Wildcat Nr. 44 - April 1988 - S. 34-41 [w44koeln.htm]


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Erfahrungen aus einer Flüchtlingsinitiative (Köln)

Vorgeschichte

Die Gruppe enstand in Köln im Herbst 86 vor dem Hintergrund der »Flutkampagne« von Zimmermann&Co. gegen die Asylbewerber. Ausgangspunkt war eine Aktion, die der Rest der in Auflösung befindlichen »Initiative gegen Zwangsarbeit« auf dem Sozialamt machte: Einem türkischen Asylbewerber, der in einem besetzten Haus wohnte war die Einrichtungsbeihilfe für Möbel, Teppich usw. verweigert worden. Bei dieser Entscheidung kam zweierlei zusammen: erstens gibt es schon seit längerem in Köln eine Dienstanweisung, nach der Leuten in besetzten Häusern keine Einrichtungsbeihilfen gezahlt werden. Zweitens wurde wie gegenüber Asylbewerbern üblich, die sich eine eigene Wohnung suchen, statt in die »möblierten« Lager oder Wohnheime (bzw. Hotels) zu gehen, so argumentiert: »...(wir) müssen ... Ihren Antrag ablehnen, da über Ihren Asylantrag noch nicht endgültig entschieden und daher Ihr weiterer Verbleib in der BRD ungesichert ist ...«. Bei der Aktion - Frühstück mit 30 Leuten auf dem Sozialamt und Nerverei gegen die Sachbearbeiter - bezogen wir uns vor allem darauf, daß ihm das Geld wegen seines laufenden Asylantrags weggenommen wurde. Wir versuchten aber auch, gleichzeitig die alltäglichen Schikanen gegen alle möglichen Leute aufzugreifen und verteilten Kleidergeldanträge. Damit erreichten wir eine Stimmung auf dem Sozi, die nicht mehr von Rassismus, sondern von der gemeinsamen Wut gegen das Amt geprägt war.

Ich erzähle diese im Grunde nicht besonders erwähnenswerte Aktion deshalb so detailiert, weil sie von ihrer Konzeption her einen Fehler vermieden hat, der sich bei der späteren Arbeit als »Flüchlingsinitiative« immer wieder eingeschlichen hat. Diese Aktion war eben nicht aus einer spezifischen »Flüchtlingsperspektive« heraus entstanden und durchgeführt worden, sondern im Zusammenhang mit den Aktionen gegen das Sozi, dem Konflikt um besetzte Häuser und dem in manchen Häusern alltäglichen Umgang mit den Problemen der ausländischen »Nachbarn«. Durch die spätere Einengung auf »Flüchtlinge« verloren viele Themen, die wir schon einmal mit anderer praktischer Brisanz angepackt hatten, ihren Biß. Bisher hatten wir Sozialhilfe, Wohnungen, Zwangsarbeit, Prekarisierung von der proletarischen Einkommens- und Überlebensfrage aus thematisiert. Dabei griffen wir auch den Rassismus und die Einkommensbegrenzungen (durch Ausländerrecht wie durch geschlechtsspezifische Gesetzlichkeit) an, aber das war ein selbstverständliches Erfordernis im Kampf. Bei Initiativen auf dem Sozialamt, Mobilisierungen gegen die Wohnungsnot oder beim Kampf der Zwangsarbeiterkolonnen ging es immer darum, wie Rassismus und nationale Spaltungen überwunden werden können, indem die Maloche selbst angegriffen wird.

Die Gruppe entsteht als »autonome Flüchtlingsinitiative«

Die Gruppe enstand dann zunächst aus dem in autonomen Kreisen gestiegenen Bedürfnis, gemeinsam etwas gegen die Flutkampagne zu machen. Dabei kamen unterschiedliche Erfahrungen zusammen: neben der oben angedeuteten Praxis gegenüber den Ämtern hatten einzelne schon sehr lange gute Kontakte zu Ausländern, z.B. aus gemeinsamen Versuchen, in den (mittlerweile aufgelösten) Lagern eine Selbstorganisation (Lagerrat) aufzubauen.

In der ersten Phase versuchten wir eine theoretische Klärung und Selbstvergewisserung unseres Ansatzes. Konsens war die Ablehnung der traditionellen und sozialarbeiterischen Asylarbeit. Aber dies genügte nicht, um eine positive Bestimmung der eigenen »autonomen« Politik zu entwickeln. Andererseits blieben die Theoretisierungen, die auf die Einordnung der Flüchtlinge in eine neue internationale Klassendynamik zielten, zu allgemein und abstrakt, um daraus direkt eine kollektive Praxis zu entwickeln. Diese Diskussion sollte uns auch nicht davor schützen, die Fehler eines eingeengten Flüchtlingsbegriffs und einer sozialarbeiterischen Praxis zu wiederholen.

Unsere Überlegungen gingen dahin, die konkrete Praxis hier mit den Ansätzen eines »neuen Internationalismus« zu verbinden. Das hieß zunächst mal ganz schlicht, die vielfältigen Kontakte mit den Flüchtlingen aus aller Welt auch als Möglichkeit zur viel direkteren Beschäftigung mit den Situationen in der »Peripherie« wahrzunehmen. Dies ist uns aber nur sehr begrenzt gelungen - am stärksten noch da, wo es sich uns aus der Praxis heraus aufgedrängt hat, weil wir in der Unterstützung von Flüchtlingen zu den Kämpfen in anderen Ländern Stellung nehmen mußten (siehe weiter unten das Beispiel der Sikhs).

Trotz der Diskussion um einen umfassenden revolutionären Anspruch wurden wir mehr und mehr eine themenspezifische Gruppe. Wir blendeten selbst Sachen aus unserer täglichen Erfahrung und Praxis aus, weil sie nicht direkt in diesen »Bereich« fielen. Das führte auch dazu, daß wir zwar theoretisch die Einschränkung auf Flüchtlinge im Sinne von Asylbewerbern ablehnten, aber in den praktischen Versuchen doch immer wieder beim »politischen Asyl« landeten. Schon die Geschichte des Begriffs gibt zu denken: Bis vor wenigen Jahren wurde auch in der Linken von »Asylanten« gesprochen. Mit dem zunehmend negativen und diskriminierenden Gebrauch in der Öffentlichkeit - »Asylantenflut« usw. - wurde in einem sprachkritisch aufklärerischen Sinne der Begriff »Flüchtling« eingeführt. Im Prinzip sollte er die Verengung auf diejenigen durchbrechen, die tatsächlich einen Asylantrag stellen, und auch die Illegalen und die zwangsprostituierten Frauen miteinbeziehen. Bei konkreten Aktionen - z.B. gegen Abschiebungen - machte sich aber doch immer wieder das Bild des in Lagern untergebrachten Asylbewerbers geltend - nur daß er jetzt als Flüchtling bezeichnet wurde.

Erst später ist uns an zwei Beispielen richtig klar geworden, wie weit wir die Thematik »Flüchtlinge« zu einem abgetrennten Bereich gemacht hatten: Durch die Arbeit in einem Frauenhaus hatten sich zwei Frauen aus der Gruppe intensiv mit den besonderen Problemen von ausländischen Frauen auseinandergesetzt - dem Zusammenhang zwischen der patriarchalen Gewalt in ihren Heimatländern und ihrer Situation hier, dem besonderen Verhalten der Ämter gegenüber ausländischen Frauen, aber auch der Subjektivität dieser Frauen, die gleichzeitig aus ihren Ländern und vor ihren Männern fliehen. Die politische Praxis im Frauenhaus, die vom Widerstand gegen die Sozi-Zwangsarbeit bis zur Forderung und Durchsetzung eines eigenständigen Aufenthaltsstatus reichte, wurde aber dort nicht als abgetrennte »Flüchtlingsfrage« behandelt - und blieb daher zuerst in der Flüchtlingsgruppe unbeachtet. »Dabei unterscheidet sich in bezug auf sexuelle Gewalt und Mißhandlung die Situation der ausländischen Frauen in keiner Weise von der Situation deutscher Frauen, die ins Frauenhaus kommen. Für die deutschen Frauen sind nur die Möglichkeiten größer, sich vom Mann zu trennen - wobei sie in aller Regel von Sozialhilfe abhängig sind. Daher können wir die Situation der ausländischen Frauen auch nicht allein unter dem Gesichtspunkt »Flüchtlingsfrauen« betrachten, da das Auffällige gerade die gemeinsame Betroffenheit von sexueller Gewalt als Frau ist.« (Aus einem Papier zur Aufarbeitung der Frauenhauserfahrungen)

Ein anderes Beispiel sind die ständigen Erfahrungen und Kontakte, die wir bei der normalen Jobberei mit Ausländern machen, früher »Gastarbeiter« heute »Wirtschaftsflüchtlinge«. Sie sind für uns in erster Linie »KollegInnen«, mit denen wir uns gemeinsam gegen die Ausbeutung verhalten wollen. In der Fabrik ist unmittelbar klar, daß nicht ihre Besonderheit als Ausländer oder Flüchtlinge das Sprengende ist, sondern die Entwicklung gemeinsamer Kämpfe. Dabei können die innerbetrieblichen rassistischen Spaltungsversuche - genauso wie die sexistischen usw. - Ansatzpunkte für Kämpfe bieten, aber gerade um die Spaltungen zu überwinden.

Einerseits wollten wir uns also auf die Flüchtlingsfrage im Sinne einer internationalen Klassendynamik beziehen, die die Einkommensforderungen und Ansprüche der weltweiten Klasse über Fluchtbewegungen in die Metropolen spült. Andererseits blockierten wir uns selbst allzuoft durch die Einschränkung auf das politische Asyl, das von seiner Konstruktion her auf die politisch aktiven Mittelschichten zugeschnitten ist. Dieses Problem konnte noch am besten in den Fällen überwunden werden, wo Flüchtlinge selbst anfingen, kollektiv für ein Einkommen oder gegen den Arbeitszwang zu kämpfen.

Streik von Flüchtlingen gegen die Sozi-Zwangsarbeit Ende 1986

Während sich die Gruppe noch in ihrer theoretischen Klärungsphase befand, hörten wir Ende 86 zufällig von einem Streik von etwa 40 Asylbewerbern in Niederkassel, einer Kleinstadt bei Köln, der sich gegen die dort noch praktizierte Zwangsarbeit richtete. In Köln selbst, wie in den meisten anderen NRW-Großstädten, war die Zwangsarbeit mittlerweile abgeschafft und durch ABM-ähnliche Programme ersetzt worden. Zunächst waren wir ziemlich überrascht, denn bei den Initiativen gegen die Zwangsarbeit in Köln war es nie gelungen, einen kollektiven Streik zu organisieren, obwohl die individuelle Verweigerung stark verbreitet war. Durch die Unterstützung und die Kontakte zu den Streikenden ist uns dann klar geworden, warum es ausgerechnet in der Provinz zu der kollektiven Aktion kommen konnte.

Der Auslöser für den Streik war zum einen die ungleiche Behandlung der Flüchtlinge: Iraner, die neu in die Stadt gekommen waren, mußten - im Gegensatz zu Flüchtlingen aus anderen Ländern - keine Zwangsarbeit machen. Zum anderen sollten die Asylbewerber im Gegensatz zum Vorjahr dieses Jahr den ganzen Winter durcharbeiten. Nach diesem Streik kam es in einer anderen Kleinstadt (Meckenheim) zu einem Hungerstreik von kurdischen Flüchtlingen gegen die Zwangsarbeit, und in einer Reihe der umliegenden Gemeinden rumorte es auch. Die Flüchtlinge in Niederkassel waren über die Situation in anderen Städten bestens informiert: daß in Köln früher auch nur drei Monate Zwangsarbeit gemacht werden mußte, daß sie hier und in anderen Städten mittlerweile abgeschafft war. Niederkassel war also auch ein Beispiel dafür, wie die zunehmende Wut aus den Großtädten auf die Provinz übergesprungen war, wie die beabsichtigte Spaltung und Isolierung der Asylbewerber durch die Beraubung der freien Wohnortwahl von ihnen teilweise unterlaufen wurde.

In Niederkassel wohnten die Flüchtlinge zwar verstreut in verschiedenen Wohnungen und Häusern, hatten aber einen starken Zusammenhalt in drei Gruppen: den Schwarzafrikanern, den Tamilen und den Bangladeshis. Von diesen drei Gruppen wurden der Streik und die damit verbundenen Aktionen aktiv getragen. Dabei blieben andere rassistische Spaltungen unter den Flüchtlingen bestehen. Zum Beispiel erzählten uns die Streikenden aus diesen drei Gruppen zunächst, daß die Polen und Iraner nicht mitmachen würden. Später stellte sich dann anläßlich einer Aktion gegen die Kürzung der Sozialhilfe heraus, daß auch diese Gruppen sich unbemerkt dem Streik angeschlossen hatten. Was die Flüchtlinge in dieser Auseinandersetzung verband, war ihre Ablehnung der Zwangsarbeit und darüber hinaus die Forderung nach einem höheren Einkommen und besseren Wohnungen. Die sozialen Perspektiven waren dabei sehr heterogen: ein schwarzafrikanischer Arzt betonte immer, daß er nicht unter seiner Qualifikation arbeiten wolle, viele der Tamilen wollten in erster Linie in der BRD studieren, die Polen und einige Türken wollten hauptsächlich hier Geld verdienen. Diese Unterschiedlichkeit führte an einzelnen Punkten zu Spaltungen, wenn z.B. die Frau des schwarzafrikanischen Arztes ihre Forderung nach mehr Sozialhilfe mit der »höheren« Qualifikation ihres Mannes begründete.

Es gab also keine weiterreichende soziale Identität als »Flüchtlinge«, weshalb es nach dem Streik auch keine weitergehende Perspektive eines gemeinsamen Kampfes gab. Schon die Wohnungsfrage wurde anschließend auf der individuellen und sozialarbeiterischen Ebene »gelöst«. Aber in der konkreten Forderung nach Abschaffung der Zwangsarbeit entwikkelten die Flüchtlinge gerade deswegen eine Stärke, weil sie diesen Kampf selbst begonnen hatten und in der Hand behielten. Die Diakonie, die sich sehr schnell einschaltete, versuchte die Zielsetzung des Kampfes zu verwässern und die Leute mit Verweis auf ihre »Hilflosigkeit« zu bevormunden. Die professionellen Sozialarbeiter waren regelrecht aufgeschreckt durch die eigenständige Initiative derjenigen, die sie ständig zu passiven und hilfebedürftigen Opfern machen wollen. Die Auseinandersetzung spitzte sich vor allem an der Frage zu, wie sie auf die Androhungen der Sozialhilfestreichung, die drei Tage nach Streikbeginn verschickt wurden, reagieren sollten. Die Diakonie legte ihnen nahe, einen Widerspruch einzulegen, in dem sie ihre prinzipielle Arbeitsbereitschaft erklären. Diesen Vorschlag wiesen die Flüchtlinge zurück. Stattdessen machten sie ein Go-in auf dem Sozialamt. Unsere lautstarke Unterstützung wurde von herbeigeeilten Diakonievertretern und SPDlern scharf kritisiert - man erarbeite doch gerade Lösungen im Rat und in der Verwaltung, wir würden alles kaputt machen... Aber die Flüchtlinge fühlten sich durch die Aktion ermutigt, den Streik, der jetzt schon fünf Wochen dauerte, fortzusetzen. Nach sieben Wochen gab die Verwaltung nach: die »gemeinnützige Arbeit« wird nur noch als freiwilliges Arbeitsangebot praktiziert und der »Lohn« von einer auf zwei Mark erhöht. Zu dem Treffen, das für denselben Abend geplant war, kamen dann nur noch sieben Flüchtlinge. Diese Aktion zeigt sowohl den realen Druck, den die Einkommensforderungen der Flüchtlinge darstellen, als auch die Grenzen von Kämpfen als »Flüchtlinge»:

Anfang der 80er Jahre hatte der Staat versucht, die Zwangsarbeit durch erste Versuche mit Asylbewerbern massenhafter gegen die Sozi-EmpfängerInnen einzusetzen. Außerdem versuchte er, die Einkommensansprüche der Asylbewerber vom üblichen Sozialhilfeniveau abzukoppeln, indem ihnen die Sozialhilfe in der sozialpolitischen »Operation 83« generell um 20% gekürzt wurde. Beide Versuche haben sich so nicht durchsetzen lassen. Die Sozialhilfekürzung war mit dem »niedrigeren Anspruchsniveau in den Herkunftsländern« begründet worden. Bei allen Kontakten haben wir mitgekriegt, daß die Flüchtlinge sich von dieser Argumentation nicht im mindesten beeindrucken lassen. Sie kommen schon mit dem klaren Bewußtsein und der Erwartung hierher, in der sozialstaatlichen Metropole ein besseres Leben zu finden, und beanspruchen für sich sofort ein Konsumniveau, das den hiesigen Verhältnissen entspricht. Und sie sind auch nicht bereit, aus lauter Dankbarkeit über das bißchen Geld ihre Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen. Die Zwangsarbeit scheiterte schließlich daran, daß auch die rassistische Spaltung nicht im notwendigen Ausmaß funktionierte. Die Ausweitung des Programms führte zu einer Homogenisierung zwischen den verschiedenen Ausbildungsniveaus, Jungen und Alten, Deutschen und Ausländern, die sich alle gegen diese Arbeit richteten. Aufgrund des Scheiterns der 20%igen Kürzung für Asylbewerber und der Ausweitung der Zwangsarbeit sollen jetzt die Einkommensansprüche der Flüchtlinge ganz aus der Sozialhilfe herausgenommen und gesondert geregelt werden. Solche Verschiebungen auf der sozialstaatlichen und gesetzlichen Ebene sind aber nicht einfach Projekte des Klassenkampfs von oben. Wir müssen sie entschlüsseln als Antworten auf den Druck von unten, also auch hier einen »Arbeiterstandpunkt« entwickeln, der von dem realen Kampfverhältnis ausgeht. Ansonsten laufen wir ständig Gefahr, uns selbst sozialarbeiterisch auf die »Opfer« der staatlichen Projekte zu beziehen oder stellvertretend für sie zu handeln.

Die Grenzen solcher kollektiven Aktionen liegen darin, daß sie sich nur daran vereinheitlichen, weil der Staat alle zu »Asylanten« macht und den gleichen Bedingungen unterwirft. Sind diese Bedingungen (z.B. Zwangsarbeit) durch den gemeinsamen Kampf abgeschafft, treten die Unterschiede voll heraus. »Flüchtling« ist kein homogenisierender Begriff; niemand betrachtet sich selbst in erster Linie als »Flüchtling«. Die Flucht oder Auswanderung ist in der Regel ein sehr individueller Schritt, auch wenn er durch soziale Zusammenhänge ermöglicht wird. Dementsprechend individuell sind auch die Perspektiven hier. Gerade aus den überseeischen Regionen gelangen aufgrund der finanziellen und technischen Probleme bei der Einreise eher Leute aus dem Mittelstand hierher, die auf ihr politisches Asyl pochen. Unter diesen Bedingungen gerät der »thematische« Bezug auf Flüchtlinge immer wieder in Gegensatz zur theoretisch daran geknüpften Suche nach einer neuen revolutionären Subjektivität.

Die Unterstützung von Sikhs gegen ihre Abschiebung

Die bisher angesprochenen Probleme und Widersprüche haben sich dann bei weiteren Aktionen verdichtet. Wir wollten direkt gegen Abschiebungen vorgehen, da dies immer noch die massivste und oft brutalste Praxis des Staates ist, sich die Einkommensansprüche vom Hals zu schaffen.

Über die »offiziellen Asylkanäle« - z.B. den Flüchtlingsrat, in dem die professionell mit dem Problem Befaßten sitzen - erfuhren wir von der anstehenden Abschiebung von zwei Sikh-Familien. Wir besuchten sie und stellten fest, daß sie von sich aus zu sehr viel mehr bereit waren, als dem von Sozialarbeitern praktizierten Abwarten und Hoffen auf die guten Kontakte zum Ausländeramt. Sie warteten gewissermaßen nur auf ein Startzeichen von uns - auf diese Weise entstand ziemlich schnell und ohne große Vorüberlegung eine Aktion vor dem Rathaus. Außerdem beschlossen sie, in den Hungerstreik zu treten. Zunächst mal war es eine spannende Dynamik. Erst bei der Aktion wurde uns deutlich, in welchem Maße sie aus ihrem religiös-politischen Zusammenhang mobilisieren konnten. Es kam schnell zu einem ersten Erfolg: die Abschiebung der zwei Familien wurde zurückgestellt und soll erneut geprüft werden. Die Sikhs weiteten daraufhin die Forderung auf andere Sikhs in den Abschiebeknästen aus. Sie setzten ihren Hungerstreik in Düsseldorf vor dem Innenministerium fort, um einen generellen Abschiebestop für Sikhs in NRW zu erreichen. Wir machten dann während des Hungerstreiks noch mehrere gemeinsame Aktionen: Besetzung des SPD-Bezirksbüros in Düsseldorf, Kundgebung vor dem Abschiebeknast in Opladen, Aktion im Leverkusener Ausländeramt, Demo in Düsseldorf, zu der sie über 100 Sikhs mobilisierten - und Verhandlungen mit dem Innenministerium und Regierungspräsidenten. Ein Abschiebestop wurde nicht erreicht, es konnten aber noch mehrere geplante Abschiebungen durch die Aktionen verhindert werden.

Die ganze Kampagne blieb für uns jedoch sehr widersprüchlich. Einerseits waren die Sikhs durchaus bereit, allgemein über die BRD-Flüchtlingspolitik zu diskutieren, mit Flüchtlingen aus anderen Ländern zusammenzuarbeiten und unabhängig von ihrer Ideologie Bündnisse einzugehen. So fuhren sie z.B. mit uns nach Bochum zu einer Demo, um den Hungerstreik von iranischen Flüchtlingen gegen die Lagerunterbringung zu unterstützen, oder sie solidarisierten sich mit einem Hungerstreik, den türkische Genossen aus Solidarität mit hungerstreikenden Gefangenen in türkischen Knästen durchführten. Andererseits standen wir bei den gemeinsamen Aktionen immer wieder ungewollt auch für die religiöse Organisation der Sikhs und ihre Forderung nach dem eigenen Staat Khalistan auf der Straße. Durch die Unterstützung einzelner Flüchtlinge waren wir in die Zusammenarbeit mit einer Organisation reingerutscht, mit der wir nicht zusammenarbeiten wollten. Die Sikh-Bewegung in Indien wird von einer wohlhabenden Bourgeoisie angeführt. Unsere Versuche, genauer mit den Sikhs über ihre Vorstellung von Khalistan, ihre Politik in Indien und im Ausland, über soziale Frage, Klassenkampf und Internationalismus zu diskutieren, brachte kaum eine Klärung oder Annäherung der Standpunkte. Und nachdem die gemeinsame Aktionsphase vorbei war, traten die verschiedenen Interessen wieder deutlicher zutage. Die Funktionäre der Sikhs stellten ihren religiösen Nationalismus wieder über die allgemeine Frage von Flüchtlingspolitik und wählten dementsprechend die »Fälle« aus: nachdem ein genereller Abschiebestop nicht durchsetzbar sei, sollten jetzt vor allem Aktionen gegen die Abschiebung von bestimmten Sikhs, die für die Organisation wichtig sind, gemacht werden.

Durch den konkreten Bezug auf die Sikhs haben wir uns selbst wieder auf die Argumentationen des politischen Asyls eingelassen, ohne die weitergehende Orientierung - Grenzen auf, keine Abschiebungen, freies Aufenthaltsrecht für alle Flüchtlinge - wirksam vermitteln zu können. Die Aktionsformen bekamen zum Teil appellativen Charakter oder führten zu Verhandlungen mit den Gegnern der Flüchtlinge.

Fehler ...

In ähnliche Widersprüche sind auch andere Flüchtlingsinitiativen geraten. Die an die weltweiten Flüchtlingsbewegungen und Einkommensforderungen geknüpften revolutionstheoretischen Hoffnungen wurden in der eigenen Praxis und Erfahrung mit Flüchtlingen hier ständig enttäuscht. Diese Enttäuschungen waren durch eine widersprüchliche Herangehensweise teilweise vorprogrammiert: zum einen suchten wir auf falschen Wegen Kontakte, zum anderen war schon die Sichtweise, mit der wir die Flüchtlingsfrage angingen, verkehrt.

Es klaffte eine enorme Lücke zwischen der globalen Analyse einer neuen internationalen Klassensubjektivität und der Beschreibung der BRD-Realität aus der Optik des Staates: Verwaltung, Behandlung, Unterdrückung, Abschiebung... - die Flüchtlinge kamen hier als handelnde Subjekte gar nicht vor. Die Initiativen machten sich auf die Suche nach dem unterdrückten Flüchtling, nicht nach dem (Klassen-)Kampf um Einkommen - und übersahen so manchen Flüchtling in ihrem Alltag, bei der Arbeit. Sie gingen von einer definierten Gruppe aus und blieben dabei an der staatlichen Definition Asylant kleben. Die »Ausweitung des Flüchtlingsbegriffs« fand nur theoretisch statt.

Um Kontakte zu Flüchtlingen zu bekommen, wurde (trotz aller Abgrenzung) immer wieder auf die karitativen und halb-öffentlichen Institutionen des Asyls zurückgegriffen. Hier gab es Informationen und Anknüpfungspunkte. Bei diesen Institutionen hat aber bereits eine Selektion im Sinne des »politisch aktiven und verfolgten Flüchtlings« stattgefunden. Sie klammern die Einkommensforderung als Triebkraft für die »Flucht« bewußt aus, um die Asylforderung in der Öffentlichkeit besser darstellen zu können (oder Originalton: »die Fälle verkaufen zu können«). Wer sich »auf die Seite der Wirtschaftsflüchtlinge stellen« will, wird sie auf diesem Weg kaum finden. Schwierigkeiten gab es in dieser Hinsicht auch mit linken ausländischen Organisationen: sie lehnen Forderungen, die über das politische Asyl hinausgehen, ebenfalls ab, da die »Wirtschaftsflüchtlinge« nur ihr eigenes gutes Leben im Kopf haben und damit die Bedingungen für die verfolgten GenossInnen hier erschweren. Und für so manche revolutionäre Organisation, mit der man große Debatten führen und über den Klassenkampf in ihrem Land diskutieren kann, ist es überhaupt kein Thema, wie ihre GenossInnen hier ausgebeutet werden und wie sie da kämpfen können. Das Einkommen ist Privatsache und hat mit der Organisation nichts zu tun.

Durch diese Schwierigkeiten in der Praxis gerieten die Initiativen in die Fallstricke eines »positiven Rassismus« und verhedderten sich in Sozialarbeit. Aus mehrfachen Enttäuschungen darüber, die »falschen Flüchtlinge« getroffen zu haben: die tamilischen Lehrer, indischen Kaufleute, afrikanischen Ärzte oder iranischen Monarchisten... zogen einige Initiativen die Konsequenz, auf die praktische Zusammenarbeit mit Flüchtlingen zu verzichten und nur noch autonome Politik zur Flüchtlingsfrage zu machen: Aktionen gegen Verwaltungsinstitutionen, gegen Ausbeutung und Abschiebung von Flüchtlingen.

... und mögliche Konsequenzen

Die Lösung des Widerspruchs zwischen den in aller Regel individualistischen Fluchtbewegungen und der Hoffnung auf Kämpfe in diesem Bereich stellt sich zunächst einmal als Untersuchungsaufgabe: Wie entwickeln sich Kämpfe mit neuer Sprengkraft aus den Bewegungen vieler Einzelner, die in der überwiegenden Mehrheit tatsächlich Einkommensforderungen in einem internationalen Zusammenhang ausdrücken, deren Situation ähnlich ist - aber nicht unbedingt kollektiv.

Historisch gesehen funktioniert Migration in der ersten Phase immer als Zerstörung der alten Klassenzusammensetzung: die Einwanderer in den USA galten lange als angepaßt und unorganisierbar; die Italiener und Türken in den Automobilfabriken der BRD waren bei den alten Arbeiterkadern verhaßt, weil sie die Akkorde hochtrieben und durch ihr Verhalten die Arbeitsintensivierung ermöglichten. Aber langfristig gingen von den proletarischen Wanderungsbewegungen oft sehr explosive Neuzusammensetzungsprozesse aus.

In dieser langfristigen Hoffnung auf einen revolutionären Auftrieb in der Arbeiterklasse liegt für uns die Begründung für eine politische Arbeit mit Flüchtlingen: um die neuen Brüche in der kapitalistischen Verwertung mitzukriegen, sie aus der Subjektivität einer neuen Klassensituation heraus zu kapieren und selbst aktiver Teil darin zu sein. Migration wird darin ein wichtiges Element sein, neben anderen: das massenhafte Auftreten einer neuen weiblichen Arbeitskraft; die neuen Verhaltensweisen der Jugendlichen gegenüber der Arbeit, sei es auf der Straße oder in den technologisch umstrukturierten Fabriken.

Voraussetzung für eine Zusammenarbeit mit Flüchtlingen in diesem Sinn ist allerdings, daß wir uns eigenständige Zugänge schaffen: im Alltag, bei der Arbeit. Wir müssen überhaupt erstmal mitkriegen, wie und wo die hier lebenden Einwanderer ausgebeutet werden, legal oder illegal, wie sie ihre Einkommensforderungen gegen Staat und Kapital durchsetzen oder auch, welche Rolle sie bei Kämpfen wie am 1.Mai in Kreuzberg oder in Rheinhausen spielen. Mit einer solchen Herangehensweise könnte dann auch die Abgrenzung zwischen Flüchtlingen und Arbeitsmigranten durchbrochen werden. Damit wollen wir keineswegs theoretisch die Einheit beschwören und reale Unterschiede zwischen verschiedenen Flüchtlings- und Migrantengruppen leugnen. Es geht darum, die staatlich-juristischen Kategorien durch eine eigene materialistische Herangehensweisen ersetzen.

Ein solches Untersuchungsprojekt kann nicht die Attraktivität kurzfristiger Aktionen und Erfolge anbieten. Und es sprengt sicher den Rahmen einer Teilbereichs-Flüchtlingsinitiative - aber genau das ist notwendig. Ursprünglich sollte die Kampagne der Flüchtlingsinitiativen zur Entwicklung der revolutionären Debatte beitragen (Diskussion über proletarischen Internationalismus, Rolle der Befreiungsbewegungen usw.). Dies ist kaum gelungen. Im Flüchtlingsbegriff, dem Starren auf die Flüchtlinge als besondere Gruppe und Hoffen auf deren Organisierung, war die Sozialarbeit schon angelegt.

Kämpfe entwickeln sich durch die Auflösung und Zersetzung von Spaltungen. »Flüchtlingskämpfe« sind damit immer in Gefahr, sich in der eigenen Abspaltung festzurennen, wenn es nicht zu Verbindungen und einem Zirkulieren der Kämpfe kommt, in denen sich die Flüchtlinge als besonderer (und abgesonderter) Teil der Klasse aufheben. Das kann nicht so verstanden werden, daß sich linke Gruppen als Schiedsrichter über die Kämpfe anderer aufspielen: »wenn Flüchtlinge kämpfen, ist das falsch«. Sondern es kritisiert den eingeschränkten Blickwinkel, mit dem sich die Initiativen bisher bewegt haben und Klassenkämpfe, an denen Flüchtlinge und Migranten - in wichtigem Maße, aber eben nicht in ihrer Besonderheit als Flüchtlinge - beteiligt waren, nicht zu ihrem Thema und praktischen Bezugspunkt gemacht haben.


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