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30.11.2023

aus: Wildcat 110, Herbst 2022

Interview zum Hafen Hamburg, Ende Mai 2022

Gespräche mit Beschäftigten verschiedener europäischer Häfen, Interviews mit Bahn-­Arbeitern, die Bahnerstreiks in Großbritannien, usw. zeigen: Unter den ArbeiterInnen gibt es eine weit verbreitete Wut. Auf inkompetente Chefs, die viel (staatliches) Geld in Automatisierungs- und ­Digitalisierungsprojekte stecken. Auf IT-Kräfte und Start-Ups, die einen rumkommandieren und bloß Geld verbraten. Auch die Inflation ist ein großes Thema. Das folgende Gespräch fand kurz vor den Streiks im Hamburger Hafen statt.

Woher kommt die aktuelle Streikbereitschaft Eurer ­KollegInnen?

In der Lohnrunde vom letzten Jahr war was Wichtiges passiert. Am Pfingstmontag mussten sie die Zusatzschichten absagen, weil sich in Hamburg und Bremerhaven zu wenige Kollegen gemeldet hatten. Das war beeindruckend. Und dann haben die Unternehmer in der dritten oder vierten Verhandlungsrunde ein Angebot gemacht, das die ­Bundestarifkommission angenommen hat. Die Kollegen haben den Abschluss als zu niedrig kritisiert; sie hatten erwartet, dass es noch mindestens einen Warnstreik gibt – und das ist nicht passiert.

Ich glaube, ein Schlüssel zum Erfolg war der Video­clip, der vor Pfingsten auf verschiedenen Social Media Kanälen herumging, vor allem auf Whatsapp hast du den alle fünf Minuten von irgendwem geschickt gekriegt. Da sagen 20 Leute hintereinander, warum sie am Pfingstmontag nicht in den Hafen arbeiten gehen. Von jung bis alt, der eine am Pool, der andere sonst wo… Es war ja Corona-Zeit, und da haben alle ein Gemeinschaftsgefühl gespürt. Dieses Selbstbewusstsein gab es lange nicht mehr, und jetzt war es plötzlich wieder da. Das hat in jeder Auseinandersetzung eine wahnsinnig mobilisierende Wirkung: »gemeinsam sind wir stark und da kann uns nix passieren.« Das ist unsere Stärke und die wollen wir praktizieren. Deswegen wollen wir jetzt streiken, und wir wollen zeigen: »nehmt euch nicht noch irgendsoein blödsinniges [Automatisierungs-]Projekt vor, sondern wir sind da und wir stehen.« Das ist das Bedürfnis, warum die Leute streiken wollen.

Als letztes Jahr die Leute Dienst nach Vorschrift machten und die attraktiven Überstunden verweigerten, war Alarm im Hafen! Unabhängig von Corona oder von diesem steckengebliebenen Schiff im Suezkanal standen dann die Schiffe im Stau. Und das ist jetzt noch schlimmer! Deswegen ist jetzt noch viel mehr Power dahinter.

Damals hat die Bundestarifkommission gefragt, warum keine einzige Containerbrücke im Terminal Tollerort arbeitet. Das war noch vor der Pfingstmontags-Aktion! Es war nicht möglich, am Schiff zu arbeiten, weil es nicht genügend Leute gab. Das ist ein Phänomen im Terminal Tollerort. Die zweite Schicht kann man zur Zeit nur abdecken, wenn das Personal der ersten Schicht vier Überstunden und das Personal der Nachtschicht vier Überstunden macht. Nach diesem Prinzip wird zur Zeit gearbeitet, weil die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) und GHB (Gesamthafenbetriebs-GmbH) viel zu wenig Personal haben, um die Schiffe abzufertigen.

Offensichtlich ist die Schmerzgrenze noch nicht erreicht. Der Hafen macht noch immer genug Profit und sie müssen keine neuen Leute einstellen.

Man muss sehen, dass in dieser ganzen Krise der Häfen und der ganzen Weltlogistik sich alle eine goldene Nase verdienen außer der Verbraucher, der das über die Inflation zahlen muss. Die Reeder verdienen gigantisch, weil der Container Mangelware ist. Überall liegen volle Schiffe, die nicht bearbeitet werden können. Die Container-Dienste verdienen sich dumm und dämlich, weil sie in ihren Verträgen vereinbart haben, dass ein Container, der mehr als zwei Tage steht, Lagergeld kostet. Momentan stehen alle Container länger. Normalerweise wird so ein großes COSCO-Schiff in Tollerort in zweieinhalb Tagen bearbeitet. Wir schaffen es jetzt in fünf. Das letzte hat sechs gebraucht. Gerade steht ein 400-Meter-Schiff im Hafen – wir bräuchten zweieinhalb Tage mit normalerweise 6000 Bewegungen. Das ist ja fest getaktet. Jede Woche haben wir zwei oder drei COSCO-Schiffe. Jetzt liegen die halt ewig. Das nächste wartet wieder.

Früher wurde gesagt, wenn wir drei Tage dran gearbeitet haben, dann würde kein Reeder jemals mehr nach Hamburg kommen, weil wir viel zu unproduktiv sind. Jetzt rufst du bei COSCO an und sagst: »Es tut mir leid, wir werden wahrscheinlich wieder nicht fertig, weil wir gestern noch diese zwei Container hatten...« Früher konntest du das dem Kunden nicht antun.

Jetzt ist es so, dass erst 24 Stunden bevor das Schiff ankommt die Anlieferung freigeschaltet wird. Vorher konntest du immer anliefern – der Container war gepackt und er konnte aufs Terminal gestellt werden. Dann sind die Anlagen zusammengebrochen. Wenn Container zu lange auf der Anlage stehen, blockiert das die Produktivität – noch dazu gibt es Ladungen, die gar nicht abgeholt werden. Dann steht auch noch »Russland-Ladung« da, von der keiner weiß, wann wohin und wie. Das wird auch immer mehr. Keiner blickt mehr durch.

Die HHLA macht aber nicht nur mit der überdurchschnittlich langen Verweildauer der Container hohe »Lagergelderlöse«. Gleichzeitig ist die Güterbahntochter Metrans enorm profitabel – wo sie Lokführer ohne Tarifverträge beschäftigen. Mit dem Kerngeschäft Containerumschlag machen sie gerade hohe Verluste – deshalb bauen sie großen Rationalisierungs- und Automatisierungsdruck auf.

Was sagen die KollegInnen zur Automatisierung? Ist das auch ein Grund für die hohe Streikbereitschaft?

Ganz stark spüre ich das am Burchardkai, der in diesem Prozess der Umwandlung ist, wo genau diese Welt, in die man sich eingelebt hat – in der man sehr gut lebt –, in Gefahr ist, auch sehr abstrakt in Gefahr ist. Weil der Konzern nicht in der Lage ist, sein Projekt CTX zu erklären. Gerade erst haben sie wieder die Führungskräfte in Schulungsseminaren zusammengerufen und versucht, sie da zum xten Male drauf einzuschwören, wie wichtig, wie gut und wie sonst was alles das ist. Aber dieses Projekt schwirrt über den Köpfen, zunächst immer nur auf der Führungsebene. Darin steckt eine Bedrohung. Sie erzeugt diese Wut, diese Machtlosigkeit – dass dieser Konzern es nicht ermöglicht, aber auch nicht in der Lage ist, das genau zu präsentieren. Er kann gar nicht ausrechnen, wie viele Leute genau »überflüssig« oder ob überhaupt irgendwelche Leute »überflüssig« sind, weil er die ganze wirtschaftliche Lage völlig falsch eingeschätzt hat, wie schon so oft. Und in dieser Situation sind die Kollegen wahnsinnig frustriert.

Es ist auch schwer zu verstehen: Wer sind denn die Handlanger der Automatisierung? Die laufen überall rum, ständig neue Gesichter, studiert, schick angezogen, aber ganz anders als der Hafenarbeiter im schicken Hoodie: mit Zwirn! Man hat mittlerweile das Gefühl, dass solche Typen die Zukunft des ganzen HHLA-Konzerns steuern.

Von welchen Firmen sind die? Von Automatisierungskonzernen?

Das sind Angestellte der HHLA. Es sind IT-Kräfte. Die HHLA sucht IT-Kräfte ohne Ende, es gibt nicht genügend. Diese ganzen Probleme mit den Datenbanken usw. Überall brauchst du Leute, die das irgendwann beherrschen, alle diese Sachen funktionieren ja nicht. Auch diese Automatisierungssachen – da gibt es wieder hier ein Problem und da ein Problem und »ach, das haben wir nicht bedacht und das haben wir nicht bedacht und dies geht nicht…« Dafür brauchst du Leute, die das Know-How haben. Deshalb kaufen sie Start-Ups, die für irgendwelche Automatisierungssachen irgendwas entwickeln…

Die haben sogar ein funktionierendes System – das Blocklagersystem am CTA [Containerterminal ­Altenwerder]. Als sie das am Burchardkai einführen wollten, haben sie gesagt: »Ne, wir machen was Eigenes.« Dann haben sie zwei, drei Jahre gebraucht, bis sie überhaupt irgendwas zum Laufen gekriegt haben.

Ich nenn das mal »hanseatischen Größenwahn«, wo ständig irgendetwas Neues entwickelt werden muss. Es gibt immer einen, der sagt, er hat ne bessere Idee. Der kommt dann und das geht in die Hose – das kostet dann immer viel Geld. Oder der große Fetisch: das hochproduktive Terminal der HHLA, das seit eh und je produktiv ist – hochautomatisiert und state of the art – steht hinter der Köhl­brandbrücke. Und die großen Schiffe sind so groß, dass sie nicht unter diese Brücke durchpassen. Das hat die HHLA wieder super hingekriegt. Jetzt müssen die großen Schiffe auf unseren alten Anlagen gelöscht werden.

Eindrücke aus Hamburg von der größten Hafenarbeiterdemo seit 1978

Der erste Warnstreik in den norddeutschen Häfen Hamburg, Bremen, Bre­merhaven, Emden und Brake war am 9. Juni 2022 und dauerte viereinhalb Stunden. Der zweite am 23. Juni 24 Stunden. Laut ver.di haben sich über 8000 Beschäftigte beteiligt.

Das war schon eine beeindruckende Aktion, die die HafenarbeiterInnen da am Donnerstag Vormittag hingelegt haben. Ver.di‘s Hoffnung waren 3000 ArbeiterInnen zu der Streikdemo ab Sandtorkai. So viele mögen es auch gewesen sein, als die Demo pünktlich um 9 Uhr losging. Danach strömten allerdings aus allen Richtungen Leute dazu, am Ende waren es weit über 4000 hinaus.

Zu Beginn viel Pyro und bengalische Feuer und viele, viele ver.di-Fahnen. Über den Lautsprecherwagen wurde dazu aufgerufen, das sein zu lassen wegen Auflagen der Polizei. Ließ sich aber nicht durchhalten. Vor allem am Jungfernstieg (Einkaufsmeile der Besserverdienenden) und vor dem Hauptbahnhof krachte und nebelte es. Hier versperrte die Polizei mit einer Motorradkohorte und einer Hundertschaft den Demozug und drohte mit Auflösung.

An der Demo beteiligten sich auch ArbeiterInnen aus anderen Bereichen im Hafen, die tariflich ausgegliedert sind (Betriebshandwerker, Festmacher, deren Tarif aber nach den Streiks vom Frühjahr 2021 an den ver.di-Tarif »gebunden« sind). Es gab auch Westen mit Betriebsaufschriften, die mir nichts sagten. Viele Angestellte, die Rationalisierung befürchten.

Die Reden waren emotional sehr aufgeladen. Geschuldet anscheinend auch dem Erfolg der Masse. Den Organisatoren standen teilweise »die Tränen in den Augen«. Sie waren überfordert von ihrer Aufgabe, die Demo im Zaum zu halten, und der Spontaneität der Massen. Es war kein geordneter Demozug, sondern eine Masse, die sich durch die Straßen schob und, wenn es die Möglichkeit gab, den gesamten zur Verfügung stehenden Raum in Anspruch nahm, Fußwege und Gegenfahrbahnen.

Auf einer Zwischenkundgebung wurde darauf hingewiesen, dass das der größte Hafenarbeiterstreik seit 1978 sei. Er habe große Bedeutung auch für andere Bereiche, für die gesamte Logistik, wenn er denn erfolgreich sei. Er könnte ein Zeichen sein für einen Arbeiterwiderstand gegen die Inflation und gegen den Niedriglohn. Auf der Abschlusskundgebung sagte ein Vertrauensmann (welcher Betrieb weiß ich nicht mehr) dass »wir Arbeiter« ganz Deutschland lahm legen könnten und aus dem Niedriglohnland wieder ein Land mit anständigen Löhnen machen können (sinngemäß).

Sehr verbalradikal das alles. Für mich tauchte später die Frage auf, inwieweit der Warnstreik mit der doch kraftvollen Demo nicht doch auch nur ein Dampf ablassen gewesen sein könnte und ob die Hafenarbeiter tatsächlich die hochgesteckten Ziele (Inflationsausgleich) durchstreiken können, nur mit den ver.di-Vertrauensleutestrukturen in den Betrieben. Der Bundesfachbereich für die Häfen, der auch die Verhandlungen führt, ist sehr sozialpartnerschaftlich ausgerichtet und wurde in die Warnstreiks ­eher ­hineingetrieben von den konfliktbereiten örtlichen bzw. betrieblichen Gremien, die auch in den Tarifkommissionen sitzen.

Über den Hafenarbeiterstreik im Januar 1978 gibt es eine Broschüre der Gruppe »Alternative« – im Netz zu finden auf: www.mao-projekt.de

P.S.: Kurz vor Drucklegung hören wir, dass ver.di und der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe sich geeinigt haben. Rückwirkend ab 1. Juli 2022 steigt der Lohn in den »Vollcontainerbetrieben« um 9,4 Prozent; in den konventionellen und Stückgut-Hafenbetrieben um 7,9 Prozent. Ab 1. Juni 2023 um weitere 4,4 Prozent erhöhen; bei höherer Inflation bis zu 5,5 Prozent.

Von den 1,20 Euro pro Stunde für alle ist keine Rede mehr! Ver.di schließt genau dann ab, wenn die internationale Streikwelle an Fahrt aufnimmt!
Die Tarifkommission entscheidet am 5. September, dann die Mitglieder.

 
 
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