F: Wo im Gesundheitssektor hast du schon überall gearbeitet?
B: Früher hab ich aushilfsweise in Krankenhäusern als Schwesterhelferin gearbeitet, und da war das noch eine ganz andere Situation als später in der Ausbildung - die hab ich in Berlin in einem Krankenhaus gemacht. Nach der Ausbildung war ich dann im Jüdischen Krankenhaus auf der Inneren Station - das war das mieseste, in dem ich bis jetzt war - da hab ich nach einem halben Jahr aufgehört und war dann über einen Sklavenhändler Betriebskrankenschwester in verschiedenen Betrieben insgesamt ein halbes Jahr beschäftigt. Und jetzt bin ich als Krankenschwester in einem Krankenhaus vom Roten Kreuz.
M: Du hast erzählt, Du kriegst Tarif bezahlt? Denn normalerweise war's ja beim Roten Kreuz so, daß Du in so ne Schwestern- oder Bruderschaft eintreten mußtest; und dadurch unterlagst Du nicht mehr dem Arbeitsrecht.
B: Ich bin nicht im Roten Kreuz und es ist inzwischen auch nicht mehr Bedingung, daß Du eintrittst, wenn Du bei denen als Krankenschwester arbeitest. Aber wenn Du eintrittst: die Mitgliedschaft schließt eine Gewerkschaftsmitgliedschaft aus. Deshalb gibt╚s einen Teil von Schwestern, die in der ÖTV gewerkschaftlich organisiert sind und einen Teil, die Mitglieder in dem Schwesternbund sind, das ist aber mittlerweile die Minderheit, das sind meistens ältere, die haben noch ein ganz bestimmtes Berufsbild; der Verein ist ja auch ganz durchmilitarisiert, mit Trachten und Broschen als Abzeichen ...
F: Wenn Du sagst, im "Jüdischen" war es besonders mies, worauf beziehst du das?
B: Mit dem Personalmangel und den ganzen Kürzungen ist es zur Zeit ja überall das gleiche. Dazu kommt, daß Liegezeiten von den Patienten gekürzt worden sind, daß die Durchkapitalisierung total voranschreitet. Die Leute werden immer kränker, müßten länger drin bleiben, kommen aber früher raus, der "Durchlauf" wird immer größer und damit halt auch die Arbeit. Im Jüdischen war die Personalsituation noch viel schlimmer, so was hab ich noch nie erlebt: eine Station mit 48 Leuten und wir waren zum Teil zu zweit im Spätdienst, meistens noch eine Schwester plus eine Schülerin oder PraktikantIn. Außerdem mußten wir nachmittags noch die Küche mitmachen, da hast du echt kein Land mehr gesehen. Und zudem war ich auf ner Station, wo jedeR gegen jedeN war.
M: Ich arbeite auf der Intensivstation. Zu uns kommen die Patienten nach der Operation, dann werden die 12 Stunden lang überwacht, aber das ist alles Routine, am nächsten Tag kommen die schon wieder auf Station. Das ist schon ein richtiges Fließbandsystem. Die Routine wird nur bei Komplikationen durchbrochen, wenn die Patienten z.B. anfangen nachzubluten. Solange alles routinemäßig abläuft, ist es recht easy. Nur so langzeitbeatmete Patienten, die nehmen dich natürlich mehr in Anspruch. Die wollen nicht mehr da drin liegen, sind z.T. vollkommen fertig, wollen auch nicht mehr, verweigern sich der Behandlung. Da wird╚s dann schwierig. Ich hab bisher meist auf Intensiv gearbeitet, hatte aber auch Zeitverträge für Frauenstationen z.B., das war auch recht pflegeintensiv. Dann habe ich oft KAPOVAZ gearbeitet, auf Abruf. Die haben da ein ganzes Kontingent von Leuten, meist Studenten, die sie im Bedarf anrufen. Die müssen aber dann nicht kommen, sind nicht verpflichtet wie sonst bei Kapovaz. Dieser Bereich ist in den letzten Jahren stark ausgebaut worden. D.h. sie haben freigewordene Stellen nicht mehr besetzt, sondern geben den Stationen Extrawachen.
B: Aber wenn z.B. morgens eine Kollegin anruft und sich krankmeldet, dann kannst du am selben Tag niemand mehr kriegen. Die Hauptarbeit fällt ja morgens ab sechs Uhr an: die Leute waschen, anziehen, raussetzen, für die Untersuchung vorbereiten. D.h. die Arbeit wird auf die verbliebenen drei Frauen verlagert, erst am nächsten oder übernächsten Tag kommt dann eine Aushilfe. Mittlerweile organisieren die Stationen den Austausch untereinander. Heute morgen gab es bei uns total Krach, weil sie auf der Station über uns nur zu zweit waren, wir aber keine abgeben wollten, da wir auch nur vier waren.
F: Und die Kapovaz-Leute sind Studenten, die in Stundenlohn bezahlt werden?
M: Die kriegen um die 100 Mark pro Nacht, also für 9 Stunden, das bleibt dann unter der 420-Mark Grenze. Dieser Bereich ist schon seit Mitte der 70er Jahre ausgedehnt worden. Fachkräfte wie examinierte Schwestern oder Medizinstudenten kriegen 16 Mark die Stunde, aber eben alles ohne Sozialversicherung.
F: Waren die Arbeitsverträge auf Deinen Wunsch hin befristet?
M: Ja, ich wollte nicht solange dort arbeiten.
F: Das geschieht nicht von denen aus, daß die z.B. nur noch befristete Verträge abschließen?
M: Doch. Im Urban z.B. stellen sie seit ╚85 grundsätzlich erstmal für ein Jahr befristet ein, dann kannst du übernommen werden.
B: Im Jüdischen hatte ich eine Kollegin, die hat seit eineinhalb Jahren dort gearbeitet und zwar immer nur mit 3-Monatsverträgen, die dann verlängert wurden. Früher gab╚s das gar nicht. Die Probezeit ist ja auch schon lang, sechs Monate, das ist ja das gleiche wie ein Sechsmonatsvertrag.
F: Wieviel verdienst Du jetzt?
B: 2100,- netto, das kommt vor allem von dem hohen Ortszuschlag für Berlin, der Berlinzulage und der Schichtzulage. Mein Grundgehalt wäre 1900 Mark. Für die Arbeit ist das einfach zu wenig, vergleich das doch mal mit nem Facharbeiterlohn. Die permanente Schichterei macht dich fertig, es ist auf jeden Fall zu wenig Geld.
F: Ich hab noch nie soviel verdient. In der Industrie bin ich als Arbeiterin auch mit Schichtzulage nicht über 1400, maximal 1600 gekommen. - Könnt Ihr sonst noch was sagen zur "Dezentralisierung" im Gesundheitswesen? Gibt es mehr und mehr Leute, die über Sklavenhändler in den Krankenhäusern eingesetzt werden?
B: Die eine Gebäudereinigungsfirma, die sind über Sklavenhändler. Es gibt auch Krankenhäuser, wo Pfleger über Sklavenhändler malochen. Hauptsächlich spielen die bisher eine Rolle in Altenheimen und Krankenheimen.
M: Zu der Aufsplitterung im Gesundheitswesen gehört auch noch die Auslagerung und Privatisierung, in kirchliche Heime z.B., wo die Leute schlechter bezahlt sind. Die sind alle nur tarifangeglichen, aber du bekommst z.B. kein Urlaubsgeld, bestimmte Leistungen gibt╚s nicht. Deshalb geschieht ja die Privatisierung.
B: Ein wesentlicher Teil ist auch die Rückverlagerung der Pflege ins Haus, zu Lasten der Frauen. Was früher bezahlte Arbeit war, ist heute schlecht oder gar nicht bezahlt.
F: Wie sieht es eigentlich mit der Rationalisierung des Arbeitsprozesses, Spaltung der ArbeiterInnen, Höherqualifizierung der Krankenschwestern aus? Werden in Zukunft ausländische Frauen im Keller in Fließbandarbeit die Betten putzen, die Tabletts füllen usw., während auf Station der "Beruf" der Krankenschwester aufgewertet wird?
B: Was die in der Ausbildung alle lernen, "Pflegeplanung" und den ganzen Schnickschnack, das hat mit der Praxis nachher gar nix zu tun, weil das einfach gar nicht durchführbar ist von der Personalsituation her. Und das andere ist, daß ein Teil der Umstrukturierung auch für uns mehr Arbeitsbelastung bedeutet; früher gab╚s die festen Putzfrauen auf Station und die Küchenfrauen, die gibt╚s bei uns nicht mehr. Auch wenn was dreckig wird, müssen wir╚s jetzt putzen, weil halt die Gebäudereinigungsfirmen nur zu bestimmten Zeiten kommen. Es sind beide Tendenzen angelegt.
F: Wie weit ist bei Euch die Umstrukturierung vorangeschritten, Computereinsatz, Pflegeplanung ...?
M: Bei uns sind sie seit zwei, drei Jahren dabei, so n Computersystem für die ganze Patientendokumentation zu erarbeiten; auf jeder Station hast du dann n Terminal und gibst alle Patientendaten ein: was dem verordnet wird, was dem gegeben wird usw., um ne Kostentransparenz über jeden einzelnen zu erstellen. Aber außerdem soll das Terminal dann n Pflegeprogramm rausspucken, was Du in jedem Fall zu machen hast. Die ÖTV findet das sehr gut, aus dem Grund, daß da eben viele Leute arbeiten, die nicht Bescheid wissen, Studenten, Aushilfen usw.. Das ist natürlich im Endeffekt die Grundlage, um die ganzen Pflegeberufe zu dequalifizieren, daß sie gar keine ausgebildeten Leute mehr brauchen, denen sie so und so viel zahlen müssen...
B: Bei uns kamen jetzt die ersten Vorschläge, sie wollen eine Stationssekretärin einstellen, die dann die ganze Bürokratie macht, die kriegt dann so n Kleincomputer, und daß wir dann nur noch für die Pflege verantwortlich sind und die ganze Pflegedokumentation soll dann die machen, so ist es geplant und das ist ein absoluter Hammer, denn damit wird uns ja alles aus der Hand genommen! Und die Daten dienen ja dann auch zu unserer Überwachung.
M: Wir haben auch oft darüber geredet bei uns, daß es härter wird. Aber erst mal gehen dann halt auch viele weg, die Fluktuation ist unheimlich hoch. Viele suchen n anderes Krankenhaus, viele Krankenschwestern machen n Studium auf dem Zweiten Bildungsweg.
F: Das hat ja auch zwei Seiten, so ne Fluktuation: Zum einen gehen Leute weg und es kommt kein Kampf zustande, zum anderen kommen die Leute aber auch viel rum und sehen, es ist überall das gleiche, individuelle Flucht bringt nix. Du arbeitest schon seit 14 Jahren in dem Bereich und Du hast total viele Situationen mitgekriegt, könnt Ihr aufgrund Eurer Erfahrungen einschätzen, ob sich da wirklich was entwickelt und verändert in letzter Zeit?
M: Es gibt schon Anzeichen, daß die Leute die Schnauze voll haben, zum Beispiel hab ich mitgekriegt, auf einer Station haben die ganzen Krankenschwestern auf einen Schlag gekündigt, haben krankgemacht und alle auf einen Schlag gekündigt; oder überhaupt, daß das Krankmachen immer mehr zunimmt. Oder dann halt, wenn zufälligerweise die Gewerkschaft so ne Art Warnstreik organisiert, daß dann die Leute keinen Bock haben, wieder zurückzugehen. Winter '85, als die ganzen Pläne rausgekommen sind, was sie vorhaben mit dem Gesundheitswesen, da hat's so Aktionen gegeben, daß die Leute Ketten um die Krankenhäuser rum gemacht haben usw.
F: Dann waren das neulich gar nicht die ersten Warnstreiks im Krankenhaus, hat's das schon früher gegeben?
M: Das sind die ersten Warnstreiks während Tarifverhandlungen, aber im Winter '85 gab's in mehreren Krankenhäusern in Berlin spontane Streiks, Arbeitsniederlegungen, Demos zum Gesundheitssenator usw. Bei uns haben sich die Leute dann gegenseitig auf den Stationen angerufen, das lief also schon über ÖTV-Kontakte, also so Anrufe: wir wollen was machen, wir treffen uns in ner halben Stunde vor dem Haupteingang, dann haben wir die Straße blockiert.
F: Daß die ÖTV jetzt Warnstreiks in den Krankenhäusern macht, würd ich ja so interpretieren, daß die schon merken, daß es rumort, und sie wollen dem zuvorkommen, daß sich da selbstorganisiert was tut....
M: Ja schon, aber mit der Selbstorganisation ist das so ne Sache. Das könnt ich mir nur vorstellen auf Stationen, wo die KollegInnen unheimlich gut miteinander klarkommen, wo die individuelle Flexibilität noch nicht so hoch ist. Da könnt ich mir vorstellen, daß die Leute spontan sagen, wir übernehmen keine Verantwortung mehr. Aber ich hab bisher noch keine Verbindungen von Leuten untereinander außerhalb der Gewerkschaft mitgekriegt, die auf mehrere Stationen verteilt sind und versuchen, was zu erreichen. Bei uns ist auch so, dadurch daß fast die Hälfte der Leute Teilzeit arbeitet und zudem Schichtdienst ist, sehen sich die Leute nicht so oft, es sei denn, sie kriegen außerhalb im Privatbereich Kontakt.
B: Wir haben das jetzt durchgesetzt, daß wir einmal im Monat Besprechungen machen, wo alle kommen, innerhalb der Arbeitszeit. Da wollten erst auch die Ärzte mitmachen, da haben wir aber gesagt, nee. Diese Besprechung gibt╚s jetzt seit zwei Monaten und das läuft unheimlich gut. - Ich glaub, daß es einfach an der Personalknappheit liegt, daß es da rumort. Das ist ja ne Spirale, daß immer mehr Leute weggehen, weil die Bedingungen so beschissen sind und dadurch wird es ja immer schlimmer. Die werden sich da jetzt was einfallen lassen, wie sie Leute halten können in den einzelnen Häusern. Die müssen Kompromisse machen.
M: Ich weiß noch von so Sachen, daß PflegerInnen mehr und mehr auch die Arbeiten verweigern, die Du normalerweise für die Ärzte mitmachst. Also zum Beispiel, daß PflegerInnen sagen, wir nehmen kein Blut mehr ab. So ne Art Bummelstreik, Dienst nach Vorschrift.
B: Das haben wir auch gemacht. Zum Beispiel haben wir abgemacht, wenn wir morgens weniger als fünf Leute auf der Station sind, geht niemand zur Visite mit; das ist ja eh sinnlos, weil die dir sowieso nicht zuhören, das ist manchmal, als wenn du gegen ne Wand redest. Und dann gab╚s halt Krach. Da waren wir morgens zu dritt und haben uns hingesetzt zum Frühstücken und da kam der Stationsarzt "wer geht denn heute mit zur Visite?", und wir: "Niemand". Da war der total baff "Wie bitte?" und wir "Wir sind ja nur zu dritt und wollen jetzt erst mal frühstücken". Und da gab╚s Gefetze, da ist er raus und war stinkig, zehn Minuten später kam er wieder rein, hochrot - aber wir haben uns geweigert. Die Stationsschwester ist sowieso gut drauf, die hat gemeint, das wär ja das allerletzte ...Ich hab das Gefühl, daß es jetzt brodelt und daß die Leute sich jetzt nicht mehr alles gefallen lassen. Konkret weiß ich das aber erst mal nur von meiner Station, von der Station kommst Du kaum weg, wir essen auch auf Station, es läuft eigentlich alles innerhalb ab.
M: Da hab ich auch so Sachen mitgekriegt, wie die Arbeitsmoral total abschlafft. Wenn du krank machst, mußt Du das ja der Stationsschwester sagen, bei uns hat einer angerufen, er fühlt sich schlecht und so, da hat die ihm gesagt, ich weiß nen guten Arzt, da gehst Du hin, der schreibt Dich zwei Wochen krank. Die Stationsschwestern müßten Dich ja eigentlich beaufsichtigen und disziplinieren! Die haben aber einfach keinen Bock mehr, da ne Legitimation für die ganze Scheiße, die abläuft, aufrechtzuerhalten, die Fassade aufrechtzuerhalten, n Pflege-Ethos hochzuhalten, wo sie ja genau wissen, daß das keinen Hintergrund mehr hat - das wird auch ganz offen diskutiert zwischen den Leuten, die unsere Vorarbeiter spielen.
B: Bei uns ist das Treffen gerade dadurch entstanden, daß die Station völlig neu besetzt worden ist, n Haufen Leute neu angefangen haben, da lief am Anfang viel schief. Da haben wir uns erst mal zusammengesetzt, um zu bereden, wie wir das alles regeln können mit der Arbeit, den organisatorischen Ablauf usw.. Und im Verlauf von dem Gespräch kam dann viel hoch von den ganzen Leuten. Und da haben wir beschlossen, daß es total notwendig ist, daß wir uns weiterhin treffen. Und dann haben wir gesagt, wir gehen jetzt erstmal zur Pflegedienstleitung und sagen, wir arbeiten nicht weiter, wenn wir die Stellen nicht kriegen. Da sind dann drei hin und haben gesagt, wir wollen mindestens die zwei Stellen, und da meinte die "Ja.", also da waren wir ja total geplättet. Und das ging dann weiter, daß ich Nachtwache hatte und es war viel Arbeit, da hab ich gesagt, so mach ich nicht weiter, die sollen noch jemand schicken. Und abends saß dann schon n Student da, ich hab gedacht, ich seh nicht recht! Das gab╚s noch nie vorher, daß wir nachts zu zweit waren.
F: Das heißt, wenn Ihr ä bissle was fordert, daß Ihr Euch ganz schnell durchsetzen könnt. Das hört man ja in letzter Zeit aus mehreren Städten.
B: Ich glaub schon, daß das auch mit der angespannten Personalsituation zu tun hat, daß die jetzt versuchen müssen, die Leute zu halten. Ich möcht das nicht so optimistisch darstellen, es ist jetzt echt das erste Mal, daß ich n besseres Gefühl hab zu der Sache da drin. Und das ist auch subjektiv, weil halt das Arbeitsklima bei uns viel besser ist. Ob das so die allgemeine Tendenz ist, da krieg ich halt immer nur das Gefluche mit, daß es auf anderen Stationen zum Teil noch schlimmer ist als bei uns. Und da gibt╚s ja jetzt jeden Morgen Streit, weil die Stationen sich gegenseitig anrufen und Leute ausleihen wollen - und da weigern sich immer alle: "Sie haben uns letzte Woche auch keinen geschickt!"