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Nach großangelegten Massenentlassungen in der Radio- und Fernsehproduktion wurden in den letzten eineinhalb Jahren z.T. von denselben Firmen ca. 50 000 Neueinstellungen vorgenommen. Unter den Neuen sind außer Facharbeitern und Technikern erstmals wieder sehr viele junge Frauen, die (in der Sprache des Kapitals) »ungelernt« sind und für diese Arbeit »angelernt« werden. Die Fabriken werden zu einem Sammelbecken von jungen Frauen aus den verschiedensten Bereichen und mit den unterschiedlichsten Arbeitserfahrungen.
War die Kapitalstrategie Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre die Auslagerung der Montagearbeit in »Billiglohnländer« im Fernen Osten, so holen heute die deutschen Kapitalisten zunehmend Teile der Elektronikproduktion zurück in die Metropole. Die Schwierigkeiten, die das Kapital hier in den 70er Jahren mit den Arbeiterkonzentrationen der großen Fabriken hatte, sind bekannt. Wenn nun Mitte der 80er Jahre neue Montagezentren errichtet werden, um Computer, Steuerungs- und Automatisierungssysteme zu produzieren, ein Sektor, der gerade boomt, dann geht es darum, eine neue Stufe produktiver Kooperation durchzusetzen in einer neu zusammengesetzten Fabrik.-Hinzu kommt: die hohe Frauenarbeitslosigkeit erlaubt es den Betrieben, sehr niedrige Löhne durchzusetzen.
Wir wollen zeigen, wie REFA-Ingenieure den zentralen Punkt aller elektrotechnischen Fabriken, die Leiterplattenproduktion, neu strukturiert haben, um alles Arbeiterinnenverhalten auszuschalten, das nicht auf höchstmögliche Produktivität ausgerichtet ist.
In der Elektronikproduktion geht es grob um folgende Arbeitsschritte bzw. »Produktionsbereiche«: Bauteil (z.B. Chip-)-Produktion, Leiterplattenätzung- und Bohrung, Bestücken und Löten zu »Flachbaugruppen«, Prüffeld, Gerätemontage. Die Flachbaugruppen sind die Kernstücke der Geräte. So gut wie jeder größere Elektronikbetrieb in der BRD stellt selbst Flachbaugruppen her. Zum größten Teil handelt es sich dabei um die manuelle Montage von mehreren hundert Teilen, die oft aus Zulieferfabriken in aller Welt kommen.
Viele Bauteile sind fehlerhaft, bei der Montage kommen nochmal viele Fehlermöglichkeiten hinzu, die nicht so ohne weiteres zu erkennen sind. Deshalb ist bei der Produktion hinter jeden Montageschritt ein Kontrollschritt einBe bis hin zur Endprüung der ganzen Geräte. Andererseits sind Fehler fast immer reparabel, d.h. eine Flachbaugruppe ist nur selten Schrott, die meisten Fehler können behoben werden durch den Austausch von Teilen oder erneuerte Lötungen behoben. Das Bestücken und Löten und die Montage der ergänzenden Teile (Stecker, Kabel, Frontplatte) kann mit relativ rn Werkzeugen an einem Montagetisch gemacht werden. NC-gesteuerte Bestücktische, die das nächste Bauteil und den Einbauplatz durch einen Lichtpunkt anzeigen, und automatische Lötbäder verkürzen die Produktionszeit. Die Arbeit eignet sich sehr gut zum Auslagern, was auch traditionell so gemacht wird (»verlängerte Werkbänke« in Dörfern bis hin zur Heimarbeit; Entlastungsaufträge gehen in gleich ausgestattete Werke).
In den letzten Jahren wurde die Entwicklung von Automaten und Robotern vorangetrieben, die im wesentlichen bei der Bestückung von Leiterplatten in großen Serien oder für das Teilbestücken mit gängigen Bauteilen eingesetzt werden. Bestückungsmaschinen, die wie ein Roboter arbeiten und unterschiedlichste Teile verarbeiten können, also auch für kleine Serien geeignet sind, werden erprobt. Gerade für die Weiterverarbeitung der teilbestückten Platten, die Vor-und Endmontage wird aber die Handarbeit weiterhin eine große Rolle spielen - zum einen aus Kostengründen (traditionell Frauenarbeit), zum andern zur Gewährleistung der Qualität. Vor allem dort, wo kleine Serien und sehr unterschiedliche Platten produziert werden, also gerade in den strategischen Bereichen der gegenwärtigen kapitalistischen Innovation: Computerindustrie, Automatisierungssysteme mit vielen Varianten, kann die notwendige Flexibilität nur durch eine hochgetriebene produktive Kooperation erreicht werden, die die Kapitalisten gegen das bisherige Verhalten der Arbeiterinnen durchsetzen müssen. Das traditionelle »Verrichtungsprinzip«, bei dem jede Arbeiterin »ihre Arbeit« hat, erfordert viele Zwischenlager; die Arbeiten werden hintereinander im Auftragssystem von speziellen Bestückerinnen, Montiererinnen und Fertiglöterinnen erledigt, längere Lagerzeiten sind dabei unvermeidlich. Vor allem bei kleinen Serien und vielen unterschiedlichen Bearbeitungszeiten führte dieses System zu andauernden »Stockungen«. Ein anderes Problem ist die hohe Fehlerquote: sie kann nur gesenkt werden, wenn es gelingt, das Prinzip der Arbeiterinnen zu durchbrechen, nur ihre eigene Arbeit zu machen. Hier setzen die Arbeitswissenschaftler an. Auf einer Tagung vor einem Jahr haben sie herausgestrichen, wie ihr Modell die Qualitäts- und sonstigen Probleme der Kapitalisten vor allem durch eine stärkere Einbindung der Arbeiterinnen lösen soll. In Anlehnung an die Projekte zur »Humanisierung der Arbeitswelt« reden sie von einer »höheren Arbeitszufriedenheit« der »Mitarbeiterinnen« durch »Höherqualifizierung«. Damit meinen sie, daß die Arbeiterinnen alle Arbeiten in der Fertigung beherrschen sollen, bei jedem Produktionsschritt schon an den nächsten denken, sich »zuarbeiten« und möglichst noch die Kollegin auf ihre Fehler aufmerksam machen. Nur so kann ein Teil in einer kleinen Serie ebenso billig gefertigt werden wie in Groß3serie: aber die Kleinserie und damit der häufige Arbeitswechsel muß erst gegen die Arbeiterin durchgesetzt werden, deren Interesse es in erster Linie ist, ihren Akkord zu halten.
Als unmittelbare Ziele ihres Konzepts geben die REFA-Ingenieure an: schnellerer Werkstattdurchlauf, höhere Typenvariation, entscheidend niedrigere Fehlerquote. In Zahlen ausgedrückt bedeutet das weniger Kosten für Sprin- er, Dispositionsarbeiten, Zwischenlager. Die Produktivität der Arbeit soll gesteigert werden über die Durchsetzung eines höheren Grades an Kooperation der Arbeiterinnen untereinander.
Dazu soll die gesamte Flachbaugruppenproduktion als integraler Prozeß organisiert werden, d.h. Produktion und Kontrolle sollen immer mehr eine Einheit bilden. Dazu lösen sie die alten »Bereiche« auf und setzen die Frauen zu zehnt oder zwöllft in sogenannten »BLUME«Gruppen zusammen. Dieser Name, der wohl speziell das weibliche Gemüt ansprechen soll, bedeutet »Bestücken, Löten und Montieren als Einheit«. Die Montagetische der Frauen werden zusammengerückt, dazu kommen noch zwei oder drei halbautomatische Bestücktische am Förderband zum Lötbad.
Die Platinen werden nun mit einem Automaten »vorbestückt«, dann von den Frauen einer Gruppe kontrolliert und bis zur Endmontage fertig gemacht. Dabei übernehmen sie alle anfallenden Arbeiten. Wohl wissend, daß es nicht so einfach ist, eine Arbeiterin zur Rotation zu zwingen, bei der sie erstmal Prozente verliert, haben die REFA-Ingenieure einen Plan aufgestellt, der den »Bedürnissen der Mitarbeiterin« »gerecht« werden soll: in der ersten Stufe beherrscht sie eine Arbeit, in der zweiten zwei, in der dritten alle Arbeiten. Diese Höherqualifizierung soll ihnen durch eine höhere Lohngruppe schmackhaft gemacht werden.
Speziell davon ist in der von uns beobachteten Fabrik wenig zu spüren. Es war in der Elektroindustrie nie üblich, angelernten Frauen die Beherrschung verschiedener Arbeiten als höhere Qualifikation zu bewerten und zu bezahlen. So denkt dieser Betrieb auch gar nicht daran, dies zu ändern und glaubt, seine neue Arbeitsorganisation über eine Neuzusammensetzung der Arbeiterinnen in der Fabrik durchsetzen zu können. Seit knapp einem Jahr werden massenhaft Frauen eingestellt und die Flachbaugruppenproduktion auf Zweischichtbetrieb umgestellt.
Die neuen Arbeiterinnen werden in der niedrigsten Lohngruppe, nämlich 02, bezahlt, dazu kommt meist noch eine Anlernzulage, wenn sie sagen, daß sie mal eine ähnliche Arbeit gemacht haben.
Das ergibt zur Zeit 9,55 +0,44 Mark. Ganz wenige bekommen auch LG 03, zuweilen sogar mit Zulage: anscheinend glaubt man, die Frauen bereits dadurch spalten zu können, daß praktisch jede einen anderen Endbetrag auf dem Lohnzettel stehen hat.
Die miesen Anfangslöhne liegen allerdings ganz auf der Linie, daß man den Frauen auf Schritt und Tritt reinzudrücken versucht, daß sie ja »Ungelernte« sind, von der Elektronik nichts verstehen, jederzeit austauschbar sind, daß man die Arbeit, die sie machen, angeblich in einer Wochen lernen kann. So lange dauert nämlich der Kurs, in dem den Frauen in kleinen Gruppen das Löten und die Bezeichnung der wichtigsten Bauteile einschließlich deren Handhabung (nicht zu heiß löten, polen usw.) beigebracht werden. »Ungelernt« sind die wenigsten von ihnen: meist haben sie eine Lehre in einem »Frauenberuf« wie Verkäuferin, Arzthelferin, Friseuse gemacht, sind danach nicht übernommen worden oder haben gehofft, in der Fabrik mehr Geld zu verdienen. Das Kapital greift bewußt auf diese »Vorqualifikationen« zurück: Frauen können nähen, also auch Leiterplatten montieren; Frauen können einen Haushalt organisieren – also auch ein integrales System wie »BLUME« zum Laufen bringen. Die Frauen dürfen jedoch keinerlei Anspruch erheben, für diese antrainierten Fähigkeiten einen höheren Lohn zu verlangen, wie er beispielsweise für Facharbeiter tarifvertraglich verankert ist. Die einzige Möglichkeit, mehr Geld zu verdienen, ist der Akkord.
Das BLUME-Konzept ist der Versuch, die Fähigkeiten der Arbeiterinnen maximal auszubeuten, dabei so wenig wie möglich zu investieren und doch mit dem Verhältnis der »Hilfsarbeiterin« zu ihrer Arbeit fertig zu werden. Denn das Interesse der Frauen an ihrer Arbeit ist im allgemeinen geich Null: sie klotzen| ran, um den Akkord zu schaffen, lassen sich allerhand Tricks einfallen, um mit ihren Teilen durch die Kontrolle zu kommen. Nach der Einführung des Akkords für Nachlöte- und Montagearbeiten vor einigen Jahren war die Fehlerquote entsprechend angestiegen.
Mit der Gruppenarbeit will man nun alle Probleme auf einmal lösen: hohe Stückzahlen bei niedriger Fehlerquote und eine weitreichende Disponibilität der Frauen für alle produktiven Funktionen gerade im Hinblick auf »technologische Weiterentwicklungen«.
Jede Frau: muß zwei oder ‚gar drei unterschiedliche Arbeiten am Tag übernehmen. Das heißt, daß sie sich ständig auf eine neue Arbeit »draufschaffen« muß und dabei erstmal keinen Überblick hat, ob sie noch ’in der Zeit’ liegt. Die Neueingestellten werden nicht langsam auf die flexible Arbeit vorbereitet; vom ersten Tag an werden se zur Ausführung aller Bestück-, Löt-und Montagearbeiten gezwungen – damit sie erst gar kein Beharren auf »ihrer Arbeit« entwickeln kann.
Jede Frau ist Kontrolleurin ihrer Vorgängerin: die Fertiglöterin muß die Fehler der Bestückerin ausbügeln, die Bestückerin die Fehler der Vormontiererin, sogar Fehler des Bestückungsautomaten soll sie innerhalb ihrer Zeit ausgleichen. Innerhalb kürzester Zeit lernen die Frauen, Fehler zu erkennen: falsche Bauteile, schlechte Lötstellen - ohne irgendwelche Kenntnisse über deren Funktion zu haben bringen sie sich selbst die Kriterien für die »gute Qualität« bei. Fehler, die Fan übersieht, werden nach der Stichprobenkontrolle namentlich in einer Liste erfaßt; nach jedem Montage- bzw. Prüfvorgang muß die Arbeiterin die Platte mir ihrer Nummer abstempeln.
Abgerechnet wird trotz Gruppenarbeit im Einzelakkord; »obwohl« sich die vielen Prüffunktionen und verlangten Reparaturarbeiten nicht quantifizieren lassen. Und schon gar nicht die vielen Pufferfunktionen, die die Frauen übernehmen müssen. Die Vorgabezeiten sind sehrhoch und weder der Betriebsrat noch der Einrichter wollen sagen, wie solche Zeiten zustande kommen.
Auf diese Art schaffen es die Arbeitsorganisatoren, ihre Probleme mit der völligunterschiedlichen Größe der Auf- träge, mit den hohen Schwankungen der einzelnen Fertigungsabschnitte innerhalb der Aufträge, mit den fehlerhaften oder fehlerhaft montierten Bauteilen usw. usf. auf die Frauen abzuwälzen. Mit einer unglaublichen organisatorischen Kreativität und Flexibilität sollen sie all diese Lücken des kapitalistischen Plans ausfüllen, die technologische Starrheit der Automaten ausgleichen, Ordnung in eine vom ständigen Zeitdruck geprägte chaotische Werkstatt bringen. Gleichzeitig soll ihnen aber ihre produktive Funktion so gut es geht verborgen bleiben. In einem Arbeitsprozeß, in dem überwiegend mit Schraubenzieher und Lötkolben hantiert wird, ist es für die Frauen offensichtlich, daß es allein von ihnen abhängt, was hinten rauskommt. Also wird bewußt die Handarbeit von der Maschinenarbeit räumlich getrennt; die Frauen »ergänzen« nur »die Arbeit des Bestückungsautomaten«. Die Gesamtheit der Arbeiterkooperation bleibt unsichtbar. »Die Maschine« bestückt fünfmal so viele Platten wie eine Arbeiterin am Bestücktisch; diese soll den Eindruck kriegen, sie werde demnächst überflüssig, von der Maschine ersetzt.
Vom Meister wird den Frauen ständig eingehämmert, daß sie so schnell wie möglich die Vorgabe schaffen müssen, um nach einer bestimmten Zeit im Akkord zu verrechnen. Sie erleben so die Entwicklung ihrer kollektiven Qualifikation und hoher handwerklicher Fertigkeiten als individuelles Versagen, weil sie die 100 % monatelang nicht schaffen. Manche trauen sich schon gar nicht zu saen, daß sie’s noch nicht »packen«; und nur durch Zufall kommt mal raus, daß es Frauen gibt, die nach einem Jahr noch keine 100 % machen. Aussprüche wie: »Ihr habt die härteste Arbeit hier« zeigen, daß die Meister sehr genau wissen, was sie den Arbeiterinnen da zumuten. Eine Frau, die »sich Mühe gibt« und nach 5 Monaten noch nicht verrechnet, wird demnach nicht unbedingt gekündigt. Eine Frau jedoch, die »ihre Prozente schafft«, aber durch Diskussionen mit den anderen z.B. die tariflich zugesicherten Akkordpausen durchsetzen will, wird sofort rausgeschmissen.
Die Frauen sind tagtäglich mit einer Unzahl von »Willkürlichkeiten« und »Ungerechtigkeiten« konfrontiert, über die sie sich aufregen, gegen die sie sich individuell und ansatzweise auch kollektiv wehren. So stimmen z.B. die Vorgabezeiten nie, d.h. eine Frau einer anderen BLUME-Gruppe bekommt für die gleiche Arbeit 3 Minuten mehr Zeit. Die Frau rennt rum, vergleicht die Platten und Listen, beschwert sich beim Meister. Der holt entweder den Stopper, der »wissenschaftlich« 1,45 Sekunden mehr Zeit ausrechnet. Ein andermal ändert der Meister selbst mit dem Kuli die Zeit und sagt der Frau: »Sie müssen kämpfen um Ihren Lohn«, wenn sie eine Ungerechtigkeit feststellt. Die Frauen sollen selbst den Akkord »verinnerlichen«, die Zeit für jeden Handgriff auswendig wissen und die Vorgaben überprüfen lernen. Dieser Mythos vom »gerechten Akkord« hat schon dazu geführt, daß eine ältere Arbeiterin eine »zu gute« Zeit nach unten korrigieren ließ. Andererseits zeigt der Federstrich, mit dem der Meister im Handumdrehen die Zeit verändern kann, daß der Akkord nur Terror ist, keinen wissenschaftlichen Kern hat. Die »guten« und »schlechten« Arbeiten« sind ein Instrument, ohne die kein Akkordsystem auskommt. Der Mythos vom »Leistungslohn« soll nur diesen Terror akzeptabel machen. Das obige Beispiel zeigt auch, warum der »Kampf für bessere Zeiten« immer ein reformistischer Ansatz ist.
Überhaupt entpuppen sich alle Widersprüche, die wir im BLUME-System auszumachen versuchten, mit der Zeit als voll funktional. Z.B. das Verhältnis zum Einrichter. Der »Einrichter« hat in dieser Firma Vorarbeiter-Funktion, er ist ein Zwischending aus Facharbeiter und Kontrolleur und hat für die Erfüllung der Aufträge zu sorgen. Er steht damit »zwischen den Fronten«, kriegt Druck von oben wie von unten. Das führt natürlich zu Widersprüchen, wenn der Meister die Rotation der Arbeiterinnen wie vorgesehen durchziehen will, während der Einrichter ja auch für die Stückzahlen »seiner« Arbeiterinnen verantwortlich gemacht wird und deshalb eher auf eine Spezialisierung der Frauen hinaus will. Der Einrichter entscheidet darüber, wer die »guten« und wer die »schlechten« Arbeiten kriegt, und dies ist eines seiner stärksten Mittel, um die kollektiven Lernprozesse der Frauen zu behindern, sie zu spalten und gegeneinander auszuspielen. Er kann eine Frau bevorzugen und einer anderen gerade die Arbeit geben, die sie am meisten haßt, und zwingen, auch hier die 100 % zu schaffen.
Was zunächst ein Widerspruch zu sein scheint, ist das einzige Mittel, um die Frauen zu zwingen, in allen drei Arbeiten mindestens 100 % und gute Qualität zu erreichen: sie müssen sich gegenseitig zuarbeiten, gleichzeitig darf aber ihre Hilfe nicht so weit gehen, daß die Gruppenleistung abfällt.
Der Protest einer BLUME-Gruppe gegen eine allzu »ungerechte« Einrichterin hat diese sogar einmal die Position gekostet. Aber ihr »Kippen« hatte im Endeffekt nur die Funktion des Einrichters bestätigt. Denn die Kritik richtete sich vor allem gegen ihre persönliche Unfähigkeit, mit dieser Kombination von Gruppenarbeit und Einzelakkord die Frauen zur Höchstleistung zu bringen. (Sie war eh eine Ausnahme gewesen, die Firma setzt ganz bewußt nur Männer als Vorgesetzte ein...) Nicht ausgerottet ist damit die Ansicht, daß es »gute Einrichter« gibt.
Hunderte von neueingestellten Frauen werden mit einem hochintensiven Arbeitsprozeß konfrontiert. Viele von ihnen haben zunächst einmal Schwierigkeiten, sich in der Fabrik zu bewegen, mit dem Zwang zur Pünktlichkeit, der Leistungskontrolle, der Bevormundung zurechtzukommen. Die hohen Anforderungen, die an sie gestellt werden, die Erfahrung, daß sie trotz größter Anstrengung nicht annähernd 100% erreichen, der erste Lohnzettel, der ihnen klarmacht, daß sie trotz achtstündiger Hetzerei und Schichtarbeit nur 1300 Mark verdient haben - all das wirkt auf die meisten Frauen erstmal als Schock. Trotzdem schmeißen nur wenige Frauen in dieser Phase den Job wieder hin - sie haben erstmal kaum andere Möglichkeiten, Geld zu verdienen: Miete, Schulden, teure Freizeitbedürfnisse lassen keine Flucht zu, andere Jobs, die sie kennen, waren zum Teil noch mieser. Hier hat natürlich die BLUME-Gruppe die wichtige Funktion, die Frauen in den Produktionsprozeß zu integrieren: die Gespräche mit den Kolleginnen, ihre gleiche Lage, tragen viel dazu bei, daß sie den Streß durchhalten.
Das Verhalten zur Arbeit ist unterschiedlich, wechselt auch phasenweise, ist auch vom Verhalten der anderen Frauen in der Gruppe mitbestimmt(die Meister setzen oft erfahrene Arbeiterinnen als Trainerinnen in die Gruppe...) Einige strengen sich mit aller Kraft an, versuchen, sobald wie möglich zu verrechnen weil sie stark unter dem Druck stehen, viel Geld verdienen zu müssen. Sie bezahlen das oft mit ihren Akkordpausen; sie arbeiten acht Stunden durch und rennen während der 15 Minuten Mittagspause aufs Klo. Andere haben sich damit abgefunden, daß sie den Akkord nicht so schnell schaffen. Zwar werden von irgendwelchen Frauen immer wieder Gerüchte gestreut, wie „wer nach acht Wochen noch nicht den Akkord schafft, fliegt”,aber die Erfahrung zeigt bald, daß das nicht so rigide gehandhabt wird. Solange die Firmadie Probleme Stückzahl und Qualität nicht gleichzeitig unter Kontrolle kriegt, werden sie nicht rausfliegen. Trotzdem stehen sie mit ihrer Einstellung, daß die Schufterei für ein paar Pfennige mehr nicht lohnt, sondern daß es besser ist, soviele Pausen wie möglich zu machen und den sicheren Einstellohn zu verdienen, den Zielvorstellungen des BLUME-Konzepts am stärksten entgegen: sie sind weder über den Lohnstachel des Akkords noch über ein Interesse an dieser Arbeit dazu zu bewegen, sich zu „qualifizieren”.
Meister und Einrichter fahren nacheinander verschiedene Taktiken auf. Wenn eine Frau nach vier Wochen eine bestimmte Arbeit noch immer nicht packt und schon dabei ist zu sagen: egal, ich strenge mich nicht mehr an, 30% schaffen für den Grundlohn ist diesen Monat nochmal drin,” dann bekommt sie vom Einrichter am nächsten Tag vielleicht eine „leichte” Arbeit, in der sie Land sieht, den Wettlauf mit der Zeit wieder aufnimmt, ja sogar die"Minderleistung" der Tage zuvor auszugleichen versucht. Frauen, die sich „bemühen”, bekommen bevorzugt „leichte Arbeiten”, damit sie schneller verrechnen können und damit darüber die Spaltung von den anderen besser funktioniert.
Als nach fünf Monaten ein Drittel der Frauen noch nicht verechnet, ruft der Meister sie einzeln zu sich und setzt klare Fristen, bis wann er eine 100%-Leistung sehen will. Bei einigen geht er soweit, die Anlernzulage zu streichen: die Frauen verdienen nach fünf Monaten harter Arbeit und wachsender Leistung nur noch 9.55DM. Um auf den alten Lohn zu kommen, müssen sie mindestens 65 Minuten verrechnen. Die Drohung mit der Entlassung steht unmittelbar im Raum. Die Akkordleistung wird nicht durch „freiwillige Höherqualifizierung” erreicht, wie das Konzept behauptet. Die Arbeiterinnen haben die „Willkür” bei der Lohnbestimmung ja zu genau mitbekommen, um noch aufParolen wie „man kann im Akkord Lohn und Arbeit selbst bestimmen” hereinzufallen.
Die Firma muß also sehr weit gehen mit ihrem Druck. Dadurch gelingt es ihm wohl, die Arbeiterinnen wieder zu vereinzeln – aber das kann in ein, zwei Monaten, wenn mal der hart verdiente Urlaub rum ist und die Scheiße von vorn beginnt, auch wieder umschlagen. Es gibt auch ein paar wenige Erfahrungen von gemeinsamem Verhalten, auf die die Frauen dann zurückgreifen können. Die gemeinsame Weigerung, bei drückender Hitze die weißen Baumwollkittel zu tragen, die die empfindlichen Bauteile vor elektrostatischer Aufladung schützen sollen, oder die Verlängerung der 20-Uhr-Pause bis zum Schichtende greifen zwar den Verwertungsprozeß nicht groß an, sind z.T. durchaus ambivalent – wenn die Vorraussetzung dafür ist, daß Frau die Einrichter besoffen macht, bis die keine Lust mehr zu arbeiten haben. Trotzdem können sie ein Gefühl davon geben, wie stark eine BLUME-Gruppe bei anderen Fragen, die sicher noch auf sie zukommen werden, (Rausschmiß, Lohn usw.) gegen den Unternehmer sein kann.
Die Einstellung
Jeden Morgen ab halb acht füllt sich das Wartezimmer des Personalchefs. Frauen, die meist von außerhalb kommen, die von der Schwester, der Schwägerin, der Nachbarin gehört haben, daß Frauen eingestellt werden. Personalbogen ausfüllen, 10 Minuten vom Personalchef ins Visier genommen, mit dem Bogen in eine unbekannte Abteilung geschickt. Kurzes Schlucken, als der Meister den Lohn sagt. Seit Mai kriegen die Frauen nur noch 6-12-Monatsverträge.
Die Halle
5 m hoch, unverkleideter Beton, ohne jede Isolierung, eigentlich als Lagerhalle geplant, dann kam der Auftragsboom, Seit einem halben Jahr sind alle Teilschritte der Flachbaugruppenfertigung nebeneinander aufgebaut: nah aufeinander, aber als eigene Abteilungen, abgetrennt durch Kistenstapel und Bürostellwände. Links die Prüfautomaten, dahinter versteckt einzelne Arbeiterinnen. Geradeaus das Lötbad, die zusammengerückten Tische der BLUME-Gruppen. Rechts die Bestückautomaten, die mit ihrem Geratter den Lärmpegel bestimmen und Kopfweh machen.
Am Bestückautomat
An den Bestückautomaten arbeiten nur Frauen, eine seit 5 Jahren. Sie hat sich damals aus Interesse an der neuen Maschine hierher versetzen lassen, weil sie die Handlöterei satt hatte. Heute ist sie ein wenig stolz darauf, daß sie alleine mit dem Ding zurechtkommt. Sie hört, wenn die Maschine ein IC falsch einsetzt, lötet von Hand ein anderes ein, während die Maschine weiterrattert. Magazine füllen, Störungen beheben, Magazine leeren, Programm einlesen, Kisten abtransportieren, Fehler der Maschine von Hand beheben, alle diese Arbeiten beherrscht sie besser als der Einrichter. Sie kriegt Zeitlohn, obwohl die Maschine ununterbrochen läuft. Sie schaut zu den Montagetischen rüber und sagt: "Da drüben kann man wenigstens Geld verdienen im Akkord ..."
Die Ordnung
An den Montagetischen wird aufs Äußere geachtet. Die Werkzeuge müssen immer wieder in den schwarzen Kasten zurückgelegt werden, auf dem Tisch darf nur das Allernotwendigste liegen, keine Zettel, keine Flaschen, der Meister macht Kontrollgänge, vor allem wegen der leeren Flaschen.
Der Obermeister
Mitunter kommt er noch während des Abendspaziergangs in der Halle vorbei, so gegen zehn, wenn die ersten schon ans Zusammenpacken denken. Er schiebt seinen dicken Bauch durch die Gänge, ruft einzelne Frauen ins Büro vor, um Drohungen auszusprechen. "Mehr Leistung, Mädchen, mehr Leistung!"
Die Einrichter
Meist Mitte 20, Anfang 30, Die wenigsten haben sich den Job ausgesucht, Für den, der nicht Techniker macht, ist es die einzige Aufstiegsmöglichkeit. Handwerklich können sie den Frauen nichts vormachen, nur über ihr Wissen aus ihrer Lehre oder Umschulung, ihre Infos über die Arbeitsverteilung, die Zeiten. Viele beherrschen es, die Frauen gegeneinander auszuspielen und ihren Spaß dabei zu haben: wer ist die nächste Favoritin ? Unverfroren schnorrt er Zigaretten. Seine verschwitzte Hand auf der Schulter der Arbeiterin beugt Widerrede vor.
Zieht die Kittel aus!
Juli. Die Luft steht in der Halle. 40 Grad, Spätschicht. Die Hände sind schweißgebadet, das Werkzeug rutscht ab. Bauch und Rücken klatschnaß. Arbeiten ist unmöglich. Es wird geschimpft. Eine erzählt, daß die Frauen früher mal solange ins Freie gegangen seien, bis die Feuerwehr das Dach kalt abgespritzt habe. Wie fängt frau sowas an? Zu sechst ziehen sie die weißen Kittel aus und gehen von Tisch zu Tisch, Weitersagen. Alle machen mit. Ein paar von der Revision meinen wieder, sie müßten Angst vor dem Obermeister vebreiten. "Der soll ruhig kommen, dem erzählen wir was!” Die Pause unter den Bäumen ist sehr lange an diesem Abend. Mehr als 30 % sind nicht gearbeitet worden.