2023 liefen wichtige Streiks in den USA, darunter der Kampf der Schauspieler und Drehbuchautoren in Hollywood – der erste Streik gegen den Einsatz von KI – und der Streik der amerikanischen Autoarbeiter gegen die »Big 3« (General Motors, Stellantis, Ford).
Weltweit sei an den Massenstreik der Textilarbeiter in Bangladesch gegen das Geschäftsmodell globaler Textilkonzerne erinnert. Aber auch in der BRD kam es vor kurzem zu einem wilden Streik Hamburger Hafenarbeiter, und im Frühjahr und Sommer streikten auf der Raststätte Gräfenhausen zweimal asiatische Lastwagenfahrer, die unterste Schicht im europäischen Straßentransport.
Vor allem der UAW-Streik hat eine globale und branchenübergreifende Bedeutung. Er war ein Kampf gegen soziale Ungleichheit – und zwar gegen die soziale Ungleichheit zwischen Proletariat und Bourgeoise und innerhalb des Proletariats. Es ging vor allem gegen das »two-tier«-System, bei dem der Teil der Arbeiter, die vor 2007 eingestellt wurden, einen höheren Stundenlohn und viel bessere Kranken- und Pensionsversicherungsleistungen erhält. Die traditionellen US-Autokonzerne wollten die Umstellung auf Elektroautoproduktion genauso nutzen, wie sie die Krise 2008 genutzt hatten: zur Senkung der Lohnkosten und Aufspaltung der Arbeiter. Diesmal vor allem durch Ausgliederung der Batteriefabriken in gewerkschaftsfreie Gemeinschaftsunternehmen mit Elektronikkonzernen und kontinuierliche Kapazitätserweiterung in den Südstaaten.
Neben 38 Ersatzteillagern hat die UAW acht große Autofabriken bestreikt, in denen ausschließlich energiehungrige SUVs und Pickups gebaut werden. Nach sechs Wochen Streik hat sie sich Ende Oktober mit den »Big 3« auf einen vorläufigen neuen Tarifvertrag geeinigt.
Es war nicht der erste Streik, der das »two-tier«-System angriff, es ging schon im Sommer 2021 während der Pandemie los – wir sollten uns an die landesweiten Streiks gegen Kellogg's und dann gegen John Deere im »Striketober« erinnern (siehe hier). Spätestens ab da hat der jahrzehntelange Vormarsch der Unternehmer gestoppt und hat sich das Kräfteverhältnis zugunsten der Arbeiterklasse gedreht (auch wegen der Arbeitskräfteknappheit). Seitdem steigen die unteren Löhne in den USA überdurchschnittlich. Ein Viertel des Anstiegs der Ungleichheit seit den 1980ern wurde in den letzten drei Jahren rückgängig gemacht.
Der Abschluss im UAW-Streik setzt hier einen drauf – er reduziert die Lohnspaltung deutlich. Lohnerhöhungen und Wiedereinführung des Inflationsausgleichs (»cost-of-living-adjustment«) sollen für Beschäftigte aller drei Konzerne gelten. Auch die Anzahl der bezahlten Urlaubstage steigt. Für die Annahme des neuen Tarifvertrags bekommt jedes UAW-Mitglied eine Bonuszahlung von 5000 Dollar. Und die »Big 3« zahlen jedem Streikenden für jeden Streiktag 100 Dollar nach (wer gestreikt hat, bekam keinen Lohn, sondern pro Woche 500 Dollar Streikgeld von der UAW). Gewerkschaftsmitglieder, die während des Streiks gekündigt wurden, sollen ähnliche Nachzahlungen bekommen (während des Streiks wurden mehrere tausend Arbeiter nicht bestreikter Betriebe gekündigt, weil sie nichts mehr zu tun hatten; die meisten werden wieder eingestellt).
Allerdings wurde das »two-tier«-System nicht vollständig abgeschafft. Bisher bedeutete »two-tier«, dass alle, die nach 2007 eingestellt wurden – momentan ungefähr 70 Prozent der »Big 3«-Belegschaften – einen deutlich niedrigeren Einstiegslohn erhielten und durchschnittlich acht Jahre lang brauchten, um in die höchste Lohnstufe zu kommen. Hatten sie diese erreicht, dann bekamen sie zwar den höchsten Lohn, aber nicht die viel besseren Kranken- und Pensionsversicherungsleistungen der vor 2007 eingestellten. Der Abschluss bringt, dass neu eingestellte am Ende der Vertragslaufzeit statt durchschnittlich 18 Dollar durchschnittlich 30 Dollar die Stunde verdienen; die höchste Lohnstufe steigt von 32 auf 43 Dollar. Außerdem gibt es sofortige Lohnerhöhungen von elf (höchste Löhne) bis fast 90 Prozent (unterste Löhne). Das Erreichen der höchsten Lohnstufe wurde von acht Jahren auf drei verkürzt. Die Lohnspaltung wird am Ende der Laufzeit geringer sein. Die Versicherungsbeiträge für die schlechter gestellten Arbeiter steigen um ein Drittel, somit ergeben sich bessere Kranken- und Pensionsleistungen – aber noch immer nicht die gleichen wie für jene, die vor 2007 eingestellt wurden.
Der UAW-Vorsitzende Shawn Fain sagte nach der Einigung, dass »alle« Leiharbeiter mit mindestens 90 Tagen Betriebszugehörigkeit übernommen werden. Somit haben sie nicht nur höhere Löhne, sondern auch bessere Sozialversicherungs- und andere Leistungen. Es werden aber nicht »alle«, sondern nur die Vollzeit-Leiharbeiter fest eingestellt; die Mehrheit der Teilzeit-Leiharbeiter bleibt außen vor.
Eine wesentliche Errungenschaft ist, dass es nun legal wird, während der Vertragslaufzeit gegen Fabrikschließungen zu streiken. Stellantis hat sich bereit erklärt, eine geschlossene Fabrik in Illinois wieder zu eröffnen und dort mehr Leute als vorher einzustellen – dort soll ein Elektroauto gebaut und eine Batteriefabrik dran gebaut werden, die unter den UAW-Tarifvertrag fällt.
Am weitesten kam die UAW mit General Motors. GM stimmte zu, dass die ausgelagerten Batteriefabriken – drei Gemeinschaftsfabriken mit LG und eine mit Samsung – in den UAW-Vertrag eingegliedert werden – ohne vorher darüber abzustimmen, also ohne Chance auf »union busting«, damit eine Mehrheit dagegen stimmt.
Klassenpolitisch vielleicht noch wichtiger ist, dass sich die UAW nun einerseits direkt mit Unternehmern anlegt, die Gewerkschaftsorganisierung auf keinen Fall dulden: mit den ausländischen Autokonzernen, die in den Südstaaten ihre Fabriken bauen. Andererseits vor allem aber mit Tesla – kein anderes Unternehmen auf der Welt verkörpert den aktuellen Kapitalismus aggressiver: ein libertärer, gewerkschaftsfeindlicher und Prozess- und Produktsicherheit ignorierender Patriarch klaut Ideen und greift Subventionen ab. Musk bewirbt seine Produkte als High-Tech und klimaschonend, dabei ist genau das Gegenteil der Fall. In Deutschland und in Schweden fanden erste direkte Aktionen gegen Tesla statt – in Deutschland eine Aktion der IG Metall mit 1000 Arbeitern für mehr Arbeitssicherheit und höhere Löhne. In Schweden streiken Servicetechniker in den Tesla-Werkstätten und Arbeiter im Hafen, die die Teslas vom Schiff entladen. Mittlerweile haben sich Post- und Reinigungsarbeiter sowie Arbeiter eines Aluminiumzulieferers angeschlossen, der Teile in die deutsche Fabrik in Grünheide liefert.
Die UAW hat das Ende der Vertragslaufzeit so vereinbart, dass andere Gewerkschaften ihre Verträge zur gleichen Zeit enden lassen können – am 30. April 2028. Fain propagiert für den 1. Mai 2028 einen branchenübergreifenden Streik. Die Sprache ist eine andere als in den letzten Jahren. Er sagt: »Wir haben den Unternehmen, der amerikanischen Öffentlichkeit und der ganzen Welt gezeigt, dass die Arbeiterklasse mit dem Kampf noch nicht fertig ist. Wir haben gerade erst angefangen.«
Das sehen auch viele Arbeiter so. Zum Beispiel haben in zwei der bestreikten Großfabriken – Jeep Toledo (Stellantis) und Ford Kentucky – 55 Prozent der Belegschaft gegen den neuen Tarifvertrag gestimmt, weil sie der Meinung sind, dass mehr drin ist.
Insgesamt haben zwei Drittel der Gewerkschaftsmitglieder bei Ford und zwei Drittel bei Stellantis für die Annahme des Vertrags gestimmt. Bei General Motors waren 55 Prozent dafür.
»Wenn wir 2028 an den Verhandlungstisch zurückkehren, dann werden wir es nicht nur mit den Big 3 zu tun haben, sondern mit den Big 5 oder 6«, kündigt Fain an. »Wenn wir es wirklich mit der Klasse der Milliardäre aufnehmen und die Wirtschaft so umgestalten wollen, dass sie zum Nutzen vieler Menschen funktioniert, ist es wichtig, dass wir nicht nur streiken, sondern dass wir gemeinsam streiken.«
Das zielt auf die Autoarbeiter in den Südstaaten (sowie in Mexiko) und bei Tesla. Schaffen es die Automultis weiterhin, Streiks durch Paternalismus zu vermeiden? Toyota hat einen Tag nach dem UAW-Abschluss angekündigt, die Löhne in seinen nicht gewerkschaftlich organisierten Südstaaten-Fabriken in Alabama und Kentucky um neun Prozent zu erhöhen. Ab 1. Januar 2024 soll der höchste Lohn für Produktionsarbeiter in Alabama 32 Dollar betragen, in Kentucky 34,80 Dollar. Danach folgten alle anderen Automultis mit Werken in den Südstaaten: Volkswagen meldete für seine Fabrik in Chattanooga elf Prozent Lohnerhöhung, genauso wie Honda. Nissan meldete zehn Prozent und Hyundai 25 Prozent bis 2028. Die umfassenden Sozialversicherungsleistungen der »Big 3« bieten sie aber nach wie vor nicht.
Im Folgenden der Artikel aus der neuen Wildcat 112, in dem wir über die – zeitlich gesehen – erste Hälfte des Streiks berichten.
Am 15. September begann die US-Autoarbeitergewerkschaft United Auto Workers (UAW) den Streik für einen neuen Tarifvertrag für ihre 146 000 Mitglieder bei Ford, General Motors und Stellantis. Der alte war am 14. September ausgelaufen. Eine der korruptesten und unternehmerfreundlichsten Gewerkschaften der Welt erhebt kräftige Forderungen und organisiert zum ersten Mal in der Geschichte einen Streik gleichzeitig bei allen drei Automultis!? Dass der in einem neuen Wahlmodus »basisdemokratisch« gewählte neue UAW-Boss Shawn Fain sich gerne kämpferisch gibt, dürfte als Erklärung zu kurz greifen. Wut an der Basis über Reallohnverluste, die Verunsicherung aufgrund der technologischen Entwicklung durch KI und Elektroauto schon eher. Und außerdem streiken in den USA doch sowieso grad alle!
Die Autoindustrie wurde bald nach ihrer Entstehung zu einer entscheidenden Front im Klassenkampf und in der kapitalistischen Entwicklung. Heute ist die Umstellung auf Elektroautos eine entscheidende Weichenstellung für den »grünen Kapitalismus«. Sie ist politisch und wirtschaftlich motiviert, nicht ökologisch. Elektroautos sind nicht sauberer oder gar sicherer als Verbrenner. Sie sind schwerer, kosten mehr und gaukeln den Fahrern vor, dass sie mit ihren automatischen Systemen von selbst fahren. Aktuell kam raus, dass Elon Musks »full self driving« ein gefährlicher (und teurer!) Fake ist.1 Und in der neuen Tesla-Fabrik in Grünheide passieren drei Mal so viele Arbeitsunfälle wie etwa bei Audi Ingolstadt. Seit der Inbetriebnahme im März 2022 kam es zu 26 Umwelthavarien, und 247 Mal wurde 2022 ein Rettungswagen oder ein Hubschrauber angefordert. Darauf angesprochen sagte der große Tesla-Fan und Brandenburger Ministerpräsident Woidke, ihm sei das »nicht unbekannt«, aber er wäre nicht »der Sprecher von Tesla«.2 Solang die Wirtschaft läuft…
Das Elektroauto ist ein Vorwand für massive Subventionen an die Autokonzerne – und ändert nichts am katastrophalen Individualverkehr. Mitte des Jahres hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (sic!) beschlossen, die Zuschüsse für Käufer von Elektroautos von 2,1 auf 2,5 Milliarden zu erhöhen – denn die Verkäufe waren zurück gegangen. Welche ökologischen Folgen eine Batteriefabrik mit sich bringt, haben viele im niederbayerischen Straßkirchen noch nicht verstanden, die mit klarer Mehrheit für BMW und sein Bauvorhaben auf gutem Ackerboden gestimmt haben.
Die etwas billigeren Elektroautos aus China dienen als zusätzliches Argument beim Angriff auf die Autoarbeiter in Europa. Sehr klar Stellantis-Chef Carlos Tavares: »Deutschland ist derzeit der teuerste Ort der Welt, um Autos herzustellen.« Die Produktionskosten seien hier viermal so hoch wie in Süd- und Osteuropa (FAZ, 28.4.23). Das hinderte Daimler, BMW, Volkswagen und auch Stellantis3 nicht daran, in den letzten Jahren Rekordprofite einzufahren.
Die UAW hat im wesentlichen drei Forderungen4: 40 Prozent Lohnerhöhung verteilt auf vier Jahre; Abschaffung des Zwei-Klassen-Lohnsystems; Wiedereinführung der Anpassung der Löhne an die Lebenshaltungskosten. Dieses »cost-of-living-adjustment« (COLA) hatten die Arbeiter in den 1940ern erkämpft, es wurde 1950 im »Vertrag von Detroit« abgesichert. In der Krise 2008/09 gab es die UAW zur »Rettung« der Autokonzerne auf und stimmte gleichzeitig dem »two-tier«-Lohnsystem zu. Dieses sieht für gewerkschaftlich organisierte neu eingestellte Arbeiter niedrigere Stundenlöhne, schlechtere Sozialleistungen und Versicherungen vor; sie werden nie das Niveau der früher Eingestellten erreichen.
Daneben gibt es noch zwischen drei und zwölf Prozent Leiharbeiter in den Autofabriken. Ihre Löhne liegen auf dem Niveau von Fast-Food-Beschäftigten in Detroit oder Kalifornien: 18-20 Dollar, während gewerkschaftlich organisierte Festangestellte über 30 Dollar die Stunde verdienen.
Die Streiks finden in den gewerkschaftlich organisierten Werken statt, die sich vor allem im Mittleren Westen befinden. Dort arbeiten heute 45 Prozent aller Autoarbeiter, 1990 waren es noch 60.
Seit den 1990er Jahren wurden neue Autofabriken vor allem in den Südstaaten errichtet – heute arbeiten dort 30 Prozent aller Autoarbeiter, 1990 waren es erst 15 Prozent. Die meisten von ihnen sind nicht gewerkschaftlich organisiert. In den Südstaaten liegen die Löhne mindestens ein Drittel unter dem nationalen Durchschnitt. Die meisten neuen Batteriefabriken für Elektroautos werden dort gebaut, GM, Ford und Stellantis werden sie als Jointventures mit ausländischen Konzernen betreiben.5 Somit unterliegen sie erst mal keinem Tarifvertrag – für die UAW hängt viel davon ab, dass sie in diese Betriebe reinkommt. Um das zu verhindern, hat Ultium Cells (GM und LG) in der neuen Batteriefabrik in Tennessee die Löhne bereits vor dem Streik um 25 Prozent erhöht. Aber auch jetzt bekommen die 1100 Arbeiter nur zwischen 20 und 24 Dollar die Stunde.
Während die Arbeiter seit der Krise 2008 Reallohnverluste erlitten, haben sich die Automanager in den letzten Jahren Rekordprämien ausbezahlt. 1978 verdiente ein Auto-CEO in den USA ungefähr 60 mal so viel wie der durchschnittliche Autoarbeiter. Mary Barra verdiente 2022 mehr als 400 mal so viel.6
Seit der Krise 2008 haben die drei großen US-Autokonzerne ihren Aktionären 85 Milliarden Dollar ausbezahlt. Davon kamen 33 Milliarden aus Aktienrückkäufen – die Konzerne haben das Geld nicht investiert, sondern in ihre eigenen Aktien gesteckt, damit sie ihre Aktionäre mit Geld zuschütten können. Aktienrückkäufe waren bis 1982 verboten, im Zuge des US-Subventionsprogramms (»Inflation Reduction Act«) wurde 2023 eine Ein-Prozent-Steuer darauf eingeführt.
Es ist lächerlich, wenn die Autokonzerne heute behaupten, sie hätten kein Geld für Lohnerhöhungen, weil sie es in den Umbau auf Elektroautoproduktion stecken müssen. Sie bekommen für die angekündigten 100 Milliarden Investitionen, mit denen bis 2023 1200 Gigawattstunden Batteriekapazitäten aufgebaut werden, zig Milliarden Subventionen.7 Das würde – so rechnet man aktuell – reichen für 18 Millionen Elektroautos Jahresproduktion. Hier entstehen völlig irre Überkapazitäten. In den letzten Jahren wurden nicht annähernd so viele Autos in den USA abgesetzt (und erst recht nicht exportiert).
Den Streik begannen knapp 13 000 Arbeiter in drei Montagewerken, einem von GM, einem von Ford und einem von Stellantis (dem Jeep-Werk in Toledo). Eine Woche später folgten 5000 Arbeiter in 38 Ersatzteilzentren von Stellantis und GM. Eine weitere Woche später folgten die 7000 Arbeiter von GM Lansing/Michigan und der Fabrik für die Ford Bullenwagen im Süden von Chicago. Ende September befanden sich also 25 000, 17 Prozent der 146 000 Gewerkschaftsmitglieder im Streik.
UAW-Chef Shawn Fain nennt diese Taktik »Stand-up-Strike«, im Unterschied zu den »Sit-down-Strikes« der 1930er. Der Sit-down-Streik war ein Massen- und Besetzungsstreik. Der Stand-up-Streik soll den Unternehmern signalisieren, dass der Druck durch sukzessive Ausweitung des Streiks auf andere Betriebe jederzeit erhöht werden kann. Er signalisiert aber auch, dass die UAW völlige Kontrolle darüber hat, wer wann streikt. Aus vielen Belegschaften wird berichtet, dass es Unverständnis für diese Taktik gibt, wo doch 97 Prozent für Streik gestimmt haben und die Bahn eigentlich frei wäre für einen Massenstreik oder einen Streik in Werken, von denen alle anderen abhängen: zum Beispiel Motorenfabriken oder das Montagewerk GM Arlington bei Dallas, wo die profitabelsten SUV zusammengebaut werden und wo 35 Prozent aller Profite GMs herkommen.
Viele Arbeiter der nicht bestreikten Betriebe verweigern Überstunden – sie nennen das »Eight and Skate« (acht Stunden arbeiten und dann abschlittern). Bei der aktuellen Arbeitskräfteknappheit und der starken Auftragslage, wo die meisten Werke an den Wochenenden durchlaufen, ist das für die Unternehmer deutlich spürbar.
Einen Tag nachdem Präsident Biden einen Streikposten besucht hatte, agitierte Donald Trump gegen Elektroautos vor ein paar hundert Arbeitern, die »Union Members for Trump« und »Auto Workers for Trump«-Schilder hochhielten – in einer Fabrik im Macomb County, wo 1984 Arbeiter, die immer demokratisch gewählt haben, zum ersten Mal für einen Republikaner – Ronald Reagan – gestimmt hatten. Dort werden Teile produziert, die man für Elektroautos nicht mehr braucht. Die Fabrik ist nicht gewerkschaftlich organisiert, die Leute mit den Gewerkschaftsschildern waren keine Gewerkschaftsmitglieder und die mit den »Auto Workers«-Schildern keine Autoarbeiter.
Weitere Reaktionen auf den Streik: Ford hat den Bau einer 3,5 Milliarden Dollar Batteriefabrik in Michigan – ein Jointventure mit CATL aus China – gestoppt. Tesla baut die nächste Fabrik sowieso im Norden von Mexiko, ebenso wie viele andere Autokonzerne. Die Investitionen in Mexiko sind auf Rekordhöhen (was nicht nur den zunehmenden Streiks in den USA geschuldet ist, sondern auch dem Konflikt mit China – westliche Konzerne investieren jetzt lieber in Mexiko als in China, und auch chinesische Unternehmer bauen in Mexiko Fabriken, um gegen weitere Sanktionen vorzusorgen und ihre Produkte »weniger chinesisch« zu machen). In Mexikos Zulieferindustrie gab es 2019 und 2020 viele Streiks, die die Löhne und damit die Arbeitskosten erhöht haben. Sie liegen allerdings noch immer deutlich unter denen in den Südstaaten.
Aber auch dort laufen immer mehr Streiks – zum Beispiel aktuell in Alabama beim Zulieferer ZF, der für die nahe Mercedes-Fabrik Achsen produziert. 100 Arbeiter streiken gegen das Zwei-Klassen-Lohnsystem. Sie sind zwar in der UAW organisiert, legen aber unabhängig vom größeren Tarifkonflikt gegen GM, Ford und Stellantis die Arbeit nieder.
Beide Streiks liefen beim Schreiben dieses Artikels noch. Der UAW ist jedenfalls nicht zu trauen.
[1] Jonas Rast: Wie Elon Musks Mär vom autonomen Fahren zusammenbricht, Manager-Magazin, 20. Juli 2023
[2] Offenbar auffällig viele Arbeitsunfälle in Teslas deutscher Fabrik, Spiegel.de, 28. September 2023
[3] Entstand 2021 bei der Fusion von FiatChrysler, Peugeot-Citroen und Opel.
[4] Auf ihrer Website stehen alle, es geht auch um höhere Renten, Abschaffung von Leiharbeit, Recht auf Streik bei Fabrikschließungen usw.: www.uaw.org/uaw-auto-bargaining
[5] Insgesamt – von allen globalen Autokonzernen zusammen – entstehen 15 Batteriefabriken in den Südstaaten, 12 im Mittelwesten, je eine in Arizona, Kalifornien und Nevada sowie zwei in Kanada. Ford baut drei im Jointventure mit dem südkoreanischen Unternehmen SK On. GM baut drei mit LG, eine mit Samsung und eine weitere. Stellantis baut zwei mit Samsung. Daneben bauen auch noch BMW, Honda, Hyundai, Mercedes, Tesla, Toyota, VW, Volvo sowie neben Jointventure Fabriken auch noch eigene: AESC, Gotion, LG, Northvolt, Our Next Energy, Panasonic, SK, Redwood Materials.
[6] 2022 verdiente GM-Chefin Mary Barra 29 Millionen Dollar; ihre Bezahlung war von 2017 bis 2022 real um elf Prozent gestiegen, der durchschnittliche GM-Arbeiter hatte zehn Prozent verloren. Tavares von Stellantis: 25 Millionen, plus 29 Prozent. Die Arbeiter minus 20 Prozent. Bei Ford stieg die Bezahlung des CEO erst wieder ab 2020; 2022 verdiente er 21 Millionen – aber die Arbeiter haben ein noch größeres Minus als bei GM und Stellantis.
[7] Sie bekommen pro installierter Kilowattstunde Batteriekapazität 35 Dollar Subventionen in einer Zellfabrik, zehn Dollar in einer Batteriemodul-Fabrik und zehn Prozent Kostenersatz für die Produktion von Kathoden- und Anodenmaterial. Eine Zelle besteht aus einer Kathode und Anode. Mehrere Zellen werden zu einem Modul verbaut.Für 1200 Gigawattstunden wären das mindestens 42 Milliarden Dollar Subventionen. Der Inflation Reduction Act sieht mehrere hundert Milliarden Dollar Subventionen für den »grünen Kapitalismus« vor.