gekürzt aus Wildcat 41, Frühjahr 1987
Liebe Leute !
Tut uns echt leid, daß viele Seiten dieser Nummer so vollgestopft sind. Wir mußten die Zeitung diesmal woanders drucken lassen (nur das Titelbild haben wir selber gedruckt, wie Ihr seht) und hatten so viele Artikel, daß mit nem schönen Lay-out über 100 Seiten rausgekommen wären; aber schon bei 80 Seiten zahlen wir bei nem Verkaufspreis von 2,50 (wovon wir im Durchschnitt vielleicht 1,70 kriegen) drauf. Also sorry!
Die Konzentration dieser Nummer auf internationalistische Themen, war im November von uns nicht so geplant gewesen. Dann haben sich aber die Ereignisse und Kämpfe im Ausland überschlagen: Studenten, Eisenbahner, Hafenarbeiter. Wir finden es wichtig, daß wir zu all diesen Sachen authentische Berichte von ausländischen GenossInnen veröffentlichen. Andererseits sind wir natürlich auch nicht glücklich damit, daß die Debatten, Erfahrungen und (kleinen?) Kämpfe hier diesmal ganz rausfallen (dazu siehe auch weiter unten).
Mit den Beiträgen zu den Schülerunruhen und der Betonung ihres internationalen Charakters wollen wir zeigen, daß sie nicht als isolierte Phänomene begriffen werden können. Äußerlich mag es in den einzelnen Fällen bei kurzen und heftigen, schnell wieder zusammenbrechenden Mobilisierungen geblieben sein. Wir halten sie aber für Vorboten einer neuen politischen Klassenzusammensetzung, und wir konnten in Frankreich und in Spanien sehen, daß die Regierungen sehr bald gezwungen waren, die Bewegungen im Kontext eines neuen Kampfzyklus der Klasse zu sehen. Natürlich sind das noch Thesen, und es wird darauf ankommen, wie sich diese Ansätze weiterentwickeln - die Aufnahme durch die SchülerInnen und StudentInnen in Hannover und Frankfurt war aber schon recht vielversprechend.
In der Darstellung des französischen Eisenbahnerstreiks versuchen die französischen GenossInnen herauszuarbeiten, wie sich in ihm eine neuer Ansatz von Klassenautonomie entwickelte - und wie daher auch ein Bezug auf die autonome Haltung der Studenten selbstverständlich war. Hier wie auch in dem Interview mit einem Hafenarbeiter aus Genua wird aber auch sichtbar, wie schwierig es ist, den Kampf auszuweiten. Der pauschale Korporativismus-Vorwurf gegenüber solchen Kämpfen hat dabei oft nur die Blüm'sche "Solidarität" zwischen Beschäftigten und Arbeitslosen im Sinn, die Forderung, daß die miesesten Bedingungen für alle gelten sollen!
Die Bilder aus den metropolitanen Klassenkämpfen gleichen sich jedenfalls wieder, ebenso wie die Bilder aus Chile, Südafrika, den Philippinen oder Südkorea. In den Diskussionen der nächsten Zeit - sei es zur Flüchtlingspolitik, zum Papst- und Reagan-Besuch oder zur IWF-Tagung in Berlin im September ╚88 sehen wir die Chance, einen revolutionären Internationalismus zu entwickeln, der nicht im Gegensatz zwischen "fortschrittlicher" Nationalstaatlichkeit und Yankees hängen bleibt, sondern seinen Standpunkt von den Kämpfen der Klasse aus entwickelt.
Diese Debatte muß auch dringend aus den sterilen Winkeln hie Subsistenz-Mythen, dort Fortschrittsideologien à la "Junge Nationalstaaten" rauskommen. Ein Genosse, der mehrere Monate in Südamerika war, versucht durch Materialien und Thesen zu Klassenzusammensetzung und Kämpfen in Argentinien und Brasilien einiges dazu beizusteuern. Autos und Subsistenz sehen wir als ersten Beitrag zu der in Nummer 39 angekündigten Aufarbeitung.
Aus aktuellem Anlaß haben wir auch noch die "Materialien" zur Situation im Libanon/Palästina aufgenommen, auch wenn sie noch sehr fragmentarisch bleiben. Ebenso wie die Mobilisierung gegen den US-Überfall auf Libyen 1986 schnell wieder zusammenbrach und zu keinen intensiveren Diskussionen über den revolutionären Prozeß im arabischen Raum bzw. im ganzen Mittelmeerraum führte, scheint auch die Mobilisierung gegen den "Lagerkrieg" im Libanon sehr kurzfristig zu bleiben. So wie sich die dortigen revolutionären Kräfte trotz intensiver sozialer Konflikte in einer traumatischen Defensive befinden, so fällt es auch der hiesigen Linken schwer, zwischen sozialen Vernichtungskriegen wie dem Iran-Irak-Krieg oder dem libanesischen Söldnerkrieg und einem von den Medien ausgeschlachteten Organisationsdschungel noch ihre "Solidarität" unterbringen zu können.
Aber wenn in dieser Nummer Beiträge zur Entwicklung der Kämpfe hier fehlen, dann hat dies noch einen anderen Grund. Nach der Mobilisierung der letzten beiden Jahre und der daraufhin einsetzenden Repression steckt die Bewegung zur Zeit in einer politischen Krise - worüber auch die äußerlichen Mobilisierungserfolge zur Volxzählung nicht hinweghelfen können. Diese Krise betrifft die Frage, wie wir hier mit unseren Kämpfen weiterkommen können, wie wir eine Militanz entwickeln, die nicht in die Sackgasse der isolierten militärischen Konfrontation mit dem Staat gerät, anders ausgedrückt: wie wir hier zum Faktor in der Klasse werden können. Die Befürchtung, der Bewegung könne wie Ende der 70er Jahre eine reformistische Anti-Repressionskampagne aufgedrängt werden, hat sich vorerst zwar nicht bestätigt. Aber an den meisten Orten geht es jetzt erstmal darum, unsere bisherigen Erfahrungen aufzuarbeiten und unsere Politik, unsere praktischen Eingreifmöglichkeiten zu diskutieren, bevor wir wieder zu größeren und gemeinsamen Mobilisierungen kommen können.
Diese politische Krise betrifft auch uns als Redaktion - politisch wie persönlich. Die Zeitung war von 1980 bis 1983 das Organ einer Gruppe, diente der Aufarbeitung und Darstellung ihrer Erfahrungen und der politischen Konsequenzen daraus. Die Entwicklung der "wildcat" zur überregionalen Zeitschrift ging über die Kräfte der Karlsruher Gruppe. Das konnten wir auch nicht dadurch auffangen, daß nun schon seit längerem Leute aus verschiedenen Städten mitarbeiten. Die Zeitung war in letzter Zeit nicht mehr wie früher der Ort, an dem eine kollektive Praxis aufgearbeitet und theoretisch/analytisch vertieft und begründet wird. Es gelang zwar noch teilweise, Erfahrungsberichte von Gruppen aufzunehmen, was aber fehlte, war die Weiterentwicklung revolutionärer Theorie/Praxis (wir dürfen uns nichts vormachen und die Länge einzelner Artikel damit verwechseln). Deshalb hat nun innerhalb der Redaktion eine Diskussion darüber eingesetzt, wie wir unsere Praxis als kollektives Projekt auf die Beine stellen und ob die Zeitung dafür ein Mittel sein kann, oder ob wir sie erstmal einstellen, bzw. noch seltener erscheinen sollen, um erst einmal unsere Probleme zu lösen. Dies ist keine Diskussion und kein Problem, das nur uns betrifft - wir wollen daher diese Kontroverse auch über den Kreis der Redaktion hinaus führen.
Unserer (derjenigen, die diese Nummer gemacht haben) Ansicht nach, muß die Zeitschrift in Zukunft auf zwei Beinen rennen: a) (wieder) Ort kollektiver Ausarbeitungen werden, b) sich der Debatte in der Bewegung öffnen. Zu b) sind diesmal zwei Teile drin: 1) Thesen zur Flüchtlingsfrage (aus dem Umkreis der "Autonomie"), die in einer etwas kürzeren Fassung bereits als medico-Papier erschienen sind und wichtige Kontroversen unter den Flüchtlingsinitiativen ausgelöst haben. 2) Diskussionsbeitrag einer Berliner Frauengruppe zum Frauenarbeits-Artikel in der Nr.40.
Und schließlich haben wir noch einen Reisebericht zu Nord-Irland drin; auch der könnte eine Anregung für "Öffnung" sein, daß GenossInnen auch mal solche "einfachen" Sachen aufschreiben und mitteilen.
Als eine Möglichkeit der Diskussion wollen wir in den nächsten Wochen in verschiedenen Städten zwei Diskussions-Versammlungen machen, die eine zu dem Buch über Fabrikguerilla in Mailand, die andere zu den '81er Riots in England. Dabei geht es uns weniger darum, Spezialwissen über diese Länder zu verbreiten, sondern die gemeinsamen Probleme herauszustellen und zu diskutieren.
Hamburg, Stadtteil-Laden Brigittenstr. WA 3.5. 12 Uhr; Riots 15.5. 20 Uhr;Braunschweig, "Haus" Wolfenbütteler Str. 14, WA 1.Mai; riots 16.5. (Uhrzeit s. Plakate) Köln, Weißhausstr. 20, WA 2.Mai 18 Uhr; riots 17.Mai 18 Uhr; Freiburg, "Willi", Wilhelmstr., WA 28.4.; riots 18.5.Sowie in Berlin und evtl. noch in anderen Städten, das geben wir mit Plakaten bekannt.