Wildcat Nr. 54 - März/April 1991 - Beilage [w54assas.htm]


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Wenn Kreuzfahrer und Assassinen sich zusammentun,
muß das Volk sich in acht nehmen

Wenn die Elefanten kämpfen,
wird das Gras zertrampelt,
wenn die Elefanten sich lieben,
wird das Gras auch zertrampelt.

 
Afrikanisches Sprichwort
mit einer Pointe aus Trinidad

Das Midnight Notes-Kollektiv ist Teil der Bewegung gegen den amerikanischen Truppenaufmarsch in der Golfregion. Aber wir meinen, daß viele AktivistInnen die gegenwärtige Strategie der US-Regierung falsch interpretieren. Daher fürchten wir, daß viele sich darauf vorbereiten, den letzten großen Krieg, nämlich Vietnam, noch einmal auszufechten. Wir stellen das aufgewärmte Vietnamkriegs-Szenario, von dem viele in unserer Bewegung auszugehen scheinen, in folgenden Punkte infrage:

1. daß der US-Truppenaufmarsch hauptsächlich gegen Saddam Husseins Ba'ath-Regime gerichtet ist;

2. daß sich das US-Militär auf einen großangelegten konventionellen Krieg zwischen US- und irakischen Truppen vorbereitet.

Wir halten diese Annahmen und das Szenario, das sie nahelegen, für falsch. Wir glauben nicht, daß die Regierungen der USA und des Irak die Todfeinde sind, als die ihre Propagandaministerien sie darstellen. Im Gegenteil sollten die amerikanische und die irakische Invasion vom August 1990 ein gemeinsames Ziel der herrschenden Gruppen in Saddams Irak, Bushs USA, Gorbatschows UdSSR und Fahds Saudi-Arabien erreichen: Sie sollten den Erdöl- (und somit den Energie-)Preis erhöhen und das ölproduzierende Proletariat auf dem ganzen Planeten militärisch einschüchtern.

Folglich können wir am besten etwas gegen die gegenwärtige Golfpolitik der USA tun, wenn wir für niedrigere Benzin-, Heizöl- und Strompreise kämpfen und fordern, daß die US-Truppen vom Golf abgezogen und demobilisiert werden.

 

I

Nichts ist wahr ... alles ist erlaubt.
 
Hasan ibn Sabbâh; "der Alte vom Berge",
Begründer der Assassinen

Daß sich an der saudisch-kuwaitischen Grenze zwei Armeen in einer dramatischen Konfrontation gegenüberstehen, scheint auf unversöhnliche Gegensätze zwischen den Regierungen der USA und des Irak hinzudeuten. Aber der Schein kann trügen. Während der Kreuzzüge, als die Christen einen heiligen Krieg begannen, um den Moslems Jerusalem (und jede Menge Beute) abzunehmen, verbündeten sich Christenführer mit der ketzerischen islamischen Sekte der Assassinen, um in blutigen Machtspielen ihre eigenen Glaubensbrüder loszuwerden. Wer den Assassinen beitreten wollte, mußte bereit sein, jeden zu ermorden, den die Sektenführer aussuchten (in vielen Sprachen, z.B. Englisch, bedeutet der Sektenname assassins Mörder). Richard Löwenherz z.B. rief die Assassinen, um Conrad, Herrscher von Tyros und Marquis von Montferrat, zu erstechen, und fälschte dann einen Brief von Hasan ibn Sabbâh, der seine Unschuld beweisen sollte.

Wenn Kreuzfahrer und Assassinen sich in der Vergangenheit stillschweigend einigten, warum sollten dann heute die Führer der USA und des Irak nicht dasselbe tun können? Vergegenwärtigen wir uns die Vorgeschichte: Zwei Wochen vor der irakischen Invasion signalisierte der Außenminister von Saudi-Arabien, dem Hauptverbündeten der USA in der Region, Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate könnten keinen militärischen Schutz von der saudischen Regierung erwarten, da sie die OPEC-Förderquoten verletzten und den Ölpreis drückten. Am Freitag vor der Invasion Kuwaits wehrte sich die Bush-Regierung gegen die Absichten von US-Kongreß und -Senat, Wirtschaftssanktionen gegen den Irak zu beschließen. Des weiteren ist mittlerweile allgemein bekannt, daß sich die US-Botschafterin im Irak, April Glaspie, am 25. Juli mit Saddam Hussein getroffen und dabei folgendes gesagt hat: «Der Präsident persönlich will die Beziehungen mit dem Irak ausweiten und vertiefen ... Zu innerarabischen Differenzen, wie Ihren Grenzproblemen mit Kuwait, haben wir nicht viel zu sagen.» Warum Ende Juli solch Einigkeit und Anfang August scheinbar solche Uneinigkeit?

Wir behaupten, daß die Invasionen vom August ein gemeinsames Ziel der herrschenden Gruppen in Saddams Irak, Bushs USA, Gorbatschows UdSSR und Fahds Saudi-Arabien erreichen sollten: Sie sollten den Erdöl- (und somit den Energie-)Preis erhöhen und das ölproduzierende Proletariat auf der ganzen Erde militärisch einschüchtern, wobei letzteres eine notwendige Vorbedingung für ersteres ist.

Die Einigkeit der iranischen, irakischen und saudischen Regierungen hinsichtlich der Preiserhöhungen war im Sommer 1990 allgemein bekannt. Zum ersten Mal seit einem Jahrzehnt waren sich die drei größten OPEC-Produzenten über den Preis einig. Die Gründe für diese neue Preisstrategie wurden in einem Bericht dargelegt, den Saddam Husseins Regierung Ende 1989 beim Washington Center of Strategic and International Studies bestellt hatte. Dieser Bericht wurde geheim gehalten, aber Henry Schuler, der Direktor der Institutsabteilung für Energiesicherheit, gab am 1. März 1990 dem Arab Oil and Gas Journal ein Interview, das anscheinend darauf beruhte. Darin äußerte Schuler Sorgen über die innere Stabilität der meisten Regierungen am Golf, einschließlich Saddams Ba'ath-Regime, und zeigte einen Ausweg auf: Er sagte, die arabischen Ölproduzenten könnten 24 oder 25 $ pro Barrel bekommen, ohne daß die Verbraucher sich nach anderen Energiequellen umsehen würden. «Warum soll man das Geld auf dem Tisch liegen lassen?» fragte Schuler und fügte hinzu, die arabischen Nationen würden sich in der Tat ernsthafter Kritik seitens ihrer Bevölkerung aussetzen, wenn sie nicht in ihrem eigenen Interesse die Ölpreise hochdrückten. Diese Strategie ließe sich allerdings nicht durch simple Marktmanipulationen umsetzen, sondern erfordere Veränderungen hinsichtlich der Frage, wer die Ölpreise festsetzt. Saddam Husseins Regierung hat sich seitdem weitgehend an diese politischen Rezepte aus Washington gehalten.

Die beiden größten Nicht-OPEC-Ölproduzenten, die USA und die UdSSR, strebten ebenfalls höhere Erdölpreise an. Für die Sowjetunion war das sowohl eine Notwendigkeit als auch eine Gelegenheit: Sobald ihre osteuropäischen "Verbündeten" erst einmal in die Fänge des IWF und der Freiheit entlaufen waren, konnte sie ihr Öl auf dem Weltmarkt verkaufen und die für das Überleben der Perestroika nötigen Devisen bekommen. Zudem machte der sowjetischen Erdölindustrie der Niedergang der Produktion zu schaffen. Die benötigten Neuinvestitionen konnten nur von ausländischen Kapitalisten kommen, denen ein höherer Ölpreis sicher war. Gleichzeitig plante die US-Regierung eine Rezession zur Senkung der Löhne. Ließ sich die Sache besser in Gang bringen als durch einen neuen Öl-"Schock" - verursacht von einem "verrückten" arabischen Führer? Überdies war ein Anfangsschock nötig, der gleichzeitig wieder Kapital in die Energieindustrien und den Südwesten der USA - die Ursachen der Sparkassen-Zusammenbrüche - pumpte und die Militärausgaben aufrechterhielt.

Der Ölpreis-"Schock" ist mit der Blockade des Irak und der langsamen Steigerung der Lieferungen durch die ölproduzierenden Länder recht geschickt fabriziert worden. Aber die Ölpreis-Schocks der Vergangenheit waren anders als der August 1990. Damals gab es keine Invasion der Ölproduktionsstätten. Der Schock von 1973 nahm den Sechstagekrieg zum Anlaß, der Schock von 1979 benutzte die iranische Revolution. Diesmal sind irakische, US-amerikanische, französische, britische, syrische, ägyptische (und sogar osteuropäische!) Truppen und Schiffe an den Bohr- und Verladeorten, inspizieren Tanker und verhören Ölarbeiter. Was soll die ganze Feuerkraft, wo doch in der Vergangenheit ein bißchen Medienmanipulation denselben Zweck erreichte?

Die Militarisierung der Ölproduktion ist notwendig, um den Ölpreis aufrechtzuerhalten und zu kontrollieren, denn die Forderungen des ölproduzierenden Proletariats müssen eingedämmt werden, wie die Revolutionen und Sozialpartnerschaften der 70er und Anfang der 80er Jahre zeigen. Diese Jahrzehnte haben gezeigt, daß das durch höhere Ölpreise erzeugte überschüssige Geld von den ölexportierenden Ländern im kapitalistischen Sinn nicht so profitabel wie möglich verwandt wurde. Statt die Ölprofite in die Energie- und High-Tech-Sektoren des Weltkapitals zu investieren, floß dieser Überschuß zu oft in die Erhöhung des Lebensstandards des ölproduzierenden Proletariats. Zu diesem Proletariat gehören nicht nur die Arbeiter auf den Ölfeldern, sondern auch die Gesamtheit der ArbeiterInnen, die zur Produktion dieser Arbeiter nötig sind. Daher sind ägyptische Bauarbeiter, palästinensische LKW-Fahrer, philippinische Krankenschwestern und Prostituierte aus Sri Lanka Teil des ölproduzierenden Proletariats in der Golfregion.

Diese ausländischen ArbeiterInnen waren besonders wichtig im Kuwait vor der Invasion, wo 80 Prozent der Arbeitskräfte im Land ausländische ArbeiterInnen waren (darunter ungefähr 400.000 PalästinenserInnen). Ebenso spielten sie eine zentrale Rolle im Irak, wo 1,5 Millionen ÄgypterInnen, 300.000 SudanesInnen und 200.000 andere ausländische ArbeiterInnen etwa ein Viertel der Arbeitskräfte ausmachten. Mindestens 60 Prozent der saudi-arabischen Arbeitskräfte sind AusländerInnen (darunter mehr als eine Million JemenitInnen und 300.000 PalästinenserInnen). Ebenso sind 90 Prozent der Arbeitskräfte in den Vereinigten Arabischen Emiraten ausländische Arbeitskräfte, hauptsächlich aus Indien, Pakistan und dem Iran. Ganz allgemein ist das ölproduzierende Proletariat international zusammengesetzt - es kommt in der Regel aus den ärmsten Teilen Asiens, Afrikas, Lateinamerikas und des Nahen Ostens.

Aber es kontrolliert eine entscheidende Nahtstelle im kapitalistischen Produktionszyklus. Erdöl ist nämlich immer noch die grundlegendste aller Waren (d.h. es geht direkt oder indirekt in die Produktion fast aller Waren ein, einschließlich Essen, Wohnen und Kleidung), und hochtechnisch, wie sie ist, ist die Ölproduktion äußerst verwundbar durch aufsässige ArbeiterInnen.

Die iranische Revolution von 1979, in der die Erdöl-Arbeiter die Ölquellen besetzten und das städtische Proletariat das Schah-Regime vernichtete, machte klar, welche Gefahr das ölproduzierende Proletariat für das weltweite Kapital birgt. Aber im Iran zeigte sich die Macht der ÖlarbeiterInnen in den 70ern und Anfang der 80er nur am spektakulärsten. Von Mexiko über Nigeria bis Indonesien riefen die Ölpreis-"Schocks" Erwartungen hervor, die selbst von den repressivsten Regierungen nicht kontrolliert werden konnten, wie der Sturz des Schah zeigte. Diese Ansprüche mußten erstickt werden. Daher der Zusammenbruch der Preise ab 1982 und Mexikos Zahlungsverzug bei Öl-garantierten Krediten, was die Schuldenkrise einleitete. Mit der sogenannten "Ölschwemme" haben fast alle ölproduzierenden Länder IWF-Sparprogramme akzeptiert, die die Löhne und Ansprüche des ölproduzierenden Proletariats radikal beschnitten. Zum Beispiel senken die vom IWF auferlegten Abwertungen der Währungen ölproduzierender Länder direkt die Löhne der ausländischen ArbeiterInnen, die das verdiente Geld (auf der Bank oder schwarz) tauschen müssen, um es nach Hause zu überweisen.

Seit Mitte der 80er Jahre steigt die soziale Spannung in diesem Proletariat; denn es weiß, daß es die grundlegendste aller Waren produziert, aber der kapitalistische Markt sagt ihm, sein Produkt sei praktisch wertlos (z.B. wurden im Frühjahr 1986 pro Barrel [ca. 160 Liter] Öl weniger als 10 $ bezahlt). Seit 1988 ist diese Spannung auf der ganzen Welt in Riots und Aufständen gegen die Sparprogramme und -regimes explodiert, z.B.:

1988: Algerien: Riots gegen Sparprogramme; Palästina: die Intifada; Nigeria: Riots gegen IWF-Sparprogramme.

1989: Jordanien: Riots gegen IWF-Sparprogramme.

1990: Nigeria: versuchter Militärputschversuch gegen IWF-Programme; Jordanien: Riots gegen Sparprogramme; Venezuela: Riots gegen IWF-Sparprogramme und Putschgerüchte.

Am Islam orientierte soziale Bewegungen sind in diesen Jahren ebenfalls in Ägypten, Algerien, Libanon, Palästina, Saudi-Arabien, Kuwait und den Emiraten als Bewegung eindrucksvoll angewachsen. Sie werden immer wieder als "fundamentalistisch" bezeichnet, aber sie stellen weder einen "Rückfall ins Mittelalter" dar, noch sind sie nur eine Art postmodernen Patriarchats, sondern ebenso oft eine Form von Internationalismus, der gegen die ungleiche Verteilung des Ölreichtums, d.h. gegen die Kapitalisierung des "Geschenks von Allah an alle", protestiert und eine ideologische Grundlage für die Verweigerung von IWF-Sparprogrammen bietet (da Wucher im Islam immer noch eine Sünde ist, wie er es im Christentum war).

Höhepunkt und Synthese dieser Reaktionen des ölproduzierenden Proletariats gegen den IWF war der Aufstand in Trinidad am 27. Juli 1990, eine Woche vor der irakischen Invasion Kuwaits. Er kam am Ende einer Zeit politischer Instabilität, nachdem die Regierung von Trinidad den wirtschaftspolitischen Empfehlungen des IWF nachgekommen war. Wie üblich verursachte diese Politik massive Arbeitslosigkeit und Lohnkürzungen. Daraufhin wurde am 6. März 1989 als "Tag des Widerstands" ein Generalstreik durchgeführt, um gegen die Preissteigerungen und den Abbau von Sozialeinrichtungen zu protestieren; im September 1989 streikten die Arbeiter auf den Ölfeldern zum ersten Mal seit dreißig Jahren; zwischen Mai und Juli 1990 gab es immer wieder Streiks von ArbeiterInnen im Gesundheitswesen. Mitten in dieser sehr angespannten Lage schlug die Jammat Al Muslimeen zu, eine islamische Sekte von Afro-Karibiern. Sie fesselten den Präsidenten von Trinidad und Tobago, Robinson, und sein Kabinett an Bomben, während das städtische Proletariat Essen, Kleidung und Geräte aus den Läden der Innenstadt enteignete. Da eine US-Intervention erwartet wurde, konnte der Aufstand am 1. August niedergeschlagen werden. In den Nachwehen militarisierte die Regierung ihre Herrschaft über die Inseln. Aber sowohl die Direktheit des Angriffs als auch das überraschende Auftauchen von islamischen Revolutionären auf einer karibischen Insel machte klar, daß das ölproduzierende Proletariat weltweit vor dem Durchbruch steht.

Die irakische und die US-Invasion vom August 1990 waren eine Antwort auf die Klasseninhalte des Aufstands von Trinidad. Die Gewehre auf beiden Seiten der kuwaitischen Grenze zielen nämlich auf die ölproduzierenden ProletarierInnen und ihre Freunde, denen gesagt wird, daß jeder Versuch, den Ölpreis-"Schock" zur Steigerung ihrer Löhne, ihres Lebensstandards oder ihrer politischen Macht zu benutzen, unmittelbar militärisch beantwortet werden wird. Eben darum erwartet die US-Regierung, daß ihre Truppen auf Jahre hinaus in Saudi-Arabien bleiben werden. Die Intensität der Konfrontation mit diesem Proletariat hat die herrschende Klasse der Golfstaaten dazu gezwungen, ihre "nationalistischen" Masken fallenzulassen und sich, wenn auch widerstrebend, mit Israel und den USA, d.h. mit den staatlichen Verkörperungen des internationalen Kapitals, zu verbünden. Diese ideologische Umorientierung der Golfstaaten entspricht wenigstens der Logik ihrer Interessen. Sie haben sich längst ökonomisch ins internationale Kapital integriert und sich exterritorialisiert. Kuwait z.B. hat 100 Milliarden $ in Europa und Nordamerika investiert, 60% seiner 2,1 Millionen-Bevölkerung sind nicht-kuwaitisch. Es ist eine Ölplantage, Punkt.

Diese Staaten mußten die USA bitten, sie zu besetzen, um den Leuten, die auf ihrem Territorium arbeiten, und den Ländern, aus denen sie kommen, etwas klarzumachen: "Das Fest ist vorbei", und diesmal wird das Geld nicht "verpraßt". Der Massenexodus von ArbeitsimmigrantInnen aus Irak, Kuwait und den angrenzenden Gegenden zeigt spektakulär die "Verwundbarkeit" des ölproduzierenden Proletariats. Dieser Exodus wird bei allen zukünftigen Lohnüberlegungen eine herausragende Rolle spielen. Die ArbeiterInnen, die sich über die irakisch-jordanische Grenze bewegen und in "Flüchtlingslagern" in der Nähe von Amman sterben, sind nämlich nicht Flüchtlinge, sondern das Ergebnis einer Massenentlassung. Sie haben an der eigenen Haut eine weitere Variante der neuen Einzäunungen erfahren - der weltweiten Enteignung der ArbeiterInnen von ihrem Land und den sozialen Garantien der 80er Jahre - was ihre Forderungen zähmen soll, wenn sie wieder in die Gebiete der Ölproduktion zurückkehren.

Folglich sind die Invasionen notwendig, um die Ölpreise zu kontrollieren und den Preisanstieg aufrechtzuerhalten. Nur wenn das ölproduzierende Proletariat mit Gewalt daran gehindert wird, sich einen größeren Anteil an den gestiegenen Öleinkünften zu holen, und die Petrodollars dadurch für die kapitalistische Produktion befreit werden, kann nämlich der Ölpreis aufrechterhalten werden. Die Waffen, die um die Bohrtürme, die Förderanlagen, Raffinerien und Tanklager stationiert sind, sind jetzt ein direkter Teil der Produktionskosten des Erdöls geworden. Es ist ganz richtig, von der "Söldner"-Rolle der amerikanischen "Kreuzfahrer" zu sprechen.

Sie sind eine Art Erdöl-Pinkertons des ausgehenden 20. Jahrhunderts, während die "Bedrohung" durch die irakischen Assassinen dazu dient, die US-Präsenz zu rechtfertigen und durchzusetzen.

Das heißt nicht, daß die Regimes von Bush und Saddam sich in vollkommener Übereinstimmung befinden. Es gibt eine Reihe von wichtigen, wenn auch lösbaren Differenzen zwischen ihnen. Erstens: Obwohl Bush und Saddam sich darüber einig sind, daß die Ölpreise steigen sollten, will die US-Regierung nicht, daß die Irakis den Preis kontrollieren. Diese Rolle kommt schon der saudi-arabischen Regierung zu, die in der OPEC die Preise bestimmt und die mehr als 1 Billion $ in den USA, Europa und Japan investiert hat. Die Saudis bestimmen den Ölpreis immer im Interesse des kollektiven Weltkapitals, Saddam Hussein dürfte nicht so zugänglich sein. Zweitens: Saddams Regierung hat die Invasion Kuwaits benutzt, um ein äußerst fahrlässiges Verbrechen gegen das Kapital zu begehen (das wurde in den ganzen Medienergüssen kaum erwähnt): Sie hat einseitig 100 Milliarden $ an Auslandsschulden gestrichen. Dies ist ein äußerst beunruhigender Präzedenzfall, der sofort daran erinnert, wie die Nazis Deutschlands Schulden aus dem ersten Weltkrieg gestrichen haben, also auch Angst aufkommen läßt, die Dritte Welt könnte in der kommenden Rezession einen militanten oder sogar militärischen Zahlungsboykott bei internationalen Schulden beschließen. Außerdem werden die US-Banken, die zunehmend vom Crash bedroht sind, das Bargeld in ihren Tresoren vermissen.

Diese Differenzen hinsichtlich der Kontrolle über die Festsetzung der Ölpreise und hinsichtlich der Schuldenpolitik können vermittelt werden, obwohl in diesem Vermittlungsprozeß durchaus am Rande auch militärische Gewalt angewandt werden könnte. Doch die US-Kreuzfahrer sind nicht auf der arabischen Halbinsel, um einen großangelegten, konventionellen Krieg gegen die irakischen Assassinen zu führen, wie viele es sich immer wieder ausmalen. Die US-Truppen sind nämlich nicht auf der arabischen Halbinsel, um gegen die Soldaten einer Regierung zu kämpfen, die das Spiel des kollektiven Kapitals mitspielt. Das Regime von Saddam Hussein zeigt sich vollständig gewillt und in der Lage, dieses Spiel mitzuspielen. Diese US-Invasion des persischen Golfs ist daher nicht mit dem Krieg in Vietnam zu vergleichen, wo das US-Militär hingeschickt wurde, um eine direkt antikapitalistische, revolutionäre, bewaffnete Bewegung zu bekämpfen. Sie gleicht eher der US-Besetzung von Westeuropa nach dem 2. Weltkrieg, die nicht in erster Linie eine sowjetische Invasion abwehren, sondern das Entstehen von revolutionären Kräften in Westeuropa selbst verhindern sollte.

Die schnelle Stationierung von hunderttausenden von Soldaten mit einem großen Kader von Logistik-Spezialisten in militärisch ungedeckten Aufmarschgebieten läßt eher auf die Vorbereitung von ständigen Stützpunkten in Saudi-Arabien als auf die Invasion von Kuwait und Irak schließen. Es ist kein Zufall, daß diese Invasion bis jetzt die größten Verluste unter den vertriebenen ausländischen ArbeiterInnen und - durch Arbeitsunfälle - unter den US-Truppen gefordert hat. Die US-Truppen werden nämlich als Streikbrecher beim Aufbau der Infrastruktur der Golfbesetzung eingesetzt, da die Behörden schwere Bedenken haben, US-Truppen und Golf-ArbeiterInnen zusammenzubringen. Tatsächlich zeigt die Schnelligkeit der Stationierung, daß die US-Truppen nicht nur Streikbrecher, sondern auch Geiseln sind, denn ihre bloße Anwesenheit auf der arabischen Halbinsel wird der Bush-Regierung militärische Gründe liefern, diese äußerst exponierte Streitmacht zu beschützen.

 

II

Es gab immer hunderte von Leuten in der arabischen Heimat,
die sich aus Unwissenheit die Weltsicht der Nazis zu eigen machten,
bevor der Nazismus überhaupt auftauchte.

 
Michel Aflaq: Fi Sabil (1955)

Die oben angestellte Analyse der Klassenverhältnisse und der Motive, unter denen die Invasionen vom August stattfanden, deutet auf eine funktionale Einigkeit zwischen der ba'athistischen und der republikanischen Regierung von Saddam und Bush hin und hat klare politische Folgen für AntikapitalistInnen.

Doch dann ist da die Gleichung Saddam = Hitler, mit der wir uns auseinandersetzen müssen. Sobald nämlich von Hitler die Rede ist, hört alles politische Denken auf. Hitler wirkt wie "der Alte vom Berge" des 20. Jahrhunderts, der die Vernunft in einer Mischung aus Schrecken und Faszination erstarren läßt. Aber um Mitternacht nehmen sich die Schrecken des Tages banaler aus.

Sehen wir uns zunächst die Gleichung an: Ist Saddam ein arabischer Hitler? Saddams Ba'ath (= Handlung, Bewegung, Wiederbelebung, Wiedergeburt) ist ganz klar eine Form von Nationalsozialismus. Sie zielt auf die Neudefinition einer arabischen Nation, die sich von Marokko bis zum Irak erstreckt; sie betrachtet alle nach-osmanischen Grenzen als vorläufig. Es stimmt, daß Aflaq, einer der Gründer des Ba'athismus in den 40er Jahren, dessen Gleichsetzung mit arabischem Nazismus ablehnte, aber in seinen Äußerungen stellte er den Vorrang der arabischen Rasse bei der Suche nach der Nation nicht in Frage.

Ba'athistischer Sozialismus gleicht Hitlers Nationalsozialismus auch insofern er eine Form von staatlich dominiertem Kapitalismus ist, in dem Eigentumsrechte «Naturrechte in den Grenzen des nationalen Interesses» sind (Artikel 34 der ba'athistischen Verfassung). Die Ba'ath-Partei hat gewiß nicht zu einer deutlichen Verringerung der Einkommensunterschiede beigetragen, aber dafür hat sie den Anstieg der Reallöhne durch den Import von ausländischen ArbeiterInnen kontrolliert. Auch in Saddams Äußerungen ist der ba'athistische Sozialismus nicht gerade antikapitalistisch, und erst recht nicht in seiner Praxis. Dies hier ist zum Beispiel die Definition von "Sozialismus", die er vor einem Jahrzehnt vorschlug: «Sozialismus bedeutet nicht die gleichmäßige Verteilung von Reichtum unter den Armen, denen alles genommen wird, und den Reichen, die sie ausbeuten; das wäre zu unflexibel. Sozialismus ist ein Mittel, um die Produktivität zu steigern und zu verbessern.»

Wenn wir zu diesem ideologischen Bild noch folgendes hinzurechnen:

bekommen wir ein Bild von Saddam Hussein als dem Führer einer faschistischen Partei.

Aber Hitler? In der Form vielleicht, aber kaum in der Größenordnung. Im 20. Jahrhundert lassen sich mit Saddam und den Ba'athisten am ehesten die Führer des nationalsozialistischen Zionismus wie Begin und Sharon vergleichen. Wie die israelischen Faschisten könnte Saddam Hussein ohne die Unterstützung des internationalen Kapitals für sich und seine Partei nichts ausrichten.

Und wie die Zionisten hat er sie bekommen, denn sein arabischer Faschismus spaltet das ölproduzierende Proletariat in Araber und Nichtaraber. Der Ba'athismus stellt eine Alternative zu der internationalistischen Anziehungskraft gewisser islamischer Fundamentalismen von Indonesien bis zur Karibik dar, die eine sozialdemokratische Vision von einer nichtstaatlichen Bruderschaft mit Wohlfahrts- und Umverteilungsgarantien entwerfen.

Saddams ba'athistische Partei arbeitet jetzt am persischen Golf und in Nordafrika genau so, wie die Nazis einen Pangermanismus organisierten, der die Hälfte der europäischen Arbeiterklasse dazu rekrutierte, mit dem stillschweigenden Einverständnis des internationalen Kapitals die andere Hälfte zu ermorden. Sein Erfolg könnte die Araber aus den Reihen des Antikapitalismus auf diesem Planeten entfernen, so wie es die Zionisten weitgehend mit den Juden gemacht haben.

Die Kapitalisten setzen darauf, daß der ba'athistische Irak - der ein Jahrzehnt lang ein dreimal so großes Land bis zum Waffenstillstand niederkämpfen konnte - die einzige Kraft ist, die den USA helfen kann, die gefährlichen ArbeiterInnen am Golf zu disziplinieren und zu verwirren.

 

III

Der Mensch erbittet das Böse,
wie er das Gute erbittet.
Der Mensch ist ja eilfertig.

 
Sure 17 (Die Nachtfahrt), Koran

Wenn nach der US-Propaganda Saddam Hussein und die irakischen Ba'athisten der Hitler und die Nazis der 90er Jahre sind, dann paßt es, daß das Bündnis von USA, UdSSR und den meisten anderen "Alliierten" unter der Überschrift jenes Produkts der antifaschistischen Politik des zweiten Weltkriegs, der Vereinten Nationen stattfindet. Einige verklären die Zeiten, als die Rote Armee und die US-amerikanischen GIs zusammen kämpften, um die Welt gegen die "Barbarei" zu verteidigen, dermaßen, daß sie große Hoffnung in die neue Einheitsfront setzen, die in der arabischen Wüste zusammenkommt, um die nationale Souveränität von schwächeren Staaten zu verteidigen. «Vielleicht», flüstern sie sehnsüchtig, «könnte dies das erste Zeichen für die Entstehung einer Weltregierung sein, jetzt wo der Kalte Krieg zuende ist.» Aber genau wie beim Wort "Hitler" in diesem Jahrhundert das Denken aufhört, fängt es bei der Vorstellung von einer Weltregierung an, halluzinierend zu rotieren. Bevor wir aber den Verstand verlieren, sehen wir uns das Vorgehen der UNO im allgemeinen und ihre besondere Rolle in der Kuwait-Krise an.

Die UNO ist die kollektive Vereinigung kapitalistischer Staaten. Weder vertritt sie das Weltproletariat, noch ist sie der erste Weltstaatenbund dieser Art. In der Geschichte des Kapitalismus gab es immer wieder Momente, in denen kapitalistische Staaten sich zusammengetan haben, um die Grundregeln des Weltmarkts - der wahren und einzigen Verkörperung einer kapitalistischen "Weltregierung" - zu organisieren. So wurde etwa das heutige internationale Seerecht im 17. Jahrhundert begründet, um Seeverkehr und -auseinandersetzungen von Staaten und Firmen auf dem neuen Weltmarkt zu regeln. Ende des 19. Jahrhunderts trafen sich die Großmächte in Berlin, um Afrika rationell und gemeinsam aufzuteilen. Im 20. Jahrhundert wurden in Versailles und Jalta Einflußsphären, nationale Grenzen und Konzernansprüche neuverteilt, die vom Völkerbund, bzw. der UNO überwacht werden sollten.

Die jetzige, eher ekelerregende Kriecherei der Staaten bei der UNO und in der arabischen Wüste ist nur ein Teil des globalen Neuaufteilungsprozesses nach dem Kalten Krieg. Sie gibt nicht zu mehr Hoffnung auf ewigen Frieden Anlaß als die Konferenzen von Berlin 1885, von Versailles 1919 und von Jalta 1945. Wenn das Kapital kollektiv handelt, dann, um seine Klassengegner einzeln zu schlagen, das Bündnis am Golf macht da keine Ausnahme.

Manche sagen aber, das Prinzip des "Schutzes der nationalen Souveränität", mit dem die USA ihre Führungsrolle in der UNO-Invasion Saudi-Arabiens rechtfertigen, sei "progressiv". Ließe sich nicht gerade dieses Prinzip z.B. im Fall von Palästina gegen die USA und ihren Verbündeten Israel anwenden? In einer juristischen Debatte hätte so eine Taktik vielleicht Erfolg. Aber auf Staatsebene sucht man vergeblich nach einer gerechten Anwendung dieses Prinzips. Erst recht vergeblich ist der Glaube, dieses Prinzip könnte im Interesse des palästinensischen Proletariats angewandt werden. Die USA als Staat sind im Rousseau'schen Sinn ein vorvertraglicher Wilder, sie müssen erst noch die Art von Katastrophe einstecken, die sie zu halbwegs annehmbarem bürgerlichen Verhalten zähmen würde. Das beweist das letzte Jahrzehnt von den US-Invasionen in Grenada und Panama bis zur Ignorierung der Urteile des Internationalen Gerichtshofes gegen ihre Angriffe auf Nicaragua. Der Staat Israel ist an Wildheit nur das schrillere Echo der USA.

Es ist utopisch zu glauben, die USA würden ihre Palästina-Politik ändern, bloß weil gezeigt wird, daß sie das Prinzip der nationalen Souveränität inkonsequent verfolgen - im Fall Kuwait ja und im Fall Palästina nein. Aber selbst wenn solche Argumente sie zum Handeln bringen würden, wären die Folgen für die proletarischen Kämpfe verheerend, wie die Geschichte von anderen bewaffneten UNO-"Friedens"-Initiativen, wie Korea 1950 oder Zaire 1960 oder kürzlich Namibia gezeigt hat.

Läßt sich die UNO dann überhaupt in dieser Krise benutzen? Vielleicht. Hinter der Entwicklung des internationalen Rechts von Grotius' Theorien im 17. Jahrhundert bis zu den neuesten Menschenrechts-Chartas stecken nicht nur die Manöver von kapitalistischen Staaten. Die UNO selbst ging aus einer Elefantenhochzeit zwischen Sozialdemokratie und Stalinismus in den 40er Jahren hervor, und beide Formen der Klassenherrschaft waren Antworten auf proletarische Kämpfe, deren Energien sie wenigstens vorwegnehmen und absorbieren sollten.

Daher kann die UNO diesen Kämpfen als formale Arena dienen, in der die Kapitalisten die proletarische Macht unter dem Aspekt von "Menschen"-Rechten anerkennen. Solch eine formale Arena kann ebensowenig als bloße bürgerliche Illusion abgetan werden, wie ein Gericht oder ein Parlament. Ein günstiges Urteil oder Gesetz ist nicht bedeutungslos. Aber es kann nicht das Ziel eines Kampfes sein, denn in einem Moment der Schwäche können Urteile aufgehoben und Gesetze geändert werden. Der Fall Kuwait ist in dieser Hinsicht allerdings klar: Die "Menschenrechte" der meisten ArbeitsimmigrantInnen sind verletzt worden: ihre Löhne nicht bezahlt, ihr Lebenszusammenhang zerschlagen, ihre Bewegungen eingeschränkt. Diese Rechte könnten wir im Forum der UNO verteidigen, wenn wir dieses Forum überhaupt benutzen wollen; nicht aber die Rechte der Ölplantagenbesitzer auf ihre Profite.

 

IV

Hast du nicht gesehen, wie Allah mit der Armee des ELEFANTEN verfuhr?
Hat er nicht ihre List fehlgehen lassen und Vögel in Schwärmen
über sie gesandt, die sie mit Steinen von Ton bewarfen,
und sie somit gleich abgefressenen Halmen gemacht?

 
Sure 105 (Der Elefant), Koran

Nichts, was das US-Militär tut, liegt im Interesse der Menschen der Welt. In Saudi-Arabien hält es z.B. als Polizei gegen das ölproduzierende Proletariat höhere Ölpreise aufrecht. Für die ÄgypterInnen, SrilankanerInnen, Pakistanis und PalästinenserInnen auf den Ölfeldern sind die US-Truppen zu mobilen WanderarbeiterInnen des Todes geworden.

Das ist natürlich nicht die offizielle Version. Laut George Bush sind die Kreuzfahrertruppen dazu da, den American Way of Life gegen Saddam Husseins Assassinen zu verteidigen. Aber die Truppen sind ProletarierInnen - größtenteils Schwarze, Latinos, arme Weiße, sowohl Männer als auch Frauen, viele mit Kindern Ä, deren Löhne seit 1973 auf das Niveau von vor dem zweiten Weltkrieg gefallen sind. Die höheren Ölpreise, die sie durch ihre Anwesenheit erzeugen und aufrechterhalten, greifen ihren eigenen Lebensstandard weiter an (nicht den von George Bush). Die höheren Ölpreise schlagen sich nämlich ganz sicher in einer Rezession und einer Inflationsperiode nieder, die zusammengenommen die Löhne weiter untergraben, die Mieten weiter steigern und der Regierung noch mehr Vorwände geben werden, die letzten Sozialleistungen zu streichen, auf die wir noch Anspruch haben. Je niedriger aber die Löhne sind, umso attraktiver erscheint es vielen, zu einer Söldner-Kreuzfahrer-Armee zu gehen (die ihre eigenen Reallöhne nach unten drückt).

Und so dreht sich der Teufelskreis, bis er von innen oder von außen durchbrochen wird. Wir schulden den arbeitenden Menschen vom Golf und den Truppen unsere Solidarität, und dazu müssen wir ihnen vor allem helfen, den Teufelskreis zu durchbrechen. Das können wir tun, indem wir ihnen helfen, die US-Regierung zum Truppenabzug zu zwingen, damit die ölproduzierenden ArbeiterInnen sich politisch für ihre eigenen Interessen bewegen können, ohne von US-TodesarbeiterInnen abgeschlachtet zu werden.

Aber was ist mit Saddam und seinen Assassinen? Wird ihnen der Abzug der US-Truppen nicht freie Hand über das ölproduzierende Proletariat geben? Im Gegenteil. Es sind ja gerade die US-Kreuzfahrer, die Saddam an der Macht halten. Ohne stabile höhere Ölpreise und einen starken sichtbaren äußeren Feind könnte sich das gegenwärtige irakische Ba'ath-Regime nicht halten. Aber gerade die Präsenz von US-Truppen, -Flugzeugen und -Schiffen erfüllt ja beide Bedingungen. Wenn sie abziehen, wird die Schwäche der irakischen Ba'ath-Partei klar zu Tage treten. Diese Partei hängt nämlich völlig von einer äußerst verwundbaren Produktionsform ab, die man leicht sabotieren und zerschlagen kann - d.h., wenn man nicht so besorgt um die Kapitalströme wäre. Saddams Ba'athismus ist genauso abhängig von den USA wie Shamirs Zionismus. Der endgültige Abzug der USA aus der Region würde sie beide zum Untergang verdammen.

Wir haben gezeigt, daß es gegen das Interesse des ölproduzierenden Proletariats, der US-ArbeiterInnen und sogar der US-Truppen ist, wenn das US-Militär am Golf bleibt. Wir können noch ein bißchen weiter gehen. Diese Truppen sollten sowohl aus dem persischen Golf als auch aus Europa abgezogen werden (wo die angebliche sowjetische Bedrohung jetzt in sich zusammenfällt). Aber die Truppen müssen nicht nur heimgeholt, sondern auch demobilisiert werden.

Warum braucht die US-Regierung das Militär? Es gibt keine angebliche großangelegte ausländische Bedrohung gegen die Interessen der ArbeiterInnen hier (und viele US-ArbeiterInnen haben wiederum gar keine Heimat). Der wirkliche Zweck des Militärs ist klar: Es dient dazu, uns zu unterdrücken. Da die Demobilisierung von mehr als zwei Millionen SoldatInnen dazu benutzt werden kann, unser ohnehin schon fallendes Lohnniveau zu senken, sollten die Truppen während ihrer Demobilisierung voll bezahlt werden, bis ihnen ein anderes Einkommen zur Verfügung steht.

Auch alle UNO-Truppen sollten die Golfregion verlassen, denn hinter der "Friedenssicherungs"-Fassade dienen auch sie nur der Repression. Die kapitalistische Organisation der Welt läßt keinen Frieden zu, denn sie muß unseren Widerstand gegen die Ausbeutung und gegen den Diebstahl der Allgemeingüter der Erde zerschlagen, sie kann also keine "Friedensdividende" ausschütten.

Hier haben wir die historische Chance zu einer weltweiten Bewegung gegen den Militarismus und die vom Militär abhängige weltweite kapitalistische Produktion. Da praktisch jede Nation sich mit Streitkräften an der US/UN-Ölpolizei zur Kontrolle der Forderungen des ölproduzierenden Proletariats beteiligt, kann eine internationale Bewegung gegen die Militäraggression der UNO am Golf das niederträchtige Bündnis zwischen Kreuzfahrern und Assassinen durcheinanderbringen.

 

V

Die Möglichkeit quantitativer Inkongruenz zwischen Preis und Wertgröße,
oder der Abweichung des Preises von der Wertgröße, liegt also in der Preisform selbst.
Es ist dies kein Mangel dieser Form, sondern macht sie umgekehrt zu adäquaten Form
einer Produktionsweise, worin sich die Regel nur als blindwirkendes Durchschnittsgesetz
der Regellosigkeit durchsetzen kann.

 
Karl Marx: Das Kapital, Bd. I, S. 117

Der Ölpreis ist im Kapitalismus politisch bestimmt: durch unsere Kämpfe und die Versuche der Herrschenden, uns durch das Öl zu besiegen. Der jeweilige Preis spiegelt sowohl wider, wie wirksam sie uns kontrollieren, wie politisch sicher also Investitionen in Energiegüter sind, als auch, welcher Preis in Zukunft dafür nötig ist, daß ausreichend in Technologie, Automatisierung, Atomkraft und Biotech investiert wird, um den Preis auf höherem Niveau zu stabilisieren.

Ende der 70er Jahre z.B. benutzten die Menschen von Mexiko über Nigeria bis zum Iran die höheren Ölpreise, um einen besseren Lebensstandard, höhere Löhne, Sozialleistungen, Schulen und Krankenhäuser zu fordern. Viel von dem Reichtum, den die höheren Ölpreise erzeugt hatten, ging an die ProletarierInnen, statt in Industrien investiert zu werden, die ein hohes Technologie- und Energieniveau erfordern und die gerade entwickelt werden, um die ArbeiterInnenmacht über die Produktion von Reichtum zu schwächen. In den USA, Europa und Japan trieb der Widerstand gegen die Atomkraft die Versicherungskosten für AKWs so hoch, daß auch der höhere Ölpreis nicht die Profitabilität der Atomkraft garantierte, was den kapitalistischen Planern einen schweren Schlag versetzte. Gleichzeitig organisierten sich US-amerikanische LKW-Fahrer, BäuerInnen und Bergarbeiter, europäische BäuerInnen und italienische Hausfrauen gegen die höheren Ölpreise, während Taxifahrer in Levittown, Pennsylvania, und in Japan revoltierten. Der Preis für Energiegüter fiel.

Mit dem Preissystem organisieren die Kapitalisten daher in ihrem Interesse die gesellschaftliche Produktion und Konsumption quer durch alle möglichen Kämpfe hindurch. Keine Ware hat nur einen einzigen Preis, je nach den Kampfumständen kann sie viele haben. Es kostet z.B. ungefähr 2 $, ein Barrel Rohöl zu fördern, also ungefähr 1¼ Cent pro Liter. Aber der Preis für Rohöl schwankt auf der Welt sehr weit. Obwohl der Preis für exportiertes Erdöl auf dem Weltmarkt überall so ziemlich der gleiche ist, unterscheidet sich der Benzinpreis an der Zapfsäule beträchtlich von Land zu Land. Im Dezember 1988, als der Weltpreis für Rohöl unter 15 $ pro Barrel lag, kostete der Liter Benzin ca. 4 Cents in Caracas und mehr als 1 $ in Tokio.

Diese Preisunterschiede sind das Ergebnis vieler Kämpfe. Nigeria z.B. hat mit den billigsten Inlands-Benzinpreis der Welt (ca. 7½ Cents pro Liter), weil die Menschen an den Taxiständen und in den Innenstädten jedesmal, wenn die nigerianische Regierung auf Druck des IWF die Preise an den Zapfsäulen zu erhöhen versuchte, revoltierten, um den Wert ihrer Löhne zu verteidigen.

Angesichts der Invasionen zeichnet sich in den USA jetzt allerdings eine unheilige - wenn auch unbeabsichtigte - Allianz zwischen Dritte-Welt-UmverteilerInnen, UmweltschützerInnen und den Planern in der Ölindustrie ab. Die Dritte-Welt-Soli-Leute glauben, höhere Ölpreise in den USA könnten den Reichtum an die ArbeiterInnen in ölexportierenden Ländern in der Dritten Welt umverteilen und so den jahrzehntelangen ungleichen Tausch zwischen diesen Ländern und den entwickelten kapitalistischen wiedergutmachen. Die UmweltschützerInnen glauben, höhere Ölpreise würden ArbeiterInnen und Kapitalisten in den USA so weit disziplinieren, daß sie ökologisch sicherere Alternativenergien - Sonne, Wind, sogar Hanf - akzeptieren, und wir vernünftigerweise unseren Benzin- und Autogebrauch einschränken. Die Planer in der Ölindustrie sehen in den höheren Ölpreisen natürlich mehr Profite, die sie in Industrien investieren können, die auf High-Tech-Energien beruhen. Aus all diesen Perspektiven erscheint das US-Proletariat als ungerecht (gegenüber seinen Brüdern und Schwestern in der Dritten Welt), verantwortungslos (gegenüber den Bedürfnissen von Mutter Erde) und unrealistisch (weil es sich nicht um die rationale Verteilung der Ressourcen kümmert).

Wir lehnen die Behauptungen dieser merkwürdigen Allianz ab. Höhere Benzin- und Heizölpreise in den USA richten sich gegen unsere Bedürfnisse als ArbeiterInnen, gegen das, was wir als ArbeiterInnen wollen. Wenn wir die Preissteigerungen in den USA aufhalten, werden wir nicht nur die Pläne des Kapitals ins Wanken bringen - es ist auch das einzige politisch sinnvolle Ziel einer proletarischen Bewegung in den USA. Andernfalls wird jede Bewegung gegen die Invasion sofort in Konflikt mit dem größten Teil der lohnabhängigen Bevölkerung geraten. UmweltschützerInnen und Dritte-Welt-Soli-Leute, die glauben, sie machten gerade einen himmlischen Deal mit der Ölindustrie und einigen Kongreßabgeordneten, werden bald entdecken, was für teuflische Folgen dieser Deal hat.

Das heißt natürlich nicht, daß die umverteilerischen und ökologischen Forderungen falsch sind. Aber sie lassen sich nicht durch höhere Preise durchsetzen, denn die US-ArbeiterInnenklasse ist nicht die Ursache der ungleichen kapitalistischen Ausbeutung der menschlichen Rasse und der Ausplünderung dieses Planeten, der allen gehört. Das Preissystem selbst ist der Ursprung dieser Ungleichheit und Erniedrigung. Wer das eigentlich Richtige mit Hilfe dieses Systems zu tun versucht, begeht Klassenselbstmord.

Die Forderung nach niedrigeren Energiepreisen hier widerspricht nicht der Forderung nach einem besseren Lebensstandard in Nigeria, Venezuela oder Trinidad. So lange wir aufgrund der kapitalistischen Organisation der Produktion so viel Öl verbrauchen, schafft die Arbeit der ölproduzierenden ArbeiterInnen Reichtum, auf den sie alles Recht der Welt haben. Dieser Reichtum geht nicht an uns. Wie wir sehen, gehen die Profite der Ölgesellschaften steil nach oben - Exxons zusätzlicher Gewinn bei einer Preissteigerung von einem ¼Cent pro Liter entspricht dem gesamtem Grundstückswert von South Dakota - und doch fallen die Reallöhne in den USA. Es gibt Reichtum genug, daß alle gut leben können, und wenn wir irgendwelche Kompromisse bei der Produktion und dem Konsum von Öl machen müssen, dann zwischen uns und den ArbeiterInnen in den Förderländern. Da heute ein paar mächtige Institutionen das "Geschenk Allahs" (oder der Natur) kontrollieren, müssen die ArbeiterInnen ihren gemeinsamen Feind erkennen.

Solange wir in einem kapitalistischen Universum leben, heißt Verringerung unseres Energieverbrauchs: Senkung unseres Lebensstandards, härtere Arbeit und weniger Lohn. Wenn wir nicht für die Kapitalisten arbeiten müßten, müßten wir z.B. nicht so oft autofahren. Aber entscheidend ist, daß nicht die Bosse darüber bestimmen dürfen. Die ArbeiterInnen dürfen nicht von Umweltengeln zu "gutem" Verhalten gezwungen werden, wenn dies den Herrschenden nützt, denen es nur um wirksamere Formen der Ausbeutung geht. Auf hohe Ölpreise zu setzen, ist sehr gefährlich, solange die Kapitalisten die Macht haben, die Preise zu ihrem Vorteil festzulegen. Die Bewegung gegen den Golfkrieg muß mindestens so schlau sein wie die zeitgenössischen Kreuzfahrer und Assassinen, gegen die wir kämpfen. Wenn wir gegen die hohen Ölpreise lediglich Alternativenergien fordern, geben wir der Energieindustrie mehr Macht, uns die Atomkraft aufzuzwingen. Wenn wir die ArbeiterInnen zum Energiesparen aufzufordern, kann das die Regierungspolitik rechtfertigen, uns im Winter frieren zu lassen oder obdachlos zu machen. Unsere Forderungen müssen auf unseren Bedürfnissen, auf dem, was wir wollen, und auf unserer Solidarität mit unseren ausgebeuteten Mitmenschen auf dem ganzen Planeten beruhen.

 

Schlußfolgerung

Am besten wehren wir uns gegen die militaristische US-Politik im Nahen Osten, indem wir der Bush-Regierung, den internationalen Banken und den Energiekonzernen zeigen, daß sie nicht von den Preiserhöhungen profitieren können, die die US-Truppen durch ihre Anwesenheit dort mit aufrechterhalten. Das können wir hier tun, indem wir sowohl für niedrigere Benzin-, Heiz- und Strompreise, als auch für die Demobilisierung des US-Militärs kämpfen. Diese Strategie scheint indirekt und ökonomisch zu sein. Aber vergeßt nicht: was die Elefantenarmee von Abraha, dem christlichen König von Abessinien, daran hinderte, die Kaaba in Mekka zu zerstören, war ein Regen von kleinen "Tonsteinen".

Boston, November 1990


WHAT CRISIS?

Nachwort des WILDCAT-Kollektivs

Die MIDNIGHT NOTES behaupten, daß das Kapital in der augenblicklichen Situation die Krise will, daß es eine neue große Weltwirtschaftskrise braucht. Der Ölpreis ist dafür ein zentrales Mittel, denn er bestimmt die Preise von Energie, von Heizung, Transport, einem Teil der Lebensmittel. Höhere Energiepreise zwingen die Arbeiterklasse zu Einschränkungen in ihrer Lebenshaltung - und sie zwingen auch einzelnen Kapitalisten eine Drosselung ihrer Produktion auf.

Eine solche These stößt bei einer Linken, die an die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus glaubt, auf Unverständnis. Will das Kapital nicht immer mehr Profit machen, hofft es nicht auf einen ununterbrochenen Fortgang der guten Geschäfte?

Nach der letzten Weltwirtschaftskrise 1980/82 kletterten die Gewinne wieder in die Höhe. Aber trotz dieser Gewinnsteigerungen bleibt das Kapital im Keller. Die Profitraten der 80er Jahre liegen immer noch unter denen vor der ersten Ölkrise 1973. Das Kapital hat Mitte der 80er Jahre einen neuen Boom hingekriegt, aber es hat die Konstellation zwischen sich und der Arbeiterklasse, die sich in den 70er Jahren dramatisch zu seinen Ungunsten verschlechtert hatte, nicht grundsätzlich korrigieren können.

Genau das wird von den Kapitalstrategen als Ausgangspunkt der aktuellen Krise angegeben:

«Sorge bereitet Hutmann vor allem, daß die westlichen Industrieländer in den 80er Jahren nicht wirklich reicher geworden sind, sondern sich nur reich gerechnet haben. Den immer höheren Zins- und Kursgewinnen aus Geldvermögen hat keine adäquate Steigerung der Produktion von Gütern und Dienstleistungen gegenübergestanden. Die Erträge und die aufgenommenen Schulden sind nicht in Investitionen, sondern in den Konsum geflossen. Das hat zu einer Schuldenexplosion geführt, während die wirtschaftliche Leistung weit hinterher hinkte. Die Verschuldung habe im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt bereits ein ähnlich hohes Niveaus erreicht wie vor der großen Krise in den dreißiger Jahren ... Eine weitere "Anpassungs-Rezession" hält der SMH-Experte für unausweichlich.» (DIE ZEIT 7.12.90 über eine Untersuchung der Münchner SMH-Bank)

Was der "Experte" als Ungleichgewicht von Kredit und Produktion analysiert, ist das Kampf- und Kräfteverhältnis zwischen den Klassen. Das Kapital hat in den Metropolen die alte Macht der Arbeiterklasse schwächen können, es hat im Trikont weiterhin Leute von ihrem Land vertrieben und verhungern lassen. Aber es blieb eingekeilt zwischen der Militanz der Klassenkämpfe in den Schwellenländern (Südkorea, Türkei etc.), den Brotaufständen in Lateinamerika, im Maghreb usw., und der Starrheit der Löhne und Sozialausgaben in den Metropolen. Die Hoffnung, mit der Krise 80/82 eine neue lange Boomphase einleiten zu können, hat sich trotz Umstrukturierung und neuen Produktionstechnologien nicht erfüllt. Das Kapital geht in die Krise, um weltweit dieses Kräfteverhältnis umzukehren.

Aber im neuen Deutschland?

Geht es nicht gerade steil bergauf, im Dezember fuhren die Autofabriken noch Sonderschichten für den neuen Markt im Osten? Die Wiedervereinigung hat den Boom hier im Vergleich zu den USA und zum europäischen Ausland verlängert. Aber auf eine Weise, die letztlich eine umso drastischere Krise erzwingt. Denn der Boom ist schuldenfinanziert, er lebt von dem politischen Preis, den die Westregierung zahlen mußte, um das Aufbegehren der Klasse im Osten in die Bahnen der kapitalistischen Entwicklung zu lenken zu versuchen. Wie die Arbeiterklasse im Osten die schnelle Wiedervereinigung erzwungen hat, haben wir in der WILDCAT Nr. 52 dargestellt.

Die Arbeiterklasse im Westen hat die Kampfsignale aus dem Osten bisher nur vereinzelt aufgegriffen, aber sie bildet immer noch ein schwerwiegendes Hindernis - siehe den momentanen Eiertanz um diverse Gebühren/Steuererhöhungen. Die Arbeiterklasse ist in keiner Weise bereit, der Wiedervereinigung zuliebe sich vom eigenen Lebensstandard etwas nehmen zu lassen. Das Kapital steht vor dem Problem, der Klasse im Osten drastisch klarzumachen, daß das Fest nun vorbei ist, und der im Westen, daß sie gefälligst auch mal verzichten müssen.

Ölschock - Schuldenkrise - Golf

An einigen Stellen der Broschüre greifen die MIDNIGHT NOTES auf ihre früheren Analysen zurück, die hier kaum bekannt sind. Wir haben diese Texte übersetzt und als THEKLA 10 Politische Materialien aus den USA und THEKLA 12 Arbeit, Entropie, Apokalypse veröffentlicht.

Dort entschlüsseln sie die Krisen 1973 und 1980/82 als Antworten des Kapitals im weltweiten Klassenkampf - in West wie in Ost. Anfang der 70er sah sich das Kapital vor dem Abgrund: weltweit Kämpfe der Arbeiterklasse, bewaffnete Aufstände und Befreiungsbewegungen, mit der Arbeit schien es vorbei zu sein.

Der "Ölpreisschock" 1973 war die kapitalistische Antwort: das Instrument, die Wirtschaft in die Krise zu treiben, der Arbeiterklasse ihr Einkommen zu verringern, und gleichzeitig Gelder für neue Investitionen, für technische Mittel der neuen Klassenspaltung freizumachen. Die weltweite Einheitlichkeit der Kämpfe sollte durch eine neue Abstufung in den regionalen Entwicklungskonzepten unterbrochen werden - von Hightech bis zum nackten Hunger.

(siehe den Aufsatz von Montano in THEKLA 10)

Die Ölpreiserhöhungen blähten die internationalen Geldmärkte enorm auf. Das Geld wurde zu geringen Zinsraten überall hingepumpt, um neue Investitionen und Produktivitätssteigerungen durchzusetzen. Aber es klappte nicht, ein großer Teil der Gelder floß in den kurzfristigen Konsum und in Sozialausgaben, weil die Herrschenden zunächst mal mit Revolten und der Explosion der Ansprüche fertig werden mußten. Als die Finanzinstitute nachfragten, wo die Gewinne (Zinsen) aus den investierten Geldern blieben, mußten die Regierungen passen. Es kam die sogenannte Schuldenkrise, die vor allem im Trikont den Menschen klarmachen sollte, daß westliches Geld mit westlicher Arbeitsintensität verbunden sein muß. - Schon damals wiesen die MIDNIGHT NOTES darauf hin, daß dem Kapital auch mit dieser zweiten Krise keine grundsätzliche Änderung des Kräfteverhältnisses gelungen war.

(Soll und Haben in der Krise, THEKLA 12)

Die Golfkrise ist daher die notwendige Verlängerung der Schuldenkrise und sie hat denselben Ausgangspunkt: die Probleme des Kapitals mit dem Kampf der weltweiten Klasse fertigzuwerden!

Sie setzt uns die Bedingungen für die Kämpfe der nächsten Jahre.

Als wir im Dezember das nachfolgende Pamphlet vom MIDNIGHT NOTES-Kollektiv aus den USA erhielten, fanden wir es toll. Die GenossInnen waren in ihren Diskussionen zum gleichen Ergebis gekommen wie wir hier: Der Aufmarsch der beiden Armeen am Golf richtet sich gegen das Proletariat. Und die US-GenossInnen haben weltweit einen viel besseren Überblick als wir hier.

Einen Punkt hielten wir zunächst aber eher für Wunschdenken: Sie reden von einem «Kampfzyklus des weltweiten ölproduzierenden Proletariats» - und daß dieser im Fadenkreuz des "Golfkriegs"-Szenarios steht. Je mehr wir uns damit beschäftigt, Material besorgt und weiter diskutiert haben, desto mehr Belege dafür haben sich gefunden. Zumindest vom Standpunkt der Kapitalisten und Imperialisten her (welche Sorgen haben sie? woher rührt die gigantische Verschuldung aller beteiligten Staaten? wo sehen sie einen Ausweg aus ihrem Dilemma?), läßt sich die These voll bestätigen.

Noch immer fehlen uns aber direkte Kenntnisse über die Kämpfe der Frauen und Männer, die vom MIDNIGHT NOTES-Kollektiv als «erdölproduzierendes Proletariat» bezeichnet werden. Möglicherweise wird der Begriff auch erweitert oder vertieft werden müssen - z.B. "das energieproduzierende Proletariat". Und da hat es ja nun einige wichtige Kämpfe gegeben (Bergarbeiter in der SU, Bergarbeiter in den USA, am wichtigsten ist sicher der aktuelle Kampf der türkischen Bergarbeiter und ihrer Familien, die ganz deutlich die Forderung nach Lohnerhöhungen mit dem Kampf gegen den Krieg und für den Sturz des Özal-Regimes verbunden haben....)

Wir haben die von einem Schweizer Mitglied des MIDNIGHT NOTES-Kollektivs besorgte Rohübersetzung des folgenden Textes überarbeitet und bringen sie als Beilage der WILDCAT Nr. 54 heraus. Im Heft selber ist noch mehr zur Situation in der Golfregion: Infos zu Kuwait, ein Thesenpapier von uns, ein Artikel zum Bergarbeiterstreik, ein aktuelles Interview mit einem Genossen der MIDNIGHT NOTES. Aber die WILDCAT 54 erscheint erst Mitte Februar. Deshalb bringen wir die "Beilage" schon jetzt raus, weil das MIDNIGHT NOTES-Pamphlet wichtiges Kopffutter für die nun endlich beginnende Mobilisierung gegen das Kriegsszenario enthält.

Nachsatz: Aus der Analyse, daß sich der Krieg gegen die Kämpfe der Klasse richtet, ergibt sich keine Garantie, daß es "da unten nicht knallt". Gerade angesichts der sich ausweitenden Kämpfe werden die Imperialisten das Szenario weiter eskalieren ...

Berlin, den 15. Januar 1991

Beilage der WILDCAT 54


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