Kämpfe gegen die Gesundheitsfabrik
Ein Interview über die 70er Jahre
In den letzten beiden Nummern der wildcat haben wir über die jetzige Situation in der »weißen Fabrik« geschrieben, über erste Ansätze von Verweigerung und gemeinsamen Kämpfen. Die neuen Kämpfe, die jetzt gerade im Entstehen sind, haben sicherlich ihre ganz eigenen Wurzeln und Triebkräfte: ein in den letzten Jahren massiv ausgeweiteter Gesundheitssektor, der eine Unmenge lebendiger Arbeit aufsaugt; eine weiter technisierte und rationalisierte Medizin, die die Pflege zum »Fließband« macht, wie selbst die bürgerliche Presse feststellt; eine neue Generation, die jetzt von den Schwestern- Pflegerschulen kommt; ein neues Aufbegehren der Frauen, die nicht mehr die Rolle des Dienens und der unbezahlten Reproduktionsarbeit übernehmen wollen; die zunehmend deutlicher werdende Orientierung des Krankenhauses am Profitprinzip, in dem die alten Ideale der Pflege und Nächstenliebe zum Anachronismus werden.
Aber das Krankenhaus war schon in früheren Phasen ein Ort von Kämpfen. Das folgende Interview mit einer Krankenschwester, die über zwanzig Jahre im Gesundheitssektor gearbeitet hat, erzählt von Kämpfen in den 70er Jahren in Kölner Krankenhäusern.
Du bist 1973 an die Unikliniken in Köln gekommen. Nach der Ausbildung in einem Kinderkrankenhaus hast du in verschiedenen Krankenhäusern in anderen Städten gearbeitet und dort schon einige wichtige Erfahrungen gemacht
Eigentlich wollte ich gar keine Krankenschwester werden, aber das war ne Möglichkeit von zu Hause weg, in eine andere Stadt zu kommen. In den 60er Jahren, als ich meine Ausbildung gemacht habe, herrschten natürlich noch etwas andere Verhältnisse als heute. Für die Schülerinnen war es damals Pflicht, im Wohnheim zu wohnen. Das war so wie Internat. Damals wurden wir ja auch erst ab 21 volljährig. Wir hatten nur zweimal die Woche Ausgang. Und damit wurden wir unter Druck gesetzt. Den Schlüsselschein gab's nur bei gutem Benehmen. Es gab aber schon eine starke Aufsässigkeit auf den Stationen, daß wir uns dagegen gewehrt haben, immer die Station in Ordnung zu halten, den Dreck wegzumachen, den Ärzten gegenüber zu buckeln und so weiter. Und im Wohnheim hatten wir natürlich auch unsere Tricks, uns der Kontrolle zu entziehen, durch die Fenster raus- und reinzugehen.
Lief da auch schon was zusammen, was für Strukturen hattet ihr?
Zum einen war das damals so, daß wir ständig auf Station zusammen waren, und der Wechsel war nicht so schnell wie heute. Ich glaube wir sind immer ein Vierteljahr auf derselben Station geblieben, mit mehreren Schülerinnen aus einem Kurs. Wir haben praktisch zusammen gelebt und zusammen gearbeitet. Auf allen Stationen, außer der Frühgeborenen, haben Schülerinnen alleine Nachtwache gemacht. In dem Haus hat es so eine Oberwache gegeben, die stündlich Rundgänge durchs Haus gemacht hat, die hat nachts auch die ganzen Aufnahmen gemacht. Das hat uns teilweise total gestunken, diese Kontrolle. Einmal haben wir zum Beispiel alle Türen verschlossen, so daß die Oberwache nicht mehr auf Station konnte, weil es da so nen Zeitplan gab, du mußt die Kinder dann und dann füttern, oder sonstwas machen. Wir haben sie dann nur noch auf Station gelassen, wenn wir selbst nicht mehr weiterwußten. Wir haben auch damals gar keine Spritzen gesetzt, das haben wir ganz klar verweigert, aber das war damals auch noch eine andere Situation. Sachen, die wir nicht machen durften, haben wir uns auch nicht aufdrücken lassen. Zu solchen Sachen haben wir die Wache dann auf Station gelassen, aber nicht zur Kontrolle. Das war so, daß immer ein Kurs die Nachtwachen gemacht hat, darüber konnten wir dann solche Sachen besprechen.
Oder auch so Sachen durchgesetzt, z.B. hätten wir mit diesen Häubchen rumlaufen müssen, die haben wir dann immer wieder provozierend nicht aufgesetzt. Wenn die Oberschwester das mitbekommen hat, gab's Entzug vom freien Nachmittag; den haben wir uns dann natürlich trotzdem genommen.
Vor meiner Kölner Zeit hatte ich in einem kleinen kirchlichen Krankenhaus gearbeitet. Da gab es keinen Betriebsrat oder andere Funktionäre. Also auch nicht das Rennen zum Betriebsrat. Es gab gar nicht die Möglichkeit, unsere Interessen an irgendjemanden zu delegieren. Die Leute dort kämpften für ihre Ziele, Bedürfnisse und Rechte viel spontaner, als ich es später erlebt habe, wo dir das immer schon der Betriebsrat oder ein Gewerkschaftsfunktionär aus der Hand nehmen wollte. Da gab's dann ganz selbstverständliche spontane Aktionen, wie zum Beispiel verhaßten Chefärzten und Vorstandsmitgliedern die Autoreifen platt zu machen, oder unnütze hochtechnische medizinische Geräte zu zerstören, Aufzüge, die nur für die Obrigkeiten bestimmt waren, immer wieder »unbefahrbar« zu machen.
An welchen Punkten haben sich damals diese Konflikte entzündet?
Einmal ging's darum, daß ne andere Schichtregelung eingeführt werden sollte, mehr Kontrolle ich hab z.B. auf ner Station gearbeitet, wo wir einen relativ guten Dienst hatten. Wir waren da zu vier Examinierten und eigentlich völlig unkontrolliert, und das war auch auf anderen Stationen so. Wir haben uns das dann so aufgeteilt, daß wir immer nur zu zweit da gewesen sind, eine ist z.B. erst um vier gekommen und das wurde dann auf einmal total kontrolliert, dadurch daß du dich irgendwo anmelden mußtest. Da haben wir uns gegen diese Kontrolle gewehrt. In diesem Haus gab's total viel Belegstationen (Ärzte von draußen), das ist ein Stück anders als auf anderen Stationen, da gibt's oft drei, vier Visiten am Tag, das ist ne unheimliche Maloche. Und da haben wir gesagt, das sehen wir überhaupt nicht ein, die sollen sich absprechen und zusammen Visite machen, aber wir stehen nicht dauernd parat, um irgendwelche Visiten zu machen.
Einmal hat es in dem Wohnheim ne 100prozentige Mieterhöhung gegeben. Da haben wir uns sofort ganz spontan organisiert, direkt zwei Versammlungen gemacht. Da war ganz klar, daß wir das nicht bezahlen und die alte Miete weiter bezahlen, und haben dann sofort ein Flugblatt gemacht, aber so handgeschrieben, zig handgeschriebene, überall aufgehängt und die Aufzüge besprüht. Dann haben wir am anderen Abend noch ne große Veranstaltung in der Cafeteria gemacht, für alle Leute, die da gewohnt haben. Wir haben gleichzeitig die Verwaltungsleute eingeladen und die Mieten sind dann erstmal nicht gestiegen.
Wie war dann die Situation in Köln an der Uniklinik?
Als erstes kam ich an die Hautklinik. Da wollte ich auch hin. Da kannst du dich einfach freier bewegen und mehr selber machen. Die Patienten können in der Regel rumlaufen. Da kam es zu einem ersten Konflikt. Vier Monate, nachdem ich dort angefangen hatte, sollte eine Kinderstation geschlossen werden, um dort eine Privatstation einzurichten. Das war in den letzten Jahren immer wieder vorgekommen. Der Chefarzt nutzte sie zeitweise als Privatstation, um selber mehr Kohle zu machen.
Einige Schwestern haben sich mit den Eltern der Kinder getroffen, um dagegen vorzugehen. Es wurde ein Flugblatt gemacht, in dem rausgestellt wurde, daß diese Schließungen schon öfter erfolgt waren und welche finanziellen Interessen dahinter standen. Zunächst fanden das viele der Schwestern gut. Aber beim Verteilen waren wir schließlich nur zu zweit von der Hautklinik, zusammen mit Leuten von anderen Kliniken. Die Pflegedienstleitung der Hautklinik kündigte uns beiden wegen des Flugblatts. Die anderen Schwestern der Hautklinik distanzierten sich daraufhin von uns, möglicherweise waren sie durch die Kündigungen eingeschüchtert. Aber der Personalrat stand hinter uns. Er riet uns, nicht gegen die Kündigung vorzugehen, sondern direkt in einer andren Uniklinik einen Job zu suchen, was dann auch geklappt hat.
Daß sich die anderen distanziert haben, lag schon an den Einschüchterungen, aber wir sind vielleicht auch falsch rangegangen. Da gab's total viel Wut und Haß auf diesen Typ, den Professor, der immer wieder seine Sachen durchziehen kann. Aber wir haben das ziemlich schnell zu zweit in die Hand genommen, wir haben das Flugi zu zweit gemacht, uns ein paarmal zusammen getroffen, geredet, aber im Grunde hätte es anders laufen müssen. Wir hätten das mehr mit den Leuten, die in der Hautklinik arbeiten, zusammen anpacken müssen.
Aufgrund des Flugblatts wurde die Schließung der Kinderstation um 14 Tage verschoben. Die Kinder sollten nach Geschlechtern getrennt auf Erwachsenenstationen umgelegt werden, was für sie und die Eltern die Situation verschlechtert hätte. Dort gab's damals noch feste Besuchszeiten, es existierte kein Spielzimmer, Wegfall der besonderen Vergünstigungen einer Kinderstation.
Was war euer Interesse am Erhalt der Kinderstation?
Wir wären auf die anderen Stationen verteilt worden. Auf ne Privatstation kommt eine besondere Auswahl von Schwestern. Auf der Kinderstation waren wir mit einer Stationsleiterin, vier Schwestern und Schülerinnen, und zwei Dauernachtwachen. Uns war es auch wichtig, zusammen zu bleiben. Die Schwestern auf den anderen Stationen waren ja auch betroffen. Für sie hätte es zusätzliche Arbeit bedeutet, weil sie ja gar nicht dafür eingerichtet waren, sich auch noch um die Kinder zu kümmern.
Und wie kamen diese Treffen zustande, gab es da schon vorher Zusammenhänge ?
Insgesamt war das Klima an der Uniklinik damals ganz anders. Das hatte ich auch vorher in den Krankenhäusern in anderen Städten so noch nicht erlebt. Daß zum Beispiel alle möglichen politischen Gruppen, von den Jusos bis zum KBW Flugblätter verteilten oder regelmäßige Zeitungen machten. Auch im Rahmen der Gewerkschaft war ziemlich viel los.
An der Hautklinik arbeiteten insgesamt etwa 60 Leute. Wir konnten uns ziemlich frei bewegen, mal auf ne andere Station gehen. Oder wir sagten halt, wir müßten uns was ausleihen. Das haben sie später versucht zu unterbinden, indem die einzelnen Stationen feste Bestände bekommen haben, da ist dann nichts mehr mit Ausleihen. Damals war es oft so, daß wir die Hälfte der Zeit auf der eigenen Station waren und sonst auf anderen Stationen.
Als wir dann diese Treffen zur Schließung der Kinderstation gemacht haben, kamen recht viele, etwa 15 Leute von der Klinik und einige Eltern. Die Beteiligung der Eltern ergab sich auch deshalb, weil die Kinder immer wieder wegen derselben Krankheiten kommen, wir kannten uns also recht gut. Die Treffen fanden im Stationszimmer und in der Kantine statt.
Als die Station dann geschlossen wurde, haben alle Eltern ihre Kinder von der Station genommen. Einige sind gemeinsam mit den Kindern an die Ostsee gefahren, was dann auch geholfen hat. Es gab damals von unserer Seite ein ziemlich kritisches Verhältnis zu den medizinischen Methoden. Dabei ging's uns um ne bessere Pflege, was manchmal im Widerspruch zu unserem Kampf um bessere Arbeitsbedingungen für uns geriet. Zum Beispiel weigerten wir uns, die Kinder mit Cortison einzuschmieren und verwendeten stattdessen natürliche Mittel. Für uns bedeutete das mehr Arbeit, weil die Kinder dreimal am Tag gebadet werden mußten. Eine ähnliche Situation gab's an der Kinderklinik, an der ich später gearbeitet habe. Wir wollten eine andere Regelung für Besuche, also nicht nur mit diesen Einweg-Spiegeln, wo nur die Eltern die Kinder sehen können, damit die ruhig bleiben und nachher kein »Theater« machen. Die Ärzte warfen uns vor, daß wir uns mit anderen Regelungen nur selber mehr Arbeit machen würden.
In der Gruppe, die an der Uniklinik entstand, haben wir uns dann grundsätzlicher mit dem Gesundheitswesen beschäftigt, mit unseren eigenen Widersprüchen, dort zu arbeiten, und Menschen immer wieder für diese Gesellschaft fit zu machen, für ihre Arbeit und die Fabriken. Einige von der Gruppe hatten 1971/72 Kontakte zum SPK (Sozialistisches Patienten Kollektiv) gehabt, das Krankheit und Krankenhaus ja ganz grundsätzlich kritisierten. Wir haben uns dann auch mit Papieren des SPK auseinandergesetzt und eine Veranstaltung dazu gemacht. Im September 1974 haben wir zusammen mit Patienten ein Solidaritätsflugblatt zum Hungerstreik der politischen Gefangenen gemacht, wo wir auch ziemlich ausführlich auf die Zustände in Krankenhäusern und Psychiatrien eingegangen sind. Das war damals was ganz Neues für uns, zusammen so ein Flugi zu machen.
Wie entstand diese Gruppe, was für ein Selbstverständnis hatte sie?
Über etwa vier Jahre hinweg waren wir eine Gruppe von 15 Frauen aus verschiedenen Kölner Krankenhäusern. Wir hatten uns Mitte 1973 zusammengefunden, um den sogenannten »Säuberungsaktionen« an den Kölner Krankenhäusern und in der Gewerkschaft ÖTV entgegenzutreten. Das war ja damals die Zeit des Radikalenerlasses und der Unvereinbarkeitsbeschlüsse bei den Gewerkschaften. Es waren also nicht in erster Linie die Arbeitsbedingungen, über die wir uns zusammenfanden. Etwa zehn Frauen waren im KBW organisiert, aber wir verstanden uns nicht als KBW-Gruppe. Das hatte vielleicht auch was damit zu tun, daß wir nur Frauen waren und alle gearbeitet haben hauptsächlich Krankenschwestern und einige MTAs. In den KBW-Betriebsgruppen waren die Männer und Studenten tonangebend. Es waren auch einige von uns vom Radikalenerlaß betroffen. Als ich nach Köln kam, waren gerade Personalratswahlen. Es kandidierte eine oppositionelle Liste, auf der auch Leute vom KBW waren. Die sind dann aus der Gewerkschaft rausgeflogen und wurden mit fadenscheinigen Begründungen auch von der Klinik gekündigt. Die Kündigungen mußten aber alle zurückgenommen werden.
Unsere erste gemeinsame Aktion war ein Flugblatt zu den Streiks von '71, in dem wir sagten, daß der ganze Terror und die Repression nicht den sogenannten »Radikalen« galt, sondern einzig und allein dazu da ist, uns zu spalten und anstehende Klassenkämpfe zu ersticken. An den Streiks von '71 war uns wichtig, daß sie »wild« waren, daß die ArbeiterInnen sie gegen die Gewerkschaft organisiert hatten.
Warum war euch die Arbeit in der Gewerkschaft damals so wichtig? Heute interessiert das doch die meisten ArbeiterInnen gar nicht mehr
Damals war es für die meisten Leute, auch die von den linken Organisationen, angesagt, in der Gewerkschaft zu arbeiten. Schließlich gingen die Leute zu den Versammlungen. Neben den Betriebsversammlungen machten sie jede Menge außerordentlicher und Gewerkschaftsversammlungen, und es kamen im Schnitt vier- bis sechshundert Leute dahin. Die Linken versuchten das zu benutzen, und es gab diesen wichtigen Konflikt um die Festgeldforderung in der ÖTV, also keine prozentualen Lohnforderungen aufzustellen, sondern einen gleichen Geldbetrag mehr für alle. Die Gewerkschaft hatte damals (Tarifrunde '74) zwei Alternativen zur Wahl gestellt, eine Prozent- und Sockelforderung und eine Festgeldforderung. Die Basis in NRW hat dann für die Festgeldforderung gestimmt, aber das wurde von der Tarifkommission verfälscht. Die ÖTV ist dann mit der Prozentforderung in die Verhandlungen gegangen. Wir haben dann trotz Verbot der Gewerkschaft autonom eine Demo für diese Forderung organisiert.
Wie kam diese Demo zustande, von welchen Strukturen ist die organisiert worden?
Wir waren ja über die ganze Klinik verteilt und haben sogenannte »Sympatisantinnen« gehabt, haben mit den Leuten, die wir täglich trafen, geredet. Wir sind dann von unserer Gruppe, aber auch mit anderen Leuten, ziemlich massiv in den Versammlungen aufgetreten. Das war ne Situation, wo die uns das Mikro abgedreht haben, vorher schon so ne Hetze losließen, »Ja, ja, hier reden nicht nur die Roten«. Aber damit sind sie ziemlich schlecht bei den Leuten angekommen. Damals gab's total viel Unzufriedenheit, da liefen ja die ganzen Umstrukturierungen, die Stationshilfen wurden gestrichen, es gab einen unheimlichen Kampf gegen die unteren Lohngruppen, die es damals im öffentlichen Dienst noch gab.
Also das ist nicht so gelaufen, daß wir das in der Hand hatten, oder uns mit anderen getroffen hätten, um die Demo zu organisieren. Da war ne riesige Gewerkschaftsversammlung an der Uniklinik, die Leute haben alle total hinter der Forderung gestanden. Das ist auch so diskutiert worden, die Schere zwischen den hohen und niedrigen Löhnen kleiner zu machen, die klafft sonst immer weiter auseinander. Und durch die Festgeldforderung gab's auch ein Zusammengehörigkeitsgefühl mit den unteren Lohngruppen. Ne, da waren wir aber nicht so führend, die Stimmung war einfach dafür da. Das war dann der Beschluß der Versammlung, diese Demo zu machen. Wir haben nur so einzelne organisatorische Sachen übernommen.
Während der Demo gab es in verschiedenen öffentlichen Institutionen oder Bereichen einen Solidaritätsstreik. Zur Demo kamen ungefähr tausend Menschen. Als die Presse nach der Demo in Artikeln über die »Radikalen« und »Kommunisten« hetzte, war die Wut unheimlich groß. In derselben Nacht, als die Zeitung rauskam, ist das Büro der Rundschau besetzt worden. Die Presseleute haben uns dann erzählt, sie hätten die Informationen von der Gewerkschaft. Die Gewerkschaft hatte die Demo observiert, auch Fotos gemacht und so, und ihre Hetze dann weiter an die Presse gegeben. Daraufhin ist dann am nächsten Tag das Büro der ÖTV im DGB-Haus für mehrere Stunden besetzt worden.
Also das war auch ne zwiespältige Sache. Einige wollten sich nicht in diese Ecke drücken lassen, die Eskalation enthielt auch ne Form von Distanzierung, nur ja nicht in die Kommunistenecke gedrückt zu werden.
Als ein paar Tage später Kluncker (damaliger ÖTV-Vorsitzender) auf einer Großveranstaltung in Köln sprach, konnte er nur unter Bulleneinsatz reden. Die Veranstaltung mußte abgebrochen werden, weil es zu Schlägereien zwischen Funktionären und ArbeiterInnen kam. Der Saal im Kolping-Haus wurde mit starkem Polizeieinsatz geräumt. In der Nacht klirrten dann die Scheiben am DGB-Haus und es gab Sprüh-Aktionen in allen Stadtteilen. Am darauf folgenden 1. Mai stürmten ArbeiterInnen aus dem Gesundheitsbereich das Podium bei der Abschlußkundgebung. Dabei ging es vor allem darum, daß die ÖTV zwei gewählte Vertrauensleute nicht anerkennen wollte.
Ein anderer Konflikt mit der Gewerkschaft lief dann auf einer Versammlung, wo die Wahl der Vertreter zur Kreisdelegiertenkonferenz anstand. Es wurde gefordert, erst die Anträge zu dieser Konferenz politisch zu diskutieren und dann zu wählen. Als diese Forderung von den Funktionären abgelehnt wurde, verließen etwa 80 Prozent der Anwesenden die Versammlung. Danach setzen sich ne ganze Menge Leute noch zusammen und auf diesem Treffen entstand die Idee, eine öffentliche Versammlung zu Miet-Terror und Spekulantentum zu machen. Damals war gerade der Mietenspiegel in Köln angehoben worden und davon waren wir ja alle betroffen. Das war auch ne Kritik an diesem Gesundheitswesen. Schließlich sahen wir ja, daß viele Leute ins Krankenhaus kommen, weil sie keine vernünftigen Wohnung haben oder sich allein für die hohen Mieten kaputt malochen müssen.
Wie habt ihr damals eure eigenen Strukturen weiterentwickelt? Um welche Auseinandersetzungen ging es im Klinikalltag?
Unsere Gruppe traf sich einmal die Woche und machte auch sonst viel zusammen. Wir trafen uns in den Pausen auf der Wiese oder in der Cafeteria. Außerdem gab es einen Stammtisch mit Leuten aus verschiedenen Krankenhäusern, zu dem so etwa fünfzig, sechzig Leute hinkamen, manchmal auch mehr. Wir nannten ihn »ÖTV-Stammtisch« und mobilisierten zu ihm auf den Gewerkschaftsversammlungen, woraufhin die Gewerkschaft ihn »verboten« hat, das heißt, wir durften ihn nicht mehr so nennen.
Über den Stammtisch sind dann Sachen breiter gelaufen. Das war uns von Anfang an immer wichtig gewesen, daß irgendwelche Aktionen nicht nur an einzelnen Stationen oder Kliniken laufen. Das lief nicht nur über Flugblätter, sondern auch einfach über Mundpropaganda.
Kurze Zeit nach dieser 1.-Mai-Demo wurde die Cafeteria der Unikliniken für fünf Tage besetzt. Die Cafeteria sollte privatisiert und die Essenspreise erhöht werden. Zu der Besetzung kamen ArbeiterInnen aus anderen Kölner Krankenhäusern, und schließlich mußten sie die Preiserhöhungen erstmal zurücknehmen. Acht Monate später ist es dann doch durchgesetzt werden.
Du hast vorhin die Abschaffung der Stationshilfen erwähnt
Damals gab es auf jeder Station zwei Stationshilfen. Die haben das Essen gemacht, geputzt, aber auch andere Arbeiten gemacht, Patienten zum OP gefahren und so. Das war damals nicht so getrennt zwischen uns und den Stationshilfen. Die wurden dann abgeschafft. Die haben sich zusammengesetzt und ein Flugblatt gemacht, aber ohne Erfolg. Viele dieser Arbeiten sind ja zentralisiert oder an Fremdfirmen vergeben worden. Zum Teil kamen dann dieselben Frauen über Putzfirmen wieder auf die Station. Für die Festangestellten waren die Niedriglohngruppen zwar abgeschafft worden, aber für die Frauen, die dann für noch weniger Geld bei den Putzfirmen arbeiteten, galten sie ja praktisch weiter. Und mit denen hatten wir viel weniger zu tun, die wurden ja nur zum Putzen auf die Stationen geschickt und waren dann wieder weg.
Wie wirkte sich die Zentralisierung von Küchenarbeiten oder die Einführung der Bettenzentrale auf euch aus?
Durch die Umstrukturierung Anfang der 70er Jahre kamen die Betten zum Waschen von der Station runter. Versorgungszentralen wie Küche, Verband, Sterilisation wurden eingeführt. Das lief alles zuerst im Bettenhaus der Uniklinik. Außerdem gab es da Rufanlagen in die Zimmer rein, alles wurde durchorganisiert, zum Beispiel eine strikte Medikamentenverordnung, morgens wurden die Medikamente für den ganzen Tag zusammengestellt.
Na ja, einmal konnten wir dadurch nicht mehr soviel Zocken. Früher hatten wir Putzmittel, Verbandszeug und so von Station mitgenommen. Im Bettenhaus ging das nicht mehr, da wurde genau errechnet, was jede Station brauchte. Oder früher haben wir auf Station gegessen, was auch nicht mehr geht, wenn es fertig abgepackt angeliefert wird. Durch all das hast du früher ne ganze Menge Geld sparen können.
Manche Sachen sind aber erstmal verlockend, weil es so aussieht, als ob du weniger arbeiten müßtest, zum Beispiel keine Küchenarbeit mehr. Das stimmte natürlich nicht. Einmal kam mehr Verwaltungskram, weil jetzt alles durchorganisiert wurde. Und die neuen Stationen sind dann natürlich auch pflegeplanmäßig anders bestückt worden. Durch das Streichen der Stationshilfen hatten die Krankenschwestern viel mehr Arbeit, Essentabletts wieder abräumen, Nachttische abwischen, das mußten wir dann wieder allein machen.
Welche Bedeutung hatte das Bettenhaus damals?
Das war ein Modellprojekt, es war 1974 in Betrieb genommen worden und nach den dort gemachten Erfahrungen ist später das Aachener Klinikum gebaut worden. Um das gab es ne ganze Menge Konflikte. Es war von einer amerikanischen Beratungsfirma konzipiert worden. Die Handwerker haben da gestreikt. Sie weigerten sich zu arbeiten, weil alle Bezeichnungen auf Englisch waren und am Anfang nichts funktionierte. Es gab auch Kontakte von den Krankenschwestern zu den Handwerkern. Das Fundament war ständig besprüht. Es wurden kleine Sabotageaktionen gemacht. Zum Beispiel wurden Flaschen in die Rohrpost geworfen, die damit unbrauchbar war. Für die Handwerker war das ne neue Form von Kontrolle. Früher sprachen sie sich mit den Stationen ab, wenn was zu machen war. Jetzt bekamen sie ihre Aufträge per Rohrpost. In der Presse wurde später vom »amerikanischen Effekt« geredet: die absolut zentralistische Durchorganisierung funktionierte nicht, führte ständig zu Reibereien. Im Bettenhaus versuchten sie ja auch, REFA-Methoden auszuprobieren, was aber vollständig scheiterte.
REFA-Methoden, Zeitstopper im Krankenhaus?
Da kamen die Stopper auf die Stationen und wollten jeden Schritt von uns stoppen, wie lange wir z.B. mit dem Medikamententablett zum Krankenzimmer brauchen, wie lange wir brauchen, ein Kind zu wickeln, und wie lange es dauert, wenn wir andere Handgriffe machen, oder wie schnell wir ein Bett auf diese oder jene Weise machen können.
Das ist von Anfang an von fast allen Stationen boykottiert worden. Das war allen völlig klar, dafür war überhaupt keine Organisierung nötig, das ist direkt verweigert worden. Flugblätter, Mundpropaganda oder Vorbereitungen darauf waren gar nicht nötig. Auch die Stationsschwestern haben das sofort verweigert das Projekt ist einfach gestorben.
Was für Aktionen sind von eurer Gruppe und dem Stammtisch entwickelt worden?
Besonders wichtig und auch erfolgreich war der Kampf gegen den Einstellungsstopp und für die Bezahlung der Übergabezeiten.
Im Zusammenhang mit den ganzen Umstrukturierungen und der wirtschaftlichen Krise wurde in NRW per Ministererlaß ein totaler Einstellungsstopp verfügt. Auch freiwerdende Stellen wurden nicht wieder besetzt. Dagegen haben wir einen Boykott der Verwaltungsarbeiten organisiert. Das lief über den Stammtisch und wir haben Flugblätter dazu verteilt. An fünf Kölner Krankenhäusern ist das dann gemeinsam gemacht worden, natürlich nicht auf allen Stationen. Der Druck bestand darin, daß wir den Papierkram nicht mehr gemacht haben, der notwendig ist, damit die Knete fließt. Zum Beispiel haben wir die Belegzettel, auf denen täglich die Belegzahl der Station aufgeschrieben wird, nicht mehr ausgefüllt. Oder Zettel für irgendwelche Untersuchungen, die eigentlich der Arzt ausfüllt, die aber von den Schwestern vorbereitet werden.
Wegen des Stellenstopps haben die Zivildienstleistenden und die Auszubildenden autonom eine Demo und ziemlich viel Öffentlichkeitsarbeit gemacht. Dabei ging es darum, daß sie als 1/3 Stelle auf den Stellenplan angerechnet wurden. Dadurch konnten sie ja Personal einsparen. Bei diesen Sachen haben wir die ZDLer unterstützt. Den Verwaltungsboykott haben wir solange gemacht, bis der Ministererlaß wieder weg war.
Bei den Übergabezeiten habt ihr durchgesetzt, daß die bezahlt wurden. Wie lief das? Die werden in vielen Krankenhäusern ja heute noch nicht bezahlt.
Es ging den Krankenschwestern insgesamt um einen festen monatlichen Dienstplan, der aber nicht durchgesetzt werden konnte. In der Forderung war auch die Bezahlung der Übergabezeiten und die volle Bezahlung der Nachtstunden enthalten. Um das durchzusetzen, verließen die Krankenschwestern auf vielen Stationen in verschiedenen Kölner Krankenhäusern zum Schichtwechsel die Station, ohne die Übergabe an die darauffolgende Schicht zu machen. Es wurde uns massiv mit Kündigungen gedroht, wegen »fahrlässigem Verhalten«. Um dem zu begegnen, haben wir dann die Dokumentation gründlicher gemacht, die Kurven gründlicher geführt, und diese Übergabebücher. Nach einer Zeit ist dann die Übergabezeit bezahlt worden, jeweils ne halbe Stunde zu Dienstanfang und -ende, an der Uni-Klinik und auch an anderen Krankenhäusern, aber nur an städtischen. Die Pausen in der Nachtarbeit wurden dann auch bezahlt. Den Kampf um die Übergabezeiten hatten wir über den Stammtisch verbreitert.
Das waren doch alles Sachen, die ihr ohne die Gewerkschaft organisiert und durchgeführt habt
Von heute aus denke ich, daß wir uns damals viel zu sehr in diesem tagtäglichen Kleinkrieg mit der Gewerkschaft verzettelt haben. Ganz lange ging es nur darum, der Gewerkschaft ihre heuchlerische Fratze runterzureißen. Das war einfach ein Fehler. Es wär' besser gewesen, wir hätten einfach unabhängig von der Gewerkschaft unsere eigenen Sachen gemacht, wie es ja an diesen Punkten lief. Wir haben die Sachen auf unseren einzelnen Stationen thematisiert, oder über diesen Stammtisch.
Ihr habt ein Flugblatt zu den »wilden« Streiks 1971 gemacht, seid öfters nach Pierburg in Neuß gefahren, als '73 dort der selbstorganisierte Streik lief. Waren das nicht Punkte, um das Verhältnis zur Gewerkschaft grundsätzlich zu thematisieren?
Wir haben eigentlich immer über unser Verhältnis zur Gewerkschaft geredet. Aber wir haben's nicht auf die Reihe gekriegt, davon wegzukommen und mal zu sagen, wer wir eigentlich sind. Natürlich wollten wir den gewerkschaftlichen Apparat kippen, aber eben immer noch Gewerkschaft. Von richtig autonomer Organisierung haben wir nie geredet. Trotz aller Kämpfe gegen die Gewerkschaft haben wir uns immer als Gruppe in der Gewerkschaft gesehen. Wir haben unsere Flugis meistens mit ÖTV-Betriebsgruppe unterschrieben und dann Ärger mit der Gewerkschaft bekommen. Trotzdem haben wir darauf bestanden und uns darum gestritten.
Nach der Sache mit der Demo und einer Auseinandersetzung um die Kreisdelegiertenkonferenz war ganz vielen klar: wenn wir der Gewerkschaftspolitik nichts entgegensetzen können, dann machen sie uns ein. Und klar war auch, daß wir es alleine nicht schaffen. In dieser Zeit gab es ziemlich viele Kontakte zu anderen Betrieben aus dem Metall- und Chemiebereich. Aber daraus hat sich nicht schnell genug was entwickelt und uns fehlte der lange Atem.
Das waren so 1 1/2 Jahre, wo die Gewerkschaft, vor allem an den Uni-Kliniken, nichts mehr im Griff hatte. 1975 konnte dann plötzlich die Spaltung und Hetze der Gewerkschaft wieder greifen. Die Zeitungen brachten es jeden Tag: Rote Zellen an den Kölner Krankenhäusern ausgehoben. Der Kölner Arzt Karl-Heinz Roth, der am Vincenz-Hospital arbeitete, wo auch ne Menge lief, war bei einer Razzia auf einem Parkplatz angeschossen und sein Genosse von den Bullen erschossen worden. Zu der ersten Spontandemo dazu kamen nur etwa 40 Leute. Viele ArbeiterInnen zogen sich total zurück und wir uns auch in unserer Gruppe.
Sind die Kämpfe und eure Strukturen nur durch diese Repression zerfallen
es war nicht nur die Repression, sondern auch ein inneres Abbröckeln. Wir hatten zwar in der Gruppe immer darüber diskutiert, wie wir hier radikal was verändern können, aber da war auf einmal der Glaube weg, daß das geht. Wir haben noch einige Anläufe unternommen, zum Beispiel eine Fragebogenaktion zur Situation an den Kölner Krankenhäusern. Und es liefen auch später noch Aktionen, vor allem gegen die Schließung von Krankenhäusern, in Kalk und Mülheim. Damals sind in ganz kurzer Zeit sieben Krankenhäuser in Köln dicht gemacht worden. Aber unsere Gruppe hat sich Ende '77 bis Mitte '78 so nach und nach aufgelöst. Wir konnten den Kampf nicht weiterentwickeln. Stattdessen wurden Hoffnungen auf Alternativen gesetzt, oder die Leute konzentrierten sich erstmal auf ihr Privatleben. Ich selbst bin dann 1980 von der Großklinik weg in eine neue, alternative Psychiatrie gegangen. Ich hab da viele wieder getroffen, die ich aus den Kämpfen in den 70er Jahren kannte. Für mich war das ne ziemlich wichtige Erfahrung, zu sehen wie diese Alternativen für diese Gesellschaft funktionieren und wie die früheren Kämpfer da auf einmal mitspielen. Darüber hab ich die Arbeit im Gesundheitssektor nochmal ganz anders in Frage gestellt aber das wäre ne eigene Geschichte