aus: Wildcat 38, Frühling 1986
Die Entscheidung, die Frankfurter linksradikale Geschichte der 70er zehn bis fünfzehn Jahre später noch einmal aufzurollen, genauer zu betrachten und zu untersuchen, beruht im wesentlichen auf zwei Gründen:
– Es liegt schon seit langem der Gedanke in der Luft, daß die politische Orientierungs- und Substanzlosigkeit der Autonomen, ihre Phantasie- und Perspektivlosigkeit.zu einem Gutteil auf die historischen und politischen Brüche der autonomen Bewegung seit den 70ern zurückzuführen sind. Das Freischaufeln der Geschichte, der frühen Ansätze und der damit gemachten Erfahrungen könnte dazu beitragen, wieder politische Kriterien für Verhaltensweisen, Kampfformen und Kampfinhalte gegen dieses kapitalistische System zu entwickeln – Widerstandsgeschichte als Vehikel zum besseren Verständnis der gesellschaftlichen Verhältnisse und auch als Mittel, verschüttete Kreativität freizusetzen.
– Im Zusammenhang mit der Ermordung von Günter Sare im September letzten Jahres präsentierte sich die Frankfurter Grüne/ Ex-Sponti-Fraktion wieder einmal in aufdringlichster Weise als Leichenfledderer mit ihrer geschichtsklitternden Version der »gemeinsamen Vergangenheit. Dies unterstrich für uns noch einmal die Notwendigkeit, eine authentische Aufarbeitung der Kämpfe der 70er zu versuchen, und dabei auch die Spuren derer nachzuzeichnen, die getreu der Parole von Willy Brandt (sinngemäß) »Ein guter Sozialdemokrat muß auch einmal Jungsozialist gewesen sein« heute die Hebel der Macht gegen jedwede sozialrevolutionäre Bewegung zu setzen bereit sind.
– Die Aufarbeitung der Geschichte der Frankfurter autonomen Linken in den 70ern hat mehr Schwierigkeiten bereitet, als wir uns das haben vorstellen können. Nur sehr wenige Genossinnen waren bereit, diesen Teil ihrer eigenen Geschichte noch einmal aufzurollen und einer politischen Auseinandersetzung zur Verfügung zu stellen. Wobei natürlich von vornherein klar war, daß dafür nur diejenigen in Frage kommen, die heute weder als Betreiber noch als Sympathisant grüner Politik auf der anderen Seite stehen – und das ist leider ne kleine Minderheit. Daß auch unter denen viele eine gewisse Scheu an den Tag legten, können wir uns nur mit einer Angst vor den Konsequenzen erklären, der Furcht, damit auch das eigene Verhalten und vor allem die nachfolgende resignative Untätigkeit in Frage zu stellen. Diese Verweigerung hat uns gezwungen, unser ursprüngliches Konzept einer Auseinandersetzung im großen Rahmen, in die eine Vielzahl subjektiver Einschätzungen einfließt und die es uns möglich macht, die Ereignisse möglichst authentisch dazustellen und zu objektivieren, weitgehend aufzugeben. Deshalb beschränkt sich der erste Teil, der in dieser Nummer abgedruckt ist, zunächst auf eine Annäherung; er stellt einige Mythen der 70er Bewegung gegeneinander – löst sie aber (noch) nicht auf. Nicht zuletzt einige Gespräche mit Genossinnen aus der 80er Bewegung haben uns die nahezu vollkommene Unwissenheit und Desinformation über die 70er Jahre gezeigt, wir mußten also sehr breit Informationen einstreuen; dadurch gehen ständig drei Ebenen durcheinander: Infos, politische Wertungen und politische Kontroversen zwischen denen am Gespräch beteiligten GenossiInnen. Deshalb hier eine kleine »Gliederung«.
Das Ganze kreist um drei Bereiche:
1) Das Verhältnis der Bewegung zum institutionalisierten Reformismus in Form der SPD, aber auch zu reformistischen Tendenzen innerhalb der Bewegung;
2) Die Verbindung von Untersuchung, Massenagitation und Bewegung war kein Selbstläufer, gleichwohl hat diese Verbindung dazu beigetragen, daß sich der Häuserkampf überhaupt in dem Ausmaß entfalten konnte und sie war sicherlich das politisch fruchtbarste Moment des Frankfurter Häuserkampfs;
3) Vor diesem Hintergrund entsteht eine Diskussion über organisierte Militanz. Dies haben wir dargestellt anhand der Putzgruppe und ihrem (widersprüchlichen) Verhältnis zur Bewegung – was eine sehr kontroverse Diskussion über die Möglichkeiten von Organisation überhaupt ausgelöst hat. Diese Punkte sind aber auch in diesem ersten Teil nur angeschnitten und müssen in der nächsten Nummer weiter diskutiert werden.
Nun noch kurz was zum historischen Zusammenhang. Aus der Auflösung des SDS 1969 gingen im wesentlichen drei Fraktionen hervor. Als erste die, die an der Reformuni blieben, um dort ihre akademische Karriere zu machen. Als zweite die K-Gruppen, die getreu dem Motto Maos »laßt hundert’Blumen blühen« sich in unzählige Sekten zersplitterten. Und als dritte die Spontis, die sozusagen die Autonomen der 70er Jahre waren. Die Spontis machten vorwiegend »Randgruppenarbeit« (Obdachlose, Knackis, Fürsorgezöglinge usw.), Lehrlings, Schüler- und Solidaritätsarbeit. (Black Panther), Stadtteil- und Betriebsarbeit.
Die von Anfang an unter den Spontis dominierende Gruppe war der Revolutionäre Kampf (RK), der sich 1969 als Betriebsgruppe konstituierte und zunächst bei Opel in Rüsselsheim die Betriebsarbeit begann, später auch in Frankfurter Betrieben, und dies bis Mitte der 70er Jahre fortführte. Der RK wurde auch zur organisierten Struktur des Häuserkampfs.
Um die Thematik überhaupt in den Griff kriegen zu können und die Uferlosigkeit zu vermeiden, haben wir sie in drei Teile gegliedert: Betriebsintervention, Häuserkampf und Militanz/bewaffneter Kampf. Und mit dem »Häuserkampf« fangen wir an.
Der Frankfurter Häuserkampf war wesentlich mit der Umstrukturierung der »Bank-und-Handels-Metropole Frankfurt« verbunden. Frankfurt liegt ja zentral innerhalb der BRD, ist Verkehrsknotenpunkt (Frankfurter Kreuz, Rhein-Main-Flughafen usw.) Und Metropole heißt ja auch immer räumliche Expansion. Und für die Banken und Versicherungen war kein Viertel der Stadt so prädestiniert wie das Westend; es grenzt unmittelbar an die City, das Bankenviertei, den Hauptbahnhof einschließlich Puffzentrum, Messe und Uni. Es hat also eine sehr gute Verkehrsanbindung und es hat bestimmte Stadtteilqualitäten, denn es war ja früher der Sitz der Frankfurter Bourgeoisie, also repräsentative Villen, großbürgerliche Mietshäuser, relativ ausgedehnte Erholungsgebiete, Grünanlagen. Parks, Palmengarten. Die »Sanierung« des Westend erfolgte in zwei Schritten. Zunächst kauften die Banken und Versicherungskonzerne entweder direkt ganze Grundstückskomplexe auf, oder sie bedienten sich der Spekulanten. Das waren bis auf den Frankfurter Schah-Bankier Ali Selmi meistens Juden, die hier fürs Finanzkapital die Drecksarbeit' machten und sich als hochdotierte Aggressionsobjekte für den latenten Antisemitismus präsentierten.
Der nächste Schritt war die massive Einquartierung von Arbeitsemigranten im Viertel. Das beschleunigte zum einen die Abwanderung der traditionellen bürgerlichen Westendbewohner und ermöglichte zum anderen kurzfristige horrende Mieteinnahmen durch Wuchermieten und katastrophale Überbelegung ganzer Straßenzüge.
Das war also die Situation, in der es zu den ersten Besetzungen kam: die absolute Anzahl der Westendbewohner war drastisch zurückgegangen, die Fluktuation der Bewohner hatte nicht weniger drastisch zugenommen. Die Mieten waren in astronomische Höhen getrieben worden: ungefähr so hoch wie heute bei damals etwa halb so hohen Löhnen. Für Leute aus der Scene war’s so gut wie unmöglich, Häuser oder große Wohnungen für WG’s zu mieten – und das Zusammenleben hatte damals einen ganz hohen Stellenwert. Brisanz bekam diese Problematik dann im Zusammenhang mit den Spekulationspraktiken, also dem Leerstehenlassen der Häuser und der Wohnsituation der Arbeitsemigranten. Und die aus Italien vorübergehend in die BRD emigrierten italienischen Genossen trugen dazu bei, solche Forderungen wie »10 Prozent vom Lohn für die Miete« auch hier populär zu machen.
Und dieses Gemisch gab dem Frankfurter Häuserkampf seine Bedeutung: die eigenen Bedürfnisse plus die reale Intervention in die objektiven Bedingungen. Und das hat ja auch weitreichende Folgen noch bis heute: noch immer sind die Mieten teilweise eingefroren (auch im Verhältnis zu anderen Städten), die in den letzten Jahren praktizierte »schonende« Sanierung war mit viel Knete auch für die Bewohner verbunden usw. Selbst in den negativen Folgen wirkt noch der Häuserkampf nach: frühere Häuserkämpfer sind heute Sanierungsstrategen, andere sind heute Hausbesitzer, die neuen Mittelschichten, und kriegen Hunderttausende, ja Millionen in den Arsch geblasen.
Die ersten drei Hausbesetzungen in Frankfurt, überhaupt die ersten Hausbesetzungen in der BRD finden also zwischen September und November 1970 statt. Die Initiative dazu ging von dem Teil der ehemaligen Studentenbewegung aus, der sich auf Obdachlosen-, Fürsorgezöglings- und Gefangenarbeit bezog und auch Stadtteilarbeit machte. Dazu kam die Zusammenarbeit mit italienischen Genossen von »Lotta Continua« (»Permanenter Kampf«, einer der wichtigsten linksradikalen italienischen Organisationen Ende der 60er/Arnfang der 70er), die man ja auch von der Betriebsarbeit des RK beim Opel her kannte. Diese ersten drei Besetzungen waren also keine reine Scene-Angelegenheit, sondern es waren gemischte Gruppen, Emigranten, deutsche Prolis und Studies ....
Diese Chronik ist unvollständig. Sie erfaßt weder alle besetzten, noch alle im Mietstreik gewesenen Häuser.
1970 | |
---|---|
19.9. | Eppsteiner Str. 47 besetzt Das Haue Eppsteiner Str. 47 wurde von kinderreichen Familien, ausl. Und deutschen Arbeitern, Lehrlingen und Studenten besetzt. |
15.10. | Corneliusstr. 24 von Arbeitern und Studenten besetzt. 2 kinderreiche Familien kamen aus Notunterkünften. |
Nov. | Liebigstr. 20 von ausländischen und deutschen Arbeiterfamilien besetzt (Das Haus wurde Abgerissen und die Bewohner hatten Sozialwohnungen bekommen). |
17.11. | wurde das Haus Güntherstrasse 26 von Schülern und Lehrlingen besetzt. Nach dreitägiger Besetzung räumte die Polizei, ohne auf Widerstand zu stoßen, das Haus. |
1971 | |
Anfang 71 | Die Bewohner des Hauses Altkönigstr. 14 setzten sich gegen Mietwucher, Spekulation und Terrormaßnahmen zur Wehr. Sie mußten horrende Preise für Löcher mit fehlenden sanitären Anlagen bezahlen. Einige Monate führten die Bewohner den Mietstreik durch. Das Haus wurde von der Polizei geräumt. |
Mai | Jügelstr. (Stud.Wohnheim) teilweise besetzt. |
10.8. | Ulmenstr. 20 erklärt Mietstreik |
Sept. | Altkönigstr.10 im Mietstreik. OB Müller initiiert Sozialbindungspapier |
29.9. | Grüneburgweg 113, gescheiterter Besetzungsversuch mit anschließender Straßenschlacht |
2.10. | Bockenheimer Landstr. 111, Dietmarstr. besetzt, Mieterdemo wg. Grüneburgweg 113 A 1. |
Bundestag verabschiedet Gesetz zur Verbesserung des Mietrechts mit Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum | |
12.11. | Güntherstr.26 besetzt |
2.12. | Bockenheimer Landstr. 93 besetzt |
16.12. | Kettenhofweg 59 teilweise besetzt |
1972 | |
4.1. | Razzia in d. Jügelstr. |
Jan. | Mietstreik Beethovenplatz 4 (später Spontivilla genannt, Stud.WH) |
.2. | Kettenhofweg 51 besetzt |
25.2. | Mietstreik Eschersheimer Landstr. 220 |
4.3. | Mieterdemo |
8.3. | Razzia und Räumung in der Jügelstr. |
12.4. | Razzia Corneliusstr. |
14.1. | Spekulantentribunal |
15.4. | Mieterdemo |
2.5. | Adalbertstr. 15 besetzt (von Jusos, 3. Anlauf) |
18.6. | Mietstreik Elbestr. 36 |
25.6. | Mietstreik Eppsteiner Str. 44 |
31.7. | Schubertstr. 27 besetzt und sofort geräumt |
Sept. | Mietstreik Gräfstr. 45, Westendstr. 58-62 etc. |
18.9. | Razzia Sponti-Villa |
Nov. | Mietstreik Rob. MayerStr.36, Beethovenstr.32 Westendstr. 89 etc. |
1.2. | Verordnung über Zweckentfremdung von Wohnraum: 'Sozialbindungspapier' |
1.4. | Rudi Arndt OB |
22.10. | Kommunalwahlen |
1973 | |
Sept. | Neun Jugoslawen verbrennen nach »ungeklärter« Brandstiftung in der Niedenau 12 |
12.1. | Mietstr. Bergerstr.252 |
17.2. | Mieterdemo wg. AGB u. Hellerhof (gemeinnützige Wohnbaugenossenschaft) nach bis zu 50-prozentiger Mieterhöhung |
16.3. | Mörfelder Landstr.40, Räumung verhindert Go-In des Häuserrats im Römer (Bauausschußsitzung wg. Kettenhofweg) |
28.3. | Räumungstermin, erste Schlacht um den Kettenhofweg |
30.3. | Tribunal an der Hauptwache, Straßentheater, Stände in Stadtteilen |
31.3. | Demo und zweite Schlacht um den Kettenhofweg 11 A. Razzia im Mietstreikhaus Schwindstr. 14. April ABG-Klaqe gegen Mieter Oskar-von-Miller-Str. 10. Mietstreik von elf italienischen Arbeiterfamilien. |
9.5. | Razzia Bockenheimer Landstraße 111 |
15.5. | Gescheiterte Besetzung durch Frauengruppe in der Freiherr-von-Stein-Str. |
19.5. | Leipziger Str.3 besetzt |
Juni | Häuserrat mauert das Wohnungsamt zu. |
Juli | Straßenfest Bergerstr. Nach verbotener Demo, mit Wasserwerfern niedergewalzt. Auseinandersetzungen fast die ganze Nacht über quer durch die Innenstadt. |
11.7. | Demo gegen Bulleneinsatz in der Bergerstr. |
Ab August: | Giftgas-Einsätze |
23.8. | Selmi-Hochaus brennt |
27.8. | Demo, organisiert von Unione Inquilini + Jusos, in deren Verlauf das »grüne Haus« in der Günthersburgallee mit leerstehenden Luxuswohnungen von italienischen Emigrantenfamilien besetzt werden sollte. Die Bullen waren informiert und besetzten ihrerseits das Haus vorübergehend. Als Reaktion darauf besetzten am |
2.9. | italienische Emigranten die Friesengasse 5 und 7, sie wurden gleich geräumt. |
27.10. | Demo für Bockenheimer Landstr. 111 (Block) |
31.10. | versammeln sich wegen der erwarteten 'Block'räumung zum 1.November. 4000 GenossInnen in der angrenzenden Uni zum nächtlichen Teach-in. Demo für Bockenheimer Landstr. |
19.12 | Demo für Bockenheimer Landstraße 111 |
31.12. | Fest im Block, zu dem auch viele Westendbewohner kommen. |
1974 | |
1.1. | Frankfurter Polizei untersteht ab jetzt dem hessischen Innenminister |
Jan. | Tribunal »Häuserrat gegen Magistrat« |
30.1. | Asta-Durchsuchung |
21.2. | Räumung Block Bockenheimer Landstr.111-113, Schumannstr. 69-71 |
23.2. | Der »blutige Samstag« Demo von 10.000 Leuten durch Innenstadt und Westend zu den Ruinen der geräumten Häuser (Uni-Viertel), der mit einem der heißesten Straßentänze der 70er Jahre in Frankfurt |
24.2. | Faschingssonntag: mit der Begründung, daß von »Politrockern« der Faschingsumzug gestört werden sollte, viele Festnahmen von der Straße weg und Vorbeugehaft, u.a. 30 Leute der Rockergruppe »Bones«- |
D: Damals gab’s ja bereits seit einiger Zeit die »Aktionsgemeinschaft Westend«, eine Bürgerinitiative, die sich besonders auf Vorstandsebene zum größten Teil aus SPD- und Kirchenfunktionären zusammensetzte, und die ihren Protest gegen die Zerstörung des Stadtteils durch Flugblätter, Bürgerversammlungen und Petitionen artikulierte.
E: Dazu kommt, daß der Frankfurter Magistrat zu dieser Zeit aus einer SPD/CDU/FDP-Koalition bestand, wo die SPD auf der einen Seite die CDU für die Mißstände verantwortlich machte, um auf der anderen Seite diese Politik natürlich mitzutragen.
R: Das alte Spiel des staatstragenden Bürgerprotests, das ja heute wie noch nie landauf, landab Usus ist, und das haben wir mit den Besetzungen damals völlig überrolli. Wir haben uns nicht an deren »Protest« drangehängt, sondern die mußten sich an unseren Kampf dranhängen, um sich nicht völlig zu isolieren.
A: Unsere Forderungen waren die propagandistische Kopplung von Lohn und Miete, also »10 % vom Lohn für Miete«, und überhaupt anständige Wohnungen, die ein kollektives Zusammenleben ermöglichen.
N: Die völlig neue Aktionsform und die gezielte Auswahl der Häuser, die damit zu Spekulationssymbolen wurden, ließen dem Magistrat eine »polizeiliche Lösung« nicht ratsam erscheinen. Die Hauptrolle dabei dürfte sicher auch die Zusammensetzung der Besetzer gespielt haben.
F: Wobei man: natürlich sagen muß, daß diese Zusammensetzung nicht widerspruchsfrei war. Bei der ersten Hausbesetzung, der Eppsteiner Str. 47, war es so, daß sich das Besetzerkollektiv, alles Studenten, nach einer kinderreichen, armen deutschen Familie umsah, die dann schließlich nach zäher Überzeugungsarbeit in das besetzte Haus einzog. Außerdem waren ein oder zwei italienische Emigrantenfamilien mit von der Partie. Resultat war jedenfalls, daß der deutsche Familienvater auch weiterhin besoffen seine Töchter verprügelte – und ich glaub auch seine Frau und den Besetzern auf dem Flur lauthals anriet, endlich mal schaffen zu gehen...
A: Einerseits entsprach das den politischen Ansprüchen, andererseits diente es als Absicherung gegenüber dem Magistrat, der ungern deutsche Familien auf die Straße wirft. Also alles ein durchaus ambivalentes Verhältnis.
N: Und später gab es dann auch auf der Ebene der Bewegung eine Art Trennung: Zwar haben sich die Genossen, die die Mietstreiks mit initiierten, auch in die Hausbesetzungen eingeklinkt, umgekehrt war das aber leider muß man sagen weniger der Fall.
G: Ich fänd’s aber besser, diese zwei Schienen jetzt auch in der Diskussion getrennt abzuhandeln, da die Probleme, Schwierigkeiten, Widersprüche und Konflikte doch zum Teil sehr unterschiedlich waren!
Nach diesen drei »gemischten« Besetzungen lief der Häuserkampf auf zwei Schienen ab: die Mietstreiks der italienischen und türkischen Emigranten (etwa vom Frühjahr 72 bis zum Frühjahr 73) einerseits und die Hausbesetzungen durch die Scene mit dem RK als dominierender Gruppe andererseits (von Oktober 71 bis etwa Frühjahr/Sommer 72). Ziemlich genau ein Jahr nach den ersten drei Hausbesetzungen kam der nächste Besetzungsversuch, diesmal nur von Spontis, im Grüneburgweg. Die SPD griff zur »polizeilichen Lösung«, ließ räumen und provozierte damit eine Straßenschlacht. Das führte jedoch zu einer Solidarisierung in weiten Teilen der Bevölkerung wie auch in Teilen der Medien.
S: Diese Solidarisierung ist allerdings nicht vom Himmel gefallen, sie war ganz klar Produkt der breiten und massiven Propagandaarbeit!
P: Sie brachte aber auch die Reformisten in der SPD (Alexander Schubart, Jusos) ordentlich in Zugzwang, um nicht noch mehr Boden unter den Füßen zu verlieren. Die haben dann auch Häuserratsflugblätter mitunterschrieben und zu den Demos mitaufgerufen.
O: Vor lauter Schreck über die breite Resonanz und die Solidarisierung machte die SPD-Führung alsbald eine Kehrtwendung: der SPD-OB kündigte die Revision der nach den ersten drei Besetzungen erlassenen Verfügung an, derzufolge weitere Hausbesetzungen von der Polizei verhindert und besetzte Häuser auf Antrag der Eigentümer geräumt werden sollten.
N: In dieser Situation machte der RK exakt das Richtige. Die, um es mal so zu sagen, »militärische« Niederlage am Grüneburgweg wurde in einen politischen Sieg umgemünzt, indem die breite Solidarität nach dem Grüneburgweg umgehend am darauffolgenden Wochenende in eine breite multinationale Mieterdemonstration umgesetzt wurde. Und die wurde gekrönt mit der erfolgreichen Besetzung der Bockenheimer Landstr. 111.
T: Von da an ging's dann Schlag auf Schlag. Güntherstr., die (Bockenheimer Landstraße d.V.) »93«, Kettenhofweg und so weiter. Wohlgemerkt alles Sponti-Besetzungen. Kurz darauf setzten dann auch verstärkt und massiv die Mietstreiks der Emigranten ein, die natürlich durch die erfolgreichen Besetzungen beflügelt wurden.
I: Selbst die Jusos sahen sich genötigt, sich an einer Hausbesetzung zu versuchen. Die gelang schließlich im dritten Anlauf, nachdem zweimal ihr Möbelwagen von den Bullen abgefangen worden war.
B: Der erste Return der Bullen setzte wie immer am schwächsten Punkt an. Das war die Jügelstraße. Das war ein Block von acht kleineren Gebäuden auf dem Unigelände, wo die neue Mensa gebaut werden sollte. Als das Geld für den Mensabau ausging, überließ die Uni die Gebäude teilweise dem Asta. Nach und nach wurden die restlichen schleichend besetzt: von verschiedenen Fachbereichsgruppen , also »Rote Zellen«, dem KSV (später KSB. Studentenorganisation des KBW. d.V.) und 'ner Menge »Freaks«, Knackis, Fixern und so. Na ja, und nachdem es zu Schlägereien gekommen war, rief der KSV die Bullen zu Hilfe, die diese Einladung prompt mit einer Räumung und der Zerstörung der Räume verband.
E: Jetzt mal abgesehen von den durchgeknallten KSVlern, für die die »Freaks« bloß Asoziale waren, genauso wie sie uns als »wildgewordene Kleinbürger« bezeichneten und die RAF ebenfalls. Das Problem gab es ja mehr oder weniger in allen Häusern. Die Häuser waren Anlaufpunkt von all denen, die keinen anderen halten: entlassene oder abgehauene Knackis, durchgebrannte Kinder und Jugendliche, Alks und Fixer, Penner und Spitzel.
S: Gerade was die Spitzel betrifft, war die Trennung oft schwierig und die Übergänge manchmal auch fließend. Weil das in der Regel ja keine Bullen waren, sondern Typen, die von den Bullen erpreßt wurden.
E: Das gleiche Problem hatten wir ja mit den Spitzeln überall innerhalb der Scene: meistens Typen, denen die Bullen Brüche und Überfälle nachweisen konnten und die sie mit der Drohung »Fünf oder zehn Jahre Knast oder...« weichkochten. Genau damit haben sie ja im übrigen ziemlich bald den Gefangenenrat geknackt.
T: In einem Haus gingen die Probleme mit Bewohnern bis hin zu Zuhälterei und Vergewaltigung. Da blieb als einziger Ausweg nur noch ein Rollkommando. Und natürlich wurde das von Bullen und Medien weidlichst ausgeschlachtet.
Z: Außerdem haben die inneren Konflikte, die ganzen Probleme um die Frage, wie man mit den zugelaufenen Kindern, den Fixern und so umgeht, die politischen Auseinandersetzungen überlagert oder sogar weggedrückt.
Das Gegenstück dazu war sowohl von der Bewegung her als auch von der Reaktion des Magistrats die letzte Besetzung. Das war im Sommer 1972 die Schubertstraße. Hier warteten schon die Zivis auf die Besetzer. Ein Großteil der Scene war zu der Zeit im Urlaub. Die SPD zog alle reformistischen Register: räumte zunächst und quartierte später die Besetzer legal über die »Städtische Wohnheim GmbH« wieder in das Haus ein.
H: Nun war es zu diesem Zeitpunkt aber noch lange nicht so, daß SPD und Bullen im Aufwind gewesen wären. Im Gegenteil, es lief eher eine Blockade von innen. Inzwischen hatte sich im Häuserrat, der ja nur dem Namen nach der »Rat der besetzten und bestreikten Häuser« war, in Wirklichkeit aber ein Häuflein Spezialisten war, bei denen hatte sich also 'n ziemlicher Frust über die vielen erfolgreichen Besetzungen breit gemacht, weil sie die personelle Basis des Häuserkampfs nicht wirklich erweiterte. D.h. der Wohnungskampf der Besetzer erschöpfte sich weitgehend mit der geglückten Besetzung und der Teilnahme an den Demos. Reaktiviert wurde er in der Regel nur dann, wenn die eigene Räumung drohte.
A: Z.B. beim Kettenhofweg war's ja so, daß erst die Frage war, ob die Leute 'ne bestimmte Mietwohnung, die sie in Aussicht hätten, kriegen. Und erst als klar war, daß das nicht läuft, wurde alternativ der Kettenhofweg besetzt. Und wenn dann unter solchen Voraussetzungen Besetzungen laufen, führt das ganz schnell dahin, daß sich nur 'n paar interessieren und quasi den Idiot für die anderen machen und der Rest wohnt halt billig und freut sich über die schönen Stuck-Altbauten und man kann sich auch noch in dem Ruhm sonnen, in 'nem besetzten Haus zu wohnen. So Dinger sollt mer halt auch net unterschätze.
U: Aber das ist doch erstmal ’ne ganz normale Geschichte. Klar war das für die Häuserrätlis 'n ziemliches Problem, nur kann keiner erwarten, daß alle Hausbesetzer nur noch Stadtteilarbeit und Wohnungskampf machen.
S: Fakt war aber, daß die Scene-Hausbesetzungen vom Häuserrat zugunsten der Emigrantenarbeit sabotiert wurden. Das kann man schon rein zeitlich nachvollziehen, denn das Ende der Hausbesetzungswelle ging im Frühjahr 72 einher mit dem Beginn der Mietstreikwelle.
E: Es wurde zwar so nicht gesagt, aber wer sich seine geplante Hausbesetzung nicht vom Häuserrat genehmigen ließ, wurde nicht unterstützt.
R: Das war z.B. in der Schubertstraße der Fall.
A: Es wurde also eine Liste angelegt, auf der die ganzen Kandidaten vermerkt wurden. Auf Platz 1 der Rangliste stand ein Zentrum für die Emigranten. Da diese Besetzung nie zustande kam, ereilte die folgenden Ränge zwangsläufig dasselbe Schicksal.
T: Das ist schon richtig. Nur gehören auch hierzu zwei Seiten. Die bereits angesprochene Zurückhaltung von großen Teilen der Scene bezüglich mühsamer Kleinarbeit bzw. die Delegation dieser Arbeit an so ein paar Hansel schafft doch letztlich die Strukturen, die sowas ermöglichen und produzieri so selbst interne Machtstrukturen – zumindest trägt das zu der Entwicklung dieser Strukturen bei, die letztlich den verhaßten und belächelten Parteihierarchien gar nicht so unähnlich sind.
Vielleicht sollten wir hier mal’ne Linie ziehen und an der Emigrantenarbeit und den Mietstreiks weiterreden. Ich denke, das paßt hier sowohl von der angesprochenen Thematik als auch zeitlich ganz gut rein.
M: Die italienischen Genossen hatten zu dieser Zeit bereits in Mailand konkrete Aktionen – massenhafte Mietstreiks – organisiert. Auf fehlt dem Hintergrund der Mailänder Erfahrungen (Unione Inquilini, Revi-Mietergewerkschaft, d.V.) wurde beschlossen, auch hier in Frankfurt unter den Emigranten Mietstreiks zu organisieren.
I: Monatelang wurden von uns mehrsprachige, also italienische, türkische, spanische und deutsche Flugblätter vor Kinos, Konsulaten und den Emigrantenhäusern – dort in die Briefkästen – verteilt. Die Parolen waren meist: Schluß mit den zu hohen Mieten! Wir wollen nicht in Löchern wohnen! Die Bosse beuten uns Emigranten auch hier noch zusätzlich aus! Wehrt Euch gemeinsam durch Mietstreiks! 10 Prozent des Lohns für Miete!
E: Okay, ich fang mal mit der Entwicklung der Mietstreikkampagne an. Die anfängliche Zusammensetzung waren ein paar deutsche Studenten, hauptsächlich Juristen, zwei italienische MLer und zwei süditalienische Arbeiter. Die sind irgendwie über die Emigrantenhausbesetzungen zusammengekommen.
G: Wir organisierten mit den italienischen Genossen eine Fragebogenaktion. Die Fragebögen gingen über Wohnsituation, Fabrik, Emigration. Mit den Fragebögen zogen wir im Westend von Emigrantenhaus zu Emigrantenhaus und initiierten dadurch oft eine Diskussion rund um das Verhältnis: Zustand der Wohnungen, Miethöhe und -Streikmöglichkeiten.
D: Die italienischen Genossen schrieben die Flugblätter, eine Türkin und ein Spanier mußten übersetzen und wir kritisierten immer nur die reine Wohnungsagitation. Multinational war sie schon, die Agitation, aber mehr auch nicht.
A: Die ersten bei den Mietstreiks in der Ulmenstraße und Altkönigstraße waren mehr Überredungskunststücke als bewußte Aktionen aller Bewohner.
W: Die entscheidende Veränderung stellten die Aktionen um die Eschersheimer Landstraße und die Baustraße dar. Die Eschersheimer war zunächst geprägt von der homogenen Nationalitätenstruktur – Sizilianer und Kalabresen.Doch das wichtigste war, daß die Bewohner selbständig einen friedlichen Ausweg aus ihrer Wohnungssituation hatten finden wollen. Sie waren selbst bei der Caritas und beim Gericht gewesen. Die Aktiven im Haus suchten nicht nur den Kontakt zu den Genossen, sie waren selbst der vorantreibende agitierende Kern im Haus. Auch sie waren es, die initiativ eine neue Öffentlichkeit, eine breitere Basis für ihren Kampf suchten und schafften.
T: Faszinierend für uns war der neue Lebenszusammenhang, der sich hier durch den gemeinsamen Kampf herstellte. Man feierte zusammen Feste, und oft wurden Hausversammlungen unversehens dazu.
E: Es bestand auch das Bedürfnis, uns mit einzubeziehen, weil es – wie sie sagten – Scheiße sei, nur gemeinsam Politik zu machen. Im Haus wurde zusammen gekocht, Arbeiten gemeinsam organisiert. Und auch die Beziehungen zwischen den Generationen änderten sich. Doch es war auch deutlich, daß dieser Veränderungsprozeß im direkten Verhältnis zur politischen Aktivität und der Situation in den Häusern stand in den Abschlaffphasen nämlich kamen wieder die Isolierung, die alten Normen und Mechanismen zum Vorschein. Hinzu kamen auch die Maßnahmen der »Unione« zur Familienrettung vor den Linken.
N: Ein Ergebnis dieses politisierten Lebenszusammenhangs und Kampfes waren jedenfalls die Lieder der Eschersheimer Landstraße. Spottlieder auf Hausbesitzer und Justiz, Protest gegen die Emigration und so weiter. Der Hessische Rundfunk brachte die Lieder und Diskussionen der Bewohner in seiner Sendung für die italienischen Gastarbeiter«.
M: Die Besetzung des Kettenhofwegs fiel in die Zeit der Aktionen um die Eschersheimer Landstraße. Mietstreik- und Hausbesetzerbewegung bekamen gerade durch ihre Verbindung im Häuserkampf eine neue politische Dimension. Ich glaube, dieser Punkt war uns eigentlich nie wirklich bewußt.
I: Es gab zwar immer durch einzelne Genossen und ein, zwei kleine Grüppchen eine Verbindung zwischen den beiden Bewegungen, aber der Zusammenhang wurde meist nur in punktuellen Aktionen und Defensivkampagnen gesucht. Diese gemeinsamen Aktionen wurden von der SPD auch als politische Attacke, als politisch gefährlich angesehen. Die Konterpolitik des Magistrats richtete sich im wesentlichen darauf, diese Verbindung zu zerstören.
E: Nur in punktuellen Aktionen wurde die politische Bedeutung dieser Vereinigung auch von der Bewegung begriffen. So haben die Spontis in der Aktion um die Baustraße die Emigranten als politische Kraft entdeckt.
T: Bei der Baustraße war das so, daß der Hausbesitzer Schläger schickte, die das Nachbarhaus demolierten und die Bewohner bedrohten. Die Genossen organisierten Nachtwachen zum Schutz der Bewohner und entdeckten die Mietstreiker. Und wir Spontis taten nichts anderes als das, was jede andere politische Gruppe in traditioneller Weise auch tut: Wir okkupierten sie für uns. Wir machten alles für sie und wunderten uns dann, daß die Initiative nicht mehr von ihnen ausging, sondern sie ein apathisches Verhältnis zu uns bekamen.
S: Es war eigentlich das extreme Gegenstück zur Eschersheimer Landstraße. Wir hatten die politische Initiative, nicht die Bewohner. Wir haben aber anschließend auf die politische Initiative der Bewohner gewartet.
T: Zur gleichen Zeit hatten sich beim OPEL in Rüsselsheim die Emigranten im Sturm auf die deutsche Betriebsversammlung unter der vom RK propagierten Forderung »Eine Mark mehr für alle!« zum ersten Mal politisch geäußert. Und parallel dazu wirkten in derselben Richtung die ersten Streiks von Arbeitsemigranten in Frankfurt, z.B. der Streik bei VDM.
R: Jedoch ist unbestreitbar, daß die ersten gemeinsamen Aktionen mit den Emigranten schon eine politisierende Wirkung auf die Genossen ausübten. So konstituierten sich im Gefolge dieser Geschichte Untersuchungsgruppen, die im Westend und Nordend von Haus zu Haus gingen und Informationen über Emigrantenhäuser sammelten, eine Untersuchung versuchten.
E: Die Genossen im Kettenhofweg erweiterten ihre Aktivitäten auf die Unterstützung der ausländischen Arbeiter; vor allem Türken in der Nachbarschaft, die ja wie die Leute im besetzten Haus im Zuge der Westendsanierung ihre Wohnungen verlieren sollten.
I: Aus diesen Untersuchungsgruppen entstand auch mehr oder weniger die Initiative in den Türken-Häusern im Westend. In vielen Mietstreikhäusern berichteten uns die Emigranten später, daß schon früher einmal Studenten dagewesen seien, die über die Miete gesprochen hätten. Und daß in vielen Häusern dadurch ein Anstoß zu internen Diskussionen gegeben worden sei, die die Notwendigkeit des Streiks thematisierten.
K: In der Folgezeit gab es immer neue Mietstreiks, die einfach über unsere Kräfte gingen. Wir konnten nur noch sehr beschränkt politische Diskussionen in den Häusern führen, die Genossen heizten von Hausversammlung zu Hausversammlung, sammelten Material für die Anwälte. Vor lauter Terminen kamen wir nicht einmal mehr dazu, die Erfahrungen aus den Häusern zu diskutieren.
S: Bei alldem sollten auch die reformistischen Gegenstrategien nicht vergessen werden. Schon im November 1971 wurde im Bundestag ein Gesetz zur Verbesserung des Mietrechts verabschiedet, das das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum enthielt. In Sommer 72 wurde dann das Frankfurter »Sozialbindungspapier« verabschiedet, das ebenfalls das Verbot der »Zweckentfremdung von Wohnraum« zum Inhalt hatte und sich außerdem mit der Umwandlung von normalem Wohnraum in Emigrantenwohnheime befaßte, was als erheblicher sozialer Sprengstoff begriffen wurde. Autor war übrigens Alexander Schubart, der gleichzeitig zum Justitiar des Amtes für Wohnungswesen ernannt wurde. Der hatte dann auch die Umsetzung dieses Papiers durchzuführen. Von der dem Wohnungsamt – dessen Chef ein Juso wurde – unterstehenden »Wohnheim GmbH« wurde u.a. die nachträgliche Legalisierung, die Nutzung und die Verwaltung der besetzten Häuser organisiert.
A: Ja, nur war die politisch viel problematischer. Die Zersplitterung bzw. Unfähigkeit der türkischen Organisationen schlug hier voll durch. Es hing alles an den deutschen Genossen und die wurden von den Mietstreikern auch ganz schön funktionalisiert.
U: Auch in den Konflikten der Türken untereinander machte sich das fest. Hausversammlungen waren kaum möglich und die Leute waren sehr bald resigniert und verunsichert.
D: Im Prinzip war das Schema immer sehr ähnlich: Die Häuser sind Spekulationsobjekte, der Abriß verzögert sich, die Besitzer lassen die Häuser – besonders Heizung und Warmwasser – zerstören, treiben aber weiter Wuchermieten ein. Zum Beispiel 250 Mark für ein Zimmer, 400 Mark für eine kleine, verrottete 2-Zimmer-Wohnung, und das bei damaligen Netto-Löhnen um die 1000 Mark! Den Leuten platzt der Kragen, die deutschen Genossen machen die juristischen Sachen, organisieren Hausversammlungen. Es folgen die Kündigungen und Räumungsprozesse. Die Mietstreiker kriegen kalte Füße, die Prozesse dauern oft bis zu eineinhalb Jahren, und ziehen aus. Die Kontakte verflachen, eines Tages sind die Häuser leer oder halt überfüllt mit neuen Leuten.
W: Das waren alles so mehr oder weniger spontane Rebellionen, wobei sich die mangelnde politische Autonomie der Türken und die doch vorhandene Sozialarbeiter- oder Juristenmentalität der deutschen Genossen verhängnisvoll ergänzten. Da war auf der einen Seite das schon traditionelle Dilemma der türkischen Linken, die Isolierung der Türken im Stadtteil und im Betrieb, zumindest damals noch gegenüber den italienischen Emigranten. Auf der anderen Seite versackten die deutschen Genossen im juristischen Hickhack und wurden von den Emigranten auch noch funktionalisiert zur Erledigung der ganzen juristischen Sachen, mit denen sie Schwierigkeiten hatten. Die Genossen rieben sich in dieser Arbeit auf, was für viele auch ein Grund für das Ende ihrer Mitarbeit war und andere Genossen davon abhielt, überhaupt mitzumachen.
Wie sah das eigentlich »deutscherseits« mit Mietstreiks aus, also sowohl von der deutschen Wohnbevölkerung als auch von der Scene her?
S: Dominierend war da der Konflikt zwischen der ABG (Aktienbaugesellschaft für kleine Wohnungen, d.V.) und ihren Mietern. Die ABG ist eine sogenannte gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft, die in Frankfurt ca. 10.000 Altbauwohnungen hat. Ab Mitte der 60er Jahre gab’s da eine Serie von Mieterhöhungen in immer kürzeren Abständen. Der Auslöser war dann eine Mieterhöhung Ende 72 von bis zu 50 Prozent. Das erstreckte sich über fünf Stadtteile. Ich will dazu nur ganz kurz zweierlei anmerken. Erstens: Aufgrund der im Verhältnis zum »freien« Wohnungsmarkt trotzdem noch relativ niedrigen Mieten war die Motivation der rebellierenden Mieter weniger materielle Not als vielmehr an den Mieterhöhungen festgemachter Protest gegen die breit einsetzenden Versuche, überall durch Preiserhöhungen die Lohndynamik in den Griff zu kriegen – was damals von den beteiligten Genossen erst viel zu spät erkannt wurde. Und zweitens war begünstigt durch die Zusammensetzung – fast ausschließlich Deutsche, v.a. kleinere städtische bzw. staatliche Angestellte und viele Rentner – die Hegemonisierung des Protests durch DKP und Jusos über Vereinsgründung etc. möglich, worauf sich unseligerweise auch die Genossen aus der Stadtteilgruppe Bockenheim einließen.
E: Scenemäßig fällt mir nur der Mietstreik im Kolbheim (Studentenwohnheim, d.V.) ein, das war im Februar 72. Da haben sich bald zwei Gruppen rausgebildet, die eine, die juristisch argumentiert hat, die genau ausgerechnet haben, im Verhältnis zu den Frankfurter Mietpreisen darf das nur soundsoviel kosten und soviel überweise ich auch, damit ich abgesichert bin. Eine Mietreduzierung also letztendlich. Und der große Rest hat gesagt, wir bezahlen gar nichts. Wobei die ersteren argumentiert haben, daß das eine Stiftung sei und wenn wir nichts bezahlen würden, dann gingen die bankrott und wir seien damit verantwortlich für den Niedergang von 3-400 Zimmern. Daß so ein dämliches Argument gegriffen hat in einem Haus, wo du sagen konntest, da wohnen 160 explizit Linke, war eigentlich unglaublich! Und das ohne größere Diskussion! Das hat später dann auch dazu geführt, daß die es relativ leicht hatten bei den Rausschmeißereien, die Leute festzumachen. Also zu gucken, wer bezahlt hat und wer nicht, und wer nicht bezahlt hat, fliegt raus und kriegt seine Zwangsräumung – und dem Rest passiert nichts. Der hatte halt drei Jahre billiger gewohnt und das ziemlich reibungslos.
Das war halt auch so ein Bruch innerhalb der Spontiscene, daß die da, wo sie selbst gewohnt haben, teilweise formal juristisch argumentiert haben, während sie dann sehr radikal geworden sind, wo sie sich selbst nicht so bedroht gefühlt haben.
B: Ja, das haben wahnsinnig viele gemacht, daß sie diese sozialdemokratischen Angebote benutzt haben. Da gab’s ja bestimmte Anwälte, die auf der Grundlage des damals neuen Frankfurter Mietspiegels ganz legal übers Wohnungsamt ein Gerichtsverfahren gemacht haben. Das hieß halt, ich nehm’ erstmal die teure Wohnung und geh dann am nächsten Tag zum Anwalt und dann zum Gericht.
N: Dazu muß man anmerken, daß das heute nur noch 'ne Chance hat, wenn die Miete 25 Prozent über dem Vergleichswert liegt, also nur bei absoluten Wucher. Und außerdem ist diese Ebene natürlich damals wie heute reichlich individualisiert und mit viel Lauferei und Hickhack verbunden.
E: Eine ganz andere Sache ist noch, und die sollte net unerwähnt bleiben, daß es wirklich ganz schöne oder besser schreckliche Ausblendungen gegeben hat. Zum Beispiel die Brandstiftung in der Niedenau 12 1973. Da hatte der Spekulant die Leute nicht rausgekriegt, dann kam’s zu dieser, bis heute »ungeklärten« Brandstiftung und dabei sind neun Jugoslawen umgekommen und kein Arsch hat sich drum gekümmert!
Kommen wir von den Mietstreiks auf den Häuserkampf zurück und damit auf die Verteidigung der besetzten Häuser. Das Jahr 73 und der Anfang von 74 wurde ja vor allem von den Auseinandersetzungen um die Räumung des Kettenhofwegs und des »Blocks« (vier Häuser Ecke Schumannstr./Bockenheimer Landstr. d.V) bestimmt. Wobei diese beiden Räumungen Extrempunkte bezeichnen: Die Auseinandersetzung um den Kettenhofweg wurde trotz Räumung als Sieg gefeiert und weit über Frankfurt hinaus zum Mythos; die Räumung des »Blocks« war eine vernichtende Niederlage für die Spontis Woran machte sich das fest?
Y: Rekapitulieren wir erstmal den Kettenhofweg. Nach der Besetzung war zwischen Besetzern und Spekulanten ein Vergleich geschlossen worden, der den Besetzern mietfreies Wohnen bis Ende Februar 73 zusicherte. Ab Dezember 72 wurde die anstehende Auseinandersetzung von dem Hauskollektiv systematisch vorbereitet, über Flugis, Wandzeitungen, Pressekonferenzen und Fernsehen wurde systematisch mobilisiert. Es gab regelmäßige Ausschüsse, Versammlungen und Arbeitsgruppen. Der vertraglich festgelegte Auszugstermin verstrich und vom Häuserrat wurde beschlossen, und das finde ich sehr wichtig, nicht abzuwarten, sondern die Offensive zu suchen.
M: Die Offensive, das war ein Go-in in einer Bauausschußsitzung, in der Beschlüsse über das Viertel gefällt werden sollten. Das Go-in im Römer verlief nicht ganz friedlich, die Kalten Platten wurden weggefressen und das führte zu einem kleinen Handgemenge. Die Bilder früherer OBs wurden mit roter Farbe besprüht.
N: Die Reaktion der Presse war heftig: »Terror im Römer« und ähnlich lauteten die Schlagzeilen. Die Bullen lancierten Stories vom überfallenen Brötchenfahrer bis hin zu einem Bombenauto in der Einfahrt und Mollies in einem besetzten Haus.
T: Tja, und der Gerichtsvollzieher, der sich freundlicherweise angekündigt hatte, wurde von ca. 700 Leuten empfangen und wieder nach Hause geschickt. Und da wir nach wie vor nicht bereit waren, uns von Bullen und Magistrat das Gesetz des Handelns aufzwingen zu lassen, zogen wir spontan in die Innenstadt, machten auf der Hauptwache ein Sit-in und sprachen über die städtische Wohnungspolitik.
R: Die Bullen lösten uns auf der Zeil auf und prügelten auf alles ein, was sich bewegte – und das waren auch viele Passanten. Wir zogen daraufhin zum eigentlichen Konfliktpunkt, dem Kettenhofweg, zurück, und bauten Barrikaden auf der Straße Es gab 'ne stundenlange Straßenschlacht, die sich ins ganze Westend ausdehnte. Dabei wurden wir auch von Teilen der Bevölkerung und Angestellten aus den umliegenden Büros unterstützt. Da wurde verletzten Demonstranten geholfen, Blumentöpfe aus den Fenstern auf die Bullen geschmissen und Wassereimer über sie ausgeleert.
U: Unsere Euphorie über die Verhinderung der Räumung war groß und vermittelte uns selbst und auch nach außen das Gefühl unserer Stärke gegenüber der Bullenmaschinerie. Und der Magistrat mußte erkennen, daß er die Sympathie der Bevölkerung trotz der vorausgegangenen Kriminalisierungsversuche nicht zerstört, sondern eher vertieft hatte.
E: Außerdem war klar geworden, daß unsere enorme Propagandaarbeit ihre Wirkung nicht verfehlt hatte, daß man also begriffen hatte, daß der Kettenhofweg das Exempel für eine gewaltsame und gewaltige Räumungswellle sein sollte. Der SPD wurde klar, daß sie den Konflikt, den sie hatte begrenzen wollen, ausgedehnt hatte.
B: Das ist, glaube ich, der entscheidende Punkt gewesen, diese Verbindung propagandistischer Massenarbeit und Massenmilitanz, die nie zum Selbstzweck wurde oder ’ne Eigendynamik entwickelte, sondern ganz klar mit den Inhalten des Kampfes vermittelt war.
V: Am nächsten Tag wurde ein Flugblatt mit der am Mittwoch spontan entstandenen Parole »Widerstand ist möglich« in einer Auflage von ungefähr 50.000 in der ganzen Stadt verteilt und am übernächsten Tag, dem Freitag, wurde auf der Hauptwache ein Spekulantentribunal veranstaltet. 3000 Leute machten die Hauptwache zu einem politischen Diskussionsforum und in den Stadtteilen gab es außerdem Straßentheater und Stände. Am darauffolgenden Tag, dem Samstag, dann wieder eine große Demo mit stundenlangen Straßenschlachten, bei denen massenhaft Frankfurter Kids mitmischten.
K: Dazu muß man sich in Erinnerung rufen, daß es bei diesen Kämpfen nicht nur um das besetzte Haus, sondern um ein ganzes Viertel ging, wo Emigranten wohnten, mit denen man zusammen geredet und Aktionen gemacht hatte. Ich denke, daß das der ausschlaggebende Punkt war für die Möglichkeit, den Konflikt als politischen und nicht nur als militärischen zu vermassen. Die neue Dimension oder Qualität des Kettenhofwegs war jedenfalls die Verquickung von politischer Massenarbeit und Massenmilitanz, die breit akzeptiert wurde...
Z: Genau das wurde dann ja auch in den Medien reflektiert, z.B. die »Frankfurter Neue Presse«: »Inmitten der Großstädte entstehen Bürgerkriegsnester... Es ist nicht auszuschließen, daß sich nach dem Frankfurter Beispiel inmitten der Großstädte eine Art Nebenregierung bildet, gestern die Uni-Räte, heute die Häuserräte, morgen vielleicht die Räte der besetzten Fabriken.«
Der Kettenhofweg wurde dann ja in der folgenden Woche nachts von einem großen Bullenaufgebot geräumt. Darauf gab’s dann die nächste Putzdemo, allerdings mit vielen Verhafteten, vor allem auswärtigen Genossinnen und Genossen. Wie wurde das denn in der Bewegung diskutiert und welche Konsequenzen hatte das?
D: Gerade die Demo nach der Räumung hatte klargemacht, daß der neu entstandenen Massenmilitanz unsererseits keine adäquaten organisatorischen Strukturen entsprachen. Auf dieser Demo wurden wir von einer aus mehreren Bundesländern zusammengezogenen Bullenarmada regelrecht aufgerollt. Darauf eine Antwort zu finden, war für die militanten Kader in den folgenden Monaten zentrales Thema. Aber, damit es nicht falsch rüberkommt, die Frage war nicht: »wie besiegen wir die Bullen?«, sondern: »wie schützen wir Massendemos?«. Und das war eine ziemlich existenzielle Frage. Denn wenn wir diese neue politische Qualität, die in der Mobilisierung über den Kettenhofweg entstanden war, politisch fortführen wollten, mußten wir 'ne Lösung finden, wie wir eine Demo von mehreren tausend Leuten durchführen und durchsetzen können, trotzdem die Bullen sie aufrollen wollen.
I: Von den Tausenden waren ja die wenigsten Straßenkämpfer. Da waren viele alte Leute und Kinder drunter und die meisten anderen uns nicht ausgeschlossen überkam regelrechte Panik bei den Angriffen der Bullen. Das war ja damals nicht anders als heute. Die, die Angriffe machten, kamen in der Regel ungeschoren davon, und getroffen hat's immer die anderen. Das war einfach eine politische Verantwortlichkeit. Eine Verantwortlichkeit, die man heute – so bitter es ist, das festzustellen – vergeblich sucht. Jedenfalls ist sie nicht erkennbar.
E: Ich glaube auch, daß es heute wieder einmal notwendig wäre, den politischen Sinn und Zweck von Massendemonstrationen nicht in Frage zu stellen, aber neu und ganz genau zu bestimmen. Insbesondere die Frage der Grenzen und Möglichkeiten von massenmilitanten Aktionen v.a. im Rahmen von Demos. Aber darüber können wir ja später noch mal genauer reden.
P: Unsere erste Antwort war die Bildung von Kleingruppen, maximal vier Mann oder Frau. Maximal vier, weil selbst das in Paniksituationen schon zuviele waren, um nicht auseinandergesprengt zu werden. Diese Organisationsform dehnte sich dann auf große Teile der Scene aus. Es wurden erste wichtige Erfahrungen gemacht: Zivis aufgemischt und vor allem die Erfahrung gemacht, daß drei, vier solcher Gruppen auch 'ne ganze Hundertschaft zum Laufen bringen können.
U: Der nächste Schritt war dann die Zusammenfassung der »Fetzigsten« in einer großen Gruppe von ca. 50 Leuten mit regelmäßigem gemeinsamen Training, die sich »Putztruppe« nannte. In der Halle Karate und sonntags im Spessart richtige Übungen im Freien. Wobei ein Teil den Bullenpart übernahm und der andere unseren eigentlichen Part. Subjektiv sehr wichtig war dabei, daß wir für dieses Training auf komplette, erbeutete Bullenausrüstungen zurückgreifen konnten. Es zeigte sich dabei, daß im Nahkampf die Genossen, die die Bullen mimen mußten, die schlechtesten Karten hatten, weil sie mit ihrer martialischen Ausrüstung total behindert waren. Das war eine Erkenntnis, die uns gewaltig Mut machte und die die Bullen dann auch hinreichend zu spüren bekamen! Dabei war jeder Handgriff, Schlag und Tritt total eingepaukt.
T: Ich finde, du übergehst eine wichtige Kontroverse: Die Tatsache, daß nur Typen Training gegen die Bullen organisierten, löste heftigste Diskussionen mit den RK-Frauen aus, weil sie davon ausgingen, daß die Typen wieder einmal die Gegengewalt monopolisieren und ihren »Gewaltvorsprung« als Machtmittel gegen die Frauen ausspielen werden. Der Konflikt löste sich auch nicht dadurch, daß eine Reihe von Frauen selbst eine Militanzgruppe aufbauten.
Wie waren die Demos dann organisiert?
T: Je nach Zielsetzung war das unterschiedlich. In der Regel ging ein Teil an der Spitze des Zuges, von wo normalerweise die Angriffe liefen und wo auch immer die Vorstadtgangs versammelt waren. Dessen Aufgabe war, die Konzeption zu vermitteln und zu gewährleisten, daß der Zug nicht von vorne blockiert wurde. Der Rest hielt sich hinten und nach Möglichkeit auch in der Mitte auf, weil die Bullentaktik war, die Demos zu zersplittern. Der undankbarste Job war natürlich hinten.
Z: Eine andere Form waren die sogenannten »Angestelltendemos«, die wir aus Frankreich von der Ligue Communiste (militante trotzkistische Gruppierung, die 1973 verboten wurde, d. V.) übernommen hatten. Das war eine zeitlang nach dem Kettenhofweg eine spezielle Organisationsform für verbotene Demos, wo klar war, daß es zumindest unsererseits schwierig und verlustreich sein würde, das Demoverbot zu durchbrechen. Da sind dann z.B. am Samstag mittag Punkt 12 Uhr aus Kaufhäusern und U-Bahnschächten bis zu mehreren hundert gutgekleideter Damen und Herren Genossen geströmt, haben sich schlagartig zu einer vielleicht zehnminütigen Demo formiert und wenn's kritisch wurde, wieder rechtzeitig im Einkaufstrubel aufgelöst. Voraussetzung war dafür natürlich eine organisatorische Struktur und ein paar kleine Abmachungen.
G: Mit unserem zunehmenden organisierten Auftreten wurde es allmählich zum Problem, mit unserer Ausrüstung überhaupt zum Demotreff hinzukommen. Meistens konnten wir das über geparkte Autos und an der Route liegende Wohnungen lösen. Die heiße Ware allerdings wurde von fesch gekleideten Genossen am Straßenrand übergeben.
R: Das Musterstück war eigentlich die Samstagsdemo nach der Räumung des »Blocks«. Eine Demo von an die 10.000 Leuten zog kilometerlang durch die Stadt, ohne daß größer was passierte. Am Demoziel, den geräumten Häusern, bewachte eine Hundertschaft die Trümmer. Diese wurde von der Demospitze sofort angegriffen, während gleichzeitig der Weitermarsch der Demo als ganzes gewährleistet wurde. In den folgenden zwei, drei Stunden wurde den Bullen die wohl vernichtendste Niederlage in der Frankfurter Geschichte (oho) beigebracht. Ne Unmenge Bullen, darunter auch eine Soko, aufgemischt und einige auch entwaffnet. Zu einem bestimmten Zeitpunkt wurde dann der organisierte Rückzug angetreten, ohne auch nur einen einzigen Verhafteten.
U: Dabei unterschlagt Ihr aber, daß es noch kurz vor der «Block»-Räumung eine Diskussion in der »Pupille« gegeben hat, wo sich zum ersten Mal große Teile der Bewegung offen dazu bekannt haben, daß sie bei den Konfrontationen mit den Bullen einfach nur noch Schiß haben. Auch ich habe bei den Ausfällen der Bullen regelmäßig nur noch Panik gekriegt. Dabei hat mir eine mehr oder weniger anonyme Putzgruppe überhaupt nix genutzt. Einzig wenn X, Mitglied der Putzgruppe und Wohngenosse, neben mir war, hab’ ich mich relativ sicher gefühlt.
P: Aber eben darum ging's uns doch, das in den Griff zu kriegen. Das war doch auch für uns ein allmählicher Prozeß und vergiß nicht, daß es die Putzgruppe erst relativ spät gegen Ende des Häuserkampfs gab.
E: ich will an der Putzgruppe doch gerade das kritisieren, daß sie sagte: wir schützen die Demos. Das ist doch einfach überkandidelt bei Demos von 10.000 Leuten. Das gilt vielleicht für 2000, was aber ist mit den restlichen 8000? Da wurden doch von irgendwelchen abgeschotteten Strukturen Entscheidungen über den Verlauf der Demos getroffen, von denen die restlichen 95 Prozent ausgeschlossen blieben. Was hilft mir das als Individuum, wenn die Putzgruppe weiß, was wo und wie abgeht, also vorbereitet ist, ich aber gar nix weiß, dem also ausgeliefert bin?
D: Die Widersprüche, die Du da formulierst, möchte ich nicht zudecken, wir haben ja damals schon viel darüber gestritten. Ich möchte aber was gegen die »95 %« sagen: Ich denk’, das Charakteristische damals war gerade, daß es zumindest im Ansatz mehrere solcher’ Gruppen gab, daß sehr breit die Probleme von Militanz und organisierter Gegengewalt diskutiert und angegangen wurden. Trotz aller Widersprüche gab es regelmäßige Besprechungen und Rückkopplungen. Das war alles weder politisch noch organisatorisch isoliert. Und damit dürfte es wohl auch zusammenhängen, daß die Putzgruppe nicht hochgenommen oder kriminalisiert wurde, obwohl deren Zusammensetzung ganz oder zumindest in Teilen für die Bullen rekonstruierbar gewesen sein dürfte. Wobei wohl auch die Eingrenzung der Mittel und der Zielsetzungen eine Rolle gespielt haben dürfte, es wurden relativ selten Mollies eingesetzt und die Ziele waren auf Schutz von Demos usw. eingeschränkt.
Kommen wir zu der anfänglichen Fragestellung zurück: Was unterschied die Auseinandersetzung um den »Block« qualitativ vom Kettenhofweg?
D: Platt gesagt, daß das, was um den Kettenhofweg mehr oder weniger spontan zusammengekommen war, Massenarbeit und Massenmilitanz in großem Ausmaß, sich in der Folgezeit zunehmend fraktionierte.
E: Das war schon eine ganze Zeit vor dem Kettenhofweg angelegt und der zentrale Punkt ist ja hier auch schon benannt worden: die Blockierung jeder weiteren Hausbesetzung durch diejenigen, die den »Häuserrat« darstellten. Das war wohl weniger Bösartigkeit oder Counter, sondern eher eine Mischung aus Resignation oder auch Müdigkeit.
M: Das finde ich zu unpräzise. Wenn diejenigen, die den Wohnungskampf mit den Emigranten primär trugen, nach der Hausbesetzungswelle frustriert waren, weil sich die Hausbesetzer um den Kleinkram, die mühselige Kleinarbeit nur wenig scherten, so find’ ich das berechtigt und gebongt. Daraus aber den Entzug jeglicher Unterstützung zu entwickeln, das finde ich, wohlwollend formuliert, politisch töricht oder gar katastrophal. Hier gibt's für uns keinen Status quo. Entweder es geht aufwärts oder es geht abwärts. Jeder Versuch, einen Status quo zu halten, endet im Roll-back. So frustrierend das für viele gewesen sein mag, die großen Demos, die Besetzungen usw. haben die Mieterkämpfe vorangetrieben und nicht umgekehrt.
A: Ich hatte damals den Eindruck, daß nach der »Block«-Räumung tatsächlich erstmal die Luft raus war. Die Stimmung im »Block« in den letzten Wochen vor der Räumung war nicht von Resignation, sondern von Überforderung und Entnervung bestimmt. Die Bullen machten zwei Wochen lang jede Nacht einen Scheinangriff mit Beleuchtungsanlage und allem Drum und Dran, um uns zu zermürben und Reaktionen zu testen. Ich wohnte nicht im »Block«, war aber an der Verbarrikadierung beteiligt, die im ganzen Erdgeschoß und zum Teil auch im ersten Stock mit großem Materialaufwand betrieben wurde. Da habe ich eine Menge mitgekriegt, daß nicht wenige so fertig waren, daß sie die Räumung fast herbeisehnten, damit der Streß endlich gelaufen ist. Ne ganze Menge Leute teilten zu der Zeit das Gefühl, zu Kampfmaschinen zu werden, die nur so lange akzeptiert werden, wie sie dem Druck standhalten zum Teil zusammen mit der Arbeit in den Betrieben. Ich will die nachfolgende Abschlaffphase nicht auf diese Gründe reduzieren, aber man sollte einfach nicht vergessen, daß ein breites Feld von Aktivisten einfach überfordert war, eine neue Offensive einzuleiten. Klar, daß in einer solchen Phase eine Entsolidarisierung des »Häuserrats« besonders reinhaut.
S: Was für mich die Qualität des Kettenhofwegs ausmachte, sind neben den bereits genannten Punkten, Offensive, die nicht nur rein militanzmäßig zu verstehen ist, dann die für Frankfurt neue Form von Militanz, und daß außerdem nicht darauf vertraut wurde, daß sich das schon irgendwie lösen wird, oder man sucht sich in der Hinterhand schon mal ’ne neue Wohnung. Das war ja beim »Block« ziemlich anders. Die hatten, also mit Sicherheit die Polit-Prominenz aus der 111, alle ihre Zweit- und Drittwohnung an der Hand. Im Prinzip haben die ja gar nicht mehr drin gewohnt. Die Häuser sind also weniger von ihnen als von Leuten verteidigt worden, die dort gar nicht wohnten. Das hat natürlich viel damit zu tun, daß der »Block« im Gegensatz zum Kettenhofweg absolut inhomogen war. Insofern war der »Block« von den Bullen auch ganz bewußt ausgewählt worden, das war eine politische Entscheidung.
Wir sollten das vielleicht von einem ganz anderen Blickwinkel her diskutieren, nämlich von den unterschiedlichen politischen Zielsetzungen der Leute, und damit von politischer Kontrolle und von Führungsstrukturen, die sich einige aufgebaut hatten...
E: Führungsstrukturen gab's ja, allein schon von der rigiden Art der Auseinandersetzung her. Bei diesen ganzen Strategiedebatten und überhaupt bei Diskussionen in größerem Rahmen hat sich der Großteil ja gar nicht getraut, das Maul aufzumachen. Das war innerhalb des RK schon so und erst recht auf den Teach-ins. Die Debatten wurden real von den paar Gurus geführt. Wenn du da nicht rhetorisch versiert warst und 'ne andere Meinung vertreten hast, bist du teilweise derart runtergeputzt worden, daß du dich das nächste halbe Jahr nicht mehr getraut hast, den Mund aufzumachen.
I: Aber dabei ging's doch höchstens am Anfang nur um Führungsansprüche! Spätestens nach den Auseinandersetzungen um den Kettenhofweg und der breiten Ausweitung von Militanz hat das doch ’ne politische Dynamik gekriegt. Das haben einige viel klarer und damit strategischer gesehen als wir in unserer Euphorie. Damit meine ich weniger die, die nach außen hin als, »Häuserrat« fungierten, das waren eben hauptsächlich die Juristen, sondern bestimmte Teile des RK, für die vor allem Cohn-Bendit steht, ohne daß ich das so auf diese Person projizieren oder reduzieren möchte.
M: Der Kettenhofweg war vielleicht einfach ein Bruch, weil er stellvertretend für alle gesellschaftlichen Bereiche symbolisierte, daß das nix wird mit Streiks bis hin zum Generalstreik, worüber die theoretischen Ahnen schon seit Rosa Luxemburg schwafelten, sondern daß das sehr gewaltsam werden wird, und die Machtfrage schon sehr früh thematisiert wird. Nicht nur vom Staat oder einigen durchgeknallten Genossen, sondern auch von nicht unerheblichen Teilen der Bevölkerung. Und genau darin könnte die neu erwachte Liebe zum Parlamentarismus ihren Ursprung haben.
I: Aber das wurde ja nicht als offene Diskussion und Kontroverse geführt. Das äußerte sich ja mehr als Pattsituation, daß also z.B. jeder Versuch, die enorme Mobilisierung durch den Kettenhofweg in eine neue Offensive des Häuserkampfs umzusetzen, blockiert wurde. Das war auch ein gewaltiger Verdrängungsprozeß seitens der Militanten, der dazu führte, daß wir uns in eine rein defensive Strategie, die zwangsläufig in einer Niederlage münden mußte, drängen ließen.
L: Kannst Du das mal ein bißchen genauer machen?
I: Ja, das Problem der Auseinandersetzung um den »Block« war ja die Fixierung auf einen Konflikt hin, die Verhinderung der Räumung. Das ist auf lange Sicht selbst mit den besten Strukturen im Rücken ein Unding. Das war auch allen Militanten, wenn auch manchmal nur unbewußt, klar. Deshalb gab es in den Diskussionen vielfältige Versuche, diese Fixierung zu verlassen. Diese wurden aber vollständig blockiert. Das extremste Beispiel dafür war die Nichtunterstützung von zwei Hausbesetzungen italienischer Emigrantenfamilien in der Friesengasse im Spätsommer 73. Wohlgemerkt Emigranten und nicht Scene! Wozu aber auch gehörte, und da muß eine gehörige Portion Selbstkritik ansetzen, daß wir mit der Organisierung unserer Militanz reichlich beschäftigt waren. Alles andere wurde nur sehr halbherzig angegangen und den herkömmlichen Häuserratsstrukturen überlassen. Viel Bequemlichkeit, aber auch ein nicht zu übersehendes Stück Militanzgehabe. Dem kam entgegen, und damit wurde die Idiotie perfekt, daß von der Fraktion um den Cohn die Strategie für den »Block« dahingehend formuliert wurde, daß es dabei darauf ankomme zu zeigen, wie wir unsere Interessen gegen den Staat auf Massenebene militant und siegreich durchsetzen können. Es entstanden überall massenhaft Kleingruppen, die sich auf die militante Verteidigung des »Blocks« vorbereiteten oder, anders gesagt, die dahin getrieben wurden, sich ziemlich ausschließlich darauf vorzubereiten. Als Konzept wurde durchgesetzt, ein System auszuarbeiten, nach dem innerhalb von kürzester Zeit 1000-1500 organisierte Genossen und Genossinnen bei einer Räumung mobilisiert werden können, bevor die Barrikaden geknackt sind. Das Konzept kam dann nicht einmal mehr zum wirklichen Einsatz, da erst alarmiert wurde, nachdem die Häuser längst geräumt waren.
T: Das sind ja ganz ähnliche Erfahrungen. Als eine Untergruppe der Putzgruppe hatten wir in der 111, wo wir ja gar nicht wohnten, die Barrikaden gebaut. Uns waren deren Schwächen wie die der gesamten Verteidigungsstrategie klar; wir überlegten uns, wie wir dies und jenes verbessern könnten. Jedesmal wenn wir die Schwachpunkte der »Block«verteidigung thematisierten, wurden wir gerade vom Cohn derart runtergeputzt, das war wirklich unglaublich.
A: Mich interessiert aber heute weniger der Cohn und diese ganze Fraktion, als vielmehr die Fehler, die wir gemacht haben. Ein wichtiger Punkt ist dabei das Verhältnis zum Cohn, da haben wir ihn wieder. Von Teilen der Putzgruppe wurde er als »nützlicher Idiot« begriffen. Wir wußten, daß Militanz nicht seine Linie war, und trotzdem fühlten wir uns so stark, daß wir glaubien, ihn für uns funktionalisieren zu können. Eben wegen seiner unglaublichen Fähigkeit, als Redner Massen zu begeistern! Und wir hockten dann immer da und haben genau beobachtet, ob seine Reden den richtigen Dreh kriegen. Das war unglaublich dumm und naiv von uns, denn der war damals nicht nur ein »guter« Demagoge, sondern auch ein äußerst cleverer Politiker. Nicht wir haben den Cohn, er hat uns funktionalisiert. Das müssen wir vor allem uns selbst vorwerfen.
N: Inwiefern hat der Cohn uns funktionalisiert? das versteh’ ich nicht.
K: Ganz einfach dadurch, daß wir dieser halbgaren Konzeption der massenmilitanten »Block«-Verteidigung auf den Leim gingen. Was mit dieser Strategie wirklich beabsichtigt war, weiß in dieser Runde wohl keiner. Da fehlen die Interna.
N: Ein paar Anhaltspunkte fallen mir da schon ein. So etwa die Tatsache, daß von seiten der Besetzer ja das Angebot existierte, die Häuser gegen Ersatzwohnraum zu räumen. Dann gab es von Bielefeld (damals Innenminister, d.V.) gegenüber dem Asta die Zusicherung, vorerst auf eine gewaltsame Räumung zu verzichten.
Z: Überlegt doch mal, schon auf dem großen Teach-in (am 31.10.73., a.v.) wurde ja diese Forderung nach ausreichendem Ersatzwohnraum für die »Block«bewohner erhoben. Noch kurz vor der Räumung forderte der »Häuserrat« den hessischen Innenminister Bielefeld zu Verhandlungen auf. Der sicherte auch den Räumungsverzicht für die Dauer der Verhandlungen zu. Von daher denke ich, daß die Strategie die war, durch die massenmilitante Mobilisierung derartigen Druck auf den Magistrat auszuüben, daß der sich, noch mehr von der damals schon starken innerparteilichen Opposition in die Zange genommen, an den Verhandlungstisch begibt und auf eine gewaltsame Lösung verzichtet.
G: Eben die radikale Variante und ein Vorläufer der heutigen Grünen-Politik. Ohne die Einbindung der militanten Fraktion geht diese Rechnung nicht auf.
W: Außerdem wurde auf diese Weise der Zusammenhalt des ganzen Spektrums der Bewegung abgesichert. Mit einer reichlichen Portion Naivität und dem Militanzbrett vorm Kopf checkten wir das damals nicht und sind dieser Strategie auch in der Folgezeit weiter auf den Leim gegangen. Ich fänd’ es aber wie gesagt wichtig, über unsere Fehler, und das heißt vor allen Dingen, mal genauer über unsere Vorstellungen zu diskutieren.
Fortsetzung in Wildcat 40