Der folgende Artikel beschränkt sich auf die »weiße Fabrik«, auf die Klinik als Ort von Klassenzusammensetzung. Er impliziert die These, daß die Umstrukturierung im Gesundheitssystem weit über die Propaganda von »Kostendämpfung« hinaus einen Angriff auf die dort Beschäftigten bedeutet. Aber die Ausarbeitung und Vertiefung dieser These anhand der anstehenden »Reform des Gesundheitswesens«, sowie zumindest zwei weitere Themenbereiche fehlen dabei noch: Die gesamtgesellschaftliche Bedeutung des Gesundheitssystems und eine grundsätzliche Kritik des kapitalistischen Krankheitsbegriffes. Dies kommt im zweiten Teil des Artikels in der nächsten Nummer. Daß »Tertiarisierung« Industrialisierung der Dienstleistung bedeutet, haben unsere Feinde schon lange begriffen: ihre Reformen zielen darauf, die aus der Fabrikisierung entstehenden ArbeiterInnenverhaltensweisen von neuem einzuschließen. Wir halten es für dringend notwendig, die Diskussion über diesen Bereich kapitalistischer Reproduktion aufzunehmen und auch hier eine Praxis zu entwickeln von militanter Untersuchung und Intervention .
KrankenhausarbeiterInnenstreiks in Israel, USA und zuletzt in Großbritannien und Norwegen haben wieder bewußt gemacht, daß das Krankenhaus auch Ort von Klassenauseinandersetzung ist. Über ihre Funktion als Dienstleistungsbetrieb oder gar ihre Mystifizierung als soziale Errungenschaft hinaus ist die Klinik ein Ort der Mehrwert- und Profitproduktion geworden.
Das Krankenhaus hat in der kapitalistischen Gesellschaft schon immer die Funktion, die Arbeitskraft wiederherzustellen, sie dem Produktionsprozeß wieder verfügbar zu machen, und die Kranken auszusondern, deren Arbeitskraft nicht wiederherzustellen ist. Krankenhauskosten sind gesellschaftlich notwendige Kosten. Eine Senkung der Kosten trägt umgekehrt zur Anhebung der gesellschaftlichen Durchschnittsprofitrate bei.
Die Klinik ist der Ort, in dem sich die politische Spaltung der Klasse in Gesunde/Arbeitsfähige und Kranke/Arbeitsunfähige ausdrückt. Wer unfähig (gemacht worden) ist, das mörderische Tempo mitzuhalten, soll von den übrigen Teilen der Klasse isoliert werden, eben damit die Krankheit Vereinzelung, Einsamkeit bedeutet und nicht zur Waffe umgedreht werden kann. Dem widerspricht nicht, daß immer wieder Mittel und Wege gefunden werden, auch Behinderte wieder in den Produktionszyklus zu integrieren. Die extrem niedrigen Löhne für Heimarbeit und in Behindertenwerkstätten machen es ja auch sehr interessant.
In den letzten zehn Jahren sind im Gesundheitswesen mehr Arbeitsplätze entstanden, als etwa im Baugewerbe verlorengingen. Das heißt, die Klasse wurde mit einem Schub in den Dienstleistungssektor von oben neu zusammengesetzt.
Wie die Fabrik als entwickeltster Punkt der produktiven Kooperation höchste Mehrwertraten ermöglicht, so erlaubt auch die Klinik die rationellste Produktion von »Gesundheit« - und das höchste Maß an sozialer Kontrolle. Wie an jedem Ort von Mehrwertproduktion finden wir auch in der weißen Fabrik Versuche, die organische Zusammensetzung und damit die technische Zusammensetzung der ausgebeuteten Arbeitskraft zu verändern und voranzutreiben. Die Kranken sind dabei Verbraucher von Medikamenten, Pflegehilfsmitteln und Dienstleistungen, andererseits auch das Material, an dem sich die Produktion von »Gesundheit« realisiert. Im ambulanten Bereich wird schon lange an der Produktion von »Gesundheit« verdient. Jeder weiß, wie gut etwa Ärzte und Zahnärzte verdienen, aber auch die ambulanten Krankenpflegedienste, die oft schon auf Subunternehmerbasis arbeiten, sind wahre Profitquellen.
Nun enthüllen die Kämpfe und das zugrundeliegende ArbeiterInnenverhalten in den Krankenhäusern den Kern des »Gesundheitswesens« als Industrialisierung, die Klinik als weiße Fabrik.
Diskutiert werden muß zunächst die Frage: wie ist die technische Zusammensetzung und wie wird sie verändert? wo finden wir Brüche zu einer politischen Neuzusammensetzung?
Ich will im folgenden versuchen, die »Schichten der Klinik«, besonders des Pflegepersonals, zu untersuchen und die Neustrukturierung der Klinik zu umreißen. Beides als Diskussionsgrundlage für die militante Untersuchung, die im eigentlichen Sinne erst noch aufgenommen werden muß.
Grob wird in einer Klinik in ärztliches, medizinisch-technisches, pflegerisches und zuarbeitendes Personal unterteilt. In dem Bericht aus den USA (Wildcat 43) wird deutlich, daß der Streik bei Kaiser im wesentlichen von den MedizintechnikerInnen getragen wurde. Sie haben stärker mit der technischen und weniger mit der medizinischen oder gar pflegerischen Seite der Klinik zu tun, dementsprechend schwächer ausgebildet sind bei ihnen die Mythen vom »Beruf als Berufung« oder, daß Kämpfen und Pflegen ein Widerspruch sei. In den technischen Bereichen der Klinik findet sich am ehesten und deutlichsten ein normales ArbeiterInnenverhalten: die Ablehnung der Arbeit. Umso interessanter sind die Kämpfe in Großbritannien, die sehr stark von ArbeiterInnen aus dem Pflegebereich getragen wurden.
Im Pflegebereich treffen wir auf verschiedene Eigentümlichkeiten. Erstmal wird die Krankenpflege immer noch als typischer Frauenberuf, gerade auch mit der dafür gängigen niedrigen Bezahlung, gehandhabt. Es sind überwiegend junge Frauen, älter als 40 sind in der Klinik wenige. Einige haben auch Kinder, die sie häufig alleine mitdurchzuziehen haben. Gerade die ganz Jungen haben meist die Vorstellung, irgendwann zu heiraten, dann Kinder zu kriegen und mindestens vorübergehend, wenn's Geld reicht, die Klinik zu verlassen. Die meisten bleiben zwischen zwei und fünf, wenige bis zu zehn Jahren, gehen dann aus dem Beruf raus oder wechseln zumindest die Klinik. Ein paar wenige gehen in die Pflegedienstleitung (PDL), an die Schulen oder in die Gemeindepflege. Ist die Mobilität nach außen schon hoch, wird's zusammen mit der Mobilität innerhalb der Klinik zu einem rasenden Wechsel; Stationen, die man nach einem Jahr wieder besucht, sind oft zur Hälfte neu besetzt.
Gearbeitet wird üblicherweise im Zwei- oder Drei-Schicht-System, jedes zweite Wochenende, Feiertage sowieso. Überstunden fallen in Massen an. Pro Schicht muß mindestens eine Examinierte auf Station sein, sie trägt die Verantwortung für die Station, muß die Visite machen, ausarbeiten und den ganzen Verwaltungskram erledigen. Die Stationsleitung und die übrigen Examinierten, soweit es welche gibt, sind im wesentlichen für die Behandlungspflege, für Verbände, Spritzen und Infusionen zuständig. Das wird auch von Schülern aus höheren Kursen gemacht, gehört aber eigentlich zu den Aufgaben der Ärzte. Die machen's aber nur in Ausnahmefällen. Ohne diese Übernahme von Arbeiten, die nicht in den Zuständigkeitsbereich des Pflegepersonals fallen, ist ein Klinikbetrieb nicht aufrechtzuerhalten. Vor ein paar Jahren gab's bei uns auf einer Station einen »Spritzenstreik« und innerhalb von zwei Stunden waren Ärzte, Pflegedienstleitung und Verwaltungsspitze in einer Krisensitzung. Es gelang ihnen, den Streik zu unterlaufen. Aufgrund der hohen Fluktuation und der Abschottung der Stationen untereinander sprechen sich solche Konflikte bisher aber kaum rum und werden dann schnell zu einer individuellen Anekdote.
Offiziell wird jede Station von einer Stationsschwester geleitet, die andere Schicht von einer Seitenschwester; informell machen's alle Examinierten. Das führt zu einer gewissen Kollegialität, aber auch dazu, daß viele eine Menge verkraften und einstecken, weil sie dafür durch eine Leitungsfunktion entschädigt werden. Durch diese Vermischung verschwimmt die hierarchische Funktion der Stationsschwester; in Analysen der Krankenhausverwaltungen ist von der »Krise des unteren Managements« die Rede, dessen »demokratischer« Stil kritisiert wird. Genau das deutet auch auf die Probleme hin, die wir eher positiv, als Bruch einschätzen. Im »unteren Management« muß die Managerposition erst wieder durchgesetzt werden. Es gibt ganz grob zwei Verhaltensweisen von Examinierten, die sich am deutlichsten in der Stationsleitung zeigen. Die einen sehen ihre Rolle als Mittler zwischen Arzt und Patient/Angehörigen. Sie versuchen, ihre Arbeit der des Arztes anzugleichen. Sei es in pflegerischer Hinsicht oder daß sie sich auf den Büro- und Verwaltungsbereich zurückziehen. Auf ihren Stationen findet man oft eine bedingungslose Unterwürfigkeit unter die Ärzte, und der Druck auf die übrigen ArbeiterInnen ist sehr hoch.
Die zweite Verhaltensweise ist wesentlich häufiger. Sie findet sich bei Examinierten, die häufig auf Station mitarbeiten, mit Karten und Kurven nicht viel anfangen können und ihr Verständnis aus der Krankenpflege herleiten. Das wird natürlich ganz stark benutzt, um über moralischen Druck immer noch mehr unbezahlte Mehrarbeit rauszuholen. Andererseits herrscht auf solchen Stationen aber auch ein relativ angenehmer Umgang untereinander, die innere Struktur setzt einen nicht so unter Druck. Dies ist den Verwaltern ein Dorn im Auge; denn damit sind diese Stationen für sie nicht beliebig steuerbar, der Schritt zur kollektiven Verweigerung liegt in der Luft. Diese Verhaltensweise ist aber sehr ambivalent, da sie den Mythos der Krankenpflege transportiert.
Oberflächlich betrachtet taucht dieser Mythos bei fast allen Examinierten auf, die in den letzten zehn Jahren in die Klinik gekommen und dageblieben sind, denn in der Ausbildung hat man ihnen viel von »ganzheitlicher Pflege« erzählt. Diese Konzeption von »ganzheitlicher Pflege« speist sich aus drei Quellen: Zum einen ist sie verknüpft mit der Geschichte der Krankenpflegekader; sie versuchen, die Selbständigkeit der Pflegearbeit durchzusetzen und machen das an einer Betonung ihres Gebrauchswertes fest, die schon moralisch ist. Genau das wird in der Aus- und Weiterbildung gepowert - und die, die das powern, machen meist schnell Karriere in den Kaderschulen und sind irgendwann gar nicht mehr in der Klinik oder auf Station zu finden. Zweitens erleichtert es dir der Mythos von der ganzheitlichen Pflege (als Pflege, die den Gebrauchswert für die Patienten erhöht) auch, die Unzufriedenheit, den Streß und die vielfältigen Anforderungen in der weißen Fabrik zu ertragen. Und drittens wissen alle, daß die neuen Pflegesysteme nur mit mehr Personal realisiert werden können. Manche hoffen noch auf die daraus resultierenden besseren Arbeitsbedingungen. Aber die tägliche Realität beweist das Gegenteil: Hier liegt der Widerspruch, aus dem viele ihre Kritik an der Patientenversorgung und an der Fabrikisierung der Pflege entwickeln. Eine Kritik, aus der, wenn auch oft noch individuell, auf kleine Kollektive begrenzt, temporär und defensiv die Verweigerung der »Fabrikarbeit« entsteht. Hier ist auch die größte Offenheit für eine Diskussion des Pfleger-Patient-Verhältnisses zu finden.
Die nächste Schicht sind die KrankenpflegehelferInnen (Kph); sie haben eine einjährige Ausbildung und sind meist schon ewig auf der Station. Ihre Chancen zu wechseln sind gleich null, weil es inzwischen dermaßen viele Schwestern und Pfleger gibt, im Vergleich zu denen ihre Ausbildung einfach zu schlecht ist. In den 70er-Jahren wurden sie massenhaft ausgebildet, vor allem Frauen, die ihre Kinder schon großgezogen hatten, um schnell billige Arbeitskräfte in die Kliniken zu kriegen. Im realen Arbeitsprozeß auf Station merkt man allerdings kaum, wer das Examen hat und wer »nur« die Kph-Ausbildung. Wer mehr als zehn Jahre auf einer Station arbeitet, führt jeden Tag aufs Neue den Mythos von der formalen Qualifikation ad absurdum. Aber zehn Jahre auf Station und nie am Schreibtisch, sondern immer am Malochen in den Zimmern führt oft auch zu einer zynischen Distanz zur Arbeit, da ist kein Anspruch von Pflege mehr zu finden. Nur das bloße Durchziehen von Sachen, die zu sehen sind, die dokumentiert werden müssen, ohne noch irgendwie auf Patienten zu achten, ermöglicht den Ablauf auf 30-Betten-Stationen mit 3-4 ArbeiterInnen in der Schicht. Die Arbeit wird gemacht und fertig. Diese zynische Distanz ist auch eine breite Verweigerung, auf der Ebene der Pflege zur Entwicklung der Klinik beizutragen.
Eine Schicht tiefer stehen die SchülerInnen. Kaum eine Klinik kann ohne SchülerInnen arbeiten. Manche von ihnen haben vorher gejobbt oder studiert, aber alle haben schon im Pflegebereich gearbeitet. Während der Ausbildung wechselt man den Arbeitsplatz mindestens sechsmal, ist oft nur 2-3 Monate auf einer Station - hat also kaum Zeit, die KollegInnen überhaupt kennenzulernen.
Ganz deutlich ist in der Ausbildung der Einsatz als billige Arbeitskraft. Meist besteht gar nicht die Möglichkeit, viel zu lernen, dafür ist in der Klinik weder Zeit noch Personal. Es wird halt mal was nebenbei beigebracht, aber da muß man schon Glück haben. Die meiste Zeit haben SchülerInnen das zu machen, was sie eh schon können. Für den Schichtdienst, Wochenenddienst usw. kriegen sie 600,- bis 800,-DM ausbezahlt. Vor zwei Jahren wurde versucht, die Ausbildungskohle um 50% zu kürzen, daraufhin kam's an vielen Schulen zum Schulboykott, die Kürzung wurde dann bis auf 10% zurückgenommen. Heute ist von den Aktionen und denen, die sie trugen, nichts mehr zu spüren.
Einige hören sofort nach der Ausbildung auf, feiern schon vorher krank bis an die Grenze (wer während der Ausbildung mehr als 80 Tage krank ist, muß ein halbes Jahr länger machen). Sie hatten andere Vorstellungen von der Arbeit und haben jetzt von der Unmöglichkeit eine vernünftige Krankenpflege zu machen und/oder den beschissenen Arbeitsbedingungen die Schnauze voll.
Manchmal gelingt es, aus dem Zusammenhang »Schule« heraus Gruppen zu entwickeln, die eine intensive Diskussion über die Klinik führen. Ihre Existenz ist aber oft mit dem Examen beendet. Bei denen, die bleiben, entwickelt sich schon kurz vor Ende der Ausbildung und in den ersten Monaten danach ein ganz verrücktes Verhältnis zu ihrer Arbeit, vermittelt über ihre »Qualifikation«. Da kommen sie erstmals in die Situation, daß sie mal Schichtleitung machen, daß sie relativ selbständig arbeiten können, daß es ihnen gelingt, sich einen Raum auf Station zu schaffen. Dieses Gefühl von Qualifikation, verknüpft mit dem selbständigen Arbeiten und der Faszination der Leitung, wird dann langsam durch die Fabrik und die Hierarchie zertrümmert, doch das dauert. Oder sie entwickeln sich zu Pflegekadern und qualifizieren sich weiter, bis sie als Unterrichtsschwester und -pfleger der Fabrikorganisation entronnen sind oder ihren Platz in der Hierarchie als PDL gefunden haben.
Und dann sind da noch die Extrawachen , ohne die keine Klinik mehr auskommt. Prekarisierte Arbeit in Reinform werden sie manchmal erst eine Stunde vor Dienstbeginn von der Pflegedienstleitung oder von der Station angerufen. Meistens sind es MedizinstudentInnen, in zunehmender Zahl Examinierte, immer seltener Ungelernte. Sie werden schwerpunktmäßig im Pflegebereich eingesetzt, manchmal auch als Stationshilfen. Sie haben keine feste Stundenzahl im Monat, selbstverständlich keinerlei Versicherung. In manchen Kliniken ist ihre Zahl sehr hoch, z. B. bei 500 Betten regelmäßig 20-30 in der Nacht, genauso viel wie fest Angestellte. Dazu kommt oft noch ihr Einsatz an Wochenenden, um die Kiste am Laufen zu halten. Wenn sie formal als »Sitzwache« bestellt und so über die Krankenkasse abgerechnet werden, ist ihr Einsatz für die Klinik gratis.
Besonders die StudentInnen unter den Extrawachen wehren sich nicht gegen die beschissenen Arbeitsbedingungen, sie ziehen die Arbeit durch, malochen ganz schön und ruhen sich dann wieder ne Weile aus. Zum Teil werden sie auch ganz gezielt zur Spaltung eingesetzt. In den meisten Krankenhäusern gibt es so was wie »feste Extrawachen«, die fast ständig malochen; unter ihnen sind auch ausgebildete PflegerInnen, die sogar als Stationswache eingesetzt werden.
Auf Druck der Kostenträger wird beinahe regelmäßig versucht, Extra- und Sitzwachen zu streichen. Das geht aber nie sehr lange, entweder weil der Betrieb gar nicht mehr anders aufrechtzuerhalten ist, oder weil es auf den Stationen zu Konflikten kommt, wenn z.B. Schwestern die weitere Verantwortung für die Station ablehnen oder keine Botengänge mehr machen. Wo es durchsetzbar ist, wird die Arbeit auf die Station abgewälzt, über neue Schichtpläne, vermehrten Einsatz von SchülerInnen und Überstunden. Das hängt sowohl von der Stärke der ArbeiterInnen und der Anzahl der notwendigen Wachen ab als auch vom Zusammenhalt untereinander: Je länger Wachen da sind und je häufiger sie auf einer Station sind, desto besser kommen die KollegInnen mit ihnen zurecht. Als in unserem Krankenhaus neulich die Zahl der Extrawachen gekürzt werden sollten, haben sich einige dieser Stationswachen geweigert, allein Nachtwache auf Station zu machen. Sie wurden dafür auch gleich auf eine schwarze Liste gesetzt, aber immerhin hat die Spaltung nicht hingehauen. Extrawachen, die nahezu regelmäßig arbeiten, haben begonnen, ihren Einsatz selbst zu organisieren, so kommt jedeR auf die Stundenzahl, die sie/er braucht oder machen will, und zu den Zeiten, wo's paßt.
Zu den untersten Schichten im Krankenhaus gehören die Träger, die nur noch in wenigen Kliniken zu finden sind, weil ihre Aufgaben mehr und mehr durch Zentralisierung und Auslagerung verschwinden (TransportarbeiterInnen gibt es natürlich nach wie vor evtl. in Zukunft sogar mehr, aber eben nicht mehr in der Form des Trägers). Ich habe früher selber als Träger gearbeitet, meine Kollegen leisteten meistens ihren Sozialdienst (anstelle des Zivildienstes) für 2 1/2 Jahre in der Klinik ab. Wie der Name schon sagt, müssen Träger Patienten, Ware usw. hin- und hertragen. Der Arbeitsanfall ist dabei völlig unterschiedlich. Mal ist keine Pause drin, mal ist bis zu fünf Stunden in der Schicht Zeit zum Essen, Lesen, Bier trinken. Gerade die Spätschicht hat gegen Abend viel Ruhe. Die Träger haben einen Pieper, mit dem sie von allen Stationen erreicht werden können. D.h. sie können sich sonstwo aufhalten und werden dann angepiept. Das hat natürlich den Vorteil, daß niemand weiß, wieviel wirklich gearbeitet wird. An arbeitsintensiven Tagen kommt man allerdings den Anforderungen der Stationen kaum nach. Gerade dann knallt's immer, und besonders zwischen denen, die eh genug zu tun haben und der Arbeit nicht mehr hinterherkommen. Die Reibungen, die auf den Stationen durch Arbeitsorganisation, Ärzteanordnungen, Arbeitsanfall etc. entstehen, werden auf die Träger abgewälzt.
Wenn die Arbeitsintensität unerträglich wird, kommt es schon mal vor, daß die Hälfte der Träger gleichzeitig krank macht. Auch anderweitig finden die Träger immer wieder Lücken in der Arbeitsorganisation, die sie ausnutzen können. Auf ihre Weigerung, die Patienten auch noch beim Röntgen zu halten und dabei Strahlung abzukriegen, wurden ihnen Dosimeter ausgehändigt. Die hängen sie sich jetzt über die Bleischürze und haben so bald die Höchstdosis zusammen.
Gerade bei diesen kleinen Konflikten wird die Vermittlungsfunktion der Pflegedienstleitung (PDL) deutlich, die das immer wieder aufgefangen hat: »Ja, ich kann Sie ja verstehen, ich werd's bei der nächsten Sitzung vortragen ...«, die gleichen Sprüche, die man von ihr immer wieder auch auf Station zu hören bekommt. Dann kriegt man vielleicht noch ne Extrawache, um das Gröbste aufzufangen. Diese Vermittlungsfunktion kann sich in den kleinen Kliniken zusätzlich darauf stützen, daß sich alle untereinander kennen, die PDL früher Schwester war und man schon des öfteren mit ihr zusammengearbeitet hat. In großen Kliniken kommt die Vermittlerrolle mehr aus den objektiven Gegebenheiten. Die PDL ist auch hier eine weitergebildete Examinierte, kennt also den Bereich sehr genau. Sie kann deshalb als Vertreterin der Pflege gegenüber der Verwaltung und den Ärzten auftreten - und muß andererseits deren Anforderungen nach unten durchsetzen.
Mit der zunehmenden Fabrikisierung gerät die traditionelle Art der Vermittlung in die Krise. In den kleinen Häusern haben sich die PDL immer stärker als Schwestern denn als »Leiter« des Pflegebereichs verstanden - und konnten gerade darüber ihre motivierende und integrierende Funktion erfüllen. In der »weißen Fabrik« tritt dir die PDL mehr und mehr als Vertreterin des Arbeitszwangs, der anderen Seite gegenüber, niemand käme mehr auf die Idee, mit all seinen Problemen zu ihr zu rennen.
Linien der Umstrukturierung Trotz der teilweise unerträglichen, zerstörerischen Arbeitsbedingungen ist der Arbeitsprozeß in der Klinik bisher eben noch nicht dem in einer Fabrik gleichzusetzen. Sei es die Unvorhersehbarkeit des Arbeitsanfalls, die Unkontrollierbarkeit der Arbeiten, die mangelnde Motivation mancher Stationsschwester, dich zur Arbeit anzutreiben, immer iweder findest du Freiräume, kannst manchmal über Wochen ╚ne ruhige Kugel schieben. Das alles steht natürlich einer profitablen Klinik im Weg. Es werden verschiedene Angriffe gefahren, um die Arbeitsintensität zu steigern und über die gesamte Arbeitszeit gleichmäßig hoch zu halten.
Die erste Linie ist die rationalisierung des unmittelbaren arbeitsprozesses. Die Arbeit im Krankenhaus wird in ihrer Gesamtheit als »Pflegeprozeß« definiert und organisiert, du sollst als PflegerIn nicht mehr auf Beschwerden oder klinikbedingte Erkrankungen des Patienten reagieren, sondern aktiv planen. Die gleichzeitig einzuführende Pflegedokumentation soll eine umfassende Kontrolle über sämtliche Arbeitsschritte und sogar deine dabei angestellten Überlegungen bringen. Insgesamt wird dadurch die Pflege zum ersten Mal standardisierbar, eine unabdingbare Notwendigkeit, um Klinikarbeit zu industrialisieren.
Die zweite Linie ist die Zentralisierung der zuarbeitenden funktionen. Dies geschieht zum einen im Innern: durch Bettenzentralen, Tablettsystem usw. werden Putz-, Küchen- und andere Zuarbeiten abgespalten und zentralisiert. Das führt zu fließbandartigen Arbeitsprozessen, etwa wenn alle Betten eines Krankenhauses in einem Keller gereinigt und frisch bezogen werden. Politisch bezweckt dies eine Aufspaltung der Arbeitskraft in höherqualifizierte KrankenpflegerInnen und »Reinigungs- und Küchenpersonal«. Ähnlich funktioniert die Dezentralisierung nach außen: seit Jahren werden klinikeigene Wäschereien, Reinigungsdienste, Küchen privatisiert. Wie beschissen die Arbeitsbedingungen in solchen zuliefernden Klitschen und Putzfirmen sind, ist ja bekannt.
Eine dritte Linie ist die Privatisierung der Kliniken selber. Auch das ist seit Jahren im Falle von Pflegeheimen und spezialisierten Kliniken bekannt und hieß bisher, daß »Private« sich die profitablen Bereiche geschnappt haben. In Zukunft sollen nun solche Prinzipien auf breiter Front angewandt werden.
Zusammenfassend betrachtet erkennen wir zwei parallele und widersprüchliche Schienen von Rationalisierung, die parallel und widersprüchlich sein müssen, weil das ArbeiterInnenverhalten, das sie angreifen und neu integrieren müssen, die gleiche Widersprüchlichkeit in sich trägt: Auf der einen Seite gegen den Haß auf die Arbeit eine Leistungsverdichtung und Zergliederung des Arbeitsprozesses zu setzen (Flexibilisierung Neuorganisation, neue Berufsgruppen, Ausgliederung); auf der anderen Seite ist kaum eine Arbeit so stark von »Nützlichkeit«,^ »HelferInnenmythos«, auferlegter Moral und Ethos geprägt wie die Krankenpflege, da wird dann versucht, Mehrarbeit über Motivationssteigerung (Zimmerpflege, Pflegeprozeß) zu erreichen. Die Widersprüchlichkeit läßt sich exemplarisch an der oben erwähnten »Krise des unteren Managements« diskutieren: einerseits sollen die »inneren Strukturen« zersetzt werden, in denen die Stationsschwestern wurzeln, andererseits müssen sie benutzt oder sogar aufgewertet werden, um neue Motivation zu erzeugen. Das Kapital kritisiert den »demokratischen Stil« dieser Stationsschwestern, will aber seine motivierenden Elemente bewahren und sie mit einem neu durchzusetzenden hierarchischen Stil zu koppeln.
Eine vorläufige kapitalistische Synthese: die Fallpauschale Eine fürs Kapital sinnvolle Kombination von Rationalisierung und Motivationssteigerung ist ihnen in der USA gelungen. Dort wurden 1983 die »DRG« (Diagnosis Related Groups) eingeführt und damit eine fallbezogene Pauschalbezahlung. Grundlage für die Kostenrechnung im Krankenhaus ist nicht mehr ein Tagessatz oder tatsächlich erbrachte Leistungen, sondern ein Pauschalsatz je nach diagnostizierter Erkrankung. Hier greifen ökonomische und patientenorientierte Pflegekonzeptionen ineinander.
Der Beitrag, aus dem die folgenden Zitate stammen, repräsentiert einen Teil der Diskussionen darüber, auf welche Weise leistungs- und produktivitätsbezogene Bezahlung in bundesdeutschen Kliniken eingeführt werden kann. Neben einigen Modellversuchen wird empfohlen, das System erst langsam für einige Diagnosen, einige Leistungen, einige Kliniken einzuführen, um es so den Erfordernissen anzupassen.
DRG sind »Fallpauschalen, (sie) stellen ein Klassifikationssystem dar, das Patienten bei der stationären Aufnahme, je nach Diagnose, in bestimmte Diagnosegruppen einordnet, ein prospektives Vergütungssystem, das eine im vornhinein festgelegte Pauschale pro Diagnosegruppe zusichert.« Wird der Patient vor Ausschöpfung dieser Summe entlassen, kann das Krankenhaus die Differenz einbehalten. Also auch entsprechend Profit aus dem Verkauf der Ware »Gesundheit« ziehen, denn »dieses System sieht Krankenhäuser als Multiproduktbetriebe deren 'Produktion' die Anzahl und Art der behandelten Patienten ist.«
Zudem »zwingt es die Krankenhausleitung, sich an marktwirtschaftlichen Prinzipien zu orientieren. Diese Management-Behandlungsstrategie bewirkt sowohl die Verkürzung der Verweildauer als auch den Rückgang der Belegungsrate, erhöht aber die Pflegeintensität.« Daher »bedarf es nicht weniger, sondern zumindest einer ähnlichen, unter Umständen sogar einer höheren Anzahl qualifizierter Vollschwestern.«. Aber so einfach gibt's nicht mehr Planstellen oder gar besetzte Stellen,« aufgrund der reduzierten Belegung ist es für die Krankenhausverwaltung wirtschaftlich gesehen naheliegend den Pflegesektor kritisch zu überprüfen.« Das Ziel ist die erhöhte Pflegeintensität mit höherer Arbeitsintensität zu bewältigen.
»Grundlage für den wirtschaftlichen Erfolg des Pflegedienstes ist der rationelle Einsatz von Personen, Zeit und Material.« »Der neue wirtschaftliche Hintergrund bestimmt den temporären Einsatz von Pflegenden auf einer Nachbarstation.« Und damit's jeder begreift, wird »den Pflegenden die wirtschaftliche Bedeutung von Fehlzeiten erläutert.« Weil mit Erklärungen nicht viel zu holen ist, wird das Projekt arbeitswissenschaftlich abgesichert.
Gerade die vieldiskutierte Einführung von Pflegeprozeß und Pflegedokumentation kommt hier zu ihrer vollen Entfaltung. »Die Pflegedokumentation bildet die unverzichtbare Datenbasis für eine realistische Pflegeadministration.« Denn »auf den aus der Pflegedokumentation gewonnenen Daten basiert der Produktivitäts- und Qualitätsnachweis. Die von der Basis der Pflegearbeit stammenden Daten bilden die Grundlage für die Managemententscheidungen der Pflegedienstleitungen, um den Personal- und Mehraufwand den veränderten Situationen wirtschaftlich effizient angleichen zu können.« Und endlich ist es möglich, »die Arbeit der Pflege für die Gesamtproduktion des Krankenhauses darzustellen. Aber der Produktivitätsnachweis macht keine Aussage über die Pflegequalität.« Schließlich soll nicht nur die Produktivität, sondern auch die Qualität kontrolliert werden.
»Allgemein wird nach Entlasssung der Patienten für ausgewählte Diagnosegruppen ein Pflege-Audit, eine Pflegekontrolle, von einer dafür delegierten Vollschwesterngruppe vorgenommen. Das hundertprozentige Erreichen der Kriterien wird angestrebt. Diejenigen Krankenakten, die darunterliegen, werden detailliert untersucht. Je nach Ursachen der Nichterreichung der Pflegekriterien werden Maßnahmen oder Fortbildungsprogramme zur Mängelbehebung eingeleitet.« Aber »die vielschichtigen Veränderungen kann die Pflegedienstleitung allein nicht bewältigen. Sie muß daher alle in der Pflege Tätigen mobilisieren und sie durch Aufklärungsarbeit emotional und rational für die neue Realität sensibilisieren.« Und »dabei ist es wichtig, die berufliche Herausforderung der einzelnen sowie die kollektive Chance der Pflegenden, produktiv am wirtschaftlichen Erfolg des Pflegedienstes im engeren und des Krankenhauses im erweiterten Sinn mitwirken zu können, hervorzuheben.« Und dazu wird »jede Pflegeeinheit von der Verwaltung als Kostenstelle (cost centre) eingerichtet Leistungserfassungslisten, (die den) Leistungsstand monetär ausdrücken, sind unentbehrliche Instrumente für ein wirtschaftlich effizientes Management.«
Und auch den Patienten fällt nicht nur die Rolle des zu bearbeitenden 'Produkts' zu, »zufriedene Patienten sind die wirksamste und billigste Werbung.« Deshalb sollen die ArbeiterInnen »sich mit ihrem Krankenhaus identifizieren, das Qualität zu bieten und zu vermarkten hat.« Ob sie das ausreichend tun, wird »durch Auswertung der Patientenzufriedenheitsbögen statistisch erfaßt.« Diese »sind wegweisend für korrigierendes Handeln.«
Soweit zu Auswirkungen der DRG in der Klinik, »Folge ist, daß Patienten schneller und kränker als früher entlassen werden. So kommt es relativ häufig vor, daß nach Entlassung aus dem Krankenhaus große Wunden behandelt, multiple Dekubiti
Haben wir bis hierher die Klinik als weiße Fabrik analysiert, mit dem ganzen dazugehörenden Angriff auf die Klassenzusammensetzung, mit der ganzen Umstrukturierung zum profitablen Dienstleistungsektor, müssen wir nun auf eine wesentliche Differenz zur Fabrik einzugehen. Ein Unterschied, der die Kämpfe wesentlich schwieriger gestaltet: Das »Material«, das die KrankenhausarbeiterInnen bearbeiten, sind die Patienten, Menschen, die ihren Anspruch auf Hilfe und Linderung, ihren Anspruch auf Menschsein eingelöst haben wollen. Deshalb sind gängige Kampfformen in der Dienstleistungsfabrik erstmal nicht anwendbar. Natürlich kann man hier und da Teile vernichten, Pflegematerial zocken, die Verwaltung sabotieren, aber die Sabotage an der Maschine und am Produkt ist erstmal nicht möglich. Es gab härteste Streiks in Israel, wo zum Schluß sogar Notaufnahmen verweigert wurden, aber das ist eine Ausnahme.
Und im Gegensatz zur gewöhnlichen Fabrik wird vom »Material« auch noch Druck auf einen ausgeübt. Die Patienten haben Wünsche und Bedürfnisse, ganz abgesehen von Notwendigkeiten, die erfüllt werden müssen. Das heißt, sie vermehren erstmal die Arbeit, was bei vielen PflegerInnen dazu führt, daß sie den Patienten mehr oder weniger offen die Schuld für einen Scheißtag zuschieben, daß sie Haß auf Patienten entwickeln, anstatt die Arbeitsorganisation, also die wirklichen Ursachen zu kritisieren. Das führt zu der absurden Situation, daß die PflegerInnen die Patienten ihre Macht spüren lassen: Das Ruhigstellen unbequemer Patienten oder unnötige Katheterisierung sind Maßnahmen gegen den Patienten, die umso gängiger sind, je mehr Arbeit auf Station anfällt.
Drittens hat das Pflegepersonal die Unvereinbarkeiten von Heilserwartungen auf seiten der Patienten und dem Heilsterror seitens der Medizin auszugleichen und zu vermitteln. Viele Patienten wollen Hilfe und Schmerzlinderung und setzen ihr ganzes Vertrauen immer wieder in die hierarchische, selektierende Medizin. Aus dieser Einstellung heraus nehmen sie manchmal den totalen Ärzteterror bis hin zu Experimenten an ihnen hin und sind gegenüber den Ärzten, aus Angst oder Respekt, still. Wenn, dann wehren sie sich erst gegenüber dem durchführendem Pflegepersonal. Oft ist man dann in der Situation, Patienten fixieren zu müssen, gewaltsam die Untersuchung durchsetzen zu müssen, oder, auf niedrigerem Niveau, die Fragen der Patienten beantworten zu müssen, die eigentlich der Arzt hätte klären müssen.
Eine gemeinsame Front von Pflegenden und Patienten kann nur hergestellt werden, wenn die Patienten ihre Krankheit selbst angehen, und das Pflegepersonal seine Macht über die Patienten rumdreht.
Solange die KrankenhausarbeiterInnen in ihren Kämpfen Krankheit nicht revolutionär thematisieren, werden sie immer wieder in der Ambivalenz zwischen Verweigerung der Arbeit und Gebrauchswert der Arbeit eingeschlossen. Und in dieser Ambivalenz werden sie immer wieder nur die Entwicklung der weißen Fabrik vorantreiben.
Hier wird noch viel Arbeit zu leisten sein.