine Klassenanalyse, Wildcat 77, Sommer 2006.
[3] Heike Buchter: Das kranke System, Die Zeit, 14.10.2020.
Eine ausführliche Geschichte hat Laurie Garrett 2001 veröffentlicht: Das
Ende der Gesundheit, S. 259-371.
Der ORF strahlte im Januar 2021 eine kompakte Doku aus: Notfall – Amerikas
krankes Gesundheitssystem.
[4] Die seit den 1980er Jahren sinkenden Chancen auf sozialen Aufstieg werden als »Neo-Feudalismus« diskutiert. Siehe das etwas sperrige, aber mit vielen informativen Quellen und Hinweisen durchzogene Buch von Joel Kotkin: The Coming of Neo-Feudalism, a Warning to the Global Middle Class, 2020.
[5] Marc Andreessens vielgelesener Hilferuf, der an den Wiederaufbau einer produktiven Industrie appelliert – er fragt unter anderem: »Is the problem capitalism?«: It‘s time to build, 18.4.2020, www.a16z.com
[6] Dan Wang: Why America Can Make Semiconductors But Not Swabs,
8.5.2020, www.bloombergquint.com
Zum größeren Zusammenhang: Edna Bonacich, Jake B. Wilson: Getting the Goods, 2008, S. 3-41.
[7] Knut Pankin: Ein System mit Vorerkrankungen, Warum die USA schwer mit der Corona-Wirtschaftskrise zu kämpfen haben, FES-Paper, Juni 2020.
[8] Am Höhepunkt 1980 gab es 20 Millionen Industriejobs; 2000 waren es noch 18. 2007 war die Zahl bei 14 Millionen, in der globalen Krise sank sie auf unter 12. Bis vor Corona kam sie nicht über 13 Millionen. Der starke Fall ging los, nachdem China am 11. Dezember 2001 der WTO beitrat.
[9] Dave DeSario, Jannelle White: Race To The Bottom: The Demographics of Blue-Collar Temporary Staffing, Dezember 2020, www.tempworkerjustice.org
[10] Eine Untersuchung für 2018/19 in Illinois ergab, dass 83 Prozent der Leiharbeitseinsätze von nicht-weißen Arbeitern erledigt werden – in einem Bundesstaat, wo nicht-weiße ArbeiterInnen nur 35 Prozent ausmachen. 75 Prozent der Einsätze erledigten Schwarze und Hispanics. Sean O‘Leary: The Natural Gas Fracking Boom and Appalachia‘s Lost Economic Decade, 10.2.2021, www. ohiorivervalleyinstitute.org, S. 16-18.
[11] Philip Bump: Trump‘s farmer bailout gave $21 billion to red counties and $2.1 billion to blue ones, Washington Post, 20.10.2020.
[12] Robert Brenner: Escalating Plunder, New Left Review 123, Mai/Juni 2020.
[13] Molly Kinder, Laura Stateler, Julia Du: Windfall profits and deadly risks: How the biggest retail companies are compensating essential workers during the COVID19 pandemic, November 2020, brookings.edu
[14] Andrew Edgecliffe-Johnson, Claire Bushey, Bethan Staton, Anna Gross: Lockdown Heroes: Will they ever get a Raise? 7.7.2020, ft.com
[15] David Rosen: Thumb in the Dike: Homelessness and Deepening Inequality, 18.3.2021, www.counterpunch.org.
[16] Les Leopold: Covid-19‘s Class War, the greatest predictor of coronavirus deaths appears to be income, 28.7.2020, prospect.org; Siehe auch die Financial Times vom 20. Februar 2021: »So hat Streeterville ein Viertel, in dem eine Gucci-Boutique und das Chicagos Museum für zeitgenössische Kunst zu finden sind, eine der höchsten Impfraten der Stadt. Es ist zu mehr als 70 Prozent weiß und hat ein durchschnittliches Haushaltseinkommen von fast 107.000 Dollar. Nur 40 von 100.000 Einwohnern sind an Covid-19 erkrankt, während etwa 24 Prozent die erste Impfdosis erhalten haben. Sechzehn Meilen südlich, in Roseland, leben mehr als 90 Prozent Schwarze mit einem mittleren Haushaltseinkommen von 41.000 Dollar. Covid-19 hat 279 Menschen von 100.000 getötet; nur 6 Prozent der Bewohner haben die erste Impfdosis erhalten.« Christine Zhang, Claire Bushey: Racial inequality plagues US vaccine rollout, (Übrigens ein schönes Beispiel, wie im Titel fälschlicherweise »Ethnie« stark gemacht wird – korrekt wäre »Armut« oder »soziale Ungleichheit«.
[17] Steffie Woolhandler u. a.: Public Policy and Health in the Trump Era, 10.2.2021, www.thelancet.com
[18] Mike Davis: Trench Warfare, New Left Review 126, November/Dezember 2020, S. 18.
[19] * Der Insurrektionalist
Idris Robinson verglich den Antifaschisten später mit John Brown, dem berühmten weißen Kämpfer gegen
Sklaverei im 19. Jahrhundert: Letter to Michael Reinoehl, 23.10.2020, www.illwilleditions.com
* Anonym: Did Donald Trump Order The Execution of Portland Activist Michael Reinoehl? 12.2.2021, www.
itsgoingdown.org (der O-Ton Trumps: https://t.co/WfIP9b37sA)
[20] Mike Davis: Trench Warfare, a. a. O.
[21] ACLED-Paper (Roudabeh Kishi, Hampton Stall, Sam Jones): The Future of »Stop the Steal«, Post-Election Trajectories for Right-Wing Mobilization in the US, Dezember 2020.
[22] Robert A. Pape, Keven Ruby: The Capitol Rioters Aren‘t like Other Extremists, The Altantic, 2.2.2021.
[23] Thomas Watters: Dressing the Emperor, the Dangerous Farce of the Petite Bourgeoisie, 28.1.2021, www.spectrejournal.com
[24] David McNally: The Return of the Mass Strikes – Teachers, Students, Feminists, and the new Wave of Popular Upheavals, 6.6.2020, www.spectrejournal.com
[25]US Bureau of Labor Statistics – Work Stoppages: https://www.bls.gov/wsp
Heidi Shierholz, Margaret Poydock: Continued surge in strike activity signals
worker dissatisfaction with wage growth, 11.2.2020, www.epi.org
[26] Anfang 2019 und Anfang 2020 gab es auch in Mexiko an der Grenze zur USA zwei große Streikwellen, siehe Wildcat 104 und 105.
[27] Spencer Cox: Bursting the Bubble: The Emerging Tech Worker Movement at Amazon, in: Wilson/Reese: The Cost of Free Shipping, 2020, S. 225-237.
[28] Eine der drei Frauen schildert minutiös mit vielen Anekdoten die Entstehung: Alicia Garza: The Purpose of Power, How We Come Together When We Fall Apart, 2020, S. 73-88. Das Buch ist eine Suche nach der Kraft, das Elend zu beenden – innerhalb der Grenzen des Intersektionalismus und des Community Organizing.
[29] Die Berichte über Minneapolis, Seattle und die kleinen Ortschaften hat uns ein Genosse per Mail geschickt.
[30] Jarrod Shanahan, Zhandarka Kurti: The Shifting Ground: An Conversation on the George Floyd Rebellion, 20.9.2020, www.illwilleditions.com
[31] About to explode: Notes on the #WalterWallaceJr Rebellion in Philadelphia, 12.11.2020, www.itsgoingdown.org
[32] Travis Campbell: Black Lives Matter‘s Effect on Police Lethal Use-of-Force, 15.1.2021, www.ssm.com
[33] At the Wendys: Armed Struggle at the End ofWorld, 9.11.2020, www.illwilleditions.com (Obwohl
der Autor nicht über den Ansatz von Community Organizing rauskommt, gibt er interessante Einblicke in einmonatige Besetzungsak-
tion vom 12. Juni bis2020 in Atlanta. Wir haben den Text auf Deutschsetzt und schicken ihn Anfrage zu.)
Jordan Martinez: The CHAZ Trap, 25.11.2020, www.regeneration.org (zum Verlauf in Seattle)
[34] Aaron Petcoff, Bennoff: Tech Workers at Every Level Can Organize to Build Power, 6.2.2021, www. jacobinmag.com
[35] Mike Davis: Hopes2021?, 6.1.2021, www. newleftreview.org/sidecar
[36] Ina Sembdner: »Keine weiße Bildungsarbeit leisten«, Interview in Junge Welt, 19.8.2020.
[37] Eine interessante Kritik am Anti-Rassismus liefern Walter Benn Michaels und Adolph Reed jr.: The Trouble with Disparity, 10.9.2020, www.nonsite.org
[38] Dies bestätigen soziologische Umfragen, Auswertungen der Verhaftungen und Telefondatenauswertungen in Aufstandsgebieten.
[39] Fola Akinnibi, Sarah Holder, Christopher Cannon: Cities Say They Want to Defund the Police. Their Budgets Say Otherwise, 12.1.2021, www.bloomberg.com
[40] Auch wenn 15 Dollar noch immer zu niedrig sind, rechnet das gewerkschafts- nahe Economic Policy Institute, dass von einer Anhebung mehr als zehn Prozent der US-Bevölkerung profitieren würden. David Cooper: Raising the federal minimum wage to $15 bywould lift pay for nearlymillion workers, 5.2.2019, www.epi.org
[41] David Rovics: To the Barricades: The Red House and the Future of Eviction Defense, 10.12.2020, www.counterpunch.org
[42] Squatting, Rebellion, Movement: An Interview with Philadelphia Housing Action, 30.1.2021, www.itsgoingdown.org
[43] Autonomous Mutual Aid Groups Mobilize in Texas as Death Toll Rises, 17.2.2021, www.itsgoingdown.org
[44] Detailliert nachzulesen auf Paydayreport.com: Der Pittsburgher Mike Elk betreibt die Site inklusive eines Strike Tracker als Crowdfunding-Projekt – die seit März 2020 über 1000 gezählten Streiks sind aber zu 99 Prozent einmalige, sehr kurze, symbolische Aktionen. Neben den ganzen einzeln gezählten neunminütigen Streiks nennt er solche Dinger wie abgesagte Football-Trainings, langsamere Produktion wegen Absentismus, einen Streik von Forschern eines biologischen Instituts, usw.
[45] The Alabama Amazon Union Drive Could Be the Most Important Labor Fight in the South in Decades, 19.2.2020, www.jacobingmag.com
[46] Building Collective Power: Struggles Against Racism and Overwork at Amazon Chicago, 23.2.2021, www.transnational-strike.info
[47] Shemon: Missed Insurrections, 16.2.2021, www.illwill.com
[48] Labor Notes: How to Strike and Win, November 2019, www.labornotes.org
[49] Doug Henwood: Modern Monetary Theory Isn’t Helping, 21.2.2019, www.jacobinmag.com