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24.12.2024

aus: Wildcat 114, Winter 2024

Hallo,
Heute ziehen wir einen weiteren Faden aus dem Editorial der Wildcat 114 raus: den Zusammenhang zwischen stockender Produktivitätsentwicklung und drohendem gesellschaftlichem Rückschritt. Belege und Quellen findet Ihr im Heft.

Vom PC zur KI

Seit vielen Jahrzehnten definiert das Silicon Valley, was »Fortschritt« ist. Aber Apple hat sich nicht durchgesetzt, weil es ein »besseres« Produkt hatte, sondern weil Steve Jobs zeigte, »dass man Computer auch ohne Gewerkschaften herstellen kann«. Genauso wenig steht die »Technologie-Offenheit« der FDP für gesellschaftlichen Fortschritt, sondern fürs Gegenteil.

Computer, Internet und Smartphones haben stark verändert, wie wir arbeiten und leben. Einerseits ermöglichen sie uns Dinge, die vorher undenkbar schienen. Andererseits arbeiten wir heute im Durchschnitt länger und prekärer, in den USA ist die Lebenserwartung rückläufig, die soziale Ungleichheit wird immer krasser. In der Wildcat 114 versuchen wir, die stockende Produktivitätsentwicklung mit dem ausbleibenden Fortschritt bzw. der sogar rückläufigen gesellschaftlichen Entwicklung zusammenzubringen. Von interessierten Kreisen wird immer wieder »lahmende Digitalisierung« als einer der Gründe für die aktuelle Stagnation angegeben – dabei lässt sich empirisch nachweisen, dass nicht ihr »Lahmen«, sondern die Digitalisierung selber, wie sie seit Mitte der 60er Jahre vorangetrieben wird, einer der Gründe für die (kapitalistische) Stagnation ist. Unter anderem, indem sie immer mehr Arbeitsplätze in Bürokratie und Controlling schafft. Joseph Weizenbaum, einer der großen Pioniere und später Kritiker der »künstlichen Intelligenz«, sagte 1985, die Erfindung des Computers habe vor allem die bestehenden Verhältnisse gerettet.

1965 hatte Gordon Moore seinen Investoren eine jährliche Verdopplung der Rechenleistung pro Chip versprochen. Wenige Jahre darauf gründete er das Unternehmen Intel, das aus »Moore’s Law« sein Mantra machte. Von den 1980er Jahren bis zum Dotcom-Crash im Jahr 2000 dominierte das Duopol Intel / MicroSoft den Computermarkt. Mit dem aktuellen Absturz von Intel könnte diese Phase von kapitalistischer Stagnation einerseits, Superprofiten einzelner Unternehmer andererseits an ein Ende kommen – oder mit dem aktuellen »KI«-Hype in eine neue, geradezu tödliche Phase verlängert werden.

Massiver Angriff auf allen Ebenen

KI ist ein Brecheisen für alles: mehr Überwachung, schlechtere Löhne, erneute Durchsetzung der Atomkraft. Am 21. Dezember meldete SpOn: »Javier Milei setzt auf Atomkraft für künstliche Intelligenz«. Auch er will die Rechenzentren mit Mini-AKWs betreiben. Diese sind noch unrentabler als die großen AKWs und sie produzieren mehr Atommüll. Aber: Man spart massiv an der Sicherheit, ist ja nicht so schlimm, wenn ein kleines AKW hochgeht! Auch dieses Geschäftsmodell von Elon Musk – ungetestete Geräte auf die Menschheit loslassen – breitet sich mit der aktuellen KI weltweit aus. Die KI potenziert die Überwachung, automatisiert die Kriegführung, perfektioniert Verkaufsstrategien.

Von Anfang an verursachte die Computer-Industrie große ökologische Probleme. Wie gefährlich die Halbleiterproduktion ist, haben wir schon vor 40 Jahren in der Karlsruher Stadtzeitung 34 (Januar 1985) beschrieben: »Zahlreich arbeiten in der Produktion die Töchter migrantischer Landarbeiter, die einst Gemüse und Obst im Valley pflanzten, ernteten und zu Konserven machten. Heute sind die meisten dieser Felder asphaltiert und die Konservenfabriken niedergerissen. Eine neue Generation von Produktionsarbeitern schafft in fluoreszierenden Treibhäusern, inmitten von Gasen und Chemikalien, die sie vergiften, und mit ihnen die Wasservorräte, die früher Gemüse und Obst hervorbrachten. ... Diese Belastungen haben bei den Arbeitskräften in der Halbleiterfertigung zu einer Berufskrankheitsquote geführt, die dreimal so hoch ist wie im Durchschnitt der Industriearbeiter.«

Die Herstellung der Chips hat sich seither kaum geändert, sie wurde nur nach Asien verlagert. Und konsequenterweise ist heute China sehr gut darin, all diese Modelle aus dem »Silicon Valley« zu kopieren und zu überbieten.

Auch die aktuelle KI ist nicht wirklich neu. Ihre auf statistischen Verfahren beruhenden Algorithmen sind mehrere Jahrzehnte alt. Die Faszination einer »denkenden und mitfühlenden Maschine« erzeugte schon Eliza Mitte der 60er Jahre. Im Gegensatz zu Eliza sind die heutigen Chatbots aber darauf trainiert, diese Faszination zu erzeugen und auszunutzen. Und vor allem haben Facebook, Google, Microsoft usw. heute genug Kapital, Rechenpower und Daten, um einen neuen Hype anzuschieben. Nachdem sie die Welt mit Handies zugeschissen hatten und in fast jedem Ding bereits Chips stecken, erzeugte der KI-Hype die nächste noch gewaltigere Nachfrage nach Chips. Die KI braucht dermaßen viel Rechenleistung, dass etwa Googles und Microsofts Ausstoß von Treibhausgasen in den letzten drei Jahren jeweils zweistellig gestiegen ist. Der Strombedarf ihrer Rechenzentren kann nur mit Atomenergie sichergestellt werden. Auch ihr Bedarf an Trinkwasser ist immens. Billionen Dollar in die Weiterentwicklung der KI zu stecken, ist eine Art »assistierter Selbstmord« am Planeten: Bergbau für seltene Erden, hochgiftige Gase, gewaltiger Strom- und Wasserverbrauch, jetzt noch atomare Abfälle….

Grenzen und Krise

Der Ausbau der KI stößt an drei Grenzen: Rohstoffe & Müll, veraltete Architektur, fehlende Profite.

Ihr Strom- und Wasserverbrauch ist immens. Die immer größeren Modelle werden auch deshalb unzuverlässiger, weil ihnen das Trainingsmaterial ausgeht. Denn dafür gibt es auf der Welt einfach nicht mehr genug von Menschen erzeugte Daten. Mit synthetischen Daten trainiert, werden sie aber dümmer.1

Noch größere Sprachmodelle sind nicht unbedingt zuverlässiger, sondern manchmal auch das Gegenteil. Und sie tendieren dazu, sich mit größerem Nachdruck auf ihre Fehler zu versteifen. Das ist ein konzeptionelles Problem der aktuellen KI, das mit Größe nicht wegzukriegen ist.2

Kleinste Fortschritte von KI-Modellen müssen zunehmend teuer erkauft werden. Noch stecken die Tech-Konzerne gigantische Summen in den Ausbau der KI-Infrastruktur aus Angst, etwas zu verpassen und damit sie ihre bisherigen Investitionen nicht schon jetzt abschreiben müssen.

An Ergebnissen können sie bis jetzt aber nur vorweisen: Abos für »Companion«-KI-Modelle verkaufen sich sehr gut. Denn Einsamkeit ist eins der größten sozialen Probleme. Zweitens: KI-Modelle beschleunigen die Arbeit von Programmierern (um den Preis, dass tendenziell längerer Code geschrieben wird). Und drittens haben sie Fortschritte bei der Sprachbearbeitung gemacht (Übersetzen, Gesprochenes verschriftlichen u. dgl.). Die große Hoffnung auf Zukunftsmärkte ist außerdem, dass jeder Konsument einen KI-Assistenten nutzt, der seine Präferenzen kennt und schnell das »beste« Angebot findet (für wen auch immer »beste«).

Selbst der Investmentbank Goldman Sachs, die noch vor wenigen Jahren zu den größten Antreibern der KI gehörte, ist das zu wenig. Sie zog im Sommer 2024 öffentlich die Reißleine: Auch 18 Monate nach der Veröffentlichung von ChatGPT gebe es »keine einzige wirklich umwälzende Anwendung, erst recht keine rentable«. Wir sind im nächsten KI-Winter, eine Phase der Stagnation, wie es sie in der Geschichte der KI schon mehrfach gab.

Trump

Genau deshalb kommt im Sommer 2024 Trump ins Spiel. Leute wie Thiel, Musk und all die anderen Milliardäre, die heftig in KI investiert haben, brauchen Deregulierung, direkten Zugriff auf Ressourcen, staatlich finanzierten Ausbau der KI-Infrastruktur und große Regierungsaufträge, sonst sind ihre Milliardeninvestitionen futsch. Sohn-Rethel kommt einem in den Sinn, der den Drang des deutschen Kapitals zum Nationalsozialismus anhand seiner hohen organischen Zusammensetzung zu erklären versuchte. (»Ökonomie und Klassenstruktur des deutschen Faschismus«)

Auch Henry Ford tendierte in den 30er Jahren zum Nationalsozialismus – erst die Arbeiterkämpfe haben ihn in eine andere Richtung gedrückt (siehe die U2 im Heft)! Heute stehen Trump, Musk und ihre Bande für Barbarei und gesellschaftlichen Rückschritt. Mit devoter Unterwürfigkeit umworben von Lindner, Weidel, Meloni u.a.

Fußnoten

[1] siehe z.B. Shumailov, I., Shumaylov, Z., Zhao, Y. et al., AI models collapse when trained on recursively generated data., Nature 631, 755–759 (2024)

[2] siehe z.B. Zhou, L., Schellaert, W., Martínez-Plumed, F. et al., Larger and more instructable language models become less reliable., Nature 634, 61–68 (2024)

 
 
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