!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.0 Strict//EN" "http://www.w3.org/TR/xhtml1/DTD/xhtml1-strict.dtd"> #40 Frauenarbeit

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07.04.2021

aus: Wildcat 36 / Herbst 1985

Klassenautonomie und Bergarbeiterstreik

... eine endlose schwarze Reihe ... riot shields, visors und helmets ... glitzern in der spärlichen Sonne. Polizeiautos. Mannschaftswagen ... im Hintergrund stillgelege Zechen, graue Schornsteine ... Förderräder ... frierende Bergarbeiter im Winter 1984/85 ... denn nicht nur in Deutschland war der Winter kalt. Es ist ruhig ... Polizisten stehen stumm in ihren Reihen ... Einheiten. Pferde wiehern ... Das Knackeneines Lautsprechers ...– dann eine Stimme ... zuerst unklar ... einige Wortfetzen ... ein ’Police-Officer’ spricht zu seiner Truppe ...”Number one in position ... Number two in position...” ... dann beginnt er zu schreien ’GO!GO!GO!” Schlagstöcke klappern im Rhythmus auf Schilde ... Schreie, Anfeuerungen ... dann geht alles sehr schnell ... die ersten schwarzen Reihen beginnen sich aufzulösen ... Polizisten beginnen zu traben ... laufen... rennen ... im Hintergrund stellen sich erneut Einheiten zusammen ... THE MINERS CLASH BACK ... Die Bergarbeiter schlagen zurück ... schlagen zurück? In Turnschuhen, Donkey Jackets? Schlagen zurück ... gegen in Nordirland ausgebildete und ausgerüstete Spezialeinheiten? Fäuste gegen Schlagstöcke? Die ersten Reihen haben ihre ’Arbeit’ begonnen ... schlagen, prügeln auf am Boden liegende Menschen ... Polizisten auf Pferden drängen andere ab, gegen Autos, Hausmauern ... schlagen mit langen,dünnen Peitschen ... ein Bergarbeiter versucht, unter einen Lastwagen zu springen ... wird wieder hervorgezerrt ...von drei fluchenden, schreienden Polizisten getreten ... bis er regungslos auf dem Boden liegen bleibt ... "Das ist alles verrückt... – wenn du von hunderten prügelnden Polizisten erzählst ... wird dir niemand glauben ... aber es sind nicht hunderte ... es sind tausende ... die dir hinterherrennen, die dich umbringen wollen ... die dich hassen... Dieser eine Tag als wir nach Sheffield fuhren, um dort unsere Kameraden zu unterstützen, war unglaublich ... Sie schlossen vor unseren Augen die Autobahn und lenkten uns runter aufs Land ... in die Felder ... Gut, wir gingen also darunter ... 500 waren wir aus Durham und Schottland ... und plötzlich sahen wir, wo wir gelandet waren ... riotshields, helmets and visors ... tausende ... tausende von Polizisten hinter dem Feld ... auf Pferden, mit Knüppeln und Peitschen, die auf uns warteten ... es war wie eine Szene aus einem Science-Fiction-Film...unvorstellbar ... meine Knie wurden weich ... begannen zu zittern... ich dachte, wir können nicht nach hinten weg...also gingen wir weiter ... direkt auf die Front zu ... und mit einem Male setzten sie sich in Bewegung, die Pferde preschten auf uns zu ... und keiner blieb stehen ... jeder rannte um sein Leben ... und du weißt, wie das ist, wenn du in einer Menge rennst ... jeder rannte um sein Leben ... und du weißt, wie das ist, wenn du in einer Menge rennst ... um dein Leben rennst ... – du achtest auf niemand mehr, trampelst über andere ... immer mehr stürzen ... dann hetzten sie ihre verdammten Polizeihunde los ... von der anderen Seite kamen sie auf den Pferden ... wir waren in einem Hexenkessel ... und diese Bastarde stürzten auf uns ... um uns umzubringen...” (engl. Bergarbeiter). aus: reasons why,Berlin.

Der Streik der britischen Bergarbeiter von 1984 bis Frühjahr 1985 blieb für die Linke hierzulande weitgehend ein Thema von ”Solidarität”, die Frage nach der Bedeutung dieses Streiks für eine Neuaufnahme der Klassenkämpfe in Westeuropa wurde kaum gestellt. Wir sind auch nicht in der Lage, ein genaues Bild dieses Streiks und seiner Bedeutung für die Neuzusammensetzung der Arbeiterkämpfe zu zeichnen. Wir haben daher aus verschiedenen Zeitschriften Berichte und Interviews zusammengestellt, in denen etwas von der Autonomie der kämpfenden Arbeiter-innen sichtbar wird. Letztes Jahr waren ein paar Genossen von uns im Streikgebiet von Yorkshire, aber auch sie mußten erfahren, wie schwierig es war, mit jugendlichen Bergarbeitern ins Gespräch zu kommen, ohne gleich von Gewerkschaftsoffiziellen der NUM vereinnahmt zu werden. Was wir hier liefern, sind also nur einige grobe Linien zur besonderen Klassenzusammensetzung der Bergarbeiter, ihrer Stellung im britischen Proletariat und zur Klassenautonomie jenseits und gegen die gewerkschaftsoffizielle Politik.

Arbeiterkonzentration im Bergbau

Im Unterschied zur Zusammensetzung der Industriearbeiter ist die Konzentration von Bergarbeitern in relativ geschlossenen und auf die Zeche bezogenen Dörfern und ihre bestimmte Konzentration bei der Arbeit unter Tage durch die Geschichte des Kaitalismus hindurch recht stabi In allen industriellen Ländern hat das Kapital stets versucht, diese Stabilität und Homogenität durch ständig wie derkehrende Immigrations wellen zu brechen. In Deutschland ist der Import polnischer Bergarbeiter ins Ruhrgebiet bekannt. Für die englischen Kohlegruben wurden Bergarbeiter aus Schottland und Irland geholt, das letzte Mal in einer großen Welle nach dem Zweiten Weltkrieg. Aber trotz dieser ständigen Umstrukturierung wurde die technische und produktive Basis des Kohleabbaus immer wieder bestimmend für die politische Einheitlichkeit dieser Klassenzusammensetzung und die Bergarbeiter traten weltweit immer wieder als Avantgarden im Arbeiterkampf hervor. Selbst im Streikzyklus der Massenarbeiter in den 60er und 70er Jahren waren es die Bergarbeiter, die 1972/74 die planstaatliche Einkommenspolitik blockierten und einen Regierungswechsel in Großbritannien erzwangen. Von diesem vereinheitlichenden Kern der Klasse versucht sich das englische Kapital seit dem ‘Zweiten Weltkrieg freizumachen, und für Thatchers Austeritätspolitik war die Ausschaltung der Bergarbeiter aus dem politischen Kräfteverhältnis von Anfang an die Durchsetzungsbedingung.

In der Geschichte des Klassenkampfs bilden die Bergwerke (nach dem Pyramidenbau) die ersten großen Arbeiterkonzentrationen. Im Vergleich zur industriellen Produktion ist das Kapital in diesem ”primären” Sektor unbeweglicher, denn die Kohle kann nur dort abgebaut werden, wo sie unter der Erde liegt. Diese Konzentrationen von Arbeiter-innen und ihren Familien ließ sich lange Zeit auch nicht umgehen, da die Kohle über den Dampfmaschinenkapitalismus hinaus eine zentrale Energieform der kapitalistischen Entwicklung blieb. Der Ersatz der Kohle durch Erdöl, das kapitalintensiv und größtenteils außerhalb der Metropolen produziert wird, zielte auf die Ausschaltung dieser Arbeiteravantgarden. Wo es technisch möglich war, wie in einzelnen Abbaugebieten der USA, wurden die Zechen durch den hochtechnisierten Tageabbau ersetzt. Auch in Großbritannien ist die Zahl der Bergarbeiter im letzten halben Jahrhundert drastisch verringert worden: von 1 Million 1930 auf 700 000 1950 bis auf etwa 200 000 im Jahr 1980. Die weitere Modernisierung und Stillegung von Zechen durch das Thatcher-Regime wird die politische Kraft der Bergarbeiter endgültig von der Bühne räumen.

Community unter Tage

Die Arbeitsbedingungen unter Tage haben trotz der Modernisierung und dem Maschineneinsatz grundlegende Strukturen beibehalten. In Großbritannien überwiegen noch die ’alten’ Zechen, in denen der Einsatz der Maschinen durch die engen Stollen begrenzt ist. Die klassischen Arbeitsbedingungen im Bergbau, die ständig gefährliche Auseinandersetzung mit den Naturgewalten’ erzwingen unter den Arbeitern ein extremes Maß an Solidarität, produzieren aber zugleich Mythen über ihre Ausbeutung durchs Kapital. Bei den älteren Bergarbeitern existiert noch das Bewußtsein und der Stolz, ”die Kohle herauszubringen”, sie ”der Erde abzuringen”. Unergiebige Zechen werden mit zuviel Zärtlichkeit für die Sache als ”auseblutet” bezeichnet. Die chließung solcher Zechen wird daher als Naturschranke anerkannt und die offizielle Propaganda zum Streik prangerte mit dieser naturalistischen Moral die Schließung noch ergiebiger Minen als die eigentliche Schweinerei des Kapitals an!

Unter Tage arbeiten die Bergleute stets in Gruppen zusammen, sowohl im Abbau wie im Transport. Kein Grubenarbeiter würde auf die Idee kommen, sich während der Arbeit individuell zu verdrücken, wie es für das Verhalten in jeder Fabrik so typisch ist. re Kooperation und Kollektivität im unmittelbaren Produktionsprozeß ist nicht nur für die Produktivität ihrer Arbeit entscheidend,sondern auch für das Überleben jedes einzelnen Bergarbeiters. Die Kooperation unter Tage basiert auf einer extremen Erpressung der Arbeiter mit dem Leben ihrer Kollegen, was zugleich durch die ”Naturhaftigkeit” der Aus beutungsbedingungen verdeckt wird. Dieser Zwang zur äußersten Kollektivität ist die Basis ihrer legendären Solidarität.

In der Propaganda der NUM und der hiesigen Unterstützungsbewegung sind die brutalen Arbeitsbedingungen im Bergbau kaum zum Problem geworden - obwohl sie auch einen Punkt im offiziellen Forderungskatalog bildeten. Im Streik waren sie aber für viele, gerade die jüngeren Bergarbeiter präsent und die einjährige Arbeitsverweigerung bedeutete für sie auch, sich ein ganzes Jahr lang diesen Arbeitsbedingungen nicht unterwerfen zu müssen.

"Arbeit im pit, das ist die allerletzte Drecksarbeit, am besten sollte man die Dinger wegsprenen. Ich wollte nicht, daß mein Sohn da mal arbeiten muß. Aber bei der jetzigen Arbeitslosigkeit geht's natürlich um die Arbeitsplätze. (Bergarbeiter aus Yorkshire)

Dieser Spruch kennzeichnet die Haltung jüngerer Minenarbeiter im Streik. Obwohl sich die Minenarbeiter das Recht erkämpft haben, ihren Arbeitsplatz an den Sohn weiterzugeben, hatte die englische Kohlebehörde in den 70er Jahren Schwierigkeiten, en. Arbeitskräfte zu finden. Die Jüngeren konnten sich mit der Vorstellung nicht mehr anfreunden, ihr Leben unter Tage zu vebrauchen und über Tage eingekesselt in der provinziellen Bergarbei'tercommunity zu leben.

Und dies, obwohl die Löhne mit durchschnittlich 160£ die Woche (= 135£ netto, z.Zt. ca. 520 DM) über dem Niveau der Industriearbeiter liegen. Die angerechnete Arbeitszeit beträgt 36 1/4 Stunden, aber der tatsächliche Arbeitsaufwand überschreitet die 40 Stunden, da täglich über eine dreiviertel Stunde für die Sicherheitsvorkehrungen vor und das Duschen nach der Arbeit draufgeht. Die Arbeitsbedingungen wechseln zwischen extremer Kälte, Feuchtigkeit und Hitze, Staub. Die Grubenunfälle durch Bergsturz etc. sind spektakuläre Einzelfälle. da die meisten Unfälle beim Transport unter Tage passieren.

In den letzten Jahren sind einige Versuche gemacht worden, die Produktivität und Mehrwertabpressung zu steigern, 1977 versuchte die Labour-Regierung, mit der NUM Produktivitätsabkommen zu vereinbaren. An dieser Frage kam es fast zur Spaltung der NUM, denn nur die Regionalführung von Nottinghamshire trat einem solchen Abkommen bei. Je nach Produktivität der einzelnen Mine liegen daher die Löhne in dieser Region bis zu 1000.-DM monatlich über denen anderer Gruben, was die Abspaltung dieser Region vom Streik begünstigte.

Community über Tage

Die existentielle Solidarität im Produktionsprozeß pflanzt sich in den Bergarbeiterdörfern fort. Diese Communities sind in ihrer Existenz direkt von der Zeche abhängig. Durch ihre Einheitlichkeit und Solidarität bilden sie einerseits einen wichtigen Rückhalt für die Kampfstärke dieser Arbeiter, in ihnen herrscht eine strenge proletarische Moral. Andererseits erscheint aber ihre Abhängigkeit vom Kapital der Zeche als naturhafte Voraussetzung ihrer Lebensgemeinschaft. Diese Abhängigkeit von einem Einzelkapital und die Selbst- genügsamkeit ihrer Gemeinschaft produzieren einen konservativen Zug’ in ihren Communities, der sich auch auf die inneren Strukturen auswirkt.

Was die Mine für das Dorf, ist der Bergarbeiter für seine Familie. Seine harte körperliche Arbeit prägt sein Bewußtsein männlicher Überlegenheit und seine Position als autoritäres Familienoberhaupt. In den Dörfern finden die Frauen keine Arbeit, von der sie selbständig leben könnten. Dabei war die Bergarbeit nicht schon immer "typische Männerarbeit”. Im 19. Jahrhundert und bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts arbeiteten Frauen als ”pit low brasses” über Tage; sie trennten in Handarbeit die Kohle vom Abfall. Bergarbeiter und Gewerkschaft führten Kampagnen zur Abschaffung dieser Frauenarbeit durch. Aber während sie dies in fürsorglicher Manier mit den schlechten Löhnen und der harten Arbeit begründeten, entsandten Bergarbeiterinnen Delegationen zum Parlament, um ihr ”Recht auf Arbeit” zu verteidigen. Statt gemeinsam für höhere Löhne und Bäder in den Gruben zu kämpfen, grenzte die Gewerkschaft die Arbeiterinnen aus, um sie ganz für die unbezahlte Reproduktionsarbeit im Bergarbeiterhaushalt freizustellen. Aber erst mit der Nationalisierung der Gruben und der Mechanisierung der Sortierarbeit wurde die ”Domestizierung” der Frauen in den Communities besiegelt. Dieses innere Herrschaftsverhältnis ist ein Hinweis auf den Konservativismus des Klassenkampfs der Bergarbeiter. Sie waren stets "gegen die Bosse” und für die Nationalisierung. Aber damit verbanden sich keine radikalen Vorstellungen einer anderen gesellschaftlichen Ordnung und auch keine radikale Thematisierung des persönlichen Lebens.

Die ganze Begeisterung über die Aktivitäten der Frauen im Streik, ihre propagandistische Vorführung durch die NUM hat eben diese Struktur bestätigt. Die Rühmung;ihrer "Solidarität für die miners” drückt aus, daß sie "Immigranten in ihrer eigenen Gemeinschaft” sind! Das weiter unten in Auszügen abgedruckte Interview zeigt, wie sehr sie ihre Solidarität für die Miners gegen die Miners durchsetzen mußten!

Klassenzusammensetzung im Übergang

Im Streik der Bergarbeiter wurde die Wirksamkeit der industriellen Umstrukturierung der letzten zehn Jahre greifbar. Die alte Klassenzusammensetzung hatte ihr ökonomisches Gewicht eingebüßt. Die Bergarbeiter hatten es nicht mehr in der Hand, daß in Großbritannien ”das Licht ausgeht”. Und die zentralen Sektoren Bergbau, Stahl, Werften, Transport hatten mit dem Niedergang der englischen Wirtschaft auf dem Weltmarkt und ihrer Umstrukturierung an Bedeutung verloren. ”Bis vor wenigen Jahren sprach man von einer Allianz aus Stahlarbeitern, Bergarbeitern und Eisenbahnarbeitern. Das würde heute Lachen auslösen, und nur nostalgische Teile der Gewerkschaftsbürokratie könnten dieser Klassenzusammensetzung Tränen nachweinen.” (H. Simon) Im Streik gab es immer wieder Hoffnungen auf eine Erneuerung dieser Allianz. Aber diese Einheit kam nie zustande, sondern die alten Sektoren blieben in ihren eigenen Abwehrkämpfen gefangen, sofern sie diese nicht schon "hinter sich hatten. Im Sommer ’84.streikten die Hafenarbeiter zweimal gegen den Einsatz nichtregistrierter, d.h. nicht von der Gewerkschaft kontrollierter Arbeiter, offensichtlich auch aus Solidarität mit den Bergarbeitern. Der zweite Streik wurde dadurch ausgelöst, daß ein Kokskohleschiff von Arbeitern der British Steel Cororation gelöscht wurde. Die Stahlarbeitergewerkschaft, die 1980 selbst vergeblich geen die Umstrukturierung im Stahlsektor gestreikt hatte, verteidigte die Löschung des Schiffs, da ein Erkalten der Stahlöfen mit dem Verlust von tausenden von Arbeitsplätzen verbunden sei. Gegen die Hafenarbeiter wurde von der Regierung mit Ausrufung des Notstands und dem Einsatz des Militärs gedroht. In Dover brach der Streik dann zusammen, nachdem es zu Schlägereien mit wartenden LKW- Fahrern gekommen war. Die beiden Eisenbahnergewerkschaften bereiteten sich im September auf einen Streik vor, da British Rail einen Rationalisierungsplan vorgelegt hatte, nach dem in den kommenden sechs Jahren 15000 Arbeitsplätze abgebaut werden sollten. In diesem Fall gab die Regierung recht schnell nach und gewährte Lohnerhöhungen, um eine Verbindung der Eisenbahner mit dem Bergarbeiterstreik zu verhindern. Und auch die Hoffnung der Bergarbeiter auf eine aktive Solidarität der Kraftwerksgewerkschaften erfüllte sich nicht.

Die Bergarbeiter konnten nicht mehr wie 72/74 als zentralisierende und vereinheitlichende Kraft für die alte Klassenzusammensetzung wirken.

Diesen alten Sektoren stand nun das diffuse Gemisch einer neuen metropolitanen Klasse gegenüber: die Ausbreitung von ungarantierter Arbeit ın den Billiglohnsektoren, die Arbeit in neuen Sektoren wie der Computerindustrie, die regionale Neuverteilung von Hafenarbeit und Industriearbeit in Freihandelszonen und kleinen, ‚spezialisierten Häfen und schließlich auch der beachtliche Sektor staatlicher Zwangsarbeit für Jugendliche. Dieses neue metropolitane Proletariat verfügt über keine eigene Kampferfahrung und war auch nicht in der Lage, durch eigene Kämpfe den Streik aktiv zu unterstützen, obwohl sich gerade die Gruppen aus diesem neuen sozialen Gemisch mit großer Begeisterung auf den Bergarbeiterstreik bezogen. Es war die Begeisterung darüber, endlich einen starken Gegner zur Austeritätspolitik Thatchers entdeckt zu haben, der die eigene Schwäche wettmachen könnte. Allerdings entwickelten sich aus diesen Teilen der Klasse im Rahmen des Streiks und im Zusammenhang mit jugendlichen Bergarbeitern neue Kampf- und Aneignungsformen, die zum Teil an den Verhaltensweisen in den ”riots” vom Sommer ’81 anknüpften. Die Notwendigkeit, monatelang ohne Lohn zu leben und die neue Erfahrung der langen Nicht-Arbeits-Zeit hat diese Verbindungen ermöglicht. Und mit Andauern des Streiks sahen Gewerkschaft und Regierung hierin gleichermaßen die Gefahr, die Kontrolle über den Streik zu verlieren. Damit wurde die Ambivalenz der repressiven Gewerkschaftsgesetzgebung deutlich: "Das Paradoxe ist, je mehr die Gewerkschaft durch das Gesetz eingeschränkt und kontrolliert wird, um so weniger kann sie ihre Basis kontrollieren und dient immer weniger als Faktor des sozialen Ausgleichs.” (H.Simon)

Gewerkschaftsautorität und Klassenautonomie

Die Solidarität der Bergarbeiter in den Communities und im Arbeitsprozeß bestimmt auch ihr Verhalten zur Gewerkschaft. Da sie die lebensnotwendige Solidarität der Bergarbeiter repräsentiert, besitzt diese eine enorme Autorität unter den Arbeitern, ohne diese formal oder bürokratisch kontrollieren zu müssen. Diese Autorität garantiert auch die Entschlossenheit, mit der die Bergarbeiter schon immer Streiks über Monate hinweg führen konnten. Aber mit dieser Autorität waren im Streik auch die Kräfte konfrontiert, die mit ihrem militanten Verhalten ansatzweise die Verhandlungslogik der Führung und deren Orientierung auf einen Regierungswechsel sprengten. Die NUM hatte den Kampf gegen Zechenschließung im Rahmen des ”Plan of Coal” als das Programm des Streiks durchgesetzt. Sie knüpfte damit an die zehn Jahre alte Übereinkunft zwischen Labour-Partei und NUM zum weiteren Ausbau der Kohleförderung an und wollte mit dem Streik ihre weitere Beteiligung an der Planung des Kohlesektors durchsetzen. Dazu mußte sie im Streik auch ihre Fähigkeit beweisen, den Kampf effektiv kontrollieren zu können. Viele Streikposten und ”secondary picket lines” blieben daher reine Symbolik. Die Versuche militanter Kräfte, Streikposten wirksam zu organisieren, wurden von der NUM hintertrieben. Nach einigen Monaten gelang es der NUM wohl, diese autonomen Aktionen weitgehend zu unterbinden, aber mit dem Andauern des Streiks wurden sie dafür um so massiver mit der fehlenden Disziplinierung der Bergarbeiter durch die Arbeit konfrontiert. Darin mag ein Grund für die Aufnahme von Geheimverhandlungen und den von oben beschlossenen Streikabbruch gelegen haben. Auch wenn es der Gewerkschaft letztlich gelungen ist, den Streikabbruch gegen Regionen, die noch voll im Streik standen, duchzusetzen und aus der Wiederaufnahme der Arbeit in einigen Dörfern ein an Festspiel zu machen, so bleibt doch festzuhalten: ”Obwohl der Kampf der Bergarbeiter defensiv gegen die Umstrukturierung einer alten Industrie gerichtet war, ist er Teil der autonomen Bewegung der Kämpfe in England seit dem Zweiten Weltkrieg.” (H.Simon) Dies auch deshalb, weil er dazu beigetragen hat, einige neue, autonome Verhaltensweisen des metropolitanen Proletariats in seiner neuen Zusammensetzung an die Oberfläche zu spülen.#

Streik und Arbeitergewalt

Interview mit einem Bergarbeitergenossen, Kent, 10.10.84, aus: assemblea Nr.7

Der verbreitete Gebrauch von Gewalt gegen die Streikposten hat deren Zweck zum Teil zunichte gemacht: den Zugang zu den Bergwerken und den Transport von Kohle zu blockieren. Wie ist es dazu gekommen und wie habt ihr darauf reagiert?

Angesichts der totalen Blockade der Kohletransporte, die uns von den Fahrern und Eisenbahnern der Transport and General Workers’ Union zugesagt worden war, hat das N.C.B. das Problem umgangen, indem sie massenweise gewerkschaftsfreie Kleinunternehmen und Selbstfahrer angeheuert haben. Uns war sofort klar, wenn sie es hinkriegen, den Kohletransport von den Bergwerken und den Lagern in die Elektrizitätswerke wiederaufzunehmen, dann hätte das in einer schwierigen Situation große psychologische Auswirkung auf den Streik gehabt, nachdem wir größte Mühe darauf verwendet hatten, die wenigen Bergwerke zu schließen, die teilweise noch arbeiteten, und den Import von Ersatzkohle aus dem Ausland zu reduzieren. Wir haben also beschlossen, diese Transporte zu unterbinden durch eine Reihe von gegliederten Angriffen: Massenangriffe gegen die Konvois und ”Avantgarde”-Initiativen gegen die Lager und Lastzüge. Nur in dieser einen Region sind zu Beginn des Sommers in einer Woche etwa 400 Lastzüge in die Luft geflogen. Außerdem handhaben die Bergarbeiter während ihrer Arbeit Sprengstoff...also scheint es doch normal, den auch gegen die Arbeit zu benutzen. Andererseits werden die Kleinunternehmer und Streikbrecher finanziell sehr stark angespornt und das ist die einzige Art, um sie etwas "abzuspornen”; also, um dir mal eine Vorstellung zu geben, während einer dieser Zwischenfälle hat ein Streikbrecher seine Jacke vergessen und da war eine Geldbörse mit seiner Wochenabrechnung drin: 1100£ (damals fast 4400 DM); unter anderem waren in der Börse noch 600 £ Bares, das wir gut für unseren Solidaritätsfonds gebrauchen konnten. Seither hat sich die Situation natürlich verändert: die Konvois werden von der Polizei total beschützt, die Lager werden Tag und Nacht bewacht, und alles ist schwieriger geworden; gerade neulich hat die Polizei nach einem Angriff auf eins dieser Lager 30 unserer Genossen verhaftet auf der Grundlage ”hinreichender Indizien” und mit Anklagen, für die du bis zu 15 Jahren Knast kriegen kannst.

In Italien werden in ”ähnlichen” Situationen der Steigerung des Arbeiterwiderstands "politische Debatten” über die Gewalt geführt; war das bei euch auch so?

Nein. Auch wenn man sagen kann, daß Aktionen wie die gegen Kleinunternehmer und Streikbrecher den Standpunkt einer gesellschaftlichen Minderheit im Kampf ausdrücken (wobei die jungen Bergarbeiter die überzeugtesten Befürworter solcher Initiativen sind), so bleiben diese auf jeden Fall innerhalb des Kampfs, innerhalb seiner Verhandlungslogik. Es ging darum, die LKWs aufzuhalten und diese Mittel erfüllten den Zweck. In Wirklichkeit warten wir jetzt nur noch darauf, daß die Lichter ausgehen...

„Wir haben kein einziges Mal Streikposten vor der Grube aufstellen müssen, denn wir streiken alle. Bei der Versammlung war das tatsächliche Verhältnis 2:1 für den Streik. Aber nachdem klar war, die Mehrheit ist für den Streik, haben alle mit der Arbeit aufgehört. Und auch wenn jemand Streikbrecher spielen wollte, hätte er ein schweres Leben, hier im Dorf kennen wir uns alle, also würde er gefoppt oder ihm sonstwie übel mitgespielt, er wäre gezwungen, das Dorf zu verlassen. Es ist im Gegenteil häufig passiert, daß Leute, die am Anfang unentschlossen waren, inzwischen zu den überzeugtesten Verfechtern des Streiks geworden sind und sehr aktiv teilnehmen. Ich glaube, man kann von einem kollektiven politischen Wachstum sprechen, das selbst wir alten Militanten nicht erwartet haben. Ein anderer Aspekt betrifft dann die Veränderungen in unserem Gemeinschaftsleben. Wir treffen uns oft in der Welfare Hall, die von den Bergarbeitern vor hundert Jahren gebaut wurde, um den Familien im Dorf Hilfe, Unterstützung und Ratschläge zukommen zu lassen. Mit den Jahren war dieses Gebäude sozusagen erkaltet und war zu einem gewöhnlichen Freizeit-Club geworden. Aber heute treffen sich die Familien wieder dort, organisieren Initiativen, um den Kampf zu unterstützen, helfen sich gegenseitig; viele reden über Politik und machen aus, wie sie sich im Kampf verhalten. Kurz gesagt: das Gebäude wird endlich wieder entsprechend seiner ursprünglichen Bestimmung benutzt.”

(Bergarbeiter aus Orgreave)

NUM National Union of Miners - Bergarbeitergewerkschaft
N.C.B. National Coal Board
picket line Streikposten(kette)
secondary p.l. nennen es die Arbeiter, wenn sie Streikposten vor anderen Betrieben aufstellen, um die dortigen Arbeiter zum Solidaritätsstreik aufzufordern
community (Bergarbeiter-)Dorfgemeinschaft

„Unsere Aktion ist politischer Natur. Die wollen hier nicht nur ein paar Kohlegruben schließen, die wollen die Räume von kollektiver Aktion für die ganze Klasse dichtmachen. Deshalb spielt die Regierung all ihre Karten aus und deshalb wird der Apparat alles tun, um zu siegen.” (Bergarbeiter aus Yorkshire)

„Die Bergarbeiter aus Lancashire sind nicht direkt in den .Streik einbezogen, oder besser gesagt: sie interessieren sich immer weniger dafür. Tatsächlich wurde ihnen der Kampf aus der Hand genommen und wird jetzt immer mehr vom Komitee der Gewerkschaftsdelegierten geführt, die versuchen, die Initiative auf industrielle Fragen zu beschränken und zu verhindern, daß der Kampf umfassenden gesellschaftlichen Charakter annimmt.” (aus einem Flugblatt der Gruppe »WILDCAT«, Manchester)

Ihr müßt mit uns rechnen

Bobby und Sue kommen aus Bentley, einem kleinen Bergarbeiterdorf in Süd-Yorkshire. Sie sind Schwestern. Ihre Familie gehört seit über hundert Jahren zur Bergarbeiter-Community. Entscheidungen, die ihr Leben und das Leben anderer Arbeiter-Communities bestimmen, liegen nicht in ihrer Reichweite. "Das läuft unten in London ab”, sagt Sue, die jüngere der beiden. "Das hatte nichts mit uns zu tun. Die glauben doch, daß wir hier immer noch in Sackleinen herumlaufen. Wir sind die im Norden, du bist aus dem Süden. Als es bei euch unten in London geschneit hat, haben wir gesagt: Die haben doch sonst alles, warum nicht auch das! Früher haben wir uns einen Scheißdreck drum gekümmert, was Margaret Thatcher mit dem Öl oder dem Ölpreis angestellt hat, heute geht es uns was an und wir kümmern uns drum.” – ”Sagen wir mal so”, meint Bobby bedächtig, ”du liest mehr, und was du liest, beunruhigt dich mehr. Es gab eine Zeit, da habe ich mir keine Gedanken über Kohle gemacht. Ich war halt eine Frau, diese Dinge gingen mich nichts an. Aber jetzt knien wir uns in einige Dinge rein.”

Bis zu dem Zeitpunkt, wo sie versuchen mußten, ihren Lebensunterhalt zu sichern, hatten Bobby und Sue nie im entferntesten mit etwas Politischem zu tun. Ihr Handeln, wie das anderer Frauen in den Kohlegebieten auch, erwuchs aus den praktischen Anforderungen der Community. Durch ihre Energie und Initiative haben sie und die anderen Frauen, die die Bentley Women'’s Action Group gründeten, einene tiefgreifenden und beispiellosen Wandel in der im wesentlichen männlich ausgerichteten Kultur der Bergarbeiter-Community bewirkt. ”Wenn wir jetzt im Pub sind, sitzen wir mit den Männern zusammen und mischen uns ein, statt über Haus und Kinder und solche Sachen zu schwätzen. Wir sitzen mit ihnen zusammen und reden über die Zeche. Wir wollen was hören, wir wollen erfahren, was in der Gewerkschaft los ist.” - "Manchmal war ich morgens vor ihm auf Streikposten, und als ich nachhause kam, hatte er die Hausarbeit erledigt.” - "Ich war immer der Ansicht, okay, die Männer besorgen das Denken. Jetzt sage ich, was ich denke, anders als früher. Ich war immer geradeheraus, aber ich habe mir nie einen Stoß gegeben.”

Wie fing alles an?

Wir sind zu einem Treffen der Unterstützungsgruppe "Frauen gegen Zechenschließungen’ (Women against Pit Closures, WAPC) gegangen und haben vorgeschlagen, miteinander in Kontakt zu treten, um eine Gemeinschaftsküche einzurichten, falls Interesse daran bestände. Unser erstes Treffen fand ungefähr fünf Wochen nach Streikbeginn statt. Wir dachten, Küchen wären eine gute Sache, weil wir als Frauen dann eine Rolle spielen und alle zusammenhalten könnten. So wären wir in der Lage, alle mit Essen zu versorgen, um so den Kampf gegen Zechenschließungen fortführen zu können. Aber wir haben nicht erwartet, daß das so lange dauern würde. Zuerst kamen nur Männer zum Essen, Frauen kamen überhaupt nicht. Sie dachten wohl, das wäre nur für Männer. Jetzt kommen auch sie und die Kinder. Jeder setzt sich zu jedem, Frauen bleiben nicht nur unter sich. Wir reden über das, was anliegt: Streikpostenstehen, was sonst passiert ist ... - die sollten die Streikzentralen in die Küchen verlegen, weil sich jeder dort aufhält.”

Als ich kurz vor Mittag im Küchenhaus in Bentley ankam, war man gerade dabei, das Essen aufzutragen. In der Küche waren ungefähr fünf Frauen und zwei Männer. Einer war ein Küchenchef im Ruhestand, der seine Dienste kostenlos zur Verfügung stellte. Helfen Männer mit? ”Ja, sie kommen schon rein und machen den Abwasch für uns”, sagt Bobby. "Wenn wir viel zu tun haben, packen sie mit an. Sie kaufen ein und wischen den Fußboden. Wenn man sie früher um so was gebeten hätte, hätten sie gesagt:'Weiß die Schlampe nicht, mit wem sie redet?', jetzt helfen sie - versteh mich nicht falsch, du kannst sie nicht in 22 Wochen umkrempeln, aber sie machen’s.”

Aber sich von Männern helfen zu lassen, erscheint ihnen als würdeloser Kompromiß. In der ersten Zeitnach ihrer Gründung bot die Gewerkschaft ihnen einmal 50£ an. Die Frauen beschlossen, das Geld als Darlehen zu betrachten und zwar mit der Begründung: ’Wir wollen uns selbst tragen und nichts mit der NUM zu tun haben. Wir wollten die Dinge selbst unter Kontrolle behalten. Kannst du dir vorstellen, Männer dabei zu haben, die im mer sagen ’Mach das so und so’ und ’Das geb ich dir und das nicht’. Nach so etwas war uns nicht zumute. Wir wollten Geld, wir wolten die Fäden in der Hand behalten. Zuerst haben wir gesagt: ’'Laß sie Streikposten stehen, wir werden sie alle versorgen, wir brauchen sie nicht, wir schaffen es alleine! Wir haben alles selbst entschieden, soweit es die Küche betraf.”

Den Männern die Stirn bieten

Die Frauen sind jetzt führend in der Community, sie machen ihren Einfluß in jedem Bereich des Gemeinschaftslebens geltend, sogar auf die geheiligte männliche Institution des Cricket am Sonntag haben sie ihren Anspruch angemeldet. ”Am Wochenende haben wir kein Geld mehr von der Sozialhilfe übrig, wir kochen keine Mahlzeiten mehr in der Küche. An solchen Tagen kann man Depressionen kriegen. Also organisieren wir sonntags Spiele. Frauen spielen beim Cricket und beim Schlagball gegen die Männer.” Wie haben die Männer darauf reagiert? "Also, du könntest meinen, wir wären beim Meisterschaftsvorlauf auf dem besten Cricketfeld in London. Weißt du, sie nehmen es so ernst, nach dem Motto ’Den Frauen werden wir’s mal zeigen’.” - ”Einmal hieß es”, sagt Sue und äfft ihren Tonfall nach, ”wenn ihr mogelt, spielen wir nicht mehr mit euch.’ Sie bringen uns sogar so weit, daß wir den Spielstand offiziell auf einem Blatt festhalten: Bentley Women’s Action Group gegen Bentley Streikposten. Sie haben uns sogar dazu gebracht, die Scheiß Polster zutragen, und sie konnten es nicht hinnehmen, wenn eine Frau einen guten Treffer landete.”

In der Aktionsgruppe wird nicht nur über Alltagsgeschäfte geredet. Hier wird auch darüber gesprochen, wie sich die Männer den Aktivitäten der Frauen gegenüber verhalten. Das Beispiel, das sie sich gegenseitig sind, gibt ihnen den Schwung und die Gelegenheit, einen Teil ihrer traditionellen häuslichen Passivität und Ängstlichkeit zu überwinden. Eine Frau mußte mit ihrem Mann um die Erlaubnis feilschen, nach London zu einer Versammlung zu fahren. Seine Zustimmung erhielt sie im Austausch gegen Sex. Als sie das anderen Frauen in der Gruppe erzählte, rief sie ’ Warum, zum Teufel, gebe ich ihm eigentlich nach?’ und erkannte, was sie getan hatte, um ihn ruhigzustellen. Anfangs trugen sie Bitten vor, jetzt handeln sie. "Wenn es um etwas geht, kämpfen wir weiter”, sagt Sue.”Wenn die Männer ’Nein’ gesagt haben, kommen die Frauen hierher und erzählen es uns. Dann greifen wir sie uns und sie kriegen zu hören: "Warum sagst du Scheißkerl nein?’ Rückfälle gibt es nicht, denn er weiß, es würde sofort in die Gruppe getragen. Als wir uns das erste Mal in einem Pub getroffen haben, hieß es ’Oh, er wird mich nicht in den Pubgehen lassen’, und wir haben gesagt 'Frag ihn’, und wenn er dann nein gesagt hat, sind wir ihm auf die Pelle gerückt.”

... Werden die Veränderungen nach dem Streik wieder rückgängig gemacht? ”Ich glaube nicht, daß eine von uns das zulassen wird. Es wird auf Teilung der Arbeit hinauslaufen. Die Frauen haben eine gute Sache erlebt, sie werden nicht wieder dahinter zurückfallen, schon garnicht die jungen Frauen.”

Normale Zeiten sind das nicht für die Leute in Bentley. Es handelt sich um eine Phase außergewöhnlicher Militanz in den Arbeits- und Sozialbeziehungen. Selbst wenn die Frauen nach dem Streik Selbstvertrauen und Kraft genug haben, sich weiter selbst zu organisieren, wird ihr Verhandlungsgewicht den Männern gegenüber sich zweifellos verringern. Politisches Engagement in Angelegenheiten, die die Männer angehen, isteine Sache. Eine andere Frage ist, ob sie so tolerant sein werden, wenn es um von ihnen völlig unabhängige Themen geht.

Wie dem auch sei, die Verhältnisse in den britischen Kohlerevieren werden nie mehr so sein, wie sie vor dem Streik waren. Die Frauen der Arbeiterklasse haben durch große persönliche Anstrengungen im Kampf ein Stück ihrer Stärke und ihrer Möglichkeiten erfahren. "Diese enge Bindung können wir nicht mehr verlieren. Statt die Kerle um Hilfe zu bitten, haben wir die Sachen unter uns selbst geregelt. Das ist toll! Dafür haben wir gekämpft. Später schließen wir uns vielleicht der Labour-Partei an und bilden eireFrauenabteilung,. Ich hab’s dir ja gesagt: Ihr müßt mit uns rechnen, auch wenn’s vorbei ist!”

Miner Conflicts – Major Contradictions

Die gängige Vorstellung vom Leben der streikenden Bergarbeiter und ihrer Gemeinden ist die der Armut, der Opfer, der Demoralisierung: sie müßten ihre kostbaren Erbstücke verkaufen, ihre geleasten Videos zurückgeben, müßten in Suppenküchen essen, das Eheleben zerbricht am äußeren Druck.

Um eben diesen entwürdigenden Mißständen entgegenzutreten, haben die Bergbaugemeinden und diejenigen, die sich mit deren Kampf identifizieren, damit begonnen, ein reales Leben außerhalb und gegen das Waren-Spektakel zu entdecken. Ungeachtet aller Fstnahmen, aller Schläge, den Morden an zwei Bergarbeitern durch Streikbrecher, ungeachtet der ganzen Medienscheiße, der relativen Armut und all der anderen Ernieddrigungen, entdecken die Streikenden den Spaß und die Würde der Solidaritätund des Kampfes. Verglichen mit den jüngsten Erfahrungen aus den meisten aktiven Streikregionen wäre ein siegreicher Ausgang des Streiks mit der anschließenden Rückkehr zum normalen Arbeitsleben ein bedrückender Anti-Höhepunkt, Verglichen mit 21 Monaten Demoralisierung nach dem Falkland-Massaker ist der Bergarbeiterstreik bereits jetzt, zumindest teilweise, ein Erfolg.

Einige Erfolge:

  • Die wachsende Zuversicht ansteigender Anzahl von Lohnsklaven, die für ihre eigenen Forderungen aufstehen, sei es auch mitreformistischen Forderungen.
  • Derwachsende Sinn für Solidarität. Dazu drei Beispiele:

Die Entwicklung der internationalen Blockade, insbesondere die Behinderung der Ein- und Ausfuhr von Kohle durch Hafenarbeiter und Seeleute in aller Welt, so z.B. in Australien und Neuseeland.

Als auf der Bergarbeiterdemonstration 1984 vier Leute, von denen drei Bergarbeiter waren, an der Gray Inns Road in London festgenommen wurden, weigerten sich ca. 4 000, etwa ein Drittel aller Demonstranten, weiter zu gehen und warteten ungefähr 1 1/2 Stunden, bis die vier freigelassen wurden. Das ergab einen vollständigen Verkehrszusammenbruch, weil sich außerdem die Busfahrer weigerten, die "picket-line” zu überschreiten. Ebenfalls am 7. Juni fingen Eisenbahner spontan an zu streiken, als ein Fahrer angegriffen und festgenommen wurde; sie hatten zudem den brutalen Polizeieinsatz an diesem Tag vor dem Shell-Gebäude miterlebt. Das war das erste Mal seit dem Krieg, daß nach brutalen Bulleneinsätzen ein wilder Streik ausbrach.

  • Die wachsende Bereitschaft, Geldprobleme ”untereinander” zu regeln. So wird mehr kommunale Unterstützung relativ unbürokratisch an Streikende verteilt, frei nach dem alten Slogan "jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen”.
  • Als Resultatdes gemeinsamen Essens ist die Isolation alleinstehender Bergarbeiter aufgebrochen, es hat sich herausgestellt, daß es Wege gibt, anders zu leben.
  • Die Tatsache, daß die Leute wesentlich mehr miteinander sprechen, allgemein hoffnungsvoller sind, als jemals wieder seit den Revolten 1981. Sogar viele von jenen Ehemännern und Ehefrauen, denen der Streik Konflikte brachte, die immer schon latent vorhanden waren, haben festgestellt, daß sie es bevorzugen, neue Formen von Beziehungen zu entwickeln, statt erstarrte fortzusetzen.
  • In Wales wurden freie, selbstverwaltete Schulen entwickelt, weil die Familien das Geld für die Schulbusse nicht mehr aufbrachten. Tiefergehende Kritik am staatlichen Erziehungssystem wurde bei den Aufständen von Schulkindern in Bergbauregionen deutlich. In Edinburgh begannen Schulkinder einen Streik, um die Bergarbeiter zu unterstützen. Lehrer riefen die Bullen, um sie wieder zur Schule zu nötigen. Dies hinderte die Kids jedoch nicht daran, am nächsten Tag wieder mit den Bullen, die sie die Highstreet rauf und runter verfolgten, Räuber und Gendarm zu spielen. In Maxborough randalierten Kinder und zerstörten einen Teil der Schule, weil sie keine Punkklamotten und -haare tragen durften. Daraufhin haben sie sich entschlossen, zu streiken, um die Bergarbeiter zu unterstützen. In einem Dorf in Fyfee beschlossen Schulkinder eigenmächtig, nach der Schule streikbrechende Kohlelastwagen zu stoppen, um sie an der Weiterfahrt nach Ravenscraig zu hindern. Das wurde durch die Bullen vereitelt. Aber diese Initiative wurde von Rentnern übernommen, sowohl Männern als Frauen, welche die LKWs so bedrängten, daß verschiedene Fahrer am nächsten Tag ”ihrer” Firma erzählten, sie könnten nicht länger Streikbrecherkohle ausliefern, weil sie das zu sehr beschämen würde. - Die wachsende Bereitschaft, Eigentum des N.C.B. zu besetzen, ja selbst Eigentum der NUM, welches von streikbrechenden Verwaltern beherrscht wird. Wichtig zu erwähnen ist die wachsende Tendenz, keine Polizeigewalt und Einschüchterung mehr ohne Krawalle hinzunehmen, z.B. in Malby, oder beim Stahlwerk in Olgreave (beides in süd-Yorkshire).
  • Die massive autonome Beteiligung von Frauen am Streik, die zwar oft in den Medien als heldenhaft dargestellt wird, aber obwohl ”man mit dem Herzen bei ihnen ist”, erscheinen sie doch ”ein bißchen zu verbittert, überemotional, und nicht wirklich rational, wie die Ehefrauen der arbeitenden Kumpel ... nicht wirklich weiblich", was zweifelsohne viele passive Zuschauer auch gönnerhaft zu glauben bereit sind. Bedauerlicherweise jedoch haben viele Frauen im Kohlerevier während des Streiks nicht die traditionelle weibliche Rolle der Pflege und Sorge für die Ernährung abgestreift. Sicher - ein paar Frauen sind schon auf Streikposten gesehen worden, aber nur wenige haben das gewaltfreie Image überschritten, welches von den opferbereiten Feministinnen in Greenham Common durchgedrückt wurde. (Die Frauen, die die Speckmade Thatcher im Juni ’84 mit Eier bewarfen, sind Ausnahmen, die hoffentlich zur Regel werden.)
  • In diesem Streik werden Auseinandersetzungen kollektiv und öffentlich, was gewissermaßen ein Fortschritt ist: diese Streitfragen - wer organisiert das Essen, wer beaufsichtigt die Kinder, wer wäscht die Klamotten, wer geht auf Streikposten, der Ärger über die klassisch-männliche Stumpfheit einiger Bergarbeiter mit ihrem dummblöden Lied "Get yer tits out for the lads” (holt eure Titten raus für die Kerle) - daß diese grundsätzlichen Ungleichheiten und Widersprüchlichkeiten öffentlich diskutiert werden, ist immerhin ein Anfang. Aber Solidarität und gemeinsamer Kampf müssen erst mal über die jetzige Einbahnstraßeneinigkeit hinausgehen, in der die Frauen Harmonie, Kontinuität und Unterstützung liefern, ohne umgekehrt auch nur die geringste Ermutigung von den Männern zu bekommen, jedenfalls nicht ohne mühsamen Kampf. Auch wenn kollektives Kochen und Waschen mehr Spaß macht, als alleine zuhause zu stehen und schwachsinnigen Schlagern im Radio zuzuhören, gibt es trotz dieser Verbesserung der Arbeitsteilung immer noch viel zu wenig Frauen im Streik, die verlangen, daß Männer mehr Bereitschaft zeigen, die Hausarbeit zu teilen, während sie selbst rausgehen und als Streikposten kämpfen (wie z.B. im Bergarbeiterstreik in Harlan County/USA in den 70er Jahren).
    Die Tatsache, daß im Sommer ’81 kämpfende Frauen an den Aufständen beteiligt waren, wenn auch in relativ geringer Zahl, wurde vom Greenham Common Spektakel aus der Erinnerung verdrängt.


Nach den Bergarbeitern die Sintflut

Henri Simon

Das Ende des Streiks kam etwas überraschend, denn als es die Gewerkschaftsbürokratie verkündete, befand sich zumindest noch die Hälfte der Bergarbeiter im Streik. Und wenn man sagt "zumindest die Hälfte”, so gibt das noch kein richtiges Bild von der Situation, denn es gab ja Regionen, wo niemand streikte, wie Lancashire, und es gab andere Regionen wie Wales, Yorkshire oder Kent, wo bis dahin niemand zur Arbeit zurückgekehrt war. Es gab also Schlüsselregionen des Bergbaus, die noch voll im Kampf waren, wovon die Medien ein falsches Bild liefern.

Ich denke, daß die Entscheidung, an die Arbeit zurückzukehren, ohne ein Abkommen zu schließen, weil das die Niederlage besiegelt hätte, nicht von der Basis, sondern von der Gewerkschaftsbürokratie kommt. Die ersten, die in diese Richtung gepusht haben, waren die Gewerkschafter aus Wales (H. Simon meint immer Südwales; d.Verf.). Ich habe mit einigen (englischen) Genossen darüber diskutiert und es sieht so aus, daß es in Wales überhaupt keine Diskussion unter den Bergarbeitern in Richtung Streikabbruch gegeben hat. Die Anordnungen der Bürokratie haben gewirkt - wie am Anfang.

Das hat nicht verhindert, daß sich im Laufe des Streiks eine ganze Reihe von autonomen Tendenzen entwickelt haben. Als die Bürokratie den Beschluß gefaßt hat, den Kampf zu beenden, gab es mehrere Versuche weiterzumachen, aber insgesamt sind ihre Anordnungen befolgt worden.

Andererseits gab es einen richtiggehenden Druck, die Arbeit wiederaufzunehmen. So gibt es z.B. ebenfalls in Wales eine Grube, wo die Gewerkschaft von den Stalinisten kontrolliert wird, und diese befolgen die Anordnungen des Apparats sehr strikt. Diese Grube wurde als Reklame für die Beendigung des Streiks benutzt: ein großer Umzug zur Grube, Musikkapellen, Presse, Fernsehen usw., um die Beendigung als positives Beispiel zu präsentieren.

Sicherlich, wenn es eine starke Strömung für die Fortsetzung des Kampfes gegeben hätte, so hätte sich diese auf die eine oder andere Weise durchsetzen können, aber das schließt nicht aus, daß von oben manipuliert worden ist.

Der andere, wenig bekannte und schwer einzuschätzende Aspekt besteht in der Tatsache, daß die Streikkosten für den englischen Staat sogar nach dem Ende des Kampfes noch fast katastrophal angewachsen sind.

An einem gewissen Punkt zwischen Januar und Februar verschob man die Verhandlungen auf die Spitzenebene, und je enger der Kreiswurde, desto geheimer liefen die Verhandlungen ab. Es hat Treffen zwischen den Gewerkschaftsbossen und denen des N.C.B. im engsten Kreis gegeben. Niemand weiß, was sie da geredet haben, aber meiner Ansicht nach haben sie eine Strategie ausgearbeitet, um den Streik so oder so zu beenden.

Zu Beginn des Steiks verhielten sich die Arbeiter aus anderen, bereits umstrukturierten Sektoren nicht solidarisch. Im Automobilsektor ist die Hälfte der Arbeiter entlassen worden, und das gleiche ist mehr oder weniger im Stahlsektor passiert. Das übliche Argument war:”Wir haben die Umstrukturierung hingenommen, warum sollten wir dafür kämpfen, daß sie anderen erspart bleibt?”

Um auf die Beendigung des Streiks zurückzukommen: sie wurde beinahe erwartet, da es Verhandlungen gab und man nicht verstand, an welchen Punkten diese blockiert waren. Im Zentrum dieser Verhandlungen stand wie überall die Bestätigung der Macht des Unternehmers und die Eliminierung der Arbeiter- oder Gewerkschaftskontrolle über diese Macht. Aber das ist eher ein Problem der Gewerkschaftsführung als der Bergarbeiter. Seit der Nationalisierung der Bergwerke hatte die Gewerkschaft ein beträchtliches Mitbestimmungsrecht und dies sollte abgeschafft oder zumindest beschnitten werden. Das schließt ein, daß der Streik eher als Konflikt zwischen Gewerkschaft und Direktion über ihre jeweiligen Machtanteile erschien, denn als Kampf zwischen Arbeitern und Direktion.

Das Streikende wurde zwar verordnet, aber es fiel in eine Situation, in der die Bergarbeiter für den Ausgang des Konflikts schwarz sahen. Sie hatten ein Jahr lang auf völlig neue Art und Weise gelebt. Ein Jahr ohne zu arbeiten hat vom Standpunkt der Veränderung der Lebensverhältnisse erregende Merkmale ...

Das Ende all dessen hatte einen doppelten Aspekt, der über die gewerkschaftlichen Ziele hinausging:

  • das Gefühl, eine wichtige Erfahrung gemacht zu haben und sich nicht geschlagen vorzukommen;
  • nach zwei, drei Wochen Arbeit war es beinahe das Gegenteil. Und die Direktion hat dies auszunutzen versucht, um ihre Absicht durchzusetzen. Bedenk doch, was es bedeutet, nach einem Jahr im Freien wieder unter die Erde zurückzukehren! Das war hart- und dann gab es noch Auseinandersetzungen mit den Streikbrechern und den Kapos. In den Regionen, wo die Bewegung stark war, haben die zur Arbeit Zurückgekehrten den Streikbrechern das Leben schwer gemacht, und in den Regionen, wo die Streikenden eine Minderheit waren, geschah das Gegenteil. Die Tatsache, daß sehr viele Bergarbeiter die Kündigung im Tausch mit einer Abfindung abzeptiert haben, zeigt, wie einschneidend sich die Perspektiven verändert haben. Sie hatten dafür gekämpft, nicht entlassen zu werden, aber der Kampf hat ihre Lebensperspek‚tive selbst verändert.

Der Beginn des Streiks war ziemlich konfus, da es bereits einen Streik gegen die Überstunden und um Lohnprobleme gab, der signifikante Auswirkungen hatte. Die Instandhaltung der Gruben konnte nur während der Arbeitszeit gewährleistet werden, so daß Gruben unter der Woche geschlossen und die Arbeiter suspendiert wurden (Erklärung dieses Zusammenhangs: Die Direktion spitzte die Auseinandersetzung so zu, daß die Instandhaltung der Gruben nur durch Überstunden besonders am Wochenende gewährleistet werden konnte. Als sich dies als ineffektiv herausstellte, mußte die Instandhaltung während der Arbeitszeit unter der Woche gemacht werden. Dadurch waren während dieser Zeit keine Abbauarbeiten vor Ort mehr möglich und die Direktion schickte die Arbeiter heim.) Deshalb gab es überall ein Klima der Unzufriedenheit und die Direktion hielt dies für den günstigsten Moment zum Handeln.

In der Grube, von der der Streik ausging, hatte die Direktion den Arbeitern ihren Arbeitsplatz für die nächsten zwei Jahre garantiert, um ihnen dann mitzuteilen, daß die Grube in 25 Tagen geschlossen würde. So etwas betrifft natürlich dein ganzes Leben, deine Pläne usw. und es fiel in eine sowieso schon gespannte und konfuse Situation von Streiks, Aussperrungen und Konflikten über Einzelfragen; die Gewerkschaftsbürokratie sah sich also zum Handeln gezwungen.

Ein typisches Beispiel für die Situation ist Wales. Es gab eine Streikabstimmung in den Regionen, und Wales hat dagegen gestimmt. Dann haben Bergarbeiter aus Yorkshire Streikposten aufgestellt und niemand hat diese picket lines überschritten; die Waliser sind in den Streik getreten, und es wurde die kämpferischste Region. Die Gründe dafür liegen in lokalen Besonderheiten: sie hatten gegen den Streik gestimmt, weil sie ein Jahr zuvor versucht hatten, gegen Grubenschließungen in ihrer Region einen Streik und Solidarität aus anderen Regionen zu organisieren und ihnen damals niemand geholfen hatte. Nach- dem sie aber ihre Wut darüber überwunden hatten, haben sie sich am Kampf beteiligt.

(Über die Anti-Streik-Maßnahmen der Regierung:)

So etwas habe ich noch nie gesehen. Ich spreche jetzt nicht einmal von der Polizei, obwohl die vollständig mobilisiert war und beinahe militärisch vorging, auf eine Art, wie man es in Europa bisher selten gesehen hat.

Nach den Streiks von 72/74 und 79, die zwei Regierungen - eine Labour und eine konservative - gestürzt haben, waren nicht nur die Konservativen, sondern allgemein die kapitalistische Macht entschlossen zu verhindern, daß noch einmal ein sozialer Konflikt solche politischen Konsequenzen nach sich zieht. Es gibt Klassenkonflikte, die für einen bürgerlichen Staat unerträglich geworden sind, und die sich aus dieser Sichtweise heraus nicht wiederholen dürfen. Ein Ziel der konservativen Regierung, ein fast ehrenrühriger Punkt, ist das Unterbinden der secondary picket line - und das betrifft nicht nur die Bergarbeiter. Die Klassenautonomie hat sich in den letzten 15 Jahren in Großbritannien dieser Form bedient, und sie konnte sich dabei z.T. auf die gewerkschaftliche Struktur stützen. Auf internationaler Ebene steht diese Form als außergewöhnliche Erfahrung der britischen Arbeiterklasse da. Diese Kampfform war für das Kapital sehr gefährlich, denn mit ihr konnten die Arbeiter ihren Kampf überall hintragen, in alle Wirtschaftszweige. Sie war also eine nicht vorhersehbare Form, den Streik auf anderem Weg auszuweiten und einfacher durchzuführen als der Generalstreik. Und außerdem konnte sie sich auf den Arbeiterkodex stützen, der den Respekt vor der picket line fordert.

Die Konservativen hatten bereits vor ihrem Regierungsantritt eine Kommission eingerichtet, die herausfinden sollte, wie man einen Streik der Bergarbeiter zerschlagen könnte. Als Thatcher an die Regierung kam, wurde diese Kommission gewissermaßen offiziell, und 1982 kam es dann zu einem ersten Zusammenstoß mit den Bergarbeitern. Die Regierung hat aber damals einen Rückzug gemacht, als es zu einer Streikdrohung kam, denn sie hielt ihre Zeit noch nicht für gekommen. Die Anti-Streik-Kommission wurde beauftragt, detaillierte Interventionspläne aufzustellen.

Es gab also eine präzise politische Absicht - und durch das Nordsee-Öl war die Situation günstig: die Kraftwerke wurden im Rahmen der englischen Autarkie-Politik auf Kohle umgerüstet, aber vorsichtigerweise ließ man sich die Möglichkeit offen, sie auch mit Öl zu betreiben. Die Kraftwerke hatten also riesige Kohlevorräte - die man auch zu anderen Zwecken einsetzen konnte! Darüber hinaus hatte man ein Netz von Pipelines angelegt, das die Versorgung der Kraftwerke sichert, ohne daß man auf zusätzliche Transporte auf anderen Wegen angewiesen wäre. Und schließlich hatten sie nach den Erfahrungen mit dem LKW-Fahrer-Streik 1979 Kontakte zu selbständigen LKW-Fahrern und zu kleinen, nicht gewerkschaftliich organisierten Firmen aufgebaut.

Als all das vorbereitet war, haben sie die Auseinandersetzung mit den Bergarbeitern aufgenommen.

Das waren die Vorbereitungen vor dem Streik. Nachdem der Kampf angefangen hatte, wurde die Polizei eingesetzt. Durch die Polizeireform von 1981 im Anschluß an eine Reihe von Revolten in den Städten war auch hier für effizientes Vorgehen gesorgt: durch größere Zentralisierung und erhöhte Mobilität. Aus den Lektionen von 1981 haben sie für die Zukunft gelernt. Es gab Lohnerhöhungen für die Polizisten, um sie zu einem „aggressiveren” Vorgehen zu bewegen. Man sagt, es hätten auch als Polizisten verkleidete Soldaten mitgemischt, aber dafür gibt es keine Beweise. Die Polizisten hatten eine modernere Ausrüstung und waren in der Nähe der Orte, wo die härtesten Auseinandersetzungen erwartet wurden, in Camps konzentriert. Allgemein nahm die Gewalt auf beiden Seiten enorm zu - was während der Radikalilisierung des Klassenzusammenstoßes logisch ist. Aber all das ist hinreichend bekannt.

Zurück zur Dynamik des Streiks. In der Schlußphase, als der Streik auf die einzelnen Gruben konzentriert ist, wird er beinahe autonom geführt. Vorherwaren die Bergarbeiter organisatoisch auf die Gewerkschaft angewiesen (Transport, Nahrung, Infrastruktur), um die Streikposten aufzustellen. Die Situation war paradox: die Gerichte wollten die Gewerkschaft für die Vorfälle zur Verantwortung ziehen, und die Gewerkschaft antwortete, daß sie nicht wissen könne, was in den einzelnen Ortschaften geschehe.

Im Verlauf des Streiks änderte sich die Strategie des N.C.B. und paßte sich der Situation an. Es kam heraus, daß in Rotterdam riesige Kohlehalden lagern, die von den verschiedenen Staaten im Streikfall benutzt werden können. Das N.C.B. kaufte Kohle aus Polen, Südafrika usw. und benutzte sie, um die englischen Exporte aufrechtzuerhalten und so keine Kunden zu verlieren. Von einem bestimmten Augenblick an wurde eine Menge kleiner Schiffe benutzt, um die Kohle nach Großbritannien zu schaffen. In England gibt es zwei Arten von Häfen: die großen, gewerkschaftlich organisierten, und die kleinen, die nach eigenem Gutdünken Arbeiter einstellen können. Die letzteren sind für große Schiffe nicht tief genug, aber die kleinen können einlaufen und entladen. Die Bergarbeiter konnten dagegen wenig ausrichten, weil es solche Häfen überall gibt.

Was die Regierungspolitik betrifft, gibt es einen Unterschied zwischen den Erklärungen und den Taten der Regierung. Die Sozialunterstützung wurde nur zu einem kleinen Teil angegriffen, weil man Angst vor Aufständen hat (es reicht, an die Revolten von 1981 zu erinnern, um diese Angst zu erklären). Die Arbeitslosengelder verschlingen die gesamten Einnahmen aus dem Nordsee-Öl. Wenn man bereit ist, mit wenig auszukommen, so ist es nach wie vor möglich, auf arbeitslos zu "machen”.

Was den Streik betrifft, gibt es noch eine andere, sehr wichtige Sache: den Gebrauch der Medien. Es gibt ein Komitee, das aus drei konservativen Partei-Mitgliedern besteht und sich in engem Kontakt zu MacGregor (Präsident des N.C.B.) um dessen "Image” kümmert. Diese drei haben sich auch um das "Image, des Streiks gekümmert und auf seine Niederlage hingearbeitet. Zum Beispiel hatte der regionale Leiter von Yorkshire eine Karte der Region mit den Wohnsitzen aller Bergarbeiter und hatte sich alle Personal-Dossiers geben lassen. Die wurden allen durchgearbeitet: wer hat Schulden, andere Probleme usw.; die Psychologie jedes einzelnen wurde analysiert, und man schickte Spione zu den Bergarbeitern nachhause, um deren Schwächen auszunutzen. Jedes mal, wenn einer zur Arbeit zurückkehrte, steckte man ein Fähnchen auf die Karte. Das mag wie Folklore aussehen, ist aber wichtig, um die Situation zu verstehen. Soweit ich sehe, ist es das erste Mal, daß die Arbeitspsychologie ... auf einer solchen Stufenleiter benutzt wird. Und noch ein Aspekt: auch wenn nur eine einzige Person an die Arbeit zurückgekehrt war und auch wenn diese offensichtlich nichts arbeitete, sicherte man ihr mit einer Masse von Polizisten den Zugang zur Grube. Und es gab eine Menge solcher spektakulären Fälle.

(Wie sieht es mit den Abfindungen aus?)

Anderswo wurden die Entlassungen akzeptiert (Metall-, Chemie-Industrie usw.). Wo es Kämpfe gab, gingen sie um die Erhöhung der Abfindungen. Im großen und ganzen gibt es drei Verhaltensweisen gegenüber den Entlassungen:

  • die Gewerkschaftsspitzen waren aus Prinzip für die Umstrukturierung;
  • die Delegierten waren dagegen, weil sie dadurch ihre relative Machtposition zur Diskussion gestellt sahen;
  • die Arbeiter waren bereit, die Abfindungen zu nehmen.

Im Fall der Bergarbeiter war die Abfindung recht hoch (70 000 bis 100 000 DM). Man muß allerdings bedenken, daß es in den Bergwerksregionen außerhalb der Gruben keine Möglichkeit von selbständiger oder Lohnarbeit gibt. In Yorkshire, Schottland und Wales beträgt die Arbeitslosenrate ungefähr 20Prozent. Darüber hinaus hatten die Bergarbeiter das Recht, ihren Arbeitsplatz dem Sohn weiterzugeben, und die Bergarbeiter finden keine andere Arbeit, sei es wegen ihrer Berufskrankheiten oder weil ihre speziellen Qualifikationen bei jeder anderen Arbeit unnütz sind. Der gekündigte Bergarbeiter kann ein paar Jahre von der Abfindung leben, aber dann muß er sich mit der Arbeitslosenhilfe begnügen. Im Vergleich zu den vormals hohen Löhnen ist das hart.

Nach dem Streik hat sich die Einstellung bei vielen verändert. Nach einem Jahr anderen Lebens haben viele gedacht: ”da sowieso nichts mehr zu verlieren ist, geh ich besser weg.” Viele Bergwerke sind nach einem Jahr der Inaktivität vollständig verkommen und sind geschlossen worden. Die Investitionen haben sich auf die besseren Gruben konzentriert. Mit weniger Gruben wird heute genauso viel Kohle produziert - du mußt bedenken, daß sehr viel in die Modernisierung investiert worden ist.

 
 
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